Andachten und Studien
zu Jesaja 40-66
Teil 2: Kapitel 49-57
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Vorbemerkung und Gliederung siehe Teil
1 (Kapitel 40-48)
Dieser Text ist eine Leseprobe aus dem Buch Jesaja
- Trost für Gottes Volk
49,1-6 Der Auftrag und Dienst
des Knechtes des Herrn
In den nun folgenden neun Kapiteln wird der Messias als Prophet
und Priester vorgestellt, der als "Knecht Jahwes"
das schwere Erlösungswerk ausführt. Er selbst ist
es, der hier zu Beginn aufruft, auf ihn zu hören. Dieser
Ruf ergeht nun nicht an Israel, sondern an die Völker ("Inseln"),
und die Aufgabe Israels als Zeuge Gottes nimmt der Messias selbst
ein (V. 3). Historisch gesehen, könnte man diese Verse
auch so verstehen, dass hier Jesaja selbst der Redende ist,
aber er wird in diesem Buch häufig mit dem Gesandten Gottes,
dem Messias, identifiziert (z.B. 6,8). Diese Aussagen allein
auf Jesaja zu beziehen, wie es die Juden auslegen, wird dem
Text jedoch nicht gerecht.
Diese Verse sind eigentlich ein Lied, eines von vier Liedern
des Knechtes des Herrn (s.a. 42,1-9; 50,4-11; 52,13 - 53,12).
Die hebräische Dichtform gesteht nicht aus Reimen, sondern
in der Aneinanderreihung jeweils zweier ähnlicher Aussagen.
Es ist für den Leser eine leichte Übung, die Verse
in dieser Strophenform zu gliedern, was eine wunderschöne
lyrische Gestalt ergibt.
Der Herr Jesus ist Gottes Auserwählter (42,1) und auch
sein Berufener. Schon bevor Maria schwanger wurde, erhielt sie
Weisung, wie sie ihn nennen sollte (Lk 1,31) und was sein Auftrag
sein sollte. Seine Worte sind wie ein scharfes Schwert, "durchdringend
bis zur Scheidung von Seele und Geist" (Hebr 4,12), und
von diesem Schwert muss das Fleisch gerichtet werden, bevor
der Geist seines Wortes Leben geben kann. Aber auch seine ganze
Person hat diese richtende, verurteilende Wirkung: Er ist wie
ein Pfeil; wenn der natürliche Mensch von seiner Gegenwart
getroffen wird, schmerzt es ihn und er kann es nicht ertragen.
Die heilige Gegenwart des Charakters Jesu lässt den Sünder
nur ausrufen: Ans Kreuz mit ihm! Christus war wie eine im Köcher
Gottes verborgene Geheimwaffe; nie hätte jemand sich ausdenken
können, dass ein solcher göttlicher Mensch - Retter,
Heiliger und König - jemals auf die Erde kommen würde.
Er ist der wahre Israel, der den Auftrag Gottes gehorsam ausführt
- im Gegensatz zum Volk Israel, das hierzu bestimmt war, aber
versagt hat. Nur durch ihn wurde Gott die ihm gebührende
Herrlichkeit zuteil (vgl. Joh 12,28; 13,31; 17,4).
Dennoch sah der "Erfolg" von Jesu Mission, Sünder
wieder zu Gott zu führen, zunächst ganz anders aus,
und angesichts der Kreuzigung hätte man meinen können,
er sei kläglich gescheitert. Seiner Verkündigung des
nahen Reichs Gottes waren zunächst Scharen von Juden gefolgt,
die ihn dann aber wieder verließen (Joh 6,66) und es blieb
nur eine Handvoll Jünger übrig, und auch sie verließen
ihn zuletzt. War sein Wort doch kraftlos? Das Volk Israel hatte
ihn einfach nicht "gewollt" (Mt 23,37). Obwohl der
Herr in seiner Allwissenheit wusste, dass sein Werk nicht vergeblich
sein würde, schmerzte und enttäuschte es ihn, dass
die Menschen nicht wirklich auf seinen Dienst reagierten, und
er fand Trost in dem Wissen, dass Gott ihn für seinen treuen
Gehorsam und Dienst auf jeden Fall hoch erhöhen wird. Das
ist auch ein Trost für jeden Diener Gottes, der sich hierin
mit dem Herrn Jesus Gemeinschaft hat: Auch wenn er bei all seinen
Mühen keinen Erfolg sieht, kann er sich in Gott und seinen
Verheißungen trösten und daran festhalten, einfach
ihm treu zu dienen. Wir brauchen keine Methoden nach Menschenweisheit,
um Gott "erfolgreich" zu dienen!
Dann spricht Gott, wie bereits in V. 3, selbst zum Herzen seines
Knechtes (V. 5). Das ist genau die Erfahrung des Gläubigen,
der dem Herrn nachfolgt. Aus menschlicher Sicht gerät er
leicht in Verzweiflung, aber im Glauben kann er sich an Gottes
Zusagen stärken. Wenn er diesen Glauben hat, wird Gott
sich ihm ganz persönlich offenbaren und er kann Trost von
Gott von Angesicht zu Angesicht empfangen. Worin bestand beim
Messias dieser Trost? In der Besinnen darauf, dass Gott ihn
für seinen Auftrag zubereitet hatte, im Blicken auf die
Ehre bei Gott im Gegensatz zur Verachtung bei den Menschen,
und im Besinnen darauf, dass Gott seine Stärke ist. Und
schließlich in der Bestätigung durch Gott, dass er
ihm als seinen Messias ein enorm großes Werk gelingen
lassen wird: Der erste Zweck seines Kommens wird erst später
in der Weltgeschichte erfüllt werden - die Zurechtbringung
Israels vor Beginn des Tausendjährigen Reiches -, aber
darüber hinaus wird sein Heil in der Jetztzeit bis an die
Enden der Erde zu den Nationen gehen. Das ist ein Schwerpunktthema
im Neuen Testament: Gottes Gnade gilt nicht nur Israel, sondern
darüber hinaus wurden aus Gnade auch die Völker in
Gottes Heilsplan aufgenommen. Der Apostel Paulus zitiert diesen
Vers in Apg 13,47, um vor den Juden zu bezeugen, dass er nach
deren Ablehnung des Evangeliums zu den Heiden gehen wird.
49,7-13 Die Frucht des Erlösers
Prophezeiungen sind Zusagen Gottes "zur Erbauung und Ermahnung
und Tröstung" (1Kor 14,3). Die Hoffnung der Gläubigen
ist auf die Zukunft gerichtet, und sie brauchen die tröstenden
Prophezeiungen, um wirklich mit Zuversicht nach vorn schauen
zu können. Ist es nicht bewegend zu bedenken, dass auch
der Herr Jesus von Gott stärkende Zusagen empfing, als
er hier der "ganz und gar Verachtete war"? Israel
verwarf seinen Gott, weil es Jesus nicht erkannte, aber unter
den Völkern der Welt haben sich sogar viele Herrscher dem
Herrn unterworfen und ihm alle Ehre gegeben. Königin Viktoria
von England sagte beispielsweise gegen Ende ihrer langen Regierungszeit
(von 1837-1901): "Ich glaube fest an die Wiederkunft des
Herrn Jesus Christus. Und manchmal habe ich gedacht: Er lässt
mich deshalb so lange regieren, damit ich meine Krone erst dann
niederlege, wenn er wiederkommt - nämlich zu seinen Füßen."
Und diese Könige geben dem Herrn nicht nur die Ehre, sondern
sie, die als Machthaber eigene Souveränität gewohnt
sind, unterwerfen sich ihm! So hat auch jeder Gläubige,
der einst sein eigener König war, seinen Herzensthron für
den Herrn geräumt.
Wie wir aus Hebräer 5,7 wissen, hat Gott den Herrn Jesus
erhört, auch wenn er zuerst durch den Tod gehen musste.
Was wie Versagen aussah, war bei Gott der größte
Erfolg, der jemals auf dieser Erde erzielt wurde. Auch wenn
wir verzweifelt auf Gebetserhörungen warten, dürfen
wir wissen, dass Gott jenseits des Leidens etwas für uns
bereit hält, das viel besser und von ewigem Bestand ist,
im Gegensatz zu unseren zeitlichen Wünschen. Gott hat den
Herrn aus den Toten heraufgeführt, ihn zu seiner Rechten
erhöht und es ihm gegeben, jetzt die Erlösung und
später das Gericht zu bewirken. Welch ein Triumph, errungen
durch Überwinderkraft!
In den Versen 9-13 werden die Ergebnisse der Erlösung,
die Frucht seiner Leiden beschrieben, was sich in größerer
Fülle in Kap. 57-66 entfalten wird. Diese Prophezeiungen
beziehen sich insbesondere auf die Wiederherstellung Israels,
dessen Bund der Herr Jesus sein wird. Er wird dieses Land aufrichten
und die Erbteile, die selbst unter Josua und Salomo nie vollständig
in Besitz genommen worden waren, an die zerstreuten Stämme
Israels austeilen. Dann werden die Juden aus aller Welt "aus
Gefangenschaft" heimkehren. Aber es gilt auch für
uns Christen, dass wir aus Finsternis ans Licht gekommen sind,
denn er "hat uns aus der Finsternis berufen zu seinem wunderbaren
Licht" (1Petr 2,9). Auch wir dürsten nicht, wenn wir
vom lebendigen Wasser Christi trinken (Joh 4,10), wir werden
nicht vom Gericht Gottes versengt; wir werden von dem geleitet,
der sich unser erbarmt hat (Joh 10,4; Röm 8,14), Gott räumt
uns mancherlei Hindernisse aus dem Weg, und von allen Enden
der Erde strömen Erlöste ins Reich Gottes. Das ist
für uns ein besonderer Grund zum Jubeln - dass wir selbst
dazugehören dürfen, und dass wir beteiligt sein dürfen
am Evangelium (Phil 1,5) und mitarbeiten dürfen an dem
großartigen Werk, die Freudenbotschaft zu den Elenden
zu bringen, über die Gott sich in Christus erbarmt.
49,14-21 Trost durch Prophezeiungen
Da sich die Verheißung des Erlösers auf die Zukunft
bezog und in der Gegenwart nur durch Glauben angenommen werden
konnte, meinte das Volk, Gott habe es vergessen. Denn noch griff
er nicht offenkundig in ihr Leben ein, sondern wirkte im Verborgenen
und hatte Verheißungen gegeben. Doch sein Eingreifen stand
nahe bevor: Schon bald sollte Babylon von den Persern erobert
werden und sich dadurch die Tore Babylons für die Heimkehr
der Juden öffnen. Gott erinnert sein Volk in diesen Versen
an seine Treue, seine Liebe zu seinem Volk und an seine Rettung
wirkende Macht.
Die Hände sind die Gliedmaße des Handelns. In allem
seinen Handeln denkt Gott an die Seinen. Dass sie in seine Hände
eingezeichnet sind, erinnert uns jetzt natürlich an die
Wundmale Christi. In ihm wurde Gott Mensch, hatte wirkliche
Hände und machte diese Aussage auch im buchstäblichen
Sinne wahr. Niemand kann die Seinen aus Jesu Hände entreißen,
und wer wirklich ihm gehört, braucht sich nicht zu fürchten.
Gott blickte aus der Situation in Babylon bereits in die nahe
Zukunft und sah die Mauern Jerusalems wieder aufgebaut, und
so sieht er auch heute schon die Mauern der ewigen Stadt (Offb
21,12-19). Auch unser Blick soll auf den künftigen Triumph
Gottes gerichtet sein. Nach siebzig Jahren babylonischem Exil
sollte der Erlass erteilt werden, dass die Erbauer Jerusalems
dorthin zurückkehren können und die Zerstörer
dieser von Gott erwählten Stadt von dort verschwinden müssen.
Das Volk sollte nur seine Augen des Glaubens erheben und aus
dem Wort der Verheißung erkennen, dass Gott dies alles
verwirklichen wird: Eine stärkere Bekräftigung als
"so wahr ich lebe" kann es gar nicht geben.
Diese Verheißungen beziehen sich nicht nur auf Israel,
sondern auch auf die Gemeinde. Denn aus allen Nationen versammeln
sich Gläubige zur Gemeinde, die aus Jerusalem hervorging
und zunächst nur aus Juden bestand. Aber die Urgemeinde
nahm Gläubige aus den Nationen in den Leib, die Braut Christi,
auf. Der Dienst, der zu Bekehrungen führt - die "gerechten
Taten der Heiligen" (vgl. die "guten Werke" in
1Petr 2,12) - bildet den Schmuck der Braut (Offb 19,8).
In der Zeit des zweiten Tempels unter Esra und Nehemia sollte
das Volk noch einmal kurz eine gesegnete Zeit erleben, aber
in der hier beschriebenen Weise sind die Verheißungen
damals noch nicht erfüllt worden, sondern stehen noch aus
und werden im Tausendjährigen Reich erfüllt. Dann
werden sie sich so stark im gelobten Land vermehren, dass es
ihnen zu eng wird und dass sie sich über ihre eigene Fruchtbarkeit
wundern. Das kann nur ein Werk Gottes sein, ebenso wie die Fruchtbarkeit
und der Sieg im Leben von gläubigen Christen nur ein erstaunliches
Werk Gottes sein kann.
49,22-28 Die Verheißung
des glorreichen Sieges
Jahwe fährt mit seinen Verheißungen an sein Volk
fort. Seine "Hand" ist der Herr Jesus selbst, der
die Errettung Gottes hier auf der Erde ausgeführt hat.
Ebenso ist er Gottes "Feldzeichen" (siehe Kap. 11,10),
zu dem sich alle Gläubigen der Welt versammeln werden.
So haben sich diese Verheißungen zum Teil mit und nach
dem ersten Kommen des Messias erfüllt, als das Heil der
Welt von den Juden kommend in alle Welt ausging (Joh 4,22).
Der Herr Jesus selbst ist es, von dem es einige Kapitel zuvor
heißt, dass er die jungen Lämmer seiner Herde "in
seinem Gewandbausch" trägt (40,11). So werden die
durch den Heiligen Geist neu geborenen Gläubigen der Gemeinde
zugeführt und eine fürsorgliche Behandlung erfahren.
Die menschlichen Verhältnisse in der Gemeinde sind umgekehrt:
Wer groß sein will, soll Diener aller sein (Mk 10,42-44).
Solche sind wahre Könige, die den Mitgläubigen in
unterwürfiger Weise die Füße reinigen. So etwas
Großartiges, etwas, was derartig gegen die menschliche
Natur ist, kann nur der Wunder wirkende Gott vollbringen, der
in diesen Werken zu erkennen ist. Wer auf diesen Gott hofft
und wartet - was Errettung von Sünde betrifft -, wird nicht
beschämt werden.
Diese Verheißungen werden sich aber im Tausendjährigen
Reich auch buchstäblich erfüllen, denn dem Volk Israel
gelten die Verheißungen - und die Gemeinde ist nur im
geistlichen Sinn Miterbe der Verheißungen, so wie ihre
Gläubigen die geistlichen Kinder Abrahams sind.
Das Volk in Babylon fragte sich: "Ist denn Errettung und
Befreiung überhaupt möglich? Wir sind hier doch von
einem starken Helden gefangengehalten!" In gleicher Weise
können das von Sünde geknechtete Sünder sagen:
Menschlich gesehen gibt es für sie keine Hoffnung auf Befreiung.
Aber Gott ist immer noch stärker, und er wird seine errettende
Kraft - die Kraft des Evangeliums (Röm 1,16) - gegen seine
Feinde anwenden. Als letzter Feind wird der Tod weggetan werden
(1Kor 15,26), und der, der die Macht des Todes hat, ist schon
jetzt durch Jesu Tod am Kreuz besiegt. So hat der Herr Jesus
alle die befreit "die durch Todesfurcht das ganze Leben
hindurch der Knechtschaft unterworfen waren" (Hebr 2,14-15).
Buchstäblich vollzog es sich aber schon damals so, dass
Babylon von einem Stärkeren, Kyrus, bezwungen wurde; und
am Ende der Trübsalszeit wird Gott dieses schwere Gericht
über alle Feinde Israels halten. Im dritten Siegel wird
er sie mit Blut tränken (Offb 16,6), und nach dem Sieg
Christi in Harmageddon wird Gott das Fleisch seiner Feinde ihren
seelenverwandten Dämonen zu fressen geben (Offb 19,18).
Auch diese schreckliche Seite gehört zur Errettung dazu,
denn Gott rettet sein Volk vor seinen Feinden. Wie wichtig ist
es da, nicht zu denen zu gehören, die Gott ungehorsam sind
und seinen geliebten Kindern Schmerzliches antun!
Wiederum ist das Ergebnis, dass alle Welt erkennt, dass Jesus
Christus, der Jahwe des Alten Testaments, der große Retter-Gott
ist, der sein Volk in Treue zu seinen Verheißungen mit
Macht erlöst. Am Kreuz wurde diese Erlösung und dieser
Sieg errungen. "Wo ist, o Tod, dein Sieg? ... Gott aber
sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!"
(1Kor 15,55-57).
50,1-3 Gott wird retten
In 49,14 hatte das Volk geklagt: "Verlassen hat mich Jahwe".
Aber hatte Gott die Juden wirklich ein für allemal verworfen,
wie sie meinten? Gott hatte ihnen keinen Scheidebrief gegeben,
vielmehr galt ihnen seine Treue. Das gilt jedoch nur für
die nach Babylon weggeführten Stämme Juda und Benjamin.
Von den zehn Stämmen des Nordreiches, die lange Zeit vorher
von den Assyrern weggeführt und auf immer verstreut worden
waren, hatte Gott sich wirklich geschieden: "... dass ich
die abtrünnige Israel, weil sie die Ehe gebrochen, entlassen
und ihr einen Scheidebrief gegeben hatte, doch die treulose
Juda, ihre Schwester, sich nicht fürchtete, sondern hinging
und selbst auch hurte" (Jer 3,8). Der einzige Grund für
diese unverdiente Gnade, dass Gott sie "nicht endgültig
verworfen" (Kla 5,22) hatte, besteht darin, dass aus dem
Stamm Juda der Messias hervorgehen sollte. Juda war nichts besser
als die übrigen Stämme.
Das irdische Jerusalem wird oft mit dem Volk der Juden identifiziert,
das wiederum als "Mutter" bezeichnet wird, so wie
das "Jerusalem droben" im Galaterbrief als "unsere
Mutter" bezeichnet und mit Sara identifiziert wird (Gal
4,26). So wie nicht alle natürlichen Nachkommen Abrahams
Erben der Verheißung sind (Röm 9,6ff), so sind auch
nicht alle natürlichen Nachkommen Saras wiedergeborene
Kinder des Volkes Gottes. Nur wer "in Christus" ist,
gehört zum wahren Volk Gottes, denn an Christus hängt
die ganze Treue Gottes. Wer gläubig, also "in Christus"
ist, wird aber an der Errettung und an der Treue Gottes zweifeln,
wenn er Sünde auf sich geladen und Gottes Züchtigung
provoziert hat. Sehen wir bei uns Mangel an geistlichem Leben
und Frucht, Mangel an Anbetung und Freude am Herrn? Dieses Defizit
in der Beziehung zum Herrn liegt dann womöglich an unbereinigter,
unbereuter oder unerkannter Sünde. Das kann sogar nicht
nur für den einzelnen Gläubigen gelten, sondern für
eine ganze Gemeinschaft von Christen, denen der Segen Gottes
fehlt.
In Vers 2 sagt Gott, dass er zu seinem Volk "gekommen"
ist. Von Anfang ging er auf in Sünde gefallene Menschen
zu, um sie zurechtzubringen. So war es bei Adam nach dem Sündenfall
(1Mo 3,8), so war es bei den Menschen zu Noahs Zeit, durch den
Gott zu den Menschen sprach, und auch durch die Propheten war
er zu ihnen gekommen, "früh mich aufmachend und sendend"
(Jer 7,25 etc.). Aber das waren alles nur Vorbilder auf das
Kommen des Herrn Jesus. Er rief mit dem Ruf des Evangeliums,
aber niemand ging darauf ein, bis auf eine Handvoll Jünger.
Lag das daran, dass Gott zwar Errettung anbieten, aber nicht
bewirken und vollbringen kann? Muss die Entscheidung letztlich
dem Menschen überlassen werden? Nein, Gott - und nur Gott
- hat die "Kraft, um zu erretten". Sein Wort wird
nicht leer zurückkommen, denn es hat die Kraft, das auszuführen,
was ihm gefällt. Durch sein Wort schuf er die Welt, auf
sein Gebot hin vertrocknet das Meer wie beim Auszug aus Ägypten,
und auf seinen Befehl versagen die Himmelkörper ihren Schein.
So wird Gott durch das Wort seines Sohnes, das Evangelium vom
Kreuz, letztlich sowohl das irdische Israel wiederherstellen
als auch in aller Welt Sünder erretten. In den nächsten
Abschnitten werden wir näheren Einblick bekommen, wie er
das tun wird.
50,4-9 Das lebensspendende
Wort des Messias
Gott hat Kraft zu erretten und Errettung zu wirken - das ist
die Antwort auf die rhetorische Frage aus V. 2. Er wirkt alles
- auch die Errettung - durch sein Wort. Wie vollbringt der Herr
Jesus dies? In diesen Versen finden wir die Antwort. Der Vater
hat ihm Worte des ewigen Lebens gegeben, und er hat diese Worte
den Menschen gegeben (Joh 7,16; 8,26; 17,8). Es war sogar ein
Gebot des ewigen Leben, das der Vater dem Sohn mit auf seine
Mission in die Welt gegeben hat (Joh 12,49-50). So hatte der
Herr Jesus auf der Erde die "Zunge eines Belehrten"
(oder Jüngers)", d.h. er sprach nicht von sich selbst,
sondern als von Gott belehrt und Gott unterworfen (Joh 8,28).
Sein Auftrag war, durch seine Worte "Müde aufzurichten".
Er ist für die gekommen, die von der Sünde beschwert
und beladen sind und unter ihren vergeblichen Versuchen, von
der Sünde frei zu werden, müde geworden sind. Er bringt
ihnen die frohe Botschaft, dass er von Sünde retten kann:
von der Freude an der Sünde, von der Schuld der Sünde,
von der Macht der Sünde und schließlich sogar von
der Gegenwart der Sünde.
Es ist ergreifend zu bedenken, in welcher Abhängigkeit
von Gott, seinem Vater, der Herr Jesus selber gelebt hat, um
dieses Werk in Treue auszuführen. Jeder Tag seines Erdenlebens
begann damit, sich von Gott wecken und das Ohr öffnen zu
lassen. Den Willen Gottes zu tun, war für ihn keine gedankenlose
Routine, sondern musste aus einer täglichen lebendigen
Beziehung fließen. Wie viel mehr gilt das für uns,
die wir viel mehr nötig haben, von Gottes Wort belebt und
geleitet zu werden und wie Jünger zu hören! Noch ergreifender
ist es zu bedenken, was der Wille Gottes für den Herrn
Jesus war, den er ausführen sollte: Er sollte leiden, er
sollte sich von seinen rebellierenden Geschöpfen demütigen
und quälen lassen, er sollte still dabei ausharren. Die
Einzelheiten seiner Schikanierung werden hier prophezeit: Die
Geißelschläge auf seinen Rücken, das Angespucktwerden,
und sogar sein Bart wurde ausgerissen. Willig erduldete er dies
alles, und tröstete sich durch den Beistand Gottes, der
ihn im ringenden Kampf im Garten durch einen Engel stärkte
(Lk 22,43). Deshalb harrte er unbeirrt aus, ohne eine Miene
zu verziehen. Keinerlei Anflug des Zurückweichens, Zweifelns
oder Missfallens war ihm anzusehen.
In diesen Versen sehen wir die Seite des unschuldigen Leidens
des Herrn. Er war im Recht, seine Peiniger im himmelschreienden
Unrecht. In dieser Situation konnte er aufgrund seiner eigenen
Gerechtigkeit aus zweierlei Gründen gänzlich auf Gott
vertrauen: Er konnte sicher sein, dass Gott ihn aus den Toten
auferwecken würde, weil er gerecht ist, und er konnte sicher
sein, dass Gott seine Peiniger richten und bestrafen wird. In
Kapitel 53 werden wir dann die andere Seite sehen: Gott gefiel
es, ihn zu schlagen (Jes 53,12), weil er die Sünde der
Welt trug und zum Fluch gemacht wurde. Aus eben dieser Gnade
konnte er für seine Peiniger bitten, dass der Vater ihnen
vergeben möge.
50,10-11 Rettung für
die, die im Finstern sind
Nachdem Gott erklärt hat, wodurch er rettet - durch das
Wort seines Messias-Knechtes - richtet er sich mit der Frage
an das Volk, wer unter ihnen ihn fürchte und auf seine
Stimme hört. Diese beiden Seiten gehören zusammen:
Ihn fürchten, bedeutet, auf sein Wort zu hören. Das
tun nur jene, die darum wissen, dass sie in Finsternis leben,
dass in ihnen nichts als finstere Sündhaftigkeit ist und
dass sie keine andere Hoffnung haben als diesen verheißenen
Messias. Sie können auf nichts anderes vertrauen und sich
auf niemand anderen stützen als auf den Herrn Jesus Christus,
ihrem Gott. Bei ihnen wohnt Gott in Finsternis, denn er duldet
kein anderes Licht neben sich, sondern hat gesagt, "dass
er im Dunkeln wohnen will" (1Kö 8,12).
Die anderen - religiösen, aber ungläubigen - aus dem
Volk zünden sich selber ein Feuer an und verwerfen somit
das wahre Licht, Christus. Sie hoffen auf ihre eigenen Fähigkeiten
oder auf ihre eigenen Mittel und menschlichen Beziehungen. Das,
worauf sie hoffen, ist im Grunde nichts anderes als "feurige
Pfeile des Bösen" (Eph 6,16) - ihre religiösen
Fälschungen, mit denen sie den wahren Gläubigen das
Leben schwer machen. Gott gibt solche Menschen dem preis, was
sie gewählt haben. Diese Preisgabe des Menschen an das
von ihm gewählte Verderben ist ein allgemeines Prinzip
in der Schrift (siehe z.B. Röm 1,24-28). Das gehört
zu Gottes Gerechtigkeit, er wird jedem die Frucht dessen geben,
was er wählt (Gal 6,7). Ihr Ende wird Verderben sein, und
dieses Verderben resultiert aus ihrer eigenen falschen Hoffnung,
aber es ist Gottes Hand - der Messias - der dieses Gericht ausführen
wird; die Hand, die sonst hätte retten können (siehe
V. 2).
51,1-3 Gerechtigkeit, Frucht
und Freude
Die ganzen Sinne der Erlösten sollen und müssen auf
den Herrn gerichtet sein: ihre Augen (40,15; 42,1.18 etc.) und
ihre Ohren (41,1; 42,18; 46,3.12 etc.). Wer Gerechtigkeit erstrebt,
wird sie nirgends anders finden können als beim Herrn.
Gerechtigkeit und der Herr werden in diesem Vers gleichgestellt,
denn der Herr Jesus ist Gerechtigkeit, ja, er ist die Gerechtigkeit
der Erlösten (1Kor 1,30). Das Evangelium offenbart die
Gerechtigkeit Gottes (Röm 1,17) - und das ist der Herr
Jesus, denn ihn offenbart das Evangelium als Person. In der
Bergpredigt hat er viel darüber zu sagen: "Glückselig,
die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten" (5,6)
- nämlich nach ihm, "Glückselig die um der Gerechtigkeit
willen Verfolgten" (5,12) - nämlich um seinetwillen,
und: "Wenn nicht eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten
und Pharisäer weit übertrifft, so werdet ihr keinesfalls
in das Reich der Himmel hineinkommen" (Mt 5,20) - wenn
nämlich nicht der Herr ihre Gerechtigkeit ist. An keiner
von diesen Stellen ist die Rede von einer Gerechtigkeit nach
menschlichen Maßstäben oder Möglichkeiten. Es
ist die Gerechtigkeit, die der Herr Jesus hier auf der Erde
erfüllte: Gerecht ist es, Gott sein Leben so vorbehaltlos
zu weihen, wie er es tat, gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Weniger
zählt bei Gott nicht als gerecht. Es ist zu hoffen, dass
Christen wirklich der Gerechtigkeit nachjagen, die von Gott
als gerecht anerkannt wird. Und wenn wir auf ihn hören,
ihn selbst suchen und auf ihn blicken, ist diese Gerechtigkeit
kein unmögliches Ziel. Gott hat Wunder mit uns vor. Denn
Erlöste sind nicht von dieser Welt, sondern sind aus einem
übernatürlichen Felsen gehauen, dem Felsen Christus.
So wie die Juden aus Abraham stammen, so stammen die Erlösten
durch die Wiedergeburt von Gott selbst und sind "Teilhaber
seiner göttlichen Natur" (2Petr 1,4), und sie sind
Glieder der Gemeinde, des himmlischen Jerusalems, so wie die
Juden Kinder Saras waren.
Der Herr Jesus war - wie Abraham - auch nur ein einzelner Mensch,
ja, der einzige, der jemals Gottes Gerechtigkeit auf der Erde
erfüllt hat. Aber in seinem Tod ist er als Samenkorn in
die Erde gefallen und hat reiche Frucht gebracht (Joh 12,24).
Es ist der beste Beweis seiner Realität, dass in den letzten
2000 Jahren unzählige Sünder umgestaltet worden sind
in sein Bild. Gott hat ihn und seine Leiden am Kreuz reichlich
gesegnet und Frucht bringen lassen (Jes 53,11) in einer großen
Schar von Nachfolgern, deren Heiligkeit, Hingabe an Gott und
Gerechtigkeit - ihr leichtes Erfüllen der Gebote Gottes
- nicht natürlich erklärbar ist.
Welch ein "Trost" ist es für die Gemeinde, für
das jetzige Zion, dass der Herr ihr Frucht und Vermehrung schenkt!
Wie freuen sich Diener des Herrn, wenn sie Bekehrungen erleben
und sehen, dass ihre Schützlinge treu in der Wahrheit leben
(3Jo 1,4). Selbst nach Zeiten geistlicher Züchtigung kann
es so sein, so wie auch das in Trümmern daliegende irdische
Jerusalem wieder aufgebaut wurde und in Zukunft in vollendeter
Herrlichkeit wiederhergestellt sein wird. Welche Freude wird
das auf der Erde sein, und welche Freude können wir jetzt
im himmlischen Jerusalem haben, wenn wir Gottes Gnadenwirken
mit der Gemeinde sehen: Er wirkt Gerechtigkeit, Vermehrung und
überströmendes Leben unter den Gläubigen!
51,4-8 Ermutigung für
die Erlösten
"Mein Volk" und "meine Nation" sind diejenigen,
"die Gerechtigkeit kennen" und "in dessen Herz
mein Gesetz ist" (V. 7), also die Gläubigen und Erlösten.
Welch frohe Botschaft aus dem Mund des Herrn dürfen sie
hier hören! Von ihm aus kommt alles das, was der Herr Jesus
ist, ja, er selbst: Er ist das "Gesetz" des Lebens
(Röm 8,3) oder die "Weisung" Gottes; er ist die
Gerechtigkeit Gottes, das Licht der Welt (Joh 8,12); aber er
ist auch der Arm Gottes, der rettet und richtet. Gott ist in
seinem Wesen immer der gebende und Heil sendende Gott gewesen.
Er hat von Anfang an seinen Messias verheißen, und wer
sich nach Erlösung sehnte, brauchte nur auf ihn zu warten.
Zur Zeit Jesajas und der babylonischen Gefangenschaft war das
Heil Gottes, das Kommen des Messias, schon in greifbare Nähe
gerückt (nur noch ca. 600 Jahre sollten vergehen, das ist
bei Gott weniger als ein Tag). Und im prophetischen Wort stand
sein Kommen sogar unmittelbar vor der Tür, denn z.B. in
Kapitel 53 konnten die gläubigen Israeliten ihn als den
sehen, der ihre Schuld auf sich nahm und sühnte.
Ihr Lebensraum sollte früher oder später zerstört
werden, sowohl der Himmel als auch die Erde. Nur wer in Christus
befunden wird, wird dann in die Ewigkeit hingerettet werden:
Christus - Gottes Heil und Gerechtigkeit, wird in Ewigkeit bestehen.
Diese Aussage gilt besonders für die Zeit vor dem Tausendjährigen
Reich, wenn Himmel und Erde von schweren Gerichten Gottes heimgesucht
werden. Dann werden die gläubigen Juden in diesem Abschnitt
besonders Heil und Trost finden. Aber auch unsere Blicke heute
werden dadurch von den irdischen und sichtbaren Dingen weggelenkt
auf ihn hin.
Etwas Weiteres, was vergehen wird, sind die gottlosen Menschen,
die Feinde des Evangeliums, die die Gläubigen verfolgen.
Als Gläubige brauchen wir immer wieder den Zuspruch und
die Ermutigung Gottes, uns nicht zu fürchten und nicht
zurückzuweichen, uns treu zum Herrn zu bekennen: in unseren
Worten wie in unserem Verhalten. Wenn wir in unserem Verstand
wissen, was der Wille Gottes ist ("Gerechtigkeit kennen"),
weil der Herr Jesus den Willen Gottes gesagt und vorgelebt hat,
und wenn wir mit unserem wiedergeborenen Herzen diesen Willen
Gottes tun wollen, dann ist das einzige Hindernis, was uns vom
Tun der Gerechtigkeit Gottes abhalten kann, der Widerstand von
außen. Aber "alles was aus Gott geboren ist, überwindet
die Welt", und zwar durch den Glauben (1Jo 5,4). Wie oft
hat der Herr Jesus seinen Jüngern gesagt: "Fürchtet
euch nicht! Ich bin es" (z.B. Mk 6,50; s.a. Mt 10,28; 17,7;
Joh 6,20 u.a.). Das hatte sogar der Apostel Paulus nötig,
als er in Korinth entmutigt war und ihm der Herr in einem Gesicht
erschien (Apg 18,9). Wir können nicht aus unserer eigenen
Kühnheit mutig sein, sondern können nur aus der Gemeinschaft
mit dem Herrn, seinem Beistand und seinem liebevollen Zuspruch
Mut zum Bestehen in dieser Welt gewinnen.
51,9-16 Gottes hinausgezögertes
Eingreifen
Die Verse 9-11 sind ein Gebet Jesajas, in welchem er das nahe
bevorstehende Eingreifen Gottes zur Rettung seines Volkes "beschleunigen"
möchte und den Herrn bejubelt, doch bald seine Macht zu
erweisen. Der Hüter Israels schläft nicht (Ps 121,4),
als ob er geweckt werden müsse, sondern es ist eine Prüfung
des Glaubens, wenn der Gläubige auf Gottes rechtzeitiges
Eingreifen wartet. Hier ist es ein glaubensvoller Ruf an den
Herrn, einzugreifen, im Gegensatz zu den zweifelnden Jüngern,
die den Herrn beim Sturm im Boot weckten. Ist es unser sehnliches
Verlangen, dass der Herr nicht länger zurückhält,
um Gericht über seine Feinde zu halten? Der einzige Grund,
warum der Herr und auch wir lieber damit warten wollen, ist
der, dass noch Zeit sei, damit viele zur Umkehr kommen.
Glauben heißt glauben an die bereits vollbrachten Taten
Gottes. Auch wenn er sich heute zurückhält, hat sich
derselbe Gott in alten Zeiten als eingreifender, mächtiger,
richtender Gott geoffenbart. So kannte Jesaja ihn aus den alten
Schriften: Gott hatte Ägypten (Rahab, s. Ps 87,4) den Garaus
gemacht und den Pharao (das Seeungeheuer bzw. den "Drachen")
zerschlagen. Die alte Schlange, der Teufel, wird er in Kurzem
unter unseren Füßen zertreten (Röm 16,20) und
in den Feuersee werfen. Zwei Kapitel weiter wird von eben solch
einer Durchbohrung die Rede sein wie hier beim Seeungeheuer;
der Herr Jesus erlitt dieses Gericht am Kreuz, als in ihm die
Sünde, der Fluch und der Tod gerichtet wurden. Gott ist
ein mächtiger Retter, das hat er besonders beim Exodus
bewiesen, und erst Recht beim Werk von Kreuz und Auferstehung.
Die von ihm Geretteten können nach Zion zurückkommen,
das ist der Ort seiner Wohnung, seiner Anbetung und seiner Herrschaft.
Nur dort, bei ihm, ist Segen und Lebensfülle. Der Ausdruck
"Zionismus" gründet sich auf diese und andere
Verheißung der Rückkehr der Juden nach Zion. Der
Zionismus jedoch, die Heimkehrbewegung der Juden seit etwa 1900,
ist völlig atheistisch geprägt, sein Begründer
Theodor Herzl war Kommunist. Dieser Zionismus ist eine gottlose
Nachahmung der wahren irdischen Heimkehr nach Zion, die sich
beim Anbruch des Tausendjährigen Reiches erfüllen
wird, und der geistlichen Heimkehr der Gläubigen zum "himmlischen
Jerusalem" (Hebr 12,22).
Nach diesem verzweifelten Ruf nach dem Eingreifen Gottes erfolgt
der Zuspruch vom Herrn (V. 12). Auch wenn er jetzt noch nicht
eingriff, bestand kein Grund zur Furcht, denn der Gläubige
steht in einer persönlichen, direkten Beziehung zum Herrn.
Er lebt und stärkt sich durch sein Wort, seinen Trost,
und Gott bewahrt, schützt und leitet ihn in seiner Vorsehung.
Dass kein Grund zur Furcht besteht, hat jedoch zwei Seiten:
zum einen das Wesen Gottes, zum anderen die Nichtigkeit der
menschlichen Feinde. Selbst wenn wir um unseres Glaubens willen
getötet werden, wäre das noch ein Segen für uns.
Um des Herrn willen zu leiden, wird großen Lohn einbringen.
Aber wie leicht vergessen wir bei diesen menschlichen Bedrohungen
die Größe unsers Gottes! Es gibt viele "Bedränger"
- damals Babylon, heute Teufel, Tod und viele Mächte -,
aber nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes in Christus.
Die Leiden der jetzigen Zeit werden nicht ins Gewicht fallen
im Vergleich zur ewigen Herrlichkeit bei Gott. Wer sind wir
- wie kleingläubig sind wir, dass uns die jetzigen Entbehrungen
so viel ausmachen? Auch hinter allen Unruhen der Welt und ihrer
Völker - das "brausende" Meer - steht als Ursache
Gott, der auch das Seeungeheuer, dass das Meer aufwühlt
(so wie Herrscher die Völker in Unruhe versetzen), fest
in seiner Hand hält.
Was gibt uns Gott zum Trost und Beistand; wie erkennen wir seine
Gegenwart? Er hat uns sein tröstendes Wort, seine Verheißungen,
gegeben, welche wir stets auf den Lippen haben. Er beschützt
uns so mit dem "Schatten seiner Hand", wie er den
Herrn auf der Erde beschützte (vgl. 49,2) und er lässt
in seiner Vorsehung nicht zu, dass wir über unser Vermögen
versucht werden (1Kor 10,13). Er erhält uns - aber zu welchem
Zweck? Damit das Evangelium verbreitet und die himmlische Gemeinde
weitergebaut wird, die zugleich das "Himmelszelt"
ist als auch die "Grundfeste der Wahrheit" (1Tim 3,15)
- damit seine Wahrheit noch auf der Erde gegenwärtig ist
und diese wie Salz bewahrt. Und damit wir als sein Volk Gemeinschaft
mit ihm haben, und zwar aus Glauben und nicht aus Schauen, denn
das ist nur hier auf dieser Erde möglich.
51,17-23 Nahe Erlösung
für gezüchtigte Bußfertige
Jetzt spricht der Herr "Jerusalem" mit genau demselben
Aufruf an, mit dem ihn Jesaja in V. 9 um sein Handeln bat: "Wach
auf, wach auf!" Der Aufruf in 52,1 gleicht noch mehr der
Bitte Jesajas - Gott kehrt nun den Spieß um und ruft sein
Volk zu seiner Verantwortung auf. Er ist es, von dem Errettung
ausgeht und der die Errettung bewirkt und vollendet - aber nicht
ohne sein Volk vollmächtig zu einer Reaktion aufgerufen
zu haben. Es ist der Weckruf: "Wach auf und stehe auf von
den Toten!" (Eph 5,14). Als sich die Jünger der Not
der Verfolgung gegenüber sahen, schliefen sie ein "vor
Traurigkeit" (Lk 22,45). Sie resignierten unter der Erkenntnis,
dass Gottes Wege nicht immer triumphale Wege ohne jedes Leid
sind. So ging es auch damals "Jerusalem", dem Volk
Gottes in Babylon. Es hatte reichlich Züchtigungen aus
der Hand Gottes empfangen und war resigniert. Doch es sollte
erwachen und seinen Blick erheben auf den Herrn, der schon bald
Erlösung bringen sollte - all dies zielt hin auf den Höhepunkt
des "Jesaja-Evangeliums" in Kapitel 53.
Jerusalems Kraft war so geschwächt, dass sie keine Nachwuchskräfte
mehr hervorbringen konnte, die sie aus der Misere hätten
führen können. Kennen wir dieses Leid, diese Kraftlosigkeit
und Verfallserscheinung nicht auch aus unseren Gemeinden? Zweifaches
Leid hatte Jerusalem empfangen: Verlust von Besitz ("Verheerung
und Zerschmetterung") und von Leben ("Hungersnot und
Schwert"). So geht es auch der Gemeinde unter der Züchtigung
Gottes: Ihre geistlichen Güter - Erkenntnis, Zeugnis etc.
- werden ihr genommen, und schließlich schwindet das geistliche
Leben überhaupt: keine neuen Bekehrungen, kein Wachstum,
wenig Lebenszeichen. In solchen Situationen ist es - wie damals
beim Volk Israel in Babylon - so wichtig, die Hand Gottes darin
zu erkennen. Wenn erkannt und anerkannt wird, dass das Leid
nicht "an der bösen Gesellschaft" usw. liegt,
sondern die verdiente Züchtigung Gottes ist, dann ist die
Erlösung nicht mehr fern. Einsicht und Buße sind
die ersten Schritte zur Erneuerung. Gott will sein gezüchtigtes
Volk trösten. Er will sein Volk herausführen aus dieser
katastrophalen Lage, wo Gotteskinder geistlich verhungern, dahinsinken,
im Dreck dieser Welt auf der Straße liegen, eingefangen
werden von Sektierern usw. Das Volk ist wie im Rauschzustand
benebelt von den Züchtigungen Gottes, unfähig klar
zu sehen und zu handeln.
Aber wie großartig, dass Gott ein Gott ist, der den Rechtstreit
seines Volkes führt! Er will es nicht quälen, sondern
zurechtbringen. Wenn die Züchtigung ihren Dienst getan
hat und das Volk zur Einsicht gekommen ist, zieht er seine schlagende
Hand zurück und segnet. Der Becher des Zorn muss nicht
vollständig geleert werden. Das Volk musste den Zorn Gottes
kosten, um ihn zu fürchten, und dann nimmt er ihnen den
Becher aus der Hand und gibt ihn weiter: damals an die feindlichen
Völker (Babylon bekommt diesen Becher in der Zukunft: Offb
16,19; 18,6), die er schlug, aber schließlich am Kreuz
seinem eigenen Sohn, der mit dem Zorn Gottes das erlitt, was
sein Volk verdient hat.
Prophetisch werden sich die Voraussagen von V. 22-23 vor Beginn
des Tausendjährigen Reiches erfüllen, wenn die Bedränger
Israels vom Herrn selbst besiegt werden. Das Land Israel war
stets ein militärischer Kreuzungspunkt zwischen Ägypten,
Persien, Syrien und Europa. Es wurde als Durchzugsgebiet für
Heere missbraucht, die oft große Verwüstungen anrichteten.
Das schwache Volk musste dieser Gewalt nachgeben. In Psalm 129,3
wird ebenfalls darauf angespielt: "Pflüger haben auf
meinem Rücken gepflügt, haben lang gezogen ihre Furchen",
was aber auch eindeutig vom Leiden des Messias bei seiner Geißelung
durch die Besatzungsmacht Rom spricht. Die Welt hat ihre blutrünstige
Wut nicht nur am Land Israel ausgelassen, sondern am Messias
selbst.
52,1-6 Erlöst zu Ehre
und Kraft
Außer dem Aufruf "Wach auf, wach auf" entspricht
in diesem Vers auch die Aufforderung "Kleide dich in deine
Kraft" der Bitte an Gott in 51,9. Die Kraft der Erlösten
ist nämlich die Kraft Gottes, die er ihnen durch die Erlösung
verleiht (vgl. Eph 1,20; 2,5). Im Aufruf in 51,17 ging es um
die Erlösung von Schuld und Strafe - die negative Seite
der Erlösung; nun geht es um die Erlösung von Kraftlosigkeit
und mangelnder Gerechtigkeit - die positive Seite. Dieser Ruf
Gottes bewirkte beim alten Volk Israel, dass es - soweit es
im Glaubensgehorsam reagierte - aus Babylon zurückkehrte
nach Jerusalem und die Fremdherrschaft abschüttelte. Das
war damals nur ein kleiner Überrest, und daraus lernen
wir, dass es sowohl heute als auch zu Beginn des Tausendjährigen
Reiches nur der kleine, treue Überrest ist, der Gottes
Ruf in die Erlösung folgt. Das erlöste Volk Gottes
ist stark, in majestätische, praktische Gerechtigkeit gekleidet
und heilig, d.h. ohne jede Unreinheit. Unmöglich kann diese
Verheißung bei der Heimkehr der Juden aus Babylon erfüllt
worden sein, denn nur kurze Zeit später wurde Jerusalem
erneut von "Unbeschnittenen" verunreinigt, z.B. durch
den Antiochus Ephiphanes und später durch die Römer.
Das erlöste Volk Gottes wird aufgefordert, den schändlichen
Dreck dieser Welt hinter sich zu lassen und sich zu der Ehrenstellung
zu erheben, die Gott dem Gläubigen zuweist. Sie sollen
mitherrschen mit Christus, auf seinem Thron. Jerusalem könnte
sich nicht selbst von den Fesseln befreien, wenn der Herr diese
Fesseln nicht gelöst hätte. Hier aber wird es aufgefordert,
diese Erlösung auszuleben und zu praktizieren und nicht
wie Unerlöste weiter in Knechtschaft und Bindung zu leben.
Es werden keine Einzelpersonen angesprochen, sondern das gesamte
Volk; die Gläubigen sollen sich gegenseitig mit ihren Gaben
bei dieser Befreiung und Auferbauung unterstützen (vgl.
Eph 4,11-16).
Die Verse 3-6 sind aufeinander aufbauende Begründungen,
die mit "denn" oder "darum" beginnen. Das
in V. 2 beschriebene Leben in der Erlösung wird begründet
mit Gottes Heilshandeln, welches in V. 3-6 zusammengefasst wird.
Gottes Volk wurde von fremden Herrschern unterdrückt, die
dafür nichts zahlten und leisteten. Aber Gott kehrt dieses
Unrecht um und erlöst sein Volk, ohne eine Zahlung für
sich selbst zu verlangen. Als Beispiele dafür werden die
Unterdrückung durch Ägypten und Assur angeführt.
Gott hatte sich bereits als Retter seines Volkes von diesen
Feinden erwiesen. Nun war das Volk in Babylon, und der Herr
stand im Begriff, es auch von dieser Macht zu erretten. Damit
verherrlichte er sich gegenüber den Feinden, die Gott aufgrund
des elendigen Zustands seines Volkes höhnten. Dieses Höhnen
sollte ihnen vergehen. In Römer 2,24 erinnert Paulus daran,
dass aber das ungläubige Leben der Juden zu diesem Gott
verunehrenden Zustand geführt hatte. Nun ist es Gottes
Sache, aus diesem unehrenhaften Zustand zu erretten. Das Ziel
davon ist, dass das Volk seinen Namen, seine Person, sein Wesen
und seinen Charakter erkennt, ja, dass es erkennt, wer sein
Retter ist: Der Herr Jesus Christus, dessen Erlösungstat
in den folgenden Abschnitten eindrücklich beschrieben wird.
52,7-12 Absonderung zum Heil
Nun steht die Verkündigung der Rettungstat des Herrn in
Kapitel 53 unmittelbar bevor. Die Spannung in der Erwartung
der Erlösung steigt bis zum Bersten. Bereits in diesen
Versen klingt die liebliche Melodie der vollbrachten Erlösung
an. "Frohe Botschaft" wird verkündet von Boten
- und welche Freude, dass sie bereit sind, sich nicht auf den
Lorbeeren ihrer eigenen Erlösung auszuruhen, sondern ihre
Füße müde werden zu lassen, Berge zu erklimmen,
um diese Botschaft bis ans Ende der Erde zu bringen. Paulus
zitiert diesen Vers - und kurz darauf auch 53,1 - in Römer
10 (V. 15.16) und beschreibt damit eindeutig Evangelisten und
alle, die sich vom Herrn zur Verkündigung seiner errettenden
Evangeliumsbotschaft gebrauchen lassen. Diese Botschaft ist
"Frieden" - Frieden mit Gott durch das Opfer vom Kreuz
- und "Heil" - Heilung aller Folgen der Sünde,
d.h. ein neues Herz, eine neue Natur und ewiges, Gott verherrlichendes
Leben. Die Botschaft selbst lautet: "Dein Gott herrscht
als König!" Es ist die Botschaft des Sieges Jesu über
alle Feinde. Wer glaubt, braucht nicht in Niederlagen und Unterwerfung
unter den Feinden Gottes zu leben, sondern nur in Unterwerfung
unter den wahren König: Jesus Christus, der Retter-Gott.
Dass Gott auch über die Könige dieser Welt herrscht,
wurde in der Befreiung Israels aus Babylon deutlich. Gott lenkte
die Herzen der Könige und Fürsten, um den Weg für
sein Volk frei zu machen, zurück nach Jerusalem, damit
es wieder aufgebaut werde. Anschaulich beschreibt der Prophet,
wie die Wächter auf den Zinnen Jerusalems sich Auge in
Auge anschauen und die Freude einander weitergeben über
das, was sie gerade erblickt haben: Gott selbst kommt nach Jerusalem
zurück - er, dessen Herrlichkeit in Hesekiels Vision (Hes
10,4.18-19) den Tempel Jerusalems verlassen hatte. Wann kehrte
er nach Jerusalem zurück? Beim wiederaufgebauten Tempel
unter Esra und Serubbabel waren es "nur" sein Wort
und sein Geist, mit denen die Gegenwart des Herrn im Glauben
- nicht im Schauen - erfasst werden konnte (siehe Hag 2,5).
Aber leibhaftig kehrte der Herr nach Zion zurück, als der
Herr Jesus dort diente und lehrte - und auf einem Eselfüllen
in Zion einzog, um sich von diesem Volk kurz darauf verwerfen
zu lassen. Hier bei Jesaja sollten die "Trümmerstätten"
jubeln - und beim Einzug des Herrn in Jerusalem hätten
die Steine ihm zugejubelt, wenn man es dem Volk untersagt hätte
(Lk 19,40). In Wirklichkeit war aber auch die jubelnde Menge
noch totes Trümmergestein, und erst später sollten
etliche von ihnen durch den Glauben eingesetzt werden als lebendige
Steine in den geistlichen Tempel (vgl. 1Petr 2,5). Dieser Vers
hat also eine reichhaltige, vielschichtige Bedeutung. Auch der
Körper des Sünders ist eine Trümmerstätte,
von der Sünde verwüstet, aber wenn der Herr im Heiligen
Geist dort Einzug hält, wenn der Mensch wiedergeboren wird,
hat dieser Bekehrte ebenso großen Grund zum Jubeln. Und
in Zukunft wird das buchstäbliche Zion Jubeln, wenn der
Herr Jesus vom Himmel wiederkommt, um in Jerusalem seinen Thron
aufzurichten.
In so vielfältiger Weise also hat der Herr sein Volk getröstet
und erlöst - immer jedoch aufgrund der einen Tat von Golgatha,
die im nächsten Kapitel beschrieben wird. Dort auf Golgatha
entblößte der Herr seinen heiligen Arm, den Herrn
Jesus, Ausdruck seiner Kraft und seines Handelns. Stellvertretend
für alle Nationen beobachteten sowohl Juden als auch Römer
dieses "Schauspiel" (Lk 23,48), bei dem Gott seine
Rettungstat und seine große Retterliebe aller Welt vor
Augen malte. Als ein treuer Überrest von Juden aus Babylon
nach Jerusalem zurückkehrte, erregte das sicher auch die
Aufmerksamkeit aller Nationen, aber das war nur ein Vorschatten
der wahren Erlösungstat des Herrn.
Die Reaktion auf die frohe Botschaft soll sein, dass die Erlösten
"weichen" - fortziehen aus ihren alten Lebensumständen,
fort aus Babylon. Wer sich zum Herrn Jesus bekehrt, verlässt
sein altes Leben und verunreinigt sich nicht mehr mit den Götzen
und Sünden, an denen er vorher gehangen hat. So sollten
auch die Juden aus Babylon fortziehen, nachdem der Herr die
Tür des Heils, den Weg zurück nach Jerusalem, geöffnete
hatte. Paulus zitiert diesen Vers in 2Kor 6,17, um herauszustellen,
dass Gläubige nur dann echte Gemeinschaft mit Gott haben
können, wenn sie diese Trennung von der Welt und ihrer
Finsternis vollzogen haben. Manche stellen sich diese Trennung
als sehr schwierig vor, aber sie ist nicht so schwer, wie es
menschlich gesehen erscheint, denn "der Herr zieht vor
euch her, und eure Nachhut ist der Gott Israels." Der Herr
Jesus ist uns vorausgegangen ans Kreuz, er hat die Welt vor
uns überwunden und uns den Glauben gegeben der die Welt
überwindet. Und nun ist der Gläubige geborgen in Gott
und seinem Beistand, der auch die langsamsten und schwächsten
der Herde, die Nachhut, trägt und nicht an ihrer Schwäche
scheitern lässt.
52,13-15 Das Lied vom leidenden
Messias-Knecht
Der Abschnit 52,13 - 53,12 bilden den Mittelpunkt dieses "neutestamentlichen
Teils" von Jesaja, den Kapiteln 40-66, sie sind die Mitte
des zweiten, mittleren Teils (Kap. 49-57). Das Evangelium vom
Kreuz, die Lehre vom stellvertretenden Opfer Christi, ist hier
bereits im AT vollständig enthalten; und somit muss das
gesamte Evangelium, das Paulus mit dem Römerbrief offenbarte
und das vorher ein verborgenes, verschwiegenes Geheimnis war
(Röm 16,25), noch mehr umfassen als diese Wahrheit. Es
ist sogar eine durchgängige alttestamentliche Lehre, dass
ein stellvertretendes Opfer zur Erlösung nötig war,
denn das Prinzip von Stellvertretung und Opfer finden wir gleich
nach dem Sündenfall, sowohl in dem Tier, aus dem Gott die
Felle für Adam und Eva machte, als auch in Abels Opfer.
Aber so deutlich wie hier kommt dieses Erlösungswerk nirgends
im AT zum Ausdruck, und hier wird angedeutet, dass es der Gesalbte
Gottes selbst ist, der dieses Opfer bringt.
Als "mein Knecht" werden in Jesaja verschiedene Personen
oder Personengruppen bezeichnet, so Jesaja selbst (20,3), Eljakim
(22,20), David (37,35) und vor allem das Volk Israel (41,8;
42,19 u.a.). Dass mit dem Knecht in Kap. 52-53 das leidende
Volk Israel gemeint ist, ist die verbreitetste jüdische
Auslegung. Aber der Knecht Jahwes, der Gottes Gerechtigkeit
auf der Erde aufrichtet (siehe 42,1-4), kann kein anderer sein,
als der Messias selbst. Auch in 49,6 kann mit dem Knecht nicht
das Volk Israel gemeint sein, da dieser Knecht eben dieses Volk
aufrichtet und sogar das Heil für die Nationen wird. Sicherlich
haben Paulus und Apollos insbesondere diese Schriftstelle verwendet,
um den Juden zu beweisen, dass Jesus der Messias ist (Apg 9,22;
18,28), so wie auch der Evangelist Philippus mit diesem Abschnitt
dem Kämmerer aus Äthiopien die Heilsbotschaft erklärte
(Apg 8,32). Mit seinen vielen detaillierten und im NT erfüllten
Prophezeiungen beweist dieser Abschnitt auch vollmächtig
die göttliche Inspiration der Bibel. Jeder Skeptiker ist
herausgefordert, eine solch detaillierte, präzise Voraussage
anders zu erklären als durch Gottes Handschrift!
52,13 - 53,12 ist das letzte der vier messianischen Lieder in
Jesaja (vgl. 42,1-9; 49,1-13; 50,4-11) und gliedert sich in
fünf Strophen zu je drei Versen. Verse aus allen fünf
Strophen - die zusammen fast den gesamten Abschnitt ergeben
- werden im NT zitiert. Jede der fünf Strophen stellt eine
besondere Seite des Leidenswerkes des Messias heraus:
1. Strophe: Seine Erniedrigung und Erhöhung in den Augen
der Menschen
2. Strophe: Seine Verachtung und sein Leiden aus der Hand Menschen
3. Strophe: Sein stellvertretendes Leiden zum Heil der Gläubigen
4. Strophe: Sein göttlicher Charakter in seinem Leiden
5. Strophe: Sein Leiden aus der Hand Gottes und die Frucht seines
Werkes
Die erste Strophe, 52,13-15, zieht einen Bogen vom edlen Charakter
und der künftigen hohen Stellung des Messias über
seine Erniedrigung wieder zurück zur Erhöhung. Sein
ganzes Handeln war bestimmt von "Einsicht", d.h. völlig
beherrscht, sowohl in eigener Weisheit und Allwissenheit als
auch in Ergebung unter den Willen des Vaters. Darin unterscheidet
er sich von allen anderen Menschen, deren Handeln mehr oder
weniger vom "Willen des Fleisches und der Gedanken"
(Eph 2,3) bestimmt ist, d.h. von körperlichen und seelischen
Trieben und sündigem Egoismus. Obwohl der natürliche
Mensch durch sein Gewissen ahnt, wie töricht und verwerflich
solches Handeln ist, kann er aber das Joch der Sünde nicht
abwerfen und ist diesen törichten Instinkten der Sünde
ausgeliefert - lebt zur Unehre Gottes und zu seinem eigenen
Verderben. Die Stellung, die der Messias erlangen wird, entspricht
seinem erhabenen Charakter. Obwohl sein einsichtiges Handeln
ihn zunächst in Verachtung und ans Kreuz bringt, wird er
notwendigerweise von Gott über alles erhöht werden
(vgl. Phil 2,8-10).
V. 14 steht im krassen Gegensatz zu diesen Aussagen. Doch bevor
Gott die schreckliche Erniedrigung des Messias ankündigte,
musste deutlich herausgestellt werden, wie erhaben er in Wirklichkeit
ist. Er ist der größte und höchste aller je
geborenen Menschen, aber dieser Vers stellt uns ihn vor, als
sei er der hässlichste, entsetzlichste Mensch überhaupt
gewesen. Sicherlich bezieht sich diese Beschreibung auf sein
Leiden unter der Misshandlung, Geißelung und Kreuzigung.
Die Evangelien geben keinen Hinweis darauf, dass die äußere
Erscheinung unseres Herrn irgendwie außergewöhnlich
gewesen sei - er hatte vermutlich weder besondere Anmut noch
war er abstoßend. Gewiss hätten sich die Juden ihren
Messias majestätischer vorgestellt, und ein Grund, weshalb
sie ihn ablehnten, war seine Armut, seine niedrige Herkunft
aus Galiläa und seine Nähe zum Abschaum der Gesellschaft.
Auch wenn es unwichtig ist, wie er als Mensch ausgesehen hat,
müssen wir jedoch bedenken, dass jede Verunstaltung des
Menschen - von der kleinsten Warze bis zur gröbsten Missbildung
- eine Folge des Sündenfalls ist, genau wie Krankheit und
Tod. In diesem Abschnitt geht es ja darum, dass der Messias
stellvertretend die Folgen der Sünde auf sich genommen
hat. Er hat sich der Kranken, Lahmen, Aussätzigen und Sünder
angenommen und sich so sehr mit ihnen identifiziert, dass die
Selbstgerechten die Nase vor ihm rümpften. In seinem Leben
und Leiden erteilte er damit die Lektion, was von Gott erhöht
werden wird: "Jeder, der sich selbst erhöht, wird
erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht
werden" (Lk 14,11).
Zur Erhöhung des Messias gehört nicht allein, dass
er bei Gott erhöht ist, sondern er wird auch in den Augen
der Menschen erhöht sein, so hoch, dass sogar Könige
zu ihm aufblicken (vgl. 49,7). Das gilt jetzt für jene,
die ihn als ihren Erlöser annehmen, und in Zukunft für
alle ohne Ausnahme, denn "jedes Auge wird ihn sehen",
wenn er in Herrlichkeit wiederkommt (Offb 1,7). Eine andere,
bessere Lesart gibt den Anfang von V. 15 so wieder: "...
ebenso wird er viele Nationen besprengen." Das deutet hin
auf den priesterlichen Dienst des erniedrigten Messias: Er besprengt
und reinigt mit seinem eigenen Opferblut nicht nur die gläubigen
Juden, sondern Gläubige aus allen Nationen. Die Priester
wurden mit Opferblut in Verbindung mit dem Salböl (einem
Bild für den Heiligen Geist) besprengt (2Mo 29,21), und
so "besprengt" der Herr nun durch sein Evangelium
all jene, die mit Glaubensgehorsam darauf reagieren und sich
mit dem entsetzlichen Gekreuzigten identifizieren, mit seinem
rechtfertigenden Blut und seinem heiligmachenden Geist. Dieser
Vers wird in Römer 15,21 zitiert, wo Paulus ihn als Begründung
dafür anführt, dass er das Evangelium in immer weiteren
Kreisen verbreiten und seine Missionsreisen weiter ausdehnen
möchte. In all den Jahrhunderten des Alten Testaments handelte
Gott speziell mit seinem Volk Israel, aber welche Gnade, dass
seine größte Heilstat als eine Botschaft für
die ganze Welt verkündet wird! Wir sind Nutznießer
dieses Evangeliums für die Nationen, das nicht nur den
Juden in Babylon galt, sondern in die ganze Welt hinaus erschallen
soll. Und wir dürfen "teilnehmen am Evangelium"
und die Gnade Gottes in die Welt hinaustragen. Dann dienen wir,
wie Paulus, "priesterlich am Evangelium" (Röm
15,16), indem wir andere mit dem Evangelium "besprengen".
53,1-3 Seine Verachtung und
sein Leiden aus der Hand Menschen
Vers 1 wird im Neuen Testament von zwei bedeutenden Zeugen ausgelegt.
Das wirft viel Licht auf das Wesen des Evangeliums. In Johannes
12,38 erklärt der Evangelist Johannes, dass der Unglaube
der Juden bezweckte, dass sich dieser Vers erfüllte und
bewahrheitete. Er stellt auch ein "Herr ... ?" in
der Anrede voran, wodurch deutlich wird, dass dies eine Frage
ist, die alle Boten Gottes an Gott richten - d.h. Jesaja, der
Herr Jesus, die Apostel und Evangelisten. Aber es ist auch die
Frage des treuen Überrestes, der künftigen jüdischen
Missionare vor Anbruch des Tausendjährigen Reiches, die
der Welt noch einmal das Evangelium bringen und dann selber
eingestehen, dass sie damals ihren Messias verkannt haben (siehe
das "wir" in V. 2.3.4.6). Evangelisten geraten bei
fehlendem Erfolg manchmal in Zweifel, ob sie auf dem rechten
Weg sind, und stehen dann in der Gefahr, zu menschlichen Hilfsmitteln
zu greifen, um dem Evangelium nachzuhelfen. Doch dieser Vers
ermutigt zur treuen Verkündigung, indem er herausstellt,
dass es normal ist, wenn natürliche Menschen nicht auf
die Verkündigung des Evangeliums reagieren. Wie könnten
sie auch, da sie tot in Sünden sind und Geistliches weder
hören noch verstehen können? Ein Wunder der Gnade
Gottes ist nötig, und bei jedem, der doch glaubt, ist Gott
für dieses Wunder zu preisen.
Paulus zitiert den Vers in Römer 10,16 ebenfalls im Zusammenhang
mit Evangeliumsverkündigung und fehlender Reaktion darauf.
Er setzt sogar "glauben" mit "gehorchen"
gleich, und dadurch ist klar, dass dieses Wunder der Gnade nicht
dann geschehen ist, wenn jemand sagt, er glaube, aber damit
nur seine Anerkennung historischer Tatsachen meint. Persönlicher
Glaubensgehorsam ist nötig: Unterwerfung unter den Herrn
Jesus als Erlöser und Herr. Solchen wird "der Arm
des Herrn offenbar", d.h. die umgestaltende, heiligende
Kraft Gottes kommt in ihrem Leben zum Ausdruck, da sie eine
persönliche Begegnung mit Gott hatten, ihn im Herrn Jesus
erkannt haben und diese Erkenntnis ihnen ewiges, vollmächtiges,
göttliches Leben eingepflanzt hat.
Das Wort vom Kreuz wird deshalb vom natürlichen Menschen
abgelehnt, weil es völlig unattraktiv ist. Es ist dem vernünftig
denkenden, fortschrittlichen Menschen eine "Torheit"
(1Kor 1,18; 2,14). Der Herr Jesus war genau das Gegenteil von
dem, wie sich "normale" Menschen einen Retter und
Helden vorstellen. Das ist das Resümee aus den Versen 2-3:
"Wir haben ihn für nichts geachtet." Vers 2a
beschreibt ihn bildhaft, die übrigen Verse direkt. Menschlich
gesehen konnte diese von Sünde geprägte Erde keine
Frucht für Gott bringen; es war ein vertrocknetes Land,
abgeschnitten vom lebendigen Gott, und so war der Herr kein
ästhetischer Supermensch wie wahrscheinlich Adam, sondern
war "in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde"
(Röm 8,3). Für das Erlösungswerk war es unbedingt
nötig, dass Gott Mensch wurde und sich als Mensch mit den
Folgen der Sünde identifizierte. Der "Spross"
erinnert an 11,1, wo verheißen ist, dass dieser unscheinbare
Wurzelspross Frucht bringen wird. Genau das wird in Vers 11
(siehe Tabelle) das Ergebnis sein. Als solcher Spross lebte
er vor Gott, dessen Wohlgefallen auf ihm ruhte. Im Gegensatz
zu Gott begehrten ihn die Menschen nicht, denn von seinen äußerlichen
Merkmalen - im Aussehen sowie in seinen Lebensumständen
der Armut und Niedrigkeit, vielleicht sogar gezeichnet von Krankheiten
und Hunger - entsprach er nicht ihren Vorstellungen. "Sie
ärgerten sich an ihm" (Mk 6,3), dem "Galiläer"
(Mt 26,69). Als er sein öffentliches Wirken begann, bestieg
er damit keine Karriereleiter, sondern begann erst recht den
Abstieg in die Verachtung und in das Verworfen- und Verlassensein.
Auch das bedeutete für ihn Leiden und Schmerzen, da es
ihm ins Herz traf, dass jene, zu deren Heil er gekommen war,
ihn verwarfen.
Jesaja identifiziert sich durch das "wir" a) mit all
jenen, die ihre Sündhaftigkeit vor Gott eingestehen - diese
Sündhaftigkeit, die in der Ablehnung des Erlösers
gipfelt -, b) mit allen, die der Herr erlöst hat (V. 5.6)
und c) mit allen, die das Evangelium verkünden (V. 1).
Er identifiziert sich damit mit dem "Israel Gottes"
- den Erretteten aller Zeiten, die aus der Finsternis berufen
sind, Lichter in dieser Welt zu sein. Aber er identifiziert
sich auch mit dem irdischen Israel, das schon damals seine Propheten
verachtete und verfolgte, ebenso wie den Herrn selbst, aber
in Zukunft zur Umkehr kommen wird.
Die chiastische (kreuzförmige) Struktur von Jesaja 53:
vom Versagen des Menschen zum Sieg Gottes - in der Mitte ein
Lamm
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Menschliche Seite
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Stichwort
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Göttliche Seite
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[Jes 53,1] Wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem
ist der Arm Jahwe offenbar geworden?
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Versagen des Menschen - Triumph Gottes
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[Jes 53,12] Darum werde ich ihm die Großen zuteil geben,
und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass
er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern
beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler
getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.
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[Jes 53,2] Und er ist wie ein Reis vor ihm aufgeschossen, und
wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hatte keine
Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, da hatte er kein
Ansehen, dass wir seiner begehrt hätten.
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Spross und Frucht - Verachtung und Erfolg
|
[Jes 53,11] Von der Mühsal seiner Seele wird er Frucht
sehen und sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird mein
gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre
Missetaten wird er auf sich laden.
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[Jes 53,3] Er war verachtet und verlassen von den Menschen,
ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, und wie einer,
vor dem man das Angesicht verbirgt; er war verachtet, und wir
haben ihn für nichts geachtet.
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Leiden
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[Jes 53,10] Doch Jahwe gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat
ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben
wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern;
und das Wohlgefallen Jahwes wird in seiner Hand gedeihen.
|
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Jes 53,4] Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere
Schmerzen hat er auf sich geladen. Und wir, wir hielten ihn für
bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt;
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Schuld und Unschuld
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[Jes 53,9] Und man hat sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt; aber
bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tode, weil er kein
Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Munde gewesen ist.
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[Jes 53,5] doch um unserer Übertretungen willen war er
verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe
zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns
Heilung geworden.
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Gericht
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[Jes 53,8] Er ist hinweggenommen worden aus der Angst und aus
dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen? denn er
wurde abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen: wegen der Übertretung
meines Volkes hat ihn Strafe getroffen.
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[Jes 53,6] Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns
ein jeder auf seinen Weg; und Jahwe hat ihn treffen lassen unser
aller Ungerechtigkeit. -
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Lamm
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[Jes 53,7] Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat
seinen Mund nicht auf, gleich dem Lamme, welches zur Schlachtung
geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen
Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf.
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53,4-6 Sein stellvertretendes Leiden zum Heil der Gläubigen
"Fürwahr" ist ein hebr. Wort, das auch "wahrlich"
bedeutet. Hier nun wird uns tatsächlich die wohl größte
Wahrheit, die unglaublichste Tatsache, des Buches Jesaja - wenn
nicht der ganzen Bibel - vorgestellt: Der Messias hat die Konsequenzen
der Sünde stellvertretend für Sünder auf sich
genommen. Dieser Vers wird in Matthäus 8,17 zitiert, nachdem
der Herr viele Besessene und Leidende geheilt hatte. Manche
leiten daraus ab, dass die Erlösung auch körperliche
Heilung mit einschließe und ein Gläubiger nicht mehr
krank zu werden brauche. Welche Verkehrung der Tatsachen ist
solch eine Lehre! In Matthäus 8 wird uns bildhaft vorgestellt,
dass der Herr von der Sünde und ihren Folgen rettet, am
Kreuz hat er diese Rettung vollbracht. In diesem Zeitalter können
Gläubige von der Sünde selbst und ihren geistlichen
Auswirkungen befreit sein, erst im künftigen Zeitalter
werden sie auch von Krankheit und Tod erlöst sein. Die
eigentliche Wahrheit sehen wir, wenn wir verstehen, was die
eigentlichen Leiden und Krankheiten des Menschen sind. Von diesem
elendigen Krankheitszustand des Volkes war gleich zu Beginn
in Jesaja die Rede: "Von der Fußsohle bis zum Haupt
ist keine heile Stelle an ihm" (1,6, siehe Zusammenhang).
Das war eine Beschreibung des geistlichen Zustands! Und das
öffnet unseren Blick für die geistlichen Wahrheiten,
wenn wir in den Heilungswundern unseres Herrn in den Evangelien
unsere geistlichen Heilungen sehen: wie er uns auferweckt zu
ewigem Leben, unsere Augen und Ohren öffnet für ihn
und sein Wort, uns von unserer Gelähmtheit befreit, um
ihm dienen zu können usw.
Die Beschreibung in V. 4 ist bildhaft, in V. 5 wortwörtlich:
es waren unsere Übertretungen und Missetaten, wegen derer
er am Kreuz verwundet werden musste. Mit deutlichen Worten wird
hier die Theologie der Stellvertretung beschrieben: Jemand erleidet
die Strafe, die andere verdient haben, an ihrer Stelle, und
sie dürfen deshalb frei ausgehen. Eine simple Lehre, aber
eine unfassbare Wahrheit. Unfassbar aber auch, dass der Großteil
derer, die der Christenheit im weiteren Sinne angehören,
diese grundlegende Lehre nicht kennen. Wie viele Namenschristen
hoffen, Vergebung und Frieden durch eigene Leistungen und Werke
zu finden! Bringen wir ihnen doch diese frohe Botschaft der
Erlösung, der Rettungstat Christi - und natürlich
erst recht denen, die noch nie von diesem Retter gehört
haben! Gottes Gericht, Zorn und Strafe wegen der Sünde
muss sich "entladen" können, damit Gottes Gerechtigkeit
erfüllt wird - und all dieser Schrecken hat sich am Kreuz
auf den menschgewordenen, sündlosen Sohn Gottes ergossen,
dessen Opfer das einzige bei Gott annehmbare Lösegeld für
Sünde ist. Der Zorn Gottes ist gestillt, und die Gläubigen
dürfen nun Frieden haben und von der Sünde und ihren
von Gott trennenden Folgen geheilt sein.
Diese Verse sprechen eindrücklich von Jesu schrecklichen
Leiden in seinem Leib, dass er während der dreistündigen
Finsternis am Kreuz aus der Hand Gottes erlitten hat. Es ist
bedeutsam, dass der Herr bereits vor seinem Tod sagte, "es
ist vollbracht". Er starb für die Gläubigen stellvertretend
den Tod; aber dieser Tod war nicht der Augenblick, als er seinen
Geist in die Hände des Vaters übergab, sondern es
war der Tod der Trennung von Gott, als er von ihm verlassen
war, weil er "zur Sünde gemacht" wurde (2Kor
5,21). Der Lohn der Sünde ist der Tod, und diesen Tod schmeckte
der Herr in der bitteren Erfahrung, als er während der
dreistündigen Finsternis am Kreuz den Zornesbecher Gottes
leerte. Beim Blick auf den leidenden Herrn am Kreuz wird deutlich,
wie schrecklich Trennung von Gott - d.h. der Tod als Lohn der
Sünde - wirklich ist.
Manche sehen in dem Ausdruck "unser aller Schuld"
einen Beleg für ihre irrige Auffassung, dass der Herr die
Sünden aller Menschen aller Zeiten getragen habe. Aber
wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass hier ausdrücklich
nur von Gläubigen die Rede ist. Zurückblickend erkennen
sie, dass sie in ihrem ungläubigen Zustand den Messias
von sich aus nicht erkannt hatten (V. 4b). Sie sind jene, die
durch sein Werk wirklich Frieden mit Gott erlangt haben - und
nicht nur theoretisch erlangen könnten (V. 5b), und sie
sind diejenigen, denen tatsächlich "Heilung geworden"
ist - und nicht solche, denen Heilung hätte werden können.
Sie sind jene, die erkannt haben, dass sie verlorene Schafe
waren, verirrt in Eigensinn und auf dem Weg ins Verderben, aber
gerettet wurden durch das Rettungswerk des Herrn (vgl. 1Petr
2,24-25). Sie sind die "vielen" - eben nicht alle
-, deren Sünde er getragen hat (siehe V. 11.12). Wie dankbar
macht das den Gläubigen, dass er aus absoluter Gnade zu
diesen Erwählten gehören darf!
53,7-9 Sein göttlicher
Charakter in seinem Leiden
Wir befinden uns nun, zu Beginn von V. 7, in der Mitte von Kapitel
53, dem mittleren Kapitel des mittleren Teils vom "neutestamentlichen
Jesaja" (Kap. 40-66). Wir können diesen zweiten Teil
von Jesaja als Thron Gottes sehen - als seine Erklärung,
dass er durch "Gnade herrscht" (Röm 5,21). Das
ist der in 16,5 verheißene "Thron aus Gnaden",
der aufgerichtet wird, "wenn der Unterdrücker nicht
mehr da ist". Und hier in der Mitte dieses Gnadenthrons
sehen wir ein Lamm. Genau das sah der Apostel Johannes, als
ihm eine Schau für die Regierungswege Gottes gegeben wurde:
"Ich sah inmitten des Thrones ... ein Lamm stehen wie geschlachtet
..." (Offb 5,6). Damit sich in Gottes Regierung seine Gerechtigkeit
und seine Liebe vereinigen, musste er ein Lamm werden, dass
zur Sühnung von Sünden starb. Nun ist dieses Lamm
das Zentrum, das Herz der Herrschaft Gottes über die Erlösten.
In V. 6 identifizierte er sich mit den verirrten Schafen, indem
er ihre Verirrungen auf sich nahm - das spricht von Stellvertretung
und dem Sündopfer. Hier in V. 7 geht es um seinen eigenen
hingebungsvollen Charakter, was vom Brandopfer spricht, der
ganz hingegebenen Anbetung Gottes. Nur eine solche völlige
Anbetung ist Gott wohlgefällig. Der Herr Jesus fügte
sich ganz dem Willen Gottes, so schrecklich dieser auch für
ihn war. Wenn Rinder geschlachtet werden, widerstreben sie voller
Panik; Schafe hingegen fügen sich ihrem Schicksal. Isaak
wusste, dass nur ein solches Lamm das nötige Brandopfer
stellen konnte (1Mo 22,7); aber an Isaaks Stelle wurde kein
Schaf, sondern ein Widder - ein Sündopfer - dargebracht.
Das "Lamm Gottes" kam erst mit dem Herrn Jesus - so
lange stand die Frage Isaaks - "Wo aber ist das Schaf zum
Brandopfer?" - im Raum, und ihre Beantwortung durch den
Messias wird hier von Jesaja vorweggenommen und durch Johannes
dem Täufer endgültig geklärt (s. Joh 1,29.36).
Der Evangelist Philippus schließlich erklärte von
diesem Vers ausgehend dem Kämmerer aus Äthiopien das
Evangelium von Jesus (Apg 8,32.35).
Vers 8 ist allein von seiner sprachlichen Aussage und Übersetzung
schwer zu verstehen, aber er wird in Apg 8,33 zitiert, was uns
eine göttliche Hilfe bietet. Dort heißt es, dass
"sein Gericht weggenommen" wurde; er bekam noch nicht
einmal eine menschlich gerechte Gerichtsverhandlung, sondern
wurde durch böse Intrigen und politische Verschwörung
absolut zu Unrecht verurteilt. Daniel schreibt ganz ähnlich,
dass der Messias "nichts haben" werde (Dan 9,26).
Die Satzkonstruktion hier in Jesaja scheint etwas anders zu
sein, besagt aber dasselbe: Ihm wurde von seinen Feinden Angst
(oder: "Gefängnis") und Gericht zugefügt,
aber ohne eine gerechte Verhandlung zu bekommen, wurde er daraus
"weggenommen" und hastig gekreuzigt, damit diese Untat
noch vor dem religiösen Passahfest vollzogen werden konnte.
Sein "Geschlecht" sind seine Nachkommen. Nachkommenschaft
war im hebräischen Denken notwendig für Erfolg. Das
AT beschreibt bedeutende Männer oft mit ihrer "Geschlechterfolge",
d.h. mit ihrem nachfolgenden Stammbaum. So gliedert sich z.B.
das ganze 1. Buch Mose in die "Geschlechterfolgen"
von Männern wie Adam, Noah, Isaak, Jakob usw. (1Mo 5,1;
6,9; 25,19; 37,2). Der Herr Jesus hatte keine irdischen Nachkommen,
sondern starb am Kreuz wie jemand, dessen Andenken völlig
ausgelöscht wird. Aber ab Vers 10 werden wir sehen, welche
wirkliche Nachkommenschaft der Herr durch sein Werk vom Kreuz
erlangt hat! Das Samenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen.
Aus irdischer Sicht wurde sein Leben zwar "abgeschnitten",
aber sein Opfer und sein Werk wird nicht fruchtlos bleiben.
Der letzte Satz von V. 8 hat eine zweifache Bedeutung, so wie
das Geschehen am Kreuz zwei Seiten hat: Die Ursache für
sein Leiden war, dass sein Volk sündigte und gegen Gott
rebellierte - bis zu dem Extrempunkt, dass es Gottes Messias
ans Kreuz verordnete. Der Grund seines Leidens war jedoch, dass
er stellvertretend die Sünden seines Volkes - der Erwählten,
die der Vater ihm gegeben hat - auf sich nahm und sühnte.
Die Aussage von V. 9 scheint die offensichtlichen Tatsachen
umzukehren: Eigentlich war der Herr Jesus bei Gottlosen in seinem
Tod am Kreuz und bekam sein Grab bei einem Reichen. Hier geht
es jedoch um etwas anderes: Die Menschen wollten ihn zu den
Gottlosen rechnen, sowohl am Kreuz als auch danach - wollten
ihn endgültig loswerden als jemanden, der keiner Erinnerung
würdig sei. Aber stattdessen bekam er durch die souveräne
Fügung Gottes das Ehrengrab des reichen Josef von Arimathäa.
Gott rechtfertigte ihn somit andeutungsweise bereits vor seiner
Auferstehung. Und natürlich war er in den drei Tagen seines
Todes bei dem wahrhaft Reichen - bei Gott, dem Vater, im Paradies.
Er ist der einzige, der aus eigener Kraft nach dem Tod in diese
Seligkeit eingehen konnte, weil er der einzige ist, der kein
Unrecht begangen und stets nur Wahrheit geredet hat. Es wäre
schon "Unrecht" gewesen, wenn er sein Leben Gott nur
etwas weniger geweiht und aufgeopfert hätte. Wir alle sind
dieses Unrechts schuldig - dass wir unserem Gott Ehre und Hingabe
vorenthalten. In unserem wunderbaren Herrn jedoch haben wir
die Sühnung für unser Unrecht und alles, was wir brauchen,
um seiner Hingabe nachzueifern.
Bedenken wir noch eines: Es handelt sich hier um Prophetie,
die über 700 Jahre vorher aufgeschrieben und dann detailliert
erfüllt wurde. Haben wir hier nicht wahrhaft Indizien,
die "beweisen, dass Jesus der Christus" (Apg 9,22;
18,28) und die Bibel das wahre Wort Gottes ist? Und hat Gott
durch Jesaja nicht so oft beteuert, dass er das Kommende vorher
ankündigt (z.B. 42,23; 42,9; 43,19)? Für den Verstand
sollte dieser Beweis ausreichen - dass sich der Sünder
dennoch gegen das Evangelium sträubt, liegt nicht an seinem
Hirn, sondern an seinem Herzen. "Wer hat unserer Verkündigung
geglaubt?"
53,10-12 Sein Leiden aus
der Hand Gottes und die Frucht seines Werkes
Ist es nicht überaus rätselhaft, wie es Gott gefallen
konnte, seinen über alles geliebten, einzigen Sohn zu schlagen
und zu quälen? Kann es einen anderen Grund dafür geben,
als dass es Gott gefiel, seinen vor Grundlegung der Welt gefassten
Ratschluss auszuführen - den Ratschluss, die Erwählten
zu erlösen? Oft sagt uns die Schrift, dass "der Christus
leiden musste" (z.B. Lk 9,22; 24,26.46, Apg 17,3) und dass
er nach Gottes "bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis"
hingegeben wurde (Apg 2,23; 4,28; 1Petr 1,20). Nur wenige Kapitel
zuvor hatte Gott erklärt, dass es ihm gefällt, seinen
Ratschluss auszuführen (46,10). Ja, Gott gefällt es,
seine Pläne zu verwirklichen - seinen Heilsplan, seine
Pläne der Gnade, Liebe, Gerechtigkeit und Heiligkeit -
und das zum unvorstellbar hohen Preis seines Sohnes! "Er,
der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für
uns alle hingegeben hat ..." (Röm 8,23)! Was das aber
für den Herrn Jesus bedeutet hat, Gottes Zorn über
alle Sünden aller Erretteten aller Zeiten am Leibe zu erfahren,
ist einerseits unermesslich und unergründlich, aber andererseits
gibt uns die Schrift viele Andeutungen. Es wurde drei Stunden
finster im Land des Kreuzes, und Gott verbarg dieses Geschehen
vor den Blicken der Menschen, aber im persönlichen Bibelstudium
und in der Gemeinde - besonders beim Gedächtnismahl - dürfen
wir durch die Schrift sein Leiden Stück um Stück erahnen.
Schriftstellen wie z.B. die Psalmen 22; 38; 42; 69; 88 und 102;
die Opfer aus 3. Mose; die Erfahrungen Hiobs (z.B. 16,7-17)
und viele weitere Hinweise liefern uns Gottes Hilfe, um zu erkennen,
wie grausam die Konsequenzen der Sünde sind, wie heilig
Gott ist und welche Gnade die Erlösung bedeutet.
Der Herr Jesus hat sein Leben am Kreuz als Schuldopfer eingesetzt.
Das Wort "Schuldopfer" bezeichnet genau das Opfer,
das in 3Mo 5,15f beschrieben wird und zur stellvertretenden
Sühnung von Sünde diente. Alle 5 Opfer aus 3Mo 1-5
finden wir hier in der prophetischen Beschreibung seines Werkes
wieder: das Brandopfer - seine Ganzhingabe an Gott als Lamm;
das Speisopfer - sein vollkommenes Leben, das er einsetzte;
das Friedensopfer - unseren Frieden mit Gott als Segnung aus
seinem Opfer -; das Sündopfer - zur allgemeinen Sühnung
für sein Volk; und nun das Schuldopfer zur Tilgung begangener
persönlicher Sünden. Aber auch die Auferstehung wird
hier klar vorausgesagt, denn wenn er Nachkommen sehen und seine
Tage verlängern wird, musste er aus den Toten auferstehen.
Als Auferstandener hält er seine Nachkommen nun in seiner
sicheren Hirtenhand, und so gedeihen die Gläubigen in seiner
Hand zum Wohlgefallen Gottes.
Ja, diese Gerechtfertigten und Gerechten, diese Geheiligten
und Heiligen - die Erlösten, sind die Frucht seiner Leiden,
die Frucht, an der er sich nährt und freut. Das muss unsere
Perspektive als Gläubige sein - nicht unser Wohlergehen,
sondern dass wir ihm zur Ehre und Freude sein dürfen, indem
wir ihm in Heiligung und Hingabe nachfolgen. Das ist sowohl
seine jetzige Freude als auch sein jetziger Dienst - die Erlösten
zur Gerechtigkeit zu weisen, d.h. ihr Wachstum zu seiner Ähnlichkeit
zu fördern, ihren Charakter in seinen Charakter umzugestalten.
Viele haben die Vorstellung, Gnade bedeute, dass Gott Sünder
rette, auch wenn sie als Sünder und in Sünde weiterleben.
Aber hier sehen wir, wie falsch diese Ansicht ist. Gottes Rettung
bewirkt ihren Zweck: Sie ist eine Rettung weg von Sünden
(Mt 1,21) und hin zur Gerechtigkeit und Heiligkeit. Wie kann
das Realität werden? "Durch seine Erkenntnis",
d.h. wenn man ihn erkennt. Die persönliche Erkenntnis Jesu
- der persönliche Glaube an ihn, die persönliche Beziehung
der Unterwerfung unter ihn, die Abhängigkeit von ihm, der
Blick auf ihn im Alltag und in seinem Wort - wird sich mächtig
im Leben des Gläubigen auswirken (vgl. 2Kor 3,18; 1Jo 2,3).
Aber als Hoherpriester vertritt der Herr Jesus uns auch, wenn
wir versagt haben; unsere Sünden brauchen uns nicht mehr
zu belasten, weil sie auf ihn gelastet haben. Eindeutig geht
es hier nicht um "alle Menschen", sondern um die "vielen",
für die er am Kreuz gesühnt hat.
Der Sieg am Kreuz hatte triumphale Folgen: Gott gab seinem gehorsamen
Sohn Menschen aus allen Klassen und Gruppen, auch "Große"
wie Könige und Reiche. Zu seiner Beute gehören auch
"Starke", die mit ihrem Willen heftig widerstreben,
aber durch die unwiderstehliche Gnade Gottes zu Buße und
Glauben geleitet werden. So mancher verbohrte Atheist und Spötter
ergab sich schließlich seinem Herrn und Retter. Da Jesu
Gehorsam und Sieg am Kreuz schon vor aller Ewigkeiten feststand,
gab Gott ihm diese Menschen schon vorher (Joh 6,39; 17,6).
Zuletzt wird sein Werk vom Kreuz als Begründung für
seinen Erfolg genannt und dabei zusammengefasst: Für Gott
bedeutete Jesu Werk völlige Verherrlichung, weil er sein
vollkommenes Leben als Opfer darbrachte; für ihn selbst
bedeutete sein Werk zweifaches Leid: durch Menschen - Übeltretern
zugerechnet (s. Lk 22,37) und durch Gott - er wurde zur Sünde
gemacht und als solche von Gott behandelt. Und für "viele"
Sünder, die gläubig werden, bedeutet sein Werk Erlösung
und Heil, weil er ihre Sünden getragen und für sie
Fürbitte getan hat. Ein erstaunlicheres Werk wäre
nicht auszudenken! Niemand hätte das erfinden können
- schon gar nicht 700 Jahre im Voraus - und niemand anderes
hätte das vollbringen können, als nur der gnadenreiche
und heilige Gott selbst!
54,1-6 Jubel über Gottes
Heil
Wie oft war dem Volk Gottes in den Kapiteln 40-52 Rettung und
Erlösung verheißen worden! Wie oft hatte Gott angekündigt,
dass sein Heil nahe bevorsteht und dass er es ausführen
wird! Nun hat er diese Verheißung erfüllt. Jesaja
53 blickt zwar prophetisch in die Zukunft - 700 Jahre voraus
-, aber ist grammatisch rückblickend geschrieben - in der
Vergangenheitsform. Da die Rettungstat des Herrn schon ewig
feststand und nur noch verkündet (und später ausgeführt)
werden brauchte, durfte damals schon jeder Glaubende so darauf
vertrauen, als sei diese Rettung bereits geschehen.
Jesaja 53 ist eingerahmt von Jubel; in 52,7-12 war es die Freude
über die unmittelbare bevorstehende Rettung, hier ist es
der Jubel über die geschehene Errettung. Wer ist hier angesprochen,
wer soll jubeln? Wir können es unmittelbar auf das Volk
Israel beziehen, sowohl in seiner damaligen Situation in Babylon,
woraus es befreit werden sollte, als auch auf Israels künftige
Wiederherstellung im Tausendjährigen Reich. Aber aus Galater
4,27, wo V. 1 zitiert wird, wissen wir, dass wir diesen Abschnitt
ganz direkt auf uns bzw. auf die Gemeinde beziehen können:
Durch das Erlösungswerk Christi bekommt seine Braut, die
Gemeinde, reiche Nachkommenschaft, viele Bekehrte aus aller
Welt. Bevor es das "Wort vom Kreuz" gab, war die kleine
Schar der Gläubigen geistlich unfruchtbar; eine Handvoll
Jünger vermochte nichts auszurichten, bevor der Heilige
Geist ihnen Kraft dazu verlieh. Der jüdisch-christliche
Glaube fand nicht viel Anklang in der heidnischen Welt, bevor
er sich schließlich mit dem Evangelium vom Kreuz explosionsartige
im ganzen Römischen Reich verbreitete. Sara, auf die Paulus
in Galater 4 anspielt, wartete 90 lange Jahre auf ihren Nachwuchs,
und auch die "Welt", von Gott geliebt, musste viele
Tausende Jahre warten, bis mit dem in Jesaja 53 verkündeten
Errettungswerk Frucht für Gott aus ihr hervorkam. So wie
dem Herrn nach einem vermeintlich erfolglosen Ende seines Lebens
Nachkommen verheißen wurden (s. 53,8.10-11), so wird auch
seine Braut, die Gemeinde, eine große Nachkommenschaft
haben und sehr fruchtbar sein. Für uns ist es heute eine
riesige geistliche Freude, wenn wir miterleben dürfen,
dass das Wort Gottes nicht gebunden ist und nicht kraftlos zurückkehrt.
Überall auf der Welt sind von Gott gesandte Evangelisten
und Missionare am Werk und führen einen Heiden nach dem
anderen ins Reich Gottes, und die Gemeinden, die dadurch entstehen,
sorgen durch die "Zurüstung der Heiligen für
das Werk des Dienstes" (Eph 4,12) dafür, dass dieses
Werk der Auferbauung der Gemeinde weitergeht.
Die Gemeinde ist wie ein himmlisches Zelt, das ausgebreitet
wird. Nicht umsonst war Paulus, der Apostel der Heiden, Zeltmacher
von Beruf. In Psalm 104,2 lesen wir, dass Gott die Himmel -
und die Gemeinde ist sein himmlisches Volk - "ausspannt
wie eine Zeltdecke". Städte wie Thessalonich, Korinth
und Rom waren in vorchristlicher Zeit geistlich "verödet",
aber dann wurden sie mit geistlichem Leben besiedelt, sodass
wir sie aus der Bibel als Synonyme für lebendige Gemeinden
kennen. Es ist der Herr selbst, der die Gemeinde baut, und deshalb
braucht sie sich nicht vor den Anfeindungen der Welt zu fürchten,
denn die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.
Die Gläubigen werden die schandvolle Zeit vor ihrer Bekehrung
vergessen und auch die Zeit der vergeblichen Suche nach Gott,
wenn sie in die lebendige, dauerhafte Beziehung zu ihrem Erlöser
getreten sind. Welch ein Erlöser - Gott selbst - und welche
eine Beziehung - eine Ehe! Etwas Großartigeres ist nicht
auszudenken, als diese innige, dauerhafte Beziehung zum allmächtigen,
heiligen Gott, der Liebe ist! Doch zuerst muss das berufene
Volk Gottes durch Kränkungen und Trübsale gehen, um
diese Beziehung wirklich wertschätzen zu lernen. So wird
es auch dem irdischen Volk Israel gehen, das jetzt von Gott
wie eine Witwe beiseite gesetzt ist und durch schlimme Drangsale
gegangen ist und noch gehen wird, bis der Herr es im Tausendjährigen
Reich als sein Volk annehmen wird.
54,7-10 Frieden nach Drangsal
Wir wollen noch einmal darüber nachdenken, an wen sich
diese Trostworte Gottes richten. Allein dieses Wissen, dass
es Worte des Trostes sind, geben uns Aufschluss, denn das ist
ja das Thema dieses ganzen Abschnittes: Gott tröstet sein
Volk (40,1); sein Volk ist also der Empfänger; das sind
all die "vielen", deren Sünden der Herr Jesus
am Kreuz getragen und gesühnt hat, was die Botschaft von
Kapitel 53 war. Das ist nicht das damalige irdische Israel,
denn von ihnen war nur eine Minderheit wirklich sein Volk, sondern
das himmlische Jerusalem, wie wir es bereits anhand des Zitates
von 54,1 in Galater 4,27 festgestellt haben. Es ist also die
Gemeinschaft aller wahrhaft Gläubigen. Das bezieht sich
sicherlich auf die wenigen Gläubigen aus Israel zur Zeit
Jesajas und später während der babylonischen Gefangenschaft,
die Trost durch diese Botschaft empfingen, wenn sie daran glaubten,
und es bezieht sich auch auf die gläubigen Juden, die durch
die Trübsalszeit ins Tausendjährige Reich eingehen
und sich in der Drangsal ebenfalls an diesen Worten trösten
werden. Aber auch wir als Gläubige der jetzigen Haushaltung
dürfen diesen Trost in Anspruch nehmen. Weitere Belege
dafür sind: Vers 13 wird in Joh 6,45 vom Herrn in Bezug
auf alle Gläubigen zitiert; am Ende von V. 17 wird dieser
Trost als das Erbteil aller Knechte Jahwes bezeichnet, und die
Gläubigen als Gemeinde sind ebenfalls die Braut ihres Schöpfers
und Erlösers, des Retter-Gottes Jahwe, das ist Jesus.
Rein historisch auf die damalige Situation Israels gedeutet
kommt man zu keiner befriedigenden Auslegung. Für einen
kleinen Überrest der Juden mögen diese Verse gegolten
haben, aber der Großteil kehrte nicht aus Babylon ins
Land zurück, und die nachfolgenden Generationen der Zurückgekehrten
verließen abermals die Wege Gottes. Eher passen diese
Aussagen auf die Israeliten, die unter der künftigen Verfolgung
durch den Antichristen während der "großen Drangsal
Jakobs" leiden werden. Aber besonders wertvoll werden uns
diese Verse, wenn wir verstehen, dass es hier um unsere Erlösung
in Christus, um den Neuen Bund in Christus geht. Die Erwähnung
dieses "Friedensbundes" ist ein weiterer Hinweis darauf,
dass diese Verse allen Erlösten gelten, für die der
Herr sein Blut, das Blut des Neuen Bundes, vergossen hat - und
nicht für das irdische Israel, das an der Wirksamkeit des
Blutes von Böcken und Stieren festhielt.
Die Erlösten sind all jene, die sich mit dem Gekreuzigten
und seinem Tod identifizieren (Röm 6,3). Am Kreuz erging
der Zorn Gottes über den Leib Jesu, dort wurde er von Gott
verlassen. Dieser Leib war im Grab "verwitwet", denn
der Herr war während dieser drei Tage im Geist im Paradies,
getrennt von seinem Leib. Ein wahrer Gläubiger hat in seiner
Erfahrung der Bekehrung etwas Entsprechendes durchgemacht: Als
er seine Sündhaftigkeit erkannte, sah er sich von Gott
getrennt und verlassen, ja, des flammenden Zornes Gottes schuldig.
Er sah, dass sein Platz am Kreuz ist. Er übte Selbstgericht,
was er in der Taufe zum Ausdruck brachte. Das Wasser der Taufe
wird in 1Petr 3,21 mit der Sintflut verglichen (die "Wasser
Noahs", siehe hier V. 9), und aus Röm 6,3-4 wissen
wir, dass der Getaufte bildhaft im Grab Jesu begraben ist. Wer
dieses Selbstgericht an sich vollzogen hat und durch diese Seelenübungen
der Verzweiflung über die Sünde gegangen ist - wie
Paulus es in Römer 7 beschreibt -, und dann seinen gekreuzigten
und auferstandenen Erlöser erkannt hat, der darf sich der
Zusage des Erbarmens und der Gnade Gottes gewiss sein. Ist es
nicht eine einfache Logik, dass, wer den Trost Gottes erfahren
will, zunächst durch Trübsale gehen muss? Wir brauchen
solche Trübsale nicht künstlich zu suchen, in unserer
Sündhaftigkeit finden wir sie reichlich. Die Sünden
Israels brachten das Volk damals in die Drangsal Babylons und
in die heutige Beiseitesetzung, aber unsere Sünden brachten
unseren Heiland ans Kreuz (Kap. 53) - wir brauchen uns nur mit
ihm identifizieren - jedoch nicht formal, sondern von Herzen!
Dann bekommen wir nach aller Seelennot und Beunruhigung Frieden
mit Gott und genießen einen ewigen Friedensbund (V. 10),
besiegelt durch das Blut unseres teuren Herrn.
54,11-17 Trost in Vollendung
Diese Verse sind wichtiges Anschauungsmaterial dafür, was
damit gemeint ist, dass Gott den Seinen "jede Träne
von ihren Augen abwischen" wird (Offb 21,4). "Glückselig
die Trauernden, denn sie werden getröstet werden"
(Mt 5,4). Diese Elendigen, Ungetrösteten und Sturmbewegten
sind all jene, die entweder an ihrer Sündhaftigkeit verzweifelt
und durch tiefe Seelenübungen und Buße gegangen sind,
oder die wegen ihrer Unbußfertigkeit Gottes züchtigende
Gerichte erlitten haben und auf diese schmerzvolle Weise zur
Buße geleitet wurden. Letzteres war bei den wenigen gläubigen
Israeliten der Fall, die Jesaja hier direkt ansprach; und das
wird auch bei den Juden der Fall sein, die durch die große
Drangsal ins Tausendjährige Reich eingehen.
Wir haben bereits gesehen, dass hier das himmlische Jerusalem
angesprochen wird. Diese himmlische Stadt wird nun in ganz ähnlicher
Weise beschrieben wie das heilige, neue Jerusalem in Offb 21,2.10-27
geschildert wird. Man ziehe den dortigen Text zum Studium dieses
Abschnittes heran, denn die Parallelen liegen deutlich auf der
Hand (vgl. auch 55,1 mit Offb 21,6; 22,1-2.17). Gott verheißt
hier denen, die in Buße und Glauben zu ihm, den Herrn
Jesus, umkehren, dass er diese Gläubigen mit Pracht und
Herrlichkeit ausstatten wird - ja, dass er sie als seine makellose
Braut vor sich selbst präsentieren wird. Die Heiligung
ist Gottes Werk, das durch seine Verheißung fest steht.
Diese göttliche Charakterformung fängt bei der Festigkeit
des Baus an, den Steinen und Grundmauern. Die Gläubigen
bilden "die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister
und Schöpfer Gott ist" (Hebr 11,10). In Offb 21 gehören
zu dieser Grundmauer die zwölf Grundsteine mit den Namen
der Apostel, das Lammes. Die Grundlage ist, dass sie dem Lamm
nachgefolgt sind und ihr Charakter in diesen Lammescharakter
umgewandelt ist. Er ist nun ein Ausdruck des herrlichen Charakters
Jesu, der für Gott köstlich ist (1Petr 3,4). Die Gläubigen
werden aber auch mit Überwinderkronen (Siegeskränzen)
geschmückt (s. 1Kor 9,25; 2Tim 4,8; Jak 1,12; 1Petr 5,4;
Offb 2,10), was hier den von Edelsteinen prangenden Zinnen entspricht.
Ab Vers 13 wechselt die bildhafte Rede bzw. die äußerliche
Veranschaulichung der inneren Herrlichkeit zu den geistlichen
Realitäten, wovon drei genannt werden: Erstens sind die
Gläubigen vom Herrn selbst gelehrt. Der Herr Jesus verwendet
diese Aussage in Joh 6,45, und es ist wichtig zu beachten, dass
es im dortigen Zusammenhang nicht um Prophetie und künftige
Dinge geht, sondern um die Errettung. Gewiss werden im Tausendjährigen
Reich alle vom Herrn gelehrt sein - manche Ausleger sehen allein
hierin diese Bedeutung -, aber um jetzt durch Wiedergeburt ins
unsichtbare Reich Gottes zu gelangen, muss man ebenfalls von
Gott gelehrt sein. Gott offenbart dem Sünder seinen Willen
und seine Heiligkeit und überführt ihn so von Sünde.
Es ist wichtig für die Evangelisation, dass wir nicht solche
zu einem Bekenntnis drängen, die noch nicht in dieser Weise
von Gott gelehrt sind. Das ist die erste Grundlage eines von
Gott geformten Charakters: Gotteserkenntnis, Gottesfurcht und
Sündenerkenntnis. Zweitens haben die Gläubigen großen
Frieden. Sie sind mit Gott versöhnt durch Glauben an ihren
Erretter und Stellvertreter Jesus Christus, und sind in ihm
zur Ruhe gekommen. Dieser Frieden und diese Gewissheit der Liebe
Gottes (Röm 8,32) erfüllt und prägt ihren Charakter.
Drittens sind die Gläubigen durch Gerechtigkeit befestigt,
was zwei Seiten hat: Sie sind stellungsmäßig gerechtfertigt,
d.h. ihnen wurde die Gerechtigkeit Christi zugerechnet; und
sie leben in praktischer Gerechtigkeit, was ihre Stärke
und ihr Schutz ist (vgl. Eph 6,14). Ja, der gerechte Wandel
ist ihr Aushängeschild und ihre sichtbare Herrlichkeit.
Die gerechten Taten der Heiligen bilden das prachtvolle Kleid
der Braut Christi (Offb 19,8). Und Gerechtigkeit heißt
dabei viel mehr als das Halten der Gebote! Nur die völlige
Hingabe an Gott ist gerecht - ganz so wie der Herr Jesus sich
ihm ergab.
Gelten auch die Verheißungen des Schutzes aus V. 14-17
der Gemeinde - oder nur dem irdischen Israel, dem Augapfel Gottes?
Denken wir z.B. an die Schutzzusage Gottes an Paulus in Apg
18,9-10; oder denken wir an die Zusage des Herrn an die in die
Mission gesandten Apostel in Mt 28,18.20. Wenn die Gemeinde
ihren göttlichen Auftrag - Heiligung, Anbetung und Mission
- auf der Erde erfüllt, wird sie zweifellos angegriffen
werden (2Tim 3,12). Hier sichert der Herr den Gläubigen
zu, dass er alle Macht hat, und wenn Bedrängnis kommt,
so hat der Herr auch diese ganz in seiner Hand. Sogar die Feinde
werden letztendlich von Gott für seine Ziele gebraucht.
Der gläubige Überrest Israels, der aus Babylon auszog
und Jerusalem wieder aufbaute, durfte das ganz direkt erleben.
Feinde wie Sanballat und Tobija wollten ihr Werk vereiteln,
aber es gelang ihnen nicht (Neh 4,1ff u.a.) - und denken wir
erst an den gottlosen Haman, der die Juden in Babylon vernichten
wollte und die Verheißung von V. 17 bitter am eigenen
Leib erfuhr (Est 7,6-10). Wir hingegen haben nicht zu erwarten,
dass wir vor irdischen Gerichten Recht bekommen, aber wir dürfen
zusammen mit dem Herrn richten (1Kor 6,3)! So ist es das Erbteil
der "Knechte" des Herrn, Gottes "Söhne"
zu sein und so vollen Anteil am ganzen Erbe zu bekommen, dass
der Herr Jesus mit ihnen teilen wird (Röm 8,17).
55,1-5 Der Ruf zum Evangelium
Sind nach der wunderbaren Zukunftsaussicht für die Gläubigen
nun die Ungläubigen etwa "durstig" geworden?
Durstig nach dem Heil Gottes, das in Kap. 53 teuer errungen
und in Kap. 54 in seinen wunderbaren Ergebnisse vorgestellt
wurde? Unter den Juden, zu denen Jesaja sprach, waren viele
solcher toten Bekenner, die noch nicht von dem lebendigen Wasser
getrunken hatten. Oder fühlten sie sich gerade als diejenigen
angesprochen, denen bevorsteht, vor Gericht schuldig gesprochen
zu werden (54,17)? Wurde ihnen jetzt etwa klar, was ihnen fehlte?
Das sollte die Gnade Gottes in der Verkündigung ja gerade
bewirken - ihr Herz aufschließen. Ein gleicher evangelistischer
Ruf ist in die Zukunftsaussicht für die Gemeinde in Offb
21,6 und 22,17 eingestreut. Obwohl das Buch der Offenbarung
für die "Knechte" des Herrn geschrieben ist (Offb
1,1), wird zum Schluss eindringlich an die appelliert, die noch
keine solchen Knechte sind. Wenn der Sünder sowohl mit
der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes als auch mit der Gnade
und dem Heil Gottes konfrontiert wird, kann der Heilige Geist
bei ihm Durst nach dem Heil wecken. Die Gnadenbotschaft ist:
"Alle" ohne Einschränkung sind eingeladen - sofern
sie "durstig" sind - und: Das ewig durstlöschende
lebendige Wasser gibt es kostenlos, ohne Gegenleistung! Dennoch
ist es kein "Schenken", sondern ein "Kaufen"
ohne Kaufpreis, eben keine leichtfertige Transaktion, sondern
der wichtigste Schritt des Lebens. Wie viele geben stattdessen
ihr Geld für Scharlatane aus oder suchen ihr Glück
in den Verführungen des Widersachers!
Dieser Ruf, zu "hören", zu "essen"
und zu "kommen" ist genau der Ruf des dreieinigen
Gottes in den Evangelien: Der Vater ruft auf, auf den Sohn zu
hören (Mk 9,7); der Herr Jesus ruft alle Müheseligen
und Beladenen auf, zu ihm zu kommen (Mt 11,28) und der Heilige
Geist bringt den erweckten Sünder dazu, die Heilsbotschaft
zu "essen" (Joh 6,54.63). Wahre Speise und wahrer
Trank sind das Fleisch und das Blut Jesu, das er für das
Leben der Welt am Kreuz gegeben hat (Joh 6,51.55). Wenn diese
Speise auch zunächst bitter erscheint, ist sie dennoch
"Wein" der Freude und des Heils, und nahrhafte "Milch";
sie erweist sich als "fett" und "gut" -
voller Segnungen des Herrn und voller Gewissheit und Erfahrung
seiner Gnade und Liebe.
Das Gesetz sagte: Tue dies, damit du lebst! (5Mo 4,1; 8,1).
Das Evangelium sagt: "Hört, und eure Seele wird leben!"
Wenn Gott Gnade erwiesen und hörende Ohren gegeben hat,
ist das ewige Leben gewiss. Das ist der "ewige Bund",
den Gott vor ewigen Zeiten in Christus geschlossen hat, ohne
menschliches Hinzutun, und der in Ewigkeit bestehen wird. Es
ist kein Bund der Werke, sondern der Gnade; es ist kein Bund
bezüglich irdischer Segnungen, sondern himmlischer. Es
ist der messianische Bund, der David verheißen (2Sam 7,29)
und in Christus, dem Sohn Davids, erfüllt wurde. Er ist
der wahre David, der "Zeuge und Gebieter für Völkerschaften".
Er ist Gottes beglaubigtes Zeugnis seiner Gnade, und er ist
der Herr und Gebieter all jener, die er aus allen Völkern
erkauft hat (Offb 5,9). Vers 5 kann sich sowohl auf den Messias
beziehen, dem ein zuvor fremdes Volk - die erlösten Sünder
- dienen wird, so wie König David ihm unbekannte Völker
dienten (2Sam 22,44). Oder es bezieht sich auf die Gläubigen,
das jetzige Zeugnis Gottes auf der Erde, denen sich viele Bekehrte
anschließen. Diese Aufgabe wird auch das erlöste
und verherrlichte Volk Israel während des Tausendjährigen
Reiches auf der Erde erfüllen (siehe Sach 8,22-23).
55,6-13 Der Ruf zur Bekehrung
und seine Wirksamkeit
Die Verse 6-13 sind einzeln genommen sehr bekannt, viel zitiert
und oft auf Kalenderzetteln oder Spruchkarten zu finden. Es
ist aber sehr aufschlussreich festzustellen, dass sie hier einen
zusammenhängenden Gedankengang bilden, der sich wie folgt
skizzieren lässt: 1.) Der Aufruf: Umkehr jetzt, bei der
von Gott gegebenen Gelegenheit (V. 6-7a); 2.) die erste Begründung:
Gottes Gnade (V. 7b); 3.) die zweite Begründung: Gottes
heiliges Wesen (V. 8-9), 4.) die dritte Begründung: Gottes
wirksames Wort (V. 10-11), 5.) die vierte Begründung: Gottes
wunderbares Ziel (V. 12-13).
Gott biedert sich den Ungläubigen nicht an, sondern lässt
sich suchen und erbitten. Das ist auch die Verheißung
des Herrn in Mt 7,7. Wer von Gott angesprochen und erweckt ist,
ihn sucht und im Wunsch nach Errettung den Namen des Herrn anruft
- den Namen des Herrn Jesus (Apg 4,12) - wird errettet werden
(Röm 10,13). Dass damit keine bloß aufzusagende Formel
gemeint ist, wird aus V. 7 deutlich: Nach dem Aufruf zum Glauben
und zum Annehmen der freien Gnade in V. 1.3 liegt in diesem
Evangeliumsruf die Betonung auf Umkehr und Buße. Die Errettung
ist zwar ohne Gegenleistung und ohne Kaufpreis, aber nicht ohne
Lebensveränderung. Die Errettung ist für Gottlose
und böse Menschen, aber sie müssen sowohl ihren alten
Lebenswandel aufgeben als auch ihr sündiges Denken ändern.
Genau das heißt Buße (griechisch metanoia) wörtlich:
umdenken. Die Bekehrung ist jedoch nicht nur das Abkehren weg
vom Alten, sondern auch das Hinwenden hin zum Neuen: zu Gott,
dem Herrn Jesus Christus. In 1Thes 1,9 ist eine solche Bekehrung
beispielhaft beschrieben.
Der erste angegebene Grund macht die Bekehrung möglich:
Gott knausert nicht mit Vergebung, sondern so enorm und schwer
die Schuld auch ist, vergibt er sie, weil es einen Stellvertreter
für die fällige Strafe gibt (Kap. 53). Der zweite
angegebene Grund macht die Bekehrung nötig: In V. 7 war
von den gottlosen und bösen "Wegen" und "Gedanken"
der Unbekehrten die Rede. Sie stehen im Widerspruch zu Gottes
ganz anderen "Wegen und Gedanken". Alles Denken und
Handeln des natürlichen Menschen bezieht sich auf die Erde
und darauf, das Beste aus dem irdischen Dasein zu machen. Sein
Denken dreht sich hauptsächlich um sich selbst, wenig um
andere und gar nicht um den wahren Gott. Sein Wandel gefällt
ihm selbst, wenig anderen und überhaupt nicht Gott. Zu
Gottes Wegen und Gedanken besteht da buchstäblich ein himmelweiter
Unterschied: Seine Wege und Gedanken sind darauf aus, seine
Gnade und Liebe zu zeigen. Er ging für seine Feinde, für
Gottlose in den Tod - unfassbar! (vgl. Röm 5,6-8). Der
Bekehrte soll sich ein ebensolches Denken - eine missionarische
Gesinnung - und einen ebensolchen Wandel im Dienst des Evangeliums
aneignen (vgl. Röm 12,2ff), denn er ist nicht für
die Erde, sondern für den Himmel bestimmt, für die
Herrlichkeit Gottes (vgl. Röm 3,23; 5,2)
Der in V. 10-11 angegebene dritte Grund macht die Bekehrung
wirksam. Wenn sie möglich und nötig ist, garantiert
das noch nicht, dass tatsächlich in Sünde tote Gottlose
zu Gott umkehren werden. Aber Gott hat sein Wort, dessen Verkündung
und Wirkung so angelegt, dass es seine Absichten vollführen
wird. Mit diesem Wort ist einerseits der Herr Jesus, das Wort
Gottes, gemeint, der auf der Erde das Werk Gottes vollbracht
hat und siegreich in den Himmel zurückgekehrt ist, mit
der reichen Beute der Erretteten, die zu alttestamentlicher
Zeit lebten. Aber auch das in der Jetztzeit verkündete
Evangelium ist damit gemeint. In Hebr 6,7 wird das Evangelium
ebenfalls mit segnendem Regen verglichen, der letztendlich Frucht
für Gott bringt. Das ist das Ziel des Evangeliums: nicht
das Glück des Menschen - das ist ein Nebeneffekt -, sondern
die Ehre Gottes. Gibt es eine bessere Evangelisations-"Methode",
gibt es bessere Raffinessen des Gemeindewachstums, als das originale,
kraftvolle Wort Gottes zu verkünden? Wenn wir es verfälschen,
verwässern oder verstümmeln, wird der Erfolg ausbleiben
bzw. sich nur scheinbarer Erfolg einstellen. Aber Gott ist souverän
und sein biblisches Wort bewirkt, was ihm gefällt - auch
Bekehrungen Gottloser, bei denen wir es niemals erwartet hätten.
In V. 12-13 wird als vierter Grund die künftige Freude
des Heils genannt, dieser Grund macht die Bekehrung fruchtbar.
Zunächst wird angespielt auf den Auszug der Juden aus Babylon
zurück ins Gelobte Land. Dann wird bildhaft beschrieben,
welche Freude im Land bei ihrer Wiederkehr herrscht und wie
dieses Land aufblühen wird. Da es sich für die Juden
damals so nicht erfüllte, ist das sicherlich eine Prophezeiung
auf das Tausendjährige Reich. Obgleich diese Bilder schwierig
auszulegen sind, sind sie jedenfalls eine erhabene und anmutige
Poesie. Die Freude über die Bekehrung zu Gott könnte
nicht lebhafter ausgedrückt werden. Die ganze Natur, die
jetzt noch seufzt (Röm 8,22) ist in Wallung angesichts
der Rückkehr der Herrlichkeit Gottes. Deuten wir es auf
die persönliche Erfahrung des Bekehrten: Als er dem lebendigen
Gott begegnete und den Herrn Jesus als seinen Herrn und Erretter
annahm und sich seines Heils gewiss wurde, jubelte er mit seinem
ganzen Wesen. Seine natürlichen Fähigkeiten stehen
nun im Dienst des Königs und ehren ihn, wofür Händeklatschen
ein Bild ist (2Kö 11,12) und die Folgen des Sündenfalls
(Disteln und Dornen) sind besiegt und stattdessen bringt er
Ehre für Gott. Ja, er lebt ewig, um ein ewiges Denkmal
für die Gnade und Herrlichkeit Gottes zu sein.
56,1-8 Das Heil ohne Ansehen
der Person
Kap. 53 erklärte den Erwerb der Errettung, Kap. 54 die
Freude über die Errettung und Kap. 55 die persönliche
Annahme der Errettung. In Kap. 56,1-8 geht es nun um das Leben
in der Errettung für Menschen aus allen Völkern, der
Rest dieses Abschnitts, der in 57,21 endet, stellt dann das
vermeintlich errettete, aber Gott entehrende Leben der toten
Bekenner dar.
Wahre Gläubige werden daran erkannt, dass sie Gottes Gebote
halten, also in Gottes Augen gerecht leben (1Jo 2,4ff). Das
"Recht zu wahren" bedeutet in erster Linie, das Wort
Gottes zu bewahren, d.h. es zu studieren, zu beherzigen und
daraus zu leben. Nur wer Gottes Wort im Herzen bewahrt, kann
"Gerechtigkeit üben". Die Motivation dazu ist
Gottes baldige Offenbarung seiner vollen Erlösung: Der
Herr Jesus wird wiederkommen, und dann wird auch die Gegenwart
der Sünde aus der Welt und aus unserem Fleisch weggetan
werden. Glücklich sind, die das Wort Gottes tun und daran
festhalten (vgl. Mt 7,24). Der Sabbat war das Siegel der Gnadenseite
des Alten Bundes und drückte aus, dass der Mensch im Werk
Gottes ruhte. Für den Gläubigen heute ist das die
erste Pflicht: Für seine Errettung nicht auf eigene Leistungen
zu hoffen, sondern allein von der Gnade Gottes abhängig
zu sein. Die zweite Pflicht ist die Abkehr von allem Bösen:
Wer den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit
(2Tim 2,19).
Fremde (d.h. Ausländer von Israel) und "Verschnittene"
(Eunuchen) durften nach dem Gesetz Israels nicht in die Versammlung
der Gläubigen und nicht ins Haus Gottes kommen (2Mo 12,43;
5Mo 23,1.3.7.8). Das Heil ist zwar aus den Juden, aber nicht
nur für die Juden. Gott hat die Welt geliebt und will,
dass alle Menschen errettet werden. Niemand ist aufgrund seiner
Volkszugehörigkeit oder persönlichen Merkmale vom
Heil ausgeschlossen. Nur Unglaube schließt vom Heil aus.
Diese Verheißung für Verachtete muss für die
Juden eine Demütigung gewesen sein und forderte ihre Bereitschaft
heraus, mit solchen in ihren Augen minderwertigen Menschen das
Heil zu teilen. Unter etablierten Christen kommt heute leicht
eine ähnlich arrogante Haltung auf. Haben wir einen Blick
und ein Anliegen dafür, dass Gott gerade die gesellschaftlich
Verachteten auserwählt hat (1Kor 1,28)? Gott kann erstaunliche
Veränderungen selbst an den hoffnungslosesten Fällen
bewirken, sodass sie sich "dem Herrn anschließen"
und ihm "dienen" und ihn "lieben" (V. 6)
Gott ist es, der Verachtete einreiht unter sein Volk, ihnen
ihren Platz gibt in seinem Haus als seine eigenen Söhne.
Sie werden auf seinem heiligen Berg wohnen, d.h. in der Gegenwart
der Herrlichkeit Gottes, und werden seine Gemeinschaft genießen.
Sie bringen geistliche Schlachtopfer - sich selbst, ihre Habe
und ihr Lob - zum Wohlgefallen Gottes dar. Menschen mögen
die Nase rümpfen wegen ihrer ärmlichen Kleidung oder
ihrer unbeholfenen Ausdrucksweise, aber für Gott sind sie
wahre Anbeter. Die etablierten Bekenner hingegen meinen, durch
ihr traditionelles, aber verkommenes System Gott zu dienen,
aber in Wirklichkeit sind ihre Versammlungen "Räuberhöhlen"
(Mt 21,13). Statt Gott die Ehre der Hingabe zu geben, suchen
sie in der Gemeinschaft Gewinn für sich selbst, wie zur
Zeit Jesu die Taubenverkäufer und Wechsler. Wer aber im
Gottesdienst eigenen Gewinn sucht, beraubt Gott.
Gottes Haus ist ein Bethaus "für alle Völker".
Diesen Nachsatz lässt der Herr bei seinem Zitat in Mt 21,13
aus, weil der damalige Tempel nicht die Erfüllung dieser
Verheißung war, aber ein Abbild davon sein sollte. Sowohl
die Gemeinde jetzt als auch der künftige Tempel im Tausendjährigen
Reich sind aber Häuser für alle Völker. "Der
Herr tat täglich zur Gemeinde hinzu" (Apg 2,47) ist
die Erfüllung von V. 8. Die "Vertriebenen Israels"
sind jedoch nicht die 10 verlorenen und verstreuten Stämme,
sondern die Auserwählten Gottes unter allen Völkern
der Welt, die der Herr als Hirte sucht wie verlorene Schafe.
Einen jeden findet er und führt er auf seinen Schultern
tragend der Gemeinde hinzu.
56,9 - 57,2 Verkehrtheit
im Volk Gottes
Jesaja hat nun das Heil in seinem ganzen Ausmaß verkündet.
Wie aber reagierten die Juden seiner Zeit darauf? Um die Heilsbotschaft
bußfertig im Glauben anzunehmen, mussten sie von ihrem
elendigen Zustand überführt werden. Deshalb beschreibt
der Prophet in 56,9 - 57,13 schonungslos das real existierende
geistliche Grauen in Juda, bevor er in 57,15 den Bußfertigen
nochmals sein Heil anbietet.
Zuerst ruft er die "wilden Tiere" - das sind fremde
Mächte wie z.B. Assyrien und Babylon - zum züchtigenden
Gericht über Israel. Züchtigung und Gericht ist nötig,
1.) weil die Hirten ihre Verantwortung sträflich versäumten
und das Volk ins Verderben taumelte (56,10 - 57,2); und 2.)
weil die Juden dem Götzendienst frönten (57,3-13).
Die geistlichen Führungspersonen - Priester, Älteste,
Schriftgelehrte - waren blinde Blindenführer und hatten
selber Gott nicht erkannt und keine lebendige Beziehung zu ihm.
Sie erkennen aber auch geistliche Gefahren nicht und schweigen
zu den Abwegen des Volkes. Wie trifft das unsere Situation!
Wer wagt es heute noch, geistliche Verantwortung zu üben
und ein warnendes Wort zu erheben vor der Verweltlichung der
Gemeinde, vor allerlei modernen Götzen wie Psychologie,
Wohlstandsevangelium, kultischen Moden, vor Wölfen in Schafspelzen,
die in christlichem Gewand Irrlehren verbreiten? Wer warnt die
jungen Leute in den Gemeinden vor den christlichen Verirrungen
unserer Zeit? Diejenigen, die es besser wissen müssten,
weil sie jahrelang die Bibel kennen, schweigen, bellen nicht,
sondern leben lieber für ihren Bauch. Paulus beschreibt
gesetzliche Judaisten in Phil 3,2 als "Hunde", die
sich für ihre Traditionen einsetzen, aber nicht für
den wahren Glauben und die Seelen der Schafe. Anstatt in die
Bibel zu schauen, "träumen" sie und reden gehaltloses
Ohrenkitzel oder berichten von angeblichen Visionen. Sie sind
zu faul zu fleißigem Bibelstudium, denn das bedeutet Arbeit
(2Tim 2,15). Das wollen Hirten sein? Ihr Interesse gilt nicht
den Schafen, sondern ihren eigenen Zielen. Sie machen Karriere
in dieser ungerechten Welt, und sie gehen dem Zeitgeist der
Spaßgesellschaft nach. Sie haben einen Ruf, ein Motto,
aber nicht den Ruf des Evangeliums. Sie rufen zu Vergnügungsveranstaltungen
auf: Lasst uns feiern! Lasst die christliche Party steigen!
Und das alles im Namen des Herrn.
Wie schrecklich ist ein solcher Zustand in dem Volk, dass sich
mit dem Namen Gottes benennt! Die meisten von ihnen haben keine
persönliche Beziehung zu Gott, sind nie zu Buße und
echtem Glauben durchgedrungen. Doch da gibt es vereinzelte Wiedergeborene,
"Gerechte". Können sie in einem solchen Umfeld
überleben? In einem solchen Klima sind hingegebene Gläubige
Außenseiter, werden verurteilt als "ewig Gestrige"
und abgelehnt als unmodern und negativ. Das zarte Leben in ihrer
Seele wird niedergedrückt, sie verhungern und verarmen
geistlich. Sie finden in der Gemeinde keine Erbauung, sondern
nur Bedrückung. Sie werden im Wahn der Masse zertrampelt.
Doch Gott nimmt sich ihrer an: Wenn sie sterben, vor Leid oder
Drangsal, gehen sie in Frieden heim zu ihm und empfangen ihren
Lohn. Mögen die Namensgläubigen auch darüber
"lästern", dass die Gerechten "nicht mitlaufen
in demselben Strom der Ausschweifung" (1Petr 4,4); wenn
sie unbeirrt den Weg gehen, den sie aus der Bibel als den rechten
erkannt haben, werden sie innerlich Ruhe und Frieden haben,
weil Gott ihnen beisteht.
57,3-13 Götzendienst
im bekennenden Volk Gottes
Das bekennende Volk Gottes bestand damals wie heute aus zwei
grundsätzlich verschiedenen Gruppen: einerseits die echten
Gläubigen, die eine Minderheit waren und die andererseits
von den anderen, nur vermeintlich gläubigen Israeliten,
verspottet und bedrängt wurden. Letztere spricht Gott an
als Kinder böser Mächte. Der Herr Jesus sagt zu den
ungläubigen Juden, die ihn anfeindeten, klipp und klar,
dass sie den Teufel zum Vater haben (Joh 8,44) und nannte die
Pharisäer "Schlangen, Otternbrut" (Mt 23,33).
Der natürliche Mensch muss einsehen, wer er ist und wessen
Wesen er ererbt hat. Der Sünder hat mit seiner Sünde
eine solch ekelhafte Natur geerbt wie eine widerliche Schlange.
Er entspricht dem, wovon er abstammt, wie ein Kind seinen Eltern
entspricht. So wurden auch die ungläubigen Israeliten von
ihrer Natur hingezogen zu allerlei Götzendienst und Gräueln
(1Kor 12,2). Und dem Guten gegenüber waren sie verfeindet;
sie spotteten über die Gerechten und erwiesen sich somit
als Feinde Gottes und des Herrn selbst - ihm streckten sie die
Zunge heraus. Das notwendige Kennzeichen von Gläubigen,
die Bruderliebe (1Jo 2,9-10) fehlte ihnen.
Die Form des Götzendienstes ist heute eine andere als damals,
aber die Grundelemente sind dieselben geblieben. Damals gehörten
sogar Kinderopfer zu den Gräueln, aber werden den modernen
Götzen etwa keine Kinder geopfert? Zigtausende Ungeborener
fallen auch in unserem "christlichem Abendland" dem
Dienst des Wohlstands und des eigenen Bauches zum Opfer. Der
Götzendienst damals war grausam, aber unsere Kultur ist
keinen Deut weniger grausam.
Götzendienst wurde an verschiedensten Orten geübt:
unter Bäumen, auf Höhen, in Tälern, an Bachläufen
- statt Gott für seine Schöpfung zu preisen, gingen
sie ihrer natürlichen Neigung nach. Sogar ihre eigenen
Häuser waren Kultstätten. Außen auf Türen
und Pfosten sollten sie Gottes Wort schreiben, als "Denkzeichen"
für Gott und Ausdruck der Verinnerlichung (5Mo 6,8-9),
aber hinter der Fassade machten sie sich selber Denkzeichen
und nutzten ihren Götzenkult zu Ausschweifung und Hurerei
(V. 8). Äußerlich hatten sie auf diese Weise ein
erfolgreiches Leben, wenngleich dieser Erfolg sogar mit okkulten
Praktiken ("hinab bis zum Scheol") verbunden war.
Dasselbe erleben wir heute, wo im Berufsleben nicht nur Lug
und Trug, sondern gezielter Einsatz esoterischer Hilfsmittel
an der Tagesordnung ist. Man plagt sich ab und nimmt jede Anstrengung
auf sich, um Erfolg zu haben, und dieser Erfolgt stellt sich
tatsächlich ein, sodass der Irrglaube bestärkt wird.
Jede Lüge (V. 11) zeigt, dass der Mensch etwas anderes
mehr fürchtet als Gott, der Lüge mit dem Lohn der
Sünde bestraft. Der Sünder fürchtet mehr die
Konsequenz der Ehrlichkeit - vielleicht menschliche Nachteile
nach dem Motto, "der Ehrliche ist der Dumme." Aber
welche Beleidigung ist es gegenüber Gott, solche Nachteile
mehr zu fürchten als seinen Zorn! Auch wenn Gott lange
dazu schweigt, wird er eines Tages Gericht halten. Die vermeintliche
Gerechtigkeit solcher Leute wird sich dann als nichtig erweisen,
und ihre Götzen - ihre Leistungen, Errungenschaften und
Werke - können ihnen nicht helfen. Ihr Leben lang haben
sie sich davon Glück und Segen versprochen - nun gibt Gott
sie ihrer eigenen, falschen Hoffnung preis. Sie selber wollten
es so.
Gibt es Rettung für solche Verlorenen? Ja, wenn ein Sünder
sich in dieser Beschreibung wiederfindet, in Not und Bedauern
gerät und zu Buße und Glauben kommt, kann er beim
Herrn Jesus Zuflucht nehmen. Dann wird er zu den glückseligen
"Sanftmütigen" gehören, die "das Land
erben" (Mt 5,5). Er hat aufgehört, gegen Gott zu rebellieren
und ihm im Hohn ins Angesicht zu widerstehen, sondern hat sich
dem Allmächtigen ergeben und die Waffen gestreckt. Als
Lohn wird er die Ewigkeit in Gottes Gegenwart verbringen, auf
Zion, dem heiligen Berg, der sein Erbteil ist.
57,14-21 Gott belebt den
Demütigen
Der Ruf aus V. 14 erinnert uns an den bekannten Vers 40,3: "Bereit
den Weg des Herrn ...!" Dort ging es darum, dass Gott zu
seinem Volk kommt; hier hingegen geht es um die Umkehr des Volkes
zu seinem Gott. Bei der Errettung kommt zuerst die Initiative
Gottes - Gott macht den ersten Schritt, er hat uns zuerst geliebt
-, aber auch der Sünder ist aufgerufen, im Glauben den
richtigen Weg einzuschlagen. Für die Juden in Babylon bedeutete
das, den Götzendienst in Babylon zu verlassen und im Glauben
nach Jerusalem zurückzukehren.
Die Ungläubigen hielten ihren Götzendienst für
"hoch und erhaben" (vgl. V. 7) und verkannten damit
den wahren Gott völlig, denn ihr Dienst war in Wirklichkeit
elendig und armselig und widersprach zutiefst dem Wesen Gottes:
Ihre Götzen waren vergänglich, ohnmächtig und
voll unflätiger Sünde. Gott aber ist der Ewige und
Heilige. Die Ungläubigen hatten so dringend nötig
umzukehren, und die Gläubigen hatten dringend nötig,
sich aus diesem Umfeld zu entfernen. Dann würden herrliche
Verheißungen an ihnen wahr werden: Wenn sie nicht stolz,
sondern über ihr Versagen und ihre Sünde zerbrochen
und gebeugt sind, dann wollte Gott an ihrer Tür stehen
und anklopfen, bei ihnen wohnen und engste Gemeinschaft mit
ihnen haben. Wie entgegengesetzt ist die heutige Devise sowohl
in der Welt als auch in der Christenheit: Jedes Gefühl
der Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit wird bekämpft
und stattdessen wird gepredigt, nur Selbstliebe, Selbstannahme
und Selbstwertgefühl würde einen Menschen in Gemeinschaft
mit Gott bringen. Welche Lüge! Wenn wir Jesu klare Aussagen
über Selbstverleugnung in Mt 5,3; Lk 9,23 und 14,26 lesen,
wird uns die einheitliche Lehre der Bibel deutlich: Nicht Selbstliebe,
sondern Selbstverachtung - Verabscheuung der eigenen Sündennatur
- führt zum Heil. Den ungläubigen Juden damals mangelte
es jedenfalls nicht an Selbstbewusstsein, denn durch ihren Götzendienst
fanden sie ja "neue Kraft" (V. 10). In Wirklichkeit
waren sie tot in ihrem Geist und verdorben in ihrem Herzen.
Doch Gott schenkt den Bußfertigen neues Leben an Geist
und Herz.
Den Erwählten gilt der züchtigende Zorn Gottes nicht
für immer (zum Thema "Allversöhnung" siehe
V. 21), sondern leitet sie zu einem Ziel in der Zeit. Israel
war hier sein erwähltes Volk und ebenfalls nicht zum ewigen
Zorn bestimmt. Das Volk hatte besonders in der Habsucht gesündigt.
Das ist oft der Fall, wenn Gott in seiner Güte Wohlergehen
schenkt, wie bei den Israeliten im gelobten Land und auch im
christlichen Europa nach der Reformation. Die Herzen der bekennenden
Christen wurden fett und träge, uns so wandte sich Gott
von seinem Volk ab, um ihm zu zeigen, wo es ohne ihn bleiben
würde. Aber es blieb stur auf dem Weg seiner Abtrünnigkeit;
die Juden mussten 70 Jahre in die Verbannung. Gottes Absicht
der Rettung und Heilung seines Volkes steht jedoch fest. Weil
er es will und beschlossen hat, wird das Volk Errettung erfahren.
Das ist seine unverdiente Gnade, und aus dieser Gnade sind auch
wir errettet: nicht weil wir besser waren als andere, sondern
weil Gott uns retten und heilen wollte.
Die über ihre Sünde und ihr Versagen trauern, werden
sich dann über ihr Heil freuen und Gott dafür preisen.
"Frucht der Lippen" sind die wahren Opfer des Lobes,
die Gott gefallen (Hebr 13,15). Es ist die echte, ungekünstelte
Freude über den Frieden mit Gott, den der Herr Jesus als
Friedensbote, ja als unser Friede (siehe Eph 2,14-17, wo dieser
Vers zitiert wird) den Erlösten gibt. Das sind Erlöste
aus der "Nähe" (Israel) und auch aus der "Ferne"
(den Nationen - vgl. Eph 2,17). Sie sind geheilt, können
Gott dienen und loben und das ewige Leben genießen. Die
Gottlosen hingegen, die nicht umkehren, haben alles, aber keinen
Frieden. Sie haben untereinander keinen Frieden und stürzen
die Welt in Krieg wie ein brausendes Meer (s. Lk 21,25). Sie
haben keinen Frieden mit sich selbst und bringen bei all ihrer
Aktivität nur "Kot" hervor - nicht Frucht für
Gott, sondern Widerwärtiges. Und sie haben auf Ewigkeit
keinen Frieden mit Gott. Dass in V. 16 keine Allversöhnung
(die Lehre, die Hölle sei nicht ewig und die Verdammten
würden irgendwann erlöst) gelehrt wird, wird durch
diese Aussage deutlich, denn mit dieser ernsten Wahrheit schließen
alle drei Teile von Jes 40-66 (vgl. 48,22; 66,24), und in 66,24
heißt es ausdrücklich: "Ihr Wurm wird nicht
sterben und ihr Feuer nicht erlöschen."
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