Zu Christus kommen
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Einleitung
(Vorbemerkung: Der Ausdruck zu Christus kommen
wird heute vielfach in der Evangelisation verwendet und ist
auch ein biblischer Begriff. In seiner Bedeutung hat er allerdings
eine Wandlung erfahren, und wenn heute Ungläubige aufgefordert
werden komm zu Christus, ist damit häufig nicht
der biblische Sinn gemeint, sondern eine recht oberflächliche,
womöglich voreilige Entscheidung. Dieser Artikel verdeutlicht
die biblische Bedeutung).
Als Einleitung dieses Teils betrachten wir einige Schriftstellen,
die uns Aufschluss darüber geben, was es heißt, zu
Christus zu kommen:
Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt
(Joh 5,40).
Dieser Vers gilt für jeden nicht wiedergeborenen Menschen
auf dieser Erde. Solange ein Mensch in seinem natürlichen
Zustand verharrt, kann er nicht zu Christus kommen. Trotz aller
hervorragenden Eigenschaften Christi, sowohl seiner göttlichen
als auch menschlichen, obwohl alles an ihm begehrenswert
ist (Hl 5,16), sehen die gefallenen Kinder Adams nichts Schönes
an ihm und fühlen sich daher nicht von ihm angezogen. Sie
können gut in der Lehre Christi unterwiesen sein, sie mögen
ohne Zögern alles glauben, was die Bibel über ihn
sagt, sie mögen regelmäßig seinen Namen in den
Mund nehmen und bekennen, auf seinem vollbrachten Werk zu ruhen,
ihm Loblieder singen - und doch sind ihre Herzen weit von ihm
entfernt. Die Dinge dieser Welt haben den ersten Platz in ihren
Herzen. Das Befriedigen der eigenen Wünsche ist ihr vorrangiges
Anliegen. Sie liefern ihr Leben ihm nicht aus. Er ist zu heilig,
als dass er mit ihrer Liebe zur Sünde vereinbar wäre;
seine Ansprüche sind zu streng, als dass ihre selbstsüchtigen
Herzen ihnen zustimmen würden; die Bedingungen seiner Jüngerschaft
sind zu hart, als dass sie zu ihren fleischlichen Wegen passen
würden. Sie wollen sich nicht seiner Herrschaft ergeben.
Das gilt für jeden von uns, bis Gott ein Wunder der Gnade
an unseren Herzen wirkt.
Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen!
Und ich werde euch Ruhe geben (Mt 11,28).
Hier lädt der mitfühlende Heiland in seiner Gnade
eine besondere Klasse von Sündern ein. Das alle
in diesem Aufruf wird in den darauffolgenden Worten sofort,
eindeutig und ausdrücklich eingeschränkt: Es bezieht
sich auf die Mühseligen und Beladenen
und gilt daher nicht für die Mehrheit der unbekümmerten,
ausgelassenen und spaßsüchtigen Leute von heute,
denen nichts an Gottes Ehre liegt und die sich über ihr
Schicksal in der Ewigkeit keine Sorgen machen. Nein, Gottes
Botschaft an solche bedauernswerten Geschöpfe lautet vielmehr:
Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und dein
Herz mache dich fröhlich in den Tagen deiner Jugendzeit!
Und lebe nach dem, was dein Herz wünscht und wonach deine
Augen ausschauen! Doch wisse, dass um all dieser Dinge willen
Gott dich zur Rechenschaft ziehen wird! (Pred 11,9). Doch
zu jenen, die mühselig und erschöpft sind
von ihren vergeblichen Bemühungen, das Gesetz zu halten
und Gott zu gefallen, die beladen und belastet sind,
weil sie ihre völlige Unfähigkeit erkennen, Gottes
Anforderungen zu erfüllen, und die sich danach sehnen,
von der Macht und der Verunreinigung der Sünde befreit
zu werden, zu denen sagt der Herr Jesus: Kommt her zu
mir, und ich werde euch Ruhe geben.
Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der
mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am
letzten Tag. (Joh 6,44).
Dieser Vers sagt uns, dass zu Christus kommen
nicht so einfach ist, wie viele meinen, und nicht so simpel,
wie die meisten Prediger es heute präsentieren. Nein, der
fleischgewordene Sohn Gottes erklärt, dass es für
einen gefallenen und von der Sünde verdorbenen Menschen
völlig unmöglich ist, es sei denn, Gottes Macht wird
an ihm wirksam. Das ist eine Aussage, die zutiefst demütigt,
dem Fleisch zuwider ist und den Menschen erniedrigt. Zu
Christus kommen ist etwas ganz, ganz anderes als das Heben
der Hand, damit ein protestantischer Priester für
einen betet, als nach vorn zu gehen und die Hand
eines Schnellverfahren-Evangelisten zu greifen, eine Entscheidungskarte
zu unterschreiben, sich einer Gemeinde anzuschließen oder
einer von vielen anderen der vielen Künste
des Menschen (Pred 7,29) zu folgen. Bevor irgendjemand zu Christus
kommen kann oder will, muss sein Verstand auf übernatürliche
Weise erleuchtet, sein Herz auf übernatürliche Weise
verändert und sein störrischer Wille auf übernatürliche
Weise zerbrochen werden.
Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und
wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen
(Joh 6,37).
Auch dieser Vers ist unangenehm für die fleischliche
Gesinnung, aber für das vom Heiligen Geist belehrte Kind
Gottes ist er eine kostbare Aussage. Hier wird die gepriesene
Wahrheit der bedingungslosen Erwählung gelehrt bzw. die
unterscheidende Gnade Gottes. Dieser Vers spricht von einem
auserwählten Volk, für das der Vater seinen Sohn gab,
und erklärt, dass jeder dieser glückseligen Erwählten
zu Christus kommen wird: Nichts wird sie davon abhalten können,
weder die Auswirkungen ihres sündigen Zustands in Adam,
noch die Macht der innewohnenden Sünde, weder der Hass
und die unermüdlichen Listen des Teufels, noch die trügerischen
Verirrungen von geistlich blinden Predigern. Wenn die von Gott
bestimmte Stunde gekommen ist, wird jeder seiner Erwählten
aus der Macht der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes
seiner Liebe versetzt. Der Vers erklärt, dass ein jeder
von diesen Erwählten, der zu Christus kommt - so unwürdig
und niedrig er an sich auch sein mag, so schwarz und schrecklich
die lange Liste seiner Sünden auch sein mag -, auf keinen
Fall von Christus verachtet oder nicht angenommen werden wird,
und unter keinen Umständen wird Christus ihn jemals aufgeben.
Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater
und die Mutter und die Frau und die Kinder und die Brüder
und die Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann
er nicht mein Jünger sein; und wer nicht sein Kreuz trägt
und mir nachkommt, kann nicht mein Jünger sein (Lk
14,26.27).
Hier erklärt der Herr Jesus die Bedingungen, zu denen
er bereit ist, Sünder anzunehmen. Er legt die kompromisslosen
Anforderungen seiner Heiligkeit dar. Er muss als Herr über
alles gekrönt werden, denn sonst wäre er überhaupt
nicht der persönliche Herr. Das Herz muss allem entsagen,
was seine Vorrangstellung streitig machen könnte. Christus
duldet keinen Konkurrenten. Alles, was zum Fleisch gehört
- sei es ein geliebter Angehöriger oder das eigene Ich
- muss gehasst werden. Das Kreuz ist das Kennzeichen der Jüngerschaft
Jesu: kein goldenes Kreuz an einer Kette um den Hals, sondern
das im Herzen regierende Prinzip der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung.
Wie offensichtlich ist es daher, dass ein vollmächtiges,
übernatürliches Werk der Gnade Gottes am Herz des
Menschen stattfinden muss, damit ein Mensch auch nur wünscht,
diese Anforderungen zu erfüllen!
... Zu ihm kommend als zu einem lebendigen Stein, von
Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar
(1Petr 2,4).
Hier lernen wir, dass der Christ so fortfahren muss, wie er
begonnen hat. Zu ihm kommend ist fortwährende
Gegenwart. Wir kommen nicht ein für allemal zu Christus,
sondern immer wieder Tag für Tag. Christus ist der einzige,
der unsere Bedürfnisse stillen kann, und wir müssen
uns ständig an ihn wenden, um von ihm zu bekommen, was
wir brauchen. Wir müssen unsere eigene Leere erkennen,
um aus seiner Fülle zu empfangen (Joh 1,16).
In unserer Schwäche müssen wir seine Kraft von ihm
erbeten. In unserer Unwissenheit brauchen wir immer wieder seine
Reinigung. Alles, was wir in Zeit und Ewigkeit brauchen, ist
in ihm in Fülle vorhanden: Erquickung, wenn wir müde
sind (Jes 40,3 1), Heilung des Leibes, wenn wir krank sind (2Mo
15,26), Trost, wenn wir traurig sind (1Petr 5,7), Errettung,
wenn wir versucht werden (Hebr 2,18). Wenn wir von ihm abgewichen
sind, unsere erste Liebe verlassen haben, dann ist das Heilmittel:
Tue Buße und tue die ersten Werke (Offb 2,5),
d.h. uns erneut auf ihn zu werfen, so wie beim ersten Mal, als
wir zu ihm kamen - als unwürdige, bußfertige Sünder,
die seine Gnade und Vergebung suchen.
Daher kann er die auch völlig erretten, die sich
durch ihn Gott nahen, weil er immer lebt, um sich für sie
zu verwenden (Hebr 7,25).
Dieser Vers versichert die ewige Heilssicherheit für
die, die wahrhaft zu Christus gekommen sind. Christus rettet
völlig oder bis aufs Äußerste,
und zwar jene, die durch ihn zu Gott kommen. Er denkt nicht
heute so und morgen anders, sondern er ist derselbe gestern,
heute und in Ewigkeit (Hebr 13,8). Da er die Seinen,
die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans
Ende (Joh 13,1). Das stellt er segensreich unter Beweis,
weil er immer lebt, um sich für sie zu verwenden.
Da seine Gebete immer wirksam sind - denn er erklärt, dass
der Vater ihn allezeit erhört (Joh 11,42) -
wird niemand jemals verderben, dessen Name unauslöschlich
auf das Herz unseres Hohenpriesters eingeschrieben ist, wie
einst die Namen der Söhne Israels auf das Brustschild des
Hohenpriesters (2Mo 28,21.29)!
(Kapitel 6)
Zu Christus kommen: Hindernisse
Unter dieser Überschrift versuchen wir zu zeigen, warum
der natürliche Mensch unfähig ist, zu Christus zu
kommen. Als Ausgangspunkt wollen wir nochmals Johannes 6,44
anführen: Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht
der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht. Das ist deshalb
auch für Tausende bekennender Christen eine harte
Rede (Joh 6,60), weil sie nicht einsehen, zu welch schrecklicher
Verderbnis der Sündenfall führte. Außerdem ist
zu befürchten, dass vielen Christen die Plage ihres
Herzens (1Kö 8,38) fremd ist. Gewiss, wenn der Heilige
Geist sie jemals aus dem Schlaf des geistlichen Todes erweckt
und ihnen Licht gegeben hat, damit sie ihren entsetzlichen natürlichen
Zustand erkennen, und wenn sie zur Erkenntnis geführt wurden,
dass ihre Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott
ist (Röm 8,7), dann werden sie nicht gegen diese erhabene
Aussage Christi murren. Aber geistlich Tote können weder
geistlich sehen noch erkennen.
Worin besteht die völlige Hilflosigkeit des natürlichen
Menschen?
Es scheitert nicht an fehlenden Fähigkeiten
An den notwendigen Fähigkeiten fehlt es dem natürlichen
Menschen nicht. Daran muss man eindeutig festhalten, denn andernfalls
wäre der gefallene Sünder kein verantwortliches Geschöpf
mehr. So schrecklich die Folgen des Sündenfalls auch sind,
so haben sie den Menschen doch keiner Fähigkeit beraubt,
mit denen Gott ihn ursprünglich ausgestattet hat. Der Sündenfall
hat dem Menschen alle Kraft genommen, diese Fähigkeiten
richtig einzusetzen, d.h. sie zur Ehre seines Schöpfers
zu gebrauchen. Dennoch besitzt der gefallene Mensch genau dieselbe
dreifache Natur aus Geist, Seele und Leib wie vor dem Eklat
von Eden. Kein Bestandteil des Menschen wurde ausgelöscht,
obwohl jeder Bereich durch die Sünde verunreinigt und verdorben
wurde. Ja, der Mensch starb einen geistlichen Tod, aber Tod
bedeutet nicht Auslöschung der Existenz, sondern Trennung;
der geistliche Tod ist die Trennung und Entfremdung von Gott
(Eph 4,18): der geistlich Tote ist sehr wohl lebendig und aktiv,
wenn es um den Dienst für den Teufel geht.
Die Hilflosigkeit des gefallenen Menschen beruht nicht auf
einem körperlichen oder geistigen Schaden. Er hat dieselben
Füße, die ihn an einen Ort bringen können, wo
das Evangelium verkündet wird, oder auch zu einer eitlen
Vergnügungsstätte. Er hat dieselben Augen, mit denen
er die Bibel oder auch weltliche Zeitungen lesen kann. Er hat
dieselbe Zunge und Stimme, um Gott anzurufen, die er zu eitlem
Geschwätz oder törichtem Gesang gebraucht. Er verfügt
auch über denselben Verstand, um über die Dinge Gottes
und die Ewigkeit nachzudenken, den er nun so fleißig für
seine eigenen Geschäfte einsetzt. Das ist der Grund, weshalb
der Sünder ohne Entschuldigung ist. Der Missbrauch
der Fähigkeiten, die der Schöpfer ihm verliehen hat,
steigert die Schuld des Menschen. Möge doch jeder Diener
des Wortes Gottes darauf achten, dass dies den unerretteten
Zuhörern beständig aufs Herz gelegt wird.
Das Problem ist die Natur des Menschen
Wenn wir den Sitz des geistlichen Unvermögens des Menschen
finden wollen, müssen wir tiefer graben. Seine Hilflosigkeit
ist in seiner verdorbenen Natur begründet. Durch die Ursünde
Adams und durch unsere eigene Sünde ist unsere Natur so
verkommen und verdorben, dass kein Mensch imstande ist, zu Christus
zu kommen, ihn zu lieben und ihm zu dienen, ihn höher zu
achten als die ganze Welt zusammen und sich seiner Herrschaft
zu unterwerfen, solange nicht der Geist Gottes ihn erneuert
und ihm eine neue Natur verleiht. Eine bittere Quelle kann kein
süßes Wasser sprudeln, und ein schlechter Baum kann
keine guten Früchte hervorbringen.
Wir möchten das durch eine Veranschaulichung noch deutlicher
machen: Die Natur eines Geiers veranlasst ihn, sich von Aas
zu ernähren; er hat zwar die gleiche körperliche Beschaffenheit
wie ein Huhn, das gesunde Körner pickt, aber er hat kein
Verlangen nach Körnern, sondern nach Aas. Die Sau wälzt
sich aufgrund ihrer Natur im Dreck; sie hat zwar die gleichen
Gliedmaße wie ein Schaf und könnte damit aufs grüne
Gras gehen, aber ihr fehlt die Lust auf frische Weiden. So ist
es mit dem unerretteten Menschen. Er hat dieselben körperlichen
und geistigen Fähigkeiten wie die Wiedergeborenen und könnte
sie für Gott und seinen Dienst einsetzen, aber er hat kein
Verlangen danach.
Und Adam ... zeugte einen Sohn, ihm ähnlich, nach
seinem Bild ... (1Mo 5,3). Welch schrecklichen Kontrast
sehen wir hier zu dem, was wir zwei Verse vorher lesen: An
dem Tag, als Gott Adam schuf, machte er ihn Gott ähnlich.
In der Zwischenzeit war Adam in Sünde gefallen, und ein
gefallener Mensch konnte nur ein gefallenes Kind zeugen und
ihm seine eigene Verdorbenheit vererben. Wie könnte
ein Reiner vom Unreinen kommen? (Hi 14,4). Deshalb erklärt
David: Siehe, in Schuld bin ich geboren, und in Sünde
hat mich meine Mutter empfangen (Psalm 51,7). Obwohl die
Gnade Gottes ihn zum Mann nach dem Herzen Gottes
machte, war David von Natur aus - so wie wir - voller Unreinigkeit
und Sünde. Wie frühzeitig tritt diese verdorbene Natur
schon bei einem kleinen Kind zutage! Selbst ein Knabe
gibt sich durch seine Handlungen zu erkennen (Spr 20,11):
die böse Neigung seines Herzens wird bald offenbar - Stolz,
Eigenwille, Eitelkeit, Lüge, Widerstreben gegen Gutes:
das sind die bitteren Früchte, die schon bald an dem noch
zarten, aber dennoch verdorbenen Zweig auftauchen.
Der natürliche Verstand ist verdorben
Die Unfähigkeit des natürlichen Menschen, zu Christus
zu kommen, beruht auf seinem völlig verfinsterten Verstand.
Dieses wichtigste Werkzeug der Seele ist seiner ursprünglichen
Herrlichkeit beraubt und vollkommen von Verwirrung bedeckt.
Sowohl der Verstand als auch das Gewissen sind verunreinigt:
Da ist keiner, der verständig ist (Röm
3,11). Paulus erinnerte die Gläubigen ernstlich: Einst
wart ihr Finsternis (Eph 5,8), nicht nur in Finsternis
sondern selber Finsternis. Thomas Boston schrieb 1680:
Die Sünde hat die Fenster der Seele geschlossen; in ihrem
ganzen Reich herrscht Finsternis. Sie ist das Land des Dunkels
und des Todesschattens, wo das Licht wie Finsternis ist. Dort
regiert der Fürst der Finsternis, und nichts wird dort
entworfen als die Werke der Finsternis. Wir werden geistlich
blind geboren und können ohne ein Wunder der Gnade nicht
geheilt werden. Das ist dein Zustand, wer immer du bist, wenn
du nicht von neuem geboren wurdest.
Weise sind sie, Böses zu tun; aber Gutes zu tun,
verstehen sie nicht (Jer 4,22). Die Gesinnung des
Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz
Gottes nicht untertan, denn sie kann das auch nicht (Röm
8,7). Der natürliche Mensch widerstrebt geistlichen Dingen
und ist ihnen abgeneigt. Gott hat Sündern seinen Willen
geoffenbart und den Weg der Errettung gezeigt, doch sie wollen
nicht darauf gehen. Sie hören, dass allein Christus retten
kann, aber sie weigern sich, sich von den Dingen zu trennen,
die sie daran hindern, zu ihm zu kommen. Sie hören, dass
es die Sünde ist, die die Seele umbringt, und doch umhegen
sie die Sünde in ihrer Brust. Sie achten nicht auf die
Warnungen Gottes. Die Menschen glauben, dass Feuer schmerzt
und brennt und wollen es um jeden Preis vermeiden, doch durch
ihr Verhalten zeigen sie, dass sie das ewige Höllenfeuer
als bloße Vogelscheuche abtun. Die Gebote Gottes sind
heilig, gerecht und gut, aber der Mensch hasst sie
und hält sich nur soweit daran, wie es seiner Anerkennung
bei den Menschen dient.
Die natürlichen Zuneigungen sind verdorben
Das Unvermögen des natürlichen Menschen, zu Christus
zu kommen, beruht auf der völligen Verdorbenheit seiner
Zuneigungen. Charles Spurgeon sagte in einer Predigt über
Johannes 6,44 (Nr. 182):
Bevor der Mensch die Gnade Gottes empfängt, liebt er
von sich aus alles andere als geistliche Dinge. Wenn ihr das
prüfen wollt, schaut euch nur um. Man braucht kein Denkmal
an die Verdorbenheit der menschlichen Zuneigungen. Blickt irgendwo
hin - es gibt keine Straße, kein Haus, nein, kein Herz,
wo wir nicht die traurigen Beweise für diese furchtbare
Wahrheit aufgeprägt finden. Warum ist es so, dass die Menschen
sich am Tag des Herrn nicht allesamt im Haus Gottes einfinden?
Warum trifft man uns nicht regelmäßiger beim Bibellesen
an? Wie kommt es, dass Gebet eine nahezu durchgängig vernachlässigte
Pflicht ist? Warum wird der Herr Jesus so wenig geliebt? Warum
haben sogar seine angeblichen Anhänger nur so kühle
Zuneigungen zu ihm? Woher kommen diese Dinge? Gewiss können
wir sie auf keine andere Ursache zurückführen als
diese: die Verkommenheit und Verdorbenheit der Zuneigungen.
Wir lieben das, was wir hassen sollten, und wir hassen das,
was wir lieben sollten. Es liegt an der menschlichen Natur,
an der gefallenen menschlichen Natur, dass der Mensch das jetzige
Leben mehr liebt als das künftige. Es sind die Folgen des
Sündenfalls, dass der Mensch die Sünde mehr liebt
als Gerechtigkeit und die Wege dieser Welt mehr als die Wege
Gottes.
Die Zuneigungen des natürlichen Menschen sind völlig
verdorben und verstimmt. Trügerisch ist das Herz,
mehr als alles, und unheilbar ist es (Jer 17,9). Der Herr
Jesus bestätigte deutlich, dass die Zuneigungen des gefallenen
Menschen die Mutter aller Gräuel sind: Von innen
aus dem Herzen der Menschen kommen die bösen Gedanken hervor:
Unzucht, Dieberei, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, Arglist,
Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut, Torheit
(Mk 7,21.22). Thomas Boston schrieb (in Fourfold State):
Die Zuneigungen des natürlichen Menschen sind erbärmlich
entstellt; geistlich gesehen ist er ein Monster. Sein Herz ist
dort, wo seine Füße sein sollten: auf die Erde fixiert;
seine Ferse hingegen ist zum Tritt gegen den Himmel gerichtet,
wo sein Herz sein sollte (Apg 9,5). Sein Angesicht ist der Hölle
zugewandt, sein Rücken dem Himmel zugekehrt, und deshalb
ruft Gott ihn auf, umzukehren. Er freut sich über das,
was er bedauern sollte, und bedauert das, worüber er sich
freuen sollte. Seine Ehre ist in seiner Schande, und er schämt
sich seiner Ehre; er verabscheut, was er ersehnen sollte und
ersehnt, was er verabscheuen sollte (Spr 2,13-15).
Der natürliche Wille ist verdorben
Die Unfähigkeit des natürlichen Menschen, zu Christus
zu kommen, ist in der völligen Verdorbenheit seines Willens
begründet. Spurgeon sagte darüber:
Der Arminianer sagt: Wenn der Mensch will, kann er errettet
werden. Wir antworten: Werter Herr, das glauben
wir alle; das Problem ist nur: der Mensch will nicht. Wir behaupten,
dass kein Mensch zu Christus kommen will, wenn er nicht zu ihm
gezogen wird. Das behaupten wir nicht nur, sondern Christus
selbst sagt es: Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr
Leben habt (Joh 5,40); und solange dieses Ihr wollt
nicht in der Schrift steht, werden wir an keine andere
Lehre vom freien Willen des Menschen glauben. Es
ist seltsam: Wenn die Leute über den freien Willen reden,
sprechen sie über etwas, was sie überhaupt nicht verstehen.
Nein, sagt der eine, ich glaube, dass der
Mensch errettet werden kann, wenn er will. Aber das steht
überhaupt nicht zur Debatte. Die Frage ist: Kann der Mensch
von Natur aus überhaupt wollen, sich den demütigenden
Bedingungen des Evangeliums zu unterwerfen? Wir erklären
auf Grundlage der Autorität der Bibel, dass der Wille des
Menschen derart auf Unheil ausgerichtet, dermaßen verdorben
und so sehr zu allen Übeltaten bereit und so sehr allem
Guten abgeneigt ist, dass ohne die mächtige, übernatürliche
und unwiderstehliche Einflussnahme des Heiligen Geistes kein
Mensch jemals zu Christus gezogen wird.
Und Thomas Boston schrieb:
Hier haben wir eine dreifache Schnur gegen den Himmel und
gegen Heiligkeit, die nicht so einfach aufzulösen ist:
ein blinder Verstand, ein verdorbener Wille und üble, verstimmte
Zuneigungen. Der Verstand ist aufgedunsen von Selbsteinbildung
und redet dem Menschen ein, er solle sich nicht erniedrigen;
und auch die verdrehten Zuneigungen, die sich gegen den Herrn
erheben und den verdorbenen Willen verteidigen, halten ihn davon
ab. So geht das arme Geschöpf gegen Gott und seine Güte
an, bis ein Tag der Macht kommt, an dem dieser Mensch zu einer
neuen Schöpfung gemacht wird.
Vielleicht sagen einige Leser: Eine solche Lehre ist darauf
ausgelegt, Sünder zu entmutigen und sie in Verzweiflung
zu treiben. Darauf antworten wir: Erstens entspricht diese Lehre
dem Wort Gottes! Zweitens ist es sehr zu wünschen, dass
Gott dieses Buch dazu benutzen möchte, einige zum Verzweifeln
an sich selbst zu bringen. Drittens wird dadurch deutlich, wie
absolut notwendig es ist, dass der Heilige Geist an solchen
verdorbenen und geistlich hilflosen Kreaturen wirkt, wenn sie
jemals zu Christus kommen und errettet werden sollen. Und wer
diese Wahrheiten nicht klar versteht, wird niemals echt und
ernsthaft Christi Hilfe suchen!
Manche Seelen sind sehr bedrückt und bestürzt und
möchten genau wissen, was es bedeutet, zu Christus zu kommen.
Sie haben diesen Ausdruck oft gehört und davon gelesen,
und vielleicht haben viele Christen sie aufgefordert, zu ihm
zu kommen, allerdings ohne eine biblische Erklärung, was
das bedeutet. Solche Seelen sind womöglich vom Heiligen
Geist erweckt, haben ihren schrecklichen Zustand erkannt, wurden
von ihrer anmaßenden lebenslangen Rebellion gegen Gott
überführt und zur Erkenntnis gebracht, dass sie dringend
Christus brauchen. Sie sehnen sich wahrhaft, zu ihm zu kommen
und errettet zu werden, haben jedoch festgestellt, dass dies
etwas ist, was ihre Kräfte übersteigt. Sie rufen verzweifelt:
O, dass ich doch wüsste, wo ich ihn finden könnte!
Dass ich doch zu seiner Stätte kommen könnte!
(Hi 23,3). Es gibt nicht viele, die eine solche Erfahrung durchleben,
denn Gottes Volk ist eine kleine Herde (Lk 12,32).
Die große Mehrheit der bekennenden Christenheit behauptet,
dass sie es sehr einfach fanden, zu Christus zu kommen. Doch
im klaren Licht von Johannes 6,44 müssen wir versichern:
Wenn Sie, lieber Leser, es einfach fanden, zu Christus zu kommen,
ist das ein Indiz, dass sie noch gar nicht wirklich in geistlicher
und rettender Weise zu ihm gekommen sind.
Was aber bedeutet dann zu Christus kommen?
Erstens - im negativen Sinne - ist es keine Handlung, die
wir irgendwie mit unserem Körper vollziehen. Das ist so
offensichtlich, dass es überflüssig sein sollte, es
überhaupt zu erwähnen. Doch in dieser schrecklichen
Zeit der geistlichen Unwissenheit und fleischlicher Verdrehung
der heiligen Dinge Gottes ist es tatsächlich nötig,
die elementarsten Wahrheiten und Begriffe zu erklären.
Wenn so viele kostbare Seelen irregeleitet worden sind und glauben,
dass ein Gang nach vorn zu einem Übergabegebet
oder einem Bußruf oder das Ergreifen der Hand
eines Evangelisten dasselbe sei wie zu Christus zu kommen, halten
wir es dringend für notwendig, sowohl dieses geistliche
Ereignis klar zu definieren als auch herauszustellen, was dieser
Ausdruck nicht bedeutet.
Zweitens ist das Wort kommen in diesem Zusammenhang
bildhaft gemeint. Es ist ein Ausdruck, der sich normalerweise
auf den natürlichen Bereich des Körpers bezieht, hier
jedoch auf die Seele angewendet wird, um diesen Vorgang zu beschreiben.
Zu Christus kommen beschreibt die Bewegung eines
vom Heiligen Geist erleuchteten Verstandes hin zum Herrn Jesus
- zu ihm als Prophet, um von ihm das Wort Gottes zu hören;
zu ihm als Priester, auf dessen Sühnopfer und Fürsprache
vertraut werden kann, und zu ihm als König, um sich von
ihm beherrschen zu lassen. Zu Christus kommen bedeutet, der
Welt den Rücken zu kehren und sich ihm als unsere einzige
Hoffnung und Freude zuzuwenden. Es ist ein Aufgeben von sich
selbst, das Ende alles Vertrauens auf sich selbst. Es ist das
Aufgeben jedes Götzen und aller anderen Abhängigkeiten.
Das Herz erstreckt sich zu ihm in liebender Unterwerfung und
vertrauensvoller Zuversicht. Der Wille unterwirft sich ihm als
Herrn und ist bereit, sein Joch auf sich zu nehmen und ihm ohne
Vorbehalte zu folgen. Beim Kommen zu Christus bewirkt
die Gnade Gottes, dass sich die ganze Seele zum ganzen Christus
hinwendet: Verstand, Herz und Wille werden durch übernatürliche
Kraft zu ihm gezogen und dazu gebracht, ihm zu vertrauen, ihn
zu lieben und ihm zu dienen. Matthew Henry schrieb:
Es ist die Pflicht und das Interesse von geplagten und schwer
beladenen Sündern, zu Christus zu kommen und allem zu entsagen,
was in Opposition oder Wettstreit zu ihm steht. Wir müssen
ihn als unseren Arzt und Anwalt annehmen und uns seiner Führung
und Regierung hingeben und bereit sein, uns von ihm auf seine
Weise und zu seinen Bedingungen retten zu lassen.
Bevor wir fortfahren, möchten wir jeden Leser ernstlich
bitten, sich selbst zu prüfen. Nehmen Sie nichts als selbstverständlich
hin: Wenn Ihnen etwas an Ihrer Seele liegt, suchen Sie Gottes
Hilfe, um sicher zu gehen, dass Sie wirklich zu Christus gekommen
sind.
Der Christus des Papstes ist ein Christus aus
Holz, und der Christus falscher Prediger ist ein
Christus aus Worten, aber Jesus Christus, unser Herr, ist der
starke Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens
(Jes 9,6). Der Christus Gottes erfüllt Himmel und Erde:
Er ist der Eine, durch Dinge geworden sind und bestehen. Er
sitzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und hat
alle Gewalt, Herrschaft und Macht. Er ist höher als alle
Himmel geworden und ihm sind alle Fürstentümer und
Gewalten unterworfen. Vor seiner Gegenwart werden sowohl die
Erde als auch die Himmel fliehen. Ein solcher Christus darf
von sündigen Menschen weder verkauft noch verschenkt, weder
angeboten noch verhökert werden. Er ist die unaussprechliche
Gabe des Vaters für alle, die zum ewigen Leben verordnet
sind (Apg 13,48), und für niemand sonst. Dieser Christus,
diese Gabe des Vaters, wird den Erben des Heils auf übernatürliche
Weise durch den Heiligen Geist geoffenbart und auf sie angewendet,
wann, wo und wie immer es ihm gefällt - und nicht wann,
wo und wie immer es den Menschen gefällt.
Im vorigen Kapitel haben wir uns länger mit der Aussage
Jesu aus Johannes 6,44 beschäftigt: Niemand kann
zu mir kommen, und haben damit versucht, das geistliche
Unvermögen des gefallenen Menschen aufzuzeigen und warum
der natürliche Mensch unfähig ist, in geistlicher
und rettender Weise zu Christus zu kommen. Nun möchten
wir den zweiten Teil dieses Satzes betrachten: ... wenn
nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht. Worin
besteht dieses Ziehen? Erstens: So wie das zu
Christus Kommen keine körperliche Handlung ist, so
bedarf dieses göttliche Ziehen keiner äußeren
Kraft. Zweitens: Es ist ein vollmächtiger Impuls, der durch
den Heiligen Geist in den Erwählten bewirkt wird. Dadurch
wird ihr angeborenes Unvermögen zu geistlichen Handlungen
überwunden und die Kraft dazu verliehen. Dieses übernatürliche
und vollmächtige Wirken des Heiligen Geistes an der Seele
ist es, das den Menschen befähigt und veranlasst, zu Christus
zu kommen. Das führt uns zu unserem nächsten Kapitel.
(Kapitel 7)
Zu Christus kommen: mit dem
Verstand
Eine Erkenntnis Christi ist die Voraussetzung.
Was man nicht kennt, dahin kann man nicht gezielt kommen.
Niemand kann ein Gebot befolgen, wenn er nicht die Aussagen
dieses Gebotes kennt. Ein Stütze muss erkannt werden, bevor
man sich darauf stützen kann. Wenn wir jemanden vertrauen
wollen, müssen wir zunächst mit ihm vertraut werden.
Dieses Prinzip ist so offensichtlich, dass sich jede weitere
Argumentation erübrigt. Nun wollen wir es auf unser Thema
anwenden: Die Erkenntnis Christi muss notwendigerweise dem Glauben
an ihn oder dem Kommen zu ihm vorausgehen. Wie aber sollen
sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben?
(Röm 10,14). Wer Gott naht [zu ihm kommt], muss glauben,
dass er ist und denen, die ihn suchen, ein Belohner sein wird.
(Hebr 11,6). Niemand kann zu Christus kommen, der Christus nicht
kennt. Wie in der alten Schöpfung, so ist es auch in der
neuen: Gott spricht zuerst: Es werde Licht.
Diese Erkenntnis erlangt der Verstand durch die Heilige Schrift.
Wir können nichts über Christus wissen, als das,
was Gott über ihn im Wort der Wahrheit geoffenbart hat.
Dort allein kann die wahre Lehre des Christus (2Jo
9) gefunden werden. Deshalb hat unser Herr befohlen: Suchet
in der Schrift ... (Joh 5,39). Er tadelte die beiden Emmaus-Jünger
dafür, dass sie zu träge waren, an
alles zu glauben, was die Propheten geredet haben! und
von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte
er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf (Lk 24,25.27).
Das Wort Gottes wird auch als das Wort des Christus
(Kol 3,16) bezeichnet, weil er der Inhalt der Heiligen Schrift
ist. Wo die Bibel unbekannt ist, dort ist auch Christus unbekannt.
Das ist ein klarer Beweis, dass keine Erkenntnis seiner Person
erlangt werden kann ohne das inspirierte Zeugnis der Schrift.
Eine theoretische Erkenntnis Christi reicht nicht aus.
Mit dieser Aussage müssen wir uns etwas länger befassen,
denn hierin herrscht heute eine enorme Unwissenheit. Ein Kopfwissen
über Christus wird sehr oft damit verwechselt, ihn im Herzen
erkannt zu haben. Doch Rechtsgläubigkeit ist nicht Errettung.
Eine fleischliche Meinung von Christus, eine nur intellektuelle
Erkenntnis von ihm, wird niemals einen toten Sünder zu
seinen Füßen bringen. Es muss eine lebendige Erfahrung
geben - Gottes Wort und Gottes Werk müssen in der Seele
zusammenwirken und Erneuerung und Erkenntnis hervorbringen.
In 1. Korinther 13,2 werden wir unmissverständlich gewarnt:
Ich kann die Gabe der Weissagung haben, alle Geheimnisse verstehen
und alle Erkenntnis haben, doch wenn ich keine Liebe habe, bin
ich nichts. So wie ein Blinder durch Mühe und Fleiß
viele Dinge exakt theoretisch oder begrifflich beschreiben kann,
obwohl er sie niemals gesehen hat, so kann sich der natürliche
Mensch durch religiöse Bildung und persönlichen Fleiß
eine lehrmäßig gesunde Erkenntnis der Person und
des Werkes Christi aneignen, ohne im Geringsten geistlich oder
lebendig mit ihm vertraut zu sein.
Nicht jede Art von Erkenntnis - nicht einmal die Erkenntnis
von Gottes Wahrheit und von Christus - ist wirksam und rettend.
Es gibt eine Form der Erkenntnis - genauso wie es eine Form
der Gottseligkeit gibt (2Tim 3,5), der es an Kraft fehlt. Im
Römerbrief wird ein solcher lediglich religiöser Mensch
beschrieben als ein Erzieher der Törichten, ein Lehrer
der Unmündigen, der die Form der Erkenntnis und der Wahrheit
im Gesetz hat (Röm 2,20). Im Zusammenhang geht es
hier um die Juden, die in den Schriften unterwiesen waren und
sich als qualifizierte Lehrer anderer ansahen; aber die Wahrheit
war ihnen vom Heiligen Geist nicht auf ihre Herzen geschrieben.
Eine Form der Erkenntnis bedeutet, dass diese Menschen
in ihren Hirnen die richtige Lehre repräsentierten und
somit frei und fließend über die Dinge Gottes diskutieren
konnten, aber in ihren Seelen fehlte ihnen das göttliche
Leben. Wie viele haben eine Erkenntnis der Errettung, aber keine
Erkenntnis zur Rettung, wie Paulus sie in 2. Timotheus
3,15 unterscheidet. Eine solche rettende Erkenntnis muss der
Seele durch das übernatürliche Wirken des Heiligen
Geistes vermittelt werden.
Sie schreiten fort von Bosheit zu Bosheit, mich aber
erkennen sie nicht, spricht der HERR (Jer 9,2). Über
wen wurde dies gesagt - über die Heiden, die keine schriftliche
Offenbarung Gottes hatten? Nein, über die Israeliten, die
sein Gesetz in ihren Händen hielten, seinen Tempel in ihrer
Mitte hatten und sein Wort aus dem Mund seiner Propheten hörten.
Sie hatten das Vorrecht vieler wunderbarer Manifestationen von
Gottes Majestät, Heiligkeit, Macht und Gnade, doch trotz
ihrer reichen theoretischen Erkenntnis Gottes war er ihnen geistlich
gesehen fremd. So war es, als der Sohn Gottes Mensch wurde.
Auf natürlicher Ebene verfügten sie über so viel
Licht über ihn: Sie waren Zeugen seines vollkommenen Lebens,
sahen seine Wunderwerke, hörten seine unvergleichlichen
Lehren, waren immer wieder in seiner unmittelbaren Gegenwart,
doch obwohl das Licht in der Finsternis schien, hat die
Finsternis es nicht erfasst (Joh 1,5). So ist es auch
heute. Lieber Leser, vielleicht sind Sie ein fleißiger
Bibelleser, sogar mit den alttestamentlichen Schattenbildern
und Prophezeiungen vertraut, glauben alles, was die Schrift
über Christus sagt und vermitteln die biblische Botschaft
an andere weiter, und doch kann es sein, dass Sie ihm geistlich
fremd sind.
Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das
Reich Gottes nicht sehen (Joh 3,3). Das bedeutet, dass
der natürliche Mensch absolut nicht dazu in der Lage ist,
die Dinge Gottes geistlich zu beurteilen. Er kann sie zwar auf
natürliche Weise sehen, er mag sie untersuchen
und sogar theoretisch bewundern, aber er kann sie nicht erfahren
und in lebendiger Weise empfangen.
Da diese Unterscheidung so wichtig und zugleich so wenig
bekannt ist, wollen wir sie zu veranschaulichen versuchen: Stellen
wir uns vor, jemand habe noch nie im Leben Musik gehört.
Andere berichten ihm von der Schönheit und Anmut der Musik,
und so entschließt er sich zu einem sorgfältigen
Studium dieses Themas. Dieser Mensch kann sich tiefgründig
mit der Kunst der Musik vertraut machen, sogar die Regeln der
Harmonielehre studieren und verstehen, aber wie anders ist dies,
als einem großen Orchester zuzuhören - wenn ihm das
zu Ohren kommt, was er vorher nur aus der Theorie kannte! Noch
bedeutender ist der Unterschied zwischen einer natürlichen
und einer geistlichen Erkenntnis göttlicher Dinge.
Paulus erklärte: Wir reden Gottes Weisheit in
einem Geheimnis (1. Korinther 2,7). Er bestätigte
nicht nur, dass Gottes Weisheit an sich ein Geheimnis ist, sondern
dass sie sogar in einem Geheimnis verkündet
wird. Und warum? Weil der natürliche Mensch, auch wenn
er es hört oder sogar theoretisch versteht, doch niemals
das Geheimnis kennen oder begreifen kann, welches die Weisheit
Gottes immer noch ist. Sprüche 9,10 besagt: Die Furcht
des HERRN ist der Weisheit Anfang; und Erkenntnis des allein
Heiligen ist Einsicht. Göttliche Dinge können
nur wirklich verstanden werden durch Erkenntnis des allein
Heiligen. Jeder wahre Christ hat eine Erkenntnis von göttlichen
Dingen, eine persönliche, erfahrungsmäßige,
lebendige Erkenntnis, die kein fleischlicher Mensch besitzen
oder erlangen kann, so fleißig er sie auch studieren mag.
Eine geistliche und übernatürliche Erkenntnis Christi
muss vom Heiligen Geist vermittelt werden
Darum geht es in 1. Johannes 5,20: Wir wissen aber,
dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verständnis gegeben
hat. Die Erkenntnisfähigkeit muss dem erkannten Gegenstand
entsprechen. Der natürliche Verstand kann Christus auf
natürliche Weise erkennen und begreifen, aber bevor wir
Christus geistlich erkennen können, müssen wir erneuert
werden im Geist unserer Gesinnung (nach Eph 4,23). Der
Heilige Geist muss am Verstand ein übernatürliches
Werk der Gnade vollbringen, bevor der Mensch die übernatürliche
und geistliche Person Christi begreifen kann. Das ist die wahre
und rettende Erkenntnis Christi, die die Zuneigungen entzündet,
den Willen heiligt und den Verstand geistlich auf den Fels des
Heils richtet. Diese Erkenntnis Christi ist ewiges Leben
(Joh 17,3). Diese Erkenntnis führt zu Glauben an Christus,
Liebe zu ihm und Unterwerfung unter ihn. Diese Erkenntnis lässt
die Seele wahrhaftig und freudig ausrufen: Wen habe ich
im Himmel? Und außer dir habe ich an nichts Gefallen auf
der Erde (Psalm 73,25).
Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der
mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am
letzten Tag (Joh 6,44). Durch das verborgene und vollmächtige
Wirken des Heiligen Geistes führt der Vater jeden seiner
Erwählten zu einer rettenden Erkenntnis Christi. Diese
Wirkungen des Geistes beginnen damit, dass er den Verstand erleuchtet
und das Denken erneuert. Man beachte aufmerksam die Reihenfolge
in Hesekiel 37,14: Und ich gebe meinen Geist in euch,
dass ihr lebt ... Und ihr werdet erkennen, dass ich, der HERR,
geredet und es getan habe, spricht der HERR. Kein Sünder
kann jemals zu Christus kommen, bevor der Heilige Geist zu ihm
kommt! Und kein Sünder wird in rettender Weise an Christus
glauben, solange der Heilige Geist ihm nicht diesen Glauben
gegeben hat (Eph 2,5; Kol 2,12); und auch dann gilt: Der Glaube
ist zuerst ein Auge, um Christus zu erkennen, bevor er ein Fuß
ist, um Christus zu nahen. Es kann keine Handlung stattfinden,
wenn sie nicht auf ein Objekt ausgerichtet ist, und es kann
keinen Glauben an Christus geben, solange man nicht sieht, dass
Christus herausragend, allgenugsam und für arme Sünder
das rechte Heilmittel ist. Auf dich vertrauen, die deinen
Namen kennen (Ps 9,11) - und nicht: die deinen Namen
kennen sollten. Aber es sei noch einmal gesagt: Diese
Erkenntnis muss geistlich und übernatürlich vom Heiligen
Geist vermittelt sein.
Der Heilige Geist - und nicht nur ein Prediger - muss von
den Dingen Christi nehmen und sie dem Herzen des Sünders
vorstellen. Nur in Gottes Licht sehen wir das Licht
(Psalm 36,10). Dem Sünder müssen zuerst die Augen
aufgetan werden, bevor er sich von der Macht des Teufels zu
Gott bekehrt (Apg 26,18). Das Licht der Sonne sieht man bei
Tagesanbruch zuerst erstrahlen, bevor man seine Wärme spürt.
Nur wer den Sohn mit einem übernatürlich erleuchteten
Verstand sieht, kann geistlich und rettend glauben:
Dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den
Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe (Joh 6,40).
Bevor wir in das Bild des Herrn verwandelt werden, müssen
wir seine Herrlichkeit schauen (2Kor 3,18). Man beachte auch
die Reihenfolge in Römer 3,11: Da ist keiner, der
verständig ist kommt vor da ist keiner, der
Gott sucht. Der Geist Gottes muss mit seinem Licht den
Verstand erleuchten, und dieses Licht gibt dem Verstand das
tatsächliche Bild geistlicher Dinge auf geistliche Weise
zu erkennen und prägt sie auf die Seele auf, so wie der
lichtempfindliche Film in einer Kamera sein Abbild von dem Licht
empfängt, das auf ihn fällt. Das ist die Erweisung
des Geistes und der Kraft (1Kor 2,4).
Wie unterscheidet man diese geistliche und lebendige Erkenntnis
von einer bloß theoretischen und gedanklichen?
Anhand ihrer Auswirkungen. Paulus schrieb an die Thessalonicher:
Denn unser Evangelium erging an euch nicht im Wort allein,
sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großer
Gewissheit (1Thes 1,5). Was das bedeutet, wird im nächsten
Vers erklärt: ... indem ihr das Wort in viel Bedrängnis
mit Freude des Heiligen Geistes aufgenommen habt. Der
Heilige Geist hatte dem Wort Gottes eine Wirksamkeit verliehen,
wie es keine menschliche Logik, Rhetorik oder Überzeugungskraft
vermag. So traf das Wort ins Gewissen und deckte die eiternden
Wunden auf, die die Sünde zugefügt hatte. Es hatte
die Thessalonicher so tief getroffen, dass es bei ihnen Seele
und Geist voneinander schied. Es hatte ihre gute Meinung von
sich selbst erschüttert. Es hatte sie den brennenden, auf
sie gerichteten Zorn Gottes spüren lassen. Es hatte bei
ihnen Bedenken hervorgerufen, ob solche jämmerlichen Kreaturen
wie sie jemals Gnade von einem heiligen Gott erwarten könnten.
Es hatte Glauben bewirkt, sodass sie auf den großen Arzt
der Seelen schauten. Es hatte ihnen eine Freude gegeben, die
diese armselige Welt nicht kennt.
Das Licht, mit dem der Heilige Geist den Verstand erleuchtet,
ist voller Wirksamkeit, wohingegen die Erkenntnis, die durch
bloßes Studium erlangt wird, geistlich unwirksam bleibt.
Ein fleischlicher Mensch mag sich eine theoretische Kenntnis
alles dessen aneignen, was ein geistlicher Mensch in lebendiger
Weise kennt, doch ist er im Hinblick auf die Erkenntnis
unseres Herrn Jesus Christus träge und fruchtleer
(nach 2Petr 1,8). Das Kopfwissen, das heute zahllose bekennende
Christen besitzen, bewirkt bei ihnen ebenso wenig einen gottesfürchtigen
Wandel, wie wenn es im Hirn eines anderen gespeichert wäre.
Das Licht des Heiligen Geistes demütigt und erniedrigt
den Sünder; aber die Erkenntnis, die durch bloße
Bildung und Studium erlangt wird, bläht auf (1Kor 8,1)
und trügt.
Eine geistliche und rettende Erkenntnis Christi bringt die
Seele stets zum Gehorsam aus Liebe. Das Licht Christi leuchtete
erst dann im Herzen von Paulus auf, als er gefragt hatte: Was
soll ich tun, Herr? (Apg 22,10). Den Kolossern erklärte
der Apostel: Das Wort der Wahrheit des Evangeliums, das
zu euch gekommen ist, ... (bringt) Frucht und wächst, wie
auch unter euch von dem Tag an, da ihr es gehört und die
Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt (Kol 1,6). Doch
eine lediglich theoretische Erkenntnis der Wahrheit wird durch
Ungerechtigkeit niederhalten (Röm 1,18). Wer eine
solche Erkenntnis hat, diskutiert und argumentiert gern darüber
und blickt geringschätzig auf alle herab, die nicht so
weise sind wie er. Aber das Leben solcher Menschen ist oft beschämend.
Eine rettende Erkenntnis Christi macht Christus der Seele so
lieb, dass alles andere als Dreck angesehen wird im Vergleich
zu seiner Majestät: Das Licht seiner Herrlichkeit wirft
- wie bei einer totalen Sonnenfinsternis - einen großen
Schatten über die ganze Welt. Doch eine rein lehrmäßige
Erkenntnis Christi bewirkt solches nicht: Damit kann man zwar
lauthals Loblieder singen, doch das Herz giert immer noch nach
den zeitlichen und sinnlichen Dingen.
Der natürliche Mensch kann vielleicht die Wahrheit über
die Dinge Gottes kennen, aber nicht die Dinge an sich. Er kann
den Buchstabensinn der Bibel tiefgründig verstehen, aber
nicht ihren Geist. Er kann über sie in gesunder, rechtgläubiger
Weise diskutieren, aber in keiner anderen Weise als jemand über
Honig und Essig reden kann, der bisher weder die Süßigkeit
des einen noch die Sauerkeit des anderen geschmeckt hat. Es
gibt Hunderte von Predigern, die die richtige Auffassung von
geistlichen Dingen haben, aber die im Wort der Wahrheit enthaltenen
Dinge selber nicht geschmeckt haben: Sie wollen Gesetzeslehrer
sein und verstehen nichts, weder was sie sagen noch was sie
fest behaupten (1Tim 1,7). So wie ein Astronom, der sich
ein Leben lang mit dem Studium der Sterne beschäftigt,
deren Namen, Positionen und unterschiedlichen Größen
kennt, aber von ihnen nicht mehr persönlich beeinflusst
wird als alle anderen Menschen, so ist es auch mit denen, die
die Schrift studieren, aber vom Heiligen Geist nicht auf übernatürliche
und rettende Weise erleuchtet worden sind.
... was des Geistes Gottes ist
Wir hoffen, dass durch die bisherigen Kapitel jedem gläubigen
Leser klar geworden ist, dass das zu Christus Kommen
eines Sünders weder eine körperliche noch eine verstandesmäßige
Handlung ist, sondern vollkommen geistlich und übernatürlich,
und dass diese Handlung nicht aus dem menschlichen Verstand
oder Willen entspringt, sondern aus den verborgenen und vollmächtigen
Wirkungen Gottes, des Heiligen Geistes. Wir sagen jedem
gläubigen Leser, weil wir nicht erwarten dürfen,
dass Unerrettete das wahrnehmen können, was sie nicht persönlich
erfahren haben. In der zweiten Hälfte des vorigen Kapitels
wurde der Unterschied herausgestellt zwischen einerseits einer
gesunden theoretischen Erkenntnis Christi und andererseits einer
lebendigen und umgestaltenden persönlichen Erkenntnis von
ihm. Die fleischliche Gesinnung wird diesen Unterschied nicht
attraktiv finden, sondern ihn verächtlich von sich weisen.
Doch das sollte uns nicht überraschen, nichts anderes wäre
zu erwarten.
Würde dieses Kapitel einem typischen evangelikalen Prediger
oder Bibellehrer vorgelegt und würde er nach seiner aufrichtigen
Meinung dazu gefragt, würde er wahrscheinlich sagen, der
Autor sei entweder dem Mystizismus oder dem Fanatismus
verfallen. So wie die Religionsführer in Jesu Zeit seine
geistlichen Lehren ablehnten, so weigern sich heute die prominenten
und angeblich so bibeltreuen Evangelikalen, die demütigende
und durchdringende Botschaft anzunehmen, die von Jesu Knechten
verkündet wird. Sie würden den Inhalt dieses Buches
verachten. Doch diese Verachtung zeigt nur, wie wahr 1. Korinther
2,14 ist: Ein natürlicher Mensch aber nimmt nicht
an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit.
Der Autor hat persönlich einige sehr gewissenlose Menschen
kennen gelernt - verlogen, unehrlich, skrupellos im Gebrauch
von solchen Taktiken, die selbst bekennende Nichtchristen ablehnen
würden - die aber dennoch begeistert für die göttliche
Inspiration der Bibel, die Gottheit Jesu und die Errettung allein
aus Gnade eintreten. Wir haben persönlich mit Männern
zu tun gehabt, deren Herz voller Begierde und deren Lebenswandel
höchst weltlich war, und die dennoch über Modernismus
und Evolutionsglauben usw. schimpften und treu
die jungfräuliche Geburt Christi und die Sündenvergebung
allein durch Jesu Blut verkündeten. Dass diese Leute natürlich
oder fleischlich sind, d.h. nicht wiedergeboren,
ist offenkundig und unmissverständlich klar, wenn man sie
am unfehlbaren Maßstab der Heiligen Schrift beurteilt:
es wäre nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern sogar
Gotteslästerung, wenn man sagen würde, sie seien von
Gott zu einer neuen Schöpfung gemacht worden.
Dennoch sind die Grundwahrheiten der Bibel für sie keine
Torheiten, sondern sie stimmen ihnen begeistert
zu und treten entschieden dafür ein.
Doch das widerspricht nicht der Aussage von 1. Korinther
2,14, wenn dieser Vers richtig gelesen und verstanden wird.
Man beachte aufmerksam, dass es dort nicht etwa heißt:
Ein natürlicher Mensch nimmt nicht an, was Gottes
ist. Dann stünden Realität und Schrift tatsächlich
im Widerspruch. Doch der Vers sagt, dass ein natürlicher
Mensch das nicht annimmt, was des Geistes Gottes ist,
denn es ist ihm eine Torheit. Und die oben beschriebene
Realität veranschaulicht nur, wie minutiös zutreffend
dieser Vers ist. Das, was Gottes ist, bekennen diese
Männer zu glauben; für das was des Christus
ist, treten sie begeistert ein, aber das, was des
Geistes Gottes ist ist ihnen persönlich fremd. Wenn
ihnen daher das verborgene und übernatürliche Wirken
des Heiligen Geistes auf die Seelen der Erwählten vorgestellt
wird, erschient ihnen das als Torheit, entweder
als Mystizismus oder Fanatismus. Aber das erneuerte Denken reagiert
ganz anders darauf.
Christus in euch
Wenn der Heilige Geist übernatürlich an Gottes Erwählten
wirkt und ihnen Glauben gibt (Kol 2,12), bringt er eine neue
Schöpfung hervor. Errettung durch Glauben kommt zustande,
wenn der Heilige Geist vollmächtig durch das Evangelium
wirkt. Dann gestaltet er Christus in der Seele (Gal 4,19) und
lässt den Gegenstand des Glaubens durch das Auge des Glaubens
zur Seele vordringen. Dabei wird ein echtes Bild
Christi direkt auf die Seele aufgeprägt, die gerade erweckte
wurde und deren Erweckung sie befähigt, Christus zu erkennen.
So wird Christus im Herzen gestaltet, so wie ein
äußerer Gegenstand im Auge abgebildet wird. Wenn
ich sage, dass ich einen bestimmten Gegenstand im Auge
habe, meine ich damit nicht, dass dieser Gegenstand sich
tatsächlich örtlich in meinem Auge befinde - das wäre
unmöglich -, aber er ist als Objekt in meinem Auge, d.h.
ich sehe ihn. Wenn es also heißt, dass Christus
in uns gestaltet wird und dass Christus in uns ist,
die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol 1,27), bedeutet das
nicht, dass er, der leibhaftig zur Rechten Gottes sitzt, örtlich
und substantiell in uns Gestalt annimmt. Nein, es bedeutet vielmehr,
dass Christus, der Inhalt und Gegenstand unseres Glaubens, vom
Heiligen Geist von oben wie Licht hereingelassen wird, sodass
die Seele ihn mit dem Auge des Glaubens sieht, und zwar exakt
so, wie das Wort Gottes ihn präsentiert. So wird Christus
in uns gestaltet; und so wohnt er durch den
Glauben in unseren Herzen (Eph 3,17).
Was wir versucht haben, in diesem Kapitel darzulegen, wird
in der sichtbaren Welt auf wunderbare Weise veranschaulicht.
Es ist tatsächlich verblüffend zu entdecken, wie viele
geistliche Werke Gottes im materiellen Bereich eine bildhafte
Entsprechung haben. Wenn unsere Gesinnung geistlicher wäre
und wenn unsere Augen schärfer Ausschau halten würden,
dann würden wir überall in der sichtbaren Realität
Zeichen und Symbole entdecken. Wenn man an einem sonnigen Tag
in ein klares Gewässer schaut, erblickt man dort sein eigenes
Gesicht in einer Repräsentation, die direkt dem Gesicht
außerhalb des Wassers entspricht. Es handelt sich nicht
um zwei Gesichter, sondern um nur eines, das Original und sein
Abbild. Doch nur ein Gesicht wird gesehen, welches sein eigenes
Bild auf das Wasser wirft. So geschieht es auch mit den Seelen
von Gottes Erwählten: Wir alle aber schauen (wie
in einem Spiegel) mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit
des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit
zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht
(2Kor 3,18). Möge doch sein Bild in uns für andere
sichtbarer werden!
(Kapitel 8)
Zu Christus kommen: mit den
Gefühlen
Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen
(Joh 6,37), erklärte der Herr Jesus. Vor Grundlegung der
Welt gab der Vater Christus die Personen seines Volkes; nun,
bei der Wiedergeburt, gibt er diesen Personen ein Herz für
Christus. Das Herz umfast die Gefühle wie auch
den Verstand. Im vorigen Kapitel stellten wir heraus, dass kein
Mensch zu Christus kommen will oder kann, solange er ihn nicht
kennt; ebenso wahr ist, dass kein Mensch zu Christus kommen
will oder kann, solange seine Gefühle von ihm entfremdet
sind. Beim natürlichen Menschen ist nicht nur der Verstand
in völlige Finsternis verhüllt, sondern sein Herz
ist durch und durch feindlich gegen Gott. Die Gesinnung
des Fleisches ist Feindschaft (und nicht nur in Feindschaft)
gegen Gott (Röm 8,7). Feindschaft ist
mehr als nur ein paar feindliche Gedanken; sie ist der Hass,
der aus den ureigensten Gefühlen kommt. Wenn daher der
Heilige Geist einen Menschen zu einer neuen Natur in Christus
macht, erneuert er nicht nur den Verstand, sondern verändert
grundlegend das Herz.
Wenn Glaube uns einen Blick für geistliche Dinge gibt,
wird das Herz mit Liebe zu diesen geistlichen Dingen erfüllt.
Man beachte die Reihenfolge in Hebräer 11,13, wo im Zusammenhang
mit dem Glauben der Patriarchen an die Verheißungen Gottes
gesagt wird, dass sie von diesen Verheißungen überzeugt
waren und diese willkommen geheißen
haben. Das spricht von ihren innigen Gefühlen für
diese Verheißungen. Wenn der Verstand durch den Heiligen
Geist erneuert wird, wird das Herz mit einer zarten Sehnsucht
zu Christus gezogen. Wenn es dem Heiligen Geist gefällt,
der Seele die wunderbare Liebe Christi zu mir vorzustellen,
dann wird eine Gegenliebe erweckt, die sich daraufhin ihm zuwendet.
Man beachte die Reihenfolge in 1. Johannes 4,16: Und wir
haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott
ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott
bleibt in ihm. Der Apostel stellt die Erkenntnis (nicht
die theoretische, sondern geistliche) dem Glauben voran, und
beides steht vor der Vereinigung und Gemeinschaft mit der Liebe
Gottes. Das Licht und die Erkenntnis Christi und des Himmels,
die wir durch die Überlieferung, Erziehung, vom Hören
oder Lesen haben, erwärmt niemals die Zuneigung, sondern
sie entsteht dann, wenn die Liebe Gottes ausgegossen ist
in unsere Herzen durch den Heiligen Geist (Röm 5,5).
Welch ein Unterschied ist das!
Diese Seite unseres Themas wurde viel zu wenig betont. Das
lässt sich leicht nachweisen, wenn man die Frage erwägt:
Wie kommt es, dass der Vers wer nicht glaubt, wird verdammt
werden (Mk 16,16) hundert Mal öfter von Predigern
und Traktatverfassern zitiert wird als die Aussage: Wenn
jemand den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat, der sei anathema
(d.h. verdammt) (1Kor 16,22)?
Glauben heißt lieben
Wenn wir die Ausgewogenheit der Wahrheit bewahren wollen,
müssen wir sorgfältig beachten, wie der Heilige Geist
das Wort lieben im Neuen Testament anstelle von
glauben verwendet. Betrachten wir dazu die folgenden
Verse: Denen, die Gott lieben (nicht: an ihn glauben),
wirken alle Dinge zum Guten mit (Röm 8,28); ...
was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (nicht: an ihn glauben)
(1Kor 2,9); wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm
erkannt (1Kor 8,3); der Siegeskranz der Gerechtigkeit,
den der Herr, der gerechte Richter, mir als Belohnung geben
wird an jenem Tag: nicht allein aber mir, sondern auch allen,
die sein Erscheinen liebgewonnen haben (2Tim 4,8); ...
den Siegeskranz des Lebens ... den der Herr denen verheißen
hat, die ihn lieben (Jak 1,12); Wer nicht liebt,
hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe (1Jo 4,8).
Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der
mich gesandt hat, ihn zieht (Joh 6,44). Im vorigen Kapitel
haben wir gesehen, dass dieses Ziehen zum Teil darin besteht,
dass der Heilige Geist auf übernatürliche Weise den
Verstand erleuchtet. Es besteht aber auch darin, dass der Heilige
Geist die Zuneigungen zu Christus hinwendet. Er handelt an Sündern
entsprechend ihrer Natur: nicht mit äußerer Gewalteinwirkung,
wie bei störrischen Tieren, sondern durch eine geistliche
Einflussnahme oder Kraft, die ihre inneren Anlagen bewegt: Mit
menschlichen Tauen zog ich sie, mit Seilen der Liebe (Hos
11,4). Der Heilige Geist überzeugt ihr Urteilsvermögen;
zeigt ihnen, dass in Christus unendlich mehr Güte und Segen
ist als in jedem Geschöpf oder in der sündigen Befriedigung
fleischlicher Lüste; er gewinnt ihre Herzen für Christus,
indem er ihnen einen Sinn gibt für Jesu alles überragende
Vorzüglichkeit und seine völlige Genugsamkeit für
alle ihre Bedürfnisse. Für die Gläubigen ist
Christus kostbar (1Petr 2,7) - so kostbar, dass
sie bereit sind, der Welt zu entsagen und sich von allem zu
trennen, damit sie Christus gewinnen (Phil 3,8).
Wie wir in Kapitel 6 ausführlich gezeigt haben, sind
die Gefühle des natürlichen Menschen von Gott entfremdet
und an das Zeitliche und Sinnliche gebunden, sodass der Mensch
nicht zu Christus kommen will. Obwohl Gottes Knechte den Sünder
mit der liebreizenden Musik des Evangeliums locken, verschließt
er sein Ohr wie die Natter. Der Herr veranschaulichte diese
Situation im Gleichnis vom großen Gastmahl: Und
sie fingen alle ohne Ausnahme an, sich zu entschuldigen
(Lk 14,18). Der eine zog sein Landstück vor, der andere
sein Geschäft und ein Dritter sein familiäres Amüsement.
Und nichts weniger als die allmächtige Kraft und Wirksamkeit
des Heiligen Geistes im Herzen kann den Fluch brechen, den Sünde
und Satan über den Menschen gebracht haben, und nur der
Heilige Geist kann sein Herz von vergänglichen Dingen wegwenden
hin zu dem Unvergänglichen. Das tut der Heilige Geist in
Gottes Erwählten durch seine verborgene und unwiderstehliche
Wirksamkeit: Er wirkt an ihnen und zieht sie, indem er ihnen
Christus vorstellt in der Anziehungskraft seiner Person und
den unendlichen Reichtümern seiner Gnade, seine Liebe in
ihre Herzen eingibt und sie dazu bewegt, seine freundlichen
Einladungen und kostbaren Verheißungen zu ergreifen.
Wunderschön vorgebildet ist das in Hohelied 5,4: Mein
Geliebter streckte seine Hand durch die Öffnung (der Tür),
da wurden meine Gefühle für ihn erregt. Hier
sehen wir, dass die Tür des Herzens (Apg 16,14;
Lydia ... deren Herz öffnete der Herr), oder
genauer gesagt, die Tür des Glaubens (Apg 14,27),
noch für Christus verschlossen ist, und die von ihm geliebte
Person ist noch abgeneigt und unwillig, aufzustehen und ihm
zu öffnen (Hl. 5,3). Doch obwohl er nicht willkommen ist,
kann seine Liebe nicht ausgelöscht werden, und so öffnet
er die Tür sanft auch ohne Einladung (aber er bricht die
Tür nicht auf). Seine Hand, die die Tür öffnet,
ist ein Bild seiner wirksamen Gnade, die jedes Hindernis im
Herzen seiner Erwählten beseitigt (vgl. Apg 11,21) und
sie für sich gewinnt. Sein gnädiges Öffnen der
Tür durch seinen Geist wirkt sich darin aus, dass meine
Gefühle für ihn erregt werden (vgl. Jes 63,15;
Phim 12). Die Gedanken dieses Abschnitts verdanken wir dem unvergleichlichen
Kommentar zum Hohenlied von John Gill.
Welch Wunder der Gnade ist geschehen, wenn das Herz wirklich
von der Welt zu Gott gewandt wurde, vom eigenen Ich zu Christus,
von der Liebe zur Sünde zur Liebe zur Heiligkeit! Dann
ist erfüllt, was Gott als neuen Bund verheißen hat:
Ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist
in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus
eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben
(Hes 36,26, vgl. Hebr 8,10). Es gibt keinen Menschen, der das
Geld so sehr liebt, dass er nicht bereit wäre, es abzugeben
für etwas, was wertvoller ist als der Betrag, mit dem er
es erwerben kann. Der natürliche Mensch hält materielle
Dinge für wertvoller als geistliche, aber der Wiedergeborene
liebt Christus mehr als alle anderen Dinge neben ihm, weil er
nämlich zu einer neuen Schöpfung gemacht
worden ist. Es ist eine geistliche Liebe, die das Herz an Christus
bindet.
Die Liebe der Wahrheit
Nicht einfach ein Erkennen der Wahrheit rettet, sondern eine
Liebe der Wahrheit gehört notwendigerweise dazu. Das wird
deutlich aus 2. Thessalonicher 2,10: (Die Ungläubigen
gehen verloren, weil) sie die Liebe der Wahrheit zu ihrer Errettung
nicht angenommen haben. Diese Aussage müssen wir
aufmerksam beachten, weil man ansonsten zu einer falschen Schlussfolgerung
kommen könnte: Es geht nicht um eine Liebe zur Wahrheit,
sondern um die Liebe der Wahrheit. Manche haben erstere, ihnen
fehlt jedoch letztere. Ich habe Zeugen Jehovas kennen gelernt
und mit Christadelphians [++Fußnote: In Dtl. Urchristen,
sie lehnen die Gottheit und Präexistenz Christi ab] im
Zugabteil gesessen, die so manchen wahren Christen beschämen:
Nach einem langen Arbeitstag verbringen sie den ganzen Abend
mit fleißigem Bibelstudium. Das taten sie jedoch nicht,
um ihre Neugier zu befriedigen. Ihr Eifer währte schon
jahrelang. Ihre Bibel war ihnen so lieb, wie einem frommen Katholiken
sein Rosenkranz kostbar ist. Auch sie haben eine natürliche
Liebe zu Christus, eine inbrünstige Hingabe an ihn, die
jedoch nicht aus einem erneuerten Herzen kommt. So wie jemand
in einer frommen katholischen Familie aufwächst und mit
einer tiefen Verehrung und echte Liebe zur Gottesmutter
groß wird, so wächst auch jemand mit einer echten,
aber bloß natürlichen Liebe zu Jesus auf, wenn er
von evangelikalen Eltern erzogen und unterwiesen wird, die ihn
von Klein auf sagen, dass Jesus ihn liebt.
Man kann einen historischen Glauben an alle Lehren der Schrift
haben, ohne dass jemals die Kraft des Evangeliums persönlich
erfahren wird. Man kann einen fleischlichen Eifer für Teile
der Wahrheit Gottes (wie bei den Pharisäern) und doch kein
erneuertes Herz haben. Man kann Freude empfinden beim oberflächlichen
Annehmen des Wortes Gottes (so wie bei denen, die mit dem steinigen
Ackerboden verglichen werden; Mt 13,20), ohne eine Wurzel
der Sache (Hi 19,28) zu haben. Man kann Tränen vergießen
beim Anblick des leidenden Heilands (wie die Frauen, die Christus
auf dem Kreuzweg beweinten; Lk 23,27. 28), und doch kann das
Herz gegenüber Gott hart wie ein Mühlstein sein (Hi
41,16). Man kann sich im Licht der Wahrheit Gottes freuen (wie
Herodes; Mk 6,20), und doch nie der Hölle entkommen sein.
Deshalb besteht ein wichtiger Unterschied zwischen einer
Liebe zur Wahrheit und der Liebe der Wahrheit,
und zwischen einer natürlichen Liebe zu Christus im Gegensatz
zu einer geistlichen Liebe zu ihm. Doch wie kann ich sicher
sein, ob ich die rechte Liebe habe? Wir können wie folgt
zwischen diesen Arten der Liebe unterscheiden:
1.) Die eine Liebe ist teilweise, die andere unumschränkt:
die eine schätzt die Lehren der Schrift, aber nicht die
Pflichten, die dadurch auferlegt werden, liebt die Verheißungen
der Bibel, aber nicht die Gebote, die Segnungen Christi, aber
nicht seine Ansprüche, seinen priesterlichen Dienst, aber
nicht seine königliche Herrschaft - das gilt jedoch nicht
für den, der geistlich liebt.
2.) Die eine Liebe besteht gelegentlich, die andere dauerhaft:
Die eine zieht sich zurück, wenn persönliche Interessen
betroffen sind; die andere tut das nicht.
3.) Die eine Liebe ist unbeständig und schwach, die andere
bleibend und kräftig: die eine vergeht schleunigst, wenn
andere Freuden ihr den Rang streitig machen und dominiert nicht
über die anderen Vorlieben, doch geistliche Liebe regiert
das Herz und ist stark wie der Tod (Hl 8,6).
4.) Natürliche Liebe bessert nicht, doch geistliche Liebe
gestaltet Herz und Leben um.
Auch durch das Wesen des Zurückfallens wird deutlich,
dass ein rettendes zu Christus Kommen darin besteht,
dass die Zuneigungen zu Christus gewendet und auf ihn fixiert
werden: Ein solches Zurückfallen beginnt damit, dass sich
das Herz von Christus entfernt. Man beachte, wie das Zurückfallen
in Offenbarung 2,4 auf die eigentliche Ursache zurückgeführt
wird: Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe
verlassen hast. Ob jemand wirklich und echt zu Christus
umgekehrt ist, kann daran erkannt werden, wie sich der Verstand
auf die Gefühle auswirkt. Ein treffendes Beispiel dafür
ist Petrus, von dem es in Matthäus 26,75 heißt: Und
Petrus gedachte des Wortes Jesu, der gesagt hatte: Ehe der Hahn
kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus
und weinte bitterlich. Dieses Gedenken war
nicht nur ein sachliches Erinnern, sondern ein geistliches Denken
an die erfahrene Gnade: Sein Herz wurde dadurch erweicht. So
ist es stets, wenn der Heilige Geist an uns wirkt und uns erneuert.
Man kann sich an eine frühere Sünde erinnern, ohne
dadurch gebührend gedemütigt zu werden. Man kann des
Todes Jesu in theoretischer und spekulativer Weise gedenken,
ohne dass die Gefühle wirklich bewegt werden. Nur wenn
unser Verstand vom Heiligen Geist erweckt wird, kann das Herz
wirksam bewegt und verändert werden.
(Kapitel 9)
Zu Christus kommen: mit dem
Willen
Die Seele des Menschen umfasst drei hauptsächliche Bestandteile:
den Verstand, die Gefühle und den Willen. Wie bereits gezeigt,
wurden alle drei Bereiche vom Sündenfall radikal in Mitleidenschaft
gezogen: sie wurden verunreinigt und verdorben und dienen folglich
nicht mehr Gott und Christus, sondern dem eigenen Ich und der
Sünde. Doch bei der Wiedergeburt werden Verstand, Gefühl
und Wille vom Heiligen Geist erweckt und gereinigt, zwar nicht
sofort vollkommen, aber grundlegend, und dieser Prozess setzt
sich dann das ganze Leben über in der Heiligung fort und
gipfelt in der Vollkommenheit bei der Verherrlichung. Aufgrund
der Schöpfungsordnung sind diese drei Bereiche einander
untergeordnet, so wie der Schöpfer es vorgesehen hatte.
Jeder der drei Bereiche wird von den anderen zwei beeinflusst.
In 1. Mose 3,6 lesen wir: Und die Frau sah, dass der Baum
gut zur Speise war - der Verstand beurteilt - und
dass er eine Lust für die Augen war - die Gefühle
reagieren - und dass der Baum begehrenswert war, Einsicht
zu geben - der Wille tritt ein; und sie nahm von
seiner Frucht und aß - all das führte schließlich
zur Ausführung der Handlung.
Die Gnade Gottes wirkt über die verstandesmäßige
Wahrnehmung durch den Glaubens; dadurch werden die Gefühle
erwärmt und diese wiederum beeinflussen und bewegen den
Willen. Am rettenden zu Christus Kommen sind alle
drei Bereiche der Seele aktiv beteiligt. Zu Christus kommen
ist unmittelbar eine Handlung des Willens (siehe Joh 5,40),
doch der Wille neigt sich erst dann Christus zu, wenn der Verstand
erleuchtet und die Gefühle erweckt worden sind. Der Heilige
Geist tut folgendes:
1.) Er führt den Sünder zur Erkenntnis, wie dringend
er Christus braucht. Dazu zeigt er ihm, in welch schrecklicher
Rebellion er sich gegen Gott befindet und dass niemand als nur
Christus diese Rebellion sühnen kann.
2.) Er erweckt im Herzen ein Sehnen nach Christus, und zwar
indem er dem Menschen die Sünde überdrüssig macht
und ihm Liebe zur Heiligkeit gibt.
3.) Wenn der Heilige Geist der erweckten und erleuchteten
Seele gegeben hat, die Herrlichkeit und Vorzüglichkeit
Christi zu sehen, und zu erkennen, dass nur Christus dem verlorenen
Sünder retten kann, dann zieht der Heilige Geist den Willen
dahin, Christus den höchsten Wert beizumessen, ihn mehr
als alles andere zu lieben und sich auf ihn einzulassen.
So wie es bei der Planung aus Ausführung der Errettung
eine göttliche Ordnung unter den Personen Gottes gibt,
so gibt es eine solche Ordnung auch bei der Anwendung der Errettung.
Gott, dem Vater, hat es gefallen, die Seinen vor ewigen Zeiten
zum Heil zu erwählen, was der völlig hinlängliche
ursächliche Grund für ihre Errettung ist und in jeder
Hinsicht zum Erfolg führen wird. Es war Gott, der fleischgewordene
Sohn, dessen Gehorsam und Leiden der verdienstliche Grund für
ihre Errettung ist. Nichts kann seinem Werk hinzugefügt
werden. Doch allein genommen rettet weder die Erwählung
des Vater noch die Versöhnung des Sohnes irgendeinen Sünder
in der Realität, außer wenn der Heilige Geist Christus
auf den Sünder anwendet: Sein Werk ist die wirksame und
unmittelbare Ursache ihrer Errettung. Ebenso wird der Sünder
nicht errettet, wenn nur sein Verstand erleuchtet und seine
Gefühle erweckt sind; denn auch der Wille muss bewegt und
dahin gebracht werden, sich Gott zu ergeben und Christus zu
ergreifen.
Die Reihenfolge der Wirkungen des Heiligen Geistes entspricht
den drei großen Ämtern Christi, des Mittlers, als
Prophet, Priester und König:
1.) Als Prophet wird er zuerst vom Verstand erfasst, wenn
die Wahrheit Gottes von seinen Lippen empfangen wird.
2.) Als Priester nimmt ihn Herz und Gefühl des Sünders
an und vertraut ihm, wenn seine glorreiche Person der Seele
vorgestellt und liebgemacht wird durch das Werk der Gnade, das
er für diesen Menschen vollbracht hat.
3.) Als Herrn und König muss sich unsere Wille ihm unterwerfen,
sodass wir seiner Herrschaft untergeordnet sind, uns seinem
Regiment ergeben und seine Gebote halten.
Der Herr Jesus wird sich mit nichts weniger zufrieden geben
als unserem Herzensthron. Um das zu tun, wird der Heilige Geist
unsere fleischlichen Vernunftschlüsse zerstören
und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt,
und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi
(2Kor 10,4-5). Dann werden wir freiwillig und gern sein Joch
auf uns nehmen, dieses Joch, das - wie ein alter Puritaner es
ausdrückte - sanft, da mit Liebe gepolstert.
Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der
mich gesandt hat, ihn zieht (Joh 6,44). Dieses Ziehen
bewirkt der Heilige Geist: erstens, indem er den Verstand erleuchtet;
zweitens, indem er die Gefühle erweckt; drittens, indem
er den Willen von der Knechtschaft der Sünde befreit und
ihn Gott zuneigt. Durch das unwiderstehliche Werk der Gnade
wendet der Heilige Geist die Neigung dieses Willens, die sich
zuvor nur der Sünde und Eitelkeit zuwandte, und kehrt ihn
zu Christus. Dein Volk ist voller Willigkeit am Tage deiner
Macht (Ps 110,3). Doch obgleich Gottes Macht auf einen
Menschen wirken mag, verstößt der Heilige Geist nicht
gegen das Vorrecht des Willens, frei zu handeln: Er überzeugt
ihn moralisch. Er bezwingt die sündige Widerspenstigkeit
des Willens. Er überwindet dessen Voreinstellung und gewinnt
und zieht ihn durch die liebreizende Anziehungskraft der Gnade.
C.H. Spurgeon sagt in einer Predigt über Johannes 6,37:
Gott behandelt den Menschen niemals so, als wäre der
Mensch ein Tier; er zerrt ihn nicht mit Wagenseilen; er behandelt
die Menschen als Menschen; und wenn er sie mit Seilen bindet,
dann sind es Seile der Liebe und menschliche Taue. Ich mag Macht
über den Willen eines anderen ausüben, und dennoch
ist der Wille dieses anderen vollkommen frei, weil der Zwang
ausgeübt wird in einer Art und Weise, die mit den Gesetzen
des menschlichen Denkens übereinstimmt. Wenn ich jemandem
zeige, dass eine bestimmte Handlungsweise vorteilhaft für
ihn ist, wird er sich verpflichtet fühlen, sie zu befolgen,
aber darin ist er vollkommen frei. Würde der Wille eines
Menschen durch einen natürlichen Vorgang unterworfen oder
gebunden - sollte beispielsweise das Herz des Menschen durch
einen chirurgischen Eingriff von ihm genommen und herumgedreht
werden - dann wäre das völlig unvereinbar mit menschlicher
Freiheit, oder sogar mit der menschlichen Natur. Und denken
einige vermutlich, das sei es was wir meinen, wenn wir von der
Unwiderstehlichkeit der göttlichen Gnade sprechen. Doch
wir meinen nichts dergleichen; wir meinen, dass Jehova-Jesus
weiß, wie der ganze Mensch unterworfen werden kann: durch
unwiderstehliche, an den Verstand gerichtete Argumente, durch
mächtige, an die Gefühle appellierende Gründe,
und durch den geheimnisvollen Einfluss des Heiligen Geistes,
der auf alle Kräfte und Leidenschaften der Seele wirkt.
Dann wird, wo einst Rebellion war, Gehorsam sein, wo einst Entschlossenheit
gegen den Allerheiligsten herrschte, der Mensch die Waffen seiner
Rebellion strecken und schreien: Ich ergebe mich! Ich
ergebe mich! Bezwungen von der souveränen Liebe und durch
die Erleuchtung, die du mir erteilt hast, ergebe ich mich deinem
Willen!
Die vollkommene Übereinstimmung zwischen dem freien geistlichen
Handeln eines Wiedergeborenen und der wirksamen Gnade Gottes,
die ihn dorthin bewegt, wird deutlich aus 2. Korinther 8,16.17:
Gott aber sei Dank, der denselben Eifer für euch
in das Herz des Titus gegeben hat; denn er nahm zwar das Zureden
an, doch weil er noch eifriger war, ist er aus eigenem Antrieb
zu euch gegangen. Titus wurde durch die Ermahnung des
Paulus zu diesem Werk bewegt und war aus eigenem Antrieb
willens, es auszuführen; und doch war es Gott, der
denselben Eifer für euch in das Herz des Titus gegeben
hat. Gott beherrscht die inneren Gefühle und Handlungen
des Menschen, ohne dabei ihre Freiheit oder Verantwortung anzurühren.
Der Eifer des Titus entsprang spontan seinem eigenen Herzen
und offenbarte seinen Charakter; dennoch war es Gott, der Titus
dazu brauchte, seinen Wohlgefallen sowohl zu wollen als auch
zu vollbringen (Phil 2,13).
Kein Sünder kommt in rettender Weise zu Christus oder
nimmt ihn wahrhaft im Herzen an, solange nicht sein Wille frei
in die schweren und selbstverleugnenden Bedingungen einwilligt
(und nicht nur theoretisch zustimmt), unter denen Christus ihm
in den Evangelien angeboten wird. Kein Sünder ist bereit,
um Christi willen allem zu entsagen, das Kreuz auf sich zu nehmen
und ihm auf dem Weg des unumschränkten Gehorsams zu folgen,
solange das Herz ihn nicht wahrhaft wertschätzt als den
Schönsten unter Zehntausend. Das wird niemand
tun, dessen Verstand nicht übernatürlich erleuchtet
und dessen Gefühle nicht übernatürlich erweckt
worden sind. Offensichtlich würde sich niemand mit ehelichen
Zuneigungen an eine Person binden, die er nicht für die
beste wählbare hält. Wenn der Heilige Geist uns von
unserer Leere überzeugt und uns Christi Fülle zeigt,
unsere Schuld und seine Gerechtigkeit, unsere Unreinheit und
seine reinigenden Verdienste seines Blutes, unsere Verdorbenheit
und seine Heiligkeit, dann wird das Herz gewonnen und das Widerstreben
des Willens überwunden.
Die heilige und geistliche Wahrheit Gottes findet in der
natürlichen Seele nichts, was ihrer Art entspräche,
sondern nur etwas, was ihr zuwider ist (Joh 15,18; Röm
8,7). Die Forderungen Christi sind zu demütigend für
unseren natürlichen Stolz, zu durchforschend für das
verhärtete Gewissen und zu streng für unsere fleischlichen
Lüste. Ein Wunder der Gnade muss in uns gewirkt werden,
ehe diese schreckliche Verdorbenheit unserer Natur, dieser furchtbare
Zustand der Dinge, geändert wird. Dieses Wunder der Gnade
besteht darin, den Widerstand der innewohnenden Sünde zu
überwinden und die Wünsche und Sehnsüchte auf
Christus hin auszurichten. Dann wird der Wille rufen, wie es
in einem Lied heißt:
Nein - ich ergebe mich, ich ergebe mich
Ich kann keinen Widerstand mehr leisten
Ich sinke dahin, durch Liebe bis zum Tod gedrängt
Und ergreife Dich, den Sieger.
Eine wunderschöne Veranschaulichung dafür findet
sich in Ruth 1,14-18. Naomi, eine zurückgefallene Gläubige,
steht im Begriff, das ferne Land zu verlassen und (im bildhaften
Sinne) ins Vaterhaus zurückzukehren. Ihre zwei Schwiegertöchter
- alle drei Frauen sind verwitwet - möchten gern mit ihr
gehen. Naomi bittet sie verantwortungsbewusst, die Kosten
zu überschlagen (Lk 14,28), anstatt sie zu drängen,
nach ihrem ersten Impuls zu handeln. Sie weist ihre Schwiegertöchter
auf die Schwierigkeiten und Prüfungen hin, die sie erwarten
werden. Für Orpha war das zu viel: Ihre Güte
ist wie die Morgenwolke ist und wie der Tau, der früh verschwindet
(Hos 6,4). So ist es auch bei denen, die mit dem steinigen Ackerboden
verglichen werden und unzähligen anderen. In strahlendem
Gegensatz dazu lesen wir von Ruth, dass sie sich an Naomi hängt
und sagt: Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, von
dir weg umzukehren! Denn wohin du gehst, dahin will auch ich
gehen, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist
mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.
Welch Tiefe und Lieblichkeit der Gefühle sehen wir hier!
Welch ganzherzige Selbstergebung! Sehen wir nur, wie Ruth freiwillig
und bereitwillig ihre Heimat und Verwandtschaft verlässt
und sich von allen natürlichen Bindungen losreißt;
sie reagiert mit taubem Ohr auf das Drängen ihrer Schwiegermutter,
zu ihren Göttern und ihrem Volk zurückzukehren (V.
15). Sehen wir, wie sie dem Götzendienst entsagt samt allem,
was dem Fleisch lieb ist, um dem lebendigen Gott anzubeten und
zu dienen. Sie achtet alles für Verlust um Gottes Gunst
und Heil willen; und ihr künftiges Verhalten beweist, dass
ihr Glaube echt war und ihr Bekenntnis aufrichtig. Ja, nichts
als ein Wunder Gottes in ihrer Seele kann das erklären.
Es war Gott, der in ihr wirkte sowohl das Wollen als auch
das Wirken zu seinem Wohlgefallen (Phil 2,13). Er zog
sie mit Seilen der Liebe: Die Gnade triumphierte über das
Fleisch. Solcher Natur ist jede echte Bekehrung - eine völlige
Auslieferung des Denkens, Herzens und Willens an Gott und seinen
Christus; und von solchen Bekehrten wird gesagt: Diese
sind es, die dem Lamm folgen, wohin es auch geht (Offb
14,4).
Die Beziehung zwischen der Erleuchtung unseres Verstandes
und der Erweckung unserer Gefühle durch Gott einerseits
und der Einwilligung unseres Willens andererseits wird deutlich
aus Psalm 119,34: Gib mir Einsicht, und ich will dein
Gesetz bewahren und es halten von ganzem Herzen. C.H.
Spurgeon sagt:
Eine Wiedergeburt - und echte Erkenntnis - führt sicher
dazu, dass das fromm verehrt und ehrfürchtig im Herzen
bewahrt wird. Der Geist Gottes bewirkt, dass wir den Herrn erkennen
und etwas verstehen von seiner Liebe, Weisheit, Heiligkeit und
Majestät; und das Ergebnis ist, dass wir das Gesetz ehren
und unsere Herzen unter den Glaubensgehorsam ergeben. Der Verstand
wirkt auf die Gefühle; er überzeugt das Herz von der
Schönheit des Gesetzes, sodass die Seele das Gesetz mit
all ihrer Kraft liebt; und dann offenbart es die Majestät
des Gesetzgebers und die ganze Natur beugt sich vor seinem höchsten
Willen. Nur der gehorcht Gott, der sagen kann: Mein Herr,
ich will dir dienen und das von ganzem Herzen tun; und
das kann niemand sagen, solange er nicht die innere Erleuchtung
durch den Heiligen Geist als freie Gabe empfangen hat.
Bevor wir zu unserem letzten Abschnitt kommen, müssen
wir noch kurz auf 1. Petrus 2,4-5 eingehen: Zu ihm kommend
als zu einem lebendigen Stein ... lasst euch auch selbst als
lebendige Steine aufbauen, als ein geistliches Haus ...
Hat die souveräne Gnade Gottes mich dazu geneigt, zu Christus
zu kommen? Dann ist es meine Pflicht und mein Interesse, in
ihm zu bleiben (Joh 15,4) - bei ihm zu bleiben in
einem Leben des Glaubens, und seinen Geist in mir wohnen zu
lassen, ohne ihn zu betrüben (Eph 4,30) oder sein Wirken
zu unterdrücken (1Thes 5,19). Es ist nicht genug, dass
ich einmal an Christus geglaubt habe; ich muss täglich
in ihm und für ihn im Glauben leben (Gal 2,20). Wenn wir
so beständig zu ihm kommen, werden wir aufgebaut
als ein geistliches Haus. Auf diese Weise wird das Leben
der Gnade erhalten, bis es ins Leben der Herrlichkeit übergeht.
Der Glaube muss ständig aus seiner Fülle Gnade
um Gnade empfangen (Joh 1,16). Wir müssen uns täglich
erneut ihm weihen und das Herz von ihm in Besitz nehmen lassen.
(Kapitel 10)
Auf Echtheit prüfen
Zu denen, die nie in rettender Weise zu Christus gekommen
sind, wird er einst sagen: Geht von mir, Verfluchte, in
das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
(Mt 25,41). Diese schreckliche Aussage sollte uns fast das Blut
in unseren Adern gefrieren lassen und uns motivieren, unsere
Gewissen zu erforschen und unsere Herzen zu prüfen. Doch
es ist sehr zu befürchten, dass bei vielen Lesern die stechende
Kraft dieser Worte dadurch abgestumpft wird, da sie meinen,
dass sie bereits zu Christus gekommen seien und denken, es sei
töricht, das auch nur einen Augenblick lang zu bezweifeln.
Aber wer einsieht, dass nichts weniger auf dem Spiel steht
als seine unsterbliche Seele, und dass die Entscheidung, ob
man die Ewigkeit im Himmel bei den Glückseligen oder in
der Hölle unter den Verdammten verbringt, davon abhängt,
ob man wirklich und wahrhaftig zu Christus gekommen ist,
der sollte die folgenden Abschnitte mit um so größerer
Sorgfalt lesen.
Irrtum 1: die rechte Lehre
Viele vertrauen auf ihre richtige lehrmäßige Sicht
von Christus. Sie glauben fest an seine Gottheit, seine heilige
Menschennatur, sein vollkommenes Leben, seinen stellvertretenden
Opfertod, seine leibhaftige Auferstehung, seine Himmelfahrt
zur Rechten Gottes, seine gegenwärtige Fürsprache
bei Gott und seine Wiederkunft. Das glaubten auch viele von
denen, an die sich Jakobus in seinem Brief richtete und die
er ermahnte, dass auch die Dämonen glauben und zittern
(Jak 2,19). Lieber Leser, rettender Glaube an Christus ist viel
mehr als ein Zustimmen zu den biblischen Lehren über ihn;
rettender Glaube ist das Hingeben der Seele an ihn, um errettet
zu werden, und allem anderen zu entsagen und sich völlig
ihm zu ergeben.
Irrtum 2: keine Zweifel
Viele verwechseln die Abwesenheit von Zweifel mit einem Beweis,
in rettender Weise zu Christus gekommen zu sein. Sie halten
etwas für selbstverständlich, wofür sie keine
klaren Indizien haben. Lieber Leser, ein Mensch kann Christus
nicht so besitzen wie Geld in einem Tresor oder Eigentumsurkunden
bei einem Notar, die er höchstens einmal jährlich
einsieht. Nein, Christus ist wie Brot, von dem man
sich ernähren muss, das man kauen und schlucken muss, das
im Inneren verdaut werden muss und durch das man ernährt,
belebt und gestärkt wird (siehe Joh 6,53). Der leere Bekenner
ernährt sich eher von einer guten Meinung von sich selbst
als von Christus.
Irrtum 3: fleischliche Gefühle
Viele verwechseln Gefühlswallungen mit der Erweckung
der Zuneigungen durch den Heiligen Geist. Wenn die Leute unter
der Predigt des Wortes weinen, sind oberflächliche Beobachter
sehr ermutigt, und wenn sie dann nach vorn gehen
und ein Bußgebet sprechen und über ihre
Sünden jammern und klagen, dann wird das als sicheres Zeichen
hingenommen, das Gott sie in rettender Weise überführt
habe. Aber ein übernatürliches Werk der Gnade Gottes
geht viel tiefer als das. Tränen sind auf der Oberfläche
und eine Sache der zeitweiligen Verfassung. Auch im natürlichen
Bereich ist es so, dass solche, die etwas im intensivsten spüren,
am wenigsten äußerlich davon erkennen lassen. Bei
Gott ist das Weinen des Herzens erforderlich. Das Kennzeichen
für eine Wiedergeburt ist eine gottgemäße Betrübnis
über Sünde (2Kor 7,10). Dadurch wird die Herrschaft
der Sünde über die Seele gebrochen.
Irrtum 4: Furcht
Viele verwechseln eine Furcht vor dem kommenden Zorn mit einer
Abscheu gegen die Sünde. Niemand möchte in die Hölle
kommen. Wenn der Verstand davon überzeugt wird, dass es
die Hölle wirklich gibt und er auch nur annähernd
an das unaussprechliche Grauen der dortigen Qualen glaubt, dann
mag dieser Mensch in äußerstes Unbehagen geraten,
sein Gewissen in Furcht stürzen und sein Herz in Angst
geraten, wenn er die Aussicht auf die Leiden in ewigen Flammen
erkennt. Eine solche Furcht mag eine beträchtliche Zeit
andauern, ja, vielleicht verschwinden ihre Auswirkungen nie
wieder. Ein solcher Mensch mag unter die Verkündigung eines
treuen Predigers geraten und hören, wie er das tiefe Pflügen
des Geistes Gottes beschreibt, und schlussfolgern, dass er dieses
Wirken Gottes braucht, aber hat vielleicht doch nicht diese
Liebe zu Christus, die sich in einem Leben zeigt, das in jedem
Detail Gott ehren und verherrlichen will.
Irrtum 5: falscher Frieden
Viele verwechseln einen falschen Frieden mit einem echten.
Wenn jemand eine natürliche Furcht vor dem Feuersee hat,
von seinem eigenen Gewissen geplagt ist und die gehörte
Predigt ihn noch mehr erschrecken lässt, ist er dann nicht
bereit (wie ein Ertrinkender), jeden Strohhalm zu ergreifen?
Wenn einer der heutigen falschen Propheten ihm sagt, er brauche
nichts weiter zu tun als Johannes 3,16 zu glauben und das Heil
sei ihm sicher, wie eifrig wird er - obgleich mit unverändertem
Herzen - solche Schmeicheleien (Jes 30,10; 2Tim
4,3) aufsaugen! In der Gewissheit, es sei nichts weiter erforderlich,
als fest zu glauben, dass Gott ihn liebe und dass Christus für
ihn starb und seine Last behoben sei, erfüllt ihn nun der
Frieden. Und in neunzehn von zwanzig Fällen ist dieser
Frieden nichts als das Opium des Teufels, das sein
Gewissen benebelt und ihn auf dem Weg zur Hölle betäubt.
Kein Friede den Gottlosen! spricht mein Gott, und
solange ein Mensch kein neues, reines Herz hat, wird er Gott
nicht sehen (Mt 5,8).
Irrtum 6: eigene Zuversicht
Viele verwechseln eigene Zuversicht mit geistlicher Gewissheit.
Es ist nur natürlich, dass wir optimistisch sind und hoffen,
dass uns Gutes geschehe, und wie einst Haman meinen: Ich bin
der Mann, an dessen Ehrung der König Gefallen hat
(Est 6,6-11). Vielleicht meinen wir: Das trifft auf mich
gewiss nicht zu; ich habe keine hohe Meinung von mir selbst,
sondern achte mich als wertlose, sündige Kreatur.
Ja, so trügerisch ist das Herz des Menschen, und so schnell
ist der Teufel bei der Hand, um alles zu seinem eigenen Vorteil
zu verdrehen, dass man in solchen demütigen Gedanken schwelgt
und auf sie vertraut, um dem Herzen einzureden, dass alles in
bester Ordnung sei. Auch der abgefallene König Saul begann
mit einer geringen Selbstachtung (1 Samuel 9,21).
Irrtum 7: ungeistlicher Verheißungsglaube
Viele machen eine Verheißung zur alleinigen Grundlage
ihres Glaubens und blicken nicht weiter als deren Buchstabe.
So täuschten sich die Juden an dem Buchstaben des Gesetzes,
denn sie sahen niemals die geistliche Bedeutung von Moses Dienst.
In gleicher Weise lassen sich viele durch den Buchstaben solcher
Verheißungen wie Apostelgeschichte 16,31; Römer 10,13
etc. täuschen und blicken nicht auf Christus in diesen
Verheißungen: Sie sehen, dass er das Juwel in der Schachtel
ist, aber vertrauen auf die äußere Überschrift
und ergreifen niemals den wahren inneren Schatz. Doch wenn nicht
die Person Christi ergriffen wird, wenn man sich nicht wirklich
ihm als Herrn ausliefert, wenn nicht er selbst im Herzen angenommen
wird, dann wird der Glaube an den Buchstaben der Verheißung
nichts nützen.
Dieses Kapitel wurden geschrieben in der Hoffnung, dass es
Gott gefallen möge, einige tote Bekenner aus ihrer falschen
Sicherheit wachzurütteln. Aber damit niemand von den Kindern
Gottes zu Fall gebracht werde, enden wir mit einem Auszug aus
John Bunyans Come and Welcome to Jesus Christ:
Wie können wir wissen, wer wirklich zu Christus gekommen
ist? Antwort: Schreiet er auf über die Sünde, spürt
er deren Last als eine außerordentlich bittere Sache?
Flüchtet er davor wie vor dem Angesicht einer tödlichen
Giftschlange? Schreit er vor Verzweiflung über die Unzulänglichkeit
seiner eigenen Gerechtigkeit, und verlangt er nach Rechtfertigung
in den Augen Gottes? Fleht er, dass der Herr Jesus ihn retten
möge? Sieht er in einem Tropfen von Christi Blut mehr Wert
und Verdienst, ihn zu retten, als in allen Sünden der Welt,
ihn zu verdammen? Hat er ein Empfinden dafür, was es bedeutet,
gegen Jesus Christus zu sündigen? Gibt er Christus in dieser
Welt den Vorrang und verlässt er die Welt um seinetwillen?
Und ist er bereit (so Gott ihm hilft), Gefahren um Jesu Namens
willen auf sich zu nehmen, aus Liebe zum Herrn? Liebt er die
Heiligen? Wenn diese Dinge vorhanden sind, dann ist er zu Christus
gekommen.
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