Konzeption und Trends
in der Gemeindewachstumsbewegung
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Konzeption und Trends in der Gemeindewachstumsbewegung
Von Wilfried Plock, Hünfeld
Was versteht man unter der "Gemeindewachstumsbewegung"?
Die erste und wichtigste Gemeindewachstumsbewegung wird uns
im Neuen Testament gezeigt. Zunächst entstanden christliche
Gemeinden im jüdischen Umfeld, später folgten ungezählte
durch den Apostel Paulus und seine Mitarbeiter. Aber hier soll
es nicht um die neutestamentliche Gemeindewachstumsbewegung
gehen, sondern vielmehr um jene Gemeindewachstumsbewegung, die
sich in den letzten fünf Jahrzehnten unter diesem Namen
entwickelt hat.
I. Die Konzeption der Gemeindewachstumsbewegung
1. Donald McGavran
Don McGavran gilt zurecht als der Vater der Gemeindewachstumsbewegung.
Er wurde am 15. 12. 1887 als Sohn amerikanischer Missionare
in Indien geboren. Auch seine Großeltern hatten dort bereits
als Missionare gelebt. McGavran studierte an den Universitäten
Yale und Columbia in den USA. In den 30er Jahren wurde er Leiter
einer Missionsgesellschaft in Indien, der United Christian
Missionary Society. Er führte ein Leprakrankenhaus
und koordinierte die Arbeit einer ganzen Reihe von Schulen.
Als nach jahrzehntelangem Bemühen nur 20 bis 30 kleine
Gemeinden entstanden waren, konnte sich McGavran nicht damit
abfinden. So forschte er nach den Ursachen für tatsächliches
oder ausbleibendes Gemeindewachstum. In den folgenden 17 Jahren
gründete McGavran selbst einige neue Gemeinden.
1955 erschien sein Buch "The Brigdes of God"
(Die Brücken Gottes). Diese Publikation gilt als erster
literarischer Meilenstein im Blick auf die Entstehung der Gemeindewachstumsbewegung.
Ich komme auf den Inhalt dieses Buches gleich noch zu sprechen.
1961 gründete McGavran das Institute of Church Growth
(Institut für Gemeindewachstum) am Northwest Christian
College in Eugene, Oregon. 1965 verlegte er dieses Institut
nach Kalifornien an das berühmte Fuller Theological
Seminary in Pasadena. Dort rief McGavran die Fuller School
of World Mission und das Institute of Church Growth
ins Leben, deren erster Direktor er wurde.
1970 erschien sein Hauptwerk "Understanding Church
Growth" (Gemeindewachstum verstehen). Dieses Buch gilt
als Grundlagenwerk der gesamten Gemeindewachstumsbewegung. Ich
weiß nicht genau, wie viele Auflagen es inzwischen erlebt
hat und in wie viele Sprachen es bereits übersetzt wurde.
Es ist ein Standardwerk. Jeder, der sich mit Missionstheologie
befasst, kommt nicht umhin, es zu lesen.
Im Alter von 83 Jahren beendete er seine offizielle Lehrtätigkeit.
McGavran schrieb 23 Bücher über Gemeindewachstum und
Mission. Seine umfangreichen Reisen führten ihn fast in
jedes Land der Erde. Er starb am 10. Juli 1990 im Alter von
92 Jahren.[1]
Ich kann nicht allem zustimmen, was Donald McGavran je in
seinem langen Leben gesagt und geschrieben hat. Aber unabhängig
davon muss man ihm zugestehen, dass er unglaublich viel für
die Ausbreitung des Evangeliums in dieser Welt getan hat.
2. McGavrans Hauptlehren
In seinem 1955 erschienenen Buch Die Brücken Gottes
entfaltet McGavran vier Ansätze.
a) Der theologische Ansatzpunkt
McGavran schreibt: "Es entspricht dem Willen Gottes,
dass verlorene Männer und Frauen gefunden, mit ihm versöhnt
und zu verantwortlichen Mitgliedern christlicher Gemeinden werden."[2]
Das bedeutet: Für McGavran besitzt Evangelisation keinen
Selbstzweck. Evangelisation ist für ihn nicht nur Verkündigung
des Evangeliums, sondern das Mittel, Menschen zu Jüngern
Jesu zu machen. Hier stimme ich voll und ganz mit ihm überein.
b) Der pragmatisch-ethische Ansatzpunkt
Hier geht es darum, in der missionarischen Arbeit konsequent
nach den Resultaten zu fragen. Erinnern wir uns an McGavrans
Biographie. Er kannte die Missionsarbeit in Indien sehr genau.
Und er hatte dort beobachtet, dass sich die Gemeinden über
Jahrzehnte nur unwesentlich vermehrten. McGavran gab sich nicht
mit dem oft gebrauchten Argument zufrieden, Gottes Zeit sei
noch nicht da; man müsse in Geduld weiter säen. Er
machte auch methodische Schwächen für die Erfolglosigkeit
verantwortlich. Darum plädierte McGavran dafür, die
Ergebnisse der Arbeit konsequent zu hinterfragen.
Ich möchte diesen Ansatz kurz bewerten. Einerseits gebe
ich McGavran Recht. Christliche Arbeiter sollten nicht ins Blaue
hinein wirken. Es ist legitim und weise, die eigene Arbeit im
Licht der Heiligen Schrift zu reflektieren und zu optimieren.
Andererseits ist es allein Gott, der das Wachstum schenkt (1Kor
3,6-7). In dieser Hinsicht stehen wir in einer Spannung zwischen
menschlicher Verantwortung und Gottes Souveränität,
die wir nicht einseitig auflösen dürfen. Ich will
nicht behaupten, McGavran habe die Spannung aufgelöst;
aber der Akzent verschob sich eindeutig in Richtung der nachprüfbaren
Ergebnisse menschlichen Wirkens. Dieser Faktor wirkte und wirkt
sich bis zum heutigen Tag stark in der Gemeindewachstumsbewegung
aus.
c) Der missionswissenschaftliche Ansatz
Donald McGavran erkannte, dass die westlichen Missionare ein
individualistisch verstandenes Evangelium predigten. Sie erwarteten,
dass sich Menschen einzeln, individuell, zu Christus bekehren
würden. Die westliche Welt ist bekanntlich sehr stark vom
Individualismus geprägt. Daher ist es in unseren Breitengraden
völlig normal, dass sich ein Einzelner individuell - d.h.
ohne Rücksicht auf Familie und Sippe - bekehrt.
In anderen Kulturkreisen ist das nicht unbedingt so. McGavran
litt darunter, dass die breiten Massen Indiens nicht für
das Evangelium gewonnen werden konnten. In den asiatischen Kulturen
werden wichtige Entscheidungen normalerweise nur von der Gruppe
getroffen. Wenn das Evangelium Eingang finden sollte in die
Volksgruppen der nichtwestlichen Welt, dann musste man - so
meinte McGavrans - einen Weg finden, wie ganze Familien, Sippen,
Dörfer und Stämme gleichzeitig und gemeinsam den christlichen
Glauben annehmen konnten.[3]
Nun folgt ein entscheidender Punkt. Als Folgethese der beschriebenen
Gedanken entwickelte McGavran das sogenannte "Prinzip
der homogenen Einheit". Er schrieb bereits 1955 in
seinem Buch "Bridges of God": "Volksgruppen
schließen sich am schnellsten dem Christentum an, wenn
ihre eigene Rasse und ihre Familienverhältnisse dabei so
unberührt wie möglich bleiben."[4]Später
wurde daraus McGavrans klassische These:
$"Menschen werden gerne Christen, wenn sie dabei nicht
Rassen-, Klassen- oder Sprachbarrieren überschreiten müssen."[5]
Darunter verstand McGavran, dass die gesellschaftliche Entwurzelung
bei der Bekehrung auf ein Minimum beschränkt bleiben sollte.
Peter Wagner, jahrelang engster Mitarbeiter McGavrans, erklärt
das Prinzip der homogenen Einheit wie folgt: "Es ist
der Versuch, ein Prinzip der Bekehrung zu beschreiben, in dem
der Mensch (zusätzlich zum Ärgernis des Kreuzes) keine
weiteren kulturellen oder sprachlichen Entfremdungen auf sich
nehmen muss."[6]
McGavran selbst spricht von drei Hürden, die ein Mensch
auf dem Weg zur Errettung zu überwinden hat: Erstens muss
er anerkennen, dass Christus allein die Erlösung vollbracht
hat. Zweitens muss der Mensch über seine Sünden Buße
tun und sich von seinem bisherigen sündigen Leben abwenden.
Und drittens muss er Christus vor anderen Menschen offen bezeugen,
sich taufen lassen und sich einer Gemeinde anschließen.
Soweit, so gut. Doch dann fährt er fort und sagt: "An
keiner Stelle werden wir in der Bibel finden, dass eine Vorbedingung
für das Christsein darin besteht, sprachliche, kulturelle
und soziale Barrieren zu überwinden."[7]
Diese Aussage werde ich zusammen mit dem nächsten Punkt
bewerten.
d) Der methodische Ansatz
McGavran macht einen deutlichen Unterschied zwischen dem Ruf
in die Jüngerschaft und dem Ruf zu christlicher Vollkommenheit.
Beide seien inhaltlich klar voneinander zu trennen und werden
von McGavran als zwei Stadien christlicher Sozialisation verstanden.[8]
Darum beklagte er immer wieder, es werde zu viel Zeit investiert,
Christen noch christlicher zu machen, und zu wenig, die Milliarden
Unerreichten zu erreichen. In Letzterem muss ich ihm allerdings
ein Stück weit zustimmen.
e) Ein Bewertungsversuch
Wagen wir uns nun an das schwierige Unterfangen, die missionswissenschaftlichen
und methodischen Ansätze zu beurteilen. Zugegeben, beide
Gedankengänge McGavrans sind sehr eingängig. Sie gehen
- salopp gesagt - runter wie Öl. Aber dürfen wir die
Schwelle in Evangelisation und Mission wirklich soweit heruntersetzen,
dass der Nichtchrist unbeschwert in seiner vertrauten Kultur
weiterleben kann? Darf ihm wirkliche keine gesellschaftliche
Entwurzelung zugemutet werden? Er soll lediglich mit dem sogenannten
Ärgernis des Kreuzes konfrontiert werden. Einverstanden.
Aber was beinhaltet das "Ärgernis des Kreuzes"?
Wie ist das biblisch definiert? Hat der Sohn Gottes nicht eindeutig
genug gelehrt:
$Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde
zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern
das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien
mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter
mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde werden seine
eigenen Hausgenossen sein.
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht
würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich,
ist meiner nicht würdig; und wer nicht sein Kreuz aufnimmt
und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer sein Leben
findet, wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen,
wird es finden (Mt 10,34-39).
Es gingen aber große Volksmengen mit ihm; und er wandte
sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst
nicht seinen Vater und seine Mutter und sein Weib und seine
Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch
sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein;
und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachkommt, kann
nicht mein Jünger sein (Lk 14,25-27).
Solange auf dieser Erde die Frohe Botschaft verkündigt
wird, ist umstritten, wie hoch der Anspruch sein muss, der einem
Nichtchristen bei seiner Bekehrung zugemutet wird. Wo immer
wir da die Linie ziehen wollen, könnte ich persönlich
auf keinen Fall sagen: Kulturelle Barrieren brauchen nicht überwunden
werden.
Missionstheologisch gesehen geht es hier um den Begriff der
"Kontextualisation". Darunter versteht man, vereinfacht
gesagt, wie das Evangelium in den Kontext einer (heidnischen)
Kultur gebracht werden kann. Hesselgrave unterscheidet in seinem
Standardwerk "Communicating Christ Cross-Cultarally"[9]
drei Arten von Kontextualisation, nämlich apostolische,
prophetische und synkretistische. Ich teile Hesselgraves Auffassung,
dass wir im Neuen Testament die "Apostolische Kontextualisation"
finden (Apg 13,41; 14,6-17; 17,22-31 u.a.m.). Wenn wir diese
Schriftstellen untersuchen, werden wir feststellen, dass Paulus
der Gefahr der "Akkomodation" (Anpassung) widerstand;
d.h., er kontextualisierte das Evangelium nicht, indem er biblische
Wahrheit vernachlässigte.
Im Sommer 1999 war ich in Zentralasien unterwegs, u.a. in
den Bergen Kirgistans unweit der chinesischen Grenze. Dort schenkte
der Herr in den letzten 15 Jahren einen erwecklichen Aufbruch
unter den Kirgisen. Das Interessante daran ist, dass die gläubigen
Kirgisen förmlich zwischen allen Stühlen sitzen und
sich einer sehr glaubensfeindlichen Umwelt gegenüber sehen.
Da war früher der Kommunismus mit seiner atheistischen
Weltsicht, die heute immer noch zu spüren ist. Das Lenindenkmal
steht noch auf dem zentralen Platz der Hauptstadt. Da ist der
Islam als offizielle Religion. Junge kirgisische Christen berichteten,
wie sie mehrmals von fanatischen Moslems blutig geschlagen wurden.
Und da ist die kirgisische Kultur, wie jede heidnische Kultur
durchtränkt mit unzähligen Praktiken, die dem lebendigen
Gott nicht gefallen können. Die Christen haben heute ein
geteiltes Verhältnis zur kirgisischen Kultur. Selbstverständlich
reden und singen sie kirgisisch. Selbstverständlich essen
sie kirgisische Gerichte. Aber sie beten nicht mehr zu den verstorbenen
Ahnen. Sie rauben sich nicht mehr ein Mädchen zur Heirat.
Und die gläubig gewordenen Männer lassen nicht mehr
Frauen und Kinder für sich arbeiten. D.h. sie beurteilen
und filtern ihre Kultur anhand des Wortes Gottes.
Fleming schreibt unter der Überschrift "Das Evangelium
begegnet der Kultur": "Wenn die neue Umgebung hinduistisch
ist, wird es einen Zusammenstoß mit dem Götzendienst
geben. Wenn die Umgebung moslemisch ist, prallt die christliche
Lehre auf die Gedanken zur Würde der Frau. Wenn man unter
Stämmen ist, gibt es Reibereien wegen Blutopfern oder Vielweiberei.
Wir könnten noch mehr Beispiele bringen, aber der Punkt
ist, dass es unvermeidlich eine Kollision der Wahrheit mit der
Tradition geben wird, wenn die Gemeinde in einer neuen kulturellen
Umgebung gebaut werden soll."[10]
Verstehen Sie meine Kritik am Ansatz McGavrans? Mit seiner
pauschalen Aussage, die jeweilige Kultur könne beibehalten
werden, begeht er meiner Ansicht nach einen schwerwiegenden
Fehler. Wir werden später sehen, wie sich diese Linie bis
zu den modernen Varianten der Gemeindewachstumsbewegung von
Willow Creek und Saddleback fortsetzt.
Bevor wir mit dem zweiten Teil beginnen, will ich wenigstens
die Namen der Männer erwähnen, die zeitgleich mit
McGavran oder nach ihm die Gemeindewachstumsbewegung geprägt
haben: Peter Wagner, Win und Charles Arn, Elmer Towns und Christian
Schwarz. Auf Peter Wagner und Christian Schwarz werde ich noch
zu sprechen kommen, wenn es um die Trends in der Gemeindewachstumsbewegung
geht.
Noch etwas möchte ich betonen. Die Gemeindewachstumsbewegung
hat bei weitem nicht nur Bedenkliches hervorgebracht. Gott benutzte
diese Bewegung in seiner Souveränität, um bestimmte
Themen unter den Christen wachzuhalten: die zentrale Bedeutung
der Gemeinde, die Priorität der Mission, die Sicht für
Wachstum, den Blick für die Außenstehenden sowie
für die Beachtung des kulturellen Umfeldes.
Leider ist das nur die eine Seite der Bewegung. Insgesamt
gesehen zeigt sie heute ein Gefälle von der vertikalen
zur horizontalen Dimension, vom Theologischen zum Pragmatischen,
vom Prophetischen zum Besucher-Freundlichen, vom Zeitlosen zum
Zeitgenössischen.
II. Trends in der Gemeindewachstumsbewegung
1. Der pfingstlich-charismatische Flügel (Peter Wagner)
Peter Wagner ist ein geistlicher Schüler McGavrans. Wagner
war Missionar in Bolivien. Während seines zweiten Heimataufenthaltes
studierte er Gemeindewachstum bei McGavran am Fuller Seminary.
Wagner schreibt dazu in seinem Buch "Your Church Can
Grow" (Ihre Gemeinde kann wachsen) auf S. 38: "Freilich,
ich begann sein Programm in 1967 als ein Skeptiker. Aber ich
verließ es als eine aufgeklärte Person."[11]
Um es abzukürzen: Peter Wagner war von Anfang an sehr offen
für die Charismatische Bewegung. Er wurde mit John Wimber
zusammen einer der Hauptvertreter der sogenannten "Dritten
Welle des Heiligen Geistes". Er befürwortet "Power
Evangelism" genauso wie "Geistliche Kampfführung".
Wagner koordinierte 1990 ein Treffen für "Geistliche
Kriegsführung". An diesem Treffen nahmen Larry
Lea, Jack Hayford, Charles Kraft u.a. teil. Ein Jahr später,
1991, war Wagner bereits Hauptredner auf dem ersten Nürnberger
Gemeindekongress. Dort stellte er die "Geistliche Kriegsführung"
erstmals in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit vor.[12]
Peter Wagner repräsentiert quasi den pfingstlerisch-charismatischen
Flügel der Gemeindewachstumsbewegung. Dieser Flügel
ist in besonderer Weise in den Ländern Argentinien, Korea
und USA verbreitet. Kommen wir zum gemäßigten Flügel.
2. Die "Natürliche Gemeindeentwicklung" nach
Christian Schwarz
1996 veröffentlichte Christian A. Schwarz, der Leiter
des früheren Ökumenischen Gemeinde-Instituts Emmelsbüll
(Nordfriesland) in seinem Buch Die natürliche Gemeindeentwicklung
Ergebnisse des größten Gemeindeaufbau-Forschungsprojektes
der Christenheit. 1994 hatten er und seine Mitarbeiter begonnen,
1.188 Gemeinden in 32 Ländern auf fünf Kontinenten
nach bestimmten Kriterien zu untersuchen. Insgesamt wurden 34.314
Personen befragt und mehr als vier Millionen Antworten in einen
Computer eingegeben. Die neu gewonnenen Erkenntnisse lauteten:
"Viele Gemeindewachstumsdogmen sind nichts als Mythen."
Und: "Gemeindewachstum geschieht anders, als bisher
vermutet wurde." Das Buch Die natürliche Gemeindeentwicklung
ist bereits jetzt ein Megabestseller. Es ist inzwischen in 42
Ländern und 20 verschiedenen Sprachversionen erhältlich.[13]
1997 erschien ein Folgebuch unter dem Titel Die Praxis der
natürlichen Gemeindeentwicklung.[14]
Das herkömmliche Denkmuster der Gemeindewachstumsbewegung
Christian Schwarz, der in Bochum, Bethel, Wuppertal und Mainz
Theologie studierte, absolvierte 1986 ein zusätzliches
Studiensemester am Fuller Theological Seminary in Pasadena,
USA. Er wurde insbesondere von Donald McGavran, Peter Wagner
und Win Arn in die Philosophie der Gemeindewachstumsbewegung
eingeführt. Während McGavran das Wort Gottes noch
als Ausgangspunkt seiner Forschung sah,[15]
entwickelten Wagner und Arn zunehmend eine Theorie von Gemeindewachstum,
die im Wesentlichen von folgenden Faktoren bestimmt war:
einem oberflächlichen Pragmatismus
einer statischen Ursache-Wirkung-Logik
einer starken Fixierung auf Quantität
der Einbeziehung von manipulativen Marketingmethoden und
einer fragwürdigen Machbarkeitsmentalität.[16]
Zudem war und ist dieser Ansatz stark modellorientiert. Oft
werden erfolgreiche Megagemeinden als Modell präsentiert
und mehr oder weniger zur Nachahmung empfohlen: "Macht
es wie wir, und ihr werdet den gleichen Erfolg erleben."
Der neue Trend: Die natürliche Gemeindeentwicklung
Nachdem erste Studien darauf hindeuteten, dass sich viele von
der amerikanischen Gemeindewachstumsbewegung gelehrte Theorien
empirisch nicht verifizieren ließen (die Schwarz aber
zuvor als gültig übernommen hatte), startete Christian
Schwarz 1994 das umfassendste Forschungsprojekt über Gemeindewachstum,
das je durchgeführt wurde. Als im November 1996 die ersten
Ergebnisse der Studie vorlagen, korrigierte er einige eigene
Positionen und nannte sein "Ökumenisches Gemeinde-Institut"
konsequenterweise um in "Institut für natürliche
Gemeindeentwicklung". Den Kernpunkt seiner neuen Sichtweise
fasste der Autor, ausgehend von Markus 4,26-29, wie folgt zusammen:
"Die natürliche Gemeindeentwicklung will Gemeindewachstum
nicht machen, sondern ist allein darauf ausgerichtet,
die Wachstumsautomatismen, mit denen Gott selbst seine Gemeinde
baut, freizusetzen."[17]
Diese neue Sicht gewann Schwarz nach eigenen Angaben durch
empirische Untersuchungen, durch Beobachtung der Natur und durch
das Studium biblischer Texte. Schwarz verwarf den modellorientierten
Ansatz der Gemeindewachstumsbewegung und machte den prinzipienorientierten
Ansatz zur Grundlage der natürlichen Gemeindeentwicklung.
Anstatt sich auf ein Modell zu beschränken, werden
hier viele Gemeinden untersucht, um die allgemeingültigen
Prinzipien des Gemeindewachstums herauszufinden. Diese Grundsätze,
die durch Verallgemeinerung erlangt wurden, werden dann in einem
zweiten Schritt auf die konkrete Situation einer anderen Gemeinde
angewandt.
Acht Qualitätsmerkmale
Die Schwarz'schen Untersuchungen sollen beweisen, dass es acht
universale Qualitätsmerkmale für wachsende Gemeinden
gibt (sie beweisen nicht, ob es wirklich nur acht sind). Wie
kam er zu diesen acht Merkmalen? McGavran und Arn beschrieben
in ihrem Buch Ten Steps for Church Growth[18]
bereits 1977 zehn relevante Faktoren für Gemeindewachstum.
Einige Jahre später sprach Peter Wagner von "Sieben
lebenswichtigen Kennzeichen einer gesunden Gemeinde".[19]
Ein Jahr nach seinem Studienaufenthalt am Fuller Seminary in
Pasadena propagierte Schwarz bereits seine "Acht Basisprinzipien
wachsender Gemeinden"[20],
die inzwischen - etwas modifiziert - zu den "Acht Qualitätsmerkmalen"
mutierten. Ich möchte diese acht Merkmale anführen
und gleich einige Anmerkungen machen.
Merkmal 1: Bevollmächtigende Leitung
Schwarz führt aus, dass es einen gravierenden Unterschied
macht, ob ein Leiter vollmächtig oder bevollmächtigend
dient. Bevollmächtigende Leiter investieren einen Großteil
ihrer Zeit in Jüngerschaft, Delegation und Multiplikation.
So wird Gottes Energie zum Wachstum der Gemeinde freigesetzt.
Diesem Punkt stimmen wir voll und ganz zu.
Merkmal 2: Gabenorientierte Mitarbeiterschaft
"Das Entdecken und Einsetzen von geistlichen Gaben ist
die einzige Möglichkeit, das reformatorische Konzept des
allgemeinen Priestertums praktisch werden zu lassen."
[21]
Auch hier hat Schwarz absolut recht. Die Gemeinde ist der Leib
des Christus, der aus vielen, mit Geistesgaben beschenkten Gliedern
besteht. Diese Gaben sollen aktiv in den Aufbau der Gemeinden
eingebracht werden.
Merkmal 3: Leidenschaftliche Spiritualität
Der Autor führt hier aus, dass wachsende Gemeinden von
Hingabe, Elan, Feuer und Begeisterung geprägt sind. Dem
können wir zustimmen. Schade nur, dass Christian Schwarz
der positiven Leidenschaft pauschal eine gesetzliche Orthodoxie
gegenüberstellt. Mit anderen Worten: Wenn eine Gemeinde
nicht die inzwischen weitverbreitete "Lobpreisatmosphäre"
anstrebt, ist sie bei Schwarz von vornherein dogmatisch, gesetzlich
und orthodox.[22] Hier
fehlt eine sorgfältige Differenzierung.
Merkmal 4: Zweckmäßige Strukturen
Darunter versteht Schwarz Gemeindestrukturen, die eine fortwährende
Multiplikation der Arbeit ermöglichen. Beispiel: Leiter
sind nicht nur dazu da, zu leiten, sondern um weitere Leiter
hervorzubringen. Schon in der Formulierung dieses Merkmals wird
hier allerdings die Gefahr des Pragmatismus erkennbar. Schwarz
wörtlich: "Was diesem Anspruch nicht gerecht wird,
wird geändert bzw. abgeschafft."[23]
So kann er nur argumentieren, weil Gemeinden, die ihre Strukturen
nach dem Neuen Testament gestalten wollen, für ihn von
vornherein "technokratisch" sind.[24]
Merkmal 5: Inspirierender Gottesdienst
Der Autor stellt hier die These auf, dass es nicht entscheidend
ist, wie ein Gottesdienst gestaltet wird, sondern ob
der Besuch des Gottesdienstes für die Besucher eine "inspirierende
Erfahrung" ist. Gottesdienst soll "Spaß machen".
Dieser Ansatz ist ebenfalls zutiefst pragmatisch [25]
und außerdem extrem anthropozentrisch. Es wird nicht gefragt:
"Was ist wahr?", sondern: "Was ist wirksam?"
Nach unserem Verständnis geht es im neutestamentlichen
Gottesdienst um die Verherrlichung Gottes, um die Erbauung der
Gläubigen und um ihre Zurüstung zum Dienst (1. Korinther
11-14, Eph 4,11-12). Damit wollen wir ausdrücklich nicht
sagen, dass die Teilnehmer einer solchen Versammlung mit Trauerminen
dasitzen müssen.
Merkmal 6: Ganzheitliche Kleingruppen
Christian Schwarz erklärt, die fortwährende Multiplikation
von Kleingruppen sei das entscheidendste allgemeine Wachstumsprinzip
überhaupt. Unter "ganzheitlich" versteht er,
dass die Teilnehmer einer solchen Gruppe wirklich die Möglichkeit
haben, sich mit ihren Fragen und Anliegen aktiv einzubringen.
Merkmal 7: Bedürfnisorientierte Evangelisation
"Schlüssel für den Gemeindeaufbau ist, dass
die Gemeinde ihre evangelistischen Angebote ganz auf die Fragen
und Bedürfnisse der Nichtchristen einstellt."[26]
Dieser Ansatz ist wiederum durch und durch anthropozentrisch
und pragmatisch. Dazu passt der Originalton Christian Schwarz:
"Ich würde mich dort anschließen, wo Gästegottesdienste
angeboten werden, ganz gleich, um welche Denomination es sich
handelt."[27]
Deutlicher kann er kaum zum Ausdruck bringen, wie wenig ihm
die biblische Lehrausrichtung und andere schwerwiegende Aspekte
neutestamentlichen Gemeindelebens in der Praxis bedeuten. Systematische
Lehre und Dogmatik riechen bei Schwarz von vornherein nach "technokratischem
Denken". [28]
Merkmal 8: Liebevolle Beziehungen
Es versteht sich von selbst, dass glaubwürdig gelebte Liebe
eine große Ausstrahlungskraft besitzt. Ob sich der "Liebesquotient"
allerdings so messen lässt, wie Schwarz es meint, ist eine
andere Frage.
Die Minimumstrategie
Im zweiten Teil seines Buches (S. 49-60) führt der Autor
aus, dass eine Gemeinde an allen acht (sind es wirklich nur
acht?) Qualitätsmerkmalen arbeiten sollte, die Priorität
jedoch auf den schwächsten Punkt - Minimumfaktor genannt
- legen sollte. Diese Methodologie belegt Schwarz mit Analogien
aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Mineraliendüngung.
In seinem Buch Praxis des Gemeindeaufbaus hatte Christian
Schwarz 1987 noch die Ansicht vertreten, dass sich eine Gemeinde
eher auf ihre Stärken konzentrieren sollte.[29]
Wie kam es zu diesem bemerkenswerten Sinneswandel? Schwarz machte
offensichtlich Anleihen bei der "Kybernetischen Managementlehre"
(EKS) von Wolfgang Mewes. Was der Biologe und Chemiker Justus
von Liebig im Bereich der landwirtschaftlichen Düngung
entdeckte, wandte Mewes auf wirtschaftliche und soziale Systeme
an. Er nannte sein Prinzip "Engpass-konzentrierte Strategie"
(EKS). Den Begriff "Minimumfaktor" übernahm Schwarz
wortwörtlich von Mewes.[30]
Wenn die Schrift nicht alleinige Grundlage ist, müssen
andere Quellen herhalten - selbst wenn dabei ein "gemeindlicher
Natur-Darwinismus" herauskommen sollte.
[31] Bleibt die Frage offen, warum Schwarz
Gedanken, Begriffe und Skizzen aus der zweifelhaften Karriere-
und Managementlehre von Mewes übernimmt, ohne deren Quelle
anzugeben. Die Seiten 54-55 in Die natürliche Gemeindeentwicklung
von Schwarz gleichen den Seiten 20-21 in Mewes' Pamphlet wie
ein Ei dem anderen. Wo bleibt hier der wissenschaftliche Anspruch?
Biotische Prinzipien
In Teil 3 des Buches (S. 61-82) entfaltet der Autor sechs
biotische Prinzipien, nämlich Vernetzung, Multiplikation,
Energieumwandlung, Mehrfachnutzung, Symbiose und Funktionalität.
Zu jedem dieser Begriffe müssten Anmerkungen gemacht werden;
aber das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Kritische Anfragen und grundsätzliche Bedenken
Das statistische Material
Mark Twain schlug einmal folgende Steigerungsformen des Lügens
vor: "Erstens: nobel gemeinte Notlügen; zweitens:
gewöhnliche Lügen und drittens: Statistik."[32]
Was Twain spaßhaft verstanden wissen wollte, hat durchaus
eine ernste Seite. Die plakative Betonung der gigantischen Zahlen
- 1000 Gemeinden in 32 Ländern der Erde auf fünf Kontinenten
- fasziniert zunächst. Es entsteht der Eindruck, dass es
sich offenbar um eine exakte, wissenschaftliche Untersuchung
handeln muss. Überprüft man jedoch die Vorgehensweise
genauer, entstehen erhebliche Zweifel an der Objektivität
der Studie. Vor allem die Größenordnung des Zahlenmaterials
lässt an der Aussagekraft des Projekts zweifeln. Die Lehre
der Statistik besagt, dass eine Datenmenge von mindestens 30
Daten das absolut erforderliche Minimum ist, wenn man einen
aussagekräftigen Mittelwert erhalten möchte. Bei weniger
Daten ist es wissenschaftlich indiskutabel, von Signifikanz
zu sprechen. Genaugenommen spricht man erst ab 100 Daten von
echter Signifikanz. Damit meint man, dass sich der Mittelwert
nicht merklich ändert, wenn man noch mehr Daten erheben
würde. Beispiel: Werden in einer Gemeinde 30 Mitglieder
über ein Qualitätsmerkmal der Gemeinde befragt und
kommt bei der Auswertung der Umfrage ein bestimmter Mittelwert
heraus, dann ist dieser Wert nicht besonders aussagekräftig.
Wenn man 100 Personen gefragt hätte, hätte sich wahrscheinlich
ein deutlich anderer Mittelwert ergeben und dann läge zum
betreffenden Qualitätsmerkmal ein anderes Ergebnis vor.
Zu wenig erhobene Daten (befragte Personen) wirken sich auch
negativ auf einen weiteren Gradmesser für die Qualität
einer Statistik aus, auf die sogenannte Standardabweichung.
Bei zu wenigen Befragten sind die Antworten einfach zu breit
gestreut.
Die scheinbare "Mächtigkeit" des Projekts steht
unter diesem Gesichtspunkt plötzlich in einem ganz anderem
Licht da. Es wurden pro Gemeinde nur 30 Personen befragt. Pro
Land waren teilweise deutlich unter 30 Gemeinden beteiligt.
Nur in Deutschland und den USA waren es über 30 Gemeinden.
Das heißt, die Mittelwerte (jeweils für ein Qualitätsmerkmal),
die man für eine Gemeinde bestimmt, und der Mittelwert
für ein Land haben bei weitem keine wissenschaftlich so
hoch signifikante Aussagekraft, wie Schwarz das in seinen Büchern
und Seminaren verkauft.
Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methode ist es zum
Teil an der Tagesordnung, mit kleinem Datenmaterial zu arbeiten
- oft einfach aus Kostengründen. Die Mängel, die daraus
entstehen, versucht man dann durch mathematische Verfahren auszugleichen.
Man sollte sich aber vergegenwärtigen, dass diese Verfahren
auf Annahmen der Psychologie und Sozialwissenschaft beruhen,
deren sich die Öffentlichkeit, die mit den scheinbar rein
wissenschaftlichen Resultaten konfrontiert wird, zum großen
Teil nicht bewusst ist.
Schwarz und Schalk sind sich anscheinend nicht im Klaren,
dass auch in den Köpfen vieler Christen "Wissenschaftsgläubigkeit"
herrscht. Es geht uns nicht um Unmündigkeit, sondern wir
wollen die Frage stellen, warum sie kein Wort über die
Grenzen der Methode, die bedenklich kleine Menge des Datenmaterials
und die Grenzen der Darstellung verlieren.
Die tendenziöse Auswahl der 1000 Gemeinden
Auf die Frage, nach welchen Kriterien er die Gemeinden ausgewählt
habe, antwortete Christian Schwarz folgendermaßen: "Es
mussten evangelikale Gemeinden sein, die aber offen sind für
charismatische Elemente, oder charismatische Gemeinden, die
wiederum die Bereitschaft haben, von evangelikalen Gemeinden
zu lernen." [33]
Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein großer
Teil der heutigen Christenheit in diesen Rahmen passt. Aber
eben nur ein Teil. Die großartigen Gemeindegründungsbewegungen,
die der Herr beispielsweise in den letzten zwanzig Jahren in
Belgien oder im Salzburger Land geschenkt hat, wurden bei diesen
Selektionskriterien nicht berücksichtigt.
Hinzu kommt die Tatsache, dass in jeder Gemeinde (ob sie nun
zweihundert oder zweitausend Glieder hat) nur 30 Glieder an
der Befragung teilnehmen durften. Wer garantiert, dass auf eine
ausgewogene Zusammensetzung dieser Gruppe geachtet wurde? Judith
Bork kommentiert diesen Sachverhalt folgendermaßen: "Nimmt
nur ein kleiner Prozentsatz an der Befragung teil, so besteht
die Gefahr, dass man die Qualität bzw. den
Stand einer kleinen Elite der Gemeinde
misst und kein umfassendes Bild von der Gesamtgemeinde bekommt."
[34]
Die Reduktion des Gemeindewachstums auf acht Merkmale
Ich betonte bereits, dass Christian Schwarz in der Beschreibung
dieser acht Bereiche sehr wertvolle Gedanken entfaltet hat.
Aber warum reduziert er das komplexe Geschehen des Gemeindewachstums
bereits in der einseitigen Ausrichtung der Fragebögen auf
acht Bereiche? Mir fehlen da einige unverzichtbare Faktoren:
Spielt für Gemeindewachstum etwa das Vorhandensein einer
gesunden, systematischen Lehre und Verkündigung keine Rolle?
Ist ein Netz gut ausgebildeter Seelsorger etwa unwesentlich?
Sollte die Komponente von bewusst praktizierten Jüngerschaftsbeziehungen
etwa nur als Unterkategorie auftauchen? Müssten nicht auch
die Faktoren Gebet und Gelebte Verbindlichkeit
als Extrabereiche geführt werden? Wird Gemeindewachstum
letztlich nicht auch durch äußere Umstände wie
Religionsfreiheit begünstigt oder beispielsweise durch
Verfolgung behindert? Könnte es nicht sein, dass eine ganze
Reihe von weiteren Faktoren für Gemeindewachstum wichtig
sind, und dass diese in der Schwarz'schen Untersuchung nicht
vorkommen, weil sie seinem theologischen Vorverständnis
zum Opfer fielen?
Zu einer ähnlich Einschätzung kommt auch Helge Stadelmann.
Unter der programmatischen Überschrift: "Nehmt
den Bibelfaktor ernster!" schreibt er: "Die
acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, wie immer sie zustande
gekommen sein mögen, sind ergänzungsfähig. Wenn
ich Gemeinden - und wenn es Tausende sind - wissenschaftlich
genau auf diese acht Prinzipien hin befrage, werde ich auch
nur Antworten zu diesen acht Punkten (und ihrem jeweiligen Minimumfaktor)
bekommen."[35]
Judith Bork, die sich bei einer wissenschaftlichen Arbeit
mit Christian Schwarz befasste, untersuchte das Vorgängermodell
Der Gemeinde-Test und erzielte dabei ein
nahezu exakt gleiches Ergebnis hinsichtlich der Acht
Basisprinzipien wachsender Gemeinden: "Die von Schwarz
durchgeführten Umfragen per Fragebogen dienten nicht dazu,
die Merkmale einer gesunden, und damit wachsenden Gemeinde,
umfassend zu erfassen, sondern lediglich, die vorhandenen Prinzipien
zu bestätigen und zu verfestigen." [36]
Dr. Ken Hemphill beschreibt in seinem Buch Der Antiochia-Effekt
ebenfalls acht hoch effektive Merkmale wachsender Gemeinden,
aber interessanterweise sind es andere Kennzeichen als bei Christian
Schwarz. Hemphill nennt folgende:
1. Übernatürliche Kraft; 2. Christus verherrlichende
Anbetung; 3. Kraftvolles Gebet; 4. Dienende Leiter; 5. Familiäre
Beziehungen in der Gemeinde; 6. Eine gottgemäße Vision;
7. Leidenschaft für Verlorene; 8. Das Hinführen der
Gläubigen zur Reife (Jüngerschaft).[37]
Kam Dr. Hemphill etwa zu einem unterschiedlichen Ergebnis,
weil er andere Fragen stellte?
Tendenzen am Fuller Seminary
Wie gesagt, studierte Christian Schwarz eine Zeitlang am Fuller
Seminary. Ein Mann namens James Hunter legte bereits 1982 eine
Langzeitstudie vor. Er hatte die geistliche Entwicklung des
Seminars über 30 Jahre hinweg verfolgt. Unter anderem ging
es um die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift. In den
Anfangsjahren konnten noch 75 % der Absolventen der folgenden
Aussage zustimmen: "Die Bibel ist das inspirierte Wort
Gottes, fehlerfrei in ihren Aussagen und Lehren, und sie muss
wörtlich genommen werden, Wort für Wort."
30 Jahre später konnten diesem Statement nur noch 15% der
Absolventen zustimmen. Ist das nicht erschütternd? Ich
weiß nicht, wie es heute aussieht.[38]
Die einseitige Fragestellung auf den Fragebögen
Es ist hier nicht der Raum, um die Fragebögen lückenlos
systematisch zu besprechen. Damit ein sogenanntes Gemeindeprofil
erhoben werden kann, müssen ein Fragebogen vom Pastor und
maximal 30 Exemplare von Mitarbeitern der Gemeinde ausgefüllt
werden. Bezeichnenderweise bezieht sich von 91 Fragen keine
einzige auf Lehrinhalte der Gottesdienste, Kleingruppen oder
Sonntagsschulgruppen, wohl aber ein Großteil der Fragen
auf soziologische Aspekte. Etwa 15 Mal wird danach gefragt,
wie sich der Mitarbeiter in bestimmten Gruppen fühlt, wie
er gewisse Veranstaltungen erlebt, was ihm Spaß macht
und ob er etwas spürt.[39]
Wen wundert es, dass bei dieser Akzentuierung der Fragen die
Ergebnisse so aussehen, wie sie aussehen!
Die Einstichstelle des Zirkels
Obwohl Schwarz auf der einen Seite den Ansatz der Gemeindewachstumsbewegung
Wie bekommen wir mehr Menschen in den Gottesdienst?
als pragmatisch bezeichnet,[40]
und quantitative Wachstumsziele in einem Kapitel des Buches
sogar untauglich nennt,[41]
verfällt er doch bei der Bestimmung des Außenkriteriums
seiner Untersuchung in den gleichen Fehler: Er wählt willkürlich
das Wachstum der Gottesdienstbesucherzahl, obwohl es ihm sonst
erfreulicherweise oft um die Qualität die Gemeindelebens
geht. Schwarz begründet seine Vorgehensweise wie folgt:
"Was wir am Anfang brauchten, war ein einigermaßen
objektiv feststellbares Außenkriterium, ähnlich wie
bei der Entwicklung des Intelligenzquotienten etwa die Schulzensuren
als Außenkriterium herangezogen werden. Dadurch sollte
verhindert werden, dass wir aufgrund unseres Bibelverständnisses
selbst festlegen, was wir für die Qualität einer Gemeinde
halten
"[42]
Die Qualitätskriterien einer Gemeinde sollten nach Schwarz
ganz bewusst nicht vom Neuen Testament her bestimmt werden (unser
Bibelverständnis könnte ja "spiritualistisch"
oder "technokratisch" gefärbt sein
[43] ). Aber zum Glück gibt es ja die
empirische Sozialforschung des Christian A. Schwarz, die uns
nun endlich mit wissenschaftlicher Genauigkeit zeigen kann,
was die universell gültigen Qualitätsmerkmale einer
christlichen Gemeinde sind! Diese Sicht ist nicht nur falsch,
sondern auch im höchsten Grade anmaßend. Außerdem
gilt es zu bedenken, dass es sich bei Schwarz um einen Theoretiker
handelt, der nie in der rauen Wirklichkeit des Gemeindeaufbaus
seine Sporen verdienen musste.
Außerdem halte ich die Wahl des Gottesdienstbesucher-Wachstums
für ein unbewusstes Überbleibsel der pragmatisch geprägten
Gemeindewachstumsbewegung. Warum sticht man den Zirkel bei der
quantitativen Steigerung der Besucherzahlen ein und nicht vielmehr
bei der Zunahme der verbindlichen Glieder (oder Mitglieder)
einer Gemeinde? Ich bin davon überzeugt, dass eine Gemeinde
letztlich mit verbindlichen Gliedern gebaut wird - nicht mit
Besuchern. Menschen sollen zuerst für Christus gewonnen
werden und dann in einem Prozess der Jüngerschaft getauft,
gelehrt und zur Mitarbeit zugerüstet werden. Das ist qualitatives
Wachstum. Weil Christian Schwarz aber den Zirkel bei einem quantitativen
Faktor einsticht, ergibt sich meines Erachtens von vornherein
eine ganz erhebliche Akzentverschiebung. Die Jacke ist - in
einem anderen Bild gesprochen - von Anfang an falsch geknöpft.
Meine größte Sorge
Erst auf den letzten Seiten wird deutlich, worauf das Buch
beim Leser abzielt. Wenn sich eine Gemeinde entschließt,
ein Schwarz'sches Gemeindeprofil zu erheben, dann ist das keine
einmalige Sache. Es wird empfohlen, diesen Test im Abstand von
sechs Monaten mehrmals zu wiederholen, um die Tendenz abschätzen
zu können. "Natürliche Gemeindeentwicklung
ist keine einmalige Aktion mit einem statischen Anfangs- und
Endpunkt. Vielmehr geht es um einen Prozess, der das gemeindliche
Leben langfristig prägt." [44]
Dieser Umstand ist zur Beurteilung des Gesamtkonzepts nicht
unerheblich.
Am Ende eines Seminars in Stuttgart-Ditzingen fragte ich Christian
Schwarz öffentlich, ob er nicht die Gefahr sehe, dass die
Gemeinden, die sich auf sein Programm einlassen, in einem schleichenden
Prozess von den Maßstäben des Neuen Testaments weggeführt
werden könnten - hin zur Optimierung eines Computer-Ergebnisses.
Ich fragte, ob die Heilige Schrift nicht unbewusst und schrittweise
ersetzt wird durch die Normen menschlich-selektiver Kriterien.
Und schließlich wollte ich wissen, ob jene Gemeinden durch
die intensive Zusammenarbeit mit dem "Institut für
natürliche Gemeindeentwicklung" nicht gar in gewisser
Weise abhängig werden von den Machern eines sozial-empirischen
Forschungsprogramms. Auf diese drängenden Fragen konnte
Christian Schwarz keine befriedigende Antwort geben. Übrigens,
meine Bibel hätte ich bei diesem Seminar zu Hause lassen
können; sie wurde nicht gebraucht.
Damit ich nicht missverstanden werden: ich bin voll und ganz
für Gemeindegründung, Gemeindeaufbau und Gemeindewachstum
- nach den Grundsätzen des Neuen Testaments. Ich will Christian
Schwarz nicht sein aufrichtiges Anliegen sprechen. Er möchte
sicherlich den Gemeinden zum Wachstum verhelfen. Viele seiner
Aussagen mögen richtig sein. Reife Christen, die imstande
sind, Literatur nach biblischen Kriterien zu beurteilen (Apg
17,11), können aus den Büchern über Die
natürliche Gemeindeentwicklung gewiss manche gute
Anregung entnehmen. Die ehrliche Motivation des Autors - die
ich ihm voll und ganz zugestehe - schützt allerdings nicht
vor Irrtümern und Akzentverschiebungen. Man wird sich entscheiden
müssen zwischen einem Gemeindebau nach neutestamentlichen
Grundsätzen oder nach der sozial-empirischen Statistikforschung
des Christian Schwarz.
III. Die besucherfreundlichen Gemeinden
am Beispiel von Saddleback
Ein dritter Trend der Gemeindewachstumsbewegung findet sich
heute in den "besucherfreundlichen Gemeinden". Diese
Richtung wurde von zwei Amerikanern wesentlich geprägt.
Robert (Bob) Schuller veranstaltet in Süd-Kalifornien schon
seit Jahrzehnten "besucher-freundliche" Gottesdienste.
Er hatte übrigens keinen geringen Einfluss auf Bill Hybels
und dessen Willow-Creek-Gemeinde. [45]
Und George Barna ebnete mit seinen Bestsellern "Marketing
the Church" und "User-Friendly Churches"
auf literarische Weise den Boden. Barna plädiert dafür,
die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Bereichen Management,
Marketing, Psychologie und Kommunikation in den Gemeindebau
hineinzunehmen.[46]
Von Donald McGavran, dem Vater der Gemeindewachstumsbewegung,
führt eine direkte Linie zu Rick Warren. Letzterer hat
zwar nicht wie Schwarz am Fuller Seminary studiert, aber er
beschreibt in seinem Megabestseller Kirche mit Vision,
wie er 1974 zum ersten Mal auf den Namen McGavran stieß:
"Als ich dort saß und diesen Artikel über
Donald McGavran las, hatte ich keine Ahnung davon, wie dramatisch
er die Richtung meines Dienstes beeinflussen würde
"[47]
Rick Warren begann vor zwanzig Jahren mit seiner Frau Kay
im Saddleback-Tal, südlich von Los Angeles, eine Gemeindearbeit.
Heute trifft sich dort eine der größten christlichen
Gemeinden der westlichen Hemisphäre. Der Gründer dieser
Gemeinde ist ein Visionär.
Am 30. März 1980 träumte Rick Warren in seiner ersten
Predigt von einer 20.000-Seelen-Gemeinde, Hunderten von ausgesandten
Missionaren und einem großen Grundstück mit vielen
schönen Gebäuden. Er und seine Mitarbeiter arbeiteten
über zwei Jahrzehnte unglaublich hart an der Verwirklichung
dieser Ziele. Ein Teil ihres Traumes wurde bereits Wirklichkeit.
Saddleback boomt
Der Schwerpunkt der Gemeindeaktivitäten liegt auf den Wochenendgottesdiensten.
Zwei finden am Samstagspätnachmittag statt. Am Sonntagmorgen
sind es gar drei. Sie werden Woche für Woche von vielen
Menschen besucht. Diese Gottesdienste sind auf Nichtchristen
ausgerichtet. Der Musikstil ist modern. Und laut. Die Kleidung
ist leger. Rick Warrens Ansprachen sind thematisch und relevant.
Seine aktuelle Reihe lautet: "Vom Burnout zur Balance".
Die Kirche bietet 150 verschiedene Dienste an. Es existieren
Hunderte von Kleingruppen und eine ausgedehnte Jugendarbeit.
Saddleback hat Modellcharakter
Saddleback ist Trendsetter. Das Modell der "Purpose
Driven Church" (Auftragsbestimmte Gemeinde) wurde vor
allem durch Rick Warrens gleichnamiges Buch bekannt. Inzwischen
wurden weltweit mehr als eine Million Exemplare in 14 Sprachen
verkauft. Nach dem Geheimnis des Erfolgs befragt, antwortete
der Autor: "Das ist das Geheimnis meines Buches: Es
ist sozusagen der "Intel-Chip" des Gemeindeaufbaus!"[48]
Mit Verlaub gesagt, ist diese Aussage an Vermessenheit kaum
noch zu überbieten.
Darüber hinaus veranstaltet die Gemeinde Pastorenkonferenzen.
Mehr als 150.000 Pastoren und Leiter aus 80 Denominationen besuchten
bereits "Purpose-Driven"-Schulungen".
Die Multiplikation des Angebots via Internet tut ein Übriges.
Saddleback versteht sich selbst als Gemeinde der Zukunft.
Rick Warren spricht nicht nur von Gemeindewachstum. Er betont
Gemeindegesundheit. Darunter versteht er die Balance zwischen
Evangelisation nach außen und Wachstum der Gläubigen.
Zuerst sollen Menschen in den Gästegottesdiensten für
Christus gewonnen werden. Dann sollen diese in vier verschiedenen
Kursen zur Reife geführt werden. Die Stationen lauten:
Hingabe zur Mitgliedschaft (1), Hingabe zur Reife (2), Hingabe
zum Dienst (3) und Hingabe zur Mission (4). Diesen Prozess versteht
Warren als Kern einer auftragsorientierten Gemeinde. In dieser
Ausgewogenheit liegt ohne Zweifel die Stärke der Saddleback-Gemeinde.[49]
Rick Warren ist übrigens "offizieller Berater für
natürliche Gemeindeentwicklung". Im März 1998
nahm er an einer Schulung für "Natürliche Gemeindeentwicklung"
teil. [50]
Darf man Saddleback überhaupt kritisieren?
Wer wagt es, eine florierende Megachurch zu kritisieren? Ein
solcher Kritiker würde umgehend gefragt, was er denn vergleichsweise
vorzuweisen habe. Prof. Stadelmann - den ich sehr schätze
- gab auf der Rückseite von "Kirche mit Vision"
folgende Empfehlung: "Dies wird für die nächsten
Jahre das wichtigste Buch zum Thema evangelistischer Gemeindebau
werden."
Saddlebacks Pragmatismus
Wir Europäer haben den Hang zum Theoretisieren. Rick Warren
fällt als Amerikaner auf der anderen Seite vom Pferd. Er
denkt und arbeitet ungehemmt pragmatisch. Pragmatismus - nicht
zu verwechseln mit Praxisorientierung - ist einfach Zweckmäßigkeitsdenken.
Dieses findet sich in "Kirche mit Vision" besonders
ab Teil 4: Wie bringt man eine Menge von Leuten in die Gemeinde?
Hier liegt offensichtlich ein Gemeindeverständnis zugrunde,
das gar nicht mehr fragt: Wie sah die neutestamentliche Gemeinde
aus? Haben die Apostel "Gästegottesdienste" veranstaltet
(Apg 5,13)? Haben die ersten Christen "innerhalb"
der Gemeinde evangelisiert oder nicht viel mehr "außerhalb",
um dann die Gläubiggewordenen in die Gemeinde zu bringen?
Bei Rick Warrens Ansatz wird m.E. aus dem Heiligtum ein Vorhof
gemacht. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer seine Veranstaltungen
nach dem Geschmack der Nichtchristen ausrichtet, der muss zwangsläufig
Rockmusik, Theaterstücke, thematische Predigten u.a.m.
einsetzen. Das Motto lautet ja: Hauptsache, ich bekomme so viel
wie möglich Besucher in meine Veranstaltung.
Erinnern Sie sich an McGavrans These vom Beibehalten der Kultur?
Diese Sicht hat Rick Warren offenbar voll und ganz verinnerlicht.
Denn der besucherfreundliche Ansatz besagt im Kern: Wir wollen
den Nichtchristen alle Hindernisse - das Ärgernis des Kreuzes
ausgenommen - aus dem Weg räumen. Sie sollen sich an nichts
stören. Weder am Gebäude, noch am Musikstil; weder
an der Kleidung, noch an einer zu langen Predigt.
Fred Colvin schreibt in Artikel über das Thema "Wachstum
nach Prinzipien":
$Die (demographischen) Studien zeigen, dass viele gern am
Sonntag zur Gemeinde gehen. Weiterhin wird ein bestimmter Prozentsatz
wiederkommen, wenn wir einen guten Ersteindruck auf sie machen.
Besucherorientiertes Handeln ist eine bewährte Methode
des Gemeindewachstums. Wenn die Leute glücklich sind und
weiterhin herkommen, sind die Prozentsätze auf unserer
Seite. Und heute, in den Tagen der abnehmenden Loyalität
gegenüber Grundsätzen, springen Christen sowieso hin
und her. Wenn sie unsere Programme mögen, dann können
wir ihnen vielleicht ein neues gemeindliches "Zuhause"
bieten. Der Kunde ist König. Der "Tag des HERRN"
kann zum "Tag der Menschen" werden. Wir haben vielleicht
unwissentlich das Motto "vox populi", das Gesetz der
Volksstimme, angenommen. Studien zeigen, dass in diesem Jahr
mehr Frauen mit Universitätsabschluss als Männer in
die Arbeitswelt eintreten. Da draußen sind eine Menge
Feministinnen, die auch Christus brauchen. Wir wollen sie doch
nicht vergraulen, oder? Es ist höchste Zeit, die Rolle
der Frau in der Gemeinde zu überdenken. Studien zeigen,
dass 56% der erwachsenen Amerikaner Rockmusik mögen. Geben
wir ihnen also Musik mit "Beat". Anspiele sind "in",
deshalb planen wir sie ein. Weil die Leute längeres Zuhören
nicht mehr gewöhnt sind, haben wir die Predigt gekürzt.
Studien zeigen, dass die Leute nicht wiederkommen, wenn der
Prediger ein Langweiler ist. Also laufen wir zur Höchstform
auf
Wir finden heraus was die Leute hören wollen.
Das predigen wir. Das ist relevant! Die Konkurrenz ist groß.
Die Meßlatte liegt hoch. Wir proben das Ganze besser noch
mal! Alles noch mal von Anfang an!" [51]
Saddlebacks Zahlenfieber
In Saddleback wird sehr viel gezählt. An jedem Wochenende
zählt man 15.000 Besucher. Ostern 2000 sollen es gar 35.000
gewesen sein. Jeder neue Zuhörer wird am Ende des Gottesdienstes
aufgefordert, eine Karte auszufüllen. So wurde nach den
Feiertagen bekannt gegeben, dass sich am Osterwochenende 1704
Besucher für Christus entschieden hätten.[52]
Als ob es so einfach wäre, dem Satan Menschen zu entreißen!
Aber Rick Warren ist ja davon überzeugt, dass er jeden
Menschen zum Christen mache könne, wenn er nur dessen Bedürfnisse
stillte.
Saddlebacks psychologisiertes Evangelium
Auch wenn Dr. Warren hundert Mal betont, er wolle das Evangelium
nicht verwässern - meiner Ansicht nach tut er es doch.
Im Mittelpunkt der Verkündigung steht der Mensch mit seinen
ungestillten Bedürfnissen nach Liebe, Anerkennung, Geborgenheit
und Selbstwertgefühl. Darum sind die Predigten bedürfnisorientiert.
Rick Warrens Liebe zu den Verlorenen ist allerdings echt. Seine
Opferbereitschaft ist vorbildlich. Seine Motivationsgabe ist
einmalig. Doch im Blick auf die Verkündigung steht er in
Gefahr, unbequeme Wahrheiten zu unterschlagen. In seiner Osterpredigt
kamen Begriffe wie "Sünde" oder "Heiligkeit
Gottes" nicht vor. Da fragt man sich, wie sich 1704 Menschen
bekehren konnten?
Erfolg ist kein letzter Gradmesser
Saddleback ist sehr erfolgreich. Aber Erfolg ist in der Bibel
kein Gradmesser. Das muss der gesamten Gemeindewachstumsbewegung
immer wieder gesagt werden. In 4. Mose 20 wird berichtet, dass
Mose zu dem Felsen in der Wüste reden sollte. Doch stattdessen
schlug Mose den Stein. Das hatte Jahre zuvor schon einmal funktioniert
(2. Mose 17). Der Erfolg stellte sich ein. Obwohl Mose im Ungehorsam
handelte, floss das Wasser in Strömen. Der sichtbare Erfolg
war da. Doch Mose und Aaron durften nicht ins verheißene
Land. Diese Passage warnt vor pragmatischem Erfolgsdenken. "Hauptsache,
es funktioniert" ist kein Satz aus der Bibel. Allein
die Schrift ist die Norm für Gemeindebau. Selbst wenn eine
Gemeinde phänomenologisch erfolgreich zu sein scheint und
mit großen Zahlen aufwarten kann, so besteht doch die
subtile Gefahr, dass sie "a mile wide, and an inch deep"
(eine Meile breit und eine Handbreit tief) ist.
Mein nicht ganz amerikanischer Traum
Ganze Denominationen und evangelikale Werke schwören heute
auf das Willow-Creek-Modell. Andersdenkende innerhalb und außerhalb
der eigenen Reihen werden ausgegrenzt oder als "ewig Gestrige"
und "Schlusslichter des Mittelalters" verunglimpft.
Ich fürchte, dass als nächstes die Saddleback-Welle
über die Gemeinden Europas hinweg branden wird. dass sich
"Kirche mit Vision" im deutschen Sprachraum
außerordentlich gut verkauft, beweist meiner Ansicht nach,
dass der Ackerboden durch Willow Creek "gut" vorbereitet
ist. Saddleback - das ist auch gestylte Gemeinde, ausgerichtet
am "mainstream" des zeitgenössischen Geschmacks.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir persönlich die
"Grace Community Church", in der John MacArthur
lehrt (ebenfalls Los Angeles), viel näher steht. Sie wuchs
vor allem durch kompromisslose Wortverkündigung. Aber es
würde mir nicht im Traum einfallen, diese Gemeinde zu einem
weltweit gültigem Modell zu erheben. Selbstverständlich
kann man von anderen Gemeinden lernen. Doch wünschte ich,
wir modellgläubigen Deutschen (Europäer) würden
uns mehr an den schlichten Grundsätzen des Neuen Testaments
orientieren. Dort ist uns der wahre "Intel-Chip" gegeben.
Ich liebe die neutestamentliche Gemeinde. Das ist nämlich
die Gemeinde der Zukunft.
IV. Schlusswort: Gemeindewachstum
nach biblischen Grundsätzen
Ich begann mit dem Hinweis auf die erste, biblische Gemeindewachstumsbewegung.
Gott schenkte im 1. Jahrhundert Gemeindewachstum. Und ich bin
davon überzeugt, dass er auch im 21. Jahrhundert Gemeindewachstum
schenken möchte. Darum dürfen wir uns auf keinen Fall
mit der kritischen Distanz zu den aufgezeigten Fehlentwicklungen
begnügen. Ich bin voll und ganz für echtes Gemeindewachstum.
Darum will ich mit einigen Thesen schließen.
1. Gott allein wirkt das Wachstum seiner Gemeinde (Apg
2,47; 1Kor 3,6-7; Eph 4,16).
2. Klare Verkündigung des Evangeliums von Kreuz und Auferstehung
fördert das Wachstum der Gemeinde (Apg 2).
3. Gebet fördert das Wachstum der Gemeinde (Apg 4,23-31).
4. Einmütigkeit fördert das Wachstum der Gemeinde
(Apg 4,32-35).
5. Reinerhaltung der Gemeinde fördert Wachstum der Gemeinde
(Apg 5,1-13).
6. Sinnvolle Strukturen fördern das Wachstum der Gemeinde
(Apg 6,1-7).
7. Sowohl Verfolgungs- als auch Friedenszeiten fördern
das Wachstum der Gemeinde (Apg 8,1.4; 9,31).
8. Weise Prinzipien fördern das Wachstum der Gemeinde
(Apg 16,4-5).
9. Das Einbringen vieler Gaben (das Priestertum aller Gläubigen)
fördert das Wachstum der Gemeinde (1Petr 2,9; 1Kor 12).
10. Gemeindewachstum verherrlicht den Herrn (Apg 11,18; Eph
3,21).
Gebe doch der HERR, dass wir alle einen aktiven Beitrag zum
Wachstum seiner Gemeinde leisten!
Wilfried Plock, Hünfeld
[1] Donald McGavran: Gemeindewachstum
verstehen, Wolfgang Simson Verlag, Lörrach 1990, S.
7-11
[2] ebd. S. 9
[3] ebd. S. 10
[4] Donald McGavran: Bridges
of God, Friendship Press, New York 1955, S. 23
[5] Donald McGavran: Gemeindewachstum
verstehen, Wolfgang Simson Verlag, Lörrach 1990, S.
196
[6] ebd. S. 10
[7] ebd. S. 202
[8] ebd. S. 11
[9] David Hesselgrave: Communicating
Christ Cross-Culturally, 2nd Edition Zondervan Grand Rapids
1991, S.
138-144
[10] Kenneth Fleming: Sag
nicht nein, wenn Gott dich ruft, CLV Bielefeld, 1. Aufl.
2000, S. 107
[11] Peter Wagner: Your
Church Can Grow, Regal Books, Ventura, USA, 1976, S. 38
[12] Wolfgang Bühne:
Die Propheten kommen, CLV Bielefeld, 2. Aufl. 1995, S.
71
[13] C & P Infobrief
Nr. 1, Herbst 1997
[14] Christian A. Schwarz
/ Christoph Schalk: Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1997
[15] Donald A. McGavran:
Gemeindewachstum verstehen Wolfgang Simson Verlag Lörrach,
1990, S. 24:
"Der Ansatz, gültig über Gemeindewachstum
nachzudenken, ist theologischer Natur
. Die Wurzeln der
Theologie des Gemeindewachstums bestehen in unerschütterlichen
theologischen Grundüberzeugungen."
[16] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S. 14
[17] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S. 14
[18] Donald McGavran &
Winfield C. Arn: Ten Steps for Church Growth, Harper
& Row, San Francisco 1977,
S.13 zitiert bei Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender
Gemeinden, Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien Theologischen
Akademie, Gießen 1995, S. 53
[19] Peter C. Wagner: Your
Church Can Grow: Seven Vital Signs of a healthy Church, überarb.
Aufl. (Ventura:
Regal Books, 1984), S. 48 zitiert ebd. S. 55
[20] Christian A. Schwarz:
Der Gemeindetest: kybernetisch Gemeinde bauen, C&P
Verlag Emmelsbüll 1991
[21] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S. 24
[22] ebd. S. 26-27
[23] ebd. S. 28-29
[24] ebd. Teil 4 - Ein
neues Denkmodell - S. 83-102 Technokratisch ist bei Schwarz
antithetisch zu
spiritualistisch'. Die Synthese heißt biotisch'
(früher: kybernetisch).
[25] ebd. S. 100-102 Es
ist nur schwer verständlich, wie Christian Schwarz unter
der Überschrift Warum Pragmatismus in die Sackgasse
führt' auf Seite 100-102 in sehr scharfsinniger Weise Sechs
Gefahren des Pragmatismus' anführen kann, aber auf
der anderen Seite offensichtlich pragmatisch denkt und argumentiert.
[26] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S. 35
[27] Christian Schwarz
wörtlich beim Seminar in Stuttgart / Ditzigen am 17.1.98
[28] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S.83-102
[29] Christian A. Schwarz:
Praxis des Gemeindeaufbaus: Gemeindetraining für wache
Christen
[30] Wolfgang Mewes: Die
kybernetische Managementlehre (EKS), W. Mewes Verlag, Frankfurt
a.M. 1985, S.20
[31] Zu Christian Schwarz'
historisch-kritischem Schriftverständnis vgl. die Buchrezension
"Die dritte Reformation - Paradigmenwechsel in der Kirche"
in Gemeindegründung' (KfG) Nr. 46, S. 26-29
[32] Igor Uszczapowski:
Optionen und Futures verstehen, Beck-Wirtschaftsberater
im dtv, 1995 S.24
[33] Beim Seminar in Ditzingen
/ Stuttgart am 17.1.98
[34] Judith Bork: Die
acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche
Hausarbeit der Freien
Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 91
[35] Dr. Helge Stadelmann
in Praxis (deren Schriftleiter Christian Schwarz damals
noch war), Heft 61, 2/95, S.9
[36] Judith Bork: Die
acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche
Hausarbeit der Freien
Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 77
[37] Dr. Ken Hemphill:
The Antioch Effect, Broadman + Holman Publishers Nashville,
TN 1994
[38] James D. Hunter: The
Evangelical Academy Project, S. 302 zitiert in Georg Marsden:
Reforming Fundamentalism, Erdmans, Grand Rapids, 1987
[39] Gemeindeprofil - Fragebogen
für Mitarbeiter, C&P Verlag, Emmelsbüll
[40] Christian A. Schwarz:
Die natürliche Gemeindeentwicklung, C & P Verlag
Emmelsbüll 1996, S. 15
[41] ebd. S. 44-45
[42] http://www.CundP.de/backgrounds/f13.htm
vom 25. März 1998
[43] Siehe Fußnote
Nr. 24
[44] Christian A. Schwarz
/ Christoph Schalk: Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1997, S. 23
[45] Dr. Rick Warren: Kirche
mit Vision, Projektion J Verlag, Asslar 1998, S. 31
[46] Os Guiness: Dining
with the Devil, Baker Book House, Grand Rapids, 7. Auflage
1999, S. 13
[47] Dr. Rick Warren: Kirche
mit Vision, Projektion J Verlag, Asslar 1998, S. 31
[48] ebd. S. 10
[49] ebd. S. 140
[50] Zeitschrift "Praxis",
Nr. 74, S. 6
[51] Fred Colvin: "Wachstum
nach Grundsätzen", in der KfG-Zeitschrift "Gemeindegründung",
Nr. 63 (3/00), S.15
[52] Diese Zahl wurde von
Pastor Tom Holladay im Wochenmitte-Gottesdienst am 26.04.00
bekannt gegeben
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