Rezension: "Der Himmelsbürger"
Biblische Erlebnisse oder charismatische Show?
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Das Buch von Haavald Slaatten "Der Himmelsbürger
- Befreit!" (Edition Leuchter, 2003) erzählt die haarsträubenden
Erlebnisse eines chinesischen Hauskichenleiters. Handelt es sich
um biblische Erlebnisse oder um eine charismatische Show? Eine
Rezension von Alexander Seibel.
Zunächst das Positive vorweg. Der Abschnitt, wo Bruder Yuns
Zeit im Gefängnis zu Myanmar geschildert wird, hat mich sehr
angesprochen. Er konnte den Gefangenen dort wirklich ein Zeugnis
sein und er durfte etliche von ihnen zum Herrn führen. Seine
Bereitschaft zu leiden und die Schmach Christi zu ertragen, gleichzeitig
aber das Evangelium zu diesen Ärmsten der Armen zu bringen,
ist beeindruckend.
Dieser letzte Abschnitt des Buches liest sich
eher nüchtern und man freut sich über die Menschen,
die durch das Zeugnis des "Himmelsbürgers" zum
Glauben finden.
Zustimmen kann ich auch Yuns Ausführungen
zur Drei-Selbst-Kirche, der vom chinesischen Staat offiziell anerkannten
Kirche. Er nennt sie eine politische Organisation, die der atheistischen
Regierung dient (Seite 41).
Vor mir liegt die Ausgabe des Leuchter Verlags
"Der Himmelsbürger - Befreit!-" von Haavald Slaatten,
eine Koproduktion von Leuchter Edition und Literaturdienst, Aktionskomitee
für verfolgte Christen, 1. erweiterte Neuauflage Januar 2003,
beides pfingstliche Verlage.
Das dürfte nicht zufällig sein, denn
neben all dem Positiven und Herausfordernden, das in diesem Buch
zu finden ist, atmet diese Biographie über den "Himmelsbürger"
Bruder Yun, den klassischen Schwarmgeist in beeindruckender Fülle.
Das Vorwort stammt von Waldemar Sardaczuk, dessen
pfingstliche Theologie sich ebenfalls nicht verleugnen läßt.
Er schildert auf Seite 11, wie Bruder Yun eine Vision hatte: Er
sah, dass Gott ihm eines Tages eine geistliche Erntemaschinegeben
würde, mit der die Seelenernte großflächiger und
schneller eingebracht werden würde als in mühseliger
Kleinarbeit. Br. Yun bekam die Vision, dass er mit einer großen
Erntemaschine weltweit und ausdrücklich auch im Westen das
Evangelium verkündigen würde.
Dies erinnert nur allzu sehr an den derzeit großen
"Mähdrescher" Gottes und "Völkerfischer"
Reinhard Bonnke.
Bruder Yuns Berufung, wo er eine Stimme hört,
erinnert an den Werdegang Samuels. Er fragt seine Eltern, ob sie
ihn gerufen haben. Seine Mutter antwortete: "Nein,
warum?" Überrascht erwiderte Yun: "Aber wer hat
mich dann gerufen und meinen Namen ausgesprochen? Wer hat mich
berührt?" (Seite 18).
Könnte man mit etwas Wohlwollen dem ersten
Ereignis noch zustimmen, so ist letztere Manifestation, die Berührung,
typisch für spiritistische Phänomene bzw. Geister.
Gleich darauf folgen große Berufungsträume
oder -visionen, wobei man manchmal nicht weiß, was ist Einbildung,
was ist Wirklichkeit und was sind Wahr- bzw. Wachträume.
Alles allerdings sattsam bekannte Begleitphänomene von Okkultismus
und Geisterglauben, der nun in China nicht gerade auf Sparflamme
brannte und brennt. Es wird auch ganz offen erwähnt, wie
der Aberglaube im Dorfe weit verbreitet war und So war der
16-jährige Yun bereit, die Kunst der Zauberei zu lernen
(Seite 23). Sicherlich eine gute Voraussetzung für all die
Spukerlebnisse, Träume und Heilungen, die dann in reicher
Fülle dem guten Mann folgen.
Yuns Vater, von Krebs zerfressen schon mehr tot
als lebendig, wird ganz geheilt. Dies war Yuns erste Begegnung
mit der Kraft des Evangeliums (Seite 24).
Nun wollen wir hier wirklich nicht behaupten,
daß Gott nicht heilen kann. Doch wer meint, Heilungen und
Wunder seien die Kraft des Evangeliums, dessen wahre Kraft Seelen
rettet (Röm. 1,16) und Sünden vergibt, hat wieder einmal
das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das Vorletzte mit dem Ewigen
verwechselt. So heißt es auf Seite 32: Das Feuer des
Evangeliums breitete sich aus, - mit Zeichen und Wundern.
Dies ist nichts anderes als eine Neuauflage des
"vollen Evangeliums", der Gruß aus dem Totenreich
(Luk. 16,30), wo der reiche Mann, ähnlich wie einst John
Wimber, mit dieser "Powerevangelisation" die Menschen
zur Buße rufen möchte. Im Vergleich dazu hatten Leute
wie Hudson Taylor, Charles Spurgeon, David Livingstone, William
Carey usw. offensichtlich nur das "halbe" Evangelium.
Ihnen fehlten diese Kräfte.
Bewegend ist, wie Yun alles daransetzt, eine
Bibel zu bekommen. Er fastet und betet und ruft immer wieder deswegen
zu Gott. Dann hat er wiederum einen (Wahr)Traum, der für
ihn so real ist, daß Seine Eltern, die durch Schreie
und durch sein Sprechen im Schlaf sehr gestört waren, sahen,
wie er etwas im Hause suchte. Da fragten sie sich, ob ihr Sohn
seinen Verstand verloren habe (Seite 27).
Der gute Yun konnte einfach Traum und Wirklichkeit
nicht unterscheiden, was typisch ist für mediale Eingebungen.
Während Petrus, nachdem er das Gesicht von dem Tuch hatte
(Apg. 10,17) noch grübelte, was es bedeuten könnte,
beginnt hier unser Freund offensichtlich schon im Haus die Bibel
zu suchen, von der er gerade so lebendig geträumt hatte,
er werde sie durch drei Männer empfangen.
Dann erfüllt sich dieser Traum bzw. das
nächtliche Gesicht haargenau. Nun, dies kennt man zur Genüge
aus Wahrsagerei und Hellseherei. Ähnlich hat die Mutter von
Loren Cunningham, dem Begründer von JMEM, genau Ereignisse
vorausgehen, die sich dann detailgetreu erfüllt haben. Und
China hat nun tatsächlich keinen Mangel an Wahrsagegeistern.
Man lese einmal nach bei Watchman Nees "Der geistliche Christ",
was er dort von okkulten Phänomen gerade in diesem Reich
der Mitte berichtet.
Typisch ist auch sein Gebet um den Heiligen Geist,
nachdem er in der Bibel auf Apg. 1,8 stößt. Danach:
Plötzlich geschah etwas. Eine unbeschreibliche Liebe und
Offenbarung der Anwesenheit Gottes durchfluteten sein Wesen. Lieder,
die er noch niemals gelernt hatte, sprudelten aus ihm heraus wie
ein wilder Fluss (Seite 28).
Fast wortgleich lesen sich Zeugnisse beim Beginn
der Pfingstbewegung. Es ist die klassische Doktrin der Geistestaufe
bzw. Zweistufenlehre und der Leuchter-Verlag hat nicht zufällig
dieses Buch aufgelegt. Dazu gehört auch das in unserer Zeit
sattsam bekannte "Geisteslachen", ebenfalls ein uraltes
spiritistisches Phänomen. Wenn Christen verhaftet wurden,
reagierten sie mit großer Freude, das sich in einem
heiligen Lachen Bahn brach (Seite 33).
Ein wundersames Ereignis nach dem anderen und
massenhafte Bekehrungen begleiten den Bruder Yun. Doch mehr als
wundersam ist der Bericht, daß ähnlich wie Philippus
in der Apostelgeschichte, auf einmal unserer chinesischer Freund
mehr oder weniger entrückt wird. Als er sich auf den
Rückweg machte, befand er sich plötzlich - ohne dass
Zeit vergangen war - zu Hause in seinem Dorf bei seinen Eltern
(Seite 31).
Man sollte sich nicht davon beeindrucken lassen,
daß man sich hier auf den Beginn der Christenheit beruft.
Es ist anzunehmen, daß die luziferische Totenauferweckung
(Offb. 13,3) ebenfalls mit Berufung auf Apostelgeschichte "biblisch"
abgesegnet wird. Auch ist gemäß der Parallele von Hebr.
2,4 mit 2. Thess. 2,9 am Ende der Zeiten mit genau den Zeichen,
Wundern und gewaltigen Taten der Urgemeinde zu rechnen, allerdings
in unseren Tagen in der Macht der Verführung. Apostelgeschichte
ist das große "Lehrbuch" der charismatischen Strömungen.
Man übersieht leider, daß die Bibel einiges über
die Zeit vor der Wiederkunft Jesu zu sagen hat, der Abschnitt,
der nun wirklich für uns topaktuell ist, wo allerdings die
Vorzeichen in Sachen Prophetie und übernatürlicher Phänomene
genau verkehrt sind. In unseren Tagen dienen sie der Verführung.
Und die ist nun tatsächlich großflächig, eigentlich
global geworden.
Typisch für diese Vermischung von Bibel
und frommen Spiritismus sind nicht nur die ständigen Stimmen,
Träume, Heilungen und Visionen, sondern ist auch z.B. folgendes
Gesicht: Plötzlich überkam ihn eine schreckliche,
dunkle Vision. Ein Wesen mit grausamen Gesicht kam auf ihn zu.
Zugleich rief Yun jedoch "Halleluja. Wir überwinden
durch das Blut Jesu! Jesus ist Sieger!" Als die Vision vergangen
war, fragten ihn die anderen, was vorgefallen sei. Yun erzählte
ihnen, dass ein Monster ihn auf den Boden gezwungen und auf ihm
gesessen habe. "Es versuchte, meinen Mund mit seinen Händen
fest zu verschließen. Dann, als ich schon beinahe erstickt
war, sah ich einen Engel auf mich zufliegen. Mit ganzer Kraft
stach ich meine Finger in die Augen des Monsters. Es fiel auf
den Boden und ich flog mit dem Engel davon" (Seite
48). Geistlicher Karatekampf gegen Monster. Das erinnert mehr
an Harry Potter denn an die Lehren der Bibel.
Dabei kennt man solche Kämpfe nur zu gut
von katholischen Heiligen und Mystikern, die einerseits in himmlischen
Sphären schwebten und Wunder über Wunder erfuhren, dann
wieder in furchtbaren Anfechtungen mit Teufeln und Dämonen
kämpften. Während Yun weiter fastete und betete,
durchlebte er eines Tages eine schreckliche Vision... Aus den
Wänden kamen viele Skorpione, schwarze Schlangen und Schwärme
von Wespen hervor, die ihn angriffen... In dieser Vision dreht
er sich um und sah eine nackte Frau, die ihre Arme ausbreitete
(Seite 75). Auch befindet man sich mit solchen Erlebnissen in
bester New-Age-Gesellschaft.
Ebenso erinnern das Entkommen aus den Gefängnissen
der Polizisten und das Entrinnen aus dem Griff seiner Verfolger
öfters an solche Legenden. Seile lösen sich in wundersamer
Weise (Seite 49), im Namen Jesu werden seine tauben Hände
sofort wieder normal funktionsfähig Er springt wie eine Gazelle,
offensichtlich von Engeln getragen, über ein hohe Mauer,
deren Oberseite mit Glasscherben gespickt ist (Seite 50), usw.
usf.
Doch einsame Spitze dieser mehr als wundersamen
Befreiungen und Legenden dürfte folgender Bericht sein: Um
ganz sicherzugehen, dass er nicht aus dem Gefängnis entkommen
konnte, nahmen sie einen Vorschlaghammer und zerschmetterten damit
seine Beine gerade oberhalb der Knöchel. Nur noch Muskelgewebe
hielt danach die Knochen zusammen. Von da an war es für Yun
unmöglich, zu gehen oder zu stehen... Der Himmelsbürger
war nun ein Krüppel geworden... (Seite 104). Dennoch
wird ihm nahegelegt zu fliehen. In Glauben und Gehorsam
wagte er den ersten Schritt. Da durchströmte ihn die Kraft,
er stand auf ER KONNTE GEHEN! So bewegte er sich auf die Tür
seiner Zelle zu, die sich vor ihm öffnete. In Glauben ging
er die ersten Schritte in die Freiheit. Zu seiner großen
Überraschung öffneten sich auch die weiteren Türen,
sobald er auf sie zutrat. Gleich mehrere Naturgesetze gleichzeitig
wurden hier außer Kraft gesetzt (Seiten 105-106).
Auch wird ausdrücklich erwähnt, wie
hier kein natürlicher Heilungsprozeß dies ermöglicht
haben konnte, denn ein Christ in dem Gefängnis stellte fassungslos
fest: Ich wusste doch, dass er infolge seiner zerschmetterten
Beine völlig verkrüppelt war. Doch jetzt sah ich, wie
er mir in großer Eile entgegenkam (Seite 106).
Nun möchte ich klarstellen, daß natürlich Gott
nichts unmöglich ist und wer mag Ihm verbieten, hier nicht
gleich mit ganzen Wunderkaskaden einzugreifen? Doch warum treten
solche Berichte gewöhnlich im Dunstkreis der Pfingstbewegung
auf, deren fragwürdige Heilungen und Wunder sich herumgesprochen
haben sollten? Auch ermahnt uns das Neue Testament gleich achtmal,
nüchtern zu sein. Und in unseren Tagen der Zeichen- und Wundersucht
sowie der Okkultinvasion, wo ein ganzes Feuerwerk des übernatürlichen
abgebrannt wird, sollte man besonders wachsam sein.
Diese Berichte erinnern mehr an Gutgläubigkeit
und Aberglauben, typische Merkmale, wie bereits erwähnt,
für die katholische Frömmigkeit mit ihren unnüchternen
Heiligen- und Märtyrergeschichten, wo noch an den Gräbern
dieser "Heiligen" erstaunlichste Dinge passiert sein
sollen. Es ist jedenfalls kaum der biblische Glaube des reifen
Mannesalters (Eph. 4,13), der alles prüft, sondern vielmehr
kindisches Verhalten, eine Eigenschaft, die Paulus gerade bei
den Korinther beklagen muß (1. Kor. 3,1-3). Wir wollen kindlich,
aber nicht kindisch sein.
Auf ähnlicher Ebene ist der Bericht über
Bruder Yuns Fasten im Gefängnis einzuordnen. Er weigert sich,
daß ohnehin kärgliche Essen im Gefängnis zu sich
zu nehmen und fastet 74(!) Tage lang. Nachedem Yun vierzig
Tage und Nächte im Gefängnis gefastet hatte, versuchte
ihn Satan mit der Frage: "Willst du es besser machen als
dein Herr? Er hat nur 40 Tage und Nächte gefastet... Yun
wusste nicht mehr, wie er mit diesem Druck umgehen sollte, und
war versucht, sich selbst das Leben zu nehmen... Sein Kampf dauerte
an. Freude und Friede wechselten mit Verzweiflung, Schmerz und
Angst (Seite 71).
Gott gibt ihm angeblich eindrucksvolle Visionen
und der Heilige Geist erinnert ihn an die Visionen, die er früher
hatte. Doch nach diesem senkten sich einmal mehr erdrückende
Wolken der Qual auf ihn herab... Der Herr erinnerte ihn: "Meine
Berufung ist unwiderruflich. Jeder wirklich Gläubige kann
es mir gleichtun. Ja, sie werden sogar größere Dinge
tun als ich (Seite 72).
Wer redet hier eigentlich? Wer stellt sich hier
praktisch ungeschminkt mit Gott gleich? Nun wird von den Charismatikern
Johannes 14,12 bis zum Überdruß zitiert, um ihre Pseudowunder
angeblich biblisch belegen und noch mehr erwarten zu können.
Doch hier geht es doch bei dem 40tägigen Fasten um die besondere
Vorbereitung unseres Herrn, der als der letzte Adam (1. Kor. 15,45)
für uns versucht und geprüft ward, um als Lamm Gottes
das vollkommen Opfer für die Erlösung der Welt zu bringen.
Das Fasten von Bruder Yun hat nun in diesem Sinne mit dem einmaligen
Heils- und Erlösungsplan Gottes durch Christus wirklich nichts
zu tun. Kann es im Erlösungshandeln tatsächlich jeder
mit Jesus gleichtun? Wird hier nicht unser einmaliger Herr auf
eine menschlich tiefere Ebene gezogen? Für mich liegt hier
eine Grenzüberschreitung vor, wo ein fremder Geist sich als
Gott bzw. Jesus tarnt (2. Kor.11,4).
Der Bericht über diese unglaubliche lange
Fasten, verbunden mit all den Folterungen und Torturen ließt
sich ebenso erschreckend wie erschütternd. Wenn nur 10% von
den erwähnten unmenschlichen Quälereien zutreffen sollten,
wäre es schon mehr schlimm genug und für uns verwöhnte
Westbürger sicherlich ein Todesurteil. Über diese Episoden
im Leben Yuns fällt es daher schwer, von dieser Warte her
ein kritisches Urteil zu fällen. Sein Ausharren und seine
Tapferkeit verlangt Respekt und nötigt uns Bewunderung ab.
Soll ich, weil kein Mensch normalerweise 74 tage Fasten überlebt,
erklären, dies sei erfunden oder unglaubwürdig? Das
wage ich nicht zu sagen, obwohl manches mehr als fragwürdig
bis sonderbar ist. So z.B. die oben erwähnte Quelle seiner
Inspirationen. Und Joh. 14,12 dafür in Anspruch zu nehmen,
fast doppelt so lange wie unser Herr zu fasten, ist theologisch
und biblisch unhaltbar. In dem Buch selbst heißt es über
diese Periode: Yun erlebte eine bis dahin nicht gekannte
Furcht und Dunkelheit in seinem Leben. Aber neben all dem Bösen
gab es auch Zeichen, Visionen, Träume und Offenbarungen des
Herrn (Seite 86).
In einer weiteren Vision gestatte Gott ihm einen
Einblick, in dem Yun sich selbst und andere Gläubige sah,
wie sie alle Hindernisse und Schwierigkeiten überwanden,
denen sie gegenüberstanden (Seite 72). Dies ist für
mich Hellseherei und bei all den in diesem Buch geschilderten
Visionen, z. B. Eines nachts, kurz bevor das Baby geboren
wurde, hatte Yun eine Vision. Er sah seine Frau auf ihn zukommen
und stolz ein Baby auf ihrem Arm halten (Seite 91), nur die
Spitze des Eisbergs. Auch mancher Dialog Yuns mit "Jesus"
erinnert mehr an einen Dialog mit einem Kontrollgeist denn ein
Gespräch mit dem lebendigen Gott. So fragte er Jesus:
Ist das wirklich die Wahrheit, oder willst Du einen Narren aus
mir machen?" Aber Jesus antwortete: "Das ist die Wahrheit.
Ich habe mich nicht verändert" (Seite 109).
Bruder Yun ist eben nicht die einflußreiche
Gestalt der chinesischen Hauskreisbewegung gewesen, die auf Watchman
Nee und Wang Ming Tao zurückgeht, sondern eine offensichtlich
zentrale Gestalt der pfingstlich-charismatischen Hauskreise Chinas.
So heißt es beispielsweise auf Seite 55: Viele Prophezeiungen
wurden in dieser Zeit gegeben.
Dieses Buch wimmelt nur so von Gesichten, Stimmen,
Heilungen und Visionen und wird deswegen in den charismatischen
Kreisen auf große Begeisterung stoßen. Einiges scheint
beeindruckend, einiges ist einfach Unnüchternheit und, wie
heute üblich, Verwechslung von Phantasie mit Wirklichkeit.
So könnte man sich zur Not damit anfreunden,
daß Engel Menschen in Notsituationen geleiten oder aus dem
Kerker führen. Wir haben dazu biblische Beispiele und auch
Missionare berichten hin und wieder, wie sie von unsichtbaren
Wesen beschützt worden sind. Doch manches liest sich bizarr.
Yuns Frau und Tochter beispielsweise verirren sich auf der Flucht
an der Grenze zwischen Birma und Thailand. Die Situation ist lebensbedrohlich.
Plötzlich tauchte direkt neben ihnen eine strahlende
Erscheinung auf und sie sahen eine Gestalt, die so etwas wie ein
blinkendes Suchlicht auf dem Kopf trug (Seite 146). Das
erinnert mehr an Fantasy-Romane denn an biblischen Realismus.
Auch die immer wieder erwähnten Heilungen
sind oft genug das Proprium solcher Strömungen. Er
betete mit großer Autorität über seiner Mutter
und wies die Krankheit im Namen Jesu zurück (Seite
132). Auch dies ist leider typisch für das unnüchterne
Weltbild dieser Christen.
Nach dem dritten Schlaganfall seiner Mutter,
hatte man bereits den Sarg bestellt. Bruder Yun war zu dieser
Zeit in der Schweiz. Er rief seine Mutter über das Mobiltelefon
in China an. "Mama, hörst du? Jesus liebt dich
und er wird dich heilen." Als seine Mutter die Worte "Jesus
liebt dich" hörte, richtete sie sich auf, bewegte sich
umher und begann triumphierend zu tanzen (Seite 133).
Ausdrücklich wird erwähnt, wie Bruder
Yun den Auftrag von Gott bekommen haben soll, die Hauskreise zu
zentralisieren. Gott sprach zu ihm und forderte ihn auf,
die verschiedenen Netzwerke der Hauskirchen zusammenzubringen
und in die Einheit zu führen, indem er Führer fand,
die die gleiche Vision mit ihm teilten (Seite 99). Gerade
dies wird von der anderen Hauskreisbewegung, die 1950 begann,
entschieden abgelehnt. Einfach auch deswegen, weil eine nicht
zentralisierte Bewegung viel weniger leicht zu infiltrieren und
zu überwachen ist.
Ein weiterer bemerkenswerter Zug dieser charismatischen
Hauskreise ist die Bewegung "Zurück nach Jerusalem".
Gott will angeblich 100 000Missionare aus China in die Länder
Asiens schicken mit Endziel Jerusalem. Doch im Licht der
historischen Tatsachen können wir festhalten, dass die Berufung,
das Evangelium von China aus auf den Weg nach Jerusalem zu bringen,
eine lebendige und mächtige Vision unter den chinesischen
Christen seit fast 100 Jahren ist (Seite 116).
Nun gibt es das "Jerusalemsyndrom"
und mancher Schwärmer wird von dieser Stadt unwiderstehlich
angezogen. Doch unser Ziel sollte das himmlische Jerusalem (Hebr.
12, 22) und nicht primär die gegenwärtige Stadt sein.
Solche Eingebungen sind nichts anders als hochgrade Unnüchternheit,
wo Enthusiasten die himmlische Berufung Gottes mit der irdischen
verwechseln. Es wird eine "Missionsreise" sein,
die viele Jahre dauern wird. Keiner weiß jetzt, wieviel
Zeit nötig sein wird, um all die vielen Volksgruppen, die
auf dem Weg der Missionare auf ihrem Weg nach Jerusalem liegen,
zu erreichen (Seite 114).
Solche unnüchternen Strömungen sind
in der Christenheit nicht neu. So gab es um die Wende zum 20.
Jahrhundert die Templer-Bewegung unter Pfarrer Hoffmann, die dann
in der Nähe von Haifa siedelte. Zurück ins Gelobte Land,
hieß die Verheißung. Inzwischen sind sie so gut wie
verschwunden. Ähnlich erging es den Visionären in China.
Eines ist gewiss, diese Vision wird von vielen geteilt und
sie ist weder neu, noch eine Modererscheinung. Vor etwa einem
halben Jahrhundert, noch bevor Yun geboren wurde, pflanzte Gott
diesen Traum in die Herze vieler chinesischen Christen. Sie wurden
damals als "Träumer" angesehen. Aber schon zu Beginn
der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begannen sie , sich
im Nordwesten Chinas zu versammeln. Ihr Ziel war Jerusalem. Doch
sie kamen nicht weit. Sie gelangten zu diesem Zeitpunkt nicht
einmal aus China heraus (Seite 115).
Was sind das für Führungen? Was ist
das für ein Gott, der solche Eingebungen schenkt, die dann
nur gescheiterte Versuche beinhalten? Gab es damals in China nicht
genügend Menschen, die auf das Evangelium warteten?
Es wurde bald deutlich, dass Gott diese
Vision steuerte und koordinierte, da jede Hauskirche, unabhängig
voneinander, die gleiche Vision erhielt" (Seite 116).
Andere Hauskreisleiter in China, nämlich
die nichtcharismatischen, warnen eindringlichst vor dem Sauerteig
dieser "Zurück nach Jerusalem"- Bewegung.
Es erinnert mich dieses Buch zum Teil an die
bizarren Wunder der Zulu-Bewegung eines Erlo Stegen, der ebenfalls,
eine gewisse Zeit jedenfalls, als großer Erweckungsmann
herumgereicht wurde und jede Menge Spaltungen verursachte.
Das Buch ist auch ein Ergebnis dessen, was Walter
Hollenweger konstatierte. Er erklärte ganz frei und offen,
daß in der Dritten Welt "Kirchen mit Geistheilern zusammenarbeiten.
Es sei dort für Christen selbstverständlich, ihre vorchristliche
Heiltraditionen in ihr Glaubensleben einzubauen" (ideaSpektrum
49/2004). Nun ist Hollenweger keine Randfigur. Er ist eine Schlüsselgestalt
der Pfingst- und charismatischen Bewegung. Diese Vermischung von
Animismus, Spiritismus, Wahrsagerei und Aberglauben mit neutestamentliche
Christentum ergibt eben die heute so expandierende charismatische
Frömmigkeit. Das hier besprochene Buch und die erwähnten
Phänomenen ist das typische Resultat von solch einem Durcheinander
von Licht und Finsternis, Heiliger Geist und Geister, wie es gerade
auch in der Gemeinde zu Korinth der Fall war (1. Kor. 10,2; 2.
Kor. 6,14-16).
Es ist möglich, daß in der Ausgabe
dieser Biographie im Brunnen-Verlag manches geglättet wurde.
Der Bericht über die zerschmetterten Beine in "Heavenly
Man", Brunnen Verlag, S. 265, ist teilweise ausführlicher,
teilweise weniger dramatisch.
So hat man z.B. in den Biographien über
Sadhu Sundar Singh gewöhnlich den Abschnitt weggelassen,
wo er sich in seinen Visionen mit Swedenborg unterhielt, dem größten
Spiritisten des 18. Jahrhunderts. Swedenborg war ein großer
Mann, ein Philosoph, Wissenschaftler und vor allem ein Seher klarer
Gesichte. In einem Brief vom 12. Nov. 1928 schrieb Sundar
Singh: Ja, ich habe den verehrten Swedenborg in meinen Gesichten
mehrmals gesehen. Er ist eine sehr liebenswerte Persönlichkeit
und hat im Himmel eine hohe Stellung inne (Sundar Singh,
A.J. Appasamy, Verlag Friedrich Reinhardt AG., Basel, S. 271 u.
273).
Bei diesen Aussagen nun hätte man merken
können, daß dieser hingegebene Zeuge Jesu in den Spiritismus
verstrickt war. Doch hat man diese anstößigen Stellen
herausgenommen und damit die arglosen Gläubigen verführt.
Eine Fälschung, die das Echte genauer imitiert, ist deswegen
nicht besser, sondern nur gefährlicher.
Wir wollen uns nichts vormachen. Wenn so ein
brennender Zeuge wie Sundar Singh betrogen werden konnte, denn
kaum jemand hatte so eine glühende Hingabe an unseren Herrn
wie dieser Sadhu, dann kann auch jeder von uns betrogen werden,
wenn er so töricht oder einfältig ist, Stimmen, Träumen,
Visionen oder gar Jesuserscheinungen zu vertrauen.
Der "große Prophet" Rick Joyner,
der von sich behauptet, in seinen Visionen nicht nur mit Jesus,
sondern auch Noah und Paulus zu sprechen, für den der gegenwärtige
Papst angeblich die Gabe der Heilung und Prophetie habe, erklärt
in seinem neu erschienenen Buch "Die Fackel und das Schwert",
Schleife Verlag Winterthur: "Wenn wir glauben, dass
wir uns wirklich dem Ende des Tage nähern, dann kommen wir
nicht umhin, zugleich die Vorhersage ernst zu nehmen, dass es
dabei unweigerlich zu einer dramatischen Ausweitung prophetischer
Erlebnisse und Offenbarungen kommen wird. Träume, Visionen
und prophetische Eindrücke sind immer eine Begleiterscheinung
von Ausgießungen des Heiligen Geistes" (zitiert
in Charisma, Nr. 130, S. 40).
Genau das spielt sich vor unseren Augen in Erfüllung
von 2. Thess. 2,9-11 ab, allerdings anders, als Rick Joyner es
meint. Das Totenreich weitet sich aus (Offb. 6,8) und die Geisterwelt
veranstaltet dementsprechend eine "charismatische Show"
nach der anderen.
Eines ist sicher. Sollte der Herr noch verziehen,
werden noch andere solche "Himmelsbürger" aufstehen,
die große Erweckungen mit Zeichen und Wundern auf ihre Fahne
geschrieben haben, um, wenn möglich auch die Auserwählten
zu verführen (Mt. 24,24).
Alexander Seibel, © 2005
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