Das erfolgreiche Buch "Leben mit Vision" (im
Folgenden LMV abgekürzt, engl. Originaltitel "Purpose Driven Live")
von Rick Warren übt derzeit einen großen Einfluss in evangelischen und
evangelikalen Gemeinden aus und wird in groß angelegten Programmen und Kampagnen
eingesetzt. Aufgrund des großen Einflusses soll es erlaubt sein, die geistliche
Qualität dieses Buches einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
LMV will die ganze Bandbreite des christlichen Lebens
abhandeln und ist behandelt daher ein sehr breites Themenspektrum. Zudem packt
der Autor oft sehr bedeutungsreiche Aussagen dicht hintereinander. Aus diesen
Gründen kann die hier folgende Prüfung nur auf einige Grundrisse des Buches
eingehen - eine vollständige Besprechung und Beurteilung könnte sogar länger
ausfallen als das Buch selbst.
Zuerst gibt es Gutes über LMV zu sagen: Warren zitiert
über 1000 Bibelverse und befürwortet gründliches systematisches Bibelstudium:
"Die Bibel ist dafür gedacht, versweise, kapitelweise und bücherweise
studiert zu werden" (S. 303). Gut ist auch, dass Warren der Bibel die
höchste Autorität zubilligt, "auch wenn Ihr Verstand oder Ihre Gefühle
dagegen sprechen" (S. 184). Leider werden diese Aussage durch die
Gesamtausrichtung des Buches nicht bestätigt, sondern, wie wir sehen werden,
entwertet.
LMV gliedert sich in fünf Teile, in denen jeweils eines
von fünf Hauptlebenszielen des Menschen (= die fünf Hauptaufträge des Christen)
behandelt wird. Damit werden gleich zwei bedeutende Probleme aufgeworfen: 1.)
Wird der Leser als Mensch allgemein oder als Christ angesprochen? 2.) Sind mit
diesen fünf Bereichen wirklich alle wichtigen Aufträge des Christen abgedeckt?
Das erste dieser Probleme ist das schwerwiegendste des
Buches: Das Buch soll auch oder gerade den Nicht-Christen ansprechen, also
evangelistisch sein, aber das enthaltene Evangelium ist verschwindend dünn und
das Christwerden ein unzureichendes Schnellverfahren.
Hier zeigt sich bereits, dass der Mangel des Buches vor
allem in dem besteht, was es nicht sagt. Bei seinem Anspruch, ein Allround-Buch
zu sein, das Menschen zu Christen macht und diese Christen dann zur Reife
führt, sind klaffende Lücken fatal.
Diese Lücken bestehen auch beim zweiten Problemfeld: Die
fünf genannten Lebensziele sind nicht vollständig, z.B. werden wichtige
biblischen Aufträge ignoriert wie "für die überlieferte Glaubenslehre zu
kämpfen" (Jud 1,3), trotz grassierender Irrlehren das klare Wort Gottes zu
predigen und gegen den Strom zu schwimmen (2Tim 3-4), sich von Irrlehre
abzusondern etc.
Das Buch ist konzipiert als eine 40-tägige Reise, d.h. als
eine Art Andachtsbuch für jeden Tag mit 40 Kapiteln. Am Anfang des Buches soll
der Leser zusammen mit einem Partner einen "40-Tage-Vertrag"
unterschreiben. Die Unterschrift von Rick Warren als Vertragspartner ist
bereits aufgedruckt. Von der Bibel her betrachtet, hat ein solcher Vertrag
keinen Nutzen, sondern ist sogar sehr fragwürdig. Christen sollen sich keinen
geistlichen Verpflichtungen, Eiden, Bündnissen und Satzungen unterwerfen (Mt
5,34; Kol 2,20). Das Volk Israel verpflichtete sich im Alten Bund, die Gebote
zu halten, und scheiterte kläglich. Der Neue Bund, ist wie alle Gnadenbünde
Gottes, einseitig allein von Gott statuiert und kann von Menschen nicht
gebrochen werden. Was ist, wenn der Leser den Vertrag nicht einhält?
LMV präsentiert einen auf Erfahrung basierenden,
pragmatistischen Ansatz, der die Grundlage des ganzen Buches bildet. Gleich in
den ersten Zeilen schreibt Warren:
"Dies ist mehr als ein Buch; es ist ein Reiseführer
zu einer 40-tägigen geistlichen Reise, die Sie in die Lage versetzen wird, die
wichtigste Frage in Ihrem Leben zu beantworten: 'Wozu bin ich eigentlich auf
dieser Erde?' Am Ende dieser Reise werden Sie Gottes Ziel für Ihr Leben kennen.
Sie werden einen größeren Überblick haben und verstehen, wie die verschiedenen
Teile Ihres Lebens zusammenpassen. Diese neue Perspektive wird Ihnen helfen,
Stress zu verringern, leichter Entscheidungen zu fällen, zufriedener zu leben,
und sie wird Sie vor allem auf die Ewigkeit vorbereiten." (S. 9) "Die
nächsten 40 Tage können Ihr Leben verändern" (Original: The next 40 days
will transform your life." "Ich freue mich auf die Dinge, die mit
Ihnen passieren werden. Sie sind auch mir passiert, und ich bin nicht mehr derselbe,
seit ich Gottes Ziele und Absichten für mein Leben entdeckt habe" (S. 11).
Man beachte
• die überschwängliche Natur dieser Aussagen - und dass
sie nicht wahr sind. Es kann gut sein, dass der Leser am Ende der
"Reise" nicht sein Lebensziel kennt, nicht transformiert worden ist
und keine großartigen Dinge mit ihm geschehen sind.
• die humanistische Ausrichtung: Der Mensch und sein
Nutzen steht im Mittelpunkt (siehe auch die Widmung auf S. 5)
• die pragmatische Grundhaltung: Es hat bei mir funktioniert,
und deshalb wird es auch bei dir funktionieren.
Am Ende dieses Artikel kommen wir noch einmal auf diesen
Marketing-Pragmatismus zurück.
LMV geht von Anfang an falsch mit der Bibel um. Z.B. ist
schon die Grundlage der 40 Tage falsch. Warren behauptet, wenn Gott jemanden zu
einem besonderen Zweck zubereiten wollte, habe er dafür eine Zeit von 40 Tagen
gewählt. Warren nennt dafür folgende Beispiele:
- Noahs Leben wurde durch 40 Tage Regen verändert
(Original: "transformed").
- Mose wurde durch 40 Tage auf dem Berg Sinai verändert.
- Die Kundschafter Israels veränderten sich durch 40 Tage
im Verheißenen Land.
- David wurde durch die 40 Tage dauernde Herausforderung
durch Goliath verändert
- Elia bekam durch eine einzige Mahlzeit Kraft für 40 Tage
und wurde dadurch verändert.
- Die Bewohner der Stadt Nineve hatten 40 Tage Zeit zur
Umkehr und veränderten sich dadurch.
- Jesus wurde durch 40 Tage in der Wüste für seinen Dienst
bevollmächtigt.
- Die Jünger wurden durch die 40 Tage verändert, die sie
nach seiner Auferstehung mit Jesus verbrachten.
Die Aussagen dieser Auflistung sind schlichtweg falsch.
Die Sintflut war keine Rüstzeit für Noah, sondern Gottes Gericht über die Welt.
Mose empfing auf dem Berg Sinai keine Lebensveränderung, sondern das Gesetz.
Zwei der zwölf Kundschafter waren bereits vor ihrer Reise gläubig und treu, den
andern zehn fehlte der Glaube und sie entmutigten das Volk. David erfuhr erst
von seiner Herausforderung erst, nachdem Goliath das Volk bereits 40 Tage lang
bedrängt hatte. In Ninive sollte das Gericht nach 40 Tagen eintreffen, aber die
Leute kehrten vorher um. Elia wurde nicht durch die 40 Tage verändert, sondern durch
die Speise für die 40 Tage gestärkt; eine Lektion von Gott lernte er erst nach
den 40 Tagen. Der Herr Jesus war bereits vor seinem Wüstenaufenthalt
"bevollmächtigt" - als Sohn Gottes allgemein und durch den bei der
Taufe herabkommenden Heiligen Geist für seinen Dienst insbesondere. Die Apostel
wurden erst zu Pfingsten (49 Tage nach der Auferstehung) grundlegend verändert.
Ihre 40 Tage mit dem Auferstandenen waren eine heilsgeschichtlich absolut
einzigartige Zeit.
Die Bibel sagt einfach nicht, dass Gott eine Zeit von 40
Tagen veranschlagt hat, um jemanden zu einem bestimmten Zweck zuzubereiten.
Warren verwendet einfach ausgesuchte Bibelstellen, um seine eigenen Gedanken zu
belegen und den Leser von der Wichtigkeit des Buches zu überzeugen. Auch seine Behauptung:
"Immer wenn Gott jemanden für eine Aufgabe vorbereiten wollte, nahm er
sich dafür 40 Tage Zeit" (S. 9) ist falsch. Paulus war drei Jahre, Mose 40
Jahre in der Wüste, die Jünger verbrachten drei Jahre mit dem Herrn etc.
Oft werden Verse aus dem Zusammenhang gerissen und vom
Autor zu seinen Zwecken instrumentalisiert. Z.B. benutzt Warren Matthäus 18,20
("Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind ..."), um sein
Kleingruppen-Modell zu rechtfertigen. Im Zusammenhang von Mt. 18 geht es jedoch
um die Gemeinde als Ganzes (und sei sie am Ort noch so klein) und um
Zuchtmaßnahmen dieser Ortsgemeinde, um gegen Sünde anzugehen.
Kapitel 7 ist überschrieben mit Sprüche 16,4: "Alles
hat der Herr zu seinem Zweck gemacht." Das ist ein höchst interessanter Vers,
aber wie er weitergeht, ist nicht zitiert: "... so auch den Gottlosen für
den Tag des Unglücks." Diese schwerwiegende und irreführende Auslassung
ist auch nicht durch eine Angabe von "16,4a" gekennzeichnet, sondern
der Leser gewinnt mit der Angabe "16,4" den Eindruck, es handle sich
um den vollständigen Vers.
Auf S. 163 warnt Warren vor Klatsch und Tratsch.
"Wenn Sie solchem Gerede zuhören, dann nennt Sie die Bibel einen
Verbrecher." Als Beleg zitiert Warren Sprüche 17,4 und Judas 19. Doch um
Klatsch und Tratsch geht es weder in Sprüche 17,4 (sondern um Lüge und
bösartiges Reden) noch Judas 19 (sondern um Irrlehrer). Es stimmt, dass Klatsch
und Tratsch schlecht ist, aber dies kann nicht mit Sprüche 17,4 und Judas 19
gezeigt werden. Auch wenn hier richtige Aussagen getroffen werden, werden sie
mit einer falschen Bibelauslegung begründet - und eine solche falsche
Bibelauslegung bildet die Grundlage für katastrophale Irrtümer an anderer
Stelle.
Weitere Beispiele für den unzulässigen Umgang mit
Bibelversen werden weiter unten aufgezeigt.
LMV vermittelt eine schwache Theologie auf Grundlage eines
mangelhaften Umgangs mit der Bibel. Viele Zitate stammen aus den freien
Bibel-Übertragungen "Hoffnung für alle" und "Gute
Nachricht". Warren schreibt im Anhang (S. 323), dass er durch seine
Bibelversions-Wahl das Verlorengehen bestimmter Bedeutungsnuancen vermeiden
will, doch durch weit vom Grundtext entfernte Übersetzungen entgehen ihm gerade
diese Nuancen - Widerspruch Eins. Außerdem wolle er dadurch "Gottes Wort
in neuen, frischen Worten" [in der engl. Originalausgabe: "God's truth in a new, fresh
way] bringen. Widerspruch Zwei - denn mit "neuen, frischen"
Worten führt man zwangsläufig andere Nuancen ein als im Grundtext beabsichtigt.
(Im engl. Original werden noch wesentlich mehr, freiere und sinnentstellendere
Übertragungen verwendet als in der deutschen Ausgabe, insbesondere die stark
humanistisch geprägte "Message"-Übertragung von Eugene Peterson.)
Die Bibel ist das von Gott inspirierte Wort
(Verbalinspiration) und damit die objektive und autoritative Wahrheit. Das
freie Übertragen widerspricht der Verbalinspiration, da es nicht das
inspirierte Wort Gottes weitergibt, sondern das Verständnis der Autoren, das
falsch sein kann - und bei den verwendeten Version oft in eine liberale,
moderne und humanistische Richtung tendiert.
Das freie Übertragen widerspricht der Objektivität der Bibel - weil ihr subjektiv empfundenes Verständnis
widergegeben wird; und es widerspricht der Autorität
der Bibel - weil sie von Menschenhand angetastet und angepasst wird.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Warrens Vorliebe
für freie Übertragungen kontraproduktiv ist, was das Verstehen des Wortes
Gottes anbelangt.
Oft werden Verse losgelöst vom Zusammenhang zitiert und
von Warren in einen neuen, seinen eigenen, Kontext platziert, sodass sie einen
anderen Sinn ergeben. Einige Beispiele:
Kapitel 2 ist überschrieben mit Jesaja 44,2 nach
"Hoffnung für alle": "Ich habe dich geschaffen, wie ein Kind im
Mutterleib. Von Anfang an habe ich dir geholfen!" Der Zusammenhang des
Verses zeigt aber klar, dass diese Worte an "Jakob, mein Knecht, und
Israel, den ich erwählt habe" (Vers 1, vgl. Vers 2b) gerichtet sind, also
an das erwählte Volk Gottes.
Warren will hier aber alle seine Leser und alle Menschen
generell ansprechen - und so zitiert er diesen Vers tatsächlich "auf neue,
frische Weise" - mit einem anderen Sinn, der nicht dem von Gott
beabsichtigten Sinn entspricht.
Denselben Fehler begeht Warren im gleichen Kapitel (S. 23)
mit dem Zitat von Eph 1,4-5, auf der gleichen Seite mit dem Zitat von Jak 1,18
und auf den nächsten zwei Seiten mit Jesaja 46,3-4 und Römer 12,2.
Derselbe Fehler findet sich auch gleich in der Widmung des
Buches (S. 5), wo eine sehr entstellten Übertragung von Epheser 1,11 auf alle
Leser angewendet wird.
Hier zeigt sich ein Hauptproblem des Buches: Es richtet
sich sowohl an Gläubige wie Ungläubige, unterscheidet aber unzureichend
zwischen beiden. Verheißungen an Gläubige werden zitiert, als gelten sie allen
Lesern. Ungläubige können so getäuscht werden und meinen, sie seien bereits
errettet, obwohl sie das wahre Evangelium weder begriffen, geschweige denn
angenommen haben.
Eine gesunde Präsentation der grundlegenden biblischen
Lehre vom Evangelium (z.B. Römerbrief) wäre nötig, um eine gemischte
Leserschaft anzusprechen und klare Verhältnisse zu schaffen. Eine solche
systematische Abhandlung des Evangeliums wird in dem Buch jedoch systematisch
gemieden.
Stattdessen verzerrt LMV das Evangelium. Von einem Buch,
dass Nichtchristen in 40 schrittweisen Lektionen den Sinn des Lebens erklären
und sie somit zu Gott führen will, sollten wir erwarten, dass in den ersten
Lektionen der Leser mit Gott konfrontiert, von Sünde überführt und zur Buße
aufgerufen wird und ihm Christus und sein Heilswerk vorgestellt werden. Doch in
typisch "kundenfreundlicher" pragmatischer Manier werden
unentbehrliche Evangeliums-Inhalte wie Gottes Heiligkeit, Gerechtigkeit und
Zorn, Buße, Verdorbenheit in Sünde, Umkehr etc. ausgelassen. Anstatt den
schrecklichen Zustand des Sünders und seine ewige Verdammnis zu verdeutlichen,
beschreibt Warren die Alternative zum Glauben: "Alles andere ist nur ein Existieren" (S. 57).
LMV übersieht zudem die Tatsache, dass auch ein
Ungläubiger ein Lebensziel verfolgt - Feindschaft gegen Gott. Es verkennt, dass
der Lebenssinn, das Wesen und die Natur des Ungläubigen in Rebellion gegen Gott
besteht, dass er sündig und völlig verdorben ist. Das Buch verharmlost oder
ignoriert Wahrheiten wie das Problem der Sündigkeit vor einem heiligem Gott,
die absolute Notwendigkeit der Errettung sowie die Gerechtigkeit und Heiligkeit
Gottes.
Wenn LMV eine Einführung ins Christsein bieten soll,
werden etliche grundlegende Lehren ignoriert oder unvollständig bzw. nicht von
der Bibel her erklärt. Sogar bei der Darstellung des Evangeliums fehlen:
- die Gottheit, Sündlosigkeit etc. Jesu
- Buße
- der Grund für Jesu Sterben am Kreuz
- die ewigen Konsequenzen der Sünde
Am Tag 1 wird der Leser vertröstet: „Wenn Sie noch keine
solche Beziehung zu ihm [Jesus Christus] haben, werde ich später erklären, wie
Sie eine eingehen können.“ (S.20) Das versucht Warren dann allein am Tag 7
abzuhandeln. Der einzige wirkliche evangelistische Satz lautet dort:
"Glauben Sie, dass Gott Sie für eine Beziehung zu seinem Sohn Jesus
Christus geschaffen hat, der am Kreuz für Sie gestorben ist." (S. 57).
Noch eine kurze Erwähnung von "Jesus Christus als Ihren Herrn und
Erlöser" und ein kleiner Hinweis auf Sündenvergebung - das wars. Das
reicht für einen Nichtchristen niemals aus, wenn es nicht näher erkärt wird.
Daraufhin wird der Leser einfach aufgefordert, "das Gebet zu sprechen, das
Ihre Ewigkeit verändern wird: 'Jesus, ich glaube an dich und ich möchte, dass
du Teil meines Lebens wirst.'" (S. 57). Teil meines Lebens? Mehr nicht?
Mein Arbeitskollege, mein Hund und mein Auto sind auch "Teil meines
Lebens". Warren fährt fort: "Wenn Sie dieses Gebet ernsthaft gesprochen
haben, herzlichen Glückwunsch! Herzlich willkommen in der Familie Gottes."
(S. 57).
Auch seine spätere Definition, worin die "Gute
Nachricht" besteht (S. 290-291), dringt nicht tiefer ein. In diesem
Abschnitt zum Evangelisations-Auftrag wird nur eine allgemeine Liebe Gottes
betont, aber sein Zorn, das enorme Problem der Sünde, Buße usw. ausgelassen.
Das Evangelium gemäß der Bibel verdeutlich zuerst, dass der Sünder unter Gottes
Zorn steht (vgl. Röm 1,18ff), bevor es die Liebe Gottes verkündet. Ganz anders
das Evangelium gemäß Warren. Er zitiert sogar einen Vers, indem eigentlich der
Zorn Gottes über alle Ungläubigen ausgedrückt wird, lässt dabei aber gerade
diese Aussage weg (Joh 3,36 wird auf S. 57 nur zur Hälfte zitiert.)
Auch andere Lehren werden ähnlich oberflächlich
abgefertigt. Einheit und Mitgliedschaft in der Gemeinde werden herausgestellt,
doch Schlüsselverse wie Hebräer 10,25 fehlen und die Notwendigkeit lehrmäßiger
Reinheit wird komplett verschwiegen. Versuchung wird thematisiert, aber die
Schuld wird offenbar stets auf Satan geschoben, während die Reaktion des
Christen weitgehend reduziert wird auf Warrens Ratschläge wie
"Konzentrieren Sie sich auf etwas anderes" (S. 206, Original:
"Refocussing your thoughts") oder sich einer
"Selbsthilfegruppe" anzuschließen (S. 210). Verstrickungen in Sünde
werden reduziert auf "einen Teufelskreis von guten Vorsätzen, Versagen und
Schuldgefühlen", und das Gegenmittel ist nicht Buße, Glaube und das Kreuz,
sondern "die Hilfe anderer Menschen" (S. 209).
Themen wie die Heiligkeit Gottes, das Kreuz, das sündige
Fleisch, die Absolutheit biblischer Wahrheit, die Souveränität Gottes, seine
Gebote etc. werden weggelassen, um solchen Themen Platz zu machen, die ein
gutes Selbstwertgefühl vermitteln: Liebe, Familie, geistlicher Erfolg, Einheit
und persönliche Erfüllung. Es verwundert nicht, dass Warren als drei von vier
Zwecken des Buches nennt: " Stress zu verringern, leichter Entscheidungen
zu fällen, zufriedener zu leben" (S. 9).
Im Gegensatz dazu betonten die Lehren Christi und der
Apostel den ganzen Ratschluss Gottes, und nicht nur dessen beliebtere
Bestandteile. Z.B. sprach Jesus mehr über die Hölle als über den Himmel,
forderte von seinen Nachfolgern Buße (Mt 4,17; Lk 5,32) und radikale Trennung
von Sünde (Mt 5,29-30; 18,8-9), und stellte heraus, dass wahre Jüngerschaft
alles kosten kann (Mt 10,32-39; Mk 8,34-38). Auch die Apostel betonten die Buße
(Mark 6,12; Apg 2,38; 20,21), die Wichtigkeit lehrmäßiger Reinheit (Gal 1,6-10;
Jak 3,17), lehrmäßigen Tiefgang (Hebr 5,11-14) and völligen Gehorsam (1Jo 2,3;
3,24). Warren streitet diese Dinge zwar nicht unbedingt ab, gibt ihnen aber
nicht den Stellenwert, den die Schrift ihnen beimisst - insbesondere, wo es in
dem Buch doch um den gesamten Sinn und Zweck des Lebens gehen soll.
Durch etliche vereinfachte und pauschale Aussagen über
Gott vermittelt LMV ein fragwürdiges Gottesbild. Gleich auf S. 5 wird in der
Widmung wird behauptet: "Gott sehnt sich danach, dass Sie das Leben
entdecken, für das er sie erschaffen hat." Diese Aussage bringt mehrere
Probleme mit sich. Erstens steht das nicht in der Bibel. Zweitens wird Gott
eine tiefe, innige Herzensregung (Sehnsucht) zugesprochen - aber woher will Warren
das wissen, wenn es so nicht in der Bibel steht? Drittens vermittelt diese
Aussage den Eindruck, es könne geschehen, dass Gottes höchste Sehnsucht
unerfüllt bleibt, weil Menschen ihn aufgrund ihrer eigenen Entscheidung
enttäuschen. Es vermittelt den Eindruck eines schwachen Gottes, der in der
Erfüllung seiner Sehnsüchte auf uns Menschen angewiesen ist.
Im ganzen Buch finden sich Aussagen über Gottes Herz,
seinen Charakter usw., die so nicht in der Bibel stehen. Z.B. schreibt Warren
auf S. 62, "Gott liebt, ist vergnügt, genießt, feiert und er lacht
sogar" und führt dazu in der Endnote eine Liste von 15 Bibelstellen an.
Von diesen jedoch sprechen die meisten von der Eifersucht oder dem Erbarmen
Gottes - und nur eine davon, dass Gott lacht (Ps 2,4) - im Zusammenhang gelesen
lacht er dort allerdings im Gericht über seine Feinde!
Oft macht Warren absolute Aussagen über das Herz Gottes,
als würde er ihn durch und durch persönlich kennen: "Nichts auf der Welt
liegt Gott mehr am Herzen als seine Familie" (S. 158). Und er kennt
offenbar auch den Musikgeschmack Gottes; er mag "alle Musikstile" (S.
63). Dies sind nur wenige Beispiele.
Anstatt die Gottheit und Vollkommenheit Jesu zu lehren,
stellt Warren ihn so dar, als habe er es als Option in Erwägung gezogen, den
Auftrag des Vaters nicht zu erfüllen: "Jesus stand an einer Weggabelung.
Würde er seinen Auftrag erfüllen ... oder zurückweichen ...? Sie haben dieselbe
Wahl" (S. 56). Warren behauptet auch, Jesu demütiger Dienst habe auf
seinem guten Selbstwertgefühl basiert und schreibt über Jesu Dienst der
Fußwaschung: "Jesus wusste, wer er war, und so bedrohte diese Aufgabe sein
Selbstbild nicht" (S. 272).
Was die tatsächliche biblische Lehre über Gott betrifft,
hinterlässt LMV jedoch eine schlimme Lücke. Bei einem Buch mit diesem Anspruch
wäre es grundlegend wichtig, die Eigenschaften Gottes ausgewogen und gründlich
darzustellen und die Person und Gottheit Jesu Christi zu präsentieren. Solche
elementaren Grundwahrheiten fehlen jedoch. LMV verkündet nicht Gott, geoffenbart
in Christus.
Die Aussage auf S. 17 trügt: "Es geht nicht um Sie.
Es geht in Ihrem Leben um weit mehr als um Selbsterfüllung, persönliche
Zufriedenheit und Glück." Der Großteil des Buches dreht sich eben doch
darum, wie der Leser zu einem besseren, erfüllteren Leben mit mehr Glück und
Zufriedenheit finden kann. Es ist mehr ein Rezeptbuch zu einem besseren Leben
als ein Buch über Gott oder Jesus Christus.
Fast in jedem zweiten Satz wird der Leser angesprochen
"Sie sind ... Sie haben ... Sie sollen ... Sie ... Sie ... Sie". Das
wirkt beinahe wie ein psychologisch-therapeutischer Schmeichelei-Trick -
"ich fühl mich beim Lesen wohl, denn es geht um mich". Wie soll der
Leser da von sich weg schauen auf Gott hin? Ganz klar geht es in diesem Buch
doch um den Leser!
Und der Leser wird geehrt: "Sie machen [Gott] nur
Freude, wenn Sie Sie selbst sind. Jedes Mal, wenn Sie einen Teil von sich
ablehnen, dann stellen sie auch Gottes Schöpferweisheit in Frage ..." (S.
72). Warren ignoriert den Sündenfall und die Verdorbenheit des gefallenen
Sünders. Sich als verdorbener Sünder zu betrachten, ist aber unverzichtbar für
die Errettung aus Gnade. Doch Warren steigert sich richtig in seine
Selbstwertphilosophie hinein: "[Gott] liebt sie so sehr, als wären Sie der
einzige Mensch auf dieser Welt" (S. 73). Jesus habe jedem von uns am Kreuz
verdeutlichen wollen: "Ich sterbe lieber, als ohne dich zu leben!"
(S. 76).
Da Warren nicht die Grundwahrheit der Stellung des
Gläubigen in Christus lehrt, da er ignoriert, dass wir nur in Christus Gott
wohlgefällig sein können, lehrt er letztlich ein eindeutiges
Selbstverwirklichungs-Evangelium: Parolen wie "Gott will, dass Sie Sie
selbst sind!" werden ständig wiederholt. Aber Gottes höchstes Ziel ist
nicht, dass jeder sich selbst verwirklicht, sondern alles unter Christus als
Haupt zusammenzufassen (Eph 1,10).
"Das Fleisch nützt nichts" (Joh 6,63) lehrte der
Herr Jesus, aber Rick Warren fördert das Vertrauen auf das eigene Fleisch:
"Sie sind ein maßgefertigtes, einzigartiges, originales Meisterwerk. Gott
hat ... sorgfältig den DNS-Cocktail gemixt, aus dem Sie erschaffen wurden"
(S. 230-231). Dies ist das Thema des ganzen 4. Teils "Geschaffen, um Gott
zu dienen." Der Christ jedoch dient Gott nicht durch sein Fleisch, sondern
"im Geist" (Röm 8,8f; Phil 3,3). Er ist nicht geschaffen, sondern erlöst,
um Gott zu dienen, nicht mit "Fleischesgaben", sondern Geistesgaben.
Doch Warren preist die Qualitäten des natürlichen Menschen
nach der psychologisch-mythologischen Temperamentenlehre: "Petrus war ein
Sanguiniker, Paulus ein Choleriker. Jeremia war melancholisch ... Es gibt kein
richtiges oder falsches Temperament für den Dienst" (S. 234). Der Leser
soll außerdem "Bücher und Hilfsmittel" heranziehen, die ihm
"helfen können, Ihre Persönlichkeit zu verstehen" (S. 235). Die
Schrift lehrt, "wenn jemand in Christus ist ... ist das Alte
vergangen" (2Kor 5,17), aber Warren meint "wie buntes Glas
reflektieren unsere unterschiedlichen Persönlichkeitsstile Gottes Licht
..." (S. 235). Im darauffolgenden 32. Kapitel wird die Beschäftigung mit
sich selbst noch mehr forciert mit Überschriften wie "Entdecken Sie Ihre
Begabungen ... Berücksichtigen Sie Ihr Herz und Ihre Persönlichkeit ... Nehmen
Sie Ihr persönliches Profil an und freuen Sie sich darüber ... Entwickeln Sie
Ihr Profil weiter" (S. 246-250). Die fatalen Auswirkungen unserer sündigen
Natur und unserer sündigen Wünsche, Ziele und Taten werden jedoch ignoriert.
Warren meint, wir sollten unser "einzigartiges Profil feiern" (S.
248).
Auf S. 265 geht Warren sogar so weit zu behaupten, Jesus
habe nur "aus einem sicheren Selbstwertgefühl heraus" die Füße der
Jünger gewaschen: "Jesus wusste, wer er war, und so bedrohte diese Aufgabe
sein Selbstbild nicht." Und für Gideon analysiert er, seine "Schwäche
war seine geringe Selbstachtung" (S. 272).
Die Schwachpunkte des Buches bestehen nicht nur in
einzelnen Falschaussagen, sondern auch in der Gewichtung und Stellenwert
bestimmter Themen. So gibt Rick Warren dem Thema Gemeinschaft und Beziehungen
höchste Priorität. Der ganze 2. Teil ("Sie wurden als Teil von Gottes
Familie erschaffen") dreht sich auf 53 Seiten darum: "Gott sagt, dass
Beziehungen das Wichtigste in unserem Leben sind" (S. 122). Das ist sicher
ganz im Sinne eines toleranten, ökumenischen Christentums. In der Bibel jedoch
hat Treue zu Christus und seinem Wort die Priorität vor Gemeinschaft mit
Menschen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Gemeinschaft unter Christen ist sehr
wichtig, aber Treue zu Christus und seinem Wort in Form von Reinheit in Lehre
und Praxis ist noch wichtiger. Ja, Liebe ist das Allerwichtigste, nämlich die
Liebe zu Gott.
Beim Thema Gemeinschaft kommt auch Warrens Hang zur
Psychologie zum Tragen: z.B. empfiehlt er Gebet als "Ventil nach
oben" (S. 152), nennt Konzepte aus dem Psycho-Management ("Betonen
Sie die Versöhnung, nicht die Lösung", S. 156, "Konzentrieren Sie
sich auf die Gemeinsamkeiten, nicht auf die Unterschiede", S. 159). In
seiner Gemeinde wird ein Programm eingesetzt ("Celebrate Recovery -
Wiederherstellung feiern", S. 210), das angeblich "auf den
Seligpreisungen Jesu basiert", aber eine Abwandlung des
psychotherapeutischen 12-Schritte-Programms ist. In "Tausenden von
Gemeinden" wurden dadurch "über 5000 Menschen von allen möglichen
Angewohnheiten, Verletzungen und Abhängigkeiten befreit". Das fördert mehr
den Glauben an Konzepte als Buße und alleiniges Vertrauen auf Jesus Christus.
Einheit hat für Warren höchste Priorität: "Um der
Einheit willen dürfen wir nicht zulassen, dass uns solche Unterschiede
trennen" (S. 159). Sein Einheitsstreben geht sogar so weit, dass die
Mitglieder von Warrens Saddleback-Gemeinde "einen Vertrag unterzeichnen
... die Einheit der Gemeinschaft zu schützen und zu fördern" (S. 165)
Kritisches Hinterfragen und Prüfen an der Bibel ist so also kaum möglich.
Jegliches Kritisieren lehnt Warren tatsächlich radikal ab
(S. 161f) - und leugnet damit unzählige biblische Aufforderungen, das Christen
sich gegenseitig ermahnen (Röm 15,14; Kol 3,16; 1Tim 4,13 etc.) und bei
schweren Fehlern auch streng zurechtzuweisen sollen (1Thes 5,14; 1Thes 3,15; Tit
1,13 etc.). Warren hingegen schreibt:„Wann immer ich einen anderen Christen
verurteile, geschehen umgehend vier Dinge: Ich verliere meine Gemeinschaft mit
Gott, ich lege meinen Stolz … offen, ich setze mich dem Gericht Gottes aus und
ich beeinträchtige die Gemeinschaft in der Gemeinde. Eine kritische Haltung ist
eine teure Angelegenheit.“ (S.162) Solche Behauptungen finden sich nicht in der
Bibel, sondern widersprechen ihr. Als Buch, das unsere Aufträge als Christen
auflisten will, hat LMV hier nicht nur eine Lücke, sondern behauptet das
Gegenteil!
Die Reformation hätte es nie gegeben, wenn Luther sich an
Warrens Ratschläge gehalten hätte, nie zu kritisieren, der Einheit höchste
Priorität zu geben und stets der Kirchenleitung unkritisch zu folgen. Auch wären
Tausende prostestantischer Märtyrer vor dem Tod bewahrt worden, wären sie
Warrens Einheits-Philosophie gefolgt.
Insgesamt ist LMV ökumenisch-unanstößig. Das Buch wird in
verschiedensten Denominationen genutzt und anerkannt. Erfahrungen zeigen: Ein
guter Katholik wird völlig einverstanden sein mit dem Buch und keineswegs
dadurch erkennen, dass er bisher etwas falsches geglaubt hat. Gleiches gilt für
Siebenten-Tags-Adventisten, Neuapostolische etc.
Seinen ökumenischen Inklusivismus verdeutlich Warren auch
durch die große Bandbreite von Autoren, die er im positiven Sinne zitiert,
z.B.:
- den New-Age-Lehrer Bernie Siegel, der Heilung durch
okkulte Visualisierung lehrt (S. 31),
- den Transzendentalisten Henry David Thoreau (S. 32)
- den antichristlichen Autor George Bernard Shaw (34).
- den katholischen Mystiker Bruder Laurentius (S. 86).
- Mutter Teresa auf S. 123
- die Mystikerin Madame Guyon auf S. 190
- Aldous Huxley, den alkoholsüchtigen Gründer der
Human-Potential-Bewegung
- den katholischen Priester und Mystiker Henri Nouwen (S.
266)
- Albert Schweitzer, der die Gottheit Jesu bekämpfte (S.
267)
- William James, den Vater der amerikanischen Psychologie
(S. 280)
Für Warren ist das Gebet ein "Ventil nach oben"
(S. 152). Er empfiehlt eine Mantra-artige katholisch-mystische Gebetsform:
"Gebete, die sich am Atemrhythmus orientieren. Diese Praxis war bei
Christen vergangener Jahrhunderte weit verbreitet. Man wählt einen kurzen Satz,
der innerhalb eines Atemzuges wiederholt werden kann ..." (S. 86) Außerdem
empfiehlt er die Ratschläge des katholischen Mystikers Bruder Laurentius (S.
86) und der Benediktiner-Mönche (S. 87) und verheißt: "Manchmal werden Sie
dann Gottes Gegenwart fühlen, manchmal aber auch nicht."
Warren propagiert auch verschiedene
"Frömmigkeitsstile". Man solle sich "Anbetungsstile"
aussuchen, die "zu Ihrer Persönlichkeit passen", darunter "von
der Natur inspiriert werden", "Liturgien, Symbole und feste
Strukturen" [Original: "rituals, liturgies, symbols"]. Auch
"das Böse bekämpfen" und "sich anderen Menschen zuwenden"
und "den Verstand zum Studium gebrauchen" sind seiner Meinung nach
"Anbetungsstile", die nicht zu allen passen, aber je nach
persönlicher Vorliebe gewählt werden können. In der Bibel jedoch sind das
Pflichten aller Christen.
In der engl. Originalausgabe ist der Ausdruck
"transform" (transformieren, verändern) ein Schlüsselbegriff. Der
Leser soll durch das 40-Tage-Programm verändert, transformiert werden. Auch
wenn dieses engl. Wort stärker ist als das in der deutschen Ausgabe verwendete
"verändern", erweckt dieser Schlüsselbegriff des Buches den Eindruck
einer mystischen Veränderung des Menschen, die die Bibel nicht kennt und die in
ihrem Wesen sogar heidnisch ist. Der Sünder kann in seinem Wesen nicht
verändert, verbessert oder veredelt werden. Nur die radikale Botschaft des
Kreuzes, die Botschaft von Tod und Auferstehung, kann ihn "ganz neu"
(2Kor 5) machen. Denkwürdigerweise fehlt diese biblische Lehre der Neugeburt in
LMV. Stattdessen zielt das Buch auf einen allmählichen Veränderungsprozess ab,
der nicht in Christus und seinem Heil gegründet ist.
Der ganze dritte Teil des Buches dreht sich auf 52 Seiten
unter der Überschrift "Sie wurden erschaffen, um Christus ähnlich zu
werden" um das Thema Veränderung und geistliches Wachstum. Tatsächlich
finden sich hier gute und richtige Aussagen, auch wenn es in der Überschrift
richtiger heißen müsste: "Der Christ wurde erlöst, um einmal Christus
ähnlich zu werden." Lobenswert ist, dass Warren in einem Kapitel
verdeutlicht, dass geistliches Wachstum durch das Wort Gottes kommt.
Doch werden in diesem Teil auch mindestens zwei
schwerwiegende lehrmäßige Irrtümer verbreitet:
Erstens wird geistliches Wachstum auf ein grundsätzliches
anderes Fundament gestellt als die Errettung, nämlich auf das der eigenen
Werke: "Ihre eigenen Anstrengungen bewirken nichts bei Ihrer Errettung,
aber sehr viel bei Ihrem geistlichen Wachstum" (S. 173). Warren behauptet,
"Gott wartet darauf, dass Sie den ersten Schritt tun" (S. 172), und
verheißt lediglich, "dass der Heilige Geist Ihnen bei diesen Veränderungen
helfen wird" (S. 178). Unter der Überschrift "Gottes Beitrag und Ihr
Beitrag" lehrt Warren, "Geistliches Wachstum entsteht aus der
Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Heiligen Geist" (S. 178).
Dieses Werke-orientierte Denken ist aber schwerwiegend
falsch. Die Galater mussten ermahnt werden, dass nicht nur das Heil, sondern
auch die Heiligung ganz aus Gnade und ganz aus Glauben ist.
Zweitens versteht Warren geistliches Wachstum als einen
inneren Veredelungsprozess: "Wir werden von innen heraus verändert, werden
noch schöner und können uns in neue Höhen erheben" (S. 173). Warren
behauptet, Gott sei "an der Entwicklung Ihres Charakters weit mehr
interessiert ist als an etwas anderem" (S. 175). Er sei bestrebt, "in
Ihnen einen Charakter zu entwickeln, der dem Wesen Christi entspricht" (S.
171).
Geistliches Wachstum bezieht sich in der Bibel jedoch nie
auf eine Charakterveränderung, sondern hat stets mit "Wachstum in der
Gnade und Erkenntnis Jesu Christi" (2Petr 3,18; vgl. Eph 4,11-16; Kol
1,6.10; 1Petr 2,2, Joh 3,30) zu tun, und zwar allein durch das Wort Gottes. Das
Wort Gottes verändert aber nicht den Charakter, sondern stärkt den von Gott
geschenkten Glauben, der auch als "neues Herz" bezeichnet wird und
das Denken und Handeln des Christen bestimmt. Der Charakter des Sünders ist und
bleibt unverbesserlich verdorben. Die Auffassung, der Charakter könne
verbessert werden, stammt vielmehr aus Mystik und Humanismus.
Angesichts Rick Warrens Hintergrund der
"besucherfreundlichen", pragmatistischen Gemeindewachstums-Bewegung
verwundert es nicht, dass auch LMV genau die Marketing-Methode dieser Bewegung
widerspiegelt. Z.B. werden als Qualitäten des Buches ja nicht akkurate Bibelauslegung
oder Darlegung biblischer Wahrheit angepriesen, sondern kundenorientierte
Versprechungen gemacht wie das "Leben zu verändern", zu erkennen
"wie die verschiedenen Teile Ihres Lebens zusammenpassen" und
"zufriedener zu leben" (S. 9).
Auf der Rückseite stimmen einflussreiche Evangelikale in
diesen Lobgesang ein: "Leben mit Vision wird Sie zu persönlicher Größe
führen" (Billy Graham), "... ein wertvolles Geschenk für jeden, der
das Ziel seines Lebens kennen und seine Berufung erfüllen möchte. Auf dieses
Buch haben wir gewartet!" (Bruce Wilkinson), "Wenn Sie nur ein
einziges Buch über den Sinn des Lebens lesen wollen, dann sollten sie dieses
lesen!" (Lee Strobel, Willow
Creek).
Die Marketing-Strategie ist nur zu offenbar: Kaufen Sie
dieses Buch - und Sie werden glücklicher sein. Entdecken Sie die Vorteile des
Lebens als Christ! Das sind dick aufgetragene Werbesprüche, die im krassen
Widerspruch zur Kreuz-Aufnehmen-"Strategie" Christi und seiner
Apostel stehen.
Hinter dem 40-Tage-Konzept steht eine riesige Marketing-Kampagne.
Im Herbst 2004 nehmen nach Angaben der Purpose-Driven-Organisation weltweit
mehr als 10'000 Gemeinden an der Kampagne „40 Tage – Leben mit Vision“ teil.
Der englische Originaltitel "Purpose Driven" ist sogar ein rechtlich
geschütztes, eingetragenes Markenzeichen. Außer einer ganzen Reihe auch auf
Deutsch erhältlicher Bücher "LMV - Gebetstagebuch",
"Jugendarbeit mit Vision", "Praktische Schritte zu einer Kirche
mit Vision" und dementsprechenden Hörbüchern und CDs ("Leben mit
Vision Playback - eine musikalische Reise zum Sinn des Lebens") werden
(zumindest in den USA) bis hin zu Kaffeetassen, T-Shirts usw. allerhand
Utensilien rund um dieses Produkt angeboten.
In Deutschland werden nach amerikanischem Modell
40-Tage-Kampagnen für ganze Gemeinden angeboten - und hohe Teilnahmegebühren
dafür verlangt. Erfolgsgarantie natürlich inbegriffen, zumindest in Zahlen
ausgedrückt.
Erfolg wird bei "Purpose Driven" meist in Zahlen
gemessen - Mitgliedszahlen, Verkaufszahlen, Zahlen erreichter und beeinflusster
Menschen. Auf der offiziellen Webseite www.purposedriven.com werden sogar
Karrieremöglichkeiten in den Bereichen Kundendienst, Finanzen, Marketing und
Medien angeboten. Echter geistlicher "Erfolg" lässt sich aber nicht
an zählbaren Faktoren messen.
Diese Rezension wurde von Hans-Werner Deppe erstellt
mithilfe mehrerer englischer Rezensionen. Eine Liste der verwendeten Artikel
findet sich unter
http://www.erwm.com/Church%20Growth%20Movement.htm