Eine Erklärung zum bapt. Glaubensbekenntnis(1689) für heute.

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Jörg
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Wir müssen jedoch an dieser Stelle im Blick auf die Absicht des Bekenntnisses vorsichtig sein. Abschnitt 4 scheint die offensichtlichen Annahmen von Abschnitt 3 zu modifizieren. Dort heißt es, dass die Gewissheit „auf verschiedene Weise erschüttert, geschwächt oder unterbrochen werden“ kann, dass jedoch wahre Gläubige „vor der völligen Verzweiflung bewahrt bleiben“ (18,4). Die Voraussetzungen zum Erlangen dieser Gewissheit sind zweierlei: Der Geist Gottes und die Mittel der Gnade. Das Bekenntnis betont, dass diese Voraussetzungen allen Gläubigen zu eigen sind. Das hier erwähnte Werk des Heiligen Geistes bedarf keiner „außerordentlichen Offenbarung“. Alle Gläubigen besitzen den Geist der Kindschaft (Röm 8,15-16; Gal 4,4-6;3,2). Die erwähnten Mittel sind gewöhnliche Mittel, die allen Gläubigen zur Verfügung stehen: das Gebet, das Studium des Wortes Gottes, der gemeindliche Gottesdienst, die Verkündigung, die Taufe, das Abendmahl und die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen. Die Pflicht zum Erlangen dieser Gewissheit ist die ethische Konsequenz, die sich aus dieser Vorkehrung Gottes ergibt. In der Formulierung dieser Pflicht werden zwei Dinge erwähnt: die allgemeingültige Pflicht und die heiligen Beweggründe. Es ist die Pflicht eines jeden Christen, unfehlbare Gewissheit zu erlangen, nicht nur deshalb, weil eine solche Gewissheit erlangt werden kann, sondern weil dies zur Heiligung beiträgt. Es ist eine Zunahme „an Frieden und Freude im Heiligen Geist“ (Kapitel 18,3; vgl. Neh 8,10; Röm 15,13), „an Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott“ (Kapitel 18,3; vgl. 1Joh 4,16.19) und „an Kraft und Bereitwilligkeit in den Pflichten des Gehorsams“ (Kapitel 18,3; vgl. Röm 6,11). All diese dienen (was die angegebenen Texte deutlich erkennen lassen) nicht nur zu ihrem Trost, sondern auch ihrer Heiligkeit und der größeren Verherrlichung Gottes in ihnen. Es gibt viele heilige Gründe, Gewissheit zu haben! Wer danach strebt, sie zu erlangen, ist nicht selbstsüchtig. Es ist vielmehr Ihre ernsthafte Pflicht, dies zu tun.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Beitrag von Jörg »

IV. Diese Gewissheit ist veränderlich (Abschnitt 4).

Da die in diesem Abschnitt angesprochenen Aspekte bereits kommentiert wurden, werden hier nur die Gründe für die Veränderlichkeit der Gewissheit behandelt. Es werden vier Gründe genannt. Allgemeine Vernachlässigung beeinträchtigt die Gewissheit. Eine besondere Sünde kann einem Gläubigen die Gewissheit rauben (Ps 51,10.14.16; Eph 4,30). Eine plötzliche Versuchung kann einem Gläubigen auch die Gewissheit nehmen. Dadurch, dass dies vom vorangehenden Fall unterschieden wird, wollten die Verfasser des Bekenntnisses offensichtlich, dass wir hier an einen Fall denken, bei dem jemand der Versuchung nicht nachgibt und nicht in Sünde fällt, aber doch so von einer Versuchung überwältigt ist oder solch eine Begierde nach Bösem verspürt, dass die emotionale Verfassung dieses Gläubigen für eine gewisse Zeit so erschüttert ist, dass er seine Gewissheit anzweifelt. Die Belegstellen, die im Bekenntnis von 1689 an dieser Stelle angegeben werden, bestätigen diese Interpretation (Ps 31,23; 77,8-9; 116,11). Die Puritaner hielten es zudem für denkbar, dass Gott in seiner Allmacht sein Wohlwollen zurückhält, wodurch ein Mangel an Gewissheit entsteht. Die Autoren unseres Bekenntnisses pflichteten dem bei.
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eugen
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Beitrag von eugen »

19. Über das Gesetz Gottes

1. Gott gab Adam ein Gesetz, das auf sein Herz geschrieben war und allumfassenden Gehorsam forderte,1 und die konkrete Anweisung, nicht von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen.2 Dadurch hat er ihn und alle seine Nachkommen zu persönlichem, vollkommenem, gewissenhaftem und stetigem Gehorsam verpflichtet, bei der Erfüllung Leben verheißen und bei der Übertretung den Tod angedroht und ihm auch Kraft und Fähigkeit verliehen, es zu halten. 3
1. 1Mose 1,27; Pred 7,29; Röm 2,12a.14-15.
2. 1Mose 2,16-17.
3. 1Mose 2,16-17; Röm 10,5; Gal 3,10.12.

2. Dasselbe Gesetz, das anfangs auf das Herz des Menschen geschrieben worden war, blieb auch nach dem Fall ein vollkommener Maßstab für die Gerechtigkeit. 1 Es wurde von Gott auf dem Berg Sinai in den Zehn Geboten übergeben2 und auf zwei Tafeln geschrieben, von denen die ersten vier unsere Schuldigkeit gegenüber Gott und die anderen sechs unsere Schuldigkeit gegenüber den Menschen beinhalten.3
1. Das vierte Gebot: 1Mose 2,3; 7,4; 8,10.12; 2Mose 16; das fünfte Gebot: 1Mose 37,10; das sechste Gebot: 1Mose 4,3-15; das siebte Gebot: 1Mose 12,17; das achte Gebot: 1Mose 31,30; 44,8; das neunte Gebot: 1Mose 27,12; das zehnte Gebot: 1Mose 6,2; 13,10-11.
2. Röm 2,12a.14-15.
3. 2Mose 32,15-16; 34,4.28; 5Mose 10,4.

3. Neben diesem Gesetz, das man gewöhnlich Moralgesetz nennt, hat es Gott gefallen, dem Volk Israel Zeremonialgesetze zu geben, die verschiedene sinnbildliche Anordnungen enthalten. Teilweise beziehen diese sich auf den Gottesdienst, indem sie im voraus Christus, seine Gnadengaben, Taten, Leiden und Wohltaten darstellen,1 und teilweise bieten sie verschiedene Anweisungen für moralische Pflichten.2 Alle diese Zeremonialgesetze, die nur bis zum Zeitpunkt der Neugestaltung in Kraft waren, wurden von Jesus Christus, dem wahren Messias und alleinigen Gesetzgeber, der vom Vater dazu bevollmächtigt wurde, aufgehoben und beseitigt.3
1. Hebr 10,1; Kol 2,16-17.
2. 1Kor 5,7; 2Kor 6,17; Jud 23.
3. Kol 2,14.16-17; Eph 2,14-16.

eugen
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Beitrag von eugen »

4. Er gab ihnen auch verschiedene Judizialgesetze, die zusammen mit dem Ende der staatlichen Existenz dieses Volkes ihre Gültigkeit verloren haben, so dass nun niemand mehr kraft dieses Rechts gebunden ist.1 Lediglich ihre allgemeine Entsprechung ist von moralischem Nutzen.2
1. Lk 21,20-24; Apg 6,13-14; Hebr 9,18-19 verglichen mit Hebr 8,7.13; 9,10; 10,1.
2. 1Kor 5,1; 9,8-10.

5. Das Moralgesetz verpflichtet für immer alle Menschen zum Gehorsam, sowohl die Gerechtfertigten als auch die anderen,1 und dies nicht nur hinsichtlich der in ihm enthaltenen Bestimmungen, sondern auch im Blick auf die Autorität Gottes, des Schöpfers, der es gegeben hat.2 Ebenso löst Christus diese Verpflichtung im Evangelium keineswegs auf, sondern verstärkt sie sogar noch deutlich.3
1. Mt 19,16-22; Röm 2,14-15; 3,19-20; 6,14; 7,6; 8,3; 1Tim 1,8-11; Röm 13,8-10; 1Kor 7,19 verglichen mit Gal 5,6; 6,15; Eph 4,25-6,4; Jak 2,11-12.
2. Jak 2,10-11.
3. Mt 5,17-19; Röm 3,31; 1Kor 9,21; Jak 2,8.

6. Obwohl sich wahre Gläubige nicht unter dem Gesetz als einem Bund der Werke befinden, um dadurch gerechtfertigt oder verdammt zu werden,1 ist es dennoch für sie wie auch für andere von großem Nutzen, weil es ihnen als Maßstab für das Leben den Willen Gottes und ihre eigene Schuldigkeit mitteilt: Es gebietet ihnen und verpflichtet sie dazu, dementsprechend zu leben,2 und deckt die sündhaften Verunreinigungen ihrer Natur, ihres Herzens und ihrer Lebensführung auf, so dass sie, wenn sie sich selbst daran prüfen, an Sündenerkenntnis, Demütigung wegen der Sünde und Hass auf die Sünde zunehmen können und gleichzeitig zu einer klareren Einsicht darüber gelangen können, wie nötig sie Christus und die Vollkommenheit seines Gehorsams haben.3 Ferner dient das Gesetz den Wiedergeborenen dazu, ihre Verdorbenheit dadurch einzudämmen, dass es Sünde verbietet; und seine Drohungen dienen dazu, ihnen zu zeigen, was selbst ihre Sünden noch verdient haben und welche Nöte sie in diesem Leben dafür erwarten müssen, auch wenn sie von seinem Fluch und seiner ungeminderten Härte befreit sind.4 Die Verheißungen des Gesetzes zeigen ihnen in gleicher Weise Gottes Wohlgefallen am Gehorsam und welche Segnungen sie bei seiner Erfüllung erwarten dürfen;5 doch haben sie durch das Gesetz keinen Anspruch darauf wie bei einem Bund der Werke. 6 Wenn daher ein Mensch Gutes tut und Böses unterlässt, weil das Gesetz ihn zu dem einen ermutigt und vom anderen abhält, ist dies kein Anzeichen dafür, dass er unter dem Gesetz und nicht unter der Gnade ist.7
1. Apg 13,39; Röm 6,14; 8,1; 10,4; Gal 2,16; 4,4-5.
2. Röm 7,12.22.25; Ps 119,4-6; 1Kor 7,19.
3. Röm 3,20; 7,7.9.14.24; 8,3; Jak 1,23-25.
4. Jak 2,11; Ps 119,101.104.128.
5. Eph 6,2-3; Ps 37,11; Mt 5,6; Ps 19,12.
6. Lk 17,10.
7. Vgl. das Buch der Sprüche; Mt 3,7; Lk 13,3.5; Apg 2,40; Hebr 11,26; 1Petr 3,8-13.

7. Ebenso stehen die zuvor erwähnten Gebrauchsweisen des Gesetzes nicht im Widerspruch zur Gnade des Evangeliums, sondern stimmen harmonisch damit überein. Denn der Geist Christi unterwirft und befähigt den Willen des Menschen, freiwillig und freudig das zu tun, was der im Gesetz geoffenbarte Wille Gottes zu tun fordert.1
1. Gal 3,21; Jer 31,33; Hes 36,27; Röm 8,4; Tit 2,14.

eugen
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Gliederung des Kapitels

Abschnitt.I.
I. Die ursprüngliche Gabe des Gesetzes Gottes
A. Sein Gehalt
1. Ein allumfassendes Gesetz
2. Eine konkrete Vorschrift
B. Seine Verpflichtung
C. Seine Geltung
1. Leben bei der Befolgung des Gesetzes
2. Tod bei Ungehorsam gegenüber dem Gesetz
D. Seine Begleitumstände

Abschnitt.II-IV.
II. Die mosaische Kodifikation des Gesetzes Gottes

A. Die Wiederholung des Moralgesetzes
1. Die Tatsache seiner Wiederholung
2. Die Umstände seiner Wiederholung
3 B. Die Hinzufügung des Zeremonialgesetzes
1. Die Absicht des Zeremonialgesetzes
2. Die Aufhebung des Zeremonialgesetzes
4 C. Die Hinzufügung des Judizialgesetzes
1. Seine Beendigung in der Vergangenheit
2. Seine moderne / moralische Anwendung

III. Die innerliche Verpflichtung gegenüber dem Gesetz Gottes
A. Seine andauernde Gültigkeit
B. Seine umfassende Bedeutung
C. Seine verstärkte Verpflichtung

IV. Die besonderen Aufgaben des Gesetzes Gottes für Christen
A. Die vorausgesetzte Einschränkung dieser Aufgaben
B. Die konkrete Nennung dieser Aufgaben
C. Das harmonische Zusammenwirken dieser Aufgaben
1. Die Tatsache dieser Harmonie
2. Die Erklärung dieser Harmonie



Der Inhalt dieses Kapitels wurde unter calvinistischen Baptisten sehr kontrovers diskutiert. Manche haben erklärt, dass das Bekenntnis an dieser Stelle „presbyterianisch“ oder „gesetzlich“ sei, und behaupteten, dass die historischen Umstände seine baptistischen Verfasser so beeinflussten, dass sie sich in dieser Frage ihren presbyterianischen oder puritanischen Brüdern angepasst haben. Derartige Urteile übersehen eine Tatsache, auf die in diesem Buch bereits öfter hingewiesen wurde. Die Verfasser des Bekenntnisses scheuten sich nicht, in entscheidenden Punkten vom Westminster Bekenntnis abzuweichen und stattdessen dem Ersten Londoner Bekenntnis zu folgen. Wenn sie sich also damit zufrieden gaben, in diesem Kapitel einfach die Lehre des Westminster Bekenntnisses über das Gesetz Gottes zu übernehmen, dann deshalb, weil sie damit keine Probleme hatten. Die offenkundige Übereinstimmung in diesem Kapitel zwischen dem Westminster Bekenntnis, der Savoy-Erklärung und dem Glaubensbekenntnis von 1689 zeigt sehr deutlich, dass es in dieser Frage zwischen den Presbyterianern, den Kongregationalisten und den “Particular Baptists” keine bewusste Meinungsverschiedenheit gab. Alle hielten gleichermaßen hartnäckig an der puritanischen Lehre über das Gesetz Gottes fest. Es wird nun an dieser Stelle nicht der Versuch einer detaillierten Auslegung dieses Kapitels unternommen. Vielmehr sollen ausgewählte große Themen angesprochen werden, die dieses Kapitel aufwirft.

eugen
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I. Die inhaltliche Übereinstimmung zwischen dem Gesetz, das auf Adams Herz geschrieben war und den Zehn Geboten

Die wichtigste Aussage von Abschnitt 1 und 2 besagt, dass dasselbe Gesetz, das auf Adams Herz geschrieben war, in den Zehn Geboten wiederholt wird. Der klassische Text, der in diesem Zusammenhang betrachtet werden muss, ist Römer 2,12.14-15. Im ersten Teil von Vers 12 bekräftigt Paulus, dass diejenigen, die kein Gesetz haben, sündigen und verloren gehen. Dies wirft die Frage auf: „Wie können Menschen ohne das Gesetz sündigen, geschweige denn verloren gehen?“ Die größere Frage betrifft natürlich das Recht Gottes, Menschen zu bestrafen, die niemals die spezielle Offenbarung gekannt haben. Dieser drängenden Frage geht Paulus in Vers 14 und 15 nach. Es ist zu beachten, dass die oben gestellte Frage eine gewisse Berechtigung hat, denn Paulus selbst betont im Römerbrief an verschiedenen Stellen, dass die Kenntnis des Gesetzes eine notwendige Voraussetzung darstellt, um sündigen zu können und um für Sünde bestraft zu werden (Röm 4,15; 5,13). Paulus’ grundlegende Antwort auf diese Frage findet sich in der Aussage „diese … [sind] sich selbst ein Gesetz“ (Röm 2,14) wieder, in der das Subjekt und das Prädikat des Satzes von Vers 14-15 enthalten sind. Diese Aussage spricht von der Tatsache, dass sie vom Gesetz Gottes angeklagt werden. Auch wenn sie es nicht als geschriebene Offenbarung empfangen haben, werden sie dennoch anhand dessen angeklagt. Hier ist von dem Mittel die Rede, das zu dieser Anklage durch das Gesetz Gottes führt. Die Heiden sind sich selbst (oder für sich selbst) das Gesetz. Sie besitzen es „von Natur“ aus (Vers 14) „in ihren Herzen geschrieben“ (Vers 15). John Murray bemerkt dazu: „Das Gesetz Gottes klagt sie an und meldet sich in ihrem Gewissen auf Grund dessen, was sie von Natur aus und ihrem natürlichen Wesen nach sind.“ Was dies bedeutet, liegt auf der Hand: Wenn raue Heiden im Besitz des Gesetzes Gottes sind, kann dies nur bedeuten, dass Adam bei der Schöpfung das Gesetz aufs Herz geschrieben wurde, was auch danach durch den Sündenfall nicht beeinträchtigt worden ist.

eugen
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Beitrag von eugen »

Es ist auch von der Identität des Gesetzes, das sie anklagt, die Rede. Durch Vers 12 wird klar, dass Paulus hier vom Gesetz Gottes sprechen muss. Doch die Tatsache, dass an dieser Stelle vor dem Wort „Gesetz“ kein bestimmter Artikel steht, hat manche verwirrt. Manche haben aus dieser Tatsache geschlossen, Paulus denke hier nur in ganz abstrakter Weise an eine Gesetzmäßigkeit. Doch das trifft ganz eindeutig nicht zu. Der Begriff „Gesetz“ bezieht sich im Römerbrief auch ohne Artikel häufig auf das Gesetz Gottes und wird dementsprechend übersetzt (Röm 2,13.25; 7,25; 13,8.10). Wenn Paulus in Vers 14 außerdem sagt, dass die Heiden kein Gesetz haben, dann meint er damit nicht, dass sie in abstrakter Weise ohne Gesetzmäßigkeiten wären. Sie hatten sehr viele Gesetze. Was ihnen fehlte, war eben gerade das geschriebene Gesetz Gottes. Schließlich wird in Vers 14-15 zweimal deutlich gesagt, dass das Gesetz, anhand dessen sich die Heiden selbst verklagten, das Gesetz Gottes war. In Vers 14 heißt es, dass sie „von Natur dem Gesetz entsprechend handeln“, und in Vers 15 wird gesagt, „dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist“. In Römer 2 bezeichnet „das Gesetz“ eindeutig das Gesetz Gottes, wie es Gott auf dem Berg Sinai Israel übergeben hatte, insbesondere die Zehn Gebote (Röm 2,13.17-29). In der Tat bezieht sich der Ausdruck „Gesetz“ durch den ganzen Römerbrief hindurch in besonderer Weise auf die Zehn Gebote (Röm 7,7-13; 13,8-10). Wenn Paulus also behauptet, dass die Heiden im Besitz des Gesetzes seien, lehrt er, dass zwischen den Zehn Geboten und dem Gesetz Gottes, das durch die Schöpfung auf das Herz Adams und all seiner Nachkommen geschrieben wurde, eine grundsätzlich Einheit besteht. Ein weiterer Beleg dafür findet sich in den Stellen, welche die Aussage des Bekenntnisses belegen, dass „[d]asselbe Gesetz, das anfangs auf das Herz des Menschen geschrieben worden war, … auch nach dem Fall ein vollkommener Maßstab für die Gerechtigkeit“ blieb (19,2). Für die Gültigkeit des Gesetzes in der Zeit zwischen dem Sündenfall und dem mosaischen Bund sind folgende Stellen von Bedeutung: Für das vierte Gebot: 1. Mose 2,3; 7,4; 8,10.12; 2. Mose 16; für das fünfte Gebot: 1. Mose 37,10; für das sechste Gebot: 1. Mose 4,3-15; für das siebte Gebot: 1. Mose 12,17; für das achte Gebot: 1. Mose 31,30; 44,8; für das neunte Gebot: 1. Mose 27,12 und für das zehnte Gebot: 1. Mose 6,2; 13,10-11. Das Bekenntnis lehrt nicht, dass die Zehn Gebote eine erschöpfende und detaillierte Darstellung des gesamten Moralgesetzes sind. Sie werden vielmehr als eine knappe Zusammenfassung betrachtet. Sowohl Frage 98 im großen Westminster Katechismus als auch Frage 41 im Kleinen Westminster Katechismus lassen klar die Bedeutung des Westminster Bekenntnisses und damit auch des baptistischen Glaubensbekenntnisses von 1689 erkennen. Allein schon die Tatsache, dass es Zehn Gebote sind, weist darauf hin, dass es sich um eine knappe Zusammenfassung handelt. Im Alten Bund gibt es nämlich auch noch andere Moralgesetze oder Gesetze mit moralischer Bedeutung (3Mose 18,1-30).

eugen
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Beitrag von eugen »

II. Die dreifache Einteilung des mosaischen Gesetzes

Das Bekenntnis unterteilt die verschiedenen Arten des Gesetzes, die Israel gegeben wurden, in das Moralgesetz, das Zeremonialgesetz und das Judizialgesetz, wobei es lehrt, dass das Moralgesetz auch weiterhin für alle Menschen bindend ist, während das Zeremonial- und Judizialgesetz aufgehoben wurden. Vielleicht gibt es keinen kontroverser diskutierten Teil in der Lehre des Bekenntnisses über das Gesetz Gottes als diesen. Man hat diese Einteilung als künstlich bezeichnet, da die Heilige Schrift die mosaischen Gesetze nicht sauber in einen zeremonialen, moralischen und judizialen Teil untergliedert. Außerdem hat man sie als anachronistisch bezeichnet, da die Unterscheidung zwischen Moral-, Judizial- und Zeremonialgesetzen für Juden im Alten Bund vollkommen unbedeutend gewesen sei. Man kann an dieser Stelle ein paar Zugeständnisse machen. Gewiss gibt es viele Stellen im mosaischen Gesetz, an denen man moralische, judiziale und zeremoniale Gesetze miteinander vermischt findet. Es ist ebenfalls zutreffend, dass für die Juden jeder dieser Teile gleichermaßen bindend war und dass für die Juden dies Unterscheidungen nicht so offenkundig waren wie für uns. Die Klassifikation, die das Bekenntnis vornimmt, ist jedoch auf Grund folgender biblischer Überlegungen zwingend notwendig. Die Bibel unterscheidet die Zehn Gebote und den Rest des mosaischen Gesetzes sehr deutlich voneinander. Die einzigartige Stellung und die besondere Bedeutung der Zehn Gebote zeigt sich daran, dass nur sie unmittelbar durch Gott geredet wurden, dass nur sie mit Gottes Finger aufgeschrieben wurden und dass nur sie in Gottes Bundeslade aufbewahrt wurden (2Mose 25,16.21; 5Mose 10,5; 1Kön 8,9). Nur sie waren von Gottes Schrecken auf dem Berg Sinai begleitet, und nur sie allein wurden in Stein geschrieben. Sie werden von den anderen Geboten, Ordnungen und Rechtsbestimmungen des mosaischen Gesetzes ganz klar unterschieden (5Mose 4,12-14; 5,1-3; 5,30-6,3). Der Aufbau des zweiten Buches Mose unterstützt ebenfalls diese Einteilung: In 2. Mose 20 wird das Moralgesetz gegeben, in 2. Mose 21-23 die Zivilgesetze (oder Judizialgesetze), in 2. Mose 24 wird der Bund ratifiziert, und ab 2. Mose 25 finden sich dann die Zeremonialgesetze im Blick auf die Errichtung der Stiftshütte. Während einzig und allein die Zehn Gebote von Gott selbst auf Stein geschrieben wurden, wird das Judizialgesetz (möglicherweise zusammen mit dem Moral- und Zeremonialgesetz) von Mose in ein Buch geschrieben (2Mose 24,4-7; 31,18; 32,15-16; 34,4.28). Als Folge dieser klaren Einteilung unterschieden die alttestamentlichen Gläubigen zwischen dem Moralgesetz und den zivilen (oder judizialen) und zeremonialen Ordnungen (1Sam 15,22; Ps 40,7-9; 51,18-19; Jer 7,22-23).

eugen
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III. Die gegenwärtige Stellung des Judizialgesetzes

Das Bekenntnis trifft im Blick auf das Judizialgesetz zwei ausgewogene Feststellungen, es spricht von seiner Aufhebung in der Antike und von seinem moralischen Gebrauch in unserer Zeit. Dieser Abschnitt (der inhaltlich mit dem des Westminster Bekenntnisses im Wesentlichen übereinstimmt) basiert weitgehend auf Calvins Abhandlung über das Judizialgesetz in der Institutio. Diese Abhandlung ist im Blick auf die Vorstellung, dass das Judizialgesetz von bleibender Bedeutung ist, was heutzutage manche vertreten, von größter Bedeutung. Die Aufhebung des Judizialgesetzes wird durch die Zerstörung der alttestamentlichen Theokratie nahegelegt, mit der Gott zunächst durch Babylon und schlussendlich durch Rom sein Gericht ausübte. Mit dem Ende der staatlichen Existenz liegt es dem Bekenntnis zufolge nahe, daraus zu folgern, dass seine formale zivilrechtliche Ordnung ebenfalls zu einem Ende kam. Die biblische Grundlage für diese Schlussfolgerung kann aus Hebräer 9,19 erschlossen werden, wo von dem Bundesbuch die Rede ist, in dem das israelitische Judizialgesetz enthalten ist. Bei dieser Erwähnung des Judizialgesetzes Israels ist entscheidend, dass es im Zusammenhang mit dem ersten oder dem Alten Bund gleichgesetzt wird (Hebr 9,18). Derselbe Zusammenhang hat die Vorstellung zum Thema, dass der Alte Bund veraltet ist und gerade verschwindet, denn er war nur bis zu einer Zeit der Neugestaltung auferlegt (Hebr 8,7.13; 9,10; 10,1). Man kann sich unmöglich der klaren Lehre von Hebr 9,19 entziehen, dass sowohl das Judizialgesetz als auch das Zeremonialgesetz Israels aufgehoben ist. Doch auch wenn das Judizialgesetz aufgehoben wurde, offenbart es als inspirierte Anwendung des Moralgesetzes auf die staatlichen Gegebenheiten Israels viele zeitlose Prinzipien von allgemeiner Gültigkeit, Richtigkeit, Güte und Gerechtigkeit. Als solches ist es nicht nur für moderne Staaten, sondern auch für die Gemeinden und Christen unserer Tage von Bedeutung (1Kor 5,1; 9,8-10).

Jörg
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IV. Die innerliche Verpflichtung gegenüber dem Gesetz Gottes

Es gibt keine wichtigere oder praktischere theologische Frage als die nach dem richtigen Verhältnis zwischen dem Evangelium der Gnade und den Forderungen des Gesetzes. Man könnte sogar sagen, dass die Reformation selbst in weiten Teilen eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von Gnade und Gesetz bei der Errettung eines Gläubigen war. Die protestantische Reformation stand auf dem Standpunkt, dass man allein aus Gnade und allein aus Glauben ohne die Werke des Gesetzes gerechtfertigt wird. Diese Haltung warf eine Frage auf, die Paulus schon viele Jahrhunderte vorher beantworten musste: „Wozu gibt es dann das Gesetz?“ (Röm 3,31; 5,20-21; Gal 3,19). Die Abschnitte 5-7 in diesem Kapitel des Bekenntnisses sind von der Frage nach der Verpflichtung und der Bedeutung des Gesetzes im Leben des Gläubigen bestimmt. Manche Protestanten sind zu dem Schluss gekommen, dass das Gesetz im Leben eines Gläubigen nur von geringer Bedeutung sei, da die Gläubigen nicht durch die Gesetzeswerke gerechtfertigt sind. Andere gingen sogar so weit zu sagen, dass gerechtfertigte Personen nicht zwingend dazu verpflichtet seien, dem Gesetz Folge zu leisten. Antinomistische Lehrer schlossen dies aus der Lehre von der freien Rechtfertigung. Sie behaupteten, dass man durch die freie Rechtfertigung völlig aus der Sklaverei des Gesetzes befreit werden würde und man immer noch versklavt sei, wenn man sich gebunden fühlt, das Gesetz zu befolgen. Unerlöste und nicht gerechtfertigte Menschen seien an das Gesetz gebunden, nicht aber Christen. Das Bekenntnis lehnt diese Positionen ab und lehrt stattdessen, dass das Gesetz sowohl für alle Menschen bindend ist als auch dass es im Leben eines Gläubigen von positivem Nutzen ist. Das Bekenntnis bekräftigt damit die grundlegende Wahrheit, dass die Pflicht, das Gesetz zu befolgen, zur menschlichen Existenz dazugehört und ein unumgänglicher Teil derselben ist. Mit anderen Worten ist das Gesetz für die Menschen stets gültig, ob sie nun gerechtfertigt sind oder nicht, weil sie schlicht als Geschöpfe dem Schöpfer gegenüber zu solchem Gehorsam verpflichtet sind. Das Neue Testament lehrt sehr deutlich, dass unerrettete Menschen an das Gesetz gebunden sind (Mt 19,16-22; Röm 2,14-15; 3,19-20; 6,14; 7,6; 8,3; 1Tim 1,8-11).
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Es lehrt aber ebenso, dass das Moralgesetz, die Zehn Gebote, für die Gläubigen Gültigkeit hat (Röm 13,8-10; 1Kor 7,19; Gal 5,6; 6,15; Eph 4,25-6,4; Jak 2,11-12). In Epheser 4,25-6,4 wird jedes von den letzten sechs der Zehn Gebote auf die Gemeinde angewandt. Man beachte insbesondere, dass durch das wörtliche Zitat in Epheser 6,4 davon ausgegangen wird, dass das fünfte Gebot gültig ist. Das Bekenntnis entfaltet und beschränkt diese Wahrheit in den Abschnitten 5-7 in mehrfacher Weise. Zunächst wird die offenkundige Schlussfolgerung beschrieben: „Christus [löst] diese Verpflichtung im Evangelium keineswegs auf, sondern verstärkt sie sogar noch deutlich.“ (19,5). Offensichtlich hatten manche behauptet, dass, während wir das tun sollten, was das Gesetz inhaltlich oder sachlich gebietet, wir es nicht deshalb tun sollten, weil es das Gesetz fordert, sondern einfach aus Dankbarkeit gegenüber Christus. An einer solchen Haltung werden mehrere tiefgreifende Probleme deutlich: Sie ist unbiblisch (Mt 5,17-19; Röm 3,31; 1Kor 9,21; Jak 2,10-11). Es handelt sich hierbei um eine etwas subtilere Form des Irrtums, dass gerechtfertigte Personen nicht daran gebunden seien, dem Gesetz Folge zu leisten, denn letzten Endes achten sie nicht die Autorität des Gesetzes, sondern nur ihre eigene Dankbarkeit Christus gegenüber. Die praktische Auswirkung davon ist, dass im Allgemeinen bei den Leuten ein geringeres Verständnis von der Erhabenheit des Gesetzes Gottes und von der Ernsthaftigkeit und der absoluten Notwendigkeit der Gesetzesbefolgung vorhanden ist. Auch die treue Ermahnung zur Pflicht wird dadurch erschwert, dass diejenigen, die an dieser Lehre festhalten, stets erwidern, dass man sie zurück in die Sklaverei bringen wolle. Wenn jemand solche Leute auf ihre Pflicht oder Verpflichtungen hin anspricht, dann antworten sie darauf häufig, dass diese Ermahnungen gesetzlich seien. Christus stärkt aber gerade die ursprüngliche Autorität des Gesetzes. Er stellt den Inhalt oder den Gegenstand des Gesetzes auf keine neue Grundlage. Er hebt die Pflicht nicht auf, dass wir unserem Schöpfer gehorchen sollen, vielmehr fügt er dem noch die Pflicht hinzu, auch freudig unserem Erlöser gehorsam zu sein. Am Anfang von Abschnitt 6 schränkt das Bekenntnis die bindende Verpflichtung auf das Gesetz sorgfältig ein, indem insbesondere deutlich gemacht wird, dass „sich wahre Gläubige nicht unter dem Gesetz als einem Bund der Werke befinden“, sondern dass es für sie ein „Maßstab für das Leben“ ist (19,6). Diejenigen, die jegliche Gesetzesbefolgung für gesetzlich halten, müssen verstehen, dass ein enormer praktischer und erfahrungsmäßiger Unterschied zwischen jemandem besteht, der unter dem Gesetz als einem Maßstab für das Leben ist, und jemandem, der es als einen Bund der Werke betrachtet, d. h. eine Methode, durch die das Heil erworben werden kann. Der Gläubige befindet sich nicht unter dem Gesetz als einem Mittel der Rechtfertigung (Röm 6,14; 10,4)
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Als „Bund der Werke“ ist das Gesetz ein strenger Sklavenhalter, der nur den Lohn des Todes bereithält (Röm 7,1-6; 2Kor 3,7). Als ein Maßstab fürs Leben ist es ein Gesetz der Freiheit, an dem sich der Christ erfreut (Röm 7,25; Jak 2,12). Die irrtümliche Haltung, die sagt: „Lass das Gesetz Gottes nicht dein Gewissen beherrschen!“ wird hier zurückgewiesen. Natürlich dürfen wir das Gesetz Gottes nicht über unser Gewissen als einen „Bund der Werke“ bestimmen lassen! Aber wenn nicht das Gesetz Gottes als Maßstab für unser Leben in unserem Gewissen vorhanden ist (Jer 31,33-34; Röm 8,4.7-9), haben wir keinen Teil am Heil in Christus und am Neuen Bund. Der größte Teil von Abschnitt 6 listet dann die unterschiedlichen Funktionen des Gesetzes im Leben des Gläubigen auf. Aus Platzgründen ist es nicht möglich, jede dieser Gebrauchsformen zu entfalten. Jedoch muss der letzte Satz von Abschnitt 6 heutzutage besonders betont werden. Der Hauptgedanke dieses Satzes besagt, dass es nicht verkehrt ist, dem Gesetz aus Furcht vor den Folgen des Ungehorsams auf der einen Seite und aus dem Streben nach Belohnung für den Gehorsam auf der anderen Seite Gehorsam zu leisten. Es wird häufig behauptet: „Wenn man etwas tut, weil das Gesetz Segen und Lohn verspricht, dann ist dies ein gesetzlicher Gehorsam.“ Derartige Behauptungen sind verwirrende Verzerrungen des Wortes Gottes. Die Bibel gebraucht überall sowohl Strafen als auch Belohnungen, um zu einer rechten Reaktion auf Gottes Wort zu ermutigen (z. B. das Buch der Sprüche; Mt 3,7; Lk 13,3.5; Apg 2,40; Hebr 11,26; 1Petr 3,8-13). Die letzte Bemerkung des Bekenntnisses über die innerliche Verpflichtung gegenüber dem Gesetz Gottes besagt, dass zwischen dem Gesetz und dem Evangelium kein Widerspruch besteht (Gal 3,21). Vielmehr befähigt die Gnade des Evangeliums und der Geist Christi uns dazu, frei und freudig das zu tun, was Gott in seinem Gesetz geoffenbart hat. Wie könnten das Gesetz und das Evangelium auch in einem Widerspruch zueinander stehen? Die Absicht des Evangeliums besteht ja gerade darin, den Menschen aus seiner Gesetzlosigkeit zu befreien und ihn dazu zu bringen, das Gesetz Gottes zu befolgen (Jer 31,33; Hes 36,27; Röm 8,4; Tit 2,14).
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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20. Über das Evangelium und das Ausmaß seiner Gnade

1. Nachdem der Bund der Werke durch die Sünde gebrochen worden war und kein Leben mehr geben konnte, gefiel es Gott, die Verheißung des Christus, des Samens der Frau, als das Mittel bekannt zu geben, durch das er die Erwählten beruft und in ihnen Glauben und Buße hervorbringt. In dieser Verheißung wurde das Evangelium in seinem wesentlichen Gehalt geoffenbart, und es war darin zur Bekehrung und Errettung von Sündern wirksam.1
1. 1Mose 3,15 verglichen mit Eph 2,12; Gal 4,4; Hebr 11,13; Lk 2,25.38; 23,51; Röm 4,13-16; Gal 3,15-22.

2. Diese Verheißung des Christus und die Erlösung durch ihn wird nur durch das Wort Gottes offenbart.1 Die Werke der Schöpfung oder der Vorsehung enthüllen zusammen mit dem Licht der Natur Christus oder die von ihm ausgehende Gnade nicht einmal in einer ganz allgemeinen und unklaren Weise.2 Noch viel weniger können Menschen durch sie in die Lage versetzt werden, rettenden Glauben und Buße zu erlangen, ohne die Offenbarung von ihm durch die Verheißung oder das Evangelium zu kennen.3
1. Apg 4,12; Röm 10,13-15.
2. Ps 19; Röm 1,18-23.
3. Röm 2,12a; Mt 28,18-20; Lk 24,46-47 verglichen mit Apg 17,29-30; Röm 3,9-20.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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3. Die Offenbarung des Evangeliums an Sünder, die zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Teilen geschah — wobei für die Nationen und Personen, denen es anvertraut wurde, Verheißungen und Gebote hinsichtlich des darin geforderten Gehorsams hinzugefügt wurden — geht ausschließlich auf den souveränen Willen und das Wohlgefallen Gottes zurück.1 Sie ist nicht kraft irgendeiner Verheißung mit der angemessenen Vervollkommnung der natürlichen Fähigkeiten des Menschen verknüpft, und auch nicht kraft des allgemeinen Lichts, das man auch ohne das Evangelium empfängt, was nie jemand geschafft hat oder schaffen kann.2 Daher ist die Predigt des Evangeliums zu allen Zeiten einzelnen Personen und Nationen anvertraut worden, um es gemäß dem Ratschluss des Willens Gottes auf sehr unterschiedliche Weise auszubreiten oder einzudämmen.
1. Mt 11,20.
2. Röm 3,10-12; 8,7-8.

4. Auch wenn das Evangelium das einzige äußerliche Mittel ist, um Christus und die rettende Gnade zu offenbaren, und auch wenn es als solches völlig ausreichend dazu ist;1 so ist doch — damit Menschen, die in ihren Übertretungen tot sind, von neuem geboren, lebendig gemacht oder wiedergeboren werden — darüber hinaus ein wirksames unwiderstehliches Wirken des Heiligen Geistes an der ganzen Seele nötig, um in ihnen ein neues geistliches Leben zu erzeugen, denn ohne dies kann kein anderes Mittel ihre Bekehrung zu Gott erwirken.2
1. Röm 1,16-17.
2. Joh 6,44; 1Kor 1,22-24; 2,14; 2Kor 4,4.6.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Gliederung des Kapitels


Thema: Die spezielle Offenbarung des Evangeliums



Abschnitt1-4

1. Das Einsetzen dieser Offenbarung

A. Der Rahmen, in dem sie einsetzt
B. Die Art und Weise, in der sie einsetzt
C. Die Aufgabe, zu der sie eingesetzt wurde
C. Die Vollständigkeit, mit der sie eingesetzt wurde

2. Die Notwendigkeit dieser Offenbarung

A. Die Betonung ihrer Notwendigkeit
B. Die Schlussfolgerungen aus ihrer Notwendigkeit

3. Der souveräne Herr dieser Offenbarung

A. Die Betonung seiner souveränen Handlung
B. Die Implikationen seiner souveränen Handlung
C. Die Schlussfolgerung aus seiner souveränen Handlung

4. Die Hinlänglichkeit dieser Offenbarung

A. Die Betonung ihrer Hinlänglichkeit
B. Die Einschränkung ihrer Hinlänglichkeit


Der historische Hintergrund

Kapitel 20 ist das einzige Kapitel im baptistischen Glaubensbekenntnis von 1689, das vollkommen neu und in keiner Weise im Westminster Bekenntnis enthalten ist. Dennoch hat dieses Kapitel keinen baptistischen Ursprung. Vielmehr wurde es von den kongregationalistischen Puritanern verfasst und 1658 in die Savoy-Erklärung aufgenommen. Die Baptisten, von denen die Savoy-Erklärung und die mit ihr verbundenen Ausführungen über die gemeindliche Ordnung als wichtigste Quelle für ihr Bekenntnis benutzt wurde, folgten auch hier den Kongregationalisten, indem auch sie dieses Kapitel in ihr Bekenntnis übernahmen. Mit er Einfügung dieses Kapitels kommt die Frage auf: „Was veranlasste die Kongregationalisten und Baptisten dazu, nur an dieser Stelle ein völlig neues Kapitel in ihre Überarbeitung des Westminster Bekenntnisses einzufügen?“ Die Kongregationalisten bieten in ihrem Vorwort zur Savoy-Erklärung eine Grundlage für die Antwort auf diese Frage: „Wir haben ein paar wenige Dinge hinzugefügt, um einige irrige Meinungen zu beseitigen, weshalb hier einige Aussagen ausführlicher und deutlicher verfochten werden, als es vorher der Fall war …Nach dem 19. Kapitel haben wir ein Kapitel über das Evangelium eingefügt, bei dem es sich um einen Abschnitt handelt, der nicht ohne Weiteres aus einem Glaubensbekenntnis weggelassen werden kann. In diesem Kapitel ist das, was in dem Bekenntnis der Versammlung [d. h. im Westminster Bekenntnis] verstreut und angedeutet war, mit ein paar kleinen Ergänzungen und in größerer Ausführlichkeit unter einer Überschrift zusammengefasst worden.“ Diese Aussage macht deutlich, dass die Absicht dieses Kapitels darin besteht, die Lehre, die bereits im Westminster Bekenntnis vorhanden war, zusammenzufassen, zu bündeln und zu ergänzen. Wenn es richtig ist, die zweite Aussage mit der ersten zu verknüpfen, dann erklärt sich dieses Kapitel durch die Notwendigkeit, bestimmte Irrtümer zurückzuweisen, die in den Jahren zwischen 1646 (als das Westminster Bekenntnis verfasst wurde) und 1658 (als die Savoy-Erklärung aufgestellt wurde) klarer verbreitet wurden. Es erscheint unnatürlich, ja sogar unlogisch, die einzigartige Hinzufügung dieses Kapitels nicht durch nichts weiter erklären zu wollen als lediglich den Hinweis auf die Notwendigkeit einer größeren systematischen Ausführlichkeit, wie sie im Zusammenhang des obigen Zitats erwähnt wurde.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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