Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

Moderatoren: Der Pilgrim, Leo_Sibbing

Gast

Beitrag von Gast »

II,3,6

Auf der anderen Seite trägt es zur Förderung unserer Aufgabe bei, wenn wir nun auf das Wesen der Arznei, nämlich der göttlichen Gnade, durch welche die Verdorbenheit der Natur gebessert und geheilt wird, unser Augenmerk richten. Denn der Herr gewährt uns ja durch seine Hilfe, was uns selbst mangelt; und deshalb wird, wenn uns das Wesen seiner Hilfe deutlich ist, zugleich auch dementsprechend unsere Armut recht sichtbar werden. Der Apostel sagt zu den Philippern: „Und bin desselbigen in guter Zuversicht, daß der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1,6). Damit versteht er unter dem „Ansang des guten Werks“ unzweifelhaft den im Willen sich voll ziehenden Ursprung der Bekehrung. Das „gute Werk“ fängt nun Gott so in uns an, daß er in unserem Herzen Liebe, Verlangen und Trachten nach der Gerechtigkeit erregt, oder auch, um genauer zu reden: daß er unser Herz zur Gerechtigkeit hin wendet, umbildet und lenkt. Er vollendet das gute Werk, indem er uns die Kraft zur Beharrlichkeit schenkt. Nun soll aber keiner die Ausflucht machen, der Herr sei dadurch der Anfänger des Guten, daß er unseren Willen, der in sich schwach sei, unterstütze. Deshalb zeigt der Heilige Geist an anderer Stelle, was denn der Wille, sich selbst überlassen, eigentlich fertigbringe. „Ich will euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euch legen, und werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben, und will mei nen Geist in euch geben und solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln …“ (Ez. 36,26ff.). Wer will da noch sagen, es werde bloß die Schwäche des menschlichen Willens durch Gottes Hilfe gestärkt, um mit Kraft und Wirkung nach dem Guten zu trachten — wo es sich doch darum handelt, daß der Wille ganz erneuert werden muß? Wollte man beweisen, daß ein Stein ein weiches Ding sei, das man mit guter Hilfe geschmeidiger machen und dann in bestimmter Richtung biegen könnte — dann wollte ich auch nicht leugnen, daß das Menschenherz dazu zu bringen wäre, dem Rechten zu folgen, sofern durch Gottes Gnade in ihm vollendet wird, was unvollkommen ist! Wenn aber jenes Gleichnis zeigen wollte, daß aus unserem Herzen niemals etwas Rechtes hervorkommen kann, wenn es nicht ganz und gar anders wird — dann sollen wir nicht das, was Gott sich allein zuschreibt, zwischen ihm und uns aufteilen: Wenn uns Gott zum Trachten nach dem Rechten bekehrt, dann ist das die Verwandlung eines Steins in Fleisch. So wird das abgetan, was unserem Willen eigen ist, und was an dessen Stelle tritt, stammt ganz und gar von Gott! Ich sage, der Wille werde abgetan. Das heißt nicht: er wird als Wille abgetan, denn was zur ersten (ursprünglichen) Natur gehört, das bleibt in der Be kehrung des Menschen unangetastet. Ich meine es so: der Wille wird neu geschaf fen, nicht um etwa erst anzufangen, Wille zu sein, sondern um vom Bösen zum Guten bekehrt zu werden! Und das geschieht, behaupte ich, rein von Gott her, denn wir sind, wie der Apostel sagt, nicht einmal geschickt, etwas „zu denken aus uns selber“ (2. Kor. 3,5). Deshalb zeigt er auch sonstwo, daß Gott nicht etwa bloß unserem schwachen Willen Hilfe leiht oder unseren bösen Willen bessert, sondern daß er selbst in uns wirken will (Phil. 2,13). Daraus läßt sich mein Satz, was in un serem Willen Gutes ist, das sei einzig ein Werk der Gnade, leicht folgern. In die­sem Sinn sagt er auch: „Denn Gott ist, der da wirkt alles in allen“ (1. Kor. 12,6). Er redet hier nicht von der allgemeinen Weltregierung, sondern läßt für alle Güter, an denen die Gläubigen reich sind, Gott allein das Lob zukommen. Wenn er sagt „alles“, so erklärt er damit gewißlich Gott für den Urheber alles geistlichen Lebens — vom Anbeginn der Welt bis ans Ende! Das gleiche lehrt er mit anderen Worten bereits vorher (1. Kor. 8,6; Eph. 1,1), wenn er sagt, die Gläubigen seien „von Gott her in Christo“; denn damit preist er doch offenkundig die neue Schöpfung, die da abtut, was zu unserer gewöhnlichen Natur gehört. Man muß auch die Gegen überstellung von Adam und Christus berücksichtigen, die er an anderer Stelle klarer auseinandersetzt, wo er lehrt, wir seien „Gottes Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,10). Mit dieser Begründung will er beweisen, daß unser Heil „aus Gnaden“ (Eph. 2,5) uns zukommt, da ja alles Gute seinen Anfang bei der zweiten Schöpfung nimmt, die in Christo an uns geschieht. Hätten wir auch nur das mindeste Ver mögen aus uns selber, so gebührte auch uns ein Teil des Verdiensts. Aber Paulus lehrt, um uns ganz und gar zunichte zu machen, daß wir gar kein Verdienst haben, da wir ja „in Christo geschaffen sind zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat …“. Damit zeigt er wiederum, daß alles an den guten Werken, von der ersten Regung an, Gott allein eigen ist. So sagt auch der Prophet im 100. Psalm (Ps. 100,3) zunächst, wir seien Gottes Werk, fügt aber dann, um alle Aufteilung (zwischen ihm und uns) zu vermeiden, gleich hinzu: „Er hat uns gemacht und nicht wir selbst…“. Dabei ist aus dem Zusammenhang ganz klar, daß er von der Wiedergeburt redet, die der Anfang des geistlichen Lebens ist; denn es folgt gleich der Hinweis, daß wir „sein Volk“ sind und „Schafe seiner Weide“. Er ist also, wie wir sehen, nicht damit zufrieden, Gott das Lob für unser Heil darzu bringen, sondern spricht uns auch ausdrücklich jede Beteiligung daran ab, als wollte er sagen: dem Menschen bleibt rein gar nichts, dessen er sich rühmen könnte — es ist ja alles von Gott!

II,3,7

Nun gibt es wahrscheinlich Leute, die gern zugestehen, daß der Wille, in sei nem eigenen Wesen dem Guten entfremdet, allein durch des Herrn Kraft umgewan delt werde — aber doch so, daß er, wenn er einmal bereitet ist, dann doch beim Wirken seinen Anteil hat! So lehrt Augustin, jedem guten Werke gehe die Gnade vorauf, und der Wille begleite sie, habe aber nicht die Führung, folge ihr nach, gehe ihr aber nicht voraus (Brief 186). Das ist kein übler Ausspruch des frommen Mannes, aber Petrus Lombardus hat ihn dann in verkehrter Weise mißdeutet (Sent. II,26,3). Nach meiner Überzeugung zeigen die oben angeführten Propheten worte und noch weitere Stellen zweierlei: erstens bessert der Herr unseren bö sen Willen, ja er schafft ihn ab, und zweitens setzt er von sich aus einen guten an seine Stelle. Insofern nun die Gnade dem Willen vorangeht, mag man diesen immerhin „nachfolgend“ nennen; aber weil der erneuerte Wille Gottes Werk ist, ist es verkehrt, wenn man dem Menschen zuschreibt, daß er der zuvorkommenden Gnade mit seinem nachfolgenden Willen sich hingebe. Es ist deshalb unrichtig, wenn Chrysostomus schreibt, die Gnade könne nichts ohne den Willen und der Wille nichts ohne die Gnade wirken. Als ob nicht die Gnade selbst auch den Willen wirkte, wie wir es doch eben bei Paulus sahen! (vgl. Phil. 2,13). Und wenn Augustin sagt, der Wille „folge“ der Gnade nach, so war es doch seine Absicht gar nicht, ihm ei nen gewissen untergeordneten Anteil bei dem guten Werk zuzuschreiben. Er wollte damit im Gegenteil die greuliche Lehre des Pelagius widerlegen, welche den ei gentlichen Ursprung des Heils im Verdienst des Menschen meinte finden zu können. Demgegenüber zeigte er — und das war in dieser Sache auch ausreichend! —, daß die Gnade eher da sei als alles Verdienst; die weitere Frage, nämlich wie es sich mit der dauernden Wirkung der Gnade verhalte, ließ er dabei vorderhand aus — aber darüber redet er ja an anderen Stellen hervorragend! Denn sooft er etwa sagt, der Herr komme dem Nicht-Wollenden zuvor, damit er wolle, und dem Wollenden helfe er, damit er nicht vergeblich wolle, läßt er doch Gott klipp und klar den Urheber alles guten Werks sein! Aber Augustins Aussprüche in dieser Frage sind zu deut lich, als daß sie eine längere Beweisführung erforderlich machten. So sagt er auch: „Da mühen sich die Menschen, um in unserem Willen zu finden, was unser Eigenes sei und nicht von Gott her käme — aber ich weiß nicht, wie man das finden soll!“ (Von Schuld und Vergebung der Sünden II,5). Im ersten Buch gegen Pelagius und Caelestius aber erläutert er Christi Wort: „Wer es nun höret von meinem Vater, der kommt zu mir“, und sagt dann: „Dem Willen wird so geholfen, daß er nicht nur erfährt, was zu tun ist, sondern (dann) auch tut, was er erfahren hat. Aber wenn Gott solche Lehre erteilt — nicht durch den Buchstaben des Gesetzes, sondern durch die Gnade des Heiligen Geistes —, so geschieht das so, daß jeder das, was er gelernt hat, nun nicht nur erkennt und sieht, sondern auch wollend ver langt und handelnd vollbringt!“

II,3,8

Jetzt sind wir am Hauptpunkt der Erörterung angelangt. So wollen wir denn dem Leser diese Lehre in ihren wesentlichen Punkten mit nur wenigen, aber ganz klaren Schriftzeugnissen beweisen. Und dann wollen wir — damit uns keiner verleumde, wir legten der Schrift einen verkehrten Sinn unter! — noch darlegen, daß der Wahrheit, wie wir sie aus der Schrift nehmen und vertreten, auch das Zeugnis dieses frommen Mannes — ich meine den Augustin — nicht abgeht! Denn ich halte es einerseits nicht für nützlich, alle Schriftstellen, die man zur Bekräftigung unserer Überzeugung anführen könnte, der Reihe nach einzeln aufzuführen; viel mehr soll mit Hilfe der auserlesensten Stellen der Weg zum Verständnis all der anderen gebahnt werden, die man verstreut findet. Und anderseits scheint es mir nicht unbesonnen gehandelt zu sein, wenn ich offenkundig mache, daß ich mit jenem Manne nicht übel zusammengehe, dem das einstimmige Urteil der Frommen mit vollem Recht höchste Autorität beimißt.

Aus leicht faßbaren und sicheren Gründen geht nun hervor, daß der Ursprung des Guten einzig und allein bei Gott selbst liegt. Denn ein dem Guten zugewandter Wille findet sich nur bei den Erwählten. Der Grund der Erwählung aber liegt außerhalb des Menschen, und daraus geht denn hervor, daß der Mensch rechtes Wollen nicht von sich selbst aus hat, sondern daß es aus dem nämlichen Wohlge fallen uns zufließt, in dem wir vor Grundlegung der Welt erwählt worden sind. Dazu kommt ein anderer ähnlicher Grund, wenn der Ursprung rechten Wollens und Tuns im Glauben liegt, so müssen wir zusehen, woher nun wieder der Glaube kommt. Da aber gibt die ganze Schrift laut die Antwort: er ist Gottes Geschenk; und daraus ergibt sich, daß es aus Gottes reiner Gnade stammt, wenn wir, die wir von Natur ganz und gar zum Bösen geneigt sind, etwas Gutes zu wollen anfangen. Wenn der Herr sein Volk bekehrt, so bedeutet das (Ez. 36,26ff.) zweierlei: er nimmt ihm das steinerne Herz und er gibt ihm ein fleischernes. Dadurch bezeugt er also selbst, daß alles, was von uns selber kommt, abgetan werden muß, damit wir zur Gerechtigkeit hin bekehrt werden, und daß alles, was an seine Stelle tritt, von ihm selber kommt. Das spricht er aber nicht nur an jener einen Stelle aus, sondern er sagt auch bei Jeremia: „Ich werde ihnen ein Herz geben und einen Weg, da mit sie mich fürchten ihr Leben lang“ (Jer. 32,39). Oder gleich darauf: „Ich will ihnen meine Furcht ins Herz geben, daß sie nicht von mir weichen“ (Jer. 32,40).

Oder wieder bei Ezechiel: „Ich will euch ein einträchtiges Herz geben und einen neuen Geist in euch geben, und will das steinerne Herz wegnehmen aus eurem Leibe und ein fleischern Herz geben“ (Ez. 11,19). Deutlicher kann er sich nicht alles, was in unserem Willen gut und recht ist, zuschreiben und es uns absprechen, als dadurch, daß er in diesem Zeugnis unsere Bekehrung für die Erschaffung eines neuen Geistes und eines neuen Herzens erklärt. Denn es ergibt sich ja immer der Schluß: Aus unserem Willen geht also, bevor er erneuert wird, nichts Gutes hervor, und nach der Erneuerung ist er, sofern er gut ist, von Gott und nicht von uns!

Gast

Beitrag von Gast »

II,3,9

Dem entspricht auch die Gestalt der Gebete der Heiligen, wie wir sie (in der Schrift) lesen. „Der Herr möge unser Herz zu ihm neigen, daß wir seine Gebote hal ten“, betet Salomo (1. Kön. 8,58; nicht Luthertext). Damit weist er auf die Hals starrigkeit unsres Herzens hin, das von Natur zum Aufruhr wider Gottes Gesetz geneigt ist, wenn es nicht umgewandelt wird. So heißt es auch im 119. Psalm: „Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen“ (Ps. 119,36). Denn es muß immer der Ge gensatz in Betracht gezogen werden zwischen dem verkehrten Trieb unseres Her zens, der zur Verachtung und zum Trotz führt, und jener Erneuerung, die zum Ge horsam nötigt. David, der, wie er selbst empfand, eine Zeitlang der Leitung der Gnade verlustig gegangen war, bittet Gott, er möchte in ihm „ein neues Herz“ schaffen und ihm einen „neuen, gewissen Geist“ geben (Ps. 51,12). Erkennt er nicht damit an, daß sein ganzes Herz voll Unreinigkeit und daß sein Geist von lauter Verkehrtheit verdreht ist? Und wenn er die Reinheit, die er erfleht, Gottes Schöp fung nennt, schreibt er damit nicht alles, was er empfangen hat, ihm allein zu? Nun könnte jemand einwenden, dies Gebet sei ja schon selber Zeichen einer frommen und heiligen Regung. Darauf ist zu sagen: David war zwar schon einigermaßen zur Besinnung gekommen, verglich aber trotzdem seinen vorherigen Zustand mit jenem schrecklichen Fall, den er erlebt hatte. Er betrachtet sich also selbst als einen von Gott getrennten und entfremdeten Menschen und bittet deshalb mit Recht, es möchte ihm gewährt werden, was Gott seinen Auserwählten in der Wiedergeburt schenkt. So bittet er als ein gleichsam Toter um neue Erschaffung, damit aus einem Skla ven des Satans ein Werkzeug des Heiligen Geistes werde! Die Gier unseres Stol zes ist wahrhaft seltsam und ungeheuerlich. Nichts verlangt der Herr ernstlicher, als daß wir in höchster Ehrfurcht seinen Sabbattag halten, das heißt ruhen von allen unseren Werken. Und doch ist von uns nichts so schwer zu erreichen, als daß wir alle unsere Werke fahren lassen und Gottes Werken den ihnen zustehenden Platz einräumen! Stünde unsere Torheit nicht im Wege, so würde uns Christi ei genes Zeugnis von seiner Gnade so deutlich sein, daß wir diese Gnade in unserer Bosheit nicht verdunkeln könnten: er sagt doch: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, mein Vater ist der Weingärtner. Gleichwie eine Rebe nicht kann Frucht bringen von ihr selber, sie bleibe denn am Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibet denn an mir. Denn ohne mich könnet ihr nichts tun“ (Joh. 15,1.4ff.). Wir bringen also von uns aus nicht mehr Frucht, als eine Rebe, die aus der Erde gerissen und aller Lebenskraft beraubt ist, Frucht tragen kann! Da sollen wir nicht mehr weiter fragen, was für eine Eignung unsere Natur zum Guten hat! Erst recht unzweideutig ist der Schluß: „Ohne mich könnet ihr nichts tun!“ Er sagt nicht, wir wären zu schwach, um uns selbst genügen zu können, sondern er macht uns zu Nichts und nimmt jeder Meinung, wir hätten auch die mindeste Tüchtigkeit, den Boden! Wir bringen nur Frucht, wenn wir in Christum eingefügt sind; dann sind wir gleich einem Weinstock, der aus der Feuchtigkeit der Erde, dem Tau des Himmels, der Wärme der Sonne die Kraft zum Wachstum nimmt; aber eben dann bleibt doch bei dem guten Werke, das wir tun, nichts für uns übrig; wir bringen doch Gott nur ungekürzt dar, was sein ist! Vergebens ist auch der spitzfindige Einwurf, die Rebe habe doch selber auch Saft in sich und auch die Kraft, Frucht zu tragen, und sie nehme deshalb doch nicht alles aus der Erde und der Urwurzel, da sie doch etwas Ei genes dazubrächte. Aber Christus will nur zeigen, daß wir dürres und unbrauchbares Holz sind, solange wir von ihm getrennt sind, weil wir von uns selbst aus unfähig sind zum rechten Tun. So sagt er ja auch an anderer Stelle: „Jeder Baum, den mein Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet“ (Matth. 15,13). Deshalb schreibt der Apostel auch an der bereits angeführten Stelle alles miteinander ihm zu: „Gott ist es, der in euch wirket beides, das wollen und das Vollbringen“ (Phil. 2,13). Zu einem rechten Werk gehört zweierlei: der Wille und auch die rechte Kraft, es zu voll bringen — und beides kommt von Gott! Was wir also beim Wollen oder beim Vollbringen uns selber anmaßen, das rauben wir dem Herrn! Spräche Gott, er käme unserem schwachen Willen zu Hilfe, dann bliebe uns freilich einiges übrig. Aber er wirkt ja, wie es heißt, den Willen selbst — und so steht alles, was daran gut ist, außer uns! Nun wird ja außerdem auch der gute Wille vom Gewicht unsres Fleisches derart erdrückt, daß er nicht hochkommen kann. Deshalb fügt der Apostel hinzu, es werde uns die Beständigkeit des Ringens in solchem harten Streit bis zum wirklichen „Vollbringen“ dargereicht. Sonst könnte ja auch das Wort nicht bestehen, das er an anderer Stelle schreibt: „Es ist ein Gott, der da wirket alles in allen“ (1. Kor. 12,6). Denn wir sahen ja bereits, daß darunter der ganze Lauf des geistlichen Lebens zusammengefaßt wird. So bittet auch David, es möchten ihm Gottes Wege geoffenbart werden, damit er in seiner Wahrheit wandle, und fügt dann hinzu: „Erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich deinen Namen fürchte“ (Ps. 66,11). Damit will er zeigen, wie auch die Wohlgesinnten dermaßen hin- und her gerissen werden, daß sie gar leicht zunichte werden und sich verwirren, wenn sie nicht die Kraft zur Beständigkeit empfangen. Auch an anderer Stelle betet er zu nächst: „Laß meinen Gang gewiß sein nach deinem Wort“, und bittet doch zugleich um Kraft zum Streite: „und laß kein Unrecht über mich herrschen“ (Ps. 119,133). So also erweist sich der Herr als Anfänger und Vollender des guten Werks in uns: Sein Werk ist es, wenn der Wille dazu kommt, das Rechte zu lieben, wenn er ge neigt wird, danach zu trachten, wenn er gereizt und angeregt wird, darauf loszuge hen. Sein Werk ist es aber auch, wenn Entscheidung, Eifer und Ringen nicht er lahmen, sondern bis zum Erfolg weiterschreiten, wenn der Mensch in ihnen bestän dig fortgeht und bis ans Ende beharrt.

II,3,10

Gott bewegt den Willen. Aber das geschieht nicht, wie Jahrhunderte lang ge lehrt und geglaubt worden ist, so, daß es dann in unserer Entscheidung stünde, dieser Bewegung Gehorsam oder auch Widerstand zu leisten; sondern er bewegt ihn so kräftig, daß er folgen muß. Wenn also Chrysostomus immerzu wiederholt: „Gott zieht nur den, der da will“, so muß das abgelehnt werden. Denn er gibt damit zu verstehen, Gott strecke uns bloß die Hand entgegen und warte dann ab, ob es uns ge falle, uns von ihm helfen zu lassen! Wir geben zu, daß wohl der noch nicht gefallene Mensch in der Lage war, das eine oder das andere zu wählen. Aber der hat doch gerade durch sein Beispiel gezeigt, wie jämmerlich es um den freien Willen bestellt ist, wenn Gott nicht in uns will und vermag, was sollte da aus uns werden, wenn Gott uns auf jene Weise seine Gnade zuwendete? Ja, wir verdunkeln und ver kleinern sie durch unsere Undankbarkeit! Denn der Apostel lehrt ja nicht, die Gnade des guten Willens werde uns dargeboten, wenn wir sie annähmen, sondern: Er bringe in uns das Wollen hervor! Und das heißt doch nichts anderes, als daß der Herr durch seinen Geist unser Herz lenkt, leitet und regiert und in ihm als in sei nem Besitztum sein Regiment führt. Auch lautet die Verheißung bei Ezechiel nicht bloß so: Gott werde seinen Auserwählten den neuen Geist dazu geben, daß sie in seinen Geboten wandeln könnten, sondern daß sie tatsächlich darin wandelten! (Ez. 11,19f.; 36,27). Und Jesu Wort: „Wer es höret von meinem Vater, der kommt zu mir“ (Joh. 6,45) kann doch auch nur so verstanden werden, daß er damit die durch sich selbst wirksame Gnade lehrt, wie auch Augustin behauptet (Von der Prädestination 3,13). Diese Gnade erzeigt der Herr nicht allen miteinander auf gleiche Weise, so wie der allgemein verbreitete Ausspruch des Occam — wenn ich mich recht erinnere — meint: sie werde keinem versagt, der tue, was er könne. Gewiß sollen die Menschen gelehrt werden, daß Gottes Güte allen dargeboten ist, die nach ihr verlangen — ohne Ausnahme. Aber es fängt ja doch nur der an, nach ihr zu verlangen, an dem die Gnade, die himmlische Gnade, wirksam geworden ist — und so kann auch dies Stück von ihrem Ruhm nicht abgebrochen werden! Das ist für wahr der Vorzug der Erwählten, daß sie, durch Gottes Geist wiedergeboren, nun auch durch seine Führung geleitet und regiert werden. So hat auch Augustin recht, wenn er die verlacht, die sich irgendeinen Anteil am Wollen selber anmaßen, und auch, wenn er anderen widersteht, die da meinen, das, was doch das besondere Zeug nis der gnädigen Erwählung ist, werde unterschiedslos allen zuteil. „Was uns allen gemeinsam ist, das ist die Natur, nicht aber die Gnade“, sagt er, und er nennt es einen nichtigen Schimmer, der nur durch seine Eitelkeit einen Schein gibt, wenn man allgemein auf alle ausdehnt, was Gott doch gibt, wem er will (Predigt 26,7). Oder er sagt auch: „Wie bist du hierhergekommen? — Im Glauben. — Dann sieh zu, daß du dir nicht einbildest, selbst den rechten Weg gefunden zu haben, und ihn da durch wieder verlierst! Oder du sagst: ich bin aus freiem Willen gekommen, aus eigenem Willen bin ich da. — Was bläsest du dich auf? Willst du wissen, daß auch das dir verliehen ist? So höre das Wort des Herrn selber, der da sagt: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn mein Vater ziehe! (Joh 6,44)“ (Predigt 30). Daß Gott die Herzen der Frommen mit solcher Kraft lenkt, daß sie nun mit einer Neigung folgen, die sich nicht mehr hin und her bewegen läßt, das geht ohne Zweifel klar aus den Worten des Johannes hervor: „Wer aus Gott ge boren ist, der kann nicht sündigen, denn sein Same bleibt in ihm“ (1. Joh. 3,9). Wenn uns also Gott ein Beharren schenkt, das wirksam und beständig ist, so ist damit die unentschiedene Regung („motus medius“), von der die Sophisten phan tasieren, eine Regung also, der man folgen und auch widerstehen könnte, offenbar ausgeschlossen.

II,3,11

Daß die Beständigkeit für Gottes gnädiges Geschenk zu halten ist, wäre eben falls ohne Zweifel geblieben, wenn nicht jener üble Irrtum aufgekommen wäre, sie werde nach dem Verdienst der Menschen ausgeteilt, ja nachdem sich jeder der „ersten“ Gnade gegenüber als dankbar erwiesen habe. Dieser irrige Satz ist nun aber aus der Meinung entstanden, es stehe in unserer Hand, die angebotene Gnade von uns zu weisen oder anzunehmen. Da die letztere Meinung aber bereits hinlänglich wider legt ist, so fällt auch jener Irrtum von selbst dahin. Allerdings liegt hier ein doppel ter Irrtum vor, nämlich einerseits die Lehre, unsere Dankbarkeit gegenüber der „ersten“ Gnade und deren rechte Anwendung werde durch das Nachfolgende be lohnt, und dann noch anderseits der Zusatz, die Gnade sei nicht allein in uns am Werk, sondern sie wirke nur mit uns zusammen.

Zum ersten ist folgendes zu sagen. Der Herr erfüllt seine Knechte tagtäglich mit den Gaben seiner Gnade und überschüttet sie je und je mit neuen. Er findet denn auch in ihnen, was er noch größerer Gnadengaben für würdig erachtet, weil ihm ja das Werk, das er selbst in ihnen angefangen hat, angenehm und wohlgefällig ist. Dahin gehören Stellen wie etwa: „Wer da hat, dem wird gegeben“ oder „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen“ (Matth. 25,21.23.29; Luk. 19,17.26). Aber dabei muß man sich vor zwei falschen Aussagen hüten: einerseits, daß die nachfolgenden Gnadengaben als Lohn für den rechtmäßigen Gebrauch der ersten Gnade erscheinen — als ob der Mensch Gottes Gnade erst durch seine eigene Anstrengung wirksam machte! —, und anderseits, daß man von dieser „Belohnung“ so redet, als ob sie etwas anderes als ein Geschenk freier Gnade wäre. Ich gebe also zu, daß die Gläubigen eine solche Segnung erwarten dürfen und daß sie, je besser sie die vorigen Gnadengaben an gewandt haben, auch nachher desto größerer Gaben teilhaftig werden. Aber ich sage: auch jene Anwendung (der früheren Gaben) kommt von dem Herrn, und diese Be lohnung geht aus seinem gnädigen Wohlwollen hervor; so ist die viel verwendete Unterscheidung zwischen einer „wirkenden“ und einer „mitwirkenden“ Gnade (gratia operans und gratia cooperans) ungeschickt und unglücklich. Allerdings hat sie auch Augustin gebraucht; aber er hat sie durch eine geschickte Beschreibung gemildert: Gott vollende mitwirkend, was er wirkend begonnen habe, auch sei es die gleiche Gnade, die aber ihren Namen nach der verschiedenen Art ihrer Wirkung erhalte. Daraus folgt: er teilt nicht zwischen Gott und uns, als ob da ein beiderseits aus ei genem Antrieb erfolgendes Zusammenwirken stattfände, sondern er will nur die Vielfältigkeit der Gnade zum Ausdruck bringen. Dahin gehört auch sein Ausspruch, viele Gaben Gottes gingen dem guten Willen des Menschen voraus — und dazu ge höre auch dieser Wille selber! Er läßt dem Willen also nichts übrig, was er sich selber anmaßen könnte. Das ist auch die ausdrückliche Behauptung des Paulus. Denn er sagt zuerst: „Gott ist es, der in euch wirket beides, das Wollen und das Voll bringen“ (Phil. 2,13), und dann setzt er gleich hinzu, beides tue er „nach seinem Wohlgefallen“. Dieses Wort soll bedeuten, daß es sich um eine aus freier Gnade kommende Wohltat handelt. — Man sagt dann auch, wenn wir der „ersten“ Gnade Raum gegeben hätten, so wirke unsere Bemühung sogleich mit der nach folgenden Gnade zusammen. Darauf antworte ich: versteht man darunter, daß wir, wenn wir einmal durch die Kraft des Herrn zum Dienste der Gerechtigkeit gebracht sind, nun von selbst weitergehen und geneigt sind, dem Antrieb der Gnade zu fol gen, so habe ich nichts dagegen. Denn wo die Gnade Gottes regiert, da ist ganz sicher auch eine solche Bereitschaft zum Gehorsam. Aber woher kommt das anders als da her, daß der Geist Gottes, der sich überall gleichbleibt, die im Anfang von ihm erzeugte Regung zum Gehorsam nun auch zu fester Beharrlichkeit stärkt und kräf tigt? Will man aber mit jenem Satz sagen, der Mensch nehme aus sich selber die Fähigkeit, mit der Gnade zusammenzuwirken, so ist das ein verderbenbringender Irrtum.

Gast

Beitrag von Gast »

II,3,12

In der letztgenannten Weise wird nun im Unverstand das Apostelwort verdreht: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle, aber nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist“ (1. Kor. 15,10). Diese Stelle versteht man so: der Apostel habe zuvor den Anschein einer gewissen Vermessenheit erregen können, wenn er sich allen gegenüber an die Spitze stellte; diesen Anschein aber erweise er als falsch, indem er der Gnade Gottes das Lob zuerkenne; aber das geschehe dann doch so, daß er sich selbst einen Mitarbeiter der Gnade nenne. Es ist verwunderlich, wie viele sonst nicht üble Leute sich an diesem Splitter gestoßen haben. Denn wenn der Apostel schreibt, die Gnade des Herrn habe mit ihm gewirkt, so tut er das nicht, um sich zu einem Mithelfer am Werk zu machen, sondern er überträgt das ganze Lob für seine Arbeit allein der Gnade, wenn er die Erklärung gibt: Nicht ich bin der, der gearbeitet hätte, sondern Gottes Gnade, die mir zur Seite stand! So hat man sich durch die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks irreführen lassen, noch mehr aber durch die verkehrte Übersetzung (ins Lateinische), welche die Bedeutung des griechischen Artikels außer acht ließ. Übersetzt man wörtlich, so heißt es nicht, die Gnade habe mit ihm zusam men gewirkt, sondern: die Gnade, die ihm zur Seite war, habe alles bewirkt! Das lehrt auch Augustin recht deutlich, freilich etwas kurz, wenn er sagt: „Der gute Wille des Menschen geht vielen Gaben Gottes voraus, aber nicht allen. Unter denen, denen er vorausgeht, befindet er sich auch selber.“ Als Beweis führt er dann an: „Sein Erbarmen kommt mir zuvor“ und dann wieder: „Gutes und Barm herzigkeit werden mir folgen“ (Ps. 59,11 — nicht Luthertext; 23,6). „Denn Gottes Gnade kommt dem, der nicht will, zuvor, daß er wolle, und dem, der da will, folgt sie, damit er nicht vergebens wolle.“ Damit stimmt auch Bernhard überein, wenn er die Kirche sprechen läßt: „O Herr, ziehe mich gegen meinen Willen, um mich wollend zu machen, ziehe mich, der ich lässig bin, und mache mich laufen“ (Predigten zum Hohen Liede, 21).

II,3,13

Damit nun nicht die Pelagianer unserer Zeit, nämlich die Klüglinge von der Sorbonne, nach ihrer Art den Vorwurf erheben, wir hätten die ganze Alte Kirche gegen uns, wollen wir jetzt Augustin selber hören. Unsere heutigen Pelagianer machen es ihrem Kirchenvater nach, der auch einst den Augustin zu ähnlichem Streite auf die Kampfbahn rief. Was er in der Schrift „Von der Züchtigung und Gnade an Valentinus“ (De correptione et gratia ad Valentinum) in größerer Ausführ lichkeit darstellt, davon will ich einiges in Kürze, aber mit seinen eigenen Worten wiedergeben. So führt er aus, die Gnade, im Guten zu verharren, wäre dem Adam zuteil geworden, wenn er gewollt hätte. Uns aber werde sie geschenkt, damit wir wollen und mit dem Willen die Lust besiegen. Adam habe also gekonnt, wenn er gewollt hätte, aber das Wollen zum Können habe er nicht gehabt. Uns dagegen werde das Wollen und das Können gegeben. Die ursprüngliche Freiheit habe darin bestanden, daß der Mensch fähig war, nicht zu sündigen (posse non peccare). Unsere Freiheit sei aber viel größer: wir hätten nicht die Fähigkeit, zu sündigen (non posse peccare) (Kap. 12). Damit nun aber keiner auf die Meinung komme, er rede hier von der zukünftigen Vollkommenheit im ewigen Leben — so hat es nämlich Petrus Lombardus verkehrterweise bezogen! —, schaltet er gleich jeden Zweifel aus: „Der Wille der Gläubigen wird vom Heiligen Geiste derart entzündet, daß sie können, weil sie wollen, und daß sie wollen, weil eben Gott in ihnen bewirkt, daß sie so wollen! Sie befinden sich zwar in großer Schwachheit, in der sich zur Niederwerfung alles eigenen Ruhms seine Kraft vollendet! (2. Kor. 12,9). Aber wenn in dieser Schwachheit ihr Wille bestehen bliebe, so daß sie also mit Gottes Hilfe könnten, was sie wollten — und wenn (also) Gott nicht selbst das Wollen in ihnen wirkte, so müßte inmitten so vieler An fechtungen ihr Wille doch unterliegen, und sie vermöchten also nicht zu beharren! Deswegen hat Gott der Schwachheit des menschlichen Willens so aufgeholfen, daß er nun durch seine Gnade unausweichlich und unablässig getrieben wird und auf diese Weise nicht versagt — wie schwach er auch ist!“ Dann spricht er ausführlich da von, wie unser Herz der Regung Gottes, der an ihm wirkt, notwendig folgt, und sagt dann: gewiß ziehe der Herr den Menschen mit seinem eigenen Willen — aber eben den habe er selbst geschaffen! (14) So haben wir also aus Augustins eigenem Munde den Beweis für das, worauf es uns wesentlich ankam: der Herr bietet uns seine Gnade nicht nur an, so daß sie jeder nach freiem Ermessen annehmen oder auch von sich weisen könnte; sondern Gottes Gnade selber wirkt im Herzen Entschei dung und Willen. Was also an guten Werken daraus hervorgeht, ist seine eigene Frucht und Wirkung! Und der Mensch hat seinen gehorsamen Willen nur daher, daß Gott selber ihn schafft. Wörtlich sagt Augustin an einer anderen Stelle: „Alles gute Werk in uns schafft allein die Gnade“ (Brief 194).

II,3,14

Aber Augustin sagt doch an anderer Stelle, die Gnade hebe den Willen nicht auf, sondern wandle ihn vom Bösen zum Guten und stehe ihm bei, wenn er gut ge worden sei! Das bedeutet aber nur: der Mensch wird nicht so (vom Geiste Gottes) geführt, daß er ohne Regung des Herzens wie von einem äußeren Druck sich trei ben ließe, sondern er wird eben innerlich so erfaßt, daß er von Herzen ge horcht. Solche Gnade wird nach Augustin in besonderer Weise den Erwählten zuteil und aus freier Gnade gewährt. So schreibt er an Bonifacius: „Wir wissen, daß Gottes Gnade nicht allen Menschen gegeben wird; und wer sie empfängt, dem wird sie nicht nach dem Verdienst der Werke gegeben, auch nicht nach dem Verdienst des Willens, sondern aus lauter Gnade (gratuita gratia); wem sie nicht gegeben wird, dem bleibt sie, wie wir wissen, nach Gottes gerechtem Urteil verwehrt“ (Brief 217). Im gleichen Brief geht er gehörig gegen die Meinung an, die „nachfolgende“ Gnade werde den Menschen als Belohnung für seine Verdienste zuteil, insofern er sich durch Nichtablehnung der „ersten“ Gnade als würdig erwiesen habe! Er will ja ge rade den Pelagius zu dem Geständnis bringen, daß wir für alle einzelnen Hand lungen die Gnade nötig haben, und daß sie nicht etwa eine Vergeltung für getanes Werk bedeute: sie soll wirklich als Gnade erscheinen! Indessen läßt sich dieser ganze Zusammenhang nicht kürzer zusammenfassen, als es im achten Kapitel der Schrift an Valentin „Von der Züchtigung und Gnade“ geschieht. Dort lehrt er zunächst: der menschliche Wille erlangt nicht etwa die Gnade kraft seiner Freiheit, sondern die Freiheit kraft der Gnade. Und weiter: Durch die gleiche Gnade wird der Mensch auch umgebildet und auf diese Weise standhaft gemacht; denn diese Gnade bestimmt ihn, das Gute freudig zu lieben. Drittens: So empfängt er die Kraft zu unüberwind licher Tapferkeit. Viertens: Herrscht die Gnade in ihm, so steht er unerschüttert, ver läßt sie ihn, so fällt er zu Boden. Fünftens: Durch des Herrn gnädiges Erbarmen wird er zum Guten hingekehrt, und das gleiche Erbarmen läßt ihn dann darin be harren. Endlich: Daß der menschliche Wille sich dem Guten zuwendet und danach im Guten beharrt, hängt einzig von Gottes Willen und keineswegs von irgend welchem eigenen Verdienst ab. Wie der „freie Wille“ — wenn man ihn so nennen will! — aussieht, der dem Menschen geblieben ist, das zeigt Augustin an einer an deren Stelle: er kann sich ohne die Gnade weder zu Gott bekehren, noch in Gott beharren; ja, er vermag alles nur durch die Gnade! (Brief 214).

Gast

Beitrag von Gast »

Viertes Kapitel: Wie Gott im Herzen des Menschen wirkt.

II,4,1

Wenn ich nicht irre, so ist jetzt hinreichend bewiesen, daß der Mensch derart unter dem Joch der Sünde steht, daß er von sich, aus seiner Natur heraus weder nach dem Guten trachten noch darum ringen kann. Ferner haben wir einen Unter schied aufgestellt zwischen „Zwang“ und „Notwendigkeit“, aus welchem hervor gehen sollte, daß der Mensch zwar notwendig sündigt, aber trotzdem mit Willen. Aber der Mensch ist ja der Knechtschaft des Teufels unterworfen und wird, wie es sich ansieht, mehr von dessen Willen als von seinem eigenen regiert. Deshalb müssen wir (1.) jetzt noch überlegen, wie diese doppelte Leitung aussieht. Dann müssen wir (2.) die Frage beantworten, ob denn bei den bösen Werken Gott ein Anteil zu zuschreiben sei, da ja die Schrift immerhin eine gewisse Wirksamkeit Gottes dabei andeutet. Irgendwo vergleicht Augustin den menschlichen Willen mit einem Pferd, das sich nach dem Wink seines Reiters richtet; Gott und der Teufel sind in diesem Gleichnis die Reiter. „An Gott hat es einen ruhigen und geschickten Reiter, der es klug lenkt, seiner Langsamkeit den Sporn gibt und zu große Geschwindigkeit mäßigt, seinen Mutwillen und Übermut zügelt, seinen Trotz zähmt und es auf den rechten Weg leitet. Hat aber der Teufel von ihm Besitz ergriffen, so treibt er es wie ein toller und mutwilliger Reiter durch wegloses Land, läßt es in Sümpfe rennen, stürzt es Abgründe hinunter und reizt es zu Halsstarrigkeit und Wildheit.“ Mit diesem Gleichnis wollen wir uns, da uns kein besseres einfällt, vorderhand zu frieden geben. Wenn es aber heißt, der Wille des natürlichen Menschen sei dem Befehl des Teufels unterworfen und werde von ihm regiert, so bedeutet das nicht: der Wille wird widerstrebend und unter Widerstand zum Gehorsam gezwun gen — so wie wir einen Knecht gegen seinen Willen kraft des Herrschaftsrechtes zwingen, unserem Befehl zu gehorchen —, sondern vielmehr: er läßt sich durch die schmeichlerische Rede des Satans betören und leistet nun notwendig dessen ganzer Führung Folge. Denn wen der Herr nicht mit der Führung durch seinen Geist be gnadet, den liefert er in gerechtem Urteil der Wirkung des Satans aus. Deshalb sagt der Apostel, der Gott dieser Welt habe der Ungläubigen, also der zum Ver derben Verordneten, Sinn verblendet, damit sie das Licht des Evangeliums nicht sehen (2. Kor. 4,4). An anderer Stelle hören wir, der Teufel wirke in den Kindern des Unglaubens (Eph. 2,2). Da wird also die Verblendung der Gottlosen und alles, was sich daraus an Lastern ergibt, als Werk des Teufels bezeichnet; und doch ist deren Ursache nicht außerhalb des menschlichen Willens zu suchen, aus dem die Wurzel alles Bösen hervorwächst und in dem das Fundament des Satansreiches, nämlich die Sünde, seinen Sitz hat.

II,4,2

Ganz anders verhält es sich in solchen Fällen mit dem göttlichen Wirken. Um dies deutlicher gewahren zu können, wollen wir die Not ins Auge fassen, die dem heiligen Manne Hiob von Seiten der Chaldäer zustieß. Die Chaldäer erschlugen seine Hirten und raubten ihm mit Gewalt seine Herde. Ihre Übeltat liegt offen zu tage. Aber auch der Satan ist bei diesem Werke nicht müßig, ja von ihm geht nach der Erzählung das alles aus. Hiob selbst aber erkennt darin das Werk des Herrn und sagt, er habe ihm genommen, was doch von den Chaldäern geraubt wor den war! Wie sollen wir für die nämliche Tat Gott, den Satan und den Menschen als den Urheber ansehen, ohne den Satan damit zu entschuldigen, daß doch auch Gott beteiligt sei, oder aber Gott zum Urheber des Bösen zu erklären? Das ist leicht, wenn wir zunächst auf die Absicht der Handlung achten und dann auf die Art der Ausführung. Der Ratschluß des Herrn geht darauf hinaus, sei nen Knecht durch die Not in der Geduld zu üben. Der Satan bemüht sich, ihn zur Verzweiflung zu bringen. Und die Chaldäer möchten fremdes Gut wider alles Recht vor Gott und Menschen an sich reißen. Eine so große Verschiedenheit der Ab sichten trägt nun auch tiefe Unterschiede in das Werk selbst hinein. Nicht geringer ist daher auch die Verschiedenheit in der Art der Ausführung. Der Herr lie fert seinen Knecht dem Satan aus, daß er ihn plage; er übergibt dem Satan auch die Chaldäer, die er als Diener zu solchem Werk bestimmt hatte, damit er sie dazu treibe. Der Satan dagegen bringt mit seinem giftigen Stachel das böse Wesen der Chaldäer dazu, diese Untat zu vollbringen. Und die Chaldäer rennen wild ins Unrecht hinein, verstricken und beflecken sich an Leib und Seele mit Bosheit. Man kann deshalb recht eigentlich sagen: In den Verworfenen wirkt der Satan; denn in ihnen übt er ja seine Herrschaft, also das Regiment der Bosheit aus. Man kann aber auch sagen: hier handelt Gott; denn der Satan selber ist ja das Werkzeug seines Zorns und wendet sich nach seinem Wink und Befehl bald hierhin, bald dort hin, um seine gerechten Gerichte zu vollstrecken. Dabei sehe ich hier von der all gemeinen Regierung Gottes ab, die alle Geschöpfe hebt und trägt und ihnen Kräfte zum Wirken verleiht. Ich rede nur von der besonderen Wirksam keit, die in jeder einzelnen Tat sich zeigt. Es ist also, wie wir bemerken, gar nicht widersinnig, wenn die gleiche Tat Gott, dem Satan und dem Menschen zugeschrie­ben wird; aber die Verschiedenheit in Absicht und Ausführung bewirkt doch, daß hier Gottes Gerechtigkeit unbescholten in Ehren bleibt und anderseits die Verworfen heit des Satans und des Menschen sich zu ihrer eigenen Schande kundtut.

II,4,3

Die alten Kirchenlehrer haben in allzu großer Zurückhaltung zuweilen Scheu, in diesem Stück die Wahrheit schlicht zu bekennen; sie möchten eben nicht der Gott losigkeit Raum geben, ehrfurchtslos von Gottes Werken zu reden. Diese Bescheidenheit halte ich in allen Ehren; aber ich bin doch der Überzeugung, daß keine Gefahr besteht, wenn wir nur schlicht festhalten, was die Schrift uns sagt. Selbst Augustin ist von jener abergläubischen Furcht zuweilen nicht frei; so sagt er zum Beispiel, Verstockung und Verblendung des Menschen gehörten nicht zum tätigen Wirken Gottes, sondern zu seinem Vorherwissen (Von der Prädestination und der Gnade, 5). Aber derartigen Spitzfindigkeiten widerstehen viele Stellen der Schrift, die zeigen, daß Gott hier anders wirksam ist als bloß mit seinem Vorherwissen! Auch Augustin selber vertritt im fünften Buche der Schrift gegen Julian in langer Ausführung den Satz, die Sünde geschehe nicht nur mit Gottes Zulassung und unter seiner Geduld, sondern unter seiner Machtwirkung, nämlich zur Strafe für die früheren Sünden. Was man dann in gleicher Absicht von der „Zu lassung“ Gottes redet, ist zu gehaltlos, um bestehen zu können. Denn wir hören doch sehr oft, daß Gott die Verworfenen verblendet und verstockt, daß er ihr Herz wendet, leitet und antreibt — wie ich das oben ausführlicher dargelegt habe. Man wird aber nie klarmachen können, um was es sich da handelt, wenn man seine Zuflucht zu Wörtern wie „Vorherwissen“ oder „Zulassung“ nimmt. Wir antworten also, daß dies (das Verblenden und Verstocken der Verworfenen) auf zweierlei Weise geschehe. Zunächst: Nimmt Gott sein Licht weg, so bleibt um uns nichts als Finsternis und in uns nur Blindheit! Zieht er seinen Geist zurück, so wird unser Herz hart wie Stein. Hört seine Führung auf, so verwirrt und verirrt es sich. Wenn er also einem Menschen das Vermögen nimmt, zu sehen, zu gehorchen und das Rechte zu tun, so kann man mit Recht sagen, er verblende, er verstockt, er bringe ihn vom rechten Wege ab! Das Zweite kommt dem eigentlichen Sinn der genannten Worte noch näher: Gott lenkt, um seine Gerichte zu vollstrecken, durch den Satan, den Diener seines Zorns, der Verworfenen Ratschlüsse nach seinem Wohlgefallen, erweckt ihre Entschlüsse und bekräftigt sie in der Tat. So berichtet auch Mose, der König Sihon habe das Volk nicht durch sein Land ziehen lassen, weil Gott seinen Geist verhärtet und sein Herz verstockt hatte; dann fügt er als Absicht bei diesem Ratschluß hinzu: „Um ihn in eure Hände zu geben“ (Deut. 2,30). Gott wollte ihn also verderben, und deshalb war die Halsstarrigkeit seines Herzens Gottes Vorbereitung zu seinem Untergang.

Gast

Beitrag von Gast »

II,4,4

Dem ersten Gedankengang entspricht etwa das Wort: „Er entzieht die Sprache den Bewährten und nimmt weg den Verstand der Alten“ (Hiob 12,20; Ez. 7,26). Oder: „Er nimmt weg die Weisheit von den Obersten des Volkes im Lande und führt sie irre durch wegloses Land“ (Ps. 107,40; nicht Luthertext). Ferner: „War um lässest du uns, Herr, irren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten?“ (Jes. 63,17). Denn diese Stellen zeigen eher, was Gott aus dem Menschen macht, wenn er ihn verläßt, als etwa, wie er (aktiv) sein Werk in ihnen tut. Aber andere Schriftzeugnisse gehen weiter. So besonders die, welche von der Verstockung des Pharao reden: „Ich will sein Herz verstocken, daß er das Volk nicht ziehen lassen wird“ (Ex. 4,21; 7,3). Nachher sagt er, er habe sein Herz steif und hart gemacht (Ex. 10,1). Bedeutete dies Verhärten einfach das Unterlassen des Erweichens? Gewiß: das auch. Aber er tat noch etwas mehr: er trug dem Satan auf, sein Herz zu verhärten, wie er zuvor gesagt hatte: „Ich will sein Herz halten.“ Dann zog das Volk aus Ägypten aus. Aber da traten ihm feind liche Bewohner des Landes in den Weg. Wer hatte sie aufgestachelt? Mose jedenfalls behauptet dem Volke gegenüber, daß es der Herr war, der ihre Herzen verhärtet hatte (Deut. 2,30). Und der Prophet, der das nämliche Ereignis berührt, sagt, Gott habe ihr Herz verkehrt, daß sie seinem Volke gram wurden (Ps. 105,25). Nun kann man also nicht mehr sagen, sie seien bloß angelaufen, weil ihnen des Herrn Rat gefehlt habe. Denn wenn sie verhärtet und verkehrt wurden, so hieß das: sie wurden mit Vorbedacht in dieser Richtung geleitet! Und weiter: oft genug gefiel es dem Herrn, das Volk für seine Übertretung zu strafen — wie hat er denn da sein Werk in den Gottlosen getan? Jedenfalls so, daß man sehen kann: das Wirken stand bei ihm, und jene haben ihm nur Dienst geleistet. So droht er, die Feinde mit seinem Zischen herbeizurufen (Jes. 5,26; 7,18), sie als Netz zu gebrauchen, um Israel darin zu fangen (Ez. 12,13; 17,20), sie als Hammer zu schwingen, um sein Volk zu zerschlagen (Jer. 50,23). Daß er aber in den Feinden selbst nicht un tätig ist, gab er vor allem dadurch kund, daß er den Sanherib eine Axt nannte (Jes. 10,15), die er mit seiner Hand führte und schwang, um damit das Volk zu zerhauen. Nicht übel gibt Augustin irgendwo die Beschreibung: Was sie sündigen, ist ihre Sache; aber daß sie mit ihrem Sündigen dies oder das tatsächlich voll bringen, das kommt aus Gottes Kraft, der die Finsternis zerteilt, wie es ihm gefällt (Von der Prädestination der Heiligen, 16).

II,4,5

Nun dient der Satan dazu, die Gottlosen anzustacheln, sooft der Herr sie in seiner Vorsehung zu diesem oder jenem Werk bestimmt. Das läßt sich aus einer einzigen Stelle hinreichend ersehen. Im 1. Samuelbuche heißt es nämlich öfters, der „böse Geist des Herrn“ oder ein „böser Geist vom Herrn“ habe den Saul ergriffen, bzw. sei wieder von ihm gewichen (1. Sam. 16,14; 18,10; 19,9). Dies auf den Hei­ligen Geist zu beziehen, wäre frevelhaft. Es wird also ein böser Geist als Gottes Geist bezeichnet, weil er ja seinem Wink und seiner Macht Untertan ist und daher bei seinem Wirken eher Gottes Werkzeug als etwa sein eigener Meister ist! Zugleich ist zuzufügen, was Paulus lehrt: Gott sende kräftige Irrtümer und allerlei Ver führung (zur Ungerechtigkeit), damit alle, die der Wahrheit nicht gehorcht haben, nun der Lüge glauben (2. Thess. 2,11). Und doch besteht bei dem gleichen Werk ein tiefer Unterschied zwischen dem, was der Herr tut und dem, was der Satan und die Gottlosen ins Werk setzen. Er läßt die bösen Werkzeuge, die er in der Hand hat und lenken kann, wohin er will, seiner Gerechtigkeit dienstbar sein. Sie dagegen sind ja böse und bringen mit ihrer Tat nur die Bosheit ihres Wesens, die sie in ihrer Verworfenheit ausgebrütet haben, ans Licht. Was sonst noch zu sagen wäre, um Gottes Majestät gegen alle Lästerung zu verteidigen und den Gott losen jede Ausflucht abzuschneiden, ist in dem Kapitel „Über die Vorsehung“ be reits ausgeführt. Hier hatte ich nur die Absicht, kurz zu zeigen, wie der Satan in einem verworfenen Menschen regiert — und wie doch der Herr selbst in beiden am Werke ist.

II,4,6

Aber wir haben noch nicht auseinandergesetzt, was für eine Freiheit der Mensch in solchen Handlungen besitzt, die an sich weder gerecht noch böse sind und also mehr das leibliche als das geistliche Leben betreffen; diese Frage haben wir erst kurz be rührt. Manche haben dem Menschen in solchen Dingen die freie Entscheidung zu gesprochen. Nach meiner Ansicht haben sie das mehr darum getan, weil sie über diese wenig wichtige Frage keinen großen Streit haben mochten, als etwa deshalb, weil sie mit Sicherheit jenes von ihnen gemachte Zugeständnis festhalten wollten. Ich gestehe nun: wer erkennt, daß er keinerlei Vermögen zur Gerechtigkeit besitzt, der weiß damit das, was zum Heil vor allem zu wissen nötig ist. Aber ich glaube doch, daß auch dieses Lehrstück nicht vernachlässigt werden darf. Wir müssen er kennen: wenn es uns einfällt, uns für das zu entscheiden, was uns zugute kommt, wenn der Wille sich dem zuwendet, und wenn anderseits Verstand und Gemüt dem aus dem Wege gehen, was schaden müßte, so ist das eine besondere Gnade des Herrn! Die Kraft der göttlichen Vorsehung geht so weit, daß die Dinge sich so auswirken, wie Gott es als gut ersehen hat, und daß auch der Wille der Menschen sich nach diesem Plan richten muß! Denken wir nach unserem Sinn über die Leitung des äußerlichen Geschehens nach, so werden wir ohne Bedenken sagen, dies unterstünde dem menschlichen Willen. Leihen wir aber jenen vielen Schriftzeugnissen das Ohr, die deutlich darauf hinweisen, daß der Herr auch in diesen Dingen die Menschenher zen regiert, so zwingen uns diese, auch hier unseren Willen der besonderen gött lichen Leitung zu unterstellen. Wer soll denn zum Beispiel den Willen der Ägyp ter den Israeliten geneigt gemacht haben, so daß sie ihnen alle die kostbarsten Ge räte liehen? (Ex. 11,2f.). Sie selbst waren von sich aus nie auf den Gedanken gekommen! Also unterstand auch ihr Herz der Leitung des Herrn und nicht eben ihrer eigenen Führung! So sagt Jakob von seinem Sohne Joseph, den er für irgendeinen Ägypter hält: „Gott lasse euch Barmherzigkeit vor diesem Manne finden“ (Gen. 43,14). Das hätte er nicht getan, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß Gott nach seinem Wohlgefallen in den Menschen die verschiedenen Empfindungen erweckt. So bekennt auch die ganze Kirche im Psalm (106,46), der Herr habe sich ihrer er barmen wollen und deshalb das Herz grimmiger Völker zur Milde gewandelt. Fer ner heißt es von Saul, sein Zorn sei entbrannt, so daß er sich zum Kriege rüstete — und als Ursache wird der Antrieb des Geistes Gottes angegeben! (1. Sam. 11,6). Wer hat das Herz des Absalom vom Rate des Ahitophel abgebracht, der doch sonst für ihn geradezu als göttlicher Spruch galt? (2. Sam. 17,14). Wer verkehrte den Sinn Rehabeams, daß er sich vom Rate der Jungen überzeugen ließ? (1. Kön. 12,10; 11,15). Wer hat Völker, die zuvor von großer Tapferkeit waren, vor den Israeli ten in Schrecken gejagt? Die Hure Rahab jedenfalls erklärt das für ein Werk des Herrn! (Jos. 2,9). Und wer hat denn anders Israels Herz in Furcht und Schrecken versinken lassen als der, der im Gesetz gedroht hatte, dem Volk ein erschrockenes Herz zu geben, wenn es nicht gehorchte? (Lev. 26,36; Deut. 28,65).

II,4,7

Nun wird vielleicht jemand einwenden, das seien Einzelbeispiele, aus denen man keine allgemeine Regel machen sollte. Ich erwidere: diese Beispiele sind mir ein voll gültiger Beweis für meine Behauptung, daß Gott, wenn er seiner Vorsehung Raum schaffen will, auch in äußeren Dingen den Willen der Menschen leitet und wendet, so daß also auch ihnen gegenüber nicht in dem Sinne eine freie Entscheidung besteht, daß etwa Gottes Wille die Herrschaft über unsere Freiheit einbüßte! Daß unser Wille von Gottes Lenken und nicht eben von unserer eigenen Entscheidungsfreiheit abhängt, lehrt, ob man will oder nicht, selbst die tagtägliche Erfahrung: oft fehlt uns in recht verständlichen Dingen Urteilskraft und Verstand, oder bei einfachen Auf gaben ermattet der Mut, oder es zeigt sich uns anderseits in ganz verwickelten Angelegenheiten auf einmal ein lösender Plan, oder unser Mut gewinnt auch in großer Gefahr die Überlegenheit über alle Schwierigkeiten. In dieser Weise verstehe ich das Wort des Salomo: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge — beide macht der Herr“ (Spr. 20,12). Er scheint mir da nämlich nicht von der Schöpfung zu sprechen, sondern von der Gnade, unsere Anlagen im besonderen Fall recht anzu wenden. Wenn er dann schreibt: „Des Königs Herz ist in der Hand des Herrn wie Wasserbäche; und er neigt es, wohin er will“ (Spr. 21,1), so faßt er sicherlich unter der einen Person des Königs das ganze Menschengeschlecht zusammen. Denn wäre überhaupt der Wille eines Menschen von aller Abhängigkeit frei, so träfe das doch sicher auf den König zu, der doch sozusagen den Willen anderer Menschen regiert. Wird also der Wille des Königs von Gott geleitet, so gilt das sicher lich erst recht von dem unsrigen! Hierüber gibt es einen ausgezeichneten Satz des Augustin: „Forscht man sorgfältig in der Schrift, so zeigt sie nicht nur, daß der gute Wille des Menschen, der zuvor böse war und von Gott gut gemacht worden ist und nun von ihm zu guten Handlungen und zum ewigen Leben hingelenkt wird, in Gottes Gewalt steht. Sie zeigt, daß auch jeder Wille, der zur gegenwärtigen Kreatur gehört, in Gottes Hand ist, so daß er ihn leiten kann, wohin er will und wann er will, Wohltaten zu erweisen oder auch nach seinem verborgenen, aber doch so ge rechten Urteil Strafen zu vollstrecken!“ (Von der Gnade und dem freien Willen, 20).

Gast

Beitrag von Gast »

II,4,8

Hier möge nun der Leser bedenken, daß die Kraft unseres menschlichen Willens nicht etwa nach dem sichtbaren Ergebnis beurteilt werden darf, wie das einige unkundige Leute in ihrer Torheit tun. Sie meinen die Abhängigkeit des mensch lichen Willens dadurch fein und kunstvoll beweisen zu können, daß ja nicht einmal den höchsten Herrschern alles nach ihren Wünschen gerät. Die Fähigkeit aber, von der wir zu reden hatten, ist im Menschen selbst zu sehen, nicht aber am äußeren Erfolg zu messen. Der Streit um den freien Willen dreht sich nicht um die Frage, ob der Mensch, was er innerlich bei sich beschlossen hat, nun auch durch alle äußeren Hemmnisse hindurch ausführen und durchsetzen könne. Es geht vielmehr darum, ob der Mensch überhaupt in irgendeiner Sache freie Entscheidung in sei nem Urteil und freie Triebkraft seines Willens habe. Muß diese Frage bejaht wer den, so hat Attilius Regulus in seinem engen, genagelten Fasse ebensoviel Freiheit wie Julius Cäsar, dessen Wink ein gut Teil des Erdkreises regierte!

Fünftes Kapitel: Abwehr der Einwürfe, die man zur Verteidigung des freien Willens vorzubringen pflegt.

II,5,1

Über die Unfreiheit des menschlichen Willens wäre nun anscheinend genug ge sagt, wenn da nicht Leute wären, die den Menschen durch den Aberglauben an seine Freiheit ins Unheil zu stürzen sich bemühen und zu diesem Zweck einige Gegengründe vorbringen, um unserer Meinung zu widerstehen. Da sammeln sie nun zunächst einige (angebliche) Widersinnigkelten auf, die diese Lehre in Verruf bringen sollen, als sei sie dem gesunden Menschenverstand zuwider. Alsdann aber führen sie auch Schriftzeugnisse ins Treffen. Wir werden beide Versuche der Reihe nach widerlegen. Also zunächst: Sie sagen: Ist die Sünde etwas Notwendiges, so hört sie da mit auf, Sünde zu sein, ist sie aber etwas Willentliches, so läßt sie sich eben auch vermeiden. Nun waren das auch die Waffen, mit denen einst Pelagius gegen Augustin anging. Aber wir wollen unsere Gegner nicht von vornherein mit seiner Autorität belasten, ehe wir nicht selbst unsre Behauptung gerechtfertigt haben. Ich bestreite also, daß die Sünde deshalb weniger zuzurechnen sei, weil sie notwendig ist. Und ich bestreite ebenfalls ihre Folgerung, die Sünde sei vermeidbar, weil sie willentlich sei. Will nämlich jemand mit Gott rechten und sich hinter dem Vor wand verstecken, er habe ja nicht anders gekonnt, so erhält er die Antwort, die wir bereits beigebracht haben: Daß die Menschen unter die Sünde versklavt sind und nur noch das Böse wollen können, ist nicht Schuld der Schöpfung, sondern der Verderbnis der Schöpfung! Woher kommt denn jenes Unvermögen, das die Gottlosen so gerne vorschützen, anders als daher, daß sich Adam aus freien Stücken der Tyrannei des Teufels unterwarf! Die Sündhaftigkeit, deren Ketten wir an uns tragen, rührt doch daher, daß der erste Mensch von seinem Schöpfer abfiel. Alle Menschen werden also mit vollem Recht dieses Abfalls für schuldig erklärt — und deshalb soll man sich doch nicht mit der Notwendigkeit entschuldigen zu können wähnen, die doch gerade der deutliche Grund unserer Verdammnis ist. Das habe ich ja auch oben deutlich auseinandergesetzt; ich habe sogar den Teufel selbst als Beispiel genommen und gezeigt, daß der, welcher notwendig sündigt, deshalb nicht weniger willentlich sündigt. So ist ja auch bei den erwählten Engeln zwar ein unentwegt dem Guten zugewandter Wille da, aber der hört doch deshalb nicht auf, Wille zu sein! So lehrt auch Bernhard, wie wir bereits anführten, recht gut, wir seien um so jämmerlicher daran, weil ja diese Notwendigkeit willentlich sei — und uns doch so fest bezwungen halte, daß wir Knechte der Sünde seien (Predigten zum Hohen Liede, 81). — Der zweite Teil der gegnerischen Schlußfolgerung ist verkehrt, weil sie vom „Willen“ gleich auf die „Freiheit“ schließen, was doch nicht angeht. Wir haben demgegenüber bereits dargelegt, daß etwas willentlich geschehen kann, ohne doch freier Entscheidung zu unterliegen.

II,5,2

Dann machen sie den Einwand: Wenn Tugend und Laster nicht aus der Entschei dung des freien Willens hervorgehen, so ist es nicht richtig, daß man Strafen ver hängt oder Belohnungen austeilt. Das ist ein Beweisstück des Aristoteles; aber es ist, das gebe ich zu, auch von Chrysostomus und Hieronymus da und dort ge braucht worden. Trotzdem war es auch den Pelagianern völlig geläufig; das leugnet auch Hieronymus nicht, und er berichtet sogar ihre Ausdrücke: „Wenn Gottes Gnade in uns handelt, so wird eben sie gekrönt werden, nicht aber wir, die wir gar nichts schaffen“ (Brief an Ktesiphon, 135 und Dialog 1).

Betreffs der Strafen gebe ich die Antwort: sie werden uns mit Recht auf erlegt, weil ja auch die Sündenverschuldung von uns ausgeht. Denn was macht es auch, ob da mit freiem oder geknechtetem Urteil gesündigt wird — es geschieht doch mit willentlicher Begierde! Zumal der Mensch ja gerade dadurch als Sünder erwiesen ist, daß er eben unter der Knechtschaft der Sünde steht! — Was nun die Belohnung der Gerechtigkeit angeht, so soll es nun (nach ihrer Meinung) widersinnig sein, wenn wir bekennen, daß sie von Gottes Güte und nicht von un serem eigenen Verdienst abhängt. Wie oft kehrt aber doch bei Augustin die Wendung wieder, Gott kröne nicht unser Verdienst, sondern seine eigenen Gaben; Lohn hieße das, nicht weil es unserem Verdienst zukomme, sondern weil er den von ihm selbst uns geschenkten Gnadengaben Vergeltung zuteil werden ließe! Sie bemerken nun scharfsinnig, es bliebe ja für Verdienste gar kein Raum mehr, wenn sie nicht aus der Quelle des freien Willens hervorsprudelten. Aber sie sind tief im Irrtum, wenn sie hier einen so großen Widerspruch sehen. Denn Augustin lehrt ja selbst an so vielen Stellen ohne Bedenken, was er nach ihrer Anschauung für freventlich erklären müßte; so z. B. sagt er: „Was sind denn die Verdienste der Menschen? Jesus ist doch nicht mit verdientem Lohn, sondern mit freier Gnade zu uns gekommen, und so hat er, der allein von der Sünde frei war und frei machte, alle Menschen als Sünder vorgefunden“ (Brief 155). Oder: „Wenn du nach Verdienst erhältst, dann mußt du Strafe leiden. Was geschieht also? Gott legt dir nicht die verdiente Strafe auf, sondern schenkt dir unverdiente Gnade. Willst du aber ohne Gnade sein, so berufe dich auf dein Verdienst!“ (Zu Psalm 31). Oder end lich: „Von dir aus bist du nichts. Dir gehören deine Sünden. Die Verdienste sind Gottes Sache. Was dir mit Recht zukäme, wäre die Strafe. Kommt dir aber Lohn zu, so krönt Gott seine eigenen Gaben, nicht aber deine Verdienste“ (Zu Psalm 70). In diesem Sinne lehrt er auch, die Gnade komme nicht aus dem Ver dienst, sondern das Verdienst aus der Gnade! Und gleich darauf kommt er zu dem Schluß, Gott gehe mit seinen Gaben allem Verdienst voran, um dann aus jenen ein Verdienst abzuleiten; da er nichts Verdienstliches finde, so schenke er sein Heil ganz aus Gnaden (Predigt 169).

Aber was sollen wir da eine lange Liste zusammenstellen, wo doch in Augustins Schriften immer wieder solche Sätze uns begegnen? Viel besser wird aber der Apostel unsere Gegner von ihrem Irrtum befreien, wenn sie hören, aus welchem Ursprung er die Ehre der Heiligen herleitet. „Welche er erwählt hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerecht fertigt hat, die hat er auch herrlich gemacht“ (Röm. 8,29f.). Weshalb werden also nach dem Zeugnis des Apostels die Gläubigen gekrönt? (2. Tim. 4,8). Weil sie durch Gottes Barmherzigkeit ohne all ihr Bemühen erwählt, berufen und ver herrlicht sind! Hinweg also mit jener unbegründeten Furcht, es gäbe keine Verdienste mehr, wenn der freie Wille abgetan würde. Denn es ist die größte Torheit, vor dem voll Schrecken zu fliehen, zu dem uns die Schrift hinruft! „So du es aber emp fangen hast, was rühmst du dich denn, als ob du es nicht empfangen hättest?“, sagt der Apostel (1. Kor. 4,7). Offensichtlich wird unserem freien Willen alles abge sprochen, damit für Verdienst kein Raum mehr bleibt. Aber doch ist Gottes Wohltätigkeit und Freigebigkeit so unerschöpflich und vielfältig, daß er die Gnadengaben, die er uns zuteil werden läßt, eben weil er sie zu unserem Eigentum macht, ge radezu als unsere Tugenden belohnt!

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,3

Den dritten Einwand entnehmen unsere Gegner anscheinend dem Chrysostomus: Liegt es nicht im Vermögen unseres Willens, sich für Gut oder Böse zu entscheiden, so müssen entweder alle Menschen als Teilhaber an der gleichen natür lichen Art böse oder aber alle gut sein (23. Predigt über die Genesis). Von dieser Anschauung ist auch der Verfasser der Schrift „Von der Berufung der Heiden“, die unter dem Namen des Ambrosius umgeht, nicht weit ab. Er folgert so: Es würde doch noch nie ein Mensch vom Glauben abgekommen sein, wenn uns nicht Gottes Gnade wandelbar gelassen hätte. Dabei ist doch verwunderlich, daß sich solche Männer so vergessen konnten! Warum ist dem Chrysostomus nicht der Ge danke gekommen, es sei eben Gottes Erwählung, die den Unterschied zwischen den Menschen herstelle (den er vermißte)? Wir wollen jedenfalls ohne Ängstlichkeit zugeben, was Paulus in so hartem Streit bewährte, nämlich daß wir allzumal Sün der sind und der Bosheit unterworfen. Aber wir fügen auch mit ihm hinzu: es sei das Werk der Barmherzigkeit Gottes, daß nicht alle in der Verderbnis bleiben! Wir leiden also von Natur alle an dem gleichen Gebrechen, und so kommen nur die zur Gesundung, denen der Herr nach seinem Wohlgefallen seine heilende Hand reicht. Die anderen, an denen er in gerechtem Gericht vorübergegangen ist, quälen sich in ihrer Krankheit, bis es zu Ende geht. Daß einige bis ans Ende beharren, an dere dagegen den Lauf beginnen und dann doch stürzen, kommt aus der gleichen Ur sache. Denn die Beharrung ist ja selber ein Geschenk Gottes, das er nicht allen in gleicher Welse gewährt, sondern zuteilt, wem er will. Sucht man also den Grund für diesen Unterschied, fragt man also, warum die einen beständig ausharren, die anderen in Unbeständigkeit wanken, so bleibt nur das eine: die einen stärkt der Herr mit seiner Kraft und verleiht ihnen so die Beständigkeit, daß sie nicht um kommen; die anderen sollen Beispiele der Unbeständigkeit sein, und darum verleiht ihnen der Herr nicht die gleiche Kraft.

II,5,4

Viertens kommt man mit der Entgegnung: Hätte der Sünder keine Möglichkeit zu gehorchen, so wären alle Ermahnungen vergebens, alle Ermunterungen über flüssig, alle Verweise lächerlich! Solche Einwürfe hat man einst auch gegen Augustin erhoben, und er sah sich durch sie gezwungen, sein Büchlein „Von der Züchtigung und Gnade“ zu schreiben. Dort gibt er eine sehr weitläufige Widerlegung und redet dann seine Gegner zusammenfassend so an: „O Mensch, erkenne doch am Gebot, was du tun sollst, an der Züchtigung sieh’, daß du durch deine Schuld nicht hast, was du haben solltest — und merke am Gebet, woher du erhältst, was du haben möchtest!“ Ähnlich ist auch die Beweisabsicht in dem Buche „Vom Geist und Buch staben“. Da lehrt er: Gott bemißt seine Gebote nicht nach den menschlichen Kräften; sondern er gebietet, was recht ist, und gibt dann in freier Gnade seinen Erwählten die Fähigkeit, es zu erfüllen. Eines langen Streits bedarf jener Einwand nicht. Denn hier sind nicht nur wir die Angegriffenen, sondern zugleich Christus und alle Apostel. Und unsere Gegner sollen zusehen, wie sie in einem Streite obsiegen, in dem sie es mit solchen Widersachern zu tun haben! Christus spricht aus: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15,5). Tadelt er deshalb weniger die, welche ohne ihn etwas Böses tun? Unterläßt er deshalb etwa die Ermahnung, daß jeder sich guter Werke befleißigen solle? Wie scharf geht Paulus gegen die Korinther vor, die die Liebe vernachlässigten! Und doch bittet er schließlich den Herrn, ihnen die Liebe ins Herz zu geben! Im Römerbrief bezeugt er: „So liegt es denn nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm. 9,16). Aber er unterläßt es doch nachher keineswegs, zu ermuntern, zu ermahnen und zu stra fen! Weshalb fallen denn unsere Gegner nicht dem Herrn ins Wort, er solle doch keine vergeblichen Anstrengungen machen, indem er vom Menschen fordere, was er doch nur selber geben kann, oder an ihm tadele, was doch nur beim Fehlen seiner Gnade vorkommen kann? Weshalb wenden sie sich nicht an Paulus, er solle doch die Menschen mit Ermahnungen und Tadel verschonen, da sie es ja doch nicht in der Hand haben, zu „wollen“ oder zu „laufen“, wenn nicht Gottes Erbarmen ihnen zuvorkommt — das ihnen nun eben fehlt? Als hätte der Herr zu seiner Lehre nicht klare Ursache, die sich dem, der in Frömmigkeit danach fragt, auch klar erweist! Was Ermahnung und Strafe an sich ausrichten können, um das Herz zu wandeln, das beschreibt Paulus selber: „Nicht der da pflanzet, ist etwas, auch nicht, der da begießt, sondern der Herr, der das Gedeihen gibt …“ (1. Kor. 3,7) So schärft auch Mose die Gebote des Gesetzes mit Nachdruck ein, und die Propheten begegnen den Übertretern mit Eifer und Drohung. Und dabei bekennen sie doch, daß der Mensch erst dann zur Vernunft kommt, wenn ihm ein verständiges Herz gegeben wird, daß es Gottes eigenes Werk ist, das Herz zu beschneiden und ein fleischernes statt des steinernen zu schenken, sein Gesetz den Menschen ins Innere einzuschreiben, end lich die Seele zu erneuern und so der Lehre Wirkung zu verschaffen!

II,5,5

Wozu nun also Ermahnungen? Sie werden einst gegen die Gottlosen, die sie jetzt starrsinnig verachten, als Zeugnis auftreten, wenn es zu des Herrn Gericht kommt; ja sie geißeln und peinigen schon jetzt ihr Gewissen — denn spotten mag ihrer ein verwegener Narr, aber abweisen kann er sie nicht! Aber man fragt: Was soll denn solch armer Mensch machen, wenn ihm die Zugänglichkeit des Herzens ver sagt bleibt, die doch zum Gehorsam unerläßlich ist? — Gewiß, aber was will der Mensch denn für eine Ausflucht suchen, da er sich doch seine Herzenshärtigkeit sel ber zuschreiben muß? So werden also die Gottlosen, die nach Möglichkeit solche Ermahnungen zum Spott halten, ob sie wollen oder nicht, von ihrer Kraft zu Bo den geworfen.

Als das wesentlichste ist aber der Nutzen solcher Ermahnungen für die Gläubigen anzusehen. An ihnen wirkt der Herr alles durch seinen Geist, aber er be nutzt ebenso auch das Werkzeug seines Wortes, und das nicht ohne Wirkung. Es ist also eine unumstößliche Wahrheit, daß alle Rechtschaffenheit der Gläubigen allein in Gottes Gnade besteht, nach dem Wort des Propheten: „Ich will ihnen ein neues Herz geben, daß sie in meinen Geboten wandeln“ (Ez. 11,19.20). Nun könnte aber jemand einwenden: warum werden denn die Gläubigen an ihre Pflicht er innert und nicht einfach der Leitung des Geistes überlassen? Weshalb werden sie durch Ermahnungen aufgemuntert, wenn sie doch nicht mehr zu eilen vermögen, als der Heilige Geist ihnen Antrieb verleiht? Weshalb werden sie gestraft, wenn sie vom Wege gewichen sind, wo doch solches Fallen nur die Folge der notwen digen Schwachheit ihres Fleisches ist? O Mensch, wer bist du, daß du Gott ein Gesetz auflegen willst? Wenn uns doch Gott zum Empfang der Gnade selber, die uns in den Stand setzt, der Vermahnung zu gehorchen, durch eben diese Vermahnung vorbereiten will, was soll denn an dieser Ordnung zu tadeln oder zu be spötteln sein? Und wenn die Ermahnungen bei den Frommen nichts anders er reichten, als daß sie sie von der Sünde überführten, so wären sie schon deshalb nicht als gänzlich nutzlos anzusehen! Nun aber dienen sie vermöge der inneren Wirk samkeit des Geistes hervorragend dazu, das Trachten nach dem Guten zu entzün den, die Faulheit zu beheben, die Freude an der Bosheit und deren vergiftete Süßigkeit zu verderben und anderseits Haß und Ekel gegen sie zu erzeugen; wer wollte sie da noch für überflüssig erklären? Will jemand eine klarere Antwort ha ben, so will ich mich so ausdrücken: Gott handelt in seinen Auserwähl ten stets auf doppelte Weise: im Inneren durch seinen Geist, von außen durch sein Wort. Durch den Geist erleuchtet er den Verstand, bringt das Herz zur Liebe und Verehrung gegenüber der Gerechtigkeit und macht solchermaßen aus dem Menschen eine neue Kreatur. Durch das Wort reizt er ihn, diese Erneuerung zu begehren, zu suchen und zu erlangen. In beiden übt er das wirken seiner Hand nach dem Maß, das er bei der Verteilung seiner Gaben inne hält. Das gleiche Wort läßt er auch den Gottlosen zukommen; hier schafft es zwar keine Besserung, aber er läßt es doch zu einer anderen Auswirkung kommen: es ist das Zeugnis, das schon jetzt ihr Gewissen bedrücken und sie am Tage des Gerichts um so mehr unentschuldbar machen soll. So lehrt Christus gewiß, daß niemand zu ihm kommen kann, es ziehe ihn denn der Vater, und daß die Erwählten zu ihm kommen, nachdem sie es vom Vater gehört und gelernt haben (Joh. 6,44.45). Aber er waltet deshalb doch recht seines Lehramts und lädt mit seiner Stimme unablässig alle zu sich ein, obwohl sie doch alle der inneren Belehrung des Heiligen Geistes bedürfen, um irgendwie vorwärtszukommen! Und Paulus zeigt, daß die Lehre auch bei den Gottlosen nicht wirkungslos ist, weil sie ihnen „ein Geruch des Todes zum Tode“ ist, „Gott aber ein guter Geruch“ (2. Kor. 2,16).

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,6

In der Aufzählung von Schriftzeugnissen entwickeln unsere Gegner rege Geschäftigkeit, die vor allem deshalb so groß ist, weil sie uns, da es diesen Stellen an Beweiskraft fehlt, wenigstens durch deren große Zahl überrennen möch ten. Aber wie in der Schlacht, wenn es zum Handgemenge kommt, eine große, aber kriegsuntüchtige Menge, so prunkvoll und prahlerisch sie sich auch ausnimmt, doch mit wenigen Schlägen ganz durcheinandergeworfen und in die Flucht gejagt wird, so wird es auch uns leicht sein, unsere Gegner samt ihrem großen Heer auseinanderzutreiben. Nun lassen sich all die Schriftstellen, die sie mißbräuchlich gegen uns an führen, eigentlich in wenigen Hauptpunkten zusammenfassen, und deshalb können wir, nachdem wir sie in Gruppen eingeteilt, mehreren mit einer Antwort Genüge tun. Es wird also nicht erforderlich sein, sie einzeln zu widerlegen.

Besonders berufen sie sich auf die Gebote. Sie meinen, diese seien doch un seren Fähigkeiten derart angemessen, daß wir also notwendig das, was von ihnen nachweislich angeordnet ist, auch zu leisten vermöchten. So gehen sie die Gebote einzeln durch und messen danach das Ausmaß unserer Kräfte. Dabei sagen sie so: entweder hat uns Gott verspottet, wenn er Heiligkeit, Frömmigkeit, Gehorsam, Keuschheit, Liebe und Sanftmut fordert und Unreinigkeit, Götzendienst, Unkeuschheit, Zorn, Räuberei, Stolz und dergleichen untersagt — oder aber er hat nur verlangt, was in unserer Macht steht!

Nun kann man all die Gebote, die sie anhäufen, in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe fordert die Bekehrung zu Gott, die zweite spricht einfach von der Beobachtung des Gesetzes, die dritte trägt uns auf, in der empfangenen Gnade Gottes zu beharren. Wir wollen zunächst über alle drei Arten zusammen sprechen und dann die drei Ausgestaltungen einzeln durchgehen.

Der Versuch, die Fähigkeiten des Menschen in ihrem Maß nach den Geboten des göttlichen Gesetzes zu bestimmen, ist schon seit langer Zeit in Gebrauch gekom men und hat auch einen Schein der Wahrheit für sich, stammt aber doch aus grober Unkenntnis des Gesetzes. Unsere Gegner halten es für einen furchtbaren Frevel, wenn man sagt, die Erfüllung des Gesetzes sei unmöglich; sie haben es dabei auf den „schlagenden“ Beweis abgesehen: in diesem Falle wäre nämlich das Gesetz umsonst gegeben! Sie reden geradezu, als ob Paulus nie etwas vom Gesetz gesagt hätte! Was sollen denn solche Aussagen bedeuten, wie: das Gesetz sei um der Übertretung willen dazugekommen (Gal. 3,19), durch das Gesetz komme Erkenntnis der Sünde (Röm. 3,20), das Gesetz errege die Sünde (Röm. 7,7ff.), es sei nebeneingekommen, damit die Sünde mächtiger würde (Röm. 5,20)? Kann man da sagen, Gott hätte das Gesetz unseren Kräften anpassen müssen, damit es nicht umsonst gegeben würde? Nein, es geht weit über unsere Kräfte, eben um uns unsere Ohnmacht zum Be wußtsein zu bringen! Gewiß ist nach der Beschreibung desselben Paulus das Ziel und die Erfüllung des Gesetzes die Liebe (1. Tim. 1,5). Aber er spricht doch auch den Gebetswunsch aus, es möchten die Herzen der Thessalonicher mit Liebe erfüllt werden (1. Thess. 3,12), und macht damit deutlich, daß das Gesetz ohne Wirkung an unser Ohr klingt, wenn nicht Gott seinen ganzen Inhalt in unserem Herzen lebendig macht.

II,5,7

Wenn die Schrift nichts anderes lehrte, als daß das Gesetz die Richtschnur un seres Lebens sei, nach der wir all unseren Eifer richten müßten, so würde auch ich mich ohne Zögern der Ansicht meiner Gegner anschließen. Aber die Schrift entfaltet uns doch gründlich und deutlich eine mehrfache Anwendung des Gesetzes, und deshalb müssen wir aus ihrer Auslegung erkennen, was das Gesetz im Menschen be wirkt. Was unsere Frage betrifft, so schreibt uns die Schrift einerseits vor, was wir tun sollen, und anderseits lehrt sie uns doch gleichzeitig, die Kraft zum Ge horsam komme aus Gottes Güte, und fordert uns zum Gebet auf, durch das wir um solches Geschenk bitten sollen. Wäre da nur der Befehl und keinerlei Verhei ßung, so müßten wir unsere Kräfte prüfen, ob sie zur Erfüllung des Gebots hin reichten. Aber es sind doch tatsächlich mit den Geboten die Verheißungen verbunden, die uns zurufen, daß uns die Hilfe der göttlichen Gnade nicht bloß Unterstützung, sondern überhaupt alle Kraft verleiht; und gerade diese Verheißungen be zeugen uns also mehr als genug, daß wir viel zu schwach, ja gänzlich untüchtig sind, das Gesetz zu halten. Deshalb soll jetzt keiner mehr behaupten, unsere Kräfte seien nach dem Maße der Forderung des Gesetzes vorhanden, als ob der Herr die Richtschnur der Gerechtigkeit, die er in dem Gesetz geben wollte, nach dem Maß unserer Schwachheit bemessen hätte! Vielmehr müssen wir aus den Verheißungen lernen, wie unfähig wir von uns selbst aus sind, da wir ja in jeder Hinsicht so sehr der Gnade Gottes bedürfen!

Aber man erwidert: wer soll denn annehmen, der Herr habe sein Gesetz für Klötze und Steine bestimmt? Allerdings, das will auch niemand zu glauben ver langen! Denn weder die Gottlosen sind Steine oder Klötze — das Gesetz überführt sie ja, daß ihre Begierden sich gegen Gott richten, und so sind sie nach ihrem eige nen Zeugnis schuldig — noch auch die Frommen, wenn sie im Bewußtsein ihrer Ohnmacht zur Gnade ihre Zuflucht nehmen! Hierhin gehören auch einige gewichtige Aussprüche Augustins. „Gott befiehlt, was wir nicht können, damit wir erkennen, was wir von ihm erbitten sollen“ (Von der Gnade und vom freien Willen, 116). „Groß ist der Nutzen der Gebote, wenn man dem freien Willen soviel gibt, daß Gottes Gnade um so mehr geehrt werde“ (Brief 167). „Der Glaube erlangt, was das Gesetz verlangt“ (Handbüchlein, 117), „ja darum verlangt das Gesetz, damit der Glaube erlange, was durch das Gesetz verlangt wurde; den Glauben selbst ver langt Gott von uns, und er wird nicht finden, was er sucht, wenn er nicht selber gibt, was er finden will“ (Johannespredigten, 32). „Gott gebe, was er befiehlt, und dann mag er befehlen, was er will“ (Bekenntnisse, 10).

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,8

Das kann man alles bei der Betrachtung der drei Arten von Geboten, die wir oben kurz berührten, klarer erkennen.

(1.) Der Herr gebietet im Gesetz wie in den Propheten öfters, wir sollten uns zu ihm bekehren (Joel 2,12; Ez. 13,30-32; Hos. 14,2f.). Aber auf der anderen Seite seufzt der Prophet: „Bekehre du mich, Herr, so werde ich bekehrt; da ich bekehret ward, da tat ich Buße …“ (Jer. 31,18f.). Er gebietet uns ja auch, die Vorhaut unseres Herzens zu beschneiden (Deut. 10,16); aber durch Mose ver kündigt er, solche Beschneidung geschehe durch seine Hand! (Deut. 30,6). Öfters verlangt er die Erneuerung des Herzens — aber an einer Stelle bezeugt er, er werde sie uns selbst zuteil werden lassen! (Ez. 36,26). „Was aber Gott verheißen hat“, sagt Augustin, „das tun wir nicht selbst aus unserem Willen oder unserer Natur, sondern das tut er selbst durch seine Gnade!“ (Von der Gnade Christi und der Erbsünde, I,30f.). Und unter den Regeln des Ticonius zählt er an fünfter Stelle auch die Bemerkung auf, wir sollten fein unterscheiden zwischen Gesetz und Verhei ßung, Gebot und Gnade (Von der christlichen Unterweisung, III,33). Hinweg also mit denen, die aus den Geboten schließen wollen, der Mensch sei irgendwie zum Gehorsam befähigt; sie tun es ja nur, um Gottes Gnade aufzuheben, welche die Ge bote selbst erfüllt!

(2.) Zur zweiten Art gehören die gewöhnlichen Gebote, in welchen uns be fohlen wird, Gott zu verehren, seinem Willen dienstbar zu sein und anzuhangen, das zu beachten, was ihm wohlgefällt, und seiner Lehre zu folgen. Aber unzählige Stellen bezeugen doch auch, daß es sein Geschenk ist, was man an Gerechtigkeit, Heiligkeit, Frömmigkeit und Reinheit haben kann!

(3.) Zur dritten Gruppe gehören solche Ermahnungen, wie sie Paulus und Barnabas nach dem Bericht des Lukas den Gläubigen erteilen, nämlich sie sollten in der Gnade Gottes verharren (Apg. 13,43). Aber derselbe Paulus zeigt an anderer Stelle auch, woher man die Kraft zu solcher Beständigkeit erbitten soll. „Zuletzt, meine Brüder, seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke …“ (Eph. 6,10) Und an anderer Stelle verbietet er uns, den Geist des Herrn zu betrüben, mit dem wir „versiegelt sind auf den Tag unserer Erlösung“ (Eph. 4,30). Aber was er da fordert, kann ja von den Menschen nicht geleistet werden, und so bittet er den Herrn für die Thessalonicher, er möge sie „würdig machen ihrer heiligen Berufung und in ihnen allen guten Vorsatz seiner Güte er füllen, dazu das Werk des Glaubens“ (2. Thess. 1,11). In gleicher Weise rühmt er im zweiten Korintherbriefe, wo er von den Liebesgaben spricht, öfters den from men und guten Willen der Gemeinde, dankt aber doch gleich darauf Gott, der es dem Titus ins Herz gegeben habe, sie zu ermahnen (2. Kor. 8,11.16). Wenn Titus nicht einmal seinen Mund in Dienst stellen konnte, um die anderen zu ermahnen, ohne daß Gott ihn dazu trieb — wie sollten dann die anderen zum Handeln willig geworden sein, ohne daß Gott selber ihre Herzen geneigt machte?

II,5,9

Aber all diese Zeugnisse der Schrift erklären unsere Gegner in ihrer Arglist für unzureichend; sie meinen, es stehe doch nichts dagegen, daß wir eben selbst unsere Kräfte daransetzten und Gott dann unseren schwachen Versuchen Unterstützung leihe. Sie bringen sogar Stellen aus den Propheten bei, wo das Zustandekommen unserer Bekehrung zwischen Gott und uns aufgeteilt scheint. So zum Beispiel: „Bekehret euch zu mir, so will ich mich wieder zu euch kehren“ (Sach. 1,3). Welcher Art nun des Herrn Hilfe ist, die er uns schenkt, ist bereits oben behandelt worden und bedarf hier nicht der Wiederholung. Nur das eine soll man mir zugestehen: daß es vergebens ist, im Menschen deshalb das Vermögen zur Erfüllung des Ge setzes finden zu wollen, weil der Herr von uns den Gehorsam verlangt. Denn es steht doch fest, daß zur Erfüllung aller Gebote Gottes die Gnade des Gesetzgebers selbst notwendig ist — und daß eben diese uns verheißen ist! Ist das zuge geben, so leuchtet wenigstens ein, daß mehr von uns verlangt wird, als wir zu leisten vermögen. Man kann sich noch so listig stellen, so läßt sich doch das Wort des Jeremia nicht auflösen, wonach der Bund, der einst mit dem alten Volke geschlossen war, zunichte geworden ist, weil er doch bloß in Buchstaben bestand — während der neue Bund nur dann in Wirksamkeit tritt, wenn der Geist hinzukommt, der die Herzen zum Gehorsam bringt (Jer. 31,32ff.). Selbst der Spruch: „Bekehret euch zu mir, so will ich mich zu euch kehren“ kann der Ansicht meiner Widersacher nicht zur Stütze dienen. Denn da ist nicht von der Hinkehr Gottes zu uns die Rede, in der er unser Herz zu rechter Buße erneuert, sondern von jener anderen, in der er sich durch Schickung glücklicher Zeiten wohlwollend und hilfreich erweist, so wie er ja auch sein Mißfallen zuweilen durch Mißgeschick zu erkennen gibt. Weil nun ja das Volk, geplagt von allerlei Jammer und Not, Klage erhebt, Gott habe sich von ihm abge wandt, so gibt er zur Antwort, seine Freundlichkeit werde ihm nicht fehlen, wenn es zur Rechtschaffenheit des Lebens und zu ihm, der doch das Urbild der Gerechtig keit ist, sich bekehrte. Es bedeutet daher eine üble Verdrehung des Textes, wenn man ihn so auslegt, daß das Werk der Bekehrung halb von Gott und halb vom Menschen getan scheint! Dies haben wir deshalb kürzer berühren können, weil diese Untersuchung eigentlich mehr zur Lehre vom Gesetz gehört und deshalb auch dort behandelt werden soll.

II,5,10

In engster Beziehung zu diesem ersten Beweisstück der Widersacher steht die zweite Gruppe von Schriftbeweisen. Man nennt Verheißungen, in denen der Herr mit unserem Willen gleichsam einen Vertrag macht. So zum Beispiel: „Suchet das Gute und nicht das Böse, so werdet ihr leben“ (Am. 5,14). „Wollet ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen, weigert ihr euch aber und seid ungehorsam, so sollt ihr vom Schwerte gefressen werden, denn der Mund des Herrn sagt es“ (Jes. 1,19.20). „So du deine Greuel wegtust von meinem An gesicht, so sollst du nicht vertrieben werden“ (Jer. 4,1). „Wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen wirst, daß du hältst und tust alle seine Gebote, so wird dich der Herr, dein Gott, zum höchsten machen über alle Völker der Erde“ (Deut. 28,1). Dazu kommen noch andere Stellen, wie z. B. auch Lev. 26,3ff.

Man meint nun: All diese Wohltaten, die Gott in seinen Verheißungen anbietet, werden ja nur zu merkwürdigem Spott und Hohn an unseren Willen geknüpft, wenn wir nicht die Fähigkeit haben, sie uns anzueignen oder von uns zu weisen! Und das kann man dann gewiß auch mit redseligen Klagen ausweiten, wir würden vom Herrn grausam zu Narren gehalten, wenn er verkünde, seine Wohltaten hingen von unserem Willen ab, — wo doch unser Wille gar nicht in unserer Macht stehe! Das wäre wirklich eine herrliche Freigebigkeit Gottes, wenn er uns so seine Wohl taten anböte, daß wir sie gar nicht genießen könnten! Eine merkwürdige Gewißheit um seine Verheißungen wäre das, wenn diese, damit sie doch nie in Erfüllung gin gen, von einer unerfüllbaren Bedingung abhingen!

Wir werden von solchen Verheißungen, denen eine Bedingung beigegeben ist, an anderer Stelle zu reden haben. Da wird denn auch deutlich werden, daß in der Unmöglichkeit der Erfüllung dieser Bedingungen nichts Widersinniges liegt. Im vorliegenden Falle leugne ich, daß Gott mit uns grausam Possen treibe, wenn er uns auffordert, seine Gaben zu verdienen, wo er doch weiß, wie gar unvermö gend wir sind. Denn diese Verheißungen werden den Gläubigen zugleich mit den Ungläubigen gegeben und haben beiden gegenüber eine ganz verschiedene Wirkung. Denn wie Gott durch seine Gebote das Gewissen der Gottlosen aufrüttelt, damit sie sich in ihren Sünden nicht zu wohl fühlen — und ohne Erinnerung an Gottes Gericht würden sie das eben doch tun! —, so bezeugt er ihnen durch seine Verheißungen, wie unwürdig sie seiner Freundlichkeit sind! Denn wer wollte es nicht für das Gerechteste und Angemessenste von der Welt halten, daß der Herr denen wohltäte, die ihn verehren, und dagegen an den Verächtern seiner Majestät mit aller Strenge Vergeltung übte? Deshalb handelt Gott recht und ordnungsmäßig, wenn er den Gottlosen, die in den Fesseln der Sünde gebunden liegen, in seinen Verheißungen die Bedingung bekanntgibt, sie würden erst dann seine Wohltaten empfangen, wenn sie von der Bosheit abließen; sei es auch nur, damit sie erkennen: sie sind mit vollem Recht von dem geschieden, was den wahren Verehrern Gottes zukommt!

Auf der anderen Seite wendet er doch viele Mittel an, um die Gläubigen dazu zu bringen, seine Gnade zu erbitten; und da ist es keineswegs unsinnig, wenn er das, was er augenscheinlich mit seinen Geboten mit viel guter Wirkung an uns tut, auch mit seinen Verheißungen versucht. Durch die Gebote erfahren wir Gottes Willen und werden so an unseren Jammer erinnert, da wir ja von ganzem Herzen diesem Willen zuwider sind. Zugleich werden wir auch angetrieben, seinen Geist anzurufen, der uns den rechten Weg leiten möge. Aber die Gebote reichen noch nicht aus, uns in unserer Bequemlichkeit aufzustören, und deshalb kommen die Verhei ßungen hinzu, die uns gewissermaßen durch ihre Lieblichkeit Lust zu den Geboten machen! Je stärker aber in uns das Trachten nach der Gerechtigkeit ist, desto heißer suchen wir Gottes Gnade. Mit solchen Aufforderungen: „Wenn ihr wollt“ oder „Wenn ihr höret“ mißt uns der Herr also nicht die freie Fähigkeit bei, zu wollen oder zu hören, hält uns aber auch keineswegs angesichts unserer Ohnmacht zu Narren!

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,11

Auch die dritte Gruppe (von angeblichen Schriftbeweisen der Gegner) hat mit den beiden ersten viel Ähnlichkeit. Da bringen sie nämlich Stellen bei, in denen Gott seinem undankbaren Volk Vorwürfe macht, des Inhalts, es trage allein die Schuld daran, wenn es nicht aus seiner Freundlichkeit allerlei Gutes empfangen habe. Dazu gehören etwa folgende Stellen. „Die Amalekiter und Kanaaniter sind vor euch daselbst, und ihr werdet durchs Schwert fallen, darum daß ihr euch vom Herrn gekehrt habt“ (Num. 14,43). „Weil ich euch gerufen habe, und ihr habt nicht geantwortet, so will ich diesem Hause tun, gleichwie ich Silo getan habe“ (Jer. 7,13f.). „Dies ist das Volk, welches den Herrn, seinen Gott, nicht hören wollte, noch sich nicht bessern will, … darum ist es von dem Herrn verworfen“ (Jer. 7,28f.). „Weil ihr euer Herz verhärtet habt und wolltet nicht dem Herrn gehorchen, so sind alle diese Übel über euch gekommen“ (Jer. 5,3; Vulgata). Nun sagen die Gegner: Wie sollen denn solche Vorwürfe einem Volk gegenüber am Platze sein, das gleich antworten könnte: „Unser Wohlergehen lag uns zwar sehr am Herzen, und wir fürchteten das Unglück; daß wir aber, um glücklich zu werden und Unheil zu vermeiden, dem Herrn nicht gehorcht haben noch auf seine Stimme geachtet — das kommt daher, daß wir ja der Herrschaft der Sünde unterworfen sind und nicht frei waren, das Gebotene zu tun! Deshalb wird uns das Böse ohne Grund zum Vorwurf gemacht, weil es ja gar nicht in unserer Macht stand, ihm aus dem Wege zu gehen.“

Ich will aber diese Ausflucht, die sich auf die Notwendigkeit der Sünde beruft, übergehen, weil sie bloß eine nichtsnutzige und oberflächliche Ausrede ist. Nur möchte ich fragen, ob jene Menschen wirklich die Schuld von sich abwälzen können. Wenn sie nämlich schuldig sind, so macht ihnen der Herr nicht ohne Ursache den Vorwurf, es sei Folge ihrer Verkehrtheit, wenn sie die Frucht seiner Freund lichkeit nicht geschmeckt haben. Sie sollen mir also antworten, ob sie abstreiten kön nen, daß die Ursache ihrer Halsstarrigkeit ihr eigener böser Wille war! Finden sie aber die Quelle des Bösen in sich selber, wozu forschen sie denn so eifrig nach äu ßeren Ursachen, um nur ja nicht selbst als Urheber des eigenen Verderbens zu er scheinen? Wenn es doch wahr ist, daß der Sünder durch seine eigene, nicht durch fremde Schuld der göttlichen Gaben verlustig geht und der Strafe Gottes verfällt, so besteht wahrhaftig Grund genug, solche Vorwürfe aus Gottes Mund zu hören. Gehen nämlich die Menschen halsstarrig ihren Weg weiter, so sollen sie in der Not lernen, ihre eigene Bosheit zu verklagen und zu beschuldigen, statt etwa Gott ver leumderisch ungerechte Schärfe vorzuwerfen. Sind sie aber noch einigermaßen lenksam, so soll der Überdruß an der Sünde, von der sie sich in Jammer und Verder ben gestürzt sehen, über sie kommen, und so sollen sie auf den rechten Weg zurück kehren und solchermaßen in ernstem Bekenntnis selbst anerkennen, was der Herr in seinen Vorwürfen in Erinnerung ruft!

Dazu haben jene oben erwähnten Tadelworte der Propheten bei den Frommen auch tatsächlich gedient, wie das aus dem herrlichen Gebet hervorgeht, das uns im neunten Kapitel des Buches Daniel überliefert wird. Die zuerst beschriebene Wir kung sehen wir am Beispiel der Juden, denen Jeremia auf Gottes Geheiß die Ur sache all ihres Jammers aufweisen sollte, obgleich die Ereignisse nicht anders kommen sollten, als es der Herr vorhergesagt hatte! „Du sollst ihnen das alles sagen, und sie werden dich nicht hören, rufe ihnen zu, und sie werden dir nicht antworten!“ (Jer. 7,27; nicht Luthertext). Wozu wird denn hier Tauben etwas gesungen? Sie sollen ohne und gegen ihren Willen einsehen, daß es doch wahr ist, was sie ge hört haben, daß es frevelhafte Gotteslästerung ist, wenn sie die Schuld für ihre Bosheit, die doch in ihnen selber liegt, Gott zuschreiben! Mit diesen wenigen Widerlegungen kann man sich der ganzen Unmenge von Schriftzeugnissen erwehren, welche die Feinde der Gnade Gottes zur Errichtung eines Götzenbildes für den freien Willen aus den Geboten wie auch aus den Drohungen gegen die Übertreter des Gesetzes so emsig anhäufen. Vorwurfsvoll heißt es im 78. Psalm von den Juden: „Eine abtrünnige und ungehorsame Art, welchen ihr Herz nicht fest war …“ (Ps. 78,8) Und in einem anderen Psalm mahnt der Prophet die Menschen seiner Zeit, ihr Herz nicht zu verhärten (Ps. 95,8) — denn für alle Halsstarrigkeit trägt ja der Mensch in seiner Bosheit selbst die Schuld! Aber es wäre närrisch, wenn man daraus folgerte, das Herz könne sich nach beiden Seiten wenden, wo doch Gott allein es bereitet! Es sagt der Prophet: „Ich neige mein Herz, zu tun nach deinen Rechten“ (Ps. 119,112), weil er sich nämlich willig und in freudiger Bereitschaft Gott zu Dienst gegeben hat. Aber damit erhebt er nicht den Anspruch, selbst der Ur heber seiner Bereitwilligkeit zu sein, sondern er bekennt im gleichen Psalm, daß diese Gottes Geschenk ist (Ps. 119,36). Deshalb müssen wir uns an das Wort des Paulus halten, der die Gläubigen ermahnt: „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern; denn Gott ist’s, der da wirket beides, das Wollen und das voll bringen“ (Phil. 2,12.13). Er schreibt ihnen hier einen Anteil am Wirken zu, damit sie nicht dem Fleisch in seiner Faulheit Raum geben; aber er gebietet ihnen zugleich Furcht und Zittern und demütigt sie so, daß sie daran denken: dies, was sie selbst zu tun geheißen werden, ist eigentlich Gottes eigenes Werk. Er erklärt also aus drücklich, daß die Gläubigen sozusagen passiv tätig sind, da ihnen ja das Vermögen zum Handeln vom Himmel her eingesenkt wird, damit sie sich selbst gar nichts anmaßen! Wenn uns ferner Petrus ermahnt, „im Glauben Tugend darzureichen“ (2. Petr. 1,5), so schreibt er uns damit nicht das Vermögen zu, sozusagen von uns aus selbständig neben Gott die zweite Rolle im Handeln zu übernehmen, sondern er will uns nur aus der Bequemlichkeit des Fleisches aufstören, in der oft selbst der Glaube erstickt wird. Die gleiche Absicht hat auch das Wort des Paulus: „Den Geist dämpfet nicht“ (1. Thess. 5,19), weil ja oft genug die Faulheit auch über die Gläubigen kommt, wenn sie nicht zurückgewiesen wird. Will aber trotzdem jemand daraus den Schluß ziehen, es stehe also dann in dem freien Willen der Gläubigen, das dargebotene Licht zu bewahren, so ist solche unkundige Redeweise leicht zurück zuweisen: denn eben dieser Eifer, den Paulus verlangt, kommt nur von Gott! (2. Kor. 7,1). Wir werden ja auch öfters geheißen, uns von aller Unreinigkeit zu rei nigen, obwohl doch der Geist sich das Amt der Heiligung vorbehalten hat! Endlich geht aus den Worten des Johannes: „Wer aus Gott geboren ist, der bewahret sich“, (1. Joh 5,18) ganz deutlich hervor, daß etwas, das an sich Gott zukommt, durch besonderes Zugeständnis (von Gottes Seite) auf uns übertragen wird. Jenes Wort des Johannes verwenden die Herolde des freien Willens für sich — als ob solches Bewahren teils aus Gottes, teils aus unserer Kraft geschähe, als ob wir nicht gerade diese Bewahrung, die der Apostel erwähnt, vom Himmel hätten! Deshalb bittet auch Christus den Vater, er möge uns vor dem Bösen bewahren (Joh. 17,15); und die Frommen erlangen doch, wie wir wissen, den Sieg in ihrem Krieg gegen den Satan nicht anders als mit Gottes Waffen! So gebietet auch Petrus: „Reiniget eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit“ (1. Petr. 1,22) — fügt dann aber zur Ver hütung jedes Mißverständnisses gleich hinzu: „Durch den Geist“! Wie gar nichts in dem geistlichen Kampfe alle menschlichen Kräfte sind, das zeigt Johannes kurz, wenn er sagt, alles, was aus Gott geboren sei, könne nicht sündigen, weil der Same Gottes in ihm bleibe (1. Joh. 3,9)! Die Ursache dazu gibt er dann später an: „Denn unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ (1. Joh. 5,4).

II,5,12

Nun führt man aber aus dem Gesetz des Mose ein Zeugnis an, das meiner Be hauptung kräftig zu widersprechen scheint. Denn Mose erklärt nach der Kundmachung des Gesetzes dem Volke gegenüber: „Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch im Himmel, sondern es ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du darnach tuest!“ (Deut. 30,11.12.14). Muß man annehmen, daß hier von den bloßen Geboten die Rede ist, so gebe ich zu, daß die Stelle für unsere Frage von nicht geringer Bedeutung ist. Es wäre zwar nicht schwer, die Stelle beiseitezuschieben, weil doch hier nicht von der Fähigkeit und Neigung zur Befolgung, sondern bloß zur Erkenntnis der Gebote die Rede ist. Selbst dann freilich entsteht vielleicht manches Bedenken. Aber der Apostel macht in eindeutiger Weise allem Zweifel ein Ende: er behauptet, daß Mose hier von der Lehre des Evangeliums redet! (Röm. 10,8). Nun könnte freilich ein widerspenstiger Kopf behaupten, diese Beziehung auf das Evangelium habe Paulus nur durch gewaltsame Behandlung des Textes erreicht. Obwohl es ein Zeichen von Gottlosigkeit ist, wenn jemand eine so kühne Behauptung ausspricht, so besteht doch auch die Möglichkeit, ihn ohne Berufung auf die Autorität des Apostels zu wider legen. Spräche hier nämlich Mose nur von den Geboten, so müßte er dem Volke ein ganz eitles Selbstvertrauen einblasen! Denn es wäre doch ganz gewiß in den Abgrund gestürzt, wenn es unternommen hätte, aus seinen eigenen Kräften das Ge setz zu beobachten, als ob das eine Kleinigkeit wäre! Wo aber bleibt die angenom mene Leichtigkeit der Gesetzeserfüllung, wenn gar kein Zugang bleibt ohne ver derbenbringenden Fall? Deshalb ist es völlig sicher, daß Mose hier den Bund der Barmherzigkeit meint, den er ja zusammen mit der Verkündung des Gesetzes kundgemacht hatte! Er hatte auch wenige Verse vorher gelehrt, es be dürfe der Beschneidung unseres Herzens durch die Hand Gottes, damit wir ihn liebten (Deut. 30,6). Er begründete also jene Leichtigkeit, von der er gleich darauf spricht, nicht auf die Kraft des Menschen, sondern auf des Heiligen Geistes Hilfe und Schutz, der mit Macht sein Werk in unserer Schwachheit tut! Indessen ist die Stelle eben nicht so zu verstehen, daß sie einfach von den Geboten redete, sondern sie spricht vielmehr von den Verheißungen des Evangeliums, die solches Vermögen, die Gerechtigkeit zu erlangen, in uns nicht sowohl aufrichten, als vielmehr von Grund auf umstoßen! Paulus weist nun darauf hin, daß uns im Evangelium das Heil nicht unter solch harten und schweren Bedingungen angeboten wird, wie sie das Gesetz an uns stellt, nach welchem ja nur der das Heil erlangt, der alle Gebote er füllt hat, sondern vielmehr leicht und frei und auf gebahntem Weg — und das be kräftigt er mit jenem Wort (in Röm. 10). Zur Verteidigung der Freiheit des mensch lichen Willens ist dieses Zeugnis also nicht verwendbar.

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,13

Viertens pflegt man uns auch einige Worte entgegenzuhalten, nach welchen Gott den Menschen zuweilen seine Gnadenhilfe entzieht, um sie auf diese Weise auf die Probe zu stellen und zuzusehen, wohin sie nun ihr Trachten richten. So hören wir bei Hosea: „Ich will wiederum an meinen Ort gehen, bis sie ihre Schuld er kennen und mein Angesicht suchen“ (Hos. 5,15). Dazu sagt man: Es wäre lächerlich, wenn der Herr zusehen wollte, ob Israel sein Angesicht suchen würde, wo doch das Herz sich gar nicht wenden und also gar nicht aus eigener Entscheidung nach bei den Seiten sich neigen könnte! Als ob sich nicht bei den Propheten Gott immer wie der den Anschein gäbe, als verachte und verwerfe er sein Volk, bis es sein Leben besserte! Aber was wollen unsere Gegner denn in aller Welt aus solchen Drohungen für Folgerungen ziehen? Wollen sie sagen, das von Gott verlassene Volk könne von sich aus an Umkehr denken, so haben sie die ganze Schrift gegen sich! Wollen sie aber zugeben, daß Gottes Gnade zur Umkehr notwendig ist, warum streiten sie dann mit uns? Aber sie geben einerseits zu, daß die Gnade erforderlich sei — und wollen dabei doch anderseits dem Menschen seine Freiheit erhalten! Woher bewei sen sie das aber? Aus dieser Stelle sicher nicht und auch nicht aus ähnlichen ihrer Art! Denn es ist etwas ganz anderes, ob sich Gott vom Menschen zurückzieht und dann zusieht, was er, sich selbst überlassen, eigentlich schaffe, oder ob er ihm seine „Beihilfe“ leiht, um seine schwachen Kräfte zu „unterstützen“!

Nun könnte aber jemand fragen: Was sollen dann aber solche Redewendungen? Ich antworte: Sie bedeuten dasselbe, als wenn Gott sagte: Ich habe nun durch Mahnen, Ermuntern und Schelten bei diesem Volke in seiner Halsstarrigkeit nichts erreicht, so will ich mich denn ein wenig zurückziehen, es der Anfechtung überlassen — und dazu schweigen! Ich will zusehen, ob es einst nach langer Not sich meiner er innern wird und mein Angesicht sucht. Denn dieses Beiseitegehen des Herrn be deutet die Wegnahme der Prophetie. Und jenes „Zusehen, was die Menschen tun wer den“, bedeutet, daß er das Volk schweigend und sozusagen sich verstellend mit man cherlei Trübsal prüft. Beides tut er, um uns mehr zu demütigen; denn unter den Schlägen der Not werden wir viel eher zerschmettert als zurechtgebracht, sofern Gott uns nicht durch seinen Geist gelehrig macht. Wenn uns also der Herr, durch unseren ungebrochenen Starrsinn beleidigt und sozusagen seiner überdrüssig, durch Wegnahme seines Wortes, in dem er uns ja sozusagen nahe zu sein pflegt, eine Zeitlang losläßt und die Probe anstellt, was wir denn ohne seine Gegenwart tun würden, — so ist es völlig verkehrt, von hier aus auf irgendwelche Kräfte des freien Willens zu schließen, die er etwa feststellen oder prüfen sollte. Denn er tut das alles ja nur, um uns zur Erkenntnis unserer Nichtigkeit zu bringen!

II,5,14

Fünftens führt man gegen uns auch eine dauernde Redeweise ins Feld, die in der Schrift wie auch im gewöhnlichen menschlichen Gespräch zu beobachten ist: Die guten Werke werden doch „unsere“ Werke genannt, und sofern etwas vor dem Herrn heilig und wohlgefällig ist, so gelten da wir ebensosehr als die „Täter“, wie wir ja auch als die „Täter“ der Sünde erscheinen. Werden uns aber mit Recht die sündigen Werke zugeschrieben, weil sie ja nun einmal von uns getan sind — so muß uns auch bei den guten Werken aus dem gleichen Grunde ein Anteil zu kommen. Denn es wäre ja nicht vernunftgemäß, wenn uns das Tun von Werken zugeschrieben würde, die wir gar nicht aus eigenem Antrieb zu verrichten in der Lage wären, sondern zu denen wir gleich Steinen von Gott in Bewegung gesetzt werden müßten. Gewiß sollen wir also den ersten Anteil der Gnade Gottes zuschreiben, aber der genannte Sprachgebrauch zeigt doch selbst, daß wir wenigstens in zweiter Linie auch das Unsere tun. (Soweit der gegnerische Einwand!)

Läge unseren Gegnern nur daran, daß die guten Werke als „unsere“ Werke be zeichnet werden, so würde ich ihnen meinerseits erwidern, das Brot, das wir von Gott erbitten, heiße auch „unser“ Brot! Was will man denn aus dem Wörtlein „unser“ anders entnehmen, als daß etwas, das uns an sich keineswegs zusteht, durch Gottes Güte und freie Gabe „unser“ wird? Deshalb muß man also entweder auch diese Bitte („unser“ täglich Brot gib uns heute) im Gebet des Herrn als widersinnig belächeln — oder aber auch darin nichts Abgeschmacktes finden, daß die guten Werke, an denen uns nur durch Gottes freundliche Gewährung etwas eigen ist, als „unsere“ Werke bezeichnet werden!

Etwas beweiskräftiger ist die Bemerkung, daß ja die Schrift oft behauptet, daß wir Gott verehren, Gerechtigkeit bewahren, dem Gesetz gehorchen und nach guten Werken trachten. (Da sagt man nun:) Das sind doch eigentliche Aufgaben des Ver stands und des Willens, und wie sollte es möglich sein, daß sie einerseits auf den Heiligen Geist bezogen, anderseits aber uns beigemessen werden — wenn nicht zwischen unserem Trachten und der Kraft Gottes irgendeine Gemeinsamkeit be stünde? Diesen Einwürfen werden wir uns aber ohne große Mühe entziehen, wenn wir recht auf die Weise achten, wie der Geist des Herrn in den Gläubigen sein Werk tut. Die Ähnlichkeit, die man uns entgegenhält, ist doch bloß äußerlich: wer wollte denn so töricht sein, zwischen der Regung in einem Menschen und dem Wurf eines Steins keinen Unterschied anzuerkennen? Dergleichen kann man auch unserer Lehre in keiner Weise entnehmen. Zu den natürlichen Fähigkeiten des Menschen rech nen wir: Anerkennen, Verwerfen, Wollen und Nichtwollen, Streben und Widerstreben — nämlich Anerkennung der Eitelkeit, Verwerfen des Rechten und Guten, Wollen des Bösen, Nichtwollen des Guten, Streben zur Bosheit, Widerstreben gegenüber der Gerechtigkeit! Wie handelt da der Herr? Bedient er sich solcher Verderbtheit als Werkzeug seines Zorns, so leitet und lenkt er sie, wohin er will, um so durch eine böse Hand doch sein gutes Werk durchzuführen! Sollen wir nun einen solchen lasterhaften Menschen, der auf diese Weise Gottes Macht dienstbar wird, obwohl er selbst währenddessen einzig danach trachtet, seine eigene Lust zu befriedigen — sollen wir einen solchen Menschen mit einem Stein vergleichen, der durch fremden Wurf in Bewegung versetzt wird, aber selbst ohne Bewegung, ohne Regung, ohne Willen dahingetragen wird? Wir sehen doch, wie groß der Unterschied ist!

Wie aber verhält es sich mit den Guten, von denen hier ja besonders die Rede ist? Wenn Gott sein Reich in einem Menschen aufgerichtet hat, so hält er durch sei nen Geist unseren Willen in Schranken, damit er nicht nach seiner natürlichen Nei gung von seinen Begierden hin- und hergerissen werde; und damit er nach Heiligkeit und Gerechtigkeit sich ausstrecke, lenkt, fügt, formt und richtet er ihn nach der Richtschnur seiner Gerechtigkeit; damit er endlich nicht wankt und stürzt, stärkt und kräftigt er ihn durch die Kraft seines Geistes! Aus diesem Grund sagt Augustin: „Du meinst: wir werden also gewirkt und wirken selbst nicht! Ja, du wirkst und wirst gewirkt, und du wirkst dann gut, wenn du vom Guten gewirkt wirst! Der Geist Gottes, der dich treibt, der ist ein Helfer in dem, der da wirkt; der Name ‚Helfer’ aber bringt mit sich, daß auch du etwas wirkst!“ (Predigt 156). Im ersten Teil erinnert er daran, daß die Tätigkeit des Menschen durch den An trieb des Geistes nicht aufgehoben wird, weil der Mensch ja den Willen, der dahin gelenkt wird, daß er nach dem Guten trachtet, von Natur hat (quia a natura est voluntas, quae regitur, ut ad bonum aspiret). Wenn er dann hinzufügt, der Be griff „Hilfe“ bringe es mit sich, daß auch wir etwas wirken, so hat das nicht die Bedeutung, daß er uns an uns selber etwas zuschriebe; er will nur unsere Bequem lichkeit nicht unterstützen und bringt Gottes Wirken dergestalt mit dem unsrigen zusammen, daß unser Wollen von Natur da ist, unser rechtes Wollen aber aus der Gnade kommt. In diesem Sinne hatte er kurz zuvor gesagt, ohne Gottes Hilfe könnten wir nicht nur nicht siegen, sondern nicht einmal kämpfen.

II,5,15

Die Gnade Gottes — in dem Sinne, wie der Ausdruck in der Lehre von der Wiedergeburt verwendet wird — dient danach offenbar dem Geiste als Richt schnur zur Leitung und Regierung des menschlichen Willens. Er kann aber nur re gieren, wenn er zurechtbringt, umschafft, erneuert — wir sagen deshalb ja auch, der Anfang der Wiedergeburt sei darin zu sehen, daß das Unsere abgetan werde! —, und wenn er zugleich bewegt, wirkt, treibt, trägt und festhält! Deshalb sagen wir mit Recht, alle Wirkungen, die daraus hervorgehen, seien tatsächlich seine Sache. Indessen leugnen wir auch nicht die Richtigkeit des Ausspruchs Augustins, wonach der Wille durch die Gnade nicht zerstört, sondern vielmehr wiederherge stellt wird. Denn es ist beides sehr wohl miteinander zu vereinbaren: einer seits heißt es, der Wille werde wiederhergestellt, insofern ja seine Ver dorbenheit und Verkehrtheit aufgehoben und er damit zum rechten Maßstab der Gerechtigkeit hingeleitet wird. Und doch muß man anderseits sagen: der Wille wird neugeschaffen, weil er ja dermaßen verderbt und verkehrt ist, daß er eine ganz neue Art annehmen muß.

So besteht also kein Hindernis, zu sagen, daß wir wirklich (rite) tun, was der Heilige Geist in uns wirkt, obwohl unser Wille von sich aus nichts dazu tut, was etwa von der Gnade des Heiligen Geistes zu trennen wäre. Deshalb darf man nie vergessen, was wir oben bereits aus Augustin anführten: es sei vergebliche Mühe, wenn etliche Leute sich immerzu damit quälten, im Menschen irgend etwas Gutes zu finden, das ihm eigen sei. Denn alles Gemische, das die Menschen aus der Kraft des freien Willens an die Gnade Gottes anzuflicken sich bemühen,
ist doch nur deren Verfälschung, genau wie wenn jemand schmutziges, bitteres Wasser unter Wein mischen wollte! Was also Gutes an unserem Willen ist, das kommt rein aus dem Antrieb des Geistes; aber da uns das Wollen von Natur angeboren ist, so ist es doch nicht unsachgemäß, wenn man sagt, wir täten selbst das Werk, obwohl sich doch Gott mit Recht den Lobpreis dafür vorbehält. Denn erstens ist ja das, was er in uns wirkt, durch seine Güte unser, nur daß wir es nicht als unsere Sache ansehen dürfen. Und zweitens ist es ja unser Verstand, unser Wille und unser Trachten, was von ihm zum Guten gelenkt wird!

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,13

Viertens pflegt man uns auch einige Worte entgegenzuhalten, nach welchen Gott den Menschen zuweilen seine Gnadenhilfe entzieht, um sie auf diese Weise auf die Probe zu stellen und zuzusehen, wohin sie nun ihr Trachten richten. So hören wir bei Hosea: „Ich will wiederum an meinen Ort gehen, bis sie ihre Schuld er kennen und mein Angesicht suchen“ (Hos. 5,15). Dazu sagt man: Es wäre lächerlich, wenn der Herr zusehen wollte, ob Israel sein Angesicht suchen würde, wo doch das Herz sich gar nicht wenden und also gar nicht aus eigener Entscheidung nach bei den Seiten sich neigen könnte! Als ob sich nicht bei den Propheten Gott immer wie der den Anschein gäbe, als verachte und verwerfe er sein Volk, bis es sein Leben besserte! Aber was wollen unsere Gegner denn in aller Welt aus solchen Drohungen für Folgerungen ziehen? Wollen sie sagen, das von Gott verlassene Volk könne von sich aus an Umkehr denken, so haben sie die ganze Schrift gegen sich! Wollen sie aber zugeben, daß Gottes Gnade zur Umkehr notwendig ist, warum streiten sie dann mit uns? Aber sie geben einerseits zu, daß die Gnade erforderlich sei — und wollen dabei doch anderseits dem Menschen seine Freiheit erhalten! Woher bewei sen sie das aber? Aus dieser Stelle sicher nicht und auch nicht aus ähnlichen ihrer Art! Denn es ist etwas ganz anderes, ob sich Gott vom Menschen zurückzieht und dann zusieht, was er, sich selbst überlassen, eigentlich schaffe, oder ob er ihm seine „Beihilfe“ leiht, um seine schwachen Kräfte zu „unterstützen“!

Nun könnte aber jemand fragen: Was sollen dann aber solche Redewendungen? Ich antworte: Sie bedeuten dasselbe, als wenn Gott sagte: Ich habe nun durch Mahnen, Ermuntern und Schelten bei diesem Volke in seiner Halsstarrigkeit nichts erreicht, so will ich mich denn ein wenig zurückziehen, es der Anfechtung überlassen — und dazu schweigen! Ich will zusehen, ob es einst nach langer Not sich meiner er innern wird und mein Angesicht sucht. Denn dieses Beiseitegehen des Herrn be deutet die Wegnahme der Prophetie. Und jenes „Zusehen, was die Menschen tun wer den“, bedeutet, daß er das Volk schweigend und sozusagen sich verstellend mit man cherlei Trübsal prüft. Beides tut er, um uns mehr zu demütigen; denn unter den Schlägen der Not werden wir viel eher zerschmettert als zurechtgebracht, sofern Gott uns nicht durch seinen Geist gelehrig macht. Wenn uns also der Herr, durch unseren ungebrochenen Starrsinn beleidigt und sozusagen seiner überdrüssig, durch Wegnahme seines Wortes, in dem er uns ja sozusagen nahe zu sein pflegt, eine Zeitlang losläßt und die Probe anstellt, was wir denn ohne seine Gegenwart tun würden, — so ist es völlig verkehrt, von hier aus auf irgendwelche Kräfte des freien Willens zu schließen, die er etwa feststellen oder prüfen sollte. Denn er tut das alles ja nur, um uns zur Erkenntnis unserer Nichtigkeit zu bringen!

II,5,14

Fünftens führt man gegen uns auch eine dauernde Redeweise ins Feld, die in der Schrift wie auch im gewöhnlichen menschlichen Gespräch zu beobachten ist: Die guten Werke werden doch „unsere“ Werke genannt, und sofern etwas vor dem Herrn heilig und wohlgefällig ist, so gelten da wir ebensosehr als die „Täter“, wie wir ja auch als die „Täter“ der Sünde erscheinen. Werden uns aber mit Recht die sündigen Werke zugeschrieben, weil sie ja nun einmal von uns getan sind — so muß uns auch bei den guten Werken aus dem gleichen Grunde ein Anteil zu kommen. Denn es wäre ja nicht vernunftgemäß, wenn uns das Tun von Werken zugeschrieben würde, die wir gar nicht aus eigenem Antrieb zu verrichten in der Lage wären, sondern zu denen wir gleich Steinen von Gott in Bewegung gesetzt werden müßten. Gewiß sollen wir also den ersten Anteil der Gnade Gottes zuschreiben, aber der genannte Sprachgebrauch zeigt doch selbst, daß wir wenigstens in zweiter Linie auch das Unsere tun. (Soweit der gegnerische Einwand!)

Läge unseren Gegnern nur daran, daß die guten Werke als „unsere“ Werke be zeichnet werden, so würde ich ihnen meinerseits erwidern, das Brot, das wir von Gott erbitten, heiße auch „unser“ Brot! Was will man denn aus dem Wörtlein „unser“ anders entnehmen, als daß etwas, das uns an sich keineswegs zusteht, durch Gottes Güte und freie Gabe „unser“ wird? Deshalb muß man also entweder auch diese Bitte („unser“ täglich Brot gib uns heute) im Gebet des Herrn als widersinnig belächeln — oder aber auch darin nichts Abgeschmacktes finden, daß die guten Werke, an denen uns nur durch Gottes freundliche Gewährung etwas eigen ist, als „unsere“ Werke bezeichnet werden!

Etwas beweiskräftiger ist die Bemerkung, daß ja die Schrift oft behauptet, daß wir Gott verehren, Gerechtigkeit bewahren, dem Gesetz gehorchen und nach guten Werken trachten. (Da sagt man nun:) Das sind doch eigentliche Aufgaben des Ver stands und des Willens, und wie sollte es möglich sein, daß sie einerseits auf den Heiligen Geist bezogen, anderseits aber uns beigemessen werden — wenn nicht zwischen unserem Trachten und der Kraft Gottes irgendeine Gemeinsamkeit be stünde? Diesen Einwürfen werden wir uns aber ohne große Mühe entziehen, wenn wir recht auf die Weise achten, wie der Geist des Herrn in den Gläubigen sein Werk tut. Die Ähnlichkeit, die man uns entgegenhält, ist doch bloß äußerlich: wer wollte denn so töricht sein, zwischen der Regung in einem Menschen und dem Wurf eines Steins keinen Unterschied anzuerkennen? Dergleichen kann man auch unserer Lehre in keiner Weise entnehmen. Zu den natürlichen Fähigkeiten des Menschen rech nen wir: Anerkennen, Verwerfen, Wollen und Nichtwollen, Streben und Widerstreben — nämlich Anerkennung der Eitelkeit, Verwerfen des Rechten und Guten, Wollen des Bösen, Nichtwollen des Guten, Streben zur Bosheit, Widerstreben gegenüber der Gerechtigkeit! Wie handelt da der Herr? Bedient er sich solcher Verderbtheit als Werkzeug seines Zorns, so leitet und lenkt er sie, wohin er will, um so durch eine böse Hand doch sein gutes Werk durchzuführen! Sollen wir nun einen solchen lasterhaften Menschen, der auf diese Weise Gottes Macht dienstbar wird, obwohl er selbst währenddessen einzig danach trachtet, seine eigene Lust zu befriedigen — sollen wir einen solchen Menschen mit einem Stein vergleichen, der durch fremden Wurf in Bewegung versetzt wird, aber selbst ohne Bewegung, ohne Regung, ohne Willen dahingetragen wird? Wir sehen doch, wie groß der Unterschied ist!

Wie aber verhält es sich mit den Guten, von denen hier ja besonders die Rede ist? Wenn Gott sein Reich in einem Menschen aufgerichtet hat, so hält er durch sei nen Geist unseren Willen in Schranken, damit er nicht nach seiner natürlichen Nei gung von seinen Begierden hin- und hergerissen werde; und damit er nach Heiligkeit und Gerechtigkeit sich ausstrecke, lenkt, fügt, formt und richtet er ihn nach der Richtschnur seiner Gerechtigkeit; damit er endlich nicht wankt und stürzt, stärkt und kräftigt er ihn durch die Kraft seines Geistes! Aus diesem Grund sagt Augustin: „Du meinst: wir werden also gewirkt und wirken selbst nicht! Ja, du wirkst und wirst gewirkt, und du wirkst dann gut, wenn du vom Guten gewirkt wirst! Der Geist Gottes, der dich treibt, der ist ein Helfer in dem, der da wirkt; der Name ‚Helfer’ aber bringt mit sich, daß auch du etwas wirkst!“ (Predigt 156). Im ersten Teil erinnert er daran, daß die Tätigkeit des Menschen durch den An trieb des Geistes nicht aufgehoben wird, weil der Mensch ja den Willen, der dahin gelenkt wird, daß er nach dem Guten trachtet, von Natur hat (quia a natura est voluntas, quae regitur, ut ad bonum aspiret). Wenn er dann hinzufügt, der Be griff „Hilfe“ bringe es mit sich, daß auch wir etwas wirken, so hat das nicht die Bedeutung, daß er uns an uns selber etwas zuschriebe; er will nur unsere Bequem lichkeit nicht unterstützen und bringt Gottes Wirken dergestalt mit dem unsrigen zusammen, daß unser Wollen von Natur da ist, unser rechtes Wollen aber aus der Gnade kommt. In diesem Sinne hatte er kurz zuvor gesagt, ohne Gottes Hilfe könnten wir nicht nur nicht siegen, sondern nicht einmal kämpfen.

II,5,15

Die Gnade Gottes — in dem Sinne, wie der Ausdruck in der Lehre von der Wiedergeburt verwendet wird — dient danach offenbar dem Geiste als Richt schnur zur Leitung und Regierung des menschlichen Willens. Er kann aber nur re gieren, wenn er zurechtbringt, umschafft, erneuert — wir sagen deshalb ja auch, der Anfang der Wiedergeburt sei darin zu sehen, daß das Unsere abgetan werde! —, und wenn er zugleich bewegt, wirkt, treibt, trägt und festhält! Deshalb sagen wir mit Recht, alle Wirkungen, die daraus hervorgehen, seien tatsächlich seine Sache. Indessen leugnen wir auch nicht die Richtigkeit des Ausspruchs Augustins, wonach der Wille durch die Gnade nicht zerstört, sondern vielmehr wiederherge stellt wird. Denn es ist beides sehr wohl miteinander zu vereinbaren: einer seits heißt es, der Wille werde wiederhergestellt, insofern ja seine Ver dorbenheit und Verkehrtheit aufgehoben und er damit zum rechten Maßstab der Gerechtigkeit hingeleitet wird. Und doch muß man anderseits sagen: der Wille wird neugeschaffen, weil er ja dermaßen verderbt und verkehrt ist, daß er eine ganz neue Art annehmen muß.

So besteht also kein Hindernis, zu sagen, daß wir wirklich (rite) tun, was der Heilige Geist in uns wirkt, obwohl unser Wille von sich aus nichts dazu tut, was etwa von der Gnade des Heiligen Geistes zu trennen wäre. Deshalb darf man nie vergessen, was wir oben bereits aus Augustin anführten: es sei vergebliche Mühe, wenn etliche Leute sich immerzu damit quälten, im Menschen irgend etwas Gutes zu finden, das ihm eigen sei. Denn alles Gemische, das die Menschen aus der Kraft des freien Willens an die Gnade Gottes anzuflicken sich bemühen, ist doch nur deren Verfälschung, genau wie wenn jemand schmutziges, bitteres Wasser unter Wein mischen wollte! Was also Gutes an unserem Willen ist, das kommt rein aus dem Antrieb des Geistes; aber da uns das Wollen von Natur angeboren ist, so ist es doch nicht unsachgemäß, wenn man sagt, wir täten selbst das Werk, obwohl sich doch Gott mit Recht den Lobpreis dafür vorbehält. Denn erstens ist ja das, was er in uns wirkt, durch seine Güte unser, nur daß wir es nicht als unsere Sache ansehen dürfen. Und zweitens ist es ja unser Verstand, unser Wille und unser Trachten, was von ihm zum Guten gelenkt wird!

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,16

Was unsere Gegner nun weiter an Zeugnissen hie und da zusammenkratzen, das braucht selbst weniger geschickten Leuten kaum Mühe zu machen, wenn sie nur die oben gegebenen Widerlegungen recht in sich aufgenommen haben. So führen sie den Satz aus der Genesis an: „Ihre Lust soll dir unterworfen sein, und du sollst über sie herrschen“ (Gen. 4,7; nicht Luthertext). Diese Stelle beziehen sie dann auf die Sünde, als hätte der Herr dem Kain versprochen, die Sünde werde in sei nem Herzen nicht herrschen, wenn er sich nur bemühen wollte, sie zu zähmen. Wir halten es aber dem Zusammenhang nach für angemessener, die Stelle auf Abel zu beziehen. Gott hat doch hier die Absicht, den ungerechten Neid zu tadeln, den Kain gegen seinen Bruder gefaßt hatte. Das tut er auf doppelte Weise. Erstens gibt er ihm zu verstehen, es sei vergebens, wenn er daran denke, durch eine böse Tat vor Gott höher dazustehen als sein Bruder, denn vor Gott gibt es ja keine Ehre als die, die aus der Gerechtigkeit kommt. Und zweitens zeigt er ihm, wie undankbar er gegen Gott sei, angesichts der bereits empfangenen Wohltaten, wenn er seinen Bruder nicht einmal dann ertragen könne, wenn dieser seiner Herrschaft unterworfen sei.

Aber es soll nicht den Anschein haben, als wendeten wir diese Deutung nur an, weil uns die entgegengesetzte nicht in unseren Beweis paßte. So wollen wir denn zugeben, Gott habe hier tatsächlich von der Sünde geredet. Ist es so, dann ist das, was der Herr ausspricht, entweder eine Verheißung oder ein Gebot. Ist es ein Gebot, so ergibt sich ja schon aus unserer obigen Beweisführung, daß daraus kein Beleg für das Vermögen des Menschen folgt. Ist es eine Verheißung — wo ist sie denn in Erfüllung gegangen, wo doch Kain, der über die Sünde herrschen sollte, ihr tatsächlich unterliegt? Man wird aber sagen, in die Verheißung sei eine stillschwei gende Bedingung eingeschlossen gewesen, als hieße es: Du wirst den Sieg da vontragen — sofern du kämpfst! Aber wer wird solche Ausflüchte gutheißen? Denn wenn dieses „Herrschen“ auf die Sünde bezogen ist, so ist es unstreitig als Befehl zu nehmen; dieser spricht dann freilich nicht aus, was wir tatsächlich vermögen, sondern was wir — ob es auch über unsere Kraft geht — eigentlich tun sollen. Indessen verlangt hier die Geschichte selber und auch die grammatische Regel die Annahme einer Vergleichung Kains mit Abel, insofern ja der ältere Bruder dem jüngeren niemals nachgeordnet worden wäre, wenn er sich nicht durch eigene Untat unter ihn gestellt hätte.

II,5,17

Man beruft sich gar auf das Zeugnis des Apostels (Paulus), der da spricht: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm. 9,16). Daraus entnimmt man, es sei doch an unserem Willen und unserer Bemühung auch etwas gelegen, das zwar an sich selbst schwach sei, aber unter der Hilfeleistung des Erbarmens Gottes doch zum guten Ende kommen könne.

Hätte man aber nüchtern erwogen, was denn Paulus an dieser Stelle für eine Frage behandelt, so hätte man die Stelle nicht so unbedenklich mißbraucht. Ich weiß wohl: die Gegner können sich auf Origenes (Kommentar zum Römerbrief, Buch VII) und Hieronymus (Zwiegespräche gegen die Pelagianer, 1) als Beweishelfer berufen. Ich könnte dann aber anderseits Augustin gegen sie anführen. Indessen kommt es ja nicht darauf an, was diese Männer gemeint haben, wenn die Absicht des Paulus feststeht! Er lehrt hier: allein denen sei das Heil bereitet, die der Herr seines Erbarmens gewürdigt hat, denen aber, welche er nicht erwählt habe, bleibe nur Zusammenbruch und Untergang. Das Geschick der Verworfenen hat er zu vor am Beispiel des Pharao deutlich gemacht. Ebenso hat er die Gewißheit gnä diger Erwählung mit dem Zeugnis des Mose bekräftigt: „Wessen ich mich erbarme, des erbarme ich mich“ (Röm. 9,15; Ex. 33,19). Er kommt dann zu dem Schluß: „So liegt es denn nicht an jemandes Wollen oder Laufen, fondern an Gottes Erbar men!“ Will man das nun so auffassen, Wille und Bemühung seien unzureichend, weil sie einer solchen Belastung nicht gewachsen seien, so hätte sich Paulus sehr wenig sachgemäß ausgedrückt. Deshalb fort mit der Spitzfindigkeit: „Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen — also muß es doch irgendeinen Willen, irgendein Laufen geben!“ Paulus denkt viel einfacher: Nicht der Wille, nicht das Laufen verschafft uns den Zugang zum Heil, sondern hier herrscht allein des Herrn Erbarmen! Er spricht hier nichts anderes aus als im Brief an Titus: „Es ist erschienen die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes — nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit …“ (Tit. 3,4.5). Die Gegner meinen zwar in ihrer Spitz­findigkeit, Paulus deute doch immerhin das Dasein eines Wollens oder Laufens an, wenn er leugnet, daß es auf Wollen und Laufen ankomme. Aber selbst sie würden mir ja doch nicht gestatten, die Schlußfolgerung dergestalt anzustellen, daß wir ir gendwelche guten Werke getan hätten — da ja Paulus ausdrücklich bestreitet, daß wir durch Werke, die wir getan hätten, der Güte Gottes teilhaftig würden. Erklären sie aber diese Schlußfolgerung für verkehrt, so sollen sie ihre Augen aufmachen — und sie werden sehen, daß die ihre den gleichen Fehler in sich trägt! Sehr wohlbegründet ist auch die Beweisführung des Augustin: „Hätte der Satz ‚So liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen’ seinen Sinn darin, daß Wollen und Laufen unzureichend wären, so könnte man auf der anderen Seite behaup­ten: ‚so liegt es nicht an Gottes Erbarmen’ — weil dies ja nicht allein wirk sam wäre!“ Dies Zweite ist aber widersinnig, und deshalb schließt Augustin mit Recht, jenes Wort des Paulus sei deshalb gesagt, weil der Mensch keinerlei guten Willen habe, sofern ihn nicht der Herr bereite, nicht, als brauchten wir gar nicht zu wollen oder zu laufen, sondern weil Gott beides in uns wirkt! (Brief 217).

Ebenso unsinnig drehen einige unserer Gegner das Pauluswort zurecht: „Wir sind Gottes Mitarbeiter“ (1. Kor. 3,9). Dabei bezieht sich dieses Wort unzweifel haft ausschließlich auf die Diener (des Herrn). Diese heißen „Mitarbeiter“ nicht etwa, weil sie aus sich etwas beitrügen, sondern weil Gott ihre Arbeit gebraucht, nachdem er sie geeignet gemacht und mit den erforderlichen Gaben versehen hat.

Gast

Beitrag von Gast »

II,5,18

Dann führen sie auch das Buch Sirach an, von dem man doch weiß, daß es von zweifelhafter Autorität ist. Nun, wir wollen es nicht gleich verwerfen — obwohl wir es mit Fug und Recht wohl könnten! Was für ein Zeugnis legt es denn für den freien Willen ab? Es sagt, der Mensch sei gleich nach seiner Erschaffung seinem eigenen Entschluß überlassen worden, es seien ihm Gebote gegeben, die ihn be wahren sollten, wenn er sie bewahrte …, vor den Menschen seien Leben und Tod hingelegt worden, Gut und Böse, und er habe empfangen können, was er wollte … (Jes. Sir. 15,14-17). Geben wir also zu, daß der Mensch in seiner Erschaffung die Fähigkeit erhalten habe, sich Leben oder Tod zuzuziehen. Wenn ich aber nun dagegen behaupte, daß er diese Fähigkeit verloren hat? Ich habe allerdings nicht die Absicht, dem Salomo zu widersprechen, wenn er sagt: „Ich habe gefunden, daß Gott den Menschen hat aufrichtig gemacht; aber sie suchen viele Künste“ (Pred. 7,30). Aber der Mensch ist ja von seinem Ursprung abgewichen und hat mit sich und mit all seinen Gütern Schiffbruch erlitten. Wenn also etwas der ersten Schöpfung (prima creatio) zukommt, so folgt daraus nicht, daß es auch für die verderbte und entartete Natur gilt. Deshalb gebe ich meinen Widersachern und auch dem Sirach — er sei, wer er wolle — zur Antwort: Willst du den Menschen anweisen, bei sich selbst das V ermögen zur Erlangung des Heils zu suchen, so ist mir dein Ansehen zu gering, als daß es irgendein Vorurteil gegen das unzweifelhafte Wort Gottes be gründen könnte. Willst du aber nur die böse Neigung des Fleisches in Schranken halten, das ja so gern seine Bosheit Gott zuschiebt und sich daraus eine nichtige Verteidigung machen möchte, und sagst du deshalb, der Mensch sei von Natur „aufrichtig“ geschaffen und er sei selbst an seinem Untergange schuld, so stimme ich dir bei. Nur muß dann auch anderseits darüber unter uns Übereinstimmung be stehen, daß der Mensch jener herrlichen Zier, mit der ihn der Herr im Anfang ver sehen hatte, jetzt gänzlich verlustig gegangen ist, und zwar durch seine Schuld — und so wollen wir gemeinschaftlich das Bekenntnis ablegen: es bedarf jetzt des Arztes, nicht aber eines Advokaten (der unsre Unschuld behauptet)!

II,5,19

Am meisten führen sie aber das Gleichnis Christi im Munde von dem Mann, der unter die Räuber fiel, die ihn halbtot auf der Straße liegen ließen (Luk. 10,30). Ich weiß wohl: beinahe alle Kirchenlehrer sehen unter dem Bilde dieses Wande rers das ganze Menschengeschlecht in seiner Not dargestellt. Hieraus nehmen nun unsere Gegner einen „Beweis“: der Mensch sei doch von Sünde und Teufel nicht gar so ausgeraubt, daß ihm nicht wenigstens ein Rest seiner früheren Güter geblie ben wäre — denn es hieße ja in diesem Gleichnis, der Wanderer sei „halbtot“ liegengeblieben! Denn wo — (so fährt man fort) — wäre dieses halbe Leben, wenn nicht auch ein Stück rechter Vernunft und rechten Willens übrig wäre?

Wenn ich nun aber zunächst ihrer sinnbildlichen (allegorischen) Deutung gar keinen Raum geben will — was wollen sie dann machen? Denn diese ist doch un zweifelhaft ohne Begründung im klaren Sinn der Rede des Herrn von den Kirchen vätern ausgeklügelt worden! Sinnbildliche Deutungen dürfen nicht weiter gehen, als ihnen die Richtschnur der Schrift vorausgeht; zur Begründung von Lehren sind sie also an sich völlig unzureichend. Auch fehlt es nicht an Gründen, mit denen ich gern dieses ganze Hirngespinst zerstören könnte. Denn Gottes Wort läßt den Men schen nicht „halb“ am Leben, sondern lehrt, daß er mit Bezug auf die Seligkeit gänzlich zugrunde gegangen sei. Wenn Paulus von unserer Erlösung spricht, so sagt er nicht, wir wären noch halb am Leben gewesen und geheilt worden, sondern wir wären tot gewesen und auferweckt! (Eph. 2,5). Nicht Halbtote beruft er zum Empfang der Erleuchtung durch Christus, sondern Entschlafene und Begrabene! (Eph. 5,14). Und ebenso macht es der Herr selber, wenn er sagt, die Stunde sei da, wo die Toten auf sein Wort hin erstehen würden (Joh. 5,25). Woher nimmt man die Schamlosigkeit, so vielen klaren Aussprüchen eine unerhebliche „heimliche Deutung“ entgegenzustellen? Aber selbst wenn wir die sinnbildliche Deutung als gewisses Zeugnis gelten lassen — was will man dadurch für ein Zugeständnis von uns gewinnen? Der Mensch ist noch halb am Leben — er hat also noch etwas Le ben in sich; freilich, er hat noch ein der Erkenntnis fähiges „Gemüt“, obwohl er in die himmlische, geistliche Weisheit nicht einzudringen vermag; er hat ein gewisses Urteil über Recht und Unrecht; er hat eine Ahnung von dem Göttlichen (sensus divinitatis), obwohl er zur wahren Gotteserkenntnis nicht gelangt. Aber was folgt denn daraus? Dies alles wird doch gewiß den Ausspruch Augustins, der auch im allgemeinen Urteil der Schultheologie anerkannt worden ist, bei uns nicht wankend machen, wonach dem Menschen nach dem Fall die Gnadengüter weggenommen sind, von denen das Heil abhängt, und zugleich die natürlichen Gaben der Verderbnis und Befleckung verfallen sind. Die Wahrheit aber, die kein Anlauf erschüttern kann, soll uns ohne Zweifel stehen bleiben: der Menschengeist ist von Gottes Ge rechtigkeit so vollständig abgekommen, daß all sein Wollen, Begehren und Tun nur gottlos, verrucht, befleckt, unrein und lästerlich ist; sein Herz ist dermaßen vom Gift der Sünde durchdrungen, daß es nur noch verweslichen Gestank von sich geben kann. Und wenn auch zuweilen ein Schein des Guten sichtbar wird, so bleibt doch das „Gemüt“ mit Heuchelei und Trug umhüllt, und der Geist liegt innerlich in den Fesseln der Verderbnis.

Sechstes Kapitel: Der verlorene Mensch muß in Christus seine Erlösung suchen.

II,6,1

So ist also das ganze Menschengeschlecht in Adam zugrunde gegangen. Und all jener ursprüngliche Vorrang und Adel, den wir erwähnten, würde uns rein gar nichts einbringen, ja nur noch schrecklicher unsere Schande offenbar machen, wofern nicht Gott, der die von der Sünde befleckten und verderbten Menschen nicht als sein Werk anerkennt, in der Gestalt seines eingeborenen Sohnes als der Erlöser erschienen wäre. Seitdem wir also vom Leben zum Tode übergegangen sind, würde uns all jene Erkenntnis Gottes als unseres Schöpfers, von der wir gesprochen haben, rein nichts mehr nützen, wenn nicht der Glaube hinzukäme, der uns Gott in Christus als unseren Vater vor Augen stellt! Die ursprüngliche Ordnung war es, daß das Gebäu der Welt für uns die Schule wäre, in der wir rechte Gottesfurcht lernten, um dann von da zum ewigen Leben und zu vollkommener Seligkeit über zugehen. Aber seit dem Abfall ist es anders: wohin wir auch blicken, allenthalben tritt uns Gottes Fluch entgegen; der trifft durch unsere Schuld gar die unschuldige Kreatur und zieht sie mit ins Verderben; so muß er notwendig unsere Seele in die Verzweiflung stürzen! Denn Gott läßt zwar noch immer auf vielerlei Weise seine väterliche Huld gegen uns merken; aber es ist doch aus dem Anschauen der Welt nicht möglich, zu erfassen, daß er der Vater ist; denn das Gewissen plagt uns innerlich und hält uns vor, daß die Sünde die gerechte Ursache dazu sei, daß Gott uns verstoße und uns nicht mehr als Kinder ansehe oder achte. Dazu kommt auch unsere Trägheit und Undankbarkeit; denn unser „Gemüt“ ist ja verblendet und vermag nicht zu erkennen, was wahr ist, auch sind ja alle unsere Sinne verderbt, und darum berauben wir Gott in boshafter Weise seiner Ehre. Wir müssen also zu dem Ausspruch des Paulus kommen: „Da die Welt in ihrer Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, so gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben“ (1. Kor. 1,21). Unter der Weisheit Gottes versteht Paulus das herrliche Bild Himmels und der Erde, wie es erfüllt ist mit unzähl baren Wundern, ein Bild, aus dessen Anschauen Gott hätte weislich erkannt werden sollen; aber weil wir ihn daran so wenig erkannt haben, so ruft uns der Apostel zum Glauben an Christus. Dieser Glaube ist freilich den Ungläubigen lächerlich, da er den Schein der Torheit an sich trägt. Obwohl also die Predigt vom Kreuze dem menschlichen Stolz nicht entspricht, müssen wir sie doch in Demut an nehmen, wenn wir zu Gott, unserem Schöpfer und Wirker, von dem wir abgekommen sind, zurückkehren wollen, daß er wieder von neuem unser Vater sei! Denn nach dem Fall des ersten Menschen hat ganz sicher keine Erkenntnis Gottes etwas zum Heil gegolten ohne den Mitt ler. Christus redet ja nicht bloß von seiner Zeit, sondern umfaßt alle Jahrhunderte, wenn er spricht: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, erkennen, und den du gesandt hast, Jesum Christum“ (Joh. 17,3). Um so schnö der ist der Unverstand solcher Leute, die den Himmel allen Unfrommen und Ungläu bigen öffnen, abseits von der Gnade Christi, der doch nach der Lehre der Schrift die einzige Pforte ist, durch die wir zum Heil gelangen können. Wollte aber jemand dieses Wort Jesu bloß auf die Ausbreitung des Evangeliums beziehen, so kann man ihn sofort widerlegen; denn allen Zeiten und Völkern war der Grundsatz bekannt, daß wir Menschen, da wir von Gott abgekommen sind und deshalb verfluchte und Kinder des Zorns heißen, nicht ohne Versöhnung Gott gefallen können. Auch muß man hierzu das Wort Jesu an das samaritanische Weib beachten: „Ihr betet an, was ihr nicht wißt, wir aber wissen, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22). Mit diesen Worten erklärt er die Religionen aller Völker für falsch, er gibt auch den Grund an: allein dem auserwählten Volke war im Gesetz der Erlöser verheißen. Daraus folgt, daß Gott nie an einer Gottesver ehrung Gefallen gehabt hat, die nicht auf Christus ausgerichtet war. Daher be hauptet ja auch Paulus, alle Völker seien ohne Gott gewesen und ohne Hoffnung auf das Leben (Eph. 2,12). Und wenn Johannes lehrt, wie das Leben im Anfang in Christus gewesen sei und doch die ganze Welt davon abgefallen sei, so müssen wir zu dieser Quelle zurückkehren. So nennt sich Christus ja auch selber das „Leben“ (Joh. 11,25; 14,6), weil er der Versöhner ist. Und zwar gehört das Erbe des Him mels nur den Kindern Gottes. Man kann aber unmöglich solchen Menschen die Stel lung und den Stand der Kinder zusprechen, die nicht in den Leib des eingeborenen Sohnes eingefügt sind. Auch Johannes bezeugt das klar: die an seinen Namen glau ben, die werden Gottes Kinder! (Joh. 1,12). Ich habe aber hier noch nicht vor, eigent lich über den Glauben an Christus zu reden, und so muß diese Berührung im Vorbei gehen vorerst genügen.

Gast

Beitrag von Gast »

II,6,2

Deswegen also hat sich Gott dem Volke des Alten Bundes nie gnädig gezeigt und ihm nie Hoffnung auf das Heil gemacht ohne den Mittler. Ich gehe hier nicht näher auf die vom Gesetz geforderten Opfer ein: da wurden ja die Gläubigen klar und deutlich darüber belehrt, daß das Heil nirgendwo anders zu suchen sei als in der Versöhnung, die ja einzig in Christo vollzogen worden ist! Ich will hier nur dies aussprechen: Seligkeit und Glück der Kirche sind stets auf die Person Christi be gründet gewesen. So hat Gott gewiß die gesamte Nachkommenschaft des Abraham mit in seinen Bund aufgenommen; und doch zieht Paulus weislich die Folgerung: im eigentlichen Sinn sei Christus dieser „Same, in welchem sollten gesegnet sein alle Völker“ (Gal. 3,16). Denn wir wissen ja, daß nicht etwa alle, die dem Fleische nach von Abraham abstammen, zu dessen Samen gerechnet wurden. Ich will von Ismael und anderen schweigen. Aber wie ist es denn geschehen, daß von den beiden Söhnen des Isaak, nämlich den Zwillingsbrüdern Jakob und Esau, als sie noch im Mutterleibe beieinander waren, der eine erwählt und damit der andere verworfen wurde? Ja, wie ist es dazu gekommen, daß nach Verwerfung des Erstgeborenen nun allein der Jüngere in volle Rechte kam? Woher kam es, daß der größere Teil (des Volkes) verstoßen wurde? Da ist es doch klar, daß Abrahams Same nur in einem Haupte seine hohe Würde empfängt, und daß jenes verheißene Heil einzig und allein in Erfüllung gehen konnte, als Christus erschien, dessen Amt es ist, das Zer streute zu sammeln! Es hing also die Annahme des erwählten Volkes von Anfang an von der Gnade des Mittlers ab. Dies wird zwar bei Mose nicht mit ganz klaren Worten ausgedrückt; aber es ist doch offenbar allen Frommen gemeinhin bekannt gewesen. Denn ehe überhaupt im Volke ein König eingesetzt war, sang Hanna, die Mutter Samuels, um die Seligkeit der Frommen zu beschreiben, in ihrem Liede: „Gott wird Macht geben seinem Könige, und erhöhen das Horn seines Gesalbten“ (1. Sam. 2,10). Darunter versteht sie, daß Gott seine Kirche segnen wird. Dem ent spricht auch die kurz danach erwähnte Verheißung: „Ich will mir einen treuen Prie ster erwecken, daß er vor meinem Gesalbten wandele immerdar“ (1. Sam. 2,35). So wollte ohne Zweifel der himmlische Vater in David und seinen Nachfolgern das le bendige Bild Christi anschaulich machen. So gebietet er auch, um die Frommen zur Furcht Gottes zu ermuntern: „Küsset den Sohn“ (Ps. 2,12) — und dazu paßt die Stelle aus dem Evangelium: „Wer den Sohn nicht ehret, der ehret den Vater nicht“ (Joh. 5,23). So konnte zwar das Reich (Davids) durch den Abfall der zehn Stämme zusammenbrechen, aber der Bund, den Gott mit David und seinen Nach folgern gemacht hatte, mußte bestehen bleiben. Deshalb heißt es bei dem Propheten: „Ich will nicht das ganze Reich abreißen um Davids, meines Knechts, willen, und um Jerusalems willen, die ich erwählet habe, sondern deinem Sohne wird ein Stamm übrigbleiben“ — eine Verheißung, die zwei- und dreimal wiederholt wird (1. Kön. 11,13.34). Ausdrücklich wird hinzugesetzt: „Ich will den Samen Davids demütigen, doch nicht ewiglich“ (1. Kon. 11,39). Nach Ablauf einiger Zeit hören wir dann: „Um seines Knechtes David willen gab Gott ihm eine Leuchte zu Jerusalem, daß er seinen Sohn nach ihm erweckte und Jerusalem erhielt“ (1. Kön. 15,4). Selbst als die Ereignisse bereits dem Untergange zutrieben, hieß es wieder: „Es wollte Gott Juda nicht verderben um Davids, seines Knechtes willen, wie er ihm ver heißen hatte, ihm zu geben eine Leuchte unter seinen Kindern ewiglich“ (2. Kön. 8,19). So findet alles darin seine Zusammenfassung: Vor allen anderen hat Gott allein den David erwählt, daß sein Wohlgefallen auf ihm ruhen sollte. So heißt es denn auch: „Er ließ fahren die Hütte zu Silo und verwarf die Hütte Joseph und er wählte nicht den Stamm Ephraim (Ps. 78,60.67), sondern erwählte den Stamm Juda, den Berg Zion, welchen er liebte (V. 68), er erwählte seinen Knecht David, daß er sein Volk weiden sollte und sein Erbe Israel“ (V. 70f.). Kurz, Gott wollte seine Kirche so erhalten, daß ihr Bestehen und ihr Heil einzig von jenem Haupte abhinge. So ruft David aus: „Der Herr ist seines Volkes Schutz, er ist der Heils helm seines Gesalbten“ (Ps. 28,8; nicht Luthertext). Und dann bittet er: „Hilf dei nem Volk und segne dein Erbe“ (Ps. 28,9), um zu zeigen, wie das Bestehen der Kirche durch ein unzerreißbares Band mit dem Reiche Christi (des Gesalbten) ver bunden ist. Im gleichen Sinne sagt er an anderer Stelle: „Hilf, Herr, der König er höre uns an dem Tage, da wir rufen“ (Ps. 20,10; Luthertext anders). Da lehrt er deutlich: wenn die Gläubigen zu Gottes Hilfe ihre Zuflucht nahmen, so kamen sie zu diesem Vertrauen nur dadurch, daß sie unter dem Schutze des Königs sich sicher wußten, wie auch ein anderer Psalm zeigt: „O Herr, hilf, … Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Ps. 118,25.26). Daraus geht ja deutlich hervor, daß die Gläubigen zu Christus gerufen wurden, um die Hoffnung zu gewinnen, sie empfingen Hilfe durch Gottes Hand. Dahin führt auch ein anderes Gebet, in wel chem die ganze Kirche Gott um Erbarmen anfleht: „Deine Hand schütze den Mann deiner Rechten, den Menschensohn, den du dir bereitet“ (Ps. 80,18; Luthertext an ders). Der Verfasser dieses Psalms beklagt zwar die Zerstreuung des ganzen Vol kes, aber er erbittet doch dessen Wiederherstellung allein durch sein Haupt. Und als dann das Volk in die Verbannung geführt, das Land verwüstet und alles offen bar zu Ende war, da beklagte Jeremia das Elend der Kirche und sprach es in dieser Klage aus, daß vor allem der Untergang des Königtums den Gläubigen alle Hoff nung abschneide. So sagt er: „Der Gesalbte, der der Geist unseres Mundes war, ist gefangen worden um unserer Sünden willen, er, zu dem wir sagten: In deinem Schatten werden wir leben unter den Völkern“ (Klagel. 4,20). Hier wird es nun vollends klar: Gott kann dem Menschengeschlecht nicht gnädig sein ohne den Mittler, und deshalb ist den heiligen Vätern unter dem Gesetz stets Christus vorgehalten worden, auf den sie ihren Glauben richten sollten.

II,6,3

Wo dann in der Trübsal Trost verheißen, insbesondere wo die Befreiung der Kirche beschrieben wird, da wird den Gläubigen in Christus selber das Panier des Vertrauens und der Hoffnung vor die Augen gestellt: „Gott ist ausgezogen, zu helfen seinem Volk, zu helfen mit seinem Gesalbten“ (Hab. 3,13; nicht Luthertext). Und allemal, wenn die Propheten auf die Wiederaufrichtung der Kirche zu sprechen kom­men, dann erinnern sie das Volk an die Verheißung, die dem David die beständige Dauer seines Reiches zusagte. Das ist kein Wunder; denn sonst hätte der Bund keinen Bestand gehabt. Dazu gehört vor allem die herrliche Antwort, die einst Jesaja gab, als er dem ungläubigen Könige Ahab die Aufhebung der Belagerung Jerusalems und baldige Hilfe angekündigt hatte und er doch sah, wie der König das nicht annahm; da kam er sozusagen unvermittelt auf den Messias zu sprechen: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger werden …“ (Jes. 7,14). Da deutet er klar an: Mögen auch König und Volk in ihrer Bosheit die dargebotene Verheißung von sich weisen, als ob sie geradezu mit fester Absicht sich bemühten, die Zusage Gottes ab zuschwächen: so wird dennoch der Bund nicht abgetan werden und zu seiner Zeit doch der Erlöser kommen!

Kurzum, alle Propheten wollten ja zeigen, daß Gott die Versöhnung wollte, und des halb lag es ihnen an, stets jenes Reich Davids anzuführen, von dem Erlösung und ewiges Heil abhing. So lesen wir bei Jesaja: „Ich will mit euch einen Bund ma chen, daß ich euch gebe die gewissen Gnaden Davids; siehe, ich habe ihn zum Zeu gen gestellt … den Völkern“ (Jes. 55,3. 4). Denn in so verzweifelter Lage konnte das Volk nur dann glauben, Gott werde sich von ihm erbitten lassen, wenn dieser Zeuge ins Mittel trat. Gleicherweise spricht auch Jeremia, um die Verzweifelten aufzurichten: „Siehe, es kommt die Zeit, daß ich dem David ein gerechtes ‘Gewächs’ erwecken will, und soll dann Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen“ (Jer. 23,6f.). Und Ezechiel sagt: „Ich will meiner Herde einen einigen Hirten erwecken …, nämlich meinen Knecht David … Ich, der Herr, will ihr Gott sein, und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein … Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen machen“ (Ez. 34,23-25). Oder auch an anderer Stelle, nachdem er von der allen Glauben übersteigenden Erneuerung des Volkes geredet hat: „Mein Knecht David soll ihr König und ihrer aller einiger Hirte sein … Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens machen, das soll ein ewiger Bund sein mit ihnen“ (Ez. 37,24.26). Ich wähle nur wenige Stellen aus vielen aus; denn ich will die Leser nur daran erinnern, daß je und je die Hoffnung aller Gläubigen einzig und allein auf Christus beruht hat. Dem stimmen auch alle anderen Propheten bei. So heißt es bei Hosea: „Es werden die Kinder Juda und die Kinder Israel zuhauf kom men und werden sich miteinander an ein Haupt halten …“ (Hos. 2,2). Später setzt er das noch klarer auseinander: „Danach werden sich die Kinder Israel bekeh ren und den Herrn, ihren Gott, und ihren König David suchen …“ (Hos. 3,5). Und Micha, der von der Heimkehr des Volkes redet, drückt es deutlich so aus: „Und ihr König wird vor ihnen hergehen, und der Herr vornean“ (Micha 2,13). Genau so schreibt auch Amos, um die Erneuerung des Volkes anzukündigen: „Zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Lücken verzäunen. und was abgebrochen ist, wieder aufrichten …“ (Amos 9,11); das heißt: Ich will die königliche Würde des Hauses David, die doch das einzige Panier des Heils war, wieder emporkommen lassen — was ja in Christus in Erfüllung gegangen ist! Sacharjas Zeit war der Offenbarung Christi bereits näher, und so konnte er be reits deutlicher sagen: „Freue dich, du Tochter Zion, und du Tochter Jerusalem, jauchze; siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer“ (Sach. 9,9). Das entspricht der bereits genannten Psalmstelle: „Der Herr ist ihre Stärke, er ist die Stärke, die seinem Gesalbten hilft. Hilf, Herr …“ (Ps. 28,8f.), wo ja das Heil vom Haupte auf den ganzen Leib ausgedehnt wird.

Antworten