Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

Moderatoren: Der Pilgrim, Leo_Sibbing

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Alles, was man vom Dienste der Engel sagen kann, muß also dem Zweck dienen, daß aller Vertrauenslosigkeit ein Ende gemacht und unsere Hoffnung auf Gott ge festigt werde. Dieser Schutz ist uns deshalb von Gott bereitet, daß wir uns von der Zahl der Feinde nicht schrecken lassen, als ob sie ihm zu stark wären, — sondern viel mehr zu jenem Ausspruch des Elisa unsere Zuflucht nehmen: Es sind mehr für uns denn gegen uns (2. Kön. 6,16; nicht wörtlich). Wie widersinnig wäre es nun, wenn wir uns durch die Engel von Gott abbringen ließen, die doch dazu verordnet sind, uns zu bezeugen, wie gar nahe seine Hilfe ist! Dann freilich bringen sie uns von Gott ab, wenn sie uns nicht auf geradem Wege dahin leiten, daß wir ihn als einzigen Helfer ansehen, anrufen und preisen, wenn wir sie nicht als seine Hände be trachten, die sich zu keinem Werke regen ohne seinen Befehl, wenn sie uns nicht bei dem einen Mittler Christus halten, daß wir ganz und gar von ihm abhängen, in ihm bleiben, zu ihm uns wenden und in ihm unser volles Genüge haben! Denn was uns in dem Gesicht des Jakob (Gen. 28,12) beschrieben wird, das müssen wir ganz fest zu Herzen nehmen: daß die Engel zu den Menschen auf Erden herabsteigen und von den Menschen wiederum zum Himmel hinauf — auf der „Leiter“, auf wel cher der Herr der Heerscharen obenan sitzt! Da wird deutlich: einzig durch Christi Eintreten (intercessio) für uns kommt jener Dienst der Engel an uns zustande, wie er es ja selbst ausspricht: „Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn“ (Joh. 1,51). So ruft auch der Knecht Abrahams, der der Hut des Engels befohlen war, nicht etwa diesen um Beistand an, sondern er bringt im Vertrauen auf jene Verheißung sein Gebet vor den Herrn und bittet ihn, seine Barmherzigkeit gegen Abraham zu er weisen (Gen. 24,7). Denn Gott macht die Engel nicht zu Dienern seiner Macht und Güte, um seine Ehre mit ihnen zu teilen, und ebenso verheißt er uns nicht seine Hilfe durch ihren Dienst, damit wir etwa unser Vertrauen zwischen ihm und den Engeln teilten! Deshalb wollen wir nichts mit jener platonischen Weisheit zu tun haben, die uns anweist, den Zugang zu Gott durch Vermittlung der Engel zu suchen und ihnen Verehrung zu erweisen, damit sie uns Gott geneigter machen! (Platon, Epinomis; Kratylos). Diese Philosophie haben abergläubische und vorwitzige Leute von An fang an in unsere Religion hineinzubringen versucht und tun es noch heute mit Beharrlichkeit!



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Was die Schrift von den Teufeln lehrt, hat alles den Zweck, daß wir auf der Hut sein sollen gegen ihre Lücke und Nachstellungen und uns mit solchen Waffen rüsten, die stark und fest genug sind, ihnen als den gefährlichsten Feinden Wider stand zu leisten. Denn wenn der Teufel als Gott und Fürst dieser Welt bezeichnet wird, wenn es von ihm heißt, er sei ein starker Gewappneter (Matth. 12,29), der „Fürst, der in der Luft herrscht“ (Eph. 2,2), ein „brüllender Löwe“ (1. Petr. 5,8) — so haben solche Beschreibungen keinen anderen Zweck, als uns vorsichtiger, wachsamer und kampfbereiter zu machen. Das wird mitunter auch ausdrücklich gesagt. Petrus spricht es ja aus, der Teufel gehe umher wie ein brüllender Löwe und suche, welchen er verschlinge (1. Petr. 5,8). Aber dann fügt er gleich die Mahnung hinzu, im Glau ben tapfer Widerstand zu leisten! Und Paulus, der daran erinnert, daß wir nicht mit Fleisch und Blut zu streiten haben, sondern mit den Fürsten der Luft, den Beherr schern der Finsternis und den bösen Geistern (Eph. 6,12), befiehlt doch sogleich, die Waffen zu ergreifen, mit denen wir einen so gefährlichen Kampf bestehen können (Eph. 6,13ff.). Deshalb sollen wir alles daran wenden, daß uns der Feind — dieser kampfbereiteste in seiner Kühnheit, dieser gewaltigste in seiner Kraft, dieser schlaueste in seinen Ränken, unermüdlich in seiner Umsicht und Schnelligkeit, voll Tücke aller Art, kampferfahren bis aufs äußerste, der uns, wie wir gewarnt sind, ohne Un terlaß bedroht! —, daß uns dieser Feind nicht in Sorglosigkeit und Trägheit über falle, sondern wir wackeren und aufrechten Geistes festen Fuß fassen, um ihm zu widerstehen! Und weil dieser Kriegsdienst (militia) erst mit dem Tode endet, so wer den wir zur Beharrlichkeit ermahnt. Vor allem aber sollen wir im Bewußtsein unserer Schwachheit und Unerfahrenheit Gottes Hilfe anrufen und nichts ohne Ver trauen auf ihn unternehmen; — denn er allein kann Rat und Kraft, Mut und Rüstung schenken!



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Um uns aber zu solchem Streit um so kräftiger zu ermuntern und anzuspornen, zeigt uns die Schrift, daß wir es nicht mit einem oder zwei Feinden oder wenigstens bloß mit einer geringen Zahl zu tun haben, sondern daß uns ein großes Heer in die sem Krieg gegenübersteht! Denn es heißt, daß Maria Magdalena von sieben Dämo nen befreit worden sei, die sie besessen hatten (Mark. 16,9), und Jesus erklärt es für das Regelmäßige, daß der böse Geist, falls man ihm nach seiner Austreibung noch einmal Einlaß gewährt, sieben noch bösere Geister mit sich nimmt und in den leeren Besitz zurückkehrt (Matth. 12,43). Ja, wir hören, daß eine ganze Legion einen ein zigen Menschen besessen hat! (Luk. 8,30). Daraus erfahren wir also, daß wir mit ei ner unendlichen Menge von Feinden zu kämpfen haben — damit wir nicht verächt lich meinen, es wären bloß wenige, und dann im Kampf nachlässig werden oder uns gar in der Meinung, es werde uns eine Kampfpause gewährt, der Trägheit hingeben.

Daß dagegen der Satan oder Teufel uns oft als einzelner gegenübertritt, das soll uns zeigen: es gibt eine Herrschaft der Bosheit, die sich dem Reich der Gerech tigkeit entgegensetzt. Denn wie die Kirche und die Schar (societas) der Heiligen Christus zum Haupte hat, so wird uns auch die Rotte der Gottlosen und die Gott losigkeit selbst mit ihrem Fürsten vor Augen gestellt, der dort die oberste Herrschaft führt. Daher auch der Spruch: „Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das da bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ (Matth. 25,41).



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Auch das muß uns zu unaufhörlichem Kampf gegen den Teufel anfeuern, daß er überall Gottes und unser Feind heißt. Liegt uns nämlich, wie es billig ist, Gottes Ehre am Herzen, so müssen wir uns ja mit allen Kräften gegen den stemmen, der diese Ehre auslöschen will! Sind wir wirklich gesonnen, das Reich Christi zu behaup ten, wie es doch sein muß, so müssen wir ja notwendig einen unversöhnlichen Krieg mit dem haben, der sich zu seinem Sturz verschworen hat. Wenn uns ander seits die Sorge um unser Heil anliegt, so kann es ja weder Frieden noch Waffenruhe



dem gegenüber geben, der es stets heimtückisch zunichte zu machen gierig ist. So wird er uns ja auch im dritten Kapitel der Genesis beschrieben: da zieht er den Menschen vom schuldigen Gehorsam gegen Gott ab, um Gott seiner ihm zukommenden Ehre zu berauben und zugleich den Menschen selbst ins Unheil zu stürzen. So tritt er uns bei den Evangelisten entgegen: da heißt er der „Feind“ (Matth. 13,28), und da streut er Lolch, um den Samen des ewigen Lebens zu verderben (Matth. 13,25). Insgemein: was Christus von ihm aussagt, nämlich, daß er ein Menschenmörder und Lügner von Anfang gewesen sei, — das erfahren wir in allen seinen Taten! (Joh. 8,44). Denn mit Lügen kämpft er gegen Gottes Wahrheit an, mit Finsternis bedeckt er das Licht, mit Irrtum hält er der Menschen Herzen gefangen, Haß erregt er, Zwiespalt und Ha der läßt er aufkommen, — und das alles, um Gottes Reich zu zerstören und Menschen mit sich ins ewige Verderben zu reißen! Er ist also — das steht fest — von Natur verderbt, schlecht und boshaft. Denn in einem Sinn, der bloß auf die Vernichtung der Ehre Gottes und des Heils der Menschen bedacht ist, muß ja notwendig die tiefste Verderbtheit stecken! Das drückt Johannes in seinem ersten Briefe so aus: „Er sün digt von Anfang“ (1. Joh. 3,8). Das soll heißen: er ist aller Bosheit und Ungerech tigkeit Urheber, Rädelsführer und Meister!



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Da aber der Teufel von Gott geschaffen ist, so müssen wir bedenken: all diese Bosheit, die wir seiner Natur beilegen, stammt nicht aus der Schöpfung, sondern aus der Verderbnis! Was er Verdammliches an sich hat, er hat es sich in Abfall und Empörung selbst zugezogen! Daran mahnt uns die Schrift, damit wir nicht etwa mei nen, er sei so aus Gottes Hand hervorgegangen, und dann Gott zuschreiben, was ihm ja das Allerfremdeste ist. Deshalb erklärt Christus, der Satan rede aus seinem Eigenen, wenn er die Lüge rede (Joh. 8,44), und setzt als Grund hinzu: weil er nicht in der Wahrheit bestanden ist. Sagt er nun, er sei nicht in der Wahrheit bestanden, so deutet er damit an, daß er einstmals in ihr gewesen ist, und nennt er ihn den Va ter der Lüge, so nimmt er ihm damit die Möglichkeit, Gott die Verderbnis zuzu­schreiben, die er sich selbst verursacht hat! Obwohl das nun nur kurz und nicht sehr deutlich gesagt ist, so genügt es doch vollauf, um Gottes Majestät von jedem Vor wurf zu befreien. Und was sollte uns auch daran liegen, von den Teufeln mehr zu wissen oder etwas zu anderem Zweck zu erfahren? Da murren einige, daß die Schrift nicht an mehr Stellen jenen Fall, seinen Grund, seine Art, seine Zeit und den näheren Vorgang genau beschreibe. Aber weil uns dergleichen nichts angeht, so war es besser, daß es, wenn nicht eben verschwiegen, so doch nur kurz berührt wurde. Denn es ist nicht des Heiligen Geistes würdig, mit unnützen Geschichten unsere Neu gier ohne Frucht zu befriedigen. Und wir sehen ja auch, daß der Herr die Absicht hatte, uns in seinen heiligen Worten nichts zu lehren, das nicht zu unserer Erbauung führen könnte. Deshalb wollen wir uns auch selbst nicht mit Überflüssigkeiten auf halten. Es muß uns genügen, von der Natur der Teufel zu wissen, daß sie im An fang, in der Schöpfung Engel Gottes gewesen, aber, durch Entartung verderbt, dann anderen zum Werkzeug des Verderbens geworden sind, weil dies zu wissen nützlich ist, so wird es auch bei Petrus und Judas klar gelehrt. „Die Engel“, heißt es da, „welche gesündigt und ihr Fürstentum nicht bewahrt haben, die hat Gott nicht ge schont“ (2. Petr. 2,4; Jud. 6). Und wenn Paulus von „auserwählten Engeln“ redet, so deutet er damit ohne Zweifel stillschweigend an, daß es auch verworfene gibt (1. Tim. 5,21).



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Was aber den Widerspruch und Streit betrifft, den der Teufel wider Gott führt, so müssen wir dabei allen Erwägungen die feste Gewißheit zugrunde legen, daß der Teufel ohne Gottes willen und Erlaubnis (nisi volente et annuente Deo) nichts



ausrichten kann. Denn wir lesen in der Geschichte von Hiob, daß er sich vor Gott hinstellt, um Befehle zu empfangen, und daß er ohne Erlaubnis nicht zur Voll führung eins Werkes zu schreiten wagt (Hiob 1,6; 2,1). Und als Ahab in die Irre geführt werden soll, da übernimmt er es, ein Geist der Lüge im Munde aller Pro pheten zu sein: der Herr sendet ihn, und er vollführt seinen Befehl (1. Kön. 22,22ff.). Aus dem Grunde wird er auch der böse Geist vom Herrn genannt, der den Saul quälte, weil durch ihn wie mit einer Geißel die Sünden des gottlosen Königs gestraft wurden (1. Sam. 16,14; 18,10). Und an anderer Stelle steht geschrieben, die Plagen seien den Ägyptern von Gott durch böse Engel zugefügt worden (Ps. 78,49). Entsprechend solchen einzelnen Beispielen bezeugt Paulus ganz allgemein, daß die Verblendung der Ungläubigen ein Werk Gottes ist — obwohl er sie doch gerade zuvor eine Wirkung des Satan genannt hat: (2. Thess. 2,9.11). Es steht also fest: der Satan ist unter Gottes Gewalt und wird von seinem Wink so gelenkt, daß er ihm gezwungen gehorcht. Ja, wenn wir sagen, daß der Satan Gott wider strebt und daß seine Werke mit Gottes Werken im Streit liegen, so behaupten wir doch zugleich, daß auch dies Widerstreben und dieser Streit von Gottes Zulassung (permissio) abhängt! Dabei rede ich nun nicht von des Teufels Wollen oder auch seinem Vorhaben, sondern nur von dem, was er tatsächlich vollbringt. Denn der Teu fel ist von Natur gottlos und deshalb keineswegs zum Gehorsam gegen Gottes Willen geneigt, sondern er hat einen unaufhörlichen Hang zu Widerstand und Em pörung. So kommt es also aus ihm selbst und aus seiner Bosheit, daß er Gott mit Willen und Absicht widerstrebt. Diese Verruchtheit reizt ihn, solche Dinge zu unter nehmen, von denen er meint, daß sie Gott völlig zuwider wären. Aber Gott hält ihn mit dem Zügel seiner Allmacht fest gebunden, und deshalb kann er nur das zuwege bringen, was ihm Gott zuläßt; so gehorcht er, mag er wollen oder nicht, seinem Schöpfer, weil er ihm ja gezwungen dienen muß, wozu er ihn auch gebrauchen mag!

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Da aber Gott die unreinen Geister nach seinem Willen regiert, so führt er es so, daß sie die Gläubigen im Kampfe plagen, sie hinterhältig anfallen, durch allerlei An läufe beunruhigen, im Streite bedrängen, sie auch öfters ermüden, in Verwirrung und Schrecken jagen und zuweilen gar verwunden, aber sie doch nie besiegen oder un terdrücken, daß sie dagegen die Gottlosen gefangen führen, in ihren Seelen und Lei­bern ihre Herrschaft ausüben und sie wie Sklaven zu allem Frevel mißbrauchen. Die Gläubigen, von solchen Feinden beunruhigt, hören deshalb die Mahnung: „Gebet nicht Raum dem Teufel“ (Eph. 4,27; Luther: „dem Lästerer“) oder: „Der Teufel, euer Widersacher, gehet umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge; dem widerstehet fest im Glauben …“ (1. Petr. 5,8) und ähnliche. Selbst Paulus bekennt, von dieser Art Streit nicht unberührt gewesen zu sein, wenn er schreibt, zur Bändigung der Hoffahrt sei ihm „des Satanas Engel“ gegeben wor den, um ihn zu demütigen (2. Kor. 12,7). Diese Kampfübung ist also allen Kindern Gottes gemeinsam. Aber die Verheißung, daß dem Satan der Kopf zertreten werden soll, bezieht sich auf Christus und mit ihm zusammen auf alle seine Glieder, und des­halb sage ich, daß die Gläubigen vom Teufel weder besiegt noch unterdrückt werden können. Sie werden zwar oft geängstigt, aber sie verzagen nicht und sammeln sich zu neuem Kampf, sie fallen unter der Wucht der Angriffe, aber danach richten sie sich wieder auf, sie werden verwundet, aber nicht zu Tode, kurz, sie sind ihr ganzes Leben lang in hartem Kampf, doch so, daß sie am Ende, den Sieg behalten. Das will ich freilich nicht auf jeden Kampfabschnitt für sich beziehen. Denn wir wissen, daß durch Gottes gerechte Vergeltung David eine Zeitlang dem Satan überlassen wurde, so daß er auf dessen Antrieb sein Volk zählte (2. Sam. 24,1), und Paulus gibt nicht ohne Grund selbst denen Hoffnung auf Vergebung, die in des Teufels Stricken gefangen gewesen sind (2. Tim. 2,26). Der gleiche Paulus zeigt anderswo, daß die oben ange führte Verheißung (nämlich Gen. 3,15) in diesem Leben, wo gestritten werden muß,



erst anfangsweise erfüllt werde, dann aber nach dem Kampfe vollständig, wenn er sagt: „Aber der Gott des Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem“ (Röm. 16,20). In unserem Haupte (Christus) ist dieser Sieg stets völlig da, weil der Fürst dieser Welt nichts gegen ihn vermag, in uns aber, den Gliedern, kommt er jetzt nur zum Teil zum Vorschein, aber er wird einst vollendet sein, wenn wir unser Fleisch ausziehen, das uns immer wieder der Schwachheit unterworfen sein läßt, und wenn wir voll sind der Kraft des Heiligen Geistes. Denn wo das Reich Christi aufkommt und aufgerichtet wird, da zerfällt der Satan mit aller seiner Macht, wie ja der Herr selber sagt: „Ich sah den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz“ (Luk. 10,18). Mit dieser Antwort nämlich bekräftigt er den Bericht der Apostel von der Gewalt ihrer Verkündigung, wiederum sagt er auch: „Wenn ein starker Gewappne ter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden, wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt …, so wird er hinausgetrieben …“ (Luk. 11,21f.; Schluß ungenau). Und dazu hat Christus in seinem Sterben den Satan, der des Todes Ge walt hatte, überwunden und den Triumph geführt über sein ganzes Heer, daß der Kirche kein Schaden geschehe, die sonst vom Teufel in jedem Augenblick hundertmal zertreten werden würde! Denn wie sollten wir — bei unserer Schwachheit und bei des Teufels wütiger Gewalt! — auch nur im mindesten gegen seine vielfältigen und listigen Anläufe bestehen, ohne das Vertrauen auf den Sieg unseres Herzogs? Denn Gott läßt das Reich des Satans nicht in dem Herzen der Gläubigen sein, sondern er übergibt ihm bloß die Gottlosen und Ungläubigen zur Regierung, die er nicht wür digt, zu seiner Herde gezählt zu werden. Denn es heißt von ihm, daß er diese Welt ohne Widerspruch in Besitz hat, bis er von Christus ausgestoßen wird (Luk. 11,21). Auch hören wir, er verblende alle, die dem Evangelium nicht glauben (2. Kor. 4,4). Oder auch, er führe sein Werk in den widerspenstigen Kindern (Eph. 2,2). Und das mit Recht; denn die Gottlosen sind ja alle Gefäße des Zorns — und wem sollten sie dann anders unterworfen sein als dem Diener der göttlichen Rache? Ja, es heißt schließlich, sie seien von ihrem Vater, dem Teufel (Joh. 8,44). Denn wie die Gläu bigen als Kinder Gottes daran erkannt werden, daß sie sein Ebenbild tragen, so er weisen sich jene als Söhne des Satans durch sein Ebenbild, zu dem sie entartet sind! (1. Joh. 3,8).



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Nun haben wir oben jene geschwätzige Weltweisheit (nugatoria philosophia) ab gewiesen, die von den heiligen Engeln lehrt, das seien bloß gute Eingebungen und Regungen, die Gott im Herzen der Menschen aufkommen ließe. Ebenso müssen wir hier denen entgegentreten, die da schwätzen, die Teufel seien bloß schlechte Empfin dungen oder verwirrte Gedanken, die uns unser Fleisch eingebe. Das kann aber in aller Kürze vor sich gehen, da hierzu zahlreiche und völlig deutliche Schriftzeugnisse vorhanden sind. Da werden zunächst die unreinen Geister auch abtrünnige Engel ge nannt, die „von ihrem Ursprung entartet sind“ (Jud. 6). Diese Namen drücken schon ganz klar aus, daß es sich hier nicht etwa um Regungen und Empfindungen handelt, sondern tatsächlich, wie es ja aus dem Wortlaut hervorgeht, um Geister und Wesen mit Empfindung und Verstand! Ähnlich werden von Christus wie von Jo hannes die Kinder Gottes mit den Kindern des Teufels verglichen (Joh. 8,44; 1. Joh. 3,10). Das wäre ja offenkundig unangebracht, wenn der Begriff „Teufel“ nur böse Eingebungen bezeichnete! Johannes fügt gar noch deutlicher hinzu, der Teufel sündige von Anfang (1. Joh. 3,8). Und wenn Judas einen Kampf des Erzengels Michael mit dem Teufel erwähnt (Jud. 9), so stellt er doch damit sicherlich dem gu ten Engel einen bösen und abtrünnigen entgegen. Dem entspricht wieder, was wir im Buch Hiob lesen: nämlich, daß der Satan mit den heiligen Engeln vor Gott er schienen sei (Hiob 1,6; 2,1). Am klarsten sind indessen die Stellen, welche die Strafe erwähnen, welche die Teufel durch Gottes Urteil, anfangsweise schon jetzt, dann aber



erst recht einst in der Auferstehung erfahren! „Du Sohn Davids, weshalb kommst du vor der Zeit und quälst uns?“ (Matth. 8,29). „Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das da bereitet ist dem Teufel mit seinen Engeln“ (Matth. 25,41). „Denn Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten werden“ (2. Petr. 2,4). Was wären das für unsinnige Redensarten, die Teufel wären dem ewigen Gericht übergeben, ewiges Feuer sei ihnen bereitet, sie würden bereits jetzt durch Christi Herrlichkeit gequält und gemartert — wenn es gar keine Teufel gäbe! Freilich: diese Dinge bedürfen bei denen, die dem Worte Gottes Glau ben schenken, keiner Erörterung, und anderseits wird bei den eitlen Grüblern (speculatores), denen nur das Neue gefällt, mit dem Schriftzeugnis wenig erreicht. Des halb glaube ich meinen Zweck erreicht und fromme Seelen ausreichend gegen der gleichen Unsinn gesichert zu haben, mit dem ruhlose Leute sich und andere, Einfäl tigere, in Verwirrung bringen. Trotzdem mußten diese Dinge berührt werden, damit der Mensch sich nicht von dem Irrtum zu der Meinung verführen lasse, er hätte ja gar keinen Feind, und deshalb zum Widerstand träger und sorgloser werde!



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Unterdessen aber wollen wir doch nicht versäumen, in diesem herrlichen Schauhause (theatrum) aus Gottes offenbaren und uns entgegentretenden Werken fromme Erquickung zu schöpfen! Denn es ist, wie wir schon sagten, zwar nicht der höchste, aber doch nach der Ordnung der Natur der erste Erweis des Glaubens, wenn wir, wo hin wir auch die Augen lenken, alles, was uns begegnet, als Gottes Werk an­sehen und zugleich mit frommer Erwägung überlegen, zu welchem Zweck es Gott ge schaffen habe. Um also mit rechtem Glauben zu erfassen, was wir von Gott wissen sollen, müssen wir vor allem die Geschichte von der Schöpfung der Welt festhalten, wie sie uns Mose kurz berichtet und wie sie dann fromme Männer wie besonders Basilius und Ambrosius genauer beleuchtet haben. Daraus lernen wir dann, daß Gott mit der Kraft seines Wortes und seines Geistes Himmel und Erde aus nichts geschaffen, danach allerlei Tiere und auch leblose Wesen hervorgebracht, die unend liche Vielgestaltigkeit der Dinge in wundersamer Ordnung unterschieden, jedem Ge schlecht sein Wesen eingesenkt, seinen Dienst zugewiesen und seinen Ort und seine Wohnstatt geschenkt hat, und daß er, da alles der Verderbnis (corruptio) unterwor fen ist, doch Vorsorge getroffen hat, damit alle Arten bis zum Jüngsten Tage un versehrt bleiben! So erhält er — hören wir weiter — die eine Art auf geheimnis volle Weise und läßt zu Zeiten neue Lebenskraft gewissermaßen in sie überströmen, und anderen hat er wieder die Kraft der Fortpflanzung gegeben, damit mit dem Ende des einzelnen nicht die Gattung aussterbe! Deshalb hat er Himmel und Erde mit der denkbar größten Fülle, Verschiedenheit und Schönheit aller Dinge ausge stattet und wie ein weites und herrliches Haus, mit erlesenstem und wundersamstem Gerät versehen und ausgerüstet, herrlich geschmückt. Schließlich hat er — so lernen wir — den Menschen gebildet, ihn mit so köstlicher Zier, so vielen und so herrlichen Gaben ausgezeichnet und aus ihm auf solche Weise das Meisterstück unter seinen Werken gemacht! Aber ich habe hier nicht vor, die Schöpfung der Welt zu erzählen, und so mag es genügen, dies wenige im Vorbeigehen erwähnt zu haben. Besser ist es, wie ich schon hervorhob, wenn die Leser sich aus Mose und den anderen, welche die Weltschöpfung getreulich und eingehend überliefert haben, eine genauere Kennt nis zu verschaffen suchen.

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Auch der Zweck und der wesentliche Gesichtspunkt für eine Betrachtung der Werke Gottes bedarf keiner eingehenden Erörterung. Denn es war ja an anderer Stelle bereits ausführlicher davon die Rede, und im Zusammenhang der jetzigen Er wägung sind nur wenige Worte erforderlich. Wahrlich, wollte man würdig dar stellen, wie Gottes unaussprechliche Weisheit, Macht, Gerechtigkeit und Güte am Gebäu der Welt sichtbar wird, so würde kein Glanz der Rede, keine Zier der Dar-
legung der Größe der Sache entsprechen. Unzweifelhaft hat der Herr gewollt, daß wir in solch heiliger Erwägung immerzu verharren. Und deshalb sollen wir jenen unermeßlichen Reichtum seiner Weisheit, Gerechtigkeit, Güte und Macht, wie wir sie in aller Kreatur gleichwie in einem Spiegel betrachten, nicht etwa bloß mit flüch tigem Blick und sozusagen mit leerer Anschauung durcheilen, sondern wir sollen bei solcher Erkenntnis lange verweilen, sie ernstlich und getreulich im Herzen bewegen und uns je und je ihrer erinnern. Aber wir sind jetzt in lehrhafter Arbeit begriffen, und da müssen wir übergehen, was eigentlich eine weitläufige Rede erforderte. Ich will mich kurz fassen: der Leser wird dann gewißlich in rechtem Glauben erkennen, was es eigentlich heißt, daß Gott der Schöpfer Himmels und der Erde ist, wenn er erstens der allgemeingültigen Regel folgt, an der Macht und Güte, die Gott in seiner Kreatur offenbar werden läßt, nicht mit undankbarer Gedankenlosigkeit und Vergeßlichkeit vorbeizugehen, und wenn er zweitens diese Erkenntnis so auf sich anzuwenden weiß, daß sie ihn im Innersten ergreift! Folgen wir der ersten Regel, so werden wir z. B. überlegen, welch ein Künstler es doch sein mußte, der die Unzahl der Sterne am Himmel so wohl geordnet und gefügt hat, daß kein erhabeneres Schauspiel erdacht werden kann, der die einen an ihrem Ort fest und unbeweglich bleiben läßt, anderen einen freieren Lauf verstattet hat, doch immer so, daß sie nicht von ihrer Bahn abirren können, — der die Bewegungen aller Gestirne so lenkt, daß Tage und Nächte, Monate, Jahre und Jahreszeiten daran gemessen werden, und der auch wiederum die Ungleichheit der Tage derart geregelt hat, daß keinerlei Ver wirrung daraus entsteht. Ein weiteres Beispiel für jene erste Regel ist auch dies, daß wir auf seine Macht unser Gemerk richten, mit der er solche Last trägt und diese geschwinde Bewegung des Himmelsgebäudes lenkt — und dergleichen Beispiele mehr. Diese ganz wenigen Andeutungen zeigen deutlich, was es heißt, Gottes Kraft in der Schöpfung der Welt zu erkennen. Wollten wir übrigens, wie gesagt, das Ganze dar stellen, so würde kein Aufhören sein. Denn es gibt so viele Wunder göttlicher Macht, so viele Zeichen seiner Güte, so viele Beweise seiner Weisheit, wie es in der Welt Gattungen unter den Geschöpfen, ja einzelne Dinge gibt, große wie kleine.



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Nun bleibt noch das zweite Erfordernis, das dem Wesen des Glaubens noch näher steht. Wenn wir nämlich sehen, wie Gott alles uns zugut, uns zum Heil ge ordnet hat, und wenn wir seine Macht und Gnade empfinden, die er an uns selber und an so vielen Gaben erzeigt, die er uns geschenkt hat, dann sollen wir uns eben dazu bringen lassen, ihm zu vertrauen, ihn anzurufen, ihn zu loben und zu lieben! Denn daß er alles um des Menschen willen geschaffen hat, das hat der Herr in der Reihenfolge seines Schaffens selbst gezeigt, wie ich oben bemerkte. Denn er hat nicht ohne Grund die Erschaffung der Welt auf sechs Tage verteilt; wäre es ihm doch ebenso leicht gewesen, das ganze Werk in einem Augenblick in aller Vollkommen heit hinzustellen, wie in solchem allmählichen Fortschreiten zur Vollendung zu kom­men. Aber er wollte uns dadurch seine Vorsehung und väterliche Sorge erweisen, daß er, bevor er den Menschen schuf, alles bereitete, was ihm nach seiner Voraussicht nützlich und heilsam sein konnte. Was wäre das für eine Undankbarkeit, wenn wir an der Fürsorge dieses unendlich gütigen Vaters zweifeln wollten, der sich doch schon um uns gemüht hat, ehe denn wir geboren wurden! Was für eine Gottlosigkeit wäre es, wenn wir je mißtrauisch zittern wollten, es könnte uns etwa einmal in der Not seine Güte verlassen, die doch, wie wir bemerken, schon vor unserem Dasein sich im Überfluß aller Güter wirksam erwies! Dazu hören wir bei Mose, daß er uns in sei ner Freigebigkeit auch alles Untertan gemacht hat, was in der Welt ist (Gen. 1,28; 9,2). Und das hat er gewiß nicht getan, um uns mit dem bloßen Schein einer Schen kung zu täuschen. Es wird uns demnach nichts je abgehen, dessen wir zu unserem Heil bedürfen. Zum Schluß noch dies: sooft wir Gott den Schöpfer Himmels und der Erde nennen, soll uns auch zugleich das in den Sinn kommen, daß die Verwaltung alles dessen, was er gemacht hat, in seiner Hand und Macht liegt — daß aber wir seine Kinder sind, die er in seine Treue und Obhut genommen hat, um sie zu er halten und aufzuziehen! Deshalb sollen wir die Fülle aller Güter von ihm allein er warten und ihm gewißlich zutrauen, daß er uns nie an dem wird Mangel leiden lassen, was wir zum Heile brauchen — und so soll unsere Hoffnung an nichts ande rem hängen als an ihm! Deshalb sollen wir aber auch, wenn wir irgend etwas wün schen, unsere Blicke auf ihn allein richten, alles Gute, das uns zuteil wird, als seine Wohltat erkennen und ihm dafür Dank sagen! Und wir sollen aus allen diesen Grün den, gezogen durch soviel liebliche Güte und Freundlichkeit, ihn von ganzem Herzen zu lieben und zu ehren uns befleißigen.



Fünfzehntes Kapitel: Von der Erschaffung des Menschen, den Fähigkeiten seiner Seele, vom Ebenbilde Gottes, dem freien Willen und der ursprünglichen Reinheit der menschlichen Natur.

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Es muß nun weiter auch von der Schöpfung des Menschen die Rede sein. Denn er ist unter allen Werken Gottes der edelste und sichtbarste Erweis seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Güte. Und besonders kann ja, wie wir am Anfang ausführten, Gott von uns gar nicht rein und gewiß erkannt werden, wenn nicht wiederum die Selbsterkenntnis hinzukommt. Diese Selbsterkenntnis ist freilich von doppelter Art: wir müssen zunächst wissen, wie wir im Ursprung geschaffen waren, und dann auch, wie wir seit Adams Fall daran sind: — es würde uns nicht viel nutzen, von unserer Erschaffung zu wissen, wenn wir nicht all diesem schrecklichen Zerfall, in dem wir nun leben, die Verderbnis und Entstellung unserer Natur erkennten! Wir wollen aber trotzdem hier zunächst die Beschreibung unserer ursprünglich reinen (integrae) Na tur vornehmen. Und es ist auch tatsächlich, ehe wir uns dem jämmerlichen Zustande des Menschen zuwenden, dem er heute unterworfen ist, durchaus der Mühe wert, ins Auge zu fassen, wie er denn eigentlich im Anfang geschaffen worden ist. Denn wir müssen uns sehr wohl vor dem Anschein hüten, als schrieben wir, indem wir bloß die natürliche Bosheit des Menschen genau darlegten, sie gar dem Urheber der Na tur zu. Denn die Gottlosigkeit möchte sich allzugern mit diesem Vorwand verteidi gen, wenn sie zu behaupten unternimmt, alles, was sie Böses in sich trage, das sei gewissermaßen von Gott ausgegangen — und sie zögert ja auch, wenn sie gestraft wird, keineswegs, mit Gott selber rechten zu wollen und ihm die Schuld zuzuschieben, deren sie mit Recht angeklagt wird. Und Leute, die auf den Schein frommeren Re dens von der Gottheit Wert legen, suchen doch ihre Verkehrtheit gern mit der Natur zu entschuldigen und bedenken dabei gar nicht, daß sie damit auch Gott beschimp fen — wenn auch etwas heimlicher! Denn es wäre doch eine Schande für ihn, wenn man beweisen könnte, an der Natur sei etwas Verkehrtes. Wir sehen also, wie das Fleisch nach allerlei Ausflüchten hascht, um dadurch nach seiner Meinung die Schuld von sich auf einen anderen wälzen zu können. Und dieser Bosheit müssen wir mit Fleiß entgegentreten. Deshalb muß man das menschliche Unheil so behandeln, daß von vornherein alle Auswege abgeschnitten sind und die Gerechtigkeit Gottes von jeder Anschuldigung frei bleibt. Später werden wir dann, wenn wir soweit sind, zusehen, wie weit wir Menschen von der Reinheit entfernt sind, die dem Adam ge schenkt war. Vorerst müssen wir aber das bedenken: der Mensch ist aus Erde und Lehm genommen, und damit ist seinem Stolz ein Zügel angelegt; denn es wäre ja völlig widersinnig, wenn sich einer seiner hervorragenden Stellung rühmen wollte, der nicht nur in einer Lehmhütte seine Wohnstatt hat, sondern gar selbst zum Teil aus Erde und Asche ist! Freilich, Gott hat sich herbeigelassen, dieses irdene Gefäß lebendig zu machen (zu beseelen), und er hat es gar zum Wohnsitz eines unsterblichen Geistes ersehen. Solcher Großmut seines Schöpfers konnte sich Adam mit Recht rühmen!



I,15,2

Weiterhin muß außer allem Streite stehen, daß der Mensch aus Seele und Leib besteht. Dabei verstehe ich unter „Seele“ ein unsterbliches, wenn auch geschaffenes Wesen, das des Menschen edlerer Teil ist. Oft wird sie auch „Geist“ genannt, und obwohl diese beiden Namen, wenn sie nebeneinanderstehen, von verschiedener Be deutung sind, so bedeutet doch „Geist“, wenn das Wort allein auftritt, dasselbe wie „Seele“. So redet zum Beispiel Salomo vom Tode und sagt, dann kehre „der Geist“ zu Gott zurück, der ihn gegeben habe (Pred. 12,7). Auch Christus befiehlt dem Vater seinen „Geist“ (Luk. 23,46), ebenso Stephanus Christo (Apg. 7,58), und dar unter verstehen sie nichts anderes, als daß, wenn die Seele aus dem Sklavenhaus des Fleisches erlöst ist, Gott immerdar ihr Hüter sei. Einige meinen zwar, die Seele hieße „Geist“, weil sie ein Hauch oder eine Kraft von Gott sei, die er den Körpern eingeflößt habe und die selbst kein eigenes Wesen besitze. Aber die Sache selbst wie auch die ganze Schrift zeigt, daß dies grober Unsinn ist. Gewiß, weil die Men schen gar zu sehr an der Erde hängen, so werden sie schwachsichtig, ja, in ihrer Ent fremdung von dem Vater des Lichts in Finsternis verblendet, so daß sie kaum noch ein Fortleben nach dem Tode anzunehmen vermögen. Aber unterdessen ist das Licht noch nicht so sehr in der Finsternis erloschen, daß sie nicht eine Ahnung der Unsterb lichkeit berührte! Denn das Gewissen, das in seiner Unterscheidung zwischen Gut und Böse dem Gericht Gottes entspricht, ist ein unbezweifelbares Zeichen für die Unsterb lichkeit des Menschengeistes (immortalitatis spiritus). Wie sollte auch eine bloße Regung ohne jedes eigene Wesen vor Gottes Richterstuhl dringen und aus der Ge wißheit der Verschuldung heraus in Schrecken geraten? Auch kann nicht etwa der Leib von der Furcht vor geistlicher Strafe ergriffen werden, sondern die trifft bloß die Seele, und daraus folgt, daß sie ein eigenes Wesen besitzt. Ja, schon die Erkennt nis Gottes beweist zur Genüge, daß ein Geist, der sich über die Welt erhebt, unsterb lich ist, weil zur Quelle des Lebens keine wesenlose Kraft vordringen könnte. Schließ lich ist doch auch des Menschen Gemüt so voller herrlicher Gaben, die laut zeugen, daß ihm etwas Göttliches eingegraben sei — und diese Gaben sind allesamt Zeug nisse für die Unsterblichkeit. Denn das Empfinden, das in den vernunftlosen Tieren wohnt, geht nicht über den Körper hinaus und erstreckt sich wenigstens nicht weiter als bis auf die ihm unmittelbar sich darbietenden Gegenstände. Der Menschengeist aber durchforscht in seiner Beweglichkeit Himmel und Erde und die Geheimnisse der Natur, und wenn er alle Jahrhunderte mit Verstand und Gedächtnis (intellectu et memoria) erfaßt hat, ordnet er alles einzelne ein, schließt aus dem Vergangenen das Zukünftige — und beweist eben dadurch, daß im Menschen etwas verborgen liegt, das vom Leibe verschieden ist. Wir können den unsichtbaren Gott und die Engel mit unserem Verstande denken; auch das steht dem Körper keineswegs zu! Das Rechte, Gute, Anständige, das doch körperlichen Sinnen verborgen ist, vermögen wir zu erfassen. Deshalb muß der Sitz solchen Erfassens der Geist sein. Selbst der Schlaf, der den Menschen betäubt und ihm fast das Leben zu nehmen scheint, ist ein klarer Zeuge für die Unsterblichkeit. Denn er drängt uns Gedanken an Dinge auf, die nie ge­schehen sind, ja, selbst Ahnungen der Zukunft. Ich berühre diese Dinge nur kurz: selbst heidnische Schriftsteller erheben sie gewaltig in glänzender Rede; bei den Frommen wird freilich die schlichte Erwähnung genügen.

Wäre die Seele nicht ein selbständiges Wesen, vom Körper unterschieden, so könnte die Schrift nicht sagen, wir wohnten in Lehmhütten, wanderten im Tode aus dem Zelt des Fleisches hinaus, zögen aus, was verweslich ist, um dann am Jüngsten Tage den Lohn davonzutragen, je nachdem ein jeglicher gehandelt hat bei Leibes leben. Denn diese Schriftstellen und ähnliche, wie sie oft genug vorkommen, unter­scheiden die Seele doch gewiß ganz deutlich vom Leibe, ja, sie geben auch der Seele den Namen „Mensch“ und zeigen dadurch klar, daß sie der hervorragendste Teil ist. Wenn dann Paulus die Gläubigen ermahnt, sie sollten sich reinigen von aller Unreinigkeit des Fleisches und des Geistes (2. Kor. 7,1), so stellt er damit fest, daß es zwei Bereiche gibt, in denen der Schmutz der Sünde wohnt. Auch dies: Petrus nennt Christum den „Hirten und Hüter der Seelen“ (1. Petr. 2,25), — und das wäre ja ganz verkehrt, wenn es nicht Seelen gäbe, an denen er solches Amt ausüben könnte! Auch wäre es, wenn die Seele gar kein eigenes Wesen hätte, sinnlos, daß er vom ewigen Heil der Seele spricht (1. Petr. 1,9), oder auch, daß er den Befehl gibt, die Seelen zu reinigen, und sagt, die bösen Lüste stritten wider die Seele(1. Petr. 2,11). Ungereimt wäre es dann auch, daß der Verfasser des Hebräerbriefs schreibt, die Hirten ständen auf der Wacht, um Rechenschaft ablegen zu können über unsere Seelen (Hebr. 13,17). In derselben Richtung geht es, daß Paulus Gott zum Zeugen „auf“ seine „Seele“ anruft (2. Kor. 1,23); denn sie würde vor Gott gar nicht beschuldigt werden können, wenn sie nicht straffähig wäre. Noch deutlicher drückt sich das in den Worten Christi aus, man solle den fürchten, der, nachdem er den Leib getötet hätte, auch die Seele in das höllische Feuer werfen könne (Matth. 10,28; Luk. 12,5). Und wenn der Verfasser des Hebräerbriefs unsere leiblichen Väter von Gott unterscheidet, der „der Vater der Geister“ ist (Hebr. 12,9), so konnte er die eigene Wesenhaftigkeit der Seele gar nicht deutlicher behaupten. Wenn ferner die Seele nach ihrer Befreiung aus dem Sklavenhause des Körpers nicht bestehen bliebe, so wäre es widersinnig, daß Christus davon redet, die Seele des Lazarus ge nieße Freude in Abrahams Schoß, und anderseits, die Seele des Reichen leide Pein in ihrer Qual (Luk. 16,22ff.). Dem stimmt wiederum Paulus bei, wenn er sagt, wir wallten ferne vom Herrn, solange wir im Fleische wohnen, feine Gegenwart aber würden wir außer dem Fleische genießen (2. Kor. 5,6.8). Ich will aber in die ser klaren Sache nicht zu ausführlich reden. Nur noch dies: bei Lukas hören wir doch, daß es zu den Irrtümern der Sadduzäer gehörte, das Dasein von Geistern und Engeln zu bestreiten (Apg. 23,8).

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I,15,3

Ein zuverlässiger Beweis für diese Wahrheit liegt auch darin, daß es vom Menschen heißt, er sei nachdem Ebenbilde Gottes geschaffen (Gen. 1,27). Nun strahlt gewiß auch am äußeren Menschen Gottes Herrlichkeit hervor; aber der eigentliche Sitz jenes Ebenbildes liegt doch zweifellos in der Seele. Ich leugne ge wiß nicht, daß uns die äußere Gestalt, die uns von den Tieren unterscheidet und trennt, zugleich auch mit Gott verbindet. Auch will ich mich nicht ereifern, wenn jemand zum Ebenbild Gottes auch dies rechnet, daß, während die übrigen Lebe wesen mit gesenktem Haupte zur Erde blicken, „hohes Antlitz dem Menschen verliehn ward, den Himmel zu schauen und zu den Sternen hinauf erhobene Blicke zu senden“ (Ovid). Nur muß das fest bestehen bleiben: das Bild Gottes, das an solch äußeren Merkmalen sichtbar hervorschimmert, ist geistlich. Osiander nämlich — der nach Ausweis seiner Schriften auf verkehrte Weise klug war — bezieht das Ebenbild Gottes so gut auf den Leib wie auf die Seele und wirft so Himmel und Erde durcheinander. Er sagt, Vater, Sohn und Heiliger Geist stellten im Menschen ihr Ebenbild dar; denn Christus wäre auch Mensch geworden, wenn Adam nicht ge sündigt hätte. So wäre denn der Leib, den Christus einst annehmen sollte, das Vor- und Urbild für die leibliche Gestalt gewesen, die damals (in der Erschaffung des Menschen) gebildet wurde! Aber wo will Osiander finden, daß Christus (der doch Mensch gewordene!) auch das Ebenbild des Geistes sei? Gewißlich leuchtet in der Person des Mittlers die Herrlichkeit der ganzen Gottheit — aber wie sollte das ewige Wort zugleich Ebenbild des Geistes genannt werden können, dem es doch in der (trinitarischen) Ordnung vorangeht? Zudem wird ja die Unterscheidung zwischen Sohn und Geist aufgehoben, wenn Osiander den Sohn das Bild des Geistes nennt! Auch möchte ich dann gerne von Osiander wissen, wieso denn eigentlich Christus im Fleische, das er annahm, dem Geiste ähnlich sei, und mit was für Merkmalen oder Andeutungen er die Ähnlichkeit mit ihm beweise. Aber auch das: „Lasset uns Men schen machen“ (Gen. 1,26) ist ja auch ein solcher des Sohnes — und nach Osiander müßte dieser dann sein eigenes Ebenbild sein, was aller Vernunft zuwider wäre! Dazu kommt, daß — wenn man die Phantasien des Osiander übernehmen wollte! — der Mensch nur nach dem Urbild und Vorbild des Menschen Christus geschaffen worden wäre; und so wäre denn Christus, sofern er das Fleisch annehmen sollte, das Urbild, aus welchem Adam genommen wurde. Die Schrift aber lehrt ganz an ders: sie sagt, er sei zu Gottes Ebenbild erschaffen worden! Andere verstehen die Sache so: Adam sei zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden, weil er Christus, der das einzige Ebenbild Gottes ist, gleichförmig war. Diese spitzfindige Redeweise hat mehr Farbe; aber auch in ihr steckt nichts Ordentliches.

Weiter herrscht eine erhebliche Uneinigkeit über die Begriffe „Ebenbild“ (imago) und „Gleichnis, Ähnlichkeit“ (similitudo). Die Ausleger suchen nämlich zwischen beiden Ausdrücken einen Unterschied, der gar nicht da ist. Einzig ist „Gleichnis“ zur näheren Erläuterung von „Ebenbild“ gesetzt. Erstlich wissen wir doch, daß bei den Hebräern Wiederholungen üblich sind, die doch nur dasselbe zweimal sagen. Und zweitens ist auch in der Sache selbst keinerlei Zweideutigkeit: der Mensch heißt Gottes „Ebenbild“, weil er eben Gott „ähnlich“ ist! Da her machen sich die Leute lächerlich, die betreffs dieser Namen eine spitzfindige Philosophie entwickeln. Die einen meinen, das Wort „Zelem“ (also Ebenbild, imago) beziehe sich auf das Grundwesen der Seele, während „Demuth“ (d.h. Gleichnis, Ähnlichkeit, similitudo) die Eigenschaften betreffe. Andere versuchen den Unterschied wieder anders zu beschreiben. Die Sache ist doch so: Gott hat be schlossen, den Menschen „nach seinem Ebenbilde“ zu schaffen; dieser Ausdruck ist vielleicht etwas schwerverständlich; so wiederholt er: „zum Gleichnis, zur Ähn lichkeit“, als wollte er sagen: ich will einen Menschen machen, der mich wie in einem Ebenbilde darstellt, und zwar vermöge der ihm eingeprägten Merkmale der Ähnlichkeit! Deshalb setzt auch Mose, da er dieselbe Sache noch einmal erwähnt (Gen. 1,27), zweimal „Ebenbild Gottes“, ohne wieder „Ähnlichkeit“ zu brauchen! Ganz abgeschmackt ist es aber, wenn Osiander behauptet, es heiße hier nicht etwa bloß ein Teil des Menschen, etwa die Seele mit ihren Fähigkeiten, Ebenbild Gottes, sondern der ganze Adam, der doch seinen Namen von der Erde empfing, aus der er genommen war! Jeder verständige Leser wird mit mir urteilen, daß dies eben abgeschmackt ist! Denn wenn auch der ganze Mensch sterblich genannt wird, so ist deshalb die Seele doch nicht dem Tode unterworfen, und wenn anderseits der ganze Mensch ein vernünftiges Wesen heißt, so bezieht sich Vernunft und verstand doch nicht auch auf seinen Körper! Obgleich also der Mensch nicht die Seele ist, so ist es doch nicht widersinnig, wenn er um seiner Seele willen Ebenbild Gottes genannt wird — wobei ich freilich an dem oben entwickelten Grundsatz festhalte, daß sich Gottes Bild auf die ganze Vorzugsstellung erstreckt, welche die Natur des Menschen gegenüber allen anderen Arten von Lebewesen genießt. Deshalb bezieht sich also die ser Ausdruck (Ebenbild) auf die ursprüngliche Reinheit, die Adam besaß, als sein Verstand völlig richtig war, seine Neigungen der Vernunft entsprachen, alle seine Empfindungen aufs beste geordnet waren und er tatsächlich in seinen ausgezeichneten Gaben die Herrlichkeit seines Schöpfers hervortreten ließ! Aber so gewiß der Sitz des göttlichen Ebenbildes vornehmlich in Gemüt und Herz, in der Seele und ihren Anlagen sich befand, so wenig gab es irgend etwas an ihm, einschließlich des Kör pers, in dem nicht gewisse Fünklein davon aufgeleuchtet wären. Es treten ja sicher lich in allen Teilen der Welt gewisse Andeutungen der Herrlichkeit Gottes hervor: wenn nun aber Gottes Ebenbild im Menschen dargestellt ist, so liegt darin offen kundig ein stillschweigender Unterschied beschlossen, der den Menschen über alle an dere Kreatur hinaushebt und sozusagen von deren großer Masse trennt. Nun ist ge wiß auch nicht zu leugnen, daß die Engel zu Gottes Bild geschaffen sind; denn nach Christi Zeugnis besteht ja unsere höchste Vollkommenheit darin, ihnen gleich zu werden (Matth. 22,30). Aber Mose hat doch recht, wenn er an dieser besonderen Auszeichnung Gottes Gnade gegen uns besonders preist, zumal da er ja bloß die sicht baren Geschöpfe mit dem Menschen vergleicht.



I,15,4

Indessen scheint mir die Beschreibung des Ebenbildes doch noch unvoll kommen zu sein, wenn nicht noch klarer hervortritt, was das denn für Anlagen sind, durch die der Mensch sich auszeichnet und in denen man einen Spiegel der Herrlichkeit Gottes erkennen muß. Das kann man aber am besten aus der Wieder herstellung der verderbten Natur erkennen. Denn Adam ist unzweifelhaft mit seinem Abfall von Gott entfremdet worden. Selbst wenn wir also zugeben, das Ebenbild Gottes sei in ihm nicht ganz erloschen oder zerstört worden, so war es doch derart verderbt, daß alles etwa übrigbleibende nur grausige Entstellung war! wenn wir also das Heil wiedergewinnen, so beginnt das mit der Erneuerung, die wir durch Christus empfangen, der ja auch aus dem Grunde der zweite Adam heißt, weil er uns zu wahrer und bleibender Unschuld zurückbringt. Freilich stellt Paulus den lebendigmachenden Geist, den Christus den Gläubigen zuteil werden läßt, der „lebendigen Seele“ gegenüber, zu welcher Adam geschaffen wurde (1. Kor. 15,45). Er zeigt damit, daß in der Wiedergeburt ein reicheres Maß der Gnade liegt; aber er hebt damit doch nicht den zweiten Hauptpunkt auf, nämlich daß der Zweck der Wiedergeburt darin besteht, daß uns Christus zum Ebenbild Gottes er neuere. Deshalb spricht er an anderer Stelle auch aus, der neue Mensch werde ge mäß dem Ebenbilde dessen erneuert, der ihn geschaffen hat (Kol. 3,10). Dem ent­spricht auch die Forderung: „Ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist“ (Eph. 4,24). Jetzt wollen wir zusehen, was Paulus vornehmlich unter dieser Erneuerung versteht.
An erster Stelle nennt er die Erkenntnis, an zweiter die rechtschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit. Daraus ergibt sich nun, daß im Anfang das Ebenbild Gottes in der Erleuchtung des Geistes, in der Aufrichtigkeit des Her zens und in der Vollkommenheit des ganzen Menschen zu erblicken war. Dabei gebe ich zu, daß Paulus hier andeutend redet; aber der Grundsatz kann doch nicht umge stoßen werden: was in der Erneuerung des Ebenbildes Gottes an erster Stelle steht, das muß auch in der Schöpfung selbst das wesentlichste gewesen sein. Dahin gehört auch der Satz: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufge decktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild …“ (2. Kor. 3,18). Daraus können wir sehen: Christus ist das vollkommenste Ebenbild Gottes, ihm sollen wir gleichgestaltet und dadurch derart erneuert werden, daß wir in wahrer Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Reinheit und Erkenntnis das Ebenbild Gottes tragen. Stellt man das fest, so ist es mit jener Phantasterei des Osiander vom Urbild des Leibes von selbst vorbei. Die Stelle bei Paulus aber, in welcher allein der Mann Ebenbild und Abglanz Gottes heißt und die Frau von dieser Würde und Ehre ausge schlofssen wird (1. Kor. 11,7), bezieht sich nach dem Zusammenhang offenbar auf die bürgerliche Ordnung (ad ordinem politicum). Daß nun unter dem Ebenbilde, das wir erwähnten, alles zu begreifen ist, was sich auf das geistliche, ewige Leben bezieht, das glaube ich ausreichend gezeigt zu haben. Auch Johannes bezeugt es mit anderen Worten, wenn er sagt, das Leben, das im Anfang im ewigen Worte war, sei das Licht der Menschen gewesen (Joh. 1,4). Denn er hat die Absicht, die einzigartige Gnade Gottes zu rühmen, die den Menschen gegenüber allen sonstigen Lebewesen auszeichnet, und ihn so von allem Gemeinen abzusondern, weil er ja nicht bloß das gewöhnliche Leben erlangt hat, sondern noch dazu das Licht der Erkenntnis; und da mit zeigt er zugleich, wieso denn der Mensch zum Ebenbilde Gottes geschaffen wor­den ist. Das Ebenbild Gottes ist also die ursprünglich hervorragende Stellung der menschlichen Natur, die in Adam vor dem Fall hell erstrahlte, danach aber derart verderbt, ja schier zerstört worden ist, daß aus dem Untergang nur noch Verworrenes, Verstümmeltes und Beflecktes übriggeblieben ist. Eben dieses Ebenbild wird jetzt in den Erwählten, sofern sie aus dem Geiste wiedergeboren sind, teilweise wieder sichtbar, seinen vollen Glanz aber wird es im Himmel bekommen!
Um recht zu erfahren, in welchen Stücken dies Ebenbild Gottes besteht, müssen wir von den Fähigkeiten der Seele reden. Denn Augustins gedankenspielerische Mei nung, die Seele sei ein Spiegel der Dreieinigkeit, weil in ihr Verstand, Wille und Gedächtnis wohnten, ist ohne Bestand (Von der Dreieinigkeit, Buch 10; Vom Gottes staat, Buch 11). Ebensowenig Zustimmung kann die Meinung finden, das Bild Gottes bestehe in der dem Menschen übertragenen Herrschergewalt, als ob nur dies Merk mal eine Ähnlichkeit mit Gott enthalte, daß der Mensch zum Erben und Besitzer aller Dinge eingesetzt ist. Denn Gottes Bild muß doch in und bei, nicht aber außer dem Menschen gesucht werden, ja, es ist ein innerlicher Schatz der Seele.

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I,15,5

Bevor ich weitergehe, muß ich aber noch gegen den Wahnwitz der Manichäer angehen, den heutzutage Servet wieder zu erneuern versucht hat. Wenn es da heißt, Gott habe dem Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase gehaucht (Gen. 2,7), so meinten sie, die Seele sei ein Ausfluß des Grundwesens Gottes, als ob also ein Teil der unermeßlichen Gottheit auf den Menschen übergegangen sei! Es läßt sich nun aber leicht darlegen, was für grobe und schändliche Widersinnigkeiten dieser teuflische Irrtum mit sich bringt. Denn wenn die Seele des Menschen ein Ausfluß aus Gottes Wesen ist, so folgt, daß Gottes Natur der Veränderlichkeit und gar der Leidenschaft unterworfen ist, ja sogar der Unwissenheit, niedrigen Begierden, der Schwäche und allen Lastern! Denn es ist doch nichts unbeständiger als der Mensch, weil die widerstrebenden Regungen seine Seele hin und her bewegen und in der ver schiedensten Weise auseinanderzerren. Oft täuscht ihn Unwissenheit, selbst den ge ringsten Anfechtungen unterliegt er, ja wir wissen, daß die Seele selbst ein Sumpf und eine Herberge alles Schmutzes ist. Und das alles müßte man der Natur Gottes zuschreiben, wenn man annehmen wollte, die Seele stamme aus Gottes Wesen oder sei ein verborgener Ausfluß der Gottheit! Wer sollte sich bei einer solchen Un geheuerlichkeit nicht entsetzen! Zwar sagt uns Paulus mit Recht nach Aratus, wir seien „seines Geschlechts“ (Apg. 17,28). Aber doch nicht etwa im Wesen, sondern nach der Beschaffenheit — eben sofern uns Gott mit göttlichen Gaben geziert hat! Auch ist es ja ausbündiger Unsinn, des Schöpfers Wesen zu zerstückeln, daß jeder ei nen Teil besitze! Es muß also festgestellt werden: obwohl Gottes Ebenbild der Seele eingeprägt ist, so ist sie doch geschaffen, ebenso wie die Engel. Schöpfung aber ist nicht Ausfluß (göttlichen Wesens), sondern Anfang eines Wesens aus dem Nichts. Auch wenn der Geist von Gott gegeben ist und, nachdem er aus dem Fleische ausge wandert, zu ihm zurückkehrt, so kann man doch keineswegs gleich sagen, er sei aus Gottes Grundwesen (substantia) entnommen. Auch in diesem Stück ist Osiander über all seinen Träumereien auf den gottlosen Irrtum verfallen, Gottes Ebenbild im Menschen nicht ohne die wesenhafte Gerechtigkeit (sine essentiali justitia) anzuerkennen, — als ob uns Gott in der unermeßlichen Kraft seines Geistes nur dann sich gleichförmig machen könnte, wenn Christus wesenhaft in uns überginge! Mögen nun einige Leute dieses Blendwerk auch noch so schon färben, — sie werden doch die Augen verständiger Leser nie so verblenden, daß sie etwa den manichäischen Irrtum nicht herausmerkten. Auch wo Paulus von der Erneuerung des Ebenbildes redet, da zeigen seine Worte deutlich, daß der Mensch nicht durch Überfließen des Grundwe sens (der „Substanz“), sondern durch die Gnade und Kraft des Geistes Gott gleichgestaltet wird. Denn er sagt, daß wir, indem wir Christi Herrlichkeit anschauen, gleichwie vom Geiste des Herrn in dasselbe Bild verwandelt werden (2. Kor. 3,18). Und dieser Geist wirkt gewiß so in uns, daß er uns nicht etwa mit Gott gleichen Wesens macht!



I,15,6

Es wäre töricht, eine Bestimmung des Wesens der Seele von den Philosophen zu entlehnen. Denn außer Platon hat sie fast keiner von ihnen wirklich als unsterb liches Wesen (substantia immortalis) anerkannt. Zwar reden auch andere Sokratiker davon; aber keiner lehrt es deutlich, weil keiner recht davon überzeugt war! Platons Meinung ist deshalb die richtigere, weil er Gottes Ebenbild in der Seele er­kennt. Andere heften ihre Kräfte und Anlagen (potentiae et facultates) dermaßen an das gegenwärtige Leben, daß sie außer dem Körper schließlich nichts übriglassen.
Wir haben nun unserseits bereits gelehrt, daß die Seele unkörperlich ist. Nun ist zu beachten, daß sie zwar nicht in einem bestimmten Raum eingeschlossen, aber dennoch mit dem Körper verbunden ist und in ihm wie in einer Herberge wohnt. Nicht nur so, daß sie alle seine Teile belebt und seine Organe für ihre Wirksamkeit geschickt und brauchbar macht, sondern sie übt die Vorherrschaft in der Führung des Menschenlebens aus, und das nicht nur hinsichtlich der Pflichten des irdischen Lebens, sondern um den Menschen zugleich zur Verehrung Gottes zu reizen. Obwohl das letztere in der Verderbnis nicht deutlich zu bemerken ist, so bleiben doch die Spuren selbst den Lastern eingedrückt. Woher haben denn die Menschen die große Sorge um ihren guten Namen als aus Scham? Woher aber stammt wiederum die Scham an ders als aus der Ehrfurcht vor dem, was recht ist? Und die kommt wieder aus der Erkenntnis, daß sie dazu geboren sind, die Gerechtigkeit hochzuhalten — worin der Keim der Religion eingeschloffen ist! Denn wie ohne allen Zweifel der Mensch zum Trachten nach dem himmlischen Leben (ad caelestis vitae meditationem) geschaffen wurde, so wurde ihm auch sicherlich eine Kenntnis davon mit eingepflanzt. Auch würde ja dem Menschen wahrlich der herrlichste Gebrauch des Verstandes (intelligentia) abgehen, wenn ihm die Seligkeit unbekannt wäre, deren Vollendung in der Vereinigung mit Gott besteht. Deshalb ist es auch die wichtigste Wirksamkeit der Seele, nach dieser Seligkeit zu trachten, und je mehr einer danach strebt, Gott näher zu kommen, desto mehr beweist er, daß er mit Vernunft begabt ist.
Manche meinen, der Mensch habe mehrere Seelen, eine empfindende und eine denkende. Aber obwohl sie scheinbar etwas der Wahrheit Nahestehendes vor bringen, müssen wir doch ihre Meinung, weil ihre Gründe keine Beweiskraft haben, ablehnen, sofern wir uns nicht mit leichtfertigen und unnützen Dingen plagen wollen. So sagen sie, es sei ein großer Widerstreit zwischen den Regungen der Leibeswerkzeuge und dem vernünftigen Teil der Seele. Als ob nicht auch die Vernunft selber mit sich uneinig wäre und ihre Erwägungen und Beschlüsse wie feindliche Heere einander Schlachten lieferten! Aber diese Verworrenheit stammt doch aus der Ver derbnis der Natur, und deshalb ist es verkehrt, daraus, daß die Anlagen nicht das gebotene Gleichmaß untereinander halten, gleich zu folgern, es gäbe (im Menschen) zwei Seelen.
Über diese Anlagen selbst feinsinnige Untersuchungen anzustellen, überlasse ich in dessen den Philosophen; uns kann zur Auferbauung der Frömmigkeit eine einfache Beschreibung genügen. Was sie lehren, ist, das gebe ich zu, wahr und nicht bloß an genehm zu erfahren, sondern notwendig zu wissen und von ihnen sehr geschickt zu sammengebracht. Deshalb will ich keinen an ihrem Studium hindern, der danach be gierig ist. Ich gebe also zunächst zu, daß es fünf Sinne gibt, die Platon übrigens Organe zu nennen vorzieht. Sie führen dem allgemeinen Empfinden (sensus communis) wie einem Behältnis alle Gegenstände zu (Platon, Theaetet). Dann folgt die Phantasie (phantasia): sie beurteilt das vom allgemeinen Empfinden Erfaßte. Danach kommt die Vernunft (ratio), der das allgemeine Urteil zusteht. Und endlich das Ge müt (mens): es betrachtet mit festem und ruhigem Blick, was die Vernunft im Fluge zu durchfliegen pflegt. Ebenso entsprechen dem Gemüt, der Vernunft und der Phantasie als den drei erkennenden Fähigkeiten der Seele auch wiederum drei begehrende Fähigkeiten: der Wille, welcher begehrt, was Gemüt und Vernunft ihm darbieten; die Zürnkraft, welche an sich reißt, was Vernunft und Phan tasie darreichen, und die Begehrkraft, welche annimmt, was ihr Phantasie und Sinne zuwerfen. Um diese Dinge sollte man sich nach meiner Meinung nicht gar zu sehr kümmern — wie wahr oder zum mindesten wahrscheinlich sie auch sein mö gen. Ich fürchte nämlich, daß sie durch ihre Dunkelheit ohnehin mehr Verwirrung als Nutzen stiften könnten. Mancher möchte wohl die Anlagen der Seele anders ein teilen: in eine begehrende Anlage, die, zwar selbst ohne Vernunft, doch der Vernunft und deren Leitung gehorsam ist, und eine verstehende, die selbst der Vernunft teil haftig wäre (so Aristoteles, Nik. Ethik, I,13). Ich erhebe dagegen keinen wesent lichen Einspruch. Auch würde ich nicht die Annahme von drei Grundkräften, nämlich Sinnen, Vernunft und Begehren, verwerfen (Aristoteles, Nik. Ethik, VI,2).
Aber wir wollen lieber eine Einteilung wählen, die jeder begreifen kann — die kann man freilich von den Philosophen sicherlich nicht entlehnen! Denn wenn diese ganz schlicht reden wollen, so teilen sie die Seele in Begehren und Denken ein und teilen dann wieder jedes in zwei Stücke. Den Verstand nennen sie einerseits „beschau lich“ (contemplativus), sofern er, mit der Erkenntnis allein zufrieden, gar keinen Antrieb zum Handeln empfindet (Themistius, De anima …) — was wieder Cicero mit dem Begriff „Selbstgeist“ (ingenium) meint ausdrücken zu können. Andererseits nennt man ihn auch „praktisch“ (practicus), sofern er nämlich vermöge der Erkennt nis des Guten und Bösen den Willen in verschiedener Weise anregt. Darunter ge hört auch das Wissen um die gute und rechte Lebensführung. Das Begehren aber teilt man in Willen und Begierde (voluntas et concupiscentia) ein. Dabei redet man vom Willen (bulesis), sofern der Trieb (den sie „horme“ nennen) der Ver nunft gehorcht, von der leidenschaftlichen Begierde (pathos) dagegen, wo der Trieb das Joch der Vernunft abschüttelt und ungebändigt ausbricht. In allen Fällen nimmt man also im Menschen die Vernunft als das an, wodurch er sich selbst recht regieren könnte!



I,15,7

Aber eben weil die Philosophen nichts von der Verderbnis der Natur wissen, wie sie aus der Strafe für den Abfall entsprungen ist, und weil sie auf diese Weise zwei sehr verschiedene Zustände („Stände“, status) des Menschen aufs verkehrteste durcheinan derwerfen, deshalb müssen wir von dieser Lehrart ein wenig abweichen. So stellen wir also fest: in der Menschenseele sind zwei Vermögen (partes), die zu unserer jetzigen Lehraufgabe sehr wohl passen, nämlich Verstand und Wille (intellectus et voluntas). Als Aufgabe des Verstandes wollen wir ansehen: unter den Gegen ständen zu unterscheiden, je nachdem ihnen Billigung oder Mißbilligung zuzukom men scheint, als Aufgabe des Willens: das zu erwählen und dem nachzugehen, was der Verstand für gut erkannt hat, das zu verachten und dem aus dem Wege zu gehen, was er verworfen hat (so Platon im Phaidros). Dabei sollen uns die Kleinlich keiten des Aristoteles nicht aufhalten, der meint, das Gemüt (Verstand, mens) habe an sich gar keine Bewegung, sondern das Bewegende sei das Wahlvermögen (electio), das er auch „begehrenden Verstand“ nennt. Um nicht bei überflüssigen Fragen zu verweilen, soll uns die Feststellung genügen, daß der Verstand sozusagen der Führer und Lenker der Seele ist, der Wille dagegen stets auf seinen Wink achtet und sein Urteil bei seinen Wünschen abwartet. In diesem Sinne lehrt der gleiche Aristoteles, im Begehren sei das Fliehen und Nachjagen etwas Ähnliches wie das Verneinen und Bejahen im Gemüt (in mente, Nik. Ethik, VI,2). Wie zuverlässig nun aber fer ner diese Leitung des Verstandes über den Willen ist, das werden wir später sehen. Hier wollen wir nur feststellen, daß in der Seele keine Fähigkeit zu finden ist, die sich nicht mit Recht einer der beiden Grundvermögen (Verstand und Wille) zuordnen ließe. So ordnen wir auch die Sinnesneigungen (sensus) dem Verstande unter; an dere machen da eine Unterscheidung und sagen, die Sinne neigten zum Vergnügen, während dagegen der Verstand dem Guten folgte, so daß also aus der Regung des Sinnes Begierde und Lust entstünde, aus der des Verstandes aber der Wille. Ander seits verwende ich statt des Begriffs Begehrungsvermögen (appetitus), den jene vorziehen, lieber den Ausdruck „Wille“, weil er gebräuchlicher ist.

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I,15,8

So hat also Gott die Menschenseele mit dem Verstande ausgerüstet, durch den der Mensch Gut und Böse, Recht und Unrecht voneinander unterscheiden und im Voraufleuchten des Lichts der Vernunft sehen soll, wem er nachjagen und vor was er fliehen muß. Deshalb haben die Philosophen dieses Vermögen auch „führend“ (to hegemonikόn) genannt. Dazu hat er den Willen gefügt, dem die Entscheidung ob liegt. Mit diesen herrlichen Gaben war der ursprüngliche Zustand (prima conditio) des Menschen geschmückt, so daß ihm Vernunft, Verstand, Klugheit und Urteilskraft (iudicium) nicht nur zur Führung des irdischen Lebens hinreichten, sondern ihn auch zu Gott und der ewigen Seligkeit emporhoben. Dazu kam dann die Wählkraft (electio), die die Begehrungen lenkte und alle sinnlichen Regungen beherrschte, so daß also der Wille in voller Übereinstimmung mit der Leitung des Verstandes war.
In dieser ursprünglichen Reinheit war der Mensch im Besitz des freien Willens, so daß er das ewige Leben erlangen konnte, wenn er wollte. An dieser Stelle die Frage nach der verborgenen Prädestination Gottes zu stellen, wäre voreilig; denn es handelt sich hier nicht darum, was geschehen konnte und was nicht, sondern wie die Natur des Menschen tatsächlich beschaffen war. Adam konnte also in seiner ur­sprünglichen Unschuld bestehen, wenn er wollte; denn er fiel ja nur durch seinen eigenen Willen. Da allerdings sein Wille in jeder Richtung sich neigen konnte und ihm die Beständigkeit zur Beharrung nicht gegeben war, deshalb fiel er so leicht. Trotz dem, seine Entscheidung über Gut und Böse war frei, und nicht nur dies: in Ver stand und Willen herrschte vollkommene Rechtschaffenheit, und alle sinnlichen Fähig keiten waren fein zum Dienst eingerichtet — bis er sich selber verdarb und darüber seine Vorzüge verlor.
Daher aber kommt nun diese große Finsternis, die die Philosophen umgibt: sie suchen unter Trümmern das Gebäude und unter der Zerrüttung die passenden Fu gen! Als Grundsatz hielten sie fest, der Mensch sei kein vernünftiges Wesen, wenn er nicht die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse hätte, auch kam ihnen in den Sinn, der Unterschied zwischen Tugend und Laster werde hinfällig, wenn der Mensch sein Leben nicht nach eigener Bestimmung ordne. Bis dahin war alles richtig — wäre nur im Menschen keine Veränderung eingetreten! Diese aber kannten sie nicht — und so ist es kein Wunder, daß sie Himmel und Erde durcheinanderwarfen! Wer sich aber als Jünger Christi bekannt hat und trotzdem bei dem verlorenen und dem geistlichen Elend verfallenen Menschen noch den freien Willen sucht, auf diese Weise also zwischen der Meinung der Philosophen und der himmlischen Lehre sich teilt, der geht ganz in der Irre und verfehlt den Himmel und die Erde! Aber darüber findet sich an geeigneterer Stelle Besseres. Jetzt muß nur dies festgehalten werden: der Mensch ist in seiner Erschaffung, am Anfang, etwas völlig anderes gewesen als alle seine Nachfahren; denn sie haben ihren Ursprung im gefallenen Menschen und ha ben von ihm die Verderbnis zum Erbe empfangen. Denn es waren ja alle Anla gen der Seele recht geschaffen, die Gesundheit der Seele bestand, dazu ein Wille, der frei war, das Gute zu erwählen! (Augustin, Über die Genesis, II,7). Es könnte freilich jemand einwenden, der Wille sei wegen seiner Schwäche sozusagen auf das Schlüpfrige gesetzt worden. Aber seine Stellung (in der ursprünglichen Reinheit) genügt doch schon allein, alle Entschuldigung zu beheben; auch konnte doch Gott nicht das Gesetz aufgezwungen werden, einen Menschen zu schaffen, der überhaupt nicht sündigen konnte noch wollte. Gewiß wäre ein solches Wesen noch vortrefflicher gewesen; aber es wäre doch mehr als ungerecht, über dergleichen mit Gott zu rech ten, als ob er es dem Menschen hätte gewähren müssen; denn es stand in seinem freien Ermessen, ihm zu geben, wieviel er wollte. Warum er ihn aber nicht mit der Kraft der Beharrlichkeit (perseverantiae virtute) unterstützt hat, das ist in seinem Ratschluß verborgen — unsere Aufgabe ist, in Nüchternheit klug zu sein! Der Mensch besaß eben das Können, wenn er wollte, aber nicht das Wollen, um zu können — denn solchem Wollen wäre die Beharrlichkeit gefolgt (Augustin, Von Züchtigung und Gnade, 11,32). Entschuldbar ist er trotzdem nicht; denn er hatte so viel empfangen, daß er sich das Verderben aus freien Stücken zuzog. Aber für Gott gab es kein Gesetz, ihm einen anderen als solchen in der Mitte stehenden, wan delbaren Willen zu geben; er wollte selbst aus seinem Fall einen Anlaß nehmen, seine Herrlichkeit zu erzeigen.



Sechzehntes Kapitel: Gott erhält und schützt die von ihm erschaffene Welt und regiert sie bis ins einzelne mit seiner Vorsehung.

I,16,1

Gott zu einem Schöpfer für den Augenblick zu machen, der sein Werk ein für allemal hinter sich gebracht hätte, wäre eine kalte und unfruchtbare Sache; und wir sollen uns gerade darin von den Weltmenschen unterscheiden, daß uns die Gegen wart der Kraft Gottes im fortdauernden Bestehen der Welt ebenso hell entgegen leuchtet, wie in ihrem Ursprung. Gewiss zwingt der Anblick von Himmel und Erde auch die Gottlosen, ihre Seele zum Schöpfer zu erheben. Aber der Glaube hat doch seine eigene Art, Gott den ungeteilten Lobpreis für die Schöpfung darzubringen. Dazu gehört das Apostelwort, das wir oben anführten, nur im Glauben erkenn ten wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig geworden sei (Hebr. 11,3). Denn wir begreifen erst dann, was es heißt, daß Gott der Schöpfer ist, wenn wir auch seine Vorsehung mit erfassen, mögen wir sonst auch den Anschein erwecken, es im Ge müt zu verstehen und mit der Zunge zu bekennen. Der Sinn des Fleisches bleibt, wenn er sich einmal Gottes Kraft in der Schöpfung vorgestellt hat, dabei stehen; geht er sehr weit, so erwägt und betrachtet er höchstens die Weisheit, Macht und Güte des Meisters, der solch herrliches Werk geschaffen hat – denn das zeigt sich ja alles von selbst und drängt sich auch dem Widerstrebenden auf! Aber in der Erhaltung und Leitung dieses Werkes sieht er bloß eine allgemeine Kraft wirk sam, von der die Bewegung ausgeht. Schließlich meint er (der Sinn des Fleisches), zur Erhaltung aller Dinge genüge die Kraft, die Gott der Welt im Anfang mitge geben hat. Der Glaube dagegen muß höher dringen; denn er soll wissen: der, den er als den Schöpfer aller Dinge kennen gelernt hat, der ist auch ihr ständiger Lenker und Erhalter, und zwar geschieht diese Erhaltung nicht dadurch, daß er das ganze Weltgebäu wie auch seine einzelnen Teile bloß allgemein in Bewegung erhält; nein, er trägt, nährt und umsorgt in besonderer Vorsehung jedes einzel ne, das er geschaffen hat, bis zum geringsten Sperling. So hören wir es bei David: gerade hat er kurz ausgesprochen, daß die Welt von Gott geschaffen sei, da kommt er sogleich auf den fortwährenden Gang seiner Vorsehung zu sprechen. „Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht, und all sein Heer durch den Geist sei nes Mundes“ (Ps. 33,6), heißt es zunächst, und dann fügt er bald noch hinzu: „Der Herr schauet … auf aller Menschen Kinder …“ (Ps. 33,13); auch die weiteren Verse haben den gleichen Sinn. Es wäre, obwohl hier nicht alle vernünftig nachdenken, doch völlig undenkbar, daß Gott alle menschlichen Geschicke lenke, wenn er nicht der Schöpfer der Welt wäre. Und anderseits kann niemand im Ernste glauben, daß die Welt von Gott gemacht ist, ohne zugleich überzeugt zu sein, daß Gott für seine Geschöpfe sorgt. Eben deshalb ist es in bester Ordnung, wenn David uns beides nacheinander zeigt. Im allgemeinen lehren auch die Philosophen und begreift es der Menschengeist, daß alle Teile der Welt gewissermaßen durch eine geheime Einge bung Gottes Bestand haben. Indessen vermögen sie nicht zu der Höhe vorzudringen, zu der David gelangt und zu der er alle Frommen mit hinaufführt: „Es wartet alles auf dich, Herr, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit; du gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt; verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub; du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du er neuerst die Gestalt der Erde“ (Ps. 104,27ff.). Mögen die Philosophen auch dem Satz des Paulus zustimmen: „in ihm leben, weben und sind wir“ (Apg. 17,28), so sind sie doch weit entfernt vom lebendigen Empfinden der Gnade, die er preist, weil sie Gottes besondere Fürsorge, aus der doch seine väterliche Huld zu erkennen ist, gar nicht schmecken.



I,16,2

Damit dieser Gegensatz noch deutlicher werde, müssen wir wissen, daß Gottes Vorsehung, wie sie in der Schrift gelehrt wird, im Gegensatz zu jedem Gedanken an „Glück“ und „Zufall“ steht. Man hat zwar schon zu allen Zeiten allgemein ge wähnt, und auch heutzutage herrscht fast unter allen Sterblichen die Meinung, es geschehe alles „zufällig“. Aber durch eine derartige verkehrte Meinung wird ganz gewiss das, was man von der Vorsehung wissen muß, vernebelt und fast gar begra ben. Da fällt einer unter die Räuber oder in die Gewalt wilder Tiere, da führt ein plötzlicher Sturm zum Schiffbruch auf dem Meer, da wird einer unter den Trüm mern eines Hauses oder unter einem umbrechenden Baum erschlagen, – da findet ein anderer, der durch die Wüste geirrt, doch noch etwas, um seinen Hunger zu stillen, oder ein Schiffbrüchiger erreicht den Hafen, oder es entgeht einer um Fingersbreite wunderbar dem Tode: all diese glücklichen oder unglücklichen Ereig nisse schiebt die Vernunft des Fleisches dem Zufall zu! Wer aber aus Christi Mund gelehrt ist, daß auch die Haare auf unserem Haupte alle gezählt sind, der sieht den Grund tiefer und hält daran fest, daß alles Geschehen durch Gottes verborgenen Rat regiert wird! Bei den leblosen Dingen müssen wir uns das so vorstellen: jedes hat gewiss von Natur seine Eigenart in sich; aber keines kann seine Kraft wirken lassen, wenn es nicht durch Gottes gegenwärtige Hand gelenkt wird. Sie sind also nichts anderes als Werkzeuge, denen Gott mit Bedacht soviel Kraft bescheidet, wie er will, und die er nach seinem Ermessen zu dieser oder jener Wirksamkeit lenkt und leitet. So hat kein Geschöpf eine wundersamere und herrlichere Kraft als die Sonne. Ab gesehen noch davon, daß sie den ganzen Erdkreis mit ihrem Glanz erhellt: wie großartig ist es doch, daß sie mit ihrer Wärme alles Lebendige erhält und belebt, mit ihren Strahlen die Erde fruchtbar macht, den Samen im Schoß der Erde erwärmt, dann das Grün aus ihm hervorlockt, ihn mit neuer Nahrung erquickt, nährt und stärkt, bis er zum Halm erwächst, ihn weiterhin immerzu mit Tau speist, bis er zur Blüte und dann zur Frucht wird, diese dann wieder unter ihrer Hitze reifen läßt – daß die Bäume und Weinstöcke unter ihrer Wärme knospen und Laub tragen, blühen und Frucht bringen! Aber der Herr hat, damit ihm allein der rechte Lobpreis für das alles zukomme, dafür gesorgt, daß zuerst das Licht da war und die Erde mit aller Art von Kräutern und Früchten erfüllt wurde – bevor er die Sonne schuf! (Gen. 1,3.11). Deshalb soll der Fromme die Sonne nicht zur Hauptursache oder zum notwendigen Grunde von Dingen machen, die doch schon vor ihrer Erschaffung da waren, sondern er soll sie bloß als Werkzeug ansehen, das Gott braucht, weil er es so will! Denn er kann ja ebenso leicht ohne sie, rein aus sich selber handeln! Und wenn wir lesen, die Sonne habe auf Josuas Gebet hin zwei Tage stillgestan den (Jos. 10,13), oder ihr Schatten sei dem König Hiskia zugute zehn Grade rück wärtsgegangen (2. Kön. 20,11), so hat Gott durch diese wenigen Wunder bezeugt: die Sonne geht nicht in blindem Naturtrieb alle Tage auf und unter; nein, er lenkt ihren Lauf, um die Erinnerung an seine väterliche Huld gegen uns immer wie der zu erneuern! Nichts Natürlicheres gibt es, als daß dem Winter der Frühling, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Herbst folgt. Aber in dieser Auf einanderfolge besteht eine derartige Verschiedenheit und Ungleichheit, daß daraus leicht deutlich wird, daß die einzelnen Jahre, Monate und Tage je in neuer, beson derer Vorsehung Gottes geordnet und regiert werden.

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I,16,3

So will sich Gott fürwahr die Allmacht zueignen und sie von uns anerkannt wissen. Das ist freilich nicht jene leere, müßige und fast schlummernde „Allmacht“, die sich die Sophisten erdacht haben, sondern sie ist wachsam, tätig und wirksam und stets im Handeln begriffen. Sie ist auch nicht etwa bloß der allgemeine Beginn einer verworrenen Bewegung, als wenn er einen Fluss innerhalb der einmal festgesetzten Ufer dahinfließen ließe; sondern sie wirkt auf die einzelnen und besonderen Be wegungen allesamt. Er heißt allmächtig, nicht weil er zwar alles vermöchte, aber doch zwischendurch zuweilen ruhte oder aufhörte oder den einmal festgelegten Na turlauf (naturae ordo) auf Grund des allgemeinen Antriebs, den er ihm verliehen, nun weiterwirken ließe. Nein, er heißt deshalb allmächtig, weil er Himmel und Erde mit seiner Vorsehung lenkt und alles so einrichtet, daß nichts ohne seinen Willen geschieht. Denn wenn es im Psalm heißt: „Er kann machen, was er will“ (Ps. 115,3), so wird damit sein Wille als fest und wohlüberlegt bezeichnet. Es wäre nämlich töricht, wenn man nach der Weise der Philosophen dieses Prophetenwort dahin auslegen wollte, Gott sei der Erstantrieb (primum agens), da er ja Anfang und Ursache aller Bewegung ist. Vielmehr freuen sich doch die Gläubigen im Unglück in der tröstlichen Gewissheit, daß ihnen nichts widerfährt ohne Gottes Anordnung und Befehl, weil sie ja in seiner Hand sind. Erstreckt sich also Gottes Leitung auf alle seine Werke, so ist es kindisches Geschwätz, sie in den Lauf der Natur einzu schließen. Denn wer Gottes Vorsehung in so enge Grenzen hineinzwängen will, als ob er alles nach seinem freien Lauf dem stetigen Gesetz der Natur (naturae lex) überließe, der beraubt Gott seiner Ehre und ebenso sehr sich selbst einer sehr nütz lichen Einsicht; denn nichts wäre jämmerlicher als der Mensch, wenn er einfach allen Bewegungen des Himmels, der Luft, der Erde und des Wassers ausgesetzt wäre! Außerdem würde ja auf diese Weise die besondere Güte Gottes gegen jeden einzelnen aufs unwürdigste verkleinert! Ruft doch David aus, selbst die jungen Kinder, die noch an der Mutter Brust hängen, seien wohl fähig, Gottes Ruhm zu verherrlichen (Ps. 8,3); denn wenn sie kaum der Mutter Leib verlassen haben, so finden sie ja schon die Nahrung, die ihnen himmlische Fürsorge bereitet hat! Es ist doch ganz allgemein wahr, nur müssen wir auch nicht mit unseren Augen und Sinnen an dem vorbeigehen, was doch die Erfahrung deutlich zeigt: die eine Mutter kann ihr Kind lein reichlich nähren, die andere weniger, je nachdem Gott das eine Kindlein kräftig, das andere bescheidener mit Nahrung versehen will.

Wer nun Gottes Allmacht das ihr zukommende Lob zollt, der hat einen doppel ten Segen davon: Erstens erkennt er, daß Gott unerschöpflich wohlzutun ver mag, da er ja Himmel und Erde in Besitz hat und da alle Geschöpfe auf seinen Wink schauen, um ihm Gehorsam zu leisten. Zweitens erfährt er, daß man in seinem Schutze sicher ruhen kann; denn seinem Willen ist ja alles unterworfen, was sonst als schädlich zu fürchten wäre; sein Befehl hält den Satan mit all seinem Heer und all seiner List wie an einem Zügel in der Gewalt, und von seinem Wink hängt auch ab, was unserem Heil zuwider ist! Nur dadurch kann die maßlose und aber gläubische Angst, die wir zuweilen gegenüber Gefahren empfinden, gemäßigt und ge stillt werden. Ich sagte, es sei abergläubisch, wenn wir Angst haben, wenn wir, so oft uns Geschöpfe bedrohen oder Furcht einflößen, alsbald erschrecken, als ob sie aus sich selber Kraft oder Macht hätten, uns zu schaden, oder von selbst oder aus Zu fall uns verletzen könnten, oder als ob gegen ihre Anfeindungen nicht Hilfe genug bei Gott wäre! So gebietet zum Beispiel der Prophet, die Kinder Gottes sollten sich nicht vor den Sternen und den Zeichen am Himmel fürchten, wie das die Ungläu­bigen tun (Jer. 10,2). Damit verdammt er gewiss nicht etwa jede Furcht. Aber wenn die Ungläubigen die Leitung der Welt Gott nehmen und den Gestirnen bei legen und sich einbilden, ihr Glück und Unglück hänge von Bestimmung oder Vor bedeutung der Gestirne und nicht von Gottes Willen ab, dann wird eben ihre Furcht von dem Einen, auf den sie schauen sollten, zu den Sternen und Kometen ab gelenkt, wer sich vor solchem Unglauben hüten will, der soll sich stets vorhalten, daß die Geschöpfe keinerlei ungeordnete Macht, Wirksamkeit oder Bewegung in sich tragen, sondern daß sie aus Gottes geheimem Rat so regiert werden, daß nichts ge schieht, was nicht nach seinem Wissen und Willen beschlossen wäre.



I,16,4

Vorsehung – das muß der Leser festhalten – bedeutet also nicht, daß Gott müßig im Himmel betrachtete, was auf Erden vor sich geht, sondern im Gegenteil, daß er gewissermaßen das Ruder hält und also alle Ereignisse lenkt. Sie bezieht sich also auf die Hand Gottes nicht weniger als auf sein Auge, wenn Abraham zu sei nem Sohne sagte: „Gott wird’s versehen“ (Gen. 22,8), so wollte er damit nicht nur behaupten, Gott sähe zukünftige Geschehnisse voraus, sondern er wollte vielmehr die Sorge um die ungewisse Zukunft auf den Willen dessen werfen, der stets ver wickelten und verworrenen Dingen einen Ausgang zu geben weiß. Daraus folgt, daß die Vorsehung Gottes in seinem Wirken besteht, und deshalb ist es unklug, wenn einige von einem bloßen Vorherwissen Gottes schwatzen. Nicht gar so grob ist der Irrtum derer, die Gott zwar die Regierung zuschreiben, aber eine (mit den „anderen“ Mächten) durcheinandergebrachte und verworrene, wie ich schon er wähnt habe. Danach würde er zwar das Weltgebäude mit allen seinen Teilen in allgemeiner Bewegung lenken und treiben, aber nicht etwa die Wirksamkeit jeder einzelnen Kreatur besonders regieren. Nichtsdestoweniger ist auch dieser Irrtum un­tragbar; denn man erklärt, diese Vorsehung, die man „allgemein“ nennt, hindere kei neswegs die Geschöpfe in ihrer zufälligen Bewegung und auch nicht den Menschen, sich in freiem Willensentscheid da- oder dorthin zu wenden. Auf diese Weise teilt man zwischen Gott und dem Menschen. Gott soll dem Menschen durch seine Kraft die Bewegung verleihen, vermöge deren dieser dann nach der Beschaffenheit der ihm innewohnenden Natur tätig sein könnte – der Mensch aber könnte seine Hand lungen nach seinem freien Entschluss bestimmen! Man meint also kurz, die Welt, das Geschick des Menschen und der Mensch selbst würden zwar durch Gottes Macht, nicht aber durch seine Bestimmung regiert! Da übergehe ich die Epikuräer – von dieser Pest war die Welt je und je erfüllt! -, die sich einen müßigen und faulen Gott erträumen, auch andere, die keineswegs vernünftiger waren, die einst meinten, Gott beherrsche nur die mittlere Luftregion und überließe dabei das darunter vorgehende dem Schicksal – denn gegen einen derart offenkundigen Wahnsinn erheben schon die stummen Geschöpfe genugsam Einspruch!

Ich will nämlich hier die ganz allgemein verbreitete Meinung widerlegen, die Gott irgendeine sozusagen verworrene Bewegkraft zuschreibt und ihm dadurch das Wesentlichste raubt, nämlich daß er alles in seiner unausforschlichen Weisheit zu seinem Zweck lenkt und leitet. Diese Meinung macht Gott bloß den Worten nach, nicht aber tatsächlich zum Regierer der Welt; denn sie nimmt ihm ja gerade die ei­gentliche Leitung! Was soll denn Regieren eigentlich anders heißen, als daß man einer Sache so vorsteht, daß man auch in bestimmter Ordnung lenkt, was man be herrscht? Die Redewendung von der „allgemeinen“ Vorsehung will ich trotzdem nicht ganz ablehnen; nur muß man mir dann anderseits zugestehen, die Welt werde von Gott gelenkt, insofern er nicht nur die von ihm der Natur gesetzte Ordnung auf rechterhält, sondern auch die besondere Fürsorge für jedes einzelne seiner Werke aus übt! Denn es ist schon wahr, daß die einzelnen Gattungen sich aus verborgenem Na turtrieb (arcano naturae instinctu) bewegen, als ob sie einem ewigen Befehl Gottes gehorchten und als ob nun von selbst abliefe, was Gott einmal geordnet hat. Dahin kann man auch deuten, daß Christus bezeugt, er und der Vater seien vom Anfang an immerdar am Werke (Joh. 5,17), daß Paulus lehrt: „In ihm leben, weben und sind wir“ (Apg. 17,28), oder daß der Verfasser des Hebräerbriefs, um Christi Gottheit zu beweisen, sagt, durch sein mächtiges Wort werde alles erhalten (Hebr. 1,3). Aber es ist völlig verkehrt, wenn man unter diesem Vorwande die „besondere“ Vorsehung verdunkeln will, die doch von so gewissen und klaren Schriftzeugnissen behauptet wird, daß man sich wundern muß, daß daran überhaupt jemand hat zweifeln können. Tatsächlich müssen ja auch solche, die jene Decke vorhängen, zur Richtigstellung ihres Irrtums selbst hinzufügen, es geschehe vieles aus besonderer Fürsorge Gottes heraus; aber das beschränken sie verkehrterweise bloß auf einzelne Akte. Wir wollen also festhalten: Gottes Walten geschieht so, daß er alle einzelnen Geschehnisse lenkt, und so kommt alles aus seinem bestimmten Ratschluss; es geschieht also nichts aus „Zufall“!



I,16,5

Geben wir zu, der Anfang der Bewegung liege bei Gott, danach aber werde alles vom Zufall gelenkt, wohin die natürliche Neigung es treibt, so ist ja der Wechsel von Tag und Nacht, Winter und Sommer Gottes Werk, sofern er ihnen Lauf und Aufgabe angewiesen und ihnen ein bestimmtes Gesetz gegeben hat. Das träfe jeden falls zu, wenn alles in gleichem Ablauf immer die gleiche Ordnung hielte: die Tage in ihrer Aufeinanderfolge mit den Nächten, die Monate mit den Monaten, und die Jahre mit den Jahren. Wenn aber bald unmäßige Hitze und Dürre alle Frucht ver brennt, bald unzeitige Regengüsse die Saaten verderben, wenn Hagel und Sturm plötzliche Katastrophen hervorrufen, dann wäre das nicht Gottes Werk – oder doch nur insofern, als Wolken und heiterer Himmel, Kälte und Hitze aus der Stellung und dem Lauf der Gestirne oder aus anderen natürlichen Ursachen ihren Ursprung herleiten. Aber auf solche Weise bleibt weder für Gottes väterliche Huld, noch für seine Gerichte Raum. Sagt man, Gott erweise dem Menschengeschlecht doch schon da durch genugsam seine Güte, daß er Himmel und Erde die geordnete Kraft eingebe, um die Nahrungsmittel hervorzubringen, so ist das ein nichtiger und gottferner Wahn – als ob die Fruchtbarkeit eines Jahres nicht Gottes besonderer Segen, der Mangel und der Hunger nicht sein Fluch und seine Vergeltung wäre! Aber es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen; es soll uns darum Gottes eigene Autorität genügen. Im Gesetz und in den Propheten verkündet er öfters, wenn er mit Tau und Regen die Erde netze, so bezeuge er dadurch seine Gnade, wenn ander seits der Himmel auf seinen Befehl wie Eisen erstarre, wenn Rost und andere Schä den die Saaten verzehrten, wenn Hagel und Sturm die Felder verwüsteten, so sei das ein Zeichen seiner gewissen, besonderen Vergeltung. Wenn wir das annehmen, so ist uns klar, daß nicht ein Regentropfen ohne Gottes gewissen Befehl hernieder fällt. So lobt David Gottes „allgemeine“ Vorsehung, daß er den jungen Raben Speise gebe, die ihn anrufen (Ps. 147,9). Aber wenn Gott anderseits selbst den Tieren mit Hunger droht, erklärt er dann nicht genugsam, daß er bald in gerin gerem, bald in reichlicherem Maße, je nach seinem Wohlgefallen, alles Lebendige versorgt und nährt; es ist, wie ich schon sagte, kindisch, wenn man das auf einzelne Akte einschränken will; Christus selber sagt ja ohne Ausnahme, nicht einmal ein wertloser Sperling falle zur Erde ohne des Vaters Willen (Matth. 10,29). Wahr lich, wenn Gott den Flug der Vögel mit bestimmtem Ratschluss lenkt, so müssen wir mit dem Propheten bekennen: „Wer ist wie der Herr, unser Gott, der sich so hoch gesetzt hat und auf das Niedrige sieht im Himmel und auf Erden?“ (Ps. 113,5f.).

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I,16,6

Aber wir wissen, daß die Welt vornehmlich um des Menschengeschlechts willen ge schaffen worden ist: diesen Zweck müssen wir auch im Auge behalten, wenn wir über die Weltregierung nachdenken. Der Prophet Jeremia ruft aus: „Ich weiß, Herr, daß des Menschen Tun steht nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemandes Macht, wie er … seinen Gang richte.“ (Jer. 10,23). Und Salomo sagt: „Jedermanns Gänge kommen von dem Herrn; welcher Mensch versteht seinen Weg?“ (Spr. 20,24). Nun soll man hingehen und sagen, der Mensch werde zwar von Gott bewegt gemäß der Neigung seiner Natur, aber er lenke diese Bewegung, wohin er selbst wolle! Wäre das recht geredet, so stände dem Menschen die Entscheidung über seine Wege zu! Dies wird man vielleicht verneinen, weil ja der Mensch nichts ohne Gottes Macht ausrichten könne. Aber der Prophet und Salomo legen Gott ja nicht nur die Macht, sondern auch die Entscheidung und Bestimmung bei, und deshalb hilft jener Einwand nichts. Auch noch an anderer Stelle straft Salomo feinsinnig diese Vermessenheit des Menschen, der sich ohne Rücksicht auf Gott ein Ziel vorsetzt,als ob er nicht von seiner Hand geführt würde: „Der Mensch setzt sich’s wohl vor im Herzen, aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll“ (Spr. 16,1). Es ist gewiss eine lächerliche Torheit, wenn elende Menschen ohne Gott handeln wollen, die doch nicht einmal reden können ohne seinen Willen!

Um ferner noch deutlicher auszudrücken, daß nichts in der Welt ohne seine Bestimmung geschieht, zeigt die Schrift, daß ihm gerade das unter worfen ist, was ganz zufällig scheint. Was wird man mehr dem Zufall zu rechnen, als wenn ein Ast vom Baume bricht und dabei einen vorübergehenden Wanderer erschlägt? Aber der Herr sagt ganz im Gegenteil, er habe ihn in die Hand dessen fallen lassen, der ihn töte (Ex. 21,13). Wer wird nicht den Loswurf dem blin den Glück zuschreiben? Aber auch das leidet der Herr nicht, der sich auch darüber die Entscheidung vorbehalten hat. Denn er lehrt nicht bloß, es geschehe durch seine Macht, daß die Lossteinchen in den Schoß geworfen und wieder herausgezogen wür den, nein, gerade das, was man doch fast allein dem Glück zuschreiben möchte, ist nach seinem Zeugnis von ihm her! (Spr. 16,33). Dahin gehört auch das Wort des Salomo: „Arme und Reiche begegnen einander, beider Augen erleuchtet der Herr“ (Spr. 29,13). Denn es sind in der Welt die Reichen unter die Armen gemischt, weil ja von Gott her jedem seine Stellung zugewiesen wird; und deshalb erinnert Salomo daran, daß Gott, der ihnen allen das Licht gebe, nicht etwa selbst sein Auge ver schließe, und er ermahnt auf diese Weise die Armen zur Geduld, weil die, welche mit ihrem Los unzufrieden sind, die ihnen von Gott auferlegte Last abzuschütteln suchen. So macht auch ein anderer Prophet den weltlich gesinnten Menschen Vor würfe, weil sie es der Arbeit der Menschen oder dem Glück zuschreiben, daß die einen im Staube liegen, die anderen zu Ehren kommen: „Nicht vom Aufgang, noch vom Untergang, noch von der Wüste kommt Erhöhung, denn Gott ist der Richter, ernie drigt und erhöht“ (Ps. 75,7f.; nicht Luthertext). Denn Gott kann das Richteramt nicht von sich legen, und daraus wird hier der Schluss gezogen, es geschehe aus sei nem verborgenen Ratschluss, daß die einen große Leute werden, die anderen in verachteter Lage bleiben müssen.



I,16,7

Auch die einzelnen Ereignisse sind ganz allgemein Zeugnisse der „besonderen“ Vorsehung Gottes. Gott erweckte in der Wüste einen Ostwind, der dem Volke eine Menge Vögel zutrieb (Ex. 16,13). Als er den Jona ins Meer werfen wollte, da ließ er einen gewaltigen Sturmwind kommen (Jon. 1,4). Da werden nun die, welche nicht glauben, daß Gott die Weltregierung in seiner Hand habe, sagen, das sei eben außerhalb des gewöhnlichen Verlaufs vor sich gegangen. Ich dagegen ziehe daraus den Schluss, daß überhaupt nie ein Wind aufkommt oder losbricht ohne Gottes be sonderen Befehl. Wenn er nicht Wolken und Winde nach seinem Wohlgefallen lenkte und an ihnen die besondere Gegenwärtigkeit seiner Kraft erwiese, dann wäre auch das Wort nicht wahr, er mache die Winde zu seinen Boten und Feuerflammen zu seinen Dienern, Wolken zu seinem Gefährt, und reite auf den Flügeln des Windes (Ps. 104,4). So empfangen wir auch an anderer Stelle die Lehre: wenn immer das Meer vom Brausen des Sturmwinds sich aufwühlt (Ps. 107,25.29), so bezeugt solches Ungestüm Gottes besondere Gegenwart. Er gebietet dem Wind, er erregt den Sturm und erhebt dir Wogen des Meeres, dann läßt er den Sturmwind stillestehen, so daß sich die Wellen legen. Auch an anderer Stelle hören wir, er habe das Volk mit brennenden Winden gegeißelt (Am. 4,9). Die Menschen haben gewiss von Na tur die Fähigkeit in sich, Kinder zu zeugen; aber trotzdem will es Gott als Zeichen seiner besonderen Gnade angesehen haben, daß er die einen kinderlos läßt, die an deren mit Nachkommen segnet; denn Leibesfrucht ist eine Gabe Gottes (Ps. 127,3). So sagt ja auch Jakob zu seinem Weibe: „Bin ich etwa Gott, daß ich dir Kinder gebe?“ (Gen. 30,2). Und um dies abzuschließen: Nichts gilt in der Welt als natür licher, als daß wir mit Brot ernährt werden. Und doch sagt der Geist, nicht nur das Erzeugnis der Erde sei ein besonderes Geschenk Gottes, sondern auch: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Deut. 8,3); denn es nährt uns nicht die Sättigung selbst, sondern der verborgene Segen Gottes. So droht er ja auch anderseits, er werde des Brotes Nahrungskraft brechen (Jes. 3,1). Und die Bitte um das tägliche Brot könnte doch gar nicht ernst genommen werden, wenn uns nicht Gott mit väter licher Hand die Speise darreichte! Deshalb sagt auch der Prophet, um die Gläubi gen zu überzeugen, daß sich Gott bei ihrer Ernährung als der beste Hausvater er weise, er gebe allem Fleische seine Nahrung (Ps. 136,25). Schließlich: wir hören auf der einen Seite: „Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten, und seine Ohren auf ihr Schreien“ (Ps. 34,16), und dann auf der anderen: „Das Antlitz aber des Herrn steht wider die, so Böses tun, daß er ihr Gedächtnis ausrotte von der Erde“ (Ps. 34,17). Daraus sollen wir erkennen, daß alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden ihm zum Dienste bereit sind, daß er sie braucht, wozu er will! Und dar aus ergibt sich, daß nicht nur seine „allgemeine“ Vorsehung an der Kreatur wirk sam ist, so daß er die Ordnung der Natur (ordo naturae) aufrechterhält, sondern daß die Kreatur nach Gottes wunderbaren Rat einem bestimmten und besonderen Zwecke dienstbar gemacht wird.



I,16,8

Wer nun diese Lehre verhasst machen will, der lästert, sie sei eine Lehrmeinung der Stoiker (dogma Stoicorum), sie sei nichts anderes als die Lehre vom Schick sal (fatum). Das ist einst schon dem Augustin vorgeworfen worden (Buch gegen zwei Briefe der Pelagianer, an Bonifacius, II,6). Obwohl ich nicht gern um Worte streite, so will ich doch den Ausdruck „Schicksal“ (fatum) nicht übernehmen; denn er gehört einerseits zu dem, was uns Paulus als „ungeistliches, loses Geschwätz“ (1. Tim. 6,20) meiden lehrt, und anderseits versucht man mit seiner Hilfe Gottes Wahrheit in ein schlechtes Licht zu stellen. Die Lehrmeinung (vom fatum) aber wirft man uns ganz fälschlich und in Bosheit vor! Denn wir reden nicht mit den Stoikern von der „Notwendigkeit“, die aus der stetigen Verflochtenheit der Ursachen (ex perpetuo causarum nexu) kommt und in einer festen Verbindung besteht, wie sie in der Natur enthalten ist. Wir reden im Gegenteil von Gott: der ist der Herrscher und Walter über alles, der hat in seiner Weisheit seit aller Ewigkeit festgelegt, was er tun will, und führt es nun in seiner Macht aus. Des halb behaupten wir auch, daß seine Vorsehung nicht nur Himmel und Erde und die leblosen Dinge, sondern auch der Menschen Anschläge und Willen regiere, so daß sich alles nach dem von ihr bestimmten Ziele richten muß. Wieso nun, wird man fragen, geschieht wirklich nichts von ungefähr, wirklich nichts aus Zufall? Ich antworte dar auf: Basilius der Große hat mit Recht gesagt, „Glück“ und „Zufall“ seien heid nische Ausdrücke, mit deren Inhalt gottesfürchtige Leute nichts zu tun haben sollen. Denn wenn jeder Erfolg Gottes Segnung ist, jede Not und Widerwärtigkeit sein Fluch, dann bleibt jedenfalls hinsichtlich der menschlichen Geschicke für „Glück“ oder „Zufall“ kein Raum. Auch muß die Ausführung des Augustinus beherzigt wer den: „Es verdrießt mich, daß ich in den Büchern gegen die Akademiker so oft den Ausdruck ‚Glück’ gebraucht habe, obwohl ich darunter nicht eine Göttin, sondern den zufälligen Ausgang der Dinge im äußeren Geschehen gemeint habe, er sei gut oder böse. Daher kommen denn auch jene Ausdrücke: ‚vielleicht, etwa, möglicherweise, wohl, zufällig’, die keine Religion zu brauchen verbietet. Und dabei muß doch alles ganz auf die göttliche Vorsehung bezogen werden. Das habe ich auch nicht verschwiegen, denn ich sagte ja vielleicht werde das, was man gemeinhin ‚Glück’ nennt, auch nach verborgener Ordnung gelenkt; und wir bezeichnen ja im Geschehen allgemein das als ‘Zufall’, dessen Grund und Ursache unbekannt ist. Das habe ich gesagt, aber es reut mich doch, den Ausdruck ‘Glück’ dabei angewandt zu haben; denn die Menschen haben, wie ich sehe, die üble Gewohnheit, da, wo man sagen müßte: ‘Gott hat es so gewollt’, tatsächlich zu sagen: ‘Das Glück hat es so gewollt’!“ (Retract. I,1). Auch lehrt Augustin durchweg, wenn man dem „Glück“ einen Einfluss verstatte, so sei die Welt dem blinden Zufall unterworfen. Nun lehrt er freilich zuvor an einer Stelle, es geschehe alles teils durch den freien Willen des Menschen, teils durch Gottes Vorsehung. Aber gleich darauf zeigt er dann doch, daß die Menschen der Vor sehung Untertan seien und von ihr regiert würden, und stellt dabei den Grundsatz auf, der größte Widersinn sei die Behauptung, es geschehe irgend etwas ohne Gottes Anordnung; denn dann geschähe es ja ohne jegliche Ursache. Aus diesem Grunde schließt er auch jene Zufälligkeit (contingentia), die vom freien Willen des Menschen abhinge, aus, und sagt dann recht klar, man solle keinen Grund für Gottes Willen suchen. Oft erwähnt er zwar auch die „Zulassung“ (permissio); aber was dar unter verstanden werden soll, wird aus einer Stelle ganz deutlich, wo er nämlich sagt, Gottes Wille sei der oberste und erste Grund für alles, nur auf seine Anord nung oder Zulassung geschehe etwas (Verschiedene Fragen, 83; Von der Dreieinig keit, III,4). Er denkt sich keinen Gott, der, wenn er etwas zulassen will, müßig und zögernd zuschaute; nein, es ist auch dabei sozusagen sein tätiger Wille (actualis voluntas) wirksam! Sonst konnte dieser ja gar nicht als Grund bezeichnet werden!

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I,16,9

Aber unser Geist erreicht in seiner Schwerfälligkeit die Höhe der Vorsehung Gottes nicht von ferne; und deshalb muß zu seiner Unterstützung eine Unterscheidung angewandt werden. Ich will mich also folgendermaßen ausdrücken: Obgleich alles durch Gottes Ratschluss in fest bestimmter Regelung geordnet ist, ist es doch für uns „zufällig“. Das bedeutet nicht, daß wir meinten, Welt und Menschen ständen unter der Herrschaft des Glücks und es rolle alles im Himmel und auf Erden zufällig ab – denn ein solcher Wahnwitz muß dem Herzen eines Christenmenschen fernbleiben! Aber weil die Ordnung, die Ursache, der Zweck und die Notwendigkeit der Ereignisse von der menschlichen Erkenntnis nicht begriffen werden, da sie größten teils in Gottes Ratschluss verborgen sind, so ist das, was tatsächlich ganz gewiss aus Gottes Willen kommt, für uns gewissermaßen zufällig! Es ergibt sich kein anderes Bild, ob wir das alles hinsichtlich seiner eigenen Natur ansehen oder auch nach un serem Verstehen und Urteilen betrachten. Stellen wir uns zum Beispiel einen Kauf mann vor, der in Begleitung zuverlässiger Leute in einen Wald zieht, unvorsichtig von seinen Gefährten abkommt, auf seinem Irrwege in die Gewalt einer Räuberbande gerät und ermordet wird. Sein Tod war von Gottes Auge zuvor gesehen und auch durch seinen Ratschluss bestimmt. Denn es heißt nicht (nur), daß er eines jeden Menschen Lebenslänge vorher gesehen, sondern daß er Grenzen gesetzt und festgelegt habe, über die man nicht hinausgehen kann (Hiob 14,5). So weit aber unser Verstand reicht, scheint das alles zufällig. Was soll da der Christenmensch denken? Er wird gewiss das, was einen solchen Todesfall veranlaßte, seiner Natur nach, wie es das ja tatsächlich ist, als zufällig erkennen, aber er wird dennoch nicht zweifeln, daß Gottes Vorsehung dabei die Führung gehabt hat, um den „Zufall“ zu ihrem Zweck zu leiten! Genau so sind auch die Zufälligkeiten der Zukunft anzusehen. Denn alles Zukünftige ist uns ungewiss, und darum lassen wir es unbestimmt, als ob es sich zu beiden Seiten neigen könnte. Aber trotzdem haben wir die feste Gewissheit im Herzen, daß nichts eintreten kann, das nicht der Herr schon vorgesehen hat!

In diesem Sinne braucht auch der Prediger mehrmals das Wort „Ausgang“ (Ende?); denn die Menschen können auf den ersten Blick nicht auf die letzte Ursache dringen, weil diese fern und verborgen ist. Und doch ist das, was die Schrift über Gottes verborgene Vorsehung lehrt, niemals derart aus den Herzen der Menschen vertilgt worden, daß nicht mitten im Dunkel immer noch einige Fünklein geblieben wären. So schreiben die Wahrsager der Philister, obwohl sie im Zweifel hin und her schwanken, das Unglück teils Gott, teils dem Glück zu: „Wenn die Lade auf dem ei nen Wege geht, so wissen wir, daß es Gott ist, der uns das Übel getan hat, geht sie auf dem anderen, so ist es uns von ungefähr widerfahren“ (1. Sam. 6,9). Es ist gewiss töricht, daß sie, da ihnen die Weissagung fehlt, zum Zufall ihre Zuflucht nehmen; indessen merken wir doch, wie sie gezwungenermaßen nicht wagen, das ihnen widerfahrene Unglück für ganz zufällig zu halten. Übrigens können wir noch an ei nem ganz klaren Beispiel sehen, wie Gott mit dem Zügel seiner Vorsehung alle Er eignisse in der von ihm gewollten Weise lenkt: In dem nämlichen Zeitpunkt, wo David in der Wüste Maon überfallen wurde, brachen die Philister ins Land ein, und Saul mußte weichen! (1. Sam. 23,26f.). Da wollte Gott, um seinen Knecht zu erretten, dem Saul dieses Hindernis in den Weg legen – und so gewiss auch die Philister über alles Erwarten schnell zu den Waffen griffen, so können wir doch nicht sagen, das sei zufällig geschehen, sondern der Glaube wird anerkennen, daß das, was uns zufällig erscheint, tatsächlich Gottes geheimer Antrieb gewesen ist! Dieser Grundsatz tritt nicht immer so klar hervor; aber wir müssen doch festhalten, daß alle Veränderungen in der Welt als verborgene Wirkungen seiner Hand anzusehen sind. Was nun Gott beschlossen hat, das muß notwendig geschehen, auch wenn es an sich, aus seiner eigenen Natur heraus nicht notwendig ist. Ein bekanntes Beispiel haben wir an den Gebeinen Christi. Da er einen dem unseren gleichen Leib annahm, so wird kein vernünftiger Mensch bezweifeln, daß seine Gebeine zerbrechlich waren – und doch war es unmöglich, sie zu zerbrechen! (Joh. 19,33-36) Daraus können wir sehen, daß es nicht grundlos war, wenn man in der Schultheologie einen Unterschied zwischen bedingter (necessitas secundum quid) und absoluter Notwendigkeit (necessitas absoluta) gemacht oder dementsprechend zwischen solchen Geschehnissen, die sich bedingt notwendig (d.h. durch „Mittelursachen“ mitbestimmt) ergeben (necessitas consequentis), und solchen, die sich mit einer (auf Gottes Anordnung und Willen beruhenden) unbedingten Notwendigkeit (necessitas consequentiae) ereig nen, unterschieden hat. Denn Gott wollte nicht, daß die Gebeine seines Sohnes wirk lich zerbrochen wurden, hat sie aber doch (vermöge der Menschwerdung) der Zer brechlichkeit unterworfen; so hat er also etwas, das von Natur geschehen konnte, unter die Notwendigkeit seines Ratschlusses beschränkt!



Siebzehntes Kapitel: In welcher Richtung und unter welchem Gesichtspunkt diese Lehre anzuwenden sei, damit man ihres Segens gewiss werde.

I,17,1
Aber der Menschengeist ist zu leeren Spitzfindigkeiten geneigt, und deshalb müssen notwendig alle, die den guten, rechten Gebrauch dieser Lehre nicht erfassen, sich in verwirrte Knoten verstricken. Deshalb ist es gut, hier noch kurz zu berühren, zu welchem Zweck denn die Schrift lehrt, es werde alles von Gott angeordnet.

Zunächst ist da zu beachten, daß die Vorsehung Gottes auf die Zukunft wie auch auf die Vergangenheit bezogen werden muß. Ferner müssen wir bemerken, daß sie alle Dinge derart lenkt, daß sie bald unter Einschaltung von Mittelursachen, bald ohne solche, bald gegen alle Mittelursachen wirkt. Und endlich ist als Hauptgesichtspunkt anzusehen, daß Gott zeigen will, wie er für das ganze Menschengeschlecht sorgt, wie er aber besonders über der Regierung der Kirche wacht, die er seines näheren Anschauens würdigt. Zuzufügen ist noch das: Gewiss leuchtet aus dem ganzen Gange der Vorsehung entweder seine väterliche Huld und Wohltätigkeit oder auch der Ernst seines Gerichts oftmals deutlich auf; aber es sind dennoch die Gründe des Geschehens oft unbekannt, so daß die Meinung aufkommt, das menschliche Geschick würde durch den blinden Trieb der Natur gedreht und ge wendet, oder daß das Fleisch uns zur Einrede reizt, als ob Gott die Menschen wie Bälle daherwürfe und mit ihnen sein Spiel triebe. Aber es ist doch auch wahr, wenn wir mit ruhigem und gelassenem Herzen zum Lernen bereit wären, so würde uns aus dem Ausgang schon klar werden, wie Gott mit seinem Ratschluss stets den besten Weg einschlägt, um die Seinen zur Geduld zu erziehen, oder um ihre bösen Nei gungen zu bessern und ihre Geilheit zu zähmen, oder um sie zur Selbstverleugnung zu bringen, oder um sie aus dem Schlaf zu erwecken, andererseits aber auch, um die Übermütigen zu Boden zu werfen, die Lücke der Gottlosen zunichte zu machen und ihre Ränke zu zerstreuen. Und mögen uns auch trotzdem seine Gründe verborgen und fern sein, so dürfen wir sicher glauben, daß sie bei ihm verborgen sind, und des halb mit David ausrufen: „Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die du an uns beweisest, sind nicht zu begreifen, wenn ich versuche, sie auszureden, so übersteigen sie alles Erzählen (Ps. 40,6; nicht Luthertext). Denn ob gleich wir in Trübsalen immer unserer Sünden gedenken müssen, und obwohl die Strafe selbst uns zur Buße reizt, so sehen wir doch, wie Christus dem geheimen Ratschluss des Vaters ein noch größeres Recht zuschreibt als bloß, daß er jeden nach seinem Verdienst strafe. Denn er sagt von dem Blindgeborenen: „Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern damit Gottes Herrlichkeit an ihm offenbar werde!“ (Joh. 9,3). Da war das Unglück doch schon vor dem Tage der Geburt da, und das Gefühl sträubt sich, als ob Gott ohne Gnade Unschuldige so hart behandle. Aber Christus bezeugt, daß in diesem Ereignis die Herrlichkeit seines Vaters her vorleuchte, wenn wir nur klare Augen dazu hätten! Wir müssen eben an der Beschei denheit festhalten, die Gott nicht zur Rechenschaft zieht; wir sollen vielmehr seine verborgenen Ratschlüsse ehren, damit uns sein Wille der gerechteste Grund aller Dinge sei! Wenn dichte Wolken den Himmel bedecken und heftiger Sturm ausbricht, so sehen unsere Augen nur traurige Finsternis, unsere Ohren betäubt der Donner, und all unsere Sinne erstarren vor Schrecken; deshalb scheint uns alles zusammenzu brechen und durcheinanderzugeraten – aber unterdessen bleibt im Himmel stets die gleiche Ruhe und Heiterkeit! So sollen wir auch festhalten: wenn uns in der Welt das Durcheinander alles Urteilen unmöglich machen will, so leitet doch Gott mit dem reinen Lichte seiner Gerechtigkeit und Weisheit selbst alle diese Bewegungen in be­stimmter Ordnung und führt sie zum rechten Ziel. Es ist wahrlich eine merkwürdige
Sucht, wenn manche Leute mit so großer Selbstsicherheit Gottes Werke vor ihr Gericht fordern, seine geheimen Ratschläge nachrechnen und über unbekannte Dinge jählings ein Urteil abgeben, mehr, als sie es bei Taten von sterblichen Menschen tun würden! Denn was ist verkehrter, als unsersgleichen gegenüber lieber in Bescheiden heit mit unserem Urteil zurückzuhalten, als uns den Vorwurf der Übereilung zu­zuziehen, dagegen über Gottes verborgene Gerichte, die wir in Ehrfurcht betrachten sollten, frech abzuurteilen?



I,17,2

Es wird also niemand Gottes Vorsehung recht und mit Nutzen erwägen, der nicht bedenkt, daß er es mit seinem Schöpfer und dem Wirker der Welt zu tun hat, und sich ihm dementsprechend zu Furcht und Ehrerbietung in gebührender Demut unter wirft. Daß heutzutage so viele Hunde diese Lehre mit giftigen Bissen oder wenig stens mit ihrem Gebell angreifen, das kommt daher, daß sie Gott nicht mehr zuge­stehen wollen, als ihnen die eigene Vernunft gebietet. Auch uns bekämpfen sie mit aller ihnen zu Gebote stehenden Frechheit, weil wir mit den Vorschriften des Gesetzes nicht zufrieden wären, in denen doch Gottes Wille niedergelegt ist, sondern auch noch behaupteten, die Welt werde durch seine verborgenen Ratschlüsse regiert. Als ob diese Lehre ein Gebild unseres Hirns wäre, als ob der Heilige Geist das alles nicht überall deutlich zu erkennen gäbe und es mit unzähligen Umschreibungen immer wiederholte! Aber sie haben eine gewisse Scheu, ihre Lasterungen gegen den Himmel auszustoßen, und deshalb geben sie, um desto freier rasen zu können, vor, es handle sich um einen Streit mit uns! Aber wenn sie nicht zugeben, daß alles Geschehen in der Welt durch Gottes unbegreiflichen Ratschluss gelenkt werde, dann sollen sie doch Auskunft geben, weshalb denn die Schrift sagt, Gottes Gerichte seien ein tiefer Abgrund! (Ps. 36,7). Denn wenn Mose ausruft, der Wille Gottes sei nicht fern oben in den Wolken, er sei auch nicht im Abgrund zu suchen, weil er ja im Gesetz ver ständlich dargelegt sei (Deut. 30,11ff.), so folgt daraus: ein anderer, verborgener Wille wird mit dem Abgrunde verglichen! Davon redet ja auch Paulus, wenn er sagt: „O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes; wie unerforschlich sind seine Gerichte und wie unbegreiflich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Röm. 11,33f.). Es ist wahr: Gesetz und Evangelium enthalten Geheimnisse, die weit über unser Verstehen hinausgehen. Aber Gott erleuchtet das Herz der Seinen mit dem Geiste der Erkenntnis, um diese Geheimnisse zu fassen, die er in seinem Worte zu offenbaren für gut befunden hat; und darum ist hier kein Abgrund mehr, sondern ein Weg, auf dem man sicher gehen kann, und eine Leuchte für unseren Fuß, das Licht des Lebens, die Schule gewisser und deutlicher Wahrheit! Die wundersame Art der Weltregierung dagegen heißt mit Recht Abgrund; denn wir sollen sie in ihrer Ver borgenheit ehrerbietig anbeten. Beides drückt Mose sehr schön mit wenigen Worten aus: „Das Geheimnis steht bei unserem Gott; aber was hier geschrieben ist, das geht euch und eure Kinder an“ (Deut. 29,29; nicht Luthertext). Da befiehlt er, wie wir sehen, nicht nur, auf die Beobachtung des Gesetzes eifrig zu halten, sondern auch Gottes geheime Vorsehung in Ehrfurcht zu betrachten. Ein Lobpreis dieser Erhaben heit steht auch im Buche Hiob – und es ist demütigend für uns, was wir da hören! Nachdem der Verfasser das Weltgebäude droben und hienieden betrachtet und dabei großartig von den Werken Gottes geredet hat, fügt er am Ende hinzu: „Wahrlich, das ist der Umkreis seiner Wege, und wie gar wenig haben wir davon vernommen!“ (Hiob 26,14; nicht Luthertext). In diesem Sinne macht er an anderer Stelle auch einen Unterschied zwischen der Weisheit, die bei Gott wohnt, und der Art des Wei seseins, die er den Menschen geboten hat. Denn nach einer Rede über die Geheim­nisse der Natur sagt er, die Weisheit sei Gott allein bekannt, und sie entgehe den Augen aller Lebendigen (Hiob 28,21.23). Aber dann fügt er doch gleich hinzu, sie sei kundgetan, damit der Mensch sie erforsche; denn dem Menschen sei ja gesagt:Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit“ (Hiob 28,28). In dieser Richtung geht auch der Ausspruch Augustins: „Weil wir nicht alles wissen, was Gott in bester Ordnung an uns tut, so handeln wir bloß in gutem Willen nach dem Gesetz, und in allem übrigen werden wir nach dem Gesetz getrieben – denn seine Vorsehung ist ein unabänderliches Gesetz!“ (Verschiedene Fragen 83,27) Da Gott sich das Recht der Weltregierung, das uns nicht bekannt ist, selbst vorbehalten hat, so muß dies das Gesetz unserer Demut und Bescheidenheit sein, an seiner höchsten Befehlsgewalt zu hängen, damit sein Wille für uns die einzige Richtschnur der Gerechtigkeit und die gerechteste Ursache aller Dinge sei! Das ist aber nicht jener „absolute Wille“, von dem die Sophisten schwatzen, die in gottloser und unheiliger Zerspaltung seine Gerechtigkeit von seiner Macht trennen; sondern es ist die Vorsehung, die alle Dinge regiert, von welcher lauter Gutes kommt, so verborgen uns ihre Gründe auch sein mögen!

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I,17,3

Wem solche Bescheidenheit zuteil geworden ist, der wird weder um der Widerwär tigkeiten vergangener Zeiten willen gegen Gott murren, noch auch die Schuld für die Übeltaten auf ihn schieben, wie es Agamemnon bei Homer tut: „Ich bin dessen nicht schuld, sondern Zeus und das Schicksal!“ Er wird sich auch nicht wie jener Jüngling bei Plautus, wie vom Schicksal dahingerissen, verzweifelt ins Verderben stürzen: „Unbeständig ist das Los der Dinge, nach Willkür handelt das Schicksal am Menschen; ich will mich zum Felsen begeben, um mit meinem Leben der Sache ein Ende zu machen!“ Auch wird er nicht nach dem Beispiel eines anderen mit dem Na men Gottes seine Untaten beschönigen. So spricht es Lyconides in einer anderen Ko mödie (des Plautus) aus: „Gott war der Anstifter, ich glaube, die Götter haben es so gewollt; denn ich weiß: hätten sie es nicht gewollt, so wäre es nicht geschehen!“ Nein, er wird aus der Schrift forschen und lernen, was Gott gefällt, um unter Führung des Geistes danach sich auszustrecken; er wird zugleich bereit sein, Gott zu folgen, wohin er ihn ruft, und damit zeigen, daß nichts heilsamer ist, als diese Lehre zu kennen.

Gottlose Leute machen mit ihren Albernheiten einen Aufruhr, so daß sie sozu sagen beinahe Himmel und Erde durcheinander werfen: „Wenn der Herr doch den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt hat, so kann man ihm nicht entgehen, und alle Vorsichtsmaßnahmen sind vergebliche Mühe!“ Wenn also der eine einen Weg mei det, den er als gefährlich kennt, um nicht von Räubern umgebracht zu werden, – wenn der andere den Arzt holt und sich um Arzneien bemüht, um sein Leben zu er halten, – oder wenn wieder ein anderer sich schwererer Speisen enthält, um seine schwache Gesundheit zu schonen, – oder wenn einer Bedenken trägt, ein baufälliges Haus zu beziehen, – oder wenn wir alle miteinander Wege ersinnen und mit großer Anstrengung überlegen, um zu bekommen, was wir begehren – dann sind das (nach ihrer Meinung) lauter sinnlose Mittel, mit denen man Gottes Willen zu ändern be gehrt; oder aber Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg und alles andere, das Menschen erstreben oder hassen und deshalb mit großem Fleiß zu erlangen oder fernzuhalten streben, wird gar nicht von seinem gewissen Entscheid bestimmt! Ja, man hält dann auch die Gebete der Gläubigen für verkehrt, ja für überflüssig — da man ja in ihnen um Gottes Leitung in solchen Dingen bittet, die Gott doch seit aller Ewigkeit festgelegt hat! Kurz, alle Vorkehrungen für die Zukunft hebt man auf, als im Widerspruch zu Gottes Vorsehung stehend – da diese auch ohne Rücksicht auf sie schon beschlossen habe, was geschehen soll. Und was wirklich geschieht, das schreibt man der Vorsehung Gottes derart zu, daß man dabei den Menschen entschuldigt, der es doch gewiss mit Überlegung angerichtet hat. Da bringt ein Meuchelmörder einen rechtschaffenen Bürger ums Leben – er hat, so sagt man, Gottes Rat ausgeführt! Da hat jemand gestohlen oder die Ehe gebrochen – er ist ein Knecht der Vorsehung Gottes, denn er hat getan, was von dem Herrn vorgesehen und bestimmt war! Da läßt ein leichtsinniger Sohn seinen Vater sterben, ohne sich um Heilmittel zu bemühen – er konnte ja Gott nicht widerstehen, der es von Ewigkeit her so beschlossen hatte! Auf diese Weise heißen dann alle Untaten Lu genden, weil sie ja angeblich der Anordnung Gottes dienen!



I,17,4

Was das Zukünftige angeht, so bringt Salomo die Überlegungen der Menschen mit Gottes Vorsehung leicht zusammen. Er verspottet zwar die Torheit solcher Leute, die unüberlegt ohne den Herrn alles Mögliche angreifen, als ob sie nicht von seiner Hand regiert würden. Aber ebenso sagt er an anderer Stelle: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; und der Herr allein gibt, daß er fortgehe“ (Spr. 16,9). Damit zeigt er, daß uns Gottes ewige Bestimmung in keiner Weise hindert, unter seinem Willen für uns zu sorgen und alle unsere Dinge zu beschicken. Dafür gibt es auch einen leicht erkennbaren Grund. Denn der, der unserem Leben seine Grenzen gesetzt hat, der hat zugleich uns die Sorge darum anvertraut, hat uns Verstand und Mittel gegeben, es zu erhalten, uns mit den Gefahren bekannt gemacht, die es be drohen, und uns Vorsicht und Schutzmittel an die Hand gegeben, damit uns jene Gefahren nicht unversehens überfallen. Nun ist klar, was wir für eine Verpflichtung haben: wenn der Herr uns aufgetragen hat, unser Leben zu schützen, so sollen wir es schützen, wenn er uns Hilfsmittel darreicht, so sollen wir sie anwenden, wenn er uns die Gefahren vorher zeigt, so sollen wir nicht unbedacht hineinrennen, wenn er uns mit Heilmitteln zu Hilfe kommt, so sollen wir sie nicht gering schätzen! „Aber“ – so wirft man ein – „alle Gefahr, die mir begegnet, ist doch schicksalhaft (fatale), und da helfen keine Mittel!“ Wie aber, wenn die Gefahren deshalb nicht unvermeidlich sind, weil der Herr dir Mittel gegeben hat, ihnen entgegentreten und sie zu überwinden? Sieh nur zu, wie willst du eine derartige Schlussfol­gerung mit der Ordnung göttlicher Leitung vereinigen? Du meinst, man solle sich vor der Gefahr nicht in acht nehmen; denn wenn sie nicht schicksalhaft (zum bösen Ausgang) bestimmt sei, dann würden wir ihr auch ohne Vorsicht entgehen. Der Herr aber macht dir die Vorsicht eben deshalb zur Pflicht, weil er nicht will, daß das Unglück dich schicksalhaft überfalle! Solche Narren ziehen eben nicht in Betracht, was doch vor Augen ist, nämlich daß der Herr dem Menschen die Fähigkeit, sich vor zusehen und in acht zu nehmen eingegeben hat, mit der er seiner Vorsehung in der Erhaltung seines Lebens dienen soll! Ebenso zieht sich der Mensch selbst durch Nach lässigkeit und Trägheit die Übel zu, die Gott damit verbunden hat. Ein vorsorglicher Mensch, der sich Hilfe sucht, entzieht sich dadurch auch drohenden Gefahren, der Narr dagegen kommt in seiner Unbedachtsamkeit um. Woher kommt das anders, als daß auch Torheit und Klugheit Werkzeuge der göttlichen Leitung sind, jede in ihrer Weise? Gott hat uns alles Zukünftige verborgen sein lassen, aber so, daß wir ihm gerade als Zweifelhaftem entgegengehen und nicht aufhören, ihm die bereiteten Mittel entgegenzustellen, bis es entweder überwunden ist oder aber sich stärker er wiesen hat als alle Sorgfalt! So habe ich ja auch schon bemerkt, daß uns Gottes Vorsehung nicht immer „bloß“ begegnet, sondern Gott bekleidet sie gewissermaßen mit den dazu angewandten Mitteln.



I,17,5

Dieselben Leute beziehen in verkehrter, unbedachter Weise auch die Ereignisse der Vergangenheit auf die „bloße“ Vorsehung Gottes. Weil alles, was geschieht, von dieser abhängt, so folgern sie: „Also werden weder Diebstahl, noch Ehebruch, noch Mord vollbracht, ohne daß Gottes Wille dabei wirke.“ „Weshalb also“, fragen sie, „soll ein Dieb bestraft werden, der doch einen Menschen ausplünderte, den der Herr mit Armut schlagen wollte? Weshalb soll man den Meuchelmörder bestrafen; er hat doch nur einen Menschen getötet, dessen Leben der Herr ein Ende gesetzt hatte? Wenn derartige Verbrecher allesamt dem Willen Gottes dienen — weshalb bestraft man sie denn?“ Aber ich bestreite ja eben, daß sie dem Willen Gottes dienen. Denn wir werden nicht zugeben, daß ein Mensch, der seinem schlechten Trieb folgt,dem Befehl Gottes seinen Dienst zuteil werden lasse; er dient doch nur seiner bos haften Begierde. Vielmehr leistet der Gott Gehorsam, der seinen Willen kennen gelernt hat und dann dahin strebt, wohin er von ihm gerufen wird! Woher aber empfangen wir solche Belehrung anders als aus seinem Wort? Deshalb müssen wir in unserem Handeln den Willen Gottes so ins Auge fassen, wie er ihn uns in seinem Worte zeigt! Nur eins fordert Gott von uns: nämlich, was er geboten hat! Be schließen wir etwas wider sein Gebot, so ist das eben nicht Gehorsam, sondern Ver achtung und Übertretung! „Aber wir würden doch gar nicht handeln, wenn er es nicht wollte!“ Ich gebe es zu. Aber sollen wir das Böse tun, um ihm auf diese Weise zu ge horchen? Er gebietet uns dergleichen keineswegs; vielmehr lassen wir uns hin­reißen und bedenken dabei nicht, was er will, sondern sind der Unmäßigkeit unserer Begierden so wütend hingegeben, daß wir uns in festem Entschluss gegen seinen Willen stemmen! „Wir dienen doch eben deshalb mit unserem Übeltun seiner gerech ten Anordnung; denn er weiß doch in seiner großen Weisheit schlechte Werkzeuge wohl und klug zum Guten zu benutzen!“ Nun sieh doch zu, wie abgeschmackt ihre Schlussfolgerung ist: sie wollen, daß der Frevel seinem Urheber ungestraft durch gehe, weil er ja nur durch Gottes Leitung zustande käme! Ich gebe noch mehr zu: Diebe und Mörder und andere Übeltäter sind tatsächlich Werkzeuge der göttlichen Vorsehung, die der Herr zur Durchführung der Gerichte gebraucht, die er bei sich beschlossen hat. Aber ich bestreite, daß deshalb die Übeltaten dieser Leute irgendeine Entschuldigung verdienen. Denn wie sollten sie eigentlich Gott mit sich in ihre Bos heit verwickeln oder mit seiner Gerechtigkeit ihre Bosheit decken? Sie können doch beides nicht! Damit sie sich nicht reinwaschen können, straft sie ihr eigenes Ge wissen; damit sie nicht Gott beschuldigen, finden sie, daß das Böse ganz in ihnen steckt, bei Gott dagegen nur die rechte Benutzung ihrer Bosheit liegt! „Ja, aber er wirkt doch durch sie!“ Da frage ich nun aber: woher kommt denn der Gestank eines Aases, das von der Wärme der Sonne in Fäulnis versetzt und aufgelöst wurde? Jedermann sieht: das rufen die Sonnenstrahlen hervor; aber es wird doch deshalb kein Mensch sagen, die Sonnenstrahlen seien stinkend! Wenn also ein schlechter Mensch die Ursache und die Schuld für das Böse in sich trägt, wie soll sich dann Gott irgendeine Befleckung zuziehen, wenn er ein solches Werkzeug nach seinem Wohlgefallen benutzt? Hinweg also mit der Hundefrechheit, die Gottes Gerechtigkeit zwar anbellen, ihr aber nichts anhaben kann!

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I,17,6

Aber dergleichen Lästerungen, ja wahnsinnige Hirngespinste wird eine fromme und heilige Betrachtung der Vorsehung zunichte machen, wie sie uns die Richt schnur der Frömmigkeit gebietet: so wird uns daraus die beste und lieblichste Frucht erwachsen! Da der Christ in seinem Herzen die unumstößlich gewisse Überzeugung hat, daß alles aus Gottes Führung, nichts aber aus Zufall geschieht, so wird er auf ihn als die höchste Ursache der Dinge stets die Augen richten, die untergeordneten Gründe (causas inferiores) aber an der ihnen zukommenden Stelle nicht außer acht lassen. Außerdem wird er nicht zweifeln, daß Gottes besondere Vorsehung auf der wacht ist, ihn zu erhalten; sie wird ja nichts geschehen lassen, was ihm nicht zum Guten und zum Heil gereicht! Da er es aber zunächst mit Menschen, dann auch mit den übrigen Geschöpfen zu tun hat, so wird er gewiss sein: beide regiert Gottes Vorsehung! Was die Menschen, seien sie gut oder böse, betrifft, so wird er aner kennen: ihr Beschließen und Wollen, Versuchen und Vermögen ist in Gottes Hand, und es liegt bei seinem Wohlgefallen, das alles zu wenden, wohin er will, und auch zu hemmen, wenn immer er will!

Dass Gottes besondere Vorsehung über dem Heil der Gläubigen wacht, bezeugen sehr viele ganz klare Verheißungen: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen“ (Ps. 55,23). „Denn er sorgt für uns!“ (1. Petr. 5,7). „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, der bleibt unter dem Schutz Gottes, der im Himmel ist“ (Ps. 91,1; nicht Luthertext), „Wer euch antastet, der tastet seinen (Gottes) Augapfel an!“ (Sach. 2,12). „Ich will dein Schild sein (Gen. 15,1), deine eherne Mauer“ (Jes. 26,1; Jer. 1,18). „Ich will feind sein denen, die dir feind sind“ (Jes. 49,25). „Und ob auch eine Mutter ihres Kindleins vergäße, so will ich dich doch nicht vergessen“ (Jes. 49,15). Ist es doch der wichtigste Gesichtspunkt in den Erzählungen der Bibel, zu lehren: der Herr behütet die Wege der Heiligen mit solchem Fleiß, „daß sie ihren Fuß nicht an einen Stein stoßen“ (vgl. Ps. 91,12). Wir haben nun oben (XVI,4) mit Recht die Meinung derer abgelehnt, die bloß an eine „allgemeine“ Vorsehung Gottes den ken, die sich nicht in besonderer Weise zur Fürsorge für jede einzelne Kreatur herab lasse. Deshalb ist es erst recht der Mühe wert, diese „besondere“ Fürsorge an uns zu erkennen. So behauptet ja Christus, nicht einmal der geringste Sperling falle zur Erde ohne den Willen des Vaters (Matth. 10,29), und er wendet das sofort so. da wir ja mehr sind als Sperlinge, so sollen wir uns auch um so mehr der beson deren Fürsorge Gottes versichert halten; er dehnt diese Fürsorge soweit aus, daß wir zuversichtlich glauben sollen, auch die Haare auf unserem Haupte seien alle gezählt (Matth. 10,30). Was sollen wir uns denn noch anders wünschen, wenn doch nicht einmal ein Haar von unserem Haupte fallen kann ohne seinen Willen? Ich rede hier nicht nur (allgemein) vom Menschengeschlecht, sondern weil sich Gott die Kirche zur Wohnung erlesen hat, so erweist er unzweifelhaft in ihrer Leitung seine väterliche Fürsorge durch besondere Zeugnisse.



I,17,7

Durch solche Verheißungen und Beispiele gestärkt, wird der Diener Gottes auch der Zeugnisse gedenken, welche lehren, daß unter Gottes Macht alle Menschen stehen, ob nun ihr Herz uns günstig gestimmt werden soll oder ihre Bosheit in Schranken gebracht werden muß, damit sie nicht Schaden tue. Denn es ist der Herr, der uns Gnade gibt, nicht nur bei denen, die uns wohlgesinnt sind, sondern auch „in den Au gen der Ägypter“ (Ex. 3,21); die Frechheit unserer Feinde aber weiß er auf mancher lei Weise zu brechen. Zuweilen nimmt er ihnen den Verstand, damit sie nichts Kluges und Besonnenes unternehmen können. So sendet er den Satan, um zur Täuschung des Ahab den Mund aller Propheten mit Lüge zu erfüllen (1. Kön. 22,22). Oder er führt den Rehabeam durch den Rat der Jungen in die Irre, damit er durch seine Torheit der Herrschaft verlustig ginge (1. Kön. 12,10.15). Manchmal läßt er ihnen den Verstand, versetzt sie aber derart in Schrecken und Betäubung, daß sie nicht mehr wollen oder vollbringen, was sie sich vorgenommen haben. Mitunter auch ge stattet er ihnen zu versuchen, was ihnen Lust und Wut eingegeben haben, und hemmt dann doch zur rechten Zeit ihr Ungestüm, läßt sie nicht zum Ziele führen, was sie ge plant! So machte er den Rat des Ahitophel, der dem David hätte verderblich werden können, vor der Zeit zunichte (2. Sam. 17,7.14). So ist es seine Sorge, alle Ge schöpfe den Seinen zugut und zum Heil zu leiten, und wir sehen, wie selbst der Teu fel ohne seine Erlaubnis (permissio) oder Anordnung nicht wagte, den Hiob zu ver suchen (Hiob 1,12).

Wer das erkennt, bei dem wird sich notwendig herzliche Dankbarkeit bei glück lichem Erfolg, Geduld im Leiden und eine unglaubliche Gewissheit für die Zukunft einstellen. Er wird alles, was glücklich und nach seines Herzens Wunsch ihm gelingt, Gott allein zuschreiben, ob er nun seine Wohltätigkeit durch den Dienst von Men schen erfahren hat oder ob ihm von den leblosen Geschöpfen Hilfe zuteil wurde. Er wird sich in seinem Herzen sagen: Es ist gewiss der Herr, der mir ihre Seele zuge neigt und sie mir zugeführt hat, damit sie an mir zu Werkzeugen seiner Freund lichkeit würden! Er wird bei reicher Ernte denken: der Herr ist es, der den Himmel „erhört“ hat, damit der Himmel die Erde „erhöre“ und diese wieder ihre Spröss linge (vgl. Hos. 2,23ff.). So wird er auch in anderen Dingen nicht zweifeln, daß alles nur durch des Herrn Segen gedeiht – und, durch soviel Ursachen ermuntert, wird er nicht undankbar sein können!



I,17,8

Trifft einen solchen Menschen etwas Widerwärtiges, so wird er auch dann als bald das Herz zu Gott erheben; denn seine Hand vermag am besten, uns Geduld und Lindigkeit des Herzens zu verleihen. Wäre Joseph dabei stehen geblieben, die Treulosigkeit seiner Brüder zu bedenken, so hätte er ihnen gegenüber nie mehr eine brüderliche Gesinnung gewinnen können. Aber er schaute auf den Herrn, und da vergaß er das Unrecht und wurde zu Sanftmut und Barmherzigkeit geneigt, so daß er gar aus freien Stücken die Brüder tröstete und sagte: „Nicht ihr habt mich nach Ägypten verkauft, sondern Gottes Wille hat mich vor euch hergesandt, damit ich euch das Leben erhielte!“ (Gen. 45,7ff.; summarisch). „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen!“ (Gen. 50,20). Hätte Hiob die Chaldäer angesehen, die ihn quälten, so wäre er sofort zur Rache entflammt wor den. Aber er erkennt doch (in dem Geschehen) des Herrn Werk, und da kann er sich mit dem herrlichen Satz trösten: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genom men, der Name des Herrn sei gelobt!“ (Hiob 1,21). Hätte David, als ihn Simei mit Schmähungen und Steinwürfen angriff, seine Augen auf den Menschen ge richtet, so hätte er die Seinen aufgefordert, für das (ihm geschehene) Unrecht Rache zu nehmen; aber weil er einsah, daß dieser nicht ohne des Herrn bewegende Kraft handelte, darum besänftigte er sie vielmehr und sagte: „Laßt ihn, denn der Herr hat’s ihn geheißen: fluche David!“ (2. Sam. 16,10). Mit dem gleichen Zügel bän digt er auch an anderer Stelle seinen unmäßigen Schmerz: „Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun, denn du hast’s getan“ (Ps. 39,10). Es gibt keine kräfti gere Arznei gegen Zorn und Ungeduld als diese; so hat der gewiss schon viel erreicht, der in diesem Stück Gottes Vorsehung zu betrachten gelernt hat, so daß er sich immer wieder sagen kann: Der Herr hat es gewollt, deshalb muß ich es tragen, nicht nur, weil ich nicht widerstreben soll, sondern auch weil er ja nichts will, als was recht und heilsam ist! Kurz, wenn wir von Menschen unbillig verletzt worden sind, so sollen wir ihre Bosheit nicht weiter beachten, – sie würde nur unseren Schmerz verschärfen und unser Herz zur Rache anreizen! – sondern uns zu Gott erheben und lernen, aufs gewisseste daran festzuhalten: was der Feind uns in seiner Bosheit zu gefügt hat. das hat Gott in gerechter Fügung zugelassen, ja geschickt! Paulus er innert uns, um uns von der Wiedervergeltung des Bösen abzuschrecken, mit Recht daran, daß wir „nicht mit Fleisch und Blut“ zu kämpfen haben, sondern mit dem geistlichen Feinde, dem Teufel; gegen den sollen wir uns zum Kampfe rüsten! (Eph. 6,12). Das aber ist die beste Ermahnung zum Dämpfen aller aufwallenden Rachsucht: daß Gott selbst den Teufel wie auch alle Gottlosen zum Kampfe rüstet und wie ein Kampfrichter thront, um uns in der Geduld zu üben!

Treffen uns ohne Zutun von Menschen Unglück und Elend, die uns drücken, so sollen wir an die Lehre des Gesetzes gedenken: alles Heilsame fließt aus der Quelle des Segens Gottes, alles Widerwärtige ist sein Fluch (Dtn. 28,20ff.), und es soll uns jene furchtbare Ankündigung schrecken: „Werdet ihr von ungefähr mir ‘zuwider wandeln’, so werde auch ich von ungefähr euch zuwider wandeln’!“ (Lev. 26,15ff., besonders V. 24). Mit diesen Worten wird unsere Trägheit gestraft, wenn wir nach gemeiner Fleischesart alles für zufällig halten, was uns Gutes oder Böses begegnet, und uns weder von Gottes Wohltaten zu seiner Verehrung ermuntern, noch durch seine Schläge zur Buße leiten lassen. Aus diesem Grunde schalten ja auch Jeremia und Amos so bitterlich mit den Juden, weil diese meinten, Gutes wie Böses ge­schehe ohne Anordnung Gottes (Klgl. 3,38; Amos 3,6). Darauf bezieht sich auch das Wort des Jesaja: „Ich bin der Gott, der das Licht macht und die Finsternis schafft, ich gebe Frieden und schaffe das Übel, ich bin der Herr, der solches alles tut“ (Jes. 45,7).



I,17,9

Unterdessen wird aber der Fromme die untergeordneten Ursachen (causas inferiores) nicht außer acht lassen. Er wird nicht etwa aus der Einsicht, daß die, welche ihm wohl tun, ja Diener der Güte Gottes sind, den Schluss ziehen, er könne sie (mit Undank) übergehen, als ob sie für ihre Freundlichkeit (humanitas) keinen Dank verdient hätten, sondern er wird sich ihnen von Herzen verpflichtet fühlen, sich gerne als den Beschenkten bekennen und ihnen nach Fähigkeit den Dank auch durch die Tat abzustatten sich bemühen. Kurz, er wird gewiss Gott als den vornehmsten Urheber beim Empfang guter Gaben loben und preisen, aber er wird die Menschen eben als seine Diener ehren und wird, wie es doch tatsächlich der Fall ist, einsehen, daß er durch Gottes Willen denen zu Dank verpflichtet ist, durch deren Hand Gott sich hat wohltätig erweisen wollen! Hat er aus Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit ei nen Schaden erlitten, so wird er zwar feststellen, daß dies aus Gottes Willen ihm zugestoßen sei, aber er wird es doch auch sich selbst zuschreiben! Ist einer an einer Krankheit gestorben, welchen er zu pflegen verpflichtet war, aber nachlässig behan delt hat, so wird er zwar durchaus wissen, daß der Betreffende zu dem Ende gekom men sei, dem er nicht entgehen konnte, aber er wird doch darüber seine Sünde nicht gering achten; im Gegenteil: er hat gegen jenen Menschen sein Amt nicht treu er füllt und wird deshalb die Sache so ansehen, als ob er durch Schuld seiner Nach lässigkeit gestorben wäre. Noch viel weniger wird er bei einem Mord oder Dieb stahl die dabei wirksame Verruchtheit und Bosheit seines Herzens mit dem Vorwand göttlicher Vorsehung entschuldigen; er wird vielmehr in der gleichen Tat Gottes Gerechtigkeit und des Menschen Bosheit, wie sie sich beide offenba ren, in ihrer Verschiedenheit betrachten. Und ganz besonders wird er hin sichtlich der Zukunft auf dergleichen untergeordnete Ursachen Acht haben. Denn er soll es zu den Segnungen des Herrn rechnen, wenn es ihm nicht an menschlicher Hilfe fehlt, die er zu seinem Wohlergehen in Anspruch nehmen kann. Aus dem Grunde wird er nicht ablassen, Rat zu suchen, wird auch nicht träge werden, die Hilfe solcher Menschen anzurufen, die ihn wohl unterstützen können; nein, er wird bedenken, daß ihm alle Geschöpfe, die ihm hilfreich sein können, von dem Herrn an die Hand ge geben werden, und deshalb wird er diese als rechte Werkzeuge der göttlichen Vor sehung zu seinem Besten gebrauchen. Und obwohl er unsicher ist, welchen Erfolg seine Unternehmungen haben werden – abgesehen davon, daß er weiß: der Herr wird in allem sein Bestes im Auge haben! -, wird er doch mit Eifer das erstreben, was ihm nützlich erscheint, soweit er es durch Verstand und Nachdenken schaffen kann. Und doch wird er bei seinen Entschlüssen nicht dem eigenen Sinn verfallen sein, sondern sich der Weisheit Gottes anbefehlen und sich durch seine Führung zum rech ten Ziel leiten lassen. Auch wird er sein Vertrauen nicht dermaßen an die äußeren Hilfen hängen, daß er in ihnen sicher ruht, wenn sie vorhanden sind, aber alsbald wie ein Verlorener erzittert, wenn sie fehlen. Er wird eben sein Herz stets auf Gottes Vorsehung allein richten und sich vom festen Blick auf sie nicht durch die Betrachtung der jeweiligen Lage abbringen lassen. So wusste auch Joab sehr wohl, daß der Ausgang der Schlacht in Gottes Hand und Willen stehe; aber er ergab sich darüber doch nicht der Untätigkeit, sondern führte mit Fleiß aus, was seines Amtes war, überließ indessen dem Herrn den Ausgang: „Lasset uns stark sein für unser Volk und für die Städte unseres Gottes; der Herr aber tue, was in seinen Augen gut ist“ (2. Sam. 10,12). Wenn wir so denken, werden wir uns von allem Vorwitz, allem falschen Vertrauen auf uns selbst und jede andere Kreatur fernhalten und uns immerfort zur Anrufung Gottes getrieben sehen. In dieser Denkweise wird aber auch unser Herz in guter Zuversicht gestärkt werden, so daß wir ohne Zaudern auf alle Gefahren, die uns auch umgeben mögen, mutig und tapfer herunterblicken.

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I,17,10

Hier aber bewährt sich das unbeschreibliche Glück eines frommen Herzens. Un zählig sind die Übel, die unser menschliches Leben belagern, stets lauert in ihnen der Tod. Wir brauchen nicht über uns hinauszugehen: unser Leib ist ein Nest von tau send Krankheiten, und wie viel Krankheitsursachen trägt und nährt er in sich! Der Mensch kann sich nicht regen, ohne in vielerlei Gestalt sein Verderben in sich zu tra gen, und er führt sein Leben sozusagen stets verwoben mit dem Tod! Wie soll man es anders ausdrücken – wo er doch ohne Gefahr weder Frost noch Schweiß erträgt? Und wohin man sich auch wendet: alles, was uns umgibt, ist nicht nur von zweifel hafter Zuverlässigkeit, sondern steht uns schier mit offener Drohung gegenüber und scheint uns des Todes Nähe anzukündigen. Steige in ein Schiff – und du bist nur einen Schritt vom Tode! Setze dich zu Pferd – am Straucheln eines Fußes hängt dein Leben! Gehe durch die Straßen der Stadt – soviel Ziegel auf den Dächern sind, soviel Gefahren bist du ausgesetzt! Ist eine Waffe in deiner oder deines Freundes Hand – der Schade lauert auf dich! Wie viel wilde Tiere du siehst – sie sind gerüstet, dich zu verderben! Und wenn du dich auch in einen ummauerten Gar ten einschließen willst, wo nichts als Lieblichkeit dir erscheint – auch da lauert zu weilen eine Schlange! Immerzu ist dein Haus der Feuersbrunst ausgesetzt, alle Tage kann es dich arm machen, alle Nächte kann es dich erschlagen! Der Acker ist in Ge fahr vor Hagel, Reif, Dürre und anderem Unwetter – und das bedeutet für dich Mißwachs und Hunger! Ich übergehe Vergiftungen, Heimtücke, Räuberei, offene Gewalt, die uns im eigenen Haus oder auch draußen nachstellen! Müsste nicht unter solchen Ängsten der Mensch ganz elend sein, der sein Lebtag halbtot ist und seinen geängstigten und matten Geist ärmlich und kränklich erhält, als ob immerzu über sei nem Nacken ein Schwert hinge? Du magst sagen, das alles geschehe immerhin selten oder wenigstens doch nicht immer und nicht allen Leuten, außerdem doch niemals alles zusammen. Das gebe ich zu; aber das Beispiel anderer lehrt uns, daß es auch uns zustoßen kann, und unser Leben macht nicht mehr als das ihrige eine Aus nahme; deshalb müssen auch wir notwendig Furcht und Schrecken empfinden, es könnte auch uns begegnen! Was ist aber unseliger als solches Zagen? Außerdem würde es doch nicht ohne Verachtung Gottes abgehen, wenn man sagen wollte, er habe den Menschen, das edelste seiner Geschöpfe, den blinden und zufälligen Stößen des Schicksals ausgesetzt! Aber ich wollte ja hier bloß vom Elend des Menschen re den, wie er es empfinden müßte, wenn er der Herrschaft des Zufalls unterworfen wäre.

I,17,11

Aber sobald das Licht der göttlichen Vorsehung einem frommen Menschen auf geht, wird er nicht nur von jener furchtbarsten Not und Furcht, die ihn zuvor drückte, sondern von aller Sorge befreit und erlöst. Denn wie er mit Recht vor dem „Zufall“ Schauder empfindet, so wagt er sich nun Gott in Gewissheit anzuver trauen. Das ist eben, sage ich, der Trost, daß er erkennt: der himmlische Vater hält mit seiner Macht alles zusammen, regiert alles mit seinem Befehl und Wink, ordnet alles mit seiner Weisheit, so daß nichts vorfällt ohne seine Bestimmung. Das ist der Trost, daß der Glaubende, seinem Schutz übergeben, der Fürsorge der Engel an vertraut, nun weiß: kein Schaden von Wasser, Feuer oder Schwert kann ihn an tasten, als nur soweit es Gott, der im Regimente sitzt, gefallen hat, ihnen Raum zu geben. So singt doch der Psalm: „Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zu versicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken mögest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Ta ges fliegen, vor der Pestilenz, die im Finsteren schleicht, vor der Seuche, die am Mittag verderbt“ (Ps. 91,3ff.). Daher haben die Heiligen solche frohlockende Zu versicht: „Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht, was können mir Men schen tun? Der Herr ist mein Helfer, warum sollte ich zittern? Wenn sich schon ein

Heer wider mich legt, wenn ich auch mitten im Schatten des Todes wandle, so will ich doch nicht aufhören, zu hoffen“ (Ps. 118,6; 27,3; 56,5 u.a. St.). Woher haben sie, frage ich, diese unerschütterliche Gewissheit? Daher, daß sie, wo doch dem An schein nach die Welt vom Zufall bewegt wird, doch wissen, daß der Herr überall am Werk ist, und zuversichtlich glauben, sein Werk werde ihnen heilsam sein! Wird ihr Heil vom Teufel oder von verruchten Menschen bedroht, so mußten sie sogleich zusammensinken, wenn nicht die Erinnerung und der Gedanke an die Vorsehung sie aufrechterhielte. Aber gewaltigen Trost empfangen sie, wenn sie daran denken: der Teufel mit der ganzen Rotte der Gottlosen wird ja von allen Seiten von Gottes Hand wie am Zügel gehalten; er kann deshalb gegen uns gar keine Übeltat beschlie ßen, noch das Geplante ins Werk setzen, noch mit äußerster Anstrengung auch nur einen Finger rühren, um es durchzuführen, sofern Gott es nicht erlaubt, ja soweit er es ihm nicht aufgetragen hat; er liegt ja in seinen Banden gefesselt, wird mit dem Zaum gezwungen, ihm Gehorsam zu leisten! Denn wie es bei dem Herrn steht, der Wut der Feinde Waffen zu geben, sie zu wenden und zu lenken, wohin er will, so setzt er auch Maß und Ziel, damit sie nicht nach ihrer Lust ungebändigt losbrechen! Auf dieser Gewissheit beruht es, wenn Paulus von einer Reise an der einen Stelle sagt, sie sei vom Satan verhindert worden, und an der anderen, sie sei von Gottes Zulassung abhängig (1. Thess. 2,18; 1. Kor. 16,7). Hätte er bloß geschrie ben, das Hindernis sei vom Satan gewesen, so hätte er scheinbar dem Satan zuviel Macht beigemessen, als ob es gar in dessen Hand stünde, Gottes Pläne zunichte zu machen; nun aber stellt er fest, daß Gott der Herrscher ist, von dessen Zulassung alle Wege abhängen, und zeigt damit: der Satan kann nur auf seinen Wink etwas erreichen, was er auch ins Werk setzen mag! Ebenso denkt David, wenn er sich an gesichts der vielerlei Wechselfälle, von denen das Menschenleben immerzu gewendet und wie ein Rad gedreht wird, sich auf diese Zuflucht zurückzieht: „Meine Zeiten stehn in deinen Händen“ (Ps. 31,16). Er konnte gewiss auch „Lebenslauf“ sagen oder „Zeit“ in der Einzahl setzen; aber mit dem Ausdruck „Zeiten“ wollte er zeigen, daß, wie unbeständig auch die Lage des Menschen sei, aller Wechsel, der vorkommen mag, doch von Gott her gelenkt wird. Deshalb werden auch Rezin und der König von Israel, die mit ihren zur Vernichtung Judas verbundenen Streitkräften wie bren nende Fackeln erschienen, das Land zu verderben und zu verzehren, von dem Propheten rauchende Feuerbrände genannt, die bloß ein wenig Rauch ausstoßen können (Jes. 7,4). So wird gar der Pharao, der doch durch Macht, Stärke und Heeres größe allen furchtbar war, mit einem Meerungeheuer und sein Heer mit Fischen verglichen (Ez. 29,4). Und Gott kündigt an, er werde den Anführer und das Heer mit der Angel fangen und es ziehen, wohin er wolle. Kurzum, ich will mich nicht länger damit aufhalten; man kann es leicht durchschauen, wenn man es betrachtet: das schlimmste Elend ist es, die Vorsehung nicht zu kennen, das höchste Glück aber, von ihr Kunde zu haben.

I,17,12

Über die Vorsehung Gottes ist damit an sich genug gesagt. Freilich nur soviel, wie es zur sicheren Unterweisung und zum Trost der Gläubigen von Nutzen ist; denn, um die Neugier eitler Menschen zu befriedigen, kann nichts ausreichen, und es ist auch nicht einmal zu wünschen, daß es geschähe! – Aber es gibt einige wenige Stel len, die den Eindruck zu erwecken scheinen, der Ratschluss Gottes sei – gegen das, was wir oben ausführten – doch nicht beständig fest und unabänderlich, sondern entsprechend den Verhältnissen untergeordneter Dinge veränderlich. Da wird zunächst zuweilen die Reue Gottes erwähnt. So hat es ihn „gereut, daß er den Menschen gemacht hatte“ (Gen. 6,6), daß er Saul zur Königsherrschaft erhoben hatte (1. Sam. 15,11). Oder es reute ihn das Übel, das er seinem Volke zuzufügen beschlossen, sobald er bei ihm irgendwelche Umkehr gewahrte (Jer. 18,8). Ferner hören wir gelegentlich, wie er seine Beschlüsse ändert. So hatte er durch Jona den

Niniviten angedroht, Ninive werde nach Ablauf von vierzig Tagen zugrunde gehen, ließ sich aber alsbald durch deren Buße zu einem milderen Spruch bewegen (Jona 3,4.10). So hatte er dem Hiskia durch den Mund des Jesaja den Tod ankündigen las sen; aber des Königs Tränen und Gebete bewogen ihn dann doch, den Tod hinaus zuschieben (Jes. 38,1.5; 2. Kön. 20,1.5).

Von hier aus schließen nun manche, Gott habe gar nicht in ewigem Beschluss die menschlichen Geschicke bestimmt, sondern er entscheide nach eines jeden Verdienst, oder je, wie er es für billig und gerecht hält, über die einzelnen Jahre, Tage und Stun den bald so, bald anders!

Was die Reue betrifft, so kann diese Gott ebenso wenig beigelegt werden wie etwa die Unwissenheit, der Irrtum oder die Machtlosigkeit. Denn es begibt sich keiner mit Wissen und Wollen in die Notwendigkeit, eine Sache zu bereuen; wir könnten also Gott die Reue nicht beimessen, ohne zugleich zu sagen, er wisse die Zukunft nicht, oder er könne ihr nicht entgehen, oder er stürze sich aufs Geratewohl und unbedacht in einen Beschluss hinein, der ihn gleich darauf reue. Das aber liegt vom Sinn des Heiligen Geistes soweit ab, daß dieser gerade in einem Zusammenhang, wo solche „Reue“ Gottes erwähnt wird (1. Sam. 15,11!), doch leugnet, Gott könne sich von der Reue leiten lassen, weil er doch nicht ein Mensch ist, den etwas gereue (1. Sam. 15,29). Es ist da zu beachten, wie in dem gleichen Kapitel beide Aus sagen so verbunden sind, daß wir merken, wie hier ein Vergleich vorliegt, der den Anschein des Widerspruchs ausgezeichnet behebt. Es ist eine bildliche Darstellung der eingetretenen Veränderung, wenn wir hören, daß es Gott „reue“, den Saul zum Kö nig gemacht zu haben. Gleich darauf heißt es dann auch: „Der Starke in Israel lügt nicht, und ihn bringt nicht Reue von seinem Weg; denn er ist kein Mensch, daß ihn etwas gereue.“ In diesen Worten wird offen, ohne Bild, Gottes Unveränderlichkeit behauptet. So ist also Gottes Anordnung in der Leitung der Menschengeschicke gewiss dauernd und über alle Reue erhaben. Und damit seine Beständigkeit außer Zweifel stehe, wurden selbst seine Feinde gezwungen, sie zu bezeugen. Denn Bileam mußte, obwohl wider Willen, in die Worte ausbrechen: „Denn Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch eines Menschen Kind, daß er sich wandle. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?“ (Num. 23,19; nicht ganz Luthertext).

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I,17,13

Was bedeutet nun also der Ausdruck „Reue“? Sicherlich nichts anderes als all die anderen Redeformen, die uns Gott nach Menschenweise beschreiben. Weil nämlich unsere Schwachheit nicht zu seiner Höhe empordringt, so muß die Beschreibung sei nes Wesens, die uns zuteil wird, unserer Fassungskraft angepasst sein, um von uns begriffen zu werden. Das geschieht aber so, daß er sich uns darstellt, nicht wie er an sich selber ist, sondern wie er von uns erfahren wird. So ist er frei von aller inne ren Erschütterung durch Leidenschaft – und bezeugt doch, daß er den Sündern zürnt! Wenn wir also hören, daß Gott zürnt, so müssen wir uns dabei nicht eine Erregung in ihm selber vorstellen; wir müssen vielmehr bedenken, daß diese Redeweise aus un serer Erfahrung genommen ist, weil uns ja Gott dem Anschein nach als Entrüsteter und Zorniger begegnet, sooft er sein Gericht vollzieht. So dürfen wir auch unter dem Wort „Reue“ nichts anderes verstehen als eine Abänderung seiner Werke und Taten; denn die Menschen bezeugen ja, indem sie ihre Taten abändern, daß sie ihnen missfallen. Jede Abänderung ist unter Menschen die Verbesserung einer Sache, die Missfallen erregt; diese Verbesserung aber kommt aus Reue; und so will der Ausdruck „Reue“ besagen: Gott ändert etwas an seinen Werken! Unterdessen aber wird weder sein Ratschluss noch sein Wille verändert, noch seine Neigung (affectus) verwandelt; sondern was er von Ewigkeit her vorgesehen, für richtig befunden und beschlossen hat, das führt er in stetem Gleichmaße durch, so jähen Wechsel der Mensch auch vor Augen haben mag!

I,17,14

Wenn nun die heilige Erzählung (sacra historia) berichtet, wie den Niniviten der bereits verkündete Untergang erlassen (Jona 3,10) und dem Hiskia sein Leben trotz erfolgter Ankündigung des Todes noch einmal verlängert worden sei (Jes. 38,5), so behauptet sie damit nicht, Gottes Beschlüsse seien aufgehoben worden. Wer das meint, der macht sich Wahnvorstellungen von diesen Drohungen; diese scheinen zwar einfach eine Behauptung zu enthalten, aber der Ausgang zeigt, daß sie trotzdem eine stillschweigende Bedingung in sich tragen. Denn weshalb sandte der Herr den Jona zu den Einwohnern von Ninive, damit er ihnen die Zerstörung der Stadt ankündigte? Weshalb ließ er dem Hiskia durch Jesaja seinen Tod ansagen? Er konnte doch jene und auch diesen zugrunde richten, ohne das Unheil anzukündigen! Er hatte also etwas anderes im Auge, als daß diese Menschen von ihrem Tod zuvor wüssten und ihn dann von ferne kommen sahen. Er wollte eben, daß sie nicht zugrunde gingen, sondern sich besserten, um dem Untergang zu entrinnen! Wenn also Jona weissagt, die Stadt Ninive werde nach vierzig Tagen zerstört werden, so geschieht das, damit sie nicht untergehe! Wenn dem Hiskia die Hoffnung auf ein weiteres Leben abgeschnitten wird, so geschieht das, damit er ein weiteres Leben erlange! Wer sieht denn nicht, daß der Herr durch solche Drohungen die Menschen, die er schreckte, zur Reue erwecken wollte, damit sie dem Gericht entgingen, das sie mit ihren Sünden verdient hatten! Wenn es sich so verhält, dann führt uns die Sache selbst dazu, aus der einfachen Ankündigung eine stillschwei gende Bedingung herauszuhören. Das wird denn auch durch ähnliche Beispiele be stätigt. So wirft der Herr dem Könige Abimelech vor, er habe dem Abraham sein Weib genommen, und braucht dabei die Worte: „Du bist des Todes um des Weibes willen, das du genommen hast; denn sie ist eines Mannes Eheweib“ (Gen. 20,3). Nachdem er sich nun aber entschuldigt hat, sagt Gott zu ihm: „Gib dem Manne sein Weib wieder; denn er ist ein Prophet, und lass ihn für dich bitten, so wirst du leben dig bleiben, wo du sie aber nicht wiedergibst, so wisse, daß du des Todes sterben mußt und alles, was dein ist“ (Gen. 20,7). Da sieht man, wie er in dem ersten Worte sein Herz heftig erschüttert, um ihn zur Genugtuung bereit zu machen, aber dann in dem zweiten seinen Willen klar ausspricht! Mit anderen Stellen verhält es sich ebenso, und deshalb darf man nun nicht meinen, es sei dem früheren Ratschlüsse des Herrn etwas entzogen, da er nicht durchführte, was er angekündigt hatte. Nein, der Herr bahnt vielmehr seiner ewigen Anordnung den Weg, wenn er durch An drohung von Strafe Menschen zur Reue antreibt, die er verschonen will, und zwar, ohne daß er an seinem Willen oder auch nur an seinem Worte etwas änderte, nur daß er nicht gerade buchstäblich ausdrückt, was doch ganz klar zu begreifen ist. So muß denn doch das Wort des Jesaja wahr bleiben: „Der Herr der Heerscharen hat es beschlossen, und wer will es wehren? Seine Hand ist ausgestreckt, und wer will sie wenden?“ (Jes. 14,27).

Achtzehntes Kapitel

Gott bedient sich auch der Taten der Gottlosen und lenkt ihre Gedanken, um seine Gerichte zu vollstrecken; aber er selbst bleibt dabei von jeglichem Vorwurf frei.


I,18,1

Nach anderen Stellen lenkt und zieht Gott selbst den Satan und alle Gottlosen nach seinem Gutdünken, wohin er will. Hier entsteht nun aber eine noch schwierigere Frage. Wie soll sich Gott, wenn er doch durch diese handelt, keinerlei Beschmutzung durch ihre Vergehen zuziehen, wie soll er bei gemeinsamem Werk selbst von aller Schuld frei sein und doch die, die er als Knechte benutzt, mit Recht verdammen kön nen? Das versteht der Sinn des Fleisches nicht. So ist es denn zu der Unterscheidung zwischen „Tun“ und „Zulassung“ (Gottes) gekommen: es scheint eben vielen Leuten ein unlösbarer Knoten zu sein, wenn es heißt, der Satan und alle Gottlosen seien derart in Gottes Hand, daß er ihre Bosheit lenke zu dem ihm genehmen Ziel, und daß er ihre Verbrechen benutze, um seine Gerichte zu vollziehen! Die Bedenklichkeit solcher Leute wäre auch durchaus verzeihlich, wenn sie bloß der Anschein des Wider sinnigen in Schrecken setzte; nur dürften sie eben nicht verkehrterweise versuchen, Gottes Gerechtigkeit vor dem Vorwurf durch eine Unwahrheit zu rechtferti gen! Es scheint ihnen widersinnig, daß ein Mensch durch Gottes Willen und Befehl verblendet wird und dann doch die Strafe für seine Verblendung tragen soll. Also suchen sie sich durch die Ausflucht zu helfen, das geschehe bloß durch Gottes Zu lassung, nicht aber auch durch seinen Willen! Aber Gott selber macht diese Ausflucht zunichte, wenn er deutlich sagt, er handle! Daß aber der Mensch ohne Gottes geheimen Befehl nichts ausrichten, noch etwas durch Überlegung zuwege bringen kann, ohne daß Gott es schon bei sich beschlossen hätte und es in seiner ver borgenen Leitung herbeiführte, das wird durch unzählige klare Schriftzeugnisse be legt, was wir oben aus dem Psalm anführten: „Gott kann machen, was er will“ (Ps. 115,3), das bezieht sich gewisslich auf alle Taten der Menschen. Ist Gott wirk lich, wie es heißt, der untrügliche Lenker von Krieg und Frieden (Jes. 45,7), und zwar ohne jede Ausnahme, wie kann dann einer zu behaupten wagen, den Menschen leite sinnlos ein blinder Trieb, ohne Gottes Wissen und Zutun?

Aber besondere Beispiele werden das noch besser beleuchten, wir wissen, wie im ersten Kapitel des Hiobbuches der Satan sich vor Gott einstellt, um Befehle ent gegenzunehmen, genau wie die Engel, die doch von sich aus gehorchen. Er tut das zwar in ganz anderer Art und zu ganz anderem Zweck, aber doch so, daß er nichts unternehmen kann ohne Gottes Willen. Nun scheint ja daraufhin eine bloße Zulassung zu erfolgen, nämlich daß er den heiligen Mann (Hiob) angreife. Aber doch ist dessen Ausspruch wahr: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genom men, wie es dem Herrn gefiel, so ist es geschehen“ (Hiob 1,21). Und deshalb müssen wir schließen, daß diese Versuchung, als deren Diener der Satan und ver ruchte Räuber wirksam waren, tatsächlich Gott zum Urheber hatte. Da versucht der Satan den heiligen Mann durch Verzweiflung in Wut zu bringen, da kommen die Sabäer herbei, um grausam und gottlos fremdes Gut zu rauben. Aber Hiob erkennt an, daß er von Gott all seines Besitzes beraubt worden ist, daß er zum armen Mann geworden ist, weil es Gott so gefiel! Was also auch Menschen oder gar der Satan selbst unternehmen – Gott hat das Ruder in der Hand, um ihre Unterneh mungen zum Vollzug seiner Gerichte zu lenken. Da will Gott, daß der treu lose König Ahab in die Irre geführt werde – der Teufel erbietet dazu seinen Dienst, und er wird mit dem klaren Auftrag losgeschickt, er solle ein Geist der Lüge im Munde aller Propheten sein! (1. Kön. 22,20.22). Die Verblendung des Ahab ist Gottes Gericht – und so zergeht jeder Versuch, hier von „bloßer Zulassung“zu träumen. Denn es wäre ja lächerlich, wenn der Richter bloß „zuließe“ und nicht tatsächlich anordnete, was er geschehen lassen will, und seinen Dienern den Auftrag zum Vollzug gäbe! Die Juden hatten die Absicht, Christum zu töten, und Pilatus und seine Kriegsknechte willfahrten ihrer rasenden Mordlust – und trotzdem bekennen die Jünger in feierlichem Gebet, alle Gottlosen hätten nichts getan, als was Gottes Hand und Rat beschlossen hätte! (Apg. 4,28). So hatte Petrus ja schon vorher in einer Predigt gesagt, Jesus sei aus bedachtem Rat und Vorsehung Gottes dahingegeben worden, daß er getötet werde (Apg. 2,23), als wollte er sagen: Gott, dem von Anfang her nichts verborgen war, hat mit Wissen und Willen festgesetzt, was die Juden vollführt haben. So wiederholt er es an anderer Stelle: „Gott, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat, wie Christus leiden sollte, hat’s also erfüllt“ (Apg. 3,18). Absalom verunreinigte in ehebrecherischem Umgang das Bett seines Vaters und vollführte damit ein abscheu liches Verbrechen (2. Sam. 16,22). Gott aber verkündigt, das sei sein Werk: „Du hast es insgeheim getan, ich werde es öffentlich tun, vor der Sonne!“ (2. Sam. 12,12). Und Jeremia spricht es aus, daß alles, was die Chaldäer an Grausamkeiten in Judäa begehen, Gottes Werk sei (Jer. 50,25; 1,15 und oft). Aus diesem Grunde wird ja Nebukadnezar Gottes Knecht geheißen! (Jer. 25,9; 27,6). Mehrfach ruft Gott es aus, sein Wink (Jes. 7,18), seiner Posaune Klang (Hos. 8,1), sein Befehl und Auftrag (Zeph. 2,1) rufe die Gottlosen zum Kriege auf! Den Assyrer nennt er die Rute seines Zorns (Jes. 10,5) und ein Beil, das er mit seiner Hand schwingt! Die Zerstörung der heiligen Stadt und die Verwüstung des Tempels heißt er sein Werk (Jes. 28,21). David will nicht gegen Gott murren, wenn er ausspricht, die Flüche des Simei kämen aus seinem Geheiß: „Der Herr hat ihn geheißen, daß er fluche“ (2. Sam. 16,10). Nein, er erkennt Gott damit als den gerechten Richter an! Öfters wird es in der heiligen Geschichte wiederholt, es komme von dem Herrn, was auch geschehe, so z.B. der Abfall der zehn Stämme (1. Kön. 11,31), der Untergang der Söhne des Eli (1. Sam. 2,34) und vieles dieser Art. Wer einigermaßen in der Schrift zu Hause ist, der sieht, daß ich nur wenige Zeugnisse von vielen anführe, um mich der Kürze zu befleißigen. Aber aus diesen wird bereits mehr als genug deutlich: wer an die Stelle der Vorsehung Gottes die bloße Zu lassung setzt, der schwatzt und redet unnützes Zeug! Als ob Gott in ruhiger Betrach tung dasäße und die zufälligen Ereignisse abwartete! Als ob so seine Gerichte vom Wohlgefallen des Menschen abhingen!

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I,18,2

Was nun die geheimen Regungen betrifft, die Gott im Menschen her vorruft, so gilt das, was Salomo vom Herzen des Königs sagt, sicher für jeden Menschen: Gott neigt es, wohin er will (Spr. 21,1). Und das bedeutet soviel, als hätte er gesagt: was wir uns auch innerlich vornehmen, alles wird durch Gottes geheime Leitung zu dem von ihm gesetzten Ziel geführt. Wahrlich, wenn er nicht im Herzen der Menschen wirksam wäre, so wäre es falsch geredet, er verschließe den Wahrhaftigen den Mund, er nähme den Alten ihre Klugheit (Hes. 7,26), er nähme den Fürsten der Erde den Verstand, daß sie auf Abwegen daherirrten! (Ps. 107,40). Dahin gehört es auch, wenn wir so häufig lesen, die Menschen würden furchtsam, wenn sein Schrecken ihr Herz ergriffe (Lev. 26,36). So konnte David aus dem La ger Sauls unbemerkt entkommen, weil ein Schlaf vom Herrn auf alle Feinde ge fallen war (1. Sam. 26,12). Klareres können wir aber gar nicht verlangen, als daß er so oft kundtut, er verblende des Menschen Geist (Jes. 29,14), er schlage ihn mit Wahn, er mache ihn trunken mit einem Geist des Schlafs (Jes. 29,10), gebe ihn in Torheit dahin (Röm. 1,28) und verhärte die Herzen (Ex. 4,21 und öfters). Auch das beziehen viele auf die „Zulassung“: Gott gebe die Verworfenen auf und ließe es zu, daß sie vom Satan verblendet würden. Aber der Geist drückt es doch deutlich so aus, nach Gottes gerechtem Urteil verfielen sie in Blindheit und Torheit (Röm. 1,20ff); jene Erklärung ist also durchaus verkehrt. Es heißt auch, er habe das Herz des Pharao verhärtet oder verstockt oder (in seiner Bosheit) versteift (Ex. 8,15). Einige suchen nun diesen Redeformen durch abgeschmackte Verdrehung einen anderen Sinn zu geben; sie berufen sich auf eine andere Stelle, wo von dem Pharao selbst gesagt wird, er habe sein Herz verstockt, und also sein eigener Wille als Ur sache der Verhärtung angesehen wird (Ex. 8,11). Und dabei stimmen diese beiden Behauptungen tadellos zusammen, weil, freilich auf verschiedene Weise, der Mensch, wenn er von Gott getrieben wird, doch zugleich selbst handelt! Ich richte das, was sie einwenden, gegen sie selbst: denn wenn „verstocken“ (allgemein) eine bloße Zulassung“ bedeutet, so ist auch der Trieb zur Widerspenstigkeit nicht eigentlich in dem Pharao zu suchen! Wie töricht und unsinnig wäre es aber, die Sache so auszu legen, als ob der Pharao es bloß zugelassen hätte, verhärtet zu werden! Außerdem nimmt die Schrift derartigen Sophistereien jede Handhabe: „Ich will sein Herz verstocken“, spricht Gott! (Ex. 4,21). So sagt auch Mose von den Ein wohnern des Landes Kanaan, sie seien in den Kampf gezogen, weil Gott ihr Herz verhärtet hätte! (Jos. 11,20). Auch ein anderer Prophet wiederholt es: „Er ver kehrte ihr Herz, daß sie seinem Volke gram wurden“ (Ps. 105,25). Ebenso droht Gott bei Jesaja, er werde über das treulose Volk die Assyrer senden und ihnen auf tragen, den Raub davonzutragen und die Beute auszuteilen (Jes. 10,6). Das be deutet nicht, daß er etwa gottlose und halsstarrige Menschen lehren wollte, aus freien Stücken Gehorsam zu leisten; sondern es will sagen, daß er sie zwingen will, seine Urteile zu vollstrecken, gleich als wenn ihnen seine Befehle ins Herz gemeißelt wären! Daraus wird deutlich: sie wurden durch klare Bestimmung Gottes getrieben! Freilich handelt Gott in den Gottlosen oft derart, daß der Satan als Werkzeug mitwirken muß; aber doch so, daß dieser auf Gottes Antrieb hin das Seine tut und nur so weit kommt, wie es ihm gegeben ist! Ein böser Geist verwirrt den Saul; aber es heißt, daß er „von Gott“ gewesen sei (1. Sam. 16,14), damit wir wissen, die Raserei Sauls gehe aus Gottes gerechter Vergeltung hervor. Es heißt weiter, daß der Satan der Ungläubigen Sinn verblende (2. Kor. 4,4). Woher sollte das aber anders kommen, als daß von Gott selbst die Kraft des Irrtums herfließt, so daß die, welche sich weigern, der Wahrheit zu gehorchen, nun Lügen glauben? Im ersten Sinn (vgl. Zeile 29) heißt es: „Wenn ein Prophet etwas fälschlich redet, so habe ich, Gott, ihn getäuscht“ (Ez. 14,9; nicht Luthertext). Und im zweiten Sinne (vgl. Zeile 30) hören wir, er selbst gebe die Menschen dahin in ihren verkehrten Sinn und lasse sie dahingehen in ihren bösen Begierden (Röm. 1,28); denn er ist ja der eigentliche Urheber seiner gerechten Vergeltung, der Satan ist nur Diener! Aber wir müssen, wenn im zweiten Buche vom freien oder unfreien Willen des Men schen die Rede ist, auf diese Dinge zurückkommen, und ich glaube, hier in Kürze so viel auseinandergesetzt zu haben, wie das vorliegende Lehrstück (locus) erforderte. Die Hauptsache muß sein: heißt Gottes Wille die Ursache aller Dinge, so muß auch notwendig seine Vorsehung in allen Plänen und Taten der Menschen die Führung innehaben, so daß sie nicht nur in den Gläubigen ihre Kraft erweist, die vom Heili gen Geist regiert werden, sondern auch die Gottlosen in ihren Gehorsam zwingt.

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Bisher habe ich nur ausgeführt, was uns die Schrift klar und unzweideutig lehrt. Wer sich also nicht scheut, den himmlischen Worten üble Schandmale aufzu drücken, der mag zusehen, was für ein Urteil er sich anmaßt! Gewiss: man stellt sich unwissend und möchte darüber gar noch für seine Bescheidenheit gelobt werden – aber was kann denn Hochmütigeres gedacht werden, als der Autorität Gottes ein Wörtlein entgegenzustellen? „Mir scheint es anders“ – „Das sollte man nicht be rühren“! Will man aber (die Wahrheit) unverhohlen lästern, was hat man denn davon, wenn man den Himmel anspeit? Neu ist dieser freche Mutwille nicht eben; denn es gab zu allen Zeiten gottlose und gottferne Menschen, die gegen dies Stück der Lehre wie toll gekläfft haben. Aber sie müssen angesichts der Tatsachen die Wahrheit dessen zugeben, was einst der Geist durch den Mund Davids verkündete, nämlich daß Gott recht behalte, wenn er gerichtet werde (Ps. 51,6). Unausgesprochen straft hier David die Torheit der Menschen, die sich in der zügellosen Frechheit äußert, aus ihrem Schmutz heraus nicht nur mit Gott rechten zu wollen, sondern sich gar die Macht anzumaßen, ihn zu verdammen! Indessen deutet er kurz an, daß all die Lästerungen, die man gegen den Himmel ausspeit, Gott nicht erreichen und ihn nicht hindern, alle Wolken der Schmähungen zu durchbrechen und seine Gerechtigkeit hell hervorleuchten zu lassen. Unser Glaube aber überwindet, da er in Gottes heiligem Worte begründet ist, die Welt (1. Joh. 5,4) und schaut deshalb von seiner Höhe auf dergleichen Nebel herab!

Der erste Vorwurf lautet: wenn alles nur mit Willen Gottes geschähe, so gäbe es in ihm zweierlei entgegengesetzten Willen; denn er beschließe ja in seinem verborgenen Rat, was er in seinem Gesetz verboten habe! Das ist leicht zu wider legen. Bevor ich aber antworte, möchte ich die Leser noch einmal daran erinnern, daß sich diese Sophisterei nicht eigentlich gegen mich, sondern gegen den Heiligen Geist richtet. Der hat doch gewiss dem heiligen Manne Hiob das Bekenntnis einge geben: „Wie es Gott gefiel, so ist es geschehen!“ (Hiob 1,21; nicht Luthertext). Und das sagte er, als er von den Räubern ausgeplündert war und doch in ihrer Ungerechtigkeit und Übeltat Gottes gerechte Schläge anerkannte! Und was sagt die Schrift sonst? Die Söhne des Eli gehorchten ihrem Vater nicht, weil Gott sie töten wollte! (1. Sam. 2,25). Auch ruft ja ein anderer Prophet aus: „Unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will“ (Ps. 115,3). Und ich habe doch schon deutlich genug gezeigt, daß Gott nach der Schrift der Urheber von all dem ist, was nach der Meinung dieser Kritiker bloß unter seiner müßigen Zulassung ge schieht! Er bezeugt von sich, daß er Licht und Finsternis schafft, das Gute und das Böse macht (Jes. 45,7), daß kein Unheil geschehe, das er nicht tue (Amos 3,6). Nun soll man mir doch bloß sagen, ob er denn mit oder ohne Willen seine Ge richte vollstreckt! Mose lehrt doch, wer von ungefähr durch ein herabfallendes Beil ums Leben komme, der sei von Gott in die Hand des Totschlägers gegeben worden (Dtn. 19,5). Und ebenso spricht es die ganze Kirche bei Lukas aus, Herodes und Pilatus seien eins geworden, um das zu tun, was doch Gottes Hand und Ratschluss beschlossen hatte! (Apg. 4,28). Und wahrlich, wäre Christus nicht mit dem Willen Gottes gekreuzigt worden – woher sollte dann unsere Erlösung kom men? Aber deshalb streitet Gottes Wille nicht mit sich selbst, verändert sich auch nicht, stellt sich auch nicht, als ob er nicht wolle, was er doch will; nein, obwohl er an sich einer und derselbe ist, erscheint er uns doch vielfältig, weil wir in un serer Kurzsichtigkeit nicht begreifen können, wie er auf verschiedene Weise in der gleichen Sache einerseits will, daß etwas geschieht, und es doch anderseits nicht will! An der Stelle, wo Paulus davon spricht, die Berufung der Heiden sei ein verborgenes Geheimnis (Eph. 3,9), fügt er gleich hinzu, in ihr käme die „mannigfaltige“ (polypoikilos) Weisheit Gottes zum Vorschein! (Eph. 3,10). Sollen wir aber, weil uns infolge der Schwäche unseres Sehvermögens Gottes Weisheit vielfältig – oder auch, wie ein alter Ausleger übersetzt: „vielgestaltig“ – er scheint, etwa träumen, es bestehe in Gott selbst eine Verschiedenheit, als ob er also seinen Plan änderte oder mit sich selbst uneinig würde? Und wenn wir nicht fassen können, wie denn Gott wollen kann, daß etwas geschehe, das er doch zu tun verboten hat, so soll uns unsere Schwachheit ins Gedächtnis kommen, und wir sollen bedenken: das Licht, in dem er wohnt, wird nicht ohne Grund unzudringlich genannt; denn es ist von Dunkel eingehüllt! (1. Tim. 6,16). Deshalb werden alle frommen und demütigen Leute gern dem Ausspruch Augustins zustimmen: „Zuweilen will der Mensch in rechtem Wollen, was doch Gott nicht will; wie z.B. ein guter Sohn will, daß sein Vater lebe, Gott aber, daß er sterbe. Ebenso kann es vorkommen, daß ein Mensch in bösem Willen das will, was Gott in gutem Willen will, zum Beispiel wenn ein böser Sohn will, daß sein Vater sterbe, Gott aber dasselbe will. So will also jener, was Gott nicht will, dieser aber, was Gott will! Und dennoch stimmt die fromme Gesinnung des einen mehr zum Willen Gottes, obwohl sie also etwas anderes will – als die Unfrömmigkeit des anderen, obwohl sie dasselbe will wie Gott! So wichtig ist es, darauf zu achten, was der Mensch nach Gebühr wollen soll, und was anderseits Gottes gerechter Wille ist, auch was für ein Zweck über dem Willen jedes Menschen steht, nach welchem er anerkannt oder verworfen wird. Denn Gott, der da recht will, erfüllt seinen Willen durch den bösen Willen böser Men schen“ (Handbüchlein an Laurentius, 101). Kurz vorher führt er aus: die abgefallenen Engel und alle Verworfenen haben, was sie selbst betrifft, in ihrem Abfall ge tan, was Gott nicht wollte; aber der Allmacht Gottes gegenüber haben sie das gar nicht fertiggebracht; denn indem sie gegen Gottes Willen handeln, vollzieht sich an ihnen eben Gottes Wille! Und deshalb ruft er aus: „Groß sind die Werke Gottes, auserlesen in allem seinem Wollen (Ps. 111,2; Luthertext anders)! Denn es geschieht eben auf wundersame und unaussprechliche Weise nicht ohne seinen Willen, was doch gegen seinen Willen geschieht! Es würde ja gar nicht geschehen, wenn er es nicht erlaubte, auch erlaubt er es ja nicht ohne seinen Willen, sondern mit ihm, und anderseits würde er, der Gute, gar nichts Böses geschehen lassen, wenn er, der Allmächtige, nicht wiederum bei dem Bösen es wohl machen könnte!“ (Handbüchlein, 100).

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Auf diese Weise löst sich, ja verschwindet auch der zweite Einwand. Man sagt: Wenn Gott nicht nur die Werke der Gottlosen benutzt, sondern gar ihre Pläne und ihre Gesinnung lenkt, so ist er ja der Urheber aller Schlechtigkeiten! Und so wäre es ja unrecht, daß man Menschen verdammt, wo sie doch nur durchführen, was Gott verordnet hat, da sie ja seinem Willen Gehorsam leisten! – Bei solcher Betrach­tungsweise wird in verkehrter Weise der Wille Gottes mit seinem Gebot ver wechselt; es ergibt sich aber aus unzähligen Beispielen, daß hier ein gewaltiger Un terschied zu machen ist. Obwohl nämlich Gott, als Absalom mit den Weibern seines Vaters Ehebruch trieb (2. Sam. 16,22), durch diese Untat den Ehebruch des David strafen wollte, „hieß“ er doch den ruchlosen Sohn nur in dem Sinne diese Blut schande begehen, als es den Vater betraf, so wie dieser auch Simeis Schmähungen auffasst. Denn wenn er gesteht, dieser (Simei) fluche auf Gottes „Geheiß“ (2. Sam. 16,10), so will er damit keineswegs dessen Gehorsam preisen, als ob dieser freche Hund (bewusst) Gottes Befehl gehorchte, sondern er erkennt seine Rede als Geißel Gottes an und läßt sich geduldig schlagen! So müssen wir festhalten: wenn Gott durch die Gottlosen ausführt, was er in seinem verborgenen Gericht bestimmt hat, so sind diese nicht entschuldbar, als ob sie seinem Gebot gehorchten – denn das verletzen sie ja mit aller Kraft, nach ihrem eigenen Gelüste!

Wie das, was Menschen in ihrer Verkehrtheit tun, doch von Gott kommt und von seinem verborgenen Ratschluss regiert wird, das zeigt als besonders deutliches Beispiel die Königswahl des Jerobeam (1. Kön. 12,20). Da wird einerseits die Un besonnenheit und Torheit des Volkes verdammt, weil es die von Gott gesetzte Ord nung umstieß und vom Hause David treulos abfiel. Und doch wissen wir anderseits, daß Gott diese Salbung gewollt hat. Von da aus ergibt sich auch der Schein eines Widerspruchs bei Hosea; denn da erhebt Gott einerseits Klage, daß diese Königs herrschaft ohne sein Wissen und Wollen aufgerichtet worden sei (Hos. 8,4), und anderseits spricht er aus, er habe den König Jerobeam gegeben „ in seinem Zorn“ (Hos. 13,11). Wie soll das zusammenstimmen – Jerobeam soll ohne Gott König geworden und er soll doch von ihm eingesetzt worden sein? Auf folgende Weise: Das Volk konnte freilich von dem Hause David nicht abfallen, ohne das von Gott ihm auferlegte Joch abzuwerfen – aber dadurch war doch Gott selbst nicht die Freiheit genommen, die Undankbarkeit des Salomo so zu bestrafen! Wir sehen also, wie Gott, der Treulosigkeit nicht will, dennoch in gerechter Absicht zu einem anderen Zweck den Abfall will; so wird auch Jerobeam wider alles Erwarten durch hei lige Salbung zur Herrscherwürde geführt! Auf solche Weise, sagt die heilige Ge schichte, wurde von Gott ein Feind erweckt, der Salomos Sohn eines Teils der Herrschaft beraubte (1. Kön. 11,23). Da muß der Leser mit Aufmerksamkeit beides erwägen: Es hatte Gott Wohlgefallen, daß das Volk unter eines Königs Hand regiert werde; daß es nun in zwei Teile auseinander bricht, das geschieht ge gen seinen Willen – und trotzdem nahm das Zerwürfnis in seinem Willen seinen Ursprung! Denn daß der Prophet dem nichts dergleichen ahnenden Jerobeam durch sein Wort und durch die in der Salbung liegende Anwartschaft die Hoffnung auf die Königswürde einflößte, das geschah gewiss weder ohne Wissen, noch ohne den Willen Gottes, der ja gerade befohlen hatte, es solle so geschehen. Und doch wird der Abfall des Volkes mit Recht verdammt, weil es sozusagen gegen den Willen Gottes vom Hause David sich abwandte! In diesem Sinne heißt es später: daß Rehabeam so hochmütig die Bitten des Volkes in den Wind geschlagen habe, das sei von Gott so geschehen, damit das Wort erfüllt würde, das er durch seinen Knecht Ahia gesprochen hatte! (1. Kön. 12,15). Man beachte: da wird wider den Willen Gottes die heilige Einheit zerrissen – und doch trennen sich aus dem gleichen Willen zehn Stämme vom Sohne Salomos! Dazu mag noch ein anderes, ähnliches Beispiel kommen: Da werden unter Zustimmung, ja unter Mitwirkung des Volkes die Söhne des Königs Ahab ermordet, und das ganze Geschlecht wird ausgerottet (2. Kön. 10,7). Mit Recht sagt Jehu, es sei keines der Worte Gottes zur Erde gefallen, sondern Gott habe getan, was er durch seinen Knecht Elia gesagt habe. Und doch straft er nicht ohne Anlass die Bürger von Samaria, daß sie dazu geholfen hätten: „Seid ihr gerecht? Wenn ich gegen meinen Herrn mich verschworen habe – wer hat diese dann alle getötet?“ (2. Kön. 10,9; nicht Luthertext). Ich habe schon oben, – wenn ich mich nicht täusche: deutlich – auseinandergesetzt, wie sich in dem gleichen Werk ebenso das Verbrechen des Menschen wie auch Gottes Gerechtigkeit zeigt. Und be scheidenen Lesern wird stets die Antwort des Augustin genügen: „Wenn der Vater den Sohn dahingab und Christus seinen Leib – und Judas den Herrn, wie kann dann in diesem vielfältigen „Dahingehen“ Gott gerecht und der Mensch schuldig sein, wenn nicht eben in der gleichen Sache, die sie taten, der Grund nicht ein einziger war, aus dem sie handelten!“ (Brief 93). Wir müssen also jetzt sagen: es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen Gott und dem Menschen, wenn dieser auf Gottes ge rechten Antrieb hin tut, was er nicht darf! Wer sich darin nicht finden kann, dem soll ein Ausspruch des gleichen Augustin zu Hilfe kommen: „Wer wird nicht vor je nen Gerichten erzittern, da Gott in dem Herzen der Bösen wirkt, was er will – und ihnen dann doch vergilt nach ihrem Verdienst!“ (Über die Gnade und den freien Willen 21,42). Und doch wäre es angesichts der Treulosigkeit des Judas ebenso verkehrt, die Schuld für seine ruchlose Tat Gott zuzuschieben, weil er doch selbst wollte, daß sein Sohn dahingegeben werde, und ihn doch selbst in den Tod dahingab – wie es anderseits unrecht wäre, nun dem Judas den Lobpreis für die Erlösung zuzusprechen! Deshalb ist es sehr richtig, wenn der nämliche Augustin an anderer Stelle daran mahnt, in dieser Untersuchung frage Gott nicht, was der Mensch ge konnt hätte, auch nicht, was er getan hätte, sondern, was er gewollt hätte, damit Plan und Wille zur Rechenschaft kämen! Wer das nun „hart“ findet, der soll doch ein wenig bedenken, ob solches Murren verzeihlich sei, wo er doch eine von klaren Schriftzeugnissen belegte Lehre verachtet, nur weil sie über seinen Verstand geht, und darüber zürnt, daß Dinge zur Verhandlung kommen, die Gott nie durch seine Propheten und Apostel hätte lehren lassen, wenn er nicht wüsste, daß sie nützlich zu wissen sind! Denn unsere Weisheit kann in nichts anderem bestehen als darin, daß wir mit demütiger Lernbegierde alles – und zwar ohne Ausnahme – annehmen, was in der Heiligen Schrift uns kundgemacht wird. Wer sich aber mit Frechheit brüstet, der kläfft ja offenkundig gegen Gott und ist einer längeren Widerlegung nicht wert.

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