Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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§ 34. Die verschiedenen Bestandteile des menschlichen Wesens (2. Teil)

3. Die Seele hat Freiheit oder Spontaneität, d.h. sie bewegt sich nicht nach einerm über ihr stehenden mechanischen oder organisch wirkenden Gesetze, etwa in Unterordnung unter die Materie und deren Gesetze, sondern sie bewegt sich frei vom Zwang in der Sphäre und der Bahn, wo sie sich gerade befindet. Sie handelt nicht instinktmäßig, sondern verhält sich denkend, fühlend und wollend. Ihre Wahlfreiheit ist aber deshalb keine unbedingte und schöpferische, weil der Wille abhängig ist vom Erkennen. Der Wille kann nicht anders wählen, als der Verstand es ihm vorschreibt; er kann sich nicht isolieren und immer wieder von vorn anfangen. Vielmehr ist jeder Akt der Wahl das Produkt einer Beratung des Willens mit dem Verstande unter Zuziehung des Gefühls. Ist nun dies Erkenntnisvermögen irre geleitet und demnach das Gefühl voll von irreleitenden Eindrücken, so ist auch derWille an diese bestimmte Richtung gebunden, in der er sich aber darum doch frei und gern, d.h. spontan bewegt, weil eben sein Ratgeber, der Verstand, auf dem Irrwege vorangeht und er lediglich folgt. Der Mensch handelt und wählt wirklich frei, d.h. nach bestem Wissen. Letzteres sagt aber eben das vorgängige Urteil des Verstandes aus. Das iudicium geht der voluntas voraus. Wenn wir Freiheit von der Seele prädizieren, so schließen wir damit nicht jede Notwendigkeit, sondern nur den Zwang als mit der Freiheit im Gegensatz stehend aus. Vgl. Jac. Alting, Dissertatio theol. VI. 4. Als im Bilde Gottes formierte besitzt die Seele Unsterblichkeit als eine ihr anerschaffene Eigentümlichkeit. Die Seele kann zufolge ihres Erschaffenseins im Bilde Gottes nie aufhören zu sein; sie ist nicht auf die Zeit, sondern auf die Ewigkeit angelegt. Und wenn sie auch durch die Sünde dem ewigen Tode verfällt, so wird ihr derselbe doch nur angetan, wie eben die Seele gemäß ihrer Natur ihn zu erleiden fähig ist. Leben im uneingeschränkten Sinn des Wortes ist dem im Bild Gottes Erschaffenen das zu§ nächst in Aussicht gestellte, ja, das allein Natürliche. Der Tod war eigentlich ein dem Menschen fremdes Element; er ist Sold der Sünde: Röm 6,23. Er kam durch die Sünde in die Welt hinein: Röm 5,12. Der Teufel hat die Macht des Todes: Hebr 2,14; er verfügt über ihn und hält mittels desselben die Menschen in beständiger Furcht. Der Tod ist aber das Gegenstück des Lebens aus Gott; er vernichtet zunächst zwar nur den Leib völlig, bringt aber für die unerlöste Seele Unseligkeit und Unfrieden mit sich. Wir bemerken, daß die heilige Schrift die Unsterblichkeit der Seele überall als selbstverständlich voraussetzt, ohne sie eigentlich ausdrücklich zu lehren. Philosophisch beweisen läßt sich die Unsterblichkeit der Seele gar nicht. Sie ist auch bei Plato reine Voraussetzung. Wir haben nun bezüglich der menschlichen Beschaffenheit noch folgende zwei Fragen zu erörtern: 1. Woher stammt die Seele? und 2. Ob Seele und Geist als etwas substanziell Verschiedenes zu unterscheiden sind? Was das erste betrifft, so ist klar, daß auch die Seele aus dem Nichts hervorgerufen ist und daß sie nicht aus Gott emaniert sei, wie die Manichäer, Servet und viele Mystiker wollten. Wir wissen nichts über die Art ihres Entstehens und müssen auch hier, wie bei allen übrigen Kreaturen festhalten, daß die Seele im Menschen hervorgerufen ward nach Gottes, des Vaters, Rat, durch das Wort, den Logos, und fortan durch die Wirksamkeit des heiligen Geistes im Menschen erhalten wird. Aus 1.Mose 2,7 lernen wir nur die äußeren Umrisse dieser Erschaffung des Menschen kennen; den Schleier zu heben und hinter die Dinge im tiefsten Grunde zu kommen, ist uns versagt. Diese letztere Stelle findet noch eine nähere Erklärung durch 4.Mose 16,22. Gott wird hier „Gott der Geister alles Fleisches“ genannt, wo dann der Menschengeist samt dem Lebensprinzip der Tiere Gotte entgegengestellt wird. Vgl. Hiob 33,4; Sach 12,1; Jes 42,5; Jer 38,16; Hebr 12,9. Jer 38,16 und Sach 12,1 wird die Seele als erschaffene, und der Geist als ein von Gott gebildeter bezeichnet. Daß der menschliche Geist keine particula divina sein könne, folgt schon aus der ihm zugeschriebenen Befleckung, 2.Kor 7,1; ferner ist laut Eph 4,23.24 eine Erneuerung am Geiste nötig. Was aber von Natur göttlich ist, das ist nicht fähig zu sündigen, aber auch nicht der Erneuerung fähig; es bedarf ihrer nicht. Endlich folgt die Unmöglichkeit der Annahme, daß der Geist ein Ausfluß aus Gottes Wesen sei, aus der Natur des Wesens Gottes selber. Das eine unteilbare Wesen Gottes kann kein noch so kleines Bruchteil seines Geistes an den Menschen abtreten, ohne an seiner Absolutheit und Unteilbarkeit einzubüßen. Alles nämlich, was teilbar ist, das ist endlich und nicht ewig. Man kommt bei dieser den Mystikern sehr gefälligen Annahme von einer substanziellen Wesenseinheit des menschlichen und göttlichen Geistes konsequent zum Pantheismus
Simon W.

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§ 34. Die verschiedenen Bestandteile des menschlichen Wesens (3. Teil)

II. Was nun das geistige Wesen des Menschen selber betrifft, so dürfen wir in ihm nicht Seele und Geist unterscheiden. Seele und Geist sind nicht zwei verschiedene Substanzen, so daß jene den mehr sinnlichen und in den Leib versenkten Teil, dieser – der Geist – den vernünftigen Teil des Menschen ausmachten. Eine Identität von Seele und Geist ergibt sich vielmehr schon daraus, daß das Sterben bald als ein Aufgeben der Seele: 1.Mose 35,18; 1.Kön 17,21. Apg 15,26; bald aber als ein Aufgeben des Geistes bezeichnet wird : Ps 31,6; Lk 23,46; Apg 7,58. Eins steht für das andere. Die Identität von Seele und Geist ergibt sich in bezug auf Jesus aus dem Vergleich von Stellen, wie Joh 10,17 mit Lk 23,46, oder Joh 12,27 mit 11,33 und 13,21. Bezüglich des Menschen im Allgemeinen ergibt sich die substanzielle Einheit von Seele und Geist aus Lk 1,46 47; 1.Kor 5,5; 2.Kor 12,15. Weiter sind die Seelen und Geister der Verstorbenen ein und dasselbe: vgl. Hebr 12,23 mit Offb 6,9; 20,4. Schon gleich die hebräische Etymologie der zwei Wörter vp,n< und x;Wr gibt hier einen zutreffenden Fingerzeig; beide Wörter besagen etymologisch ganz das Gleiche, nämlich das im Hauchen offenbar werdende Leben. Es sind also diese Ausdrücke zwei gleichartige Bilder für das innerliche, geistige Leben. Nun läßt sich aber freilich nicht leugnen, daß besonders der Apostel Paulus, trotz der Identität von ψυχη, und πνευμα, einen gesonderten Gebrauch von den Adjektiven ψυχικος und πνευματικος macht. Ψυχικος charakterisiert bei ihm, ähnlich wie σαρκικος) 1.Kor 3,3, den Menschen als natürlichen oder alten Menschen; πνευματικος dient zur Bezeichnung des wiedergeborenen oder neuen Menschen. Zwar bleiben die geistigen Organe, der Wesensbestand beim pneumatischen oder geistlichen, wie beim psychischen oder seelischen Menschen, dieselben. Aber doch liebt es Paulus, die neue Richtung, den zufolge der Rechtfertigung geänderten Standpunkt des Individuums durch das Prädikat πνευματικος auszudrücken; während ψυχικος den Stand des Menschen, wie er von Adam her ist, kennzeichnet. So besonders in 1.Kor 2,13-15. Dieser Sprachgebrauch schreibt sich daher, daß Paulus für den Stand des Wiedergeborenen, nach Analogie des πνευμα αγιον, die gleichklingende Bezeichnung πνευματικος wählte, dagegen wurde dann ψυχικος für den Stand des Unwiedergeborenen reserviert. An und für sich – ohne die Dazwischenkunft des heiligen Geistes – ist aber das menschliche πνευμα keineswegs schon Gott wohlgefällig und etwa ein drittes Wesensmoment, das über der Seele stünde; sondern nur in Verbindung mit dem Geist Gottes ist solches der Fall. Auch Paulus spricht von dem πνευμα als einem solchem, das der Befleckung offen stehe (2.Kor 7,1) und noch erst gerettet werden müsse; es ist ihm πνευμα an sich also kein besonderes und etwa höheres Lebensprinzip: s. 1.Kor 5,597, wo es nicht mehr ist als ψυχη, in Mt 10,28. Petrus behandelt im 1. Brief, Kap 2,11 das Wort ψυχη, ganz ähnlich, wie Paulus πνευμα. Er redet daselbst von fleischlichen Begierden, welche wider die Seele streiten. So haben wir denn bei der Dichotomie oder der Zweiteilung des menschlichen Wesens zu verbleiben. Die Trichotomie haben neuere Gelehrte, wie v. Hofmann, Thomasius, Harless, Rothe, Delitzsch, Meyer u.a. mit Recht als unbiblisch abgewiesen. Beide Wesensmomente, Leib und Seele zusammengenommen, machen den Menschen aus; so verschieden wie sie sind, kommt doch erst durch beide Momente zusammen der von Gott gewollte Mensch zu Stande. Eine größere Einheit, trotz der größten Verschiedenheit, als hier beim Menschen stattfindet, läßt sich nicht denken; und der Mensch ist sich selber schon eines der höchsten Mysterien – ein Gotteswerk ist er, zu wunderbar, um ergründet zu werden.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 34. Die verschiedenen Bestandteile des menschlichen Wesens (4. Teil)

Blicken wir zurück auf den §. und fragen wir uns, was dem Menschen geblieben sein wird, nachdem der Fall eintrat, so ist zu antworten: eben diese besonderen im Vorigen genannten Momente seines Wesens. Der Mensch nimmt in sich auf die Tugenden und die vielfältige Vollkommenheit, die Gottes Geist ihm vermittelt, so lange er in Gottes Bilde steht. Herausversetzt dagegen aus der Sphäre des Bildes Gottes behält der Mensch zwar alle seine Gaben; er behält Verstand und Willenskraft; aber vom Bilde Gottes ist er geschieden, und demzufolge ist er auch der Gottähnlichkeit ledig; wenngleich gewisse Spuren von dem früheren Adel sowie der früheren Bestimmung beim Menschen noch wahrzunehmen sind. Was dem Menschen nämlich geblieben, das ist die allgemeine Konvenienz und Übereinstimmung seiner Fakultäten mit denjenigen Gottes (similitudines); nur freilich so, daß Ziel und Richtung derselben völlig verändert sind. Also der Mensch bleibt Mensch, auch wo er aus dem Bereich des Bildes Gottes herausgetreten ist. Er wird durch die Sünde nicht in sein Gegenteil verwandelt, die Substanz des Menschen bleibt unverändert. Nur aber tritt dies ein, daß er als Sünder seinen Zweck nicht mehr erfüllt und mithin unbrauchbar und gänzlich unvollkommen wird und als zweckloser Bestandteil der Schöpfung den Zorn Gottes reizt durch Übertretung des Gesetzes, und somit der Verdammnis anheimfällt.

§ 35. Die Konsequenzen des glückseligen Urstandes
Um uns eine umfassende Anschauung von dem Urstande des Menschen zu machen, bedarf es noch der Aufzählung aller aus dem Stande im Bilde Gottes fließenden Konsequenzen. Als erste Konsequenz des Standes im Bilde Gottes müssen wir die Herrschaft des Menschen über die anderen lebendigen Wesen und die Erde überhaupt betrachten. Dieselbe tritt gleich in 1.Mose 1,26 hervor. Sie macht jedoch nicht etwa das Ebenbild Gottes aus, wie einige Kirchenväter und desgleichen die Socinianer meinten, sondern ist eine reine Konsequenz des Standes im Bilde Gottes. Als erster Ausfluß dieser Macht über die Tiere, also auch über die Schlange, erscheint die von Adam ausgeübte Benennung derselben: 1.Mose 2,19. 20. Hier offenbarte Adam seine Weisheit in der Durchschauung des tierischen Charakters und zugleich seine Herrschaft über die Tiere. Die Namengebung ist ein ius dominii, und es ward den Tieren damit eine forma ac facies gegeben. Als zweite Konsequenz des Urstandes nennen wir die Unsterblichkeit auch des Leibes Adams. Denn offenbar ist nach Röm 5,12 nicht kraft Adams Natur, sondern durch die Sünde der Tod in die Welt eingetreten; und der Sünde Sold heißt der Tod: Röm 6,23. Überdies verhieß der Baum des Lebens ausdrücklich dem Adam glückseliges Leben ohne Tod: 1.Mose 3,22. Zugleich aber ersehen wir aus dem Gebote in 1.Mose 2,17, daß diese Unsterblichkeit des Leibes keine absolute war, sondern eine bedingte: der Tod trat nicht ein, so lange als Adam sich von der Frucht des verbotenen Baumes (also von der Sünde) fern hielt. Richtig und fein zugleich ist folgende Unterscheidung Augustins, indem er von Adam vor dem Fall die Formel „poterat non mori“ gebraucht, ihm aber die Formel „non poterat mori“ versagt. Letzteres gilt erst von den Vollendeten nach der Auferstehung. Als dritte Konsequenz, die eng mit der vorigen zusammengehört, erwähnen wir die Freiheit der Menschen vom Arbeiten im Schweiße des Angesichts und von den schweren Geburtsmühsalen. Beide Lasten des Lebens wurden erst nach dem Fall über die Menschen als Übel und Strafen der Sünde verhängt, 1.Mose 3,17-19. Ferner gehört die Verleihung eines herrlich ausgestatteten Berufsfeldes im Lande Eden hierher, 1.Mose 2,8, auf welchem der Erstmensch seine Kräfte und Gaben in angemessener Weise zur Anwendung bringen und üben konnte.
Simon W.

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§ 35. Die Konsequenzen des glückseligen Urstandes (2. Teil)

Als vierte Konsequenz nennen wir die innigste, nahezu tastbare Gottesgemeinschaft, so zwar, daß Adam Gott im Garten wandeln hörte und dabei seine Stimme vernahm, was aus 1.Mose 3,8, vgl. 4.Mose 12,8, zu folgern ist. So wandelte denn Adam, soweit dies sein an die Erde vorerst noch gebundenes Dasein zuließ, im Schauen; er hatte die Macht und die Kraft, das Gute zu wollen und auch zu vollbringen; er hatte Frieden mit Gott und den Kreaturen um ihn her; er befand sich im vollen Genuß der Güte Gottes ; er genoß ein so ungetrübtes irdisches Glück, wie keiner nach ihm. Dasselbe zu erhöhen, diente die Beteiligung anderer an demselben. Die Erschaffung des Weibes fand statt, wodurch Adam seiner Einsamkeit entnommen ward. Nun genoß er nicht mehr allein. Der Hergang bei der Bildung des Weibes war ein absichtlich plastischer und hatte überdies konstitutiven Charakter. Es wurde durch diese Bildung des Weibes aus einer Rippe des Mannes die überaus wichtige Tatsache zunächst sicher gestellt: daß Gott von einem Blut die Gesamheit der Menschen abstammen lassen wolle: Apg 17,26; ferner wurde dadurch die Wahrheit festbegründet, daß die gesamte Menschheit in einem Haupt gipfele: Röm 5,12; die Antithese zwischen Adam und Christus ist dadurch gemäß Gottes weiser Anordnung schon hier begründet. Der Mann ist auch des Weibes Haupt; denn das Weib ist aus dem Manne und um des Mannes willen überhaupt da. Die Abhängigkeit ist gleich bei der Schöpfung festgestellt worden: 1.Kor 11,3.8.9. Endlich ist die Monogamie durch diesen plastischen Vorgang aufs deutlichste vorgeschrieben. Sind nämlich ausschließlich zwei zum ehelichen Umgang berufen, 1.Mose 2,24; vgl. Mt 19,4. 5, so ist es ein Umsturz der göttlichen Ordnung, eine Leugnung der grundlegenden Handlungsweise Gottes in der Genesis, wenn man Vielweiberei zulassen wollte. – Der Segen Gottes 1.Mose1,28, kraft dessen Adam Kinder zeugen und sein Geschlecht mehren sollte, war eine weitere Zutat zu seinem irdischen, hohen Glück, und diesen Segen verleugnen diejenigen, die das Zölibat empfehlen; z.B. Hieronymus zu 1.Kor 798. Adam durfteWesen, die seinesgleichen waren, ins Leben setzen und solche um sich sehen, die an seinem vollendeten Glücke Teil nahmen; er durfte die Wohltat Gottes, die an ihm geschehen war, anderen mitteilen und für andere sorgen: worin ein stärkstes Band für ein gemeinschaftliches Leben der Menschen liegt.99 Als Symbol für solches, nach allen Seiten hin glückliches, seliges Leben auf Erden war Adam der Baum des Lebens gegeben. Der Genuß dieses Baumes, ja schon sein bloßes Vorhandensein, bestätigte dem Erstmenschen sein Anrecht auf ein ewiges, seliges Leben. Ausdrücklich nämlich garantierte ihm dieser Baum ewiges Leben: 1.Mose 3,22. Durch diesen Baum ward, wie mit Buchstabenschrift, dem Adam zu erkennen gegeben, daß er sein begonnenes, glückliches Leben fortführen werde, bis Gott einen Wechsel für gut befinden, und ein Übergang aus diesem irdischen Leben zum ewigen Anschauen Gottes statthaben würde. Adam war also ein vollkommener und glückseliger Mensch. Das Gefäß war bis zum Rande voll; die Kreatur war gesättigt. Ihr Glück war dabei ein für alle sichtbares; d.h. es lag auf der Hand, was sie glückselig machte; – sie wandelte im Schauen – nicht im Glauben. Ließ Gott aber den Menschen in diesem Zustand gleichsam so fortvegetieren, ließ er ihn sich ausbreiten und Wurzel schlagen, wie die Wucherpflanze im Sonnenschein des südlichen Himmels? Nein, Gottes Ehre verlangte, daß der Mensch außerdem noch in einem speziellen Verhältnis zu seinem Schöpfer zu stehen käme, und dies Verhältnis wurde eingeleitet durch das Gebot. Gott hat in Adam nicht einen Gott neben sich, einen Untergott gleichsam, sondern einen Untertan erschaffen wollen. Gehorsam war daher ein Erfordernis, das Gott um seiner Ehre willen, wie auch zum Besten der Kreatur von dem Menschen fordern mußte. Unter der Bedingung des Gehorsams sollte der Mensch in diesem Glück bleiben. Wir kommen damit zum Gebot. Das Gebot gehört mit zur Definition des Menschen. Ohne Gebot kein Mensch.
Simon W.

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§ 36. Das Gebot

Der Mensch, so vollkommen er auch ist, soll ein Gebot haben, um eben diese seine Vollkommenheit zur Betätigung kommen zu lassen. Das Gebot gibt dazu den Anlaß; es weist dem Menschen seinen Platz an. Als der Mensch in den Garten Eden versetzt ward, erteilte ihm Gott ein Gebot. Das Gebot lautete, von allen Bäumen des Gartens solle er essen, von dem Baume des Erkennens des Guten und Bösen aber nicht, sondern welches Tages er davon äße, solle er unfehlbar sterben: 1.Mose 2,17. Um die Aufstellung eines Gebotes zu verstehen, müssen wir auf die Stellung des Menschen Bedacht nehmen. Wir hören, der Mensch ist einem Gebote unterworfen; Solches wurde keinem anderen Wesen auferlegt. Es ist also etwas dem Menschen Wesentliches. Der Mensch ist nicht bedingungslos und unveränderlich gut erschaffen, sondern unter der Bedingung des
Gehorsams. Zwar ist nach der Bibel der Mensch von Anfang an der göttlichen Macht unterworfen, die ihn geschaffen hat; darin steht er nicht verschieden von allen Tieren da. Er stand da im Bilde Gottes; sein ganzes Wesen war aufs innigste verflochten mit Gott und abhängig von dem göttlichen Willen; aber das alles war zunächst eine Notwendigkeit, etwas, was sich von selbst verstand. Davon würde der Mensch sich nie Rechenschaft gegeben haben,wenn nicht ein Gebot ihm den Gehorsam zur Pflicht gemacht hätte. Das Gebot gibt dem vollkommen ausgestatteten Menschen erst ein Zentrum; es bringt Tendenz und Leben in sein ganzes Tun. Er soll das Auge auf seinen Schöpfer richten, und es soll in der Bewahrung eines Gebotes allein Glück und Heil für den Menschen bestehen. Die Erkenntnis zu fördern, daß in der Bewahrung des Gebotes Heil und Leben – in der Übertretung desselben aber Tod liege, ist der Zweck dieser göttlichen Maßnahme. Der Mensch soll bleiben in dem Stand, worin er sich befindet; seinen Posten bewahren. Von Gut oder Böse soll er nicht Kenntnis nehmen, indem er von jenem Baume genießt. Was Gott gut heißt, das soll ihm gut sein, und alles andere soll er verwerfen. Dies Gebot Gottes tut nun nichts hinzu zum vollkommenen Stande des Menschen, sondern es zeichnet ihm nur seine Bahn vor, die er einzuhalten hat. Der Mensch soll seinen Lebensweg nicht verfolgen, wie das z.B. ein Stern tut, der nicht aus seiner Bahn weichen kann, sondern wie ein Wesen, das Geist ist, solches tut – d.h. mit Freiheit. Freiwillig verfolgt der im Bilde Gottes gemachte, vollkommene Mensch denWeg, den das Gebot Gottes ihm angibt, den sein Verstand auch als den allein guten ihm vorzeichnet, und sein Wille gern einschlägt. Solange als nun der Mensch dieses Gebot Gottes fest im Auge behält und allen Verführungen zum Trotz sich an das Wort seines gütigen Vaters anklammert, ohne zu zweifeln und zu räsonieren, so lange bleibt und verharrt er in dem vollkommenen Urstande. Aus folgenden zwei Gesichtspunkten rechtfertigt sich die Aufstellung eines Gebotes im Paradiese.
Simon W.

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§ 36. Das Gebot (2. Teil)

Erstens ist das paradiesische Gebot zur Wahrung der Ehre Gottes gegeben. Es übte das Gebot, sozusagen, eine von Gottes Ehre erforderte, und von seiner Souveränität unabtrennliche Pression auf den Menschen aus. Gott ist Gott im Paradiese – Gott ist Schöpfer und Gebieter – und der Mensch bei aller Vollkommenheit ist eine aus dem Nichts hervorgerufene Kreatur (vgl. Mt 3,9: Gott kann aus den Steinen dem Abraham Kinder erwecken); abgesehen von Gott ist er immerdar nur ein Nichts: 1.Kor 1,28. Er ist nur solange etwas, als er gehorsam dem Gebot im Bild Gottes verharrt; übertritt er aber dieses ihm von Gott gestellte Gebot, so entfällt er dem Bild Gottes und verfällt dem Tod, dem geraden Gegenstück des wahren Lebens. Das Gebot Gottes ist also gleichsam der aufgehobene Finger Gottes, der eitel Lieblichkeit ist, so lange, als der Mensch folgsam bleibt; der aber eine entgegengesetzte Bedeutung bekommt, sobald als der Mensch von der Bahn abweicht. Das Gebot ist zweitens zu des Menschen Bestem gegeben; es ist eine große Gnade Gottes; denn durch dasselbe kommt erst Zweck, Tendenz, Leben in Adams ganzes Dasein. Ohne Gebot wäre der Mensch nichts besseres gewesen, als, die Gestirne, die mechanisch, ohne Bewußtsein, die vorgeschriebene Bahn durchlaufen. Oder sollte er dennoch mit Bewußtsein und Freiheit einherwandeln – aber ohne ein über ihm stehendes Gebot – dann müßte Adam eben Gott selbst gewesen sein. Dem Wortlaut nach ging das Gebot dahin, daß der Mensch von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht essen solle: 1.Mose 2,17. Dies war zunächst leicht genug zu erfüllen, da alle übrigen Bäume des Gartens dem Menschen zum Genuß frei standen. Um eines höheren Zweckes willen aber war das an sich leichte Gebot gegeben. Den in das Paradies hineinreichenden Willen Gottes, als allein bestimmenden, sollte das Gebot signalisieren. Gott ist es, der in letzter Instanz hier zu sagen hat. Bei näherer Betrachtung ist es aber nicht bloß dieses Souveränitätsrecht, welches Gott durch das Gebot wahrt, sondern wiederum des Menschen eigenes Bestes, was dieses Gebot bezweckte. Von der Erkenntnis nämlich des Guten und Bösen, die der Genuß einer Frucht des verbotenen Baumes vermitteln würde, soll der Mensch fern gehalten werden. Der Mensch soll beschränkt – aber in Gott beschränkt sein. Gutes und Böses zu erkennen, soll ihm vorenthalten bleiben, als für ihn nicht dienlich. Der Mensch soll eine von Gott vorgeschriebene Richtung einschlagen; er soll innerhalb der von Gott abgesteckten Schranken laufen und also die anerschaffene Güte betätigen. Er soll nicht wählend über dem Gebote Gottes stehen, sondern gehorsam unter demselben. Er soll nicht dem Schwanken zwischen Gutem und Bösem ausgesetzt sein – aus diesem Schwanken kann nie Heil dem Menschen erwachsen – denn aus sich selber kann er nie dieses Schwankens Herr werden. Des Menschen ganze Aufgabe war nun: gehorsam diesem Gebote Gottes zu sein, worin dann zugleich das Beharren im Bilde Gottes lag. Zu dieser Abteilung vgl. die deutsche Apologie Melanchthons 54,19.
Simon W.

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ZWEITE ABTEILUNG.
Vom Fall des Menschen
§ 37. Über den Ursprung der Sünde

Mit der Aufstellung des Gebotes in 1.Mose 2,17 war die Möglichkeit der Übertretung gegeben. Wenn Gott nun die Möglichkeit setzte, ist er da nicht Urheber der Sünde? Wir antworten nein! Gott hatte das seinige getan; der Mensch stand da in Vollkommenheit. Vielmehr in dem Begriff der Kreaturen, die ja nicht Gott sind, liegt es, nicht unveränderlich zu sein. Unveränderlich gut ist allein Gott, absolut gut ist allein Gott. Niemand ist gut, als der einige Gott, sagt Jesus Mt 19,17. Um nun unveränderlich gut zu werden, dazu muß die Kreatur eine Bahn, eine Ordnung, kurz ein Gebot befolgen, und dann erst wird sie bleibend gut; sie bewährt die angeborene Güte, wenn sie in dieser Bahn beharrt. Da nun aber weder Mensch (noch Engel) von Anfang an unveränderlich gut waren, so entsprang daraus die Möglichkeit der Sünde. Der Mensch ist wandelbar gut geschaffen; ihm ist diese Güte bedingungsweise verliehen – unter der Bedingung, daß er sich unter Gott beuge, sein Gebot bewahre und damit seine Stellung als Untertan einhalte. Solches lebendig zu erhalten diente das Gebot. Das Gebot ist nicht gegeben, auf daß der Mensch falle, sondern um den Gehorsam zu ermöglichen und vor dem Versuch zu warnen, ob er es vielleicht auch anders machen könnte, als ihm Gott es vorgeschrieben. Letzteres wäre Ungehorsam gewesen. Das Gebot ist nicht etwa eine Zumutung an des Menschen freien Willen; es ist nicht gegeben, um seiner Freiheit ein Übungsfeld zu eröffnen. Nein, es stellt den Menschen hin als das, was er ist – als Untertan, als geschaffen, als wandelbar gut. Diese Wandelbarkeit (mutabilitas) ist eine der Kreatur als solcher anhaftende Unvollkommenheit, gleichsam wie der Schatten dem Licht anhaftet100. Die mutabilitas ist demnach weder als ein Vorzug noch als ein Nachteil zu bezeichnen; sie ist unabtrennbar von dem Begriff der Kreatur. Die Kreatur muß als solche auf ihrem Standpunkt gehalten werden, sonst erhebt sie sich bei aller Gottähnlichkeit; sie würde mehr sein wollen, als Gott ihr zugestehen kann; sie würde dahinleben, als ob sie niemandem etwas zu verdanken hätte; sie würde sich gebärden als Gott neben Gott. Weil aber die Kreatur in Wahrheit unendlich geringer ist, als Gott, weil sie, aus dem Nichts hervorgerufen, in die nächste Nähe Gottes versetzt ist, endlich weil sie nur kraft des guten, gnädigen Willens Gottes Teil nimmt an der Herrlichkeit Gottes: so ist sie der Veränderung, ja eventuell auch einer Verschlechterung ihres Standes ausgesetzt. sowie nämlich die Kreatur Gottes Gebot und damit Gott als obersten Herrn außer Augen läßt und vergißt, daß sie alles durch ihn aus Gnade ist, so ist die Sünde da, und die Kreatur wird in den Abgrund ihres eigenen nichtigen Daseins zurückgeworfen. Nun setzt sie sich selbst zum Maß der Dinge; nun weiß sie zwar aus Erfahrung, was gut und böse ist – durch den Gegensatz nämlich belehrt – aber freilich die Kraft, das Gute zu tun, das Böse zu lassen fehlt ihr. Wie ein Rad, das der Achse entglitten, zwar noch eine Strecke weiter rollt, aber ziellos und planlos, gerade so irrt der Mensch, nachdem er von Gott sich losgerissen, ohne Ruhepunkt, ohne festen Halt, bis er in Gott wieder Ruhe findet – oder im Abgrund zerschellt. Andrerseits kann die Kreatur nur dadurch unveränderlich gut werden, daß sie eine bestimmte Bahn, eine durch das Gebot vorgezeichnete Ordnung befolgt und dabei dauernd beharrt. Auch diese Alternative war dem Menschen durch jenes Gebot offen gelassen; er konnte seinen guten Stand affirmieren. Woran lag es nun, daß der Mensch, statt diesen seinen guten Stand zu bestätigen, abfiel? Wollte man sagen, sein Willensvermögen sei noch zu schwach gewesen, um ihn beharren zu lassen, so ist zu antworten, daß das Maß desselben groß genug war, um ihm bei seinem Abfall alle Entschuldigung zu benehmen. Verstand, Gefühl und Wille standen in Harmonie – ein Gleichgewicht der Kräfte fand statt. Der Mensch war gut erschaffen 1.Mose 1,31. Er besaß, wie Augustin101 sich ausdrückt, das: „posse non peccare“ das „können“ hatte er empfangen, wenn er gewollt hätte. Er hatte genau jenes Maß von Kräften, welches die Kreatur haben kann; aber freilich nicht ohne Maß – man kann nicht ein Gefäß über seinen Rand hinaus voll machen. – Verlangt man demgegenüber, Gott hätte ihm sofort die Gabe der Beharrung, also das „non posse peccare“ verleihen sollen, so verlangt man eben zuviel. Es konnte Gott nicht zum Gesetz gemacht werden, daß er den Menschen so mache, daß er durchaus nicht abfiel. Es liegt eben im Wesen der Kreatur, veränderlich zu sein, während Gott allein von Anbeginn gut ist. Die Kreatur muß sich als solche der Pflicht des Gehorsams bewußt werden und sich davon Rechenschaft geben; und also den Lauf vollenden ohne Sünde, wenn sie anders bedenkt, was zu ihrem Frieden dient; mit Zurückweisung der Versuchung, auf sich selbst zu stehen, wenn sie anders Gott liebt. Nun ist aber freilich die andere Möglichkeit gegeben, daß die veränderliche Kreatur bei dieser ihr durch das Gebot gestellten Aufgabe sündigt, fällt und den Tod erntet. Diese Möglichkeit hat Gott nicht von vornherein abgeschnitten, sondern auf sie, als auf etwas gewiß Eintretendes, den Ratschluß von der Sendung Jesu Christi gebaut. Er hat des Menschen Abfall zum Ausgangspunkt seiner um so größeren Verherrlichung in Christo, seinem Sohne, gemacht. Hat also Gott die Sünde insofern mit Wissen und Willen zugelassen, als er wegen ihres Eintritts nicht die Erschaffung des Menschen sistierte, so ist er damit nicht Urheber der Sünde. Gott sah die Konsequenzen dieser Erschaffung voraus. Er wußte, die Kreatur werde aus sich selbst nicht stehen bleiben; er wollte aber die Sünde nicht hindern: denn ein mechanisches Abschneiden derselben wäre seinem Zweck bei der Weltschöpfung geradezu entgegen gewesen; eine ewige Stagnation wäre die Folge, und eine lebendige Entfaltung der Tugenden Gottes unmöglich gewesen. Der Weltzweck zielte aber auf Verherrlichung aller göttlichen Eigenschaften. So mußte denn der Mensch mehr sein als ein Fisch, der sich in seinem Element bewegt: sollte anders Gott verherrlicht werden.
Simon W.

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§ 37. Über den Ursprung der Sünde (2. Teil)

Wir haben uns also den Ursprung der Sünde näher so vorzustellen: die Sünde ist dadurch entstanden, daß der Mensch aus eigenem Willen, durch Satans Verführung, aus dem Bilde Gottes heraustrat, die Bahn des Gebotes Gottes verlassend. Satans Eingreifen war an sich noch nicht geeignet, um den Menschen zu Fall zu bringen; solche Anfechtung hätte Adam zum um so größeren Feststehen im Guten veranlassen sollen. Bestreitung oder Anfechtung der guten Sache befestigt nur denjenigen, der sich ihrer als einer guten bewußt ist. Und das war bei Adam der Fall. Die Mitwirkung Gottes bei dem Fall ist näher so zu bestimmen, daß er Adam den Beistand seines heiligen Geistes zum definitiven, absoluten Beharren versagte – einen Beistand, der nötig gewesen wäre, um den Menschen auf seinem ersten Standpunkt zu erhalten. Aber Gott ist ja auch durchaus nicht verpflichtet, dem Menschen diesen seinen Geist ohne Maß zu geben. Nach Joh 3,34 gab Gott nur einem den Geist ohne Maß – Christus – und dieser bestand auch die Versuchungen und bewirkte die Erlösung. Das Sündigen entsprang dem Willen des Menschen, dem der Geist Gottes sich nicht entzog, sondern dem nur der Beistand auf alle Fälle, der absolute Beistand des heiligen Geistes vorenthalten worden. Auf das Dilemma, in das der Verstand hier gerät, werden wir zur Rechtfertigung der vom menschlichen Verstand angegriffenen höchsten göttlichen Majestät § 39 zurückkommen. Bei Augustin, De civitate Dei XII, 7 und 8 finden wir Folgendes über die Entstehung des Bösen. Die causa malae voluntatis non est efficiens, sed deficiens. Die höchste Natur, die natura Dei, kann nie von sich selbst abfallen. Das kann allein der kreatürliche Wille, und auch dieser nicht in seiner von Gott geschaffenen Natur, wohl aber in der Richtung, die er nimmt (deficit non ad mala, sed male, i.e. non ad malas naturas, sed ideo male, quia contra ordinem naturarum, ab eo, quod summe est, ad id, quod minus est). Für den bösen Willen gibt es also keine causa efficiens, sondern nur eine causa deficiens. Der Wille fällt vom höheren Standpunkt auf den niedrigeren. In einem geschaffenen Wesen hat der anerschaffene gute Wille, um wirklich dieser zu bleiben, eine causa efficiens nötig, oder göttliche Einwirkung, sonst wäre die Kreatur Gott gleich (Kap 9). Bonam voluntatem, qua meliores essent, nisi operante adiutorio creatoris habere non possunt. Fällt nun ein solches Wesen. so hat es die göttlichen Gnadenwirkungen in geringerem Maße erhalten; sein Fall hat eine causa deficiens. Vgl. ferner Augustin l. c. XIV, Kap 11: Der erste böse Wille, der allen bösen Werken im Menschen vorausgeht, war ein Mangel und Abfall vom Werke Gottes zu eignen Werken, weit eher als ein Werk (etwas positives). Böse heißen die Werke nur, weil sie auf sich stehen und nicht auf Gottes Schöpfung. Und weiterhin: Selbige mala voluntas konnte nur an der Natur, die aus dem Nichts erschaffen, haften. Und ferner sagt Augustin: das Gute könne wohl ohne das Böse sein, was man an Gott sehe; nicht aber das Böse ohne das Gute, quia naturae in quibus sunt, in quantum naturae sunt, utique bonae sunt – weil die Substanz der Natur (als von Gott geschaffen) immer dieselbe bleibt. Der Schluß aus dem Ganzen ist schon l. XII, Kap 7 vorweggenommen: man habe weniger die bewirkende, als vielmehr die (den Menschen) im Stiche lassende (deficiens) Ursache der Sünde zu suchen. Die Sünde hat kein wahres Sein, sondern ist ein Nicht-sein und Abbruch vom Sein, und daher kann auch Gott nie der Urheber der Sünde sein, wenn er gleich ihre Zulassung in die Welt vom höheren Standpunkt aus nicht hat hindern wollen. Sehr treffend hat Jurieu102 über die verschiedenen vom Calvinismus abweichenden Lehrweisen geurteilt und sich dabei die Zustimmung des scharfen Kritikers Bayle erworben, welcher sagt: Jurieu zeige so klar wie der Tag, daß alle anderen Lösungsversuche keinen Schritt weiter führten. Die Grundidee bei Augustin ist, kurz gesagt, diese: daß ein Geschöpf als solches aus sich selbst nicht gut sein noch handeln kann – es bedarf dazu des göttlichen Adjutoriums.
Simon W.

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§ 37. Über den Ursprung der Sünde (3. Teil)

Der Argumentation Augustins folgen Luther in „De servo arbitrio“ (s. Schweizer, Die protestant. Centraldogmen I, S. 82) und Zwingli in dem Werke „De providentia“ (Schweizer a.a.O. S. 103f.). Ebenso verfährt Calvin in seiner Schrift gegen den Pighius, die er auf Melanchthons dringendes Ansuchen schrieb, und im Consensus Genevensis, einer reformierten symbolischen Schrift von 1552 (vgl. Schweizer a.a.O. S. 231ff.). Indem also Gott dergestalt den Fall nicht verhinderte, so ist er damit noch nicht Urheber der Sünde, sondern nur dies kann man sagen: daß Gott vom höheren Standpunkt aus urteilend, das Sündigen wollend zuließ, auf daß es ausschlage zu seiner um so größeren Verherrlichung. Daß nun der Teufel allein Urheber der Sünde im Himmel sei, nicht aber Adams Sünde entschuldbar mache, werden wir unten in § 40 erörtern. Der Ursprung der Sünde wird nun auch in der heiligen Schrift entschieden allein vom Menschen abgeleitet. Gott ist unversuchbar vom Bösen; das Böse findet bei ihm keine Stätte (απειραστος κακων), bei ihm ist kein Schatten von Veränderung , Jak 1,13.17. Als Urheber der Sünde könnte Gott die Welt nicht richten, was doch der Fall ist nach 1.Mose 18,25; Röm 3,6; vgl. Psalm 9,9; 58,12; 96,13; 98,9 u.o. Gottes Gerechtigkeit, seine Wahrhaftigkeit schließt diese Urheberschaft aus, Hiob 34,10-12 (Röm 3,4). Sein ganzer Zorn über die Sünde ware ein fingierter, und die ganze Weltentwicklung würde zu einer Komödie oder im besten Fall zu einem pantheistischen Entwicklungsprozeß herabsinken, der mit der Wiederbringung aller Dinge in das göttliche Urwesen endigen müßte. So läßt denn auch die heilige Schrift keinen Zweifel übrig, daß dem Menschen die Urheberschaft der Sünde zukomme, z.B. Röm 5,12, V.15-19. In Hos 13,9 heißt es: „Wer verderbt an dir handelte, das warst du selber, Israel“. Und in bezug auf den Teufel heißt es, daß, wo er Lügen rede, er von seinem eigenen rede: Joh 8,44. Von ausgesprochenen Feinden Jesu heißt es dort im Hinblick auf 1.Mose 3: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel“, und wird dort der Teufel als der Menschenmörder von Anfang hingestellt; aber nie wird auf Gott die Sünde als ihren Urheber zurückgeführt. Vgl. zu diesem § Heppe a.a.O. S. 176ff.

§ 38. Das Wesen der Sünde
Die Möglichkeit des Abfalls und Heraustretens aus dem früheren Stande ließ sich begreifen aus dem Wesen der vernünftigen Kreaturen, sofern sie nicht unveränderlich gut von Anbeginn sein konnten. Der Fall trat aber wirklich ein 1. durch den Anstoß, den der Mensch nahm am Gebot, womit ein Verlassen der Sphäre, in der er gemacht worden, verbunden war, und 2. durch Verführung des Satan. Um das Wesen der Sünde zu ergründen, können wir zunächst wieder die Etymologie der hebräischen Ausdrücke zu Rate ziehen. Das gewöhnlichste Wort für Sündigen ist aj'h"; es bedeutet, das Ziel verfehlen, fehlschießen, abirren von der Bahn. Dieses Wort ist sehr häufig, und im Griechischen entspricht ihm αμαρτανειν und παραπιπυειν, welche Wörter ein Herausfallen aus einer bisher eingehaltenen Bahn besagen.103 Viele andere hebräische Wörter besagen Ähnliches, wie vWm,rW~,rWz,rr;~', gW~, etc. Diese Verba bezeichnen das Entweichen des Menschen aus einem Zustande oder Wege, dem er anfangs ergeben war. Zufolge einer anderen Betrachtungsweise wird das Sündigen auch angesehen als ein Bruch mit Gott, ein Sichlosreißen und Abfallen von ihm: dies liegt in dem Worte [v;P'; Jes 48,8 ist hier die Grundstelle. Viele andere hebräische Wörter gibt es außerdem zur Bezeichnung der Sünde, als da sind: hr'm', #Wl, verdreht sein; dg;B' treulos sein; [v;r; aufwallen gegen Gott, wie z.B. ein erregtes Meer nach Jes 57,20; $l;h'; mit folgendem yriq. zuwider handeln oder gehen; tw"[' xw:[' u.a.m. ja'x' und [v;P' können nun als die zwei Ausdrücke von fundamentaler Bedeutung gelten; Anfang wie Wesen der Sünde sind in ihnen scharf gezeichnet. Das Hinausgehen, das Abweichen aus dem Worte oder Gebote Gottes und der daraus folgende Bruch mit Gott ist der Sünde Anfang, und im Beharren auf diesem Wege vollendet sich die Sünde.
Simon W.

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§ 38. Das Wesen der Sünde (2. Teil)

Ganz das Gleiche ergibt sich, wenn wir hinblicken auf 1.Mose 3,1ff. Hier wird uns der Prozeß, auf dem es zur Sünde kam, enthüllt; nach Röm 5,12 ist hier die Grundstelle für die Lehre von der Sünde. Die Sünde nach ihrem Ursprung und nach ihrer wahren Gestalt ist aufgrund dieser Erzählung in folgender Weise anzusehen. Der Mensch leiht sein Ohr dem Verführer; er weicht, angelockt durch die Worte des Satan und Gott mißtrauend, aus der anfänglich guten, vom Gebot vorgezeichneten Richtung. Also zunächst sündigt der Mensch wider die Gebote der ersten Tafel. Nachdem die nunmehr haltlose Begierde empfangen hat, gebiert sie Sünde, (vgl. Jak 1,14.15); der Bruch mit Gott vollzieht sich mit der bösen Tat, und der Übertretung der Gebote der zweiten Tafel ist Tür und Tor geöffnet. Dieser Prozeß ist häufig in der heiligen Schrift und z.B. auch in 1.Mose 6,1 wahrzunehmen. Hinweggerissen ist nunmehr das schöne Geschöpf Gottes aus seinem ursprünglichen Stande, allen widergöttlichen Einflüssen schonungslos preisgegeben und fortan auf sich selbst angewiesen. Das seitherige glückliche Leben ist sofort in sein Gegenteil verwandelt, in den Tod nach dieses Wortes weitester Bedeutung. Die Sünde aber, wenn sie zur Tat geworden, setzt Tod aus sich heraus, wie Jakobus 1,15 sagt104. In der Tat, die Sentenz Gottes lautete ja: an welchem Tage du davon issest, wirst du des sicheren Todes sterben, 1.Mose 2,17. In Röm 5,12; 2.Kor 11,3; 1.Tim 2,14 und Jak 1,14.15 wird des gleichen Weges, auf dem es zur Sünde gekommen, Erwähnung getan. Die Sünde ist also nach dieser Darstellung nicht anfänglich in der Selbstsucht und noch weniger in der concupiscentia, der sinnlichen Begierde, zu suchen! Es ist ferner geradezu töricht, unter Sünde ihrem Grundbegriffe nach eine Summe gewisser Leidenschaften, oder irgend welcher Laster, als da sind Wollust, Haß, Geiz verstehen zu wollen. Die Zweige tragen nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt die Zweige. Erfassen wir die Sünde bei ihrer Wurzel, wie sie bei Adam erscheint, so müssen wir sagen: Sünde ist das Abweichen von dem lebendigen Gott und dessen Wort aus mutwilligem Ungehorsam und Mißtrauen gegen Gott. Soweit geht die negative Beschreibung. Die positive, das Vorige ergänzende Beschreibung lautet: Sünde ist die Übergabe des Menschen (Adams) an den Teufel, um dessen Willen zu tun, anstatt zu verharren bei dem Worte und Gebote, das aus Gottes Mund gegangen. Oder was dasselbe ist in anderen Worten: Sünde ist das selbstbewußte Hinübertreten des Menschen aus der Sphäre des Bildes Gottes in die Sphäre des Todes und das Verharren in dieser Sphäre. Eine konkrete Umschreibung dieser ersten Sünde geben die Ausdrücke, in welche Paulus Röm 5,14.18.19 diese Sünde Adams kleidet, παραπτωμα παραβασις und παρακοη,; die entsprechenden Verba besagen das Überschreiten, das Danebenfallen, endlich das widerspenstig oder ungehorsam sein: drei griechische Wörter, die das Wesen der Sünde passend beschreiben.
Simon W.

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§ 39. Das Geheimnis des Falles (1. Teil)

Wir stehen hier vor einem schwierigen Problem der Anthropologie. Wie kam der Fall zustande, mit dem die Finsternis siegte, und das Licht wich? Adam hatte doch alles, was zum Stehenbleiben nur nötig war; mit einer Fülle der Gaben war er von Gott ausgestattet; wie ein schützendes Dach, oder wie ein deckendes Gewand hatte er das Bild Gottes um sich her. Der Geist Gottes ruhte auf ihm, wie auf allem Geschaffenen (1.Mose 1,2) und ergötzte sich an der Erhaltung der geschaffenen Dinge. Man hat daher diese Lehre von dem Urstande der Menschen eine überspannte genannt – z.B. Rothe, Dogmatik I. S. 268 – und schon die Arminianer meinten, daß bei ihr der Fall Adams als eine psychologische Unmöglichkeit erscheine. Wir haben aber mit unseren alten reformierten Dogmatikern105 die Möglichkeit in der Veränderlichkeit gefunden, die bei aller Vollkommenheit dem Menschen anhaftete, wie der Schatten dem Körper. Wo man sich aber in diese Frage, wie kam es mit Adam zum Fall, in spekulierender Weise vertieft, da gerät der menschliche Geist unabweislich auf zwei Abwege. Der eine Abweg ist der sogenannte Determinismus oder Pantheismus. Hiernach hätte Gott den Fall Adams von Ewigkeit her nicht bloß wollend zugelassen, indem er der menschlichen Nachgiebigkeit keinen Riegel vorschob, sondern Gott habe den Fall bewirkt und den Menschen zum Bösen versucht; ihn gleichsam mit kaltem Blute dazu bestimmt. Adam hat fallen müssen, denn Gott bewirkte es, daß er fiel. Hiermit wird die Ursächlichheit des Bösen auf Gott geschoben. Es gewinnt den Anschein, als ob der Mensch, falls Gott ihn nicht gestoßen106, nicht gefallen sein würde, und der Wahrheit des Schuldbegriffs, wie vielen anderen Wahrheiten der heiligen Schrift geschieht ein empfindlicher Abbruch. Das sind alles ganz rohe, gottlose Anschauungen von dem tiefen Geheimnis des Falls; die rauhe Hand des Philosophen löst auch hier nicht die Rätsel des Lebens. Dieser Determinismus in seiner Anwendung auf den Sündenfall setzt sich mit den Tatsachen des Gewissens in einen unlösbaren Widerspruch. Nicht als eine Krankheit, sondern als etwas, was wider das Gesetz streitet, ja, als Verletzung Gottes, mithin als eine Schuld empfindet der Mensch die Sünde. Dieselbe wohnt nicht in uns nach Art eines Körperschadens, den man mit auf die Welt bringt, so daß etwa der Mensch wider Willen böse wäre. Nein, der Mensch hat ein Gewissen; die Gedanken des Herzens sind geschäftig, einander zu verklagen, oder zu entschuldigen: Röm 2,15. Bereits das kleine Kind beschuldigt sich selber und geht mit sich ins Gericht; es wird böse auf sich selber, wenn es sich zur Sünde hat fortreißen lassen; es zieht sich selbst zur Verantwortung. Die Sünde tritt nicht auf mit den Symptomen einer Krankheit, unter denen der Mensch sich leidend verhielte. Der andere Abweg, auf den der spekulierende Verstand gerät bei der Ergründung des Falles Adams, ist der Dualismus. Mit diesem Dualismus sind alle pelagianisierenden Doktrinen (auch diejenige Dorners107 II,1,S.146) behaftet. Hiernach hätte Gott den Menschen von Anfang an zur Freiheit, zu freier Wahl zwischen Gutem und Bösem entlassen. Diese freie Selbstentscheidung wäre aber ein independenter Akt, wobei der Mensch völlig sich selber bestimmte und Gott das Zusehen hätte. Hier hätte Gott also die Kreaturen zum Kreator gemacht; eine ewige Freizügigkeit wäre den Menschen beschieden worden, die beständig freieWahl, bei Gott zu bleiben oder nicht. Gott und Mensch fallen hier dualistisch auseinander; Gott findet seine Grenze am Willen des Menschen und muß, da er sich einmal mit ihm auf eine Linie gestellt, schließlich nicht alles so genau nehmen; er muß nachgeben mit Verletzung seiner Heiligkeit. Er kann seinenWeltplan nicht nach seinem Willen durchführen, sondern muß ihn ändern. Gott hätte Wesen sich gegenübergestellt, welche im Grunde ebenso selbstherrlich wären, wie er selber. Ja, im Grunde hätte er Wesen geschaffen, die größere Dinge als Gott vollbringen. Denn Gott ist schon gut; er braucht nicht etwa erst mit Mühe gut zu werden, was doch vom Menschen verlangt würde. Ferner wäre Gott für Zeit und Ewigkeit abhängig geworden von seinen Geschöpfen. Er hätte bei ihnen sich zu bedanken, daß sie mitgewirkt zur Förderung und Erreichung seines Weltplanes. Ja, was noch schlimmer ist, Gott der Absolute müßte auch den seltsamen Ausgang der Weltentwicklung sich haben gefallen lassen: daß alle seine Kreaturen ihn möglicherweise im Stiche ließen, durch Abwendung von ihm, und so seinen Plan mit der Welt vereitelten. Zu gar furchtbaren Mitarbeitern an der Ausführung seines Weltplanes hätte Gott die Menschen bestellt; er müßte sie respektieren und fürchten, statt daß die Menschen allein ihren Gott zu fürchten und zu ehren hätten.
Simon W.

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§ 39. Das Geheimnis des Falles (2. Teil)

Indem wir nun zwischen der Scylla des Pantheismus und der Charybdis des Dualismus einen Weg suchen, müssen wir folgendes auf Grund der heiligen Schrift feststellen. Obgleich einerseits durch des Teufels List die Sünde des Menschen mitveranlaßt wurde, obgleich Gott des Menschen Fall nicht erzwungen, sondern vielmehr ihn davor gewarnt, und vor Eintritt desselben ihm jenen Beistand nicht entzogen, den Adam seit seiner Erschaffung besessen: so ist andererseits doch dieser Fall nicht ohne Gott geschehen. Gott – so müssen wir andererseits sagen – hat bei diesem Falle die Zügel nicht aus der Hand gegeben und müßig zugeschaut, so daß er nach Verwirklichung des Falles hätte sagen müssen, das hätte ich mir nicht gedacht. Wir haben also mit der heiligen Schrift einen Mittelweg zwischen jenen beiden Extremen einzuschlagen: also einerseits die Freiwilligkeit und die Ungezwungenheit Adams beim Falle festzuhalten, immer insoweit von einer solchen bei den vernünftigen Geschöpfen108 die Rede sein kann; andererseits aber müssen wir desgleichen festhalten die leitende Tätigkeit Gottes, sein Mitwirken zum Zustandekommen dieses Falles, ja endlich seinen Willen, den Fall nicht zu hindern durch die Gabe der Beharrung oder des Geistes ohne Maß. Denn eben dies letztere wäre unweise gewesen. Gott hat nun aber den Fall, der von dem freien Willen des Menschen ausging, zum Ausgangspunkt aller seiner Maßnahmen zur Erlösung genommen und mit ihm gerechnet. Beides nun, die Schuld Adams, wie die leitende Hand Gottes, die ordinatio Dei betreffs des Falles, wird durch die heilige Schrift in gleicher Weise bezeugt. Einerseits wird in der heiligen Schrift die ganze Schuld auf Adam geworfen – von Adams Fall leitet Paulus in Röm 5,12ff. die Sünde und den Tod ab; von seinem Ungehorsam leitet er das Vorhandensein der vielen Sünder ab: Röm 5,18.19; in Adam sterben sie alle 1.Kor 15,22. Adams Sünde und Ungehorsam ist völlig ebenso die reale Quelle der Sündhaftigkeit der Menschen, wie Christi Gerechtigkeit und Gehorsam die Quelle unserer Gerechtsprechung vor Gott ist: Röm 5,18.10. Da sehen wir also, daß die Verantwortlichkeit für den Abfall und Ungehorsam auf Adam gewälzt wird; das wäre nicht gerecht, wenn nicht sein Abfall ein selbstverschuldeter war. Seien wir dankbar, daß Gott den Menschen überhaupt ernst nimmt und ihn nicht wie die Mücken vergehen läßt. In Gottes Beharrlichkeit liegt unsre Seligkeit. Andererseits ist nun aber auch Gott nirgend untätig, ob es nun Gutes oder Böses ist, was da geschieht, vgl. Am 3,6. Selbst bei der Hingabe Christi in den Tod war dies nicht der Fall; Apg 2,23; 4,28. Überall ist Gottes ordnende Hand mit im Spiele. Gott wirkt alles nach dem Rat seines Willens, Eph 1,11. An mehreren Stellen ist von einem feststehenden Vorsatze Gottes die Rede: Röm 9,11; Eph 3,11; 2.Tim 1,9. Und wenn nun auch dieser Vorsatz auf die gefallenen Menschen Bezug hat, so kann eben darum der Fall Adams nicht völlig independent von Gott geschehen sein. Denn nur auf einer festen, nicht aber auf einer dem Einfluß Gottes entzogenen Grundlage kann ein solcher Vorsatz sich erbauen. Nun aber hing der ganze Ratschluß betreffs der Sendung Christi von dem Eintritt des Falles Adams ab. Deshalb versteigt sich ein Kirchenvater zu dem Ausruf: o felix culpa, quae tantam meruit salutem! Wir sagen also in Übereinstimmung mit der Bibel dem Augustin jenes treffendeWort nach: non fit praeter Dei voluntatem, quod fit contra eius voluntatem. Auch die Übertretung Adams fällt nicht außerhalb des Bereichs des göttlichen Willens, wenn sie schon wider denselben ist. Gott wendet auch diese Übertretung zum Guten. Treffend ist der Ausspruch, in dem alle reformierten Dogmatiker sich vereinigen: Deus agit circa malum, quod totum est ex homine, non malum ipsum. Es ist – so schließen wir – ein Geheimnis hier vorhanden, welches undurchdringlich ist für die menschliche Vernunft. Dies gilt auch gegenüber allen Lösungsversuchen, die dieses Problem in der Neuzeit erfahren hat. Die Hegelsche Schule von philosophischer Seite, Jul. Müller in seinemWerke: „Lehre von der Sünde“ von positiver Seite mühen sich vergeblich ab, das Problem uns mundgerecht zu machen. Der eine, Hegel, hat die empirische Allgemeinheit der Sünde aus der Notwendigkeit der Entwickelung des Geistes begreifen wollen. Der andere, J. Müller, staunt das Böse als ein unerklärliches Phänomen an und setzt, inkonsequenterweise bloß eine Notwendigkeit im Fortgang nicht zugleich im Anfangen des Bösen. Wenn das eine gottlos ist, so ist es auch das andere, sagt dazu Vatke109 und wir können ihm nicht völlig Unrecht geben. Wer da ansteht, das Vorhandensein des Bösen auf eine höhere Notwendigkeit zurückzuführen, ist entweder lückenhaft in seinem Denken oder seiner Lehre von Gott. Calvin erkannte dies an und gestattete keine Lücke im Weltenhaushalt, indem er etwa Gott ein bloßes Zusehen bei dieser wichtigsten Angelegenheit beimaß. Gleichwohl haben es unsre symbolischen Bücher weislich vermieden, dem sogenannten Supralapsarismus ihre Zustimmung zu geben (vgl. Can. Dordr. I,15). Objekt der Prädestination ist der gefallene Mensch. Wenngleich also – wie wir sahen – unsre reformierte Lehre es nicht vermeiden kann, das Vorhandensein des Bösen auf eine göttliche Ordination zurückzuführen, so macht sie Gott damit keineswegs zum Urheber der Sünde, was vielmehr
gotteslästerlich genannt wird (s. Can. Dordr. I,15). Nur dann wäre Gott Urheber der Sünde, wenn er die Kreatur unterhalb des ihr zustehenden Ausmaßes von Kräften geschaffen und andre Lükken gelassen hätte, als sie eben im Wesen der Kreatur selbst liegen. Da Gott aber die Kreaturen so gut als möglich geschaffen, so ist das Vorhandensein des Bösen aus der Verumständung oder dem Sein (der qualitas) dieser Kreaturen und nicht aus Gott abzuleiten. Wir bleiben mit der Bibel und den Bekenntnissen stehen beim Infralapsarismus. Vgl. auch Schweizer, Glaubenslehre §147.
Simon W.

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§ 40. Vom Satan, seinem Fall und seiner Wirkungsweise auf die Menschen

Wir sind auf diesen Lehrpunkt, der Satan betrifft, bereits in § 37 und 38 hingewiesen worden. Wir bemerkten, daß der Fall zustande kam durch Verführung des Satans. Es ist nämlich, wie Paulus in Röm 5,12 sagt: die Sünde in die Welt gekommen, in sie von außen eingetreten. War sie zuvor nicht in der Welt, d.h. in der diesseitigen Weltsphäre, so müssen wir die Frage aufwerfen: war sie denn im Himmel, und wenn sie es war: wie kam sie in demselben auf – wie konnte sie hier Platz greifen? Offenbar war die Sünde zuvor im Himmel und nahm ihren Anfang in jenem Heere des Himmels, dessen vornehmster Bestandteil die Engel sind: 1.Mose 2,1. Näheres über die Art und Weise, wie der Abfall und die Sünde entstand in diesem Engelheere, ist nicht anzugeben. Es bleibt nur übrig, an der Hand des Briefes Judas 6 und 2.Petrus 2,4 den Fall der Engel nach Analogie des uns geoffenbarten Falles Adams zu beurteilen. Jenes Engelheer hatte einen Obersten Mt 9,34; nach der Aussage der Schrift (Joh 8,44) war dieser der Vater der Lüge und gibt es also keinen, der vor ihm der Lüge sich schuldig gemacht hätte. Die Namen des Obersten der abgefallenen Engel sind alle nomina appellativa, nicht nomina propria. Sie verstatten nur einen Einblick in allerlei Äußerungen diesesWesens, ohne uns in der Erkenntnis seiner Entstehung, oder gar seines Falles zu fördern. Sein Name im Alten Testament ist Satan. Satan bedeutet der Etymologie nach einen, der in Wut gegen jemanden entbrannt ist und deshalb demselben unversöhnlich widersteht, wo er nur kann. Satan ist soviel als Widersacher, und also ein ganz durchsichtiges Wort, das von einer hervorstechenden Eigenschaft des also Benannten entlehnt ist. Im Neuen Testament heißt der Satan διαβολος, sofern er verleumdet; auch der Verkläger der Brüder, sofern er, wie uns Sacharja 3,1 dies enthüllt, zu verdächtigen, und dadurch zu stürzen. Er heißt auch ο πειραζων im Neuen Testament. Auch einige populäre Namen nahm Christus auf, z.B. Beelzebul, wenn er nämlich mit dem Volke redete. Baalzebub oder aramäisch Beelzebub, woraus dann Beelzebul im Neuen Testament ward, war die Nationalgottheit der Philister 2.Kön 1,2.3.16: ein Name, der dann herabsank zur Bezeichnung des Obersten der Teufel Mt 10,25. Endlich nennen wir denNamen Belial 1.Kor 6,15: lauter Namen, die gewisse Äußerungen dieses feindlichen Wesens angeben. Fassen wir die verschiedenen Stellen zusammen, wo von Satans Wirksamkeit die Rede ist, besonders 1.Mose 3,1ff.; Hiob 1,6; 2,1ff.; Sach 3,1; Mt 4,1ff.; Lk 22,31; Joh 14,30; 2.Kor 4,4; Eph 6,12; Hebr 2,14.15; Offb 12,7-10; 1.Petr 5,8; so läßt sich sein Wesen folgendermaßen bestimmen. Er ist ein Feind Gottes und der Menschen; ein solcher, der nachdem er über die Menschen gesiegt hat, nun auch Gott selbst mit Erfolg bekämpfen und widerstehen zu können vermeint. Er heißt ja der Fürst dieser Welt Joh 12,31; 16,11; Eph 2,2. Jesu bietet er die ganze Welt mit ihrer Herrlichkeit an (Mt 4,9),wenn er vor ihm niederfallen würde. Indem er aber dergestalt Jesu die Welt als einen Kaufpreis anbietet, muß Satan offenbar ein gewisses Anrecht auf dieselbe gehabt haben; sonst wäre das Anerbieten eine reine Dummheit und keiner Antwort wert. Kurz er zeigt sich als ein sehr hoher Geist, dem es nur noch als der Mühe wert erscheint, mit Gott zu rechten und Christus in seinen Gliedern zu verfolgen So heißt er Mt 13,39 schlechtweg: der Feind.110 Nur mit dem Namen des Herrn kann man ihn zur Ruhe weisen, oder mit dem Worte Gottes. So gelang es dem Erzengel Michael, den Satan zurückzuweisen Jud 9; Sach 3,2. Michael wendet bei diesem Streite den hier allein Ausschlag gebenden Namen Gottes an, vor nichts andrem weicht Satan. Es ist also der Satan nach seinem Wahn Herr über die Welt, Gott neben Gott; sein ganzes Auftreten offenbart den Hochmut und die Lüge, die so weit gehen, daß er sich göttliche Ehren erweisen läßt: Offb 13,4; vergl. 2.Thess 2,4.9. Dieser aktuellen Wirksamkeit wird nun auch sein Fall genau entsprochen haben. Seine jetzige Physiognomie gewährt uns einen Einblick in die Art seines Falles. Über diesen Fall Satans und seiner Engel haben wir nur Andeutungen in Jud 6, und 2.Petr 2,4. Zufolge dieser zwei Stellen nahm der Fall Satans und seiner Engel einen ähnlichen Verlauf, wie der des ersten Menschen. Auch Satan ist aus einem reinen Urstande zufolge mutwilligen Ungehorsams herausgetreten und also böse geworden. In ihrem anfänglichen Zustande besaßen Satan und seine Engel eine Herrschaft und eigentümliche Behausung, die sie aber nicht bewahrten, sondern verließen. Diese Behausung war nun offenbar der diesen Engeln von Gott durch die Schöpfung angewiesene Standpunkt oder Posten; von diesem desertierten sie und zwar, wie dies die spätere Entwicklung beweist, aus Hochmut und Trotz wider Gott. Um nun zu erklären: wie im Satan das Böse aufkommen konnte, so finden sich dafür in den Untersuchungen der §§ 36,37 die nötigen Anhaltspunkte. Wollen wir über den Ursprung der Sünde im Kreise der Engel uns klar werden, so brauchen wir nur mit Augustin, De civ. Dei XII,1.6, von der einen Kreatur auf die andere, vom Menschen auf die Engel zu schließen. Die Vergleichungspunkte ergeben sich ganz einfach.
Simon W.

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§ 40. Vom Satan, seinem Fall und seiner Wirkungsweise auf die Menschen (2. Teil)

Stellen wir die sich darbietenden Vergleichungspunkte kurz zusammen. Auch die Engel sind als Kreaturen nicht unveränderlich gut, weil sie eben nicht Gott sind. In Hiob 4,18 heißt es: „Siehe seinen Engeln schenkt er (Gott) kein Vertrauen“; ferner 15,15: „die Himmel (Engel) sind nicht rein vor ihm“. Sollten sie unveränderlich gut werden, so mußten sie solches betätigen, indem sie bei aller Vollkommenheit eine von Gott vorgeschriebene Bahn befolgten. Unter der Bedingung des Gehorsams waren also die Engel ebenfalls geschaffen. Zufolge des Judasbriefes V.6 und 2.Petr 2,4 sollten sie ihre Wohnstätte und Herrschaft bewahren, taten es aber nicht. Wenn sie nun Gott auf diesem ihrem Posten nicht dienen wollten, wenn sie sich etwa weigerten, ihre Herrschaft in der Richtung auszuüben, daß sie den Menschen dienten,111 Hebr 1.14; Mt 18,10, wenn sie frei von Gott sein und in sich selbst das Gesetz für ihr Tun und Lassen finden wollten – dann fielen sie. Das ist nach dem Judasbrief bei Satan und seinen Engeln wirklich eingetreten, infolgedessen sie dann aus der Lichtwohnung in die Finsternis verstoßen und ihrem Wirken Fesseln angelegt wurden. Sie warten aber noch die ihnen bestimmte letzte Strafe ab, 2.Petr 2,4; Jud 6; Offb 20,2 vgl. V.10; Mt 25,41. Ein anderer Teil der Engel dagegen beharrte auf dem von Gott angewiesenen Posten; diese behielten ihr Fürstentum und wurden bestätigt in diesem ihren Stande und Posten, als jene verworfen wurden. Von diesen redet ausdrücklich Paulus in 1.Tim 5,21 und die heilige Schrift überall da, wo sie der guten Engeln gedenkt. Es sind dies diejenigen Engel, welche fortan nicht mehr fallen können. Der spezielle Anlaß, bei welchem sich die Auflehnung Satans und seiner Engel wider Gott offenbarte, ist nicht angegeben. Man könnte billig mutmaßen, daß Satan und seine Engel sich an dem Dienst, den sie Adam leisten sollten, gestoßen haben und daß Satan darum auch nach 1.Mose 3,1.4 die Menschen durch Lügen verstrickt habe und so zum Menschenmörder geworden sei, Joh 8,44. Denn daß der Fall Satans erst nach dem sechsten Schöpfungstage stattfand, scheint aus 1.Mose 1,31 zu folgen, wonach damals alles sehr gut war. Aber diese Mutmaßung, daß Satan an dem Dienst, den er den Menschen zu leisten gehabt, sich geärgert habe, gehört nicht in die Dogmatik. Uns sei es genug, daß wir wissen, wie die heilige Schrift uns Satan gegenwärtig betrachten lehrt. Und da nennt ihn nun Jesus in Joh 8,44 den Vater der Lüge, der in der Wahrheit seinen Stand nicht habe. Wir ersehen aus dieser positiven Erklärung Jesu, daß es über Satan hinaus keinen Urheber der Lüge gibt und daß keineswegs Gott dieser Urheber ist. Auch 1.Joh 3,8 sagt aus, daß das Sündigen des Teufels ein von Anfang an geschehendes sei. Wo er zuerst auftritt in der heiligen Schrift, da lügt er schon. Aber der Anlaß des Falles Satans ist uns verschwiegen. Viele ältere Theologen suchen nach solchem Anlaß. Etliche meinen, er sei von Neid und Eifersucht gegen den Sohn Gottes erfüllt gewesen, und dieser Hochmut habe ihm den Sturz bereitet. Jedoch gibt es hierfür keinen Anhalt in der heiligen Schrift. Und im Grunde haben wir über die Art und Weise, wie Satan gefallen, gar nicht zu spekulieren; uns Menschen sei es genug zu wissen, daß Adam aus eigenwilligem Ungehorsam gefallen ist. Die Entstehungsweise des Bösen im Himmel ist uns verborgen; sie geht uns um so weniger etwas an, als der Fall Satans durchaus nicht dazu dient, die Entstehung des Bösen auf Erden etwa zu entschuldigen. Das Eingreifen Satans beim Falle Adams bestimmt allerdings die Art und Weise, wie die Sünde in die Welt gekommen, näher. So haltlos in sich selbst ist ja nämlich die Kreatur, daß sie auch mit dem göttlichen Gebot im Paradiese, trotz ihres Standes im Bilde Gottes, nichts anzufangen gewußt hätte, wenn nicht Satan in Gestalt der Schlange den Menschen sollizitiert haben würde, um Stellung zu nehmen zum Gebot und den anerschaffenen guten Stand im Bilde Gottes zu behaupten. Satan bringt die Anfechtung des Gehorsams Adams. Die Anfechtung stammt nicht aus dem Innern des Menschen: denn alsdann wäre bei Adam die Sünde entstanden – sie stammt auch nicht von dem toten Baum her. Sie stammt vom Teufel, dem Vater der Lüge. Der Gehorsam Adams kommt aber also auf die so nötige Probe. Ursache des Falles jedoch ist Satan damit immer noch nicht, sondern des Menschen eigener Ungehorsam. Das Sich-verführen-lassen durch Satan setzt offenbar schon immer eine Abweichung in Adam selber voraus.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 40. Vom Satan, seinem Fall und seiner Wirkungsweise auf die Menschen (3. Teil)

Eine reine Passivität des Menschen, der nicht irgend eine Aktivität in ihm vorausginge, läßt sich bei dem ungefallenen Menschen gar nicht denken. Nur freilich muß man diese Aktivität richtig ableiten und definieren (s.o. § 37). Wäre ferner Satan wirklich Urheber des Falles, so würde die Schrift nicht stets auf Adam als den Urheber der Sünde in der Welt verweisen. Gott würde überdies diesen Umstand dem Menschen als Entschuldigungsgrund angerechnet haben; es wäre das ein erleichternder Umstand; und endlich wäre die Zulassung Satans in das Paradies ein schwerer Mißgriff, in Folge dessen Gott den Fall durch positives Dazutun befördert hätte. Weiter ist aber zu bedenken, daß der Mensch ja durchaus nicht als ein schwächliches Wesen, sondern in der vollen Waffenrüstung, die er von Gott hatte, dem Verführer gegenüberstand. Der angemaßten Autorität dieses Feindes gegenüber war der Mensch sich bewußt der Autorität Gottes: er stützte sich gegenüber der Lockung Satans auf ein Gebot, daß er nicht essen solle von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen. Endlich es trat der Verführer nicht in der Gestalt eines Boten Gottes an Adam heran, sondern in einer ganz niedrigen Gestalt, in der Hülle eines dem Menschen, laut 1.Mose 1,28, untergebenen kriechenden Tieres. Und so tritt nochmals deutlich hervor, daß von Gottes wegen alles geschehen war, um den Fall zu verhüten. Es war dem freien Willen der Kreatur anheimgegeben: ob sie beharren wolle oder nicht. Wir haben gesehen, daß die Kreatur diese Freiheit nicht zu ihrem Besten verwendet hat. Auch die bösen Engel nun bilden ein Reich, wenn man das ein Reich nennen kann, was, aus Trotz und Opposition gegen Gott entstanden, der schließlichen Auflösung mit Gewißheit entgegengeht,112 und in der Zwischenzeit gänzlich abhängig ist von Gott, dem Herrn. In diesem sogenannten Reiche stehen die bösen Engel unter dem Satan, Mt 9,34; 12,24-27; Mk 3,22.24; Lk 11,15-18; Offb 12,7. Diese Satansengel heißen die Fürsten, die Gewaltigen, die Weltherren, welche in der Finsternis dieser Welt herrschen, s. Eph 6,12. Die Tätigkeit dieses Reiches ist vor allem wider das Reich Gottes gerichtet. Aber dabei ist als gewiß anzunehmen, daß der Satan und seine Engel ohne Gottes Willen und Zulassung nichts vermögen: vgl. Hiob 1,12; 2,6; 2.Thess 2,9-12. Gott hält sie mit dem Zügel seiner Allmacht gebunden, sagt Calvin treffend und so dienen sie Gott, ihrem Schöpfer. Was aber Satans Einfluß auf die Menschen betrifft, so ist hier folgender Unterschied zu machen. Auf die Glaubenden, wie z.B. Hiob und Josua, den Hohenpriester, in Sach 3, erstreckt der Satan zwar auch seine Wirksamkeit, aber nur zu ihrem eigenen Besten, nämlich zur Prüfung und Läuterung ihres Glaubens. Den Gläubigen ziemt im Blick auf den Teufel nur der Gedanke: daß sie es mit einem Feinde zu tun haben, der überwunden (Joh 12,31) und gebunden ist, was für die Zeit des tausendjährigen Reiches ausdrücklich ausgesagt ist: Offb 20,3. Dabei ist ihm freilich ein bedeutender Raum für seine freie Bewegung verstattet; denn die Bindung Satans ist die Einschränkung seiner Gewalt und geschieht nicht mit sichtbaren Ketten. Wie die Einschränkung seines Wirkungskreises geschieht, zeigt 1.Petr 5,8.9. Und in welcher Weise der Teufel zu überwinden sei, dafür hat uns das beste Vorbild Jesus selbst hinterlassen, Mt 4; Lk 4. Nach diesem Vorbilde hat man den Teufel mit dem Worte Gottes zu schlagen. In einem seiner Lieder sagt Luther so schön: „Ein Wörtlein kann ihn fällen“. Das Wort „es steht geschrieben“ ist ein Hauptstück der Waffenrüstung Gottes, womit man siegreich bestehen kann am bösen Tage, Eph 6,17, und des Teufels Schliche und Kniffe zu bewältigen vermag: denn oft nimmt der Satan selbst die Gestalt eines Engels des Lichts an, um uns desto sicherer zu verführen: 2.Kor 11,14. Wie aber der Herr selber die Verteidigung eines Sünders dem anklagenden Satan gegenüber auf sich nimmt, davon haben wir ein sehr tröstliches Beispiel in Sach 3. Wie andrerseits der Herr auch wohl einmal einen seiner Knechte versuchen läßt, bis daß ihm alles schwindet, nur nicht der Gedanke: Gott ist Gott – er kann sich nicht verleugnen und er handelt nicht von Herzen also: das ersehen wir aus dem Buche Hiob. Ganz anders, als die Gläubigen, stehen nun aber die Ungläubigen zum Teufel und seinem Wirken. Von ihnen steht geschrieben, daß Satan sie verblendet habe und daß er sein Werk in ihnen treibe: 2.Kor 4,4; Eph 2,2. Ihr Vater ist der Teufel: Joh 8,44. Es heißt ja Satan wegen dieser Herrschaft über die Ungläubigen der Fürst, ja der Gott dieser Welt, Joh 14,30; 16,11; 2.Kor 4,4; 1.Joh 4,4.Er verführt die ganze Welt, Offb 12,9; er und seine Genossen heißen die Weltbeherrscher in der Finsternis hiernieden, Eph 6,12; und im Blick auf Satan redet Paulus eben daselbst von den geistlichen Kräften der Bosheit in den überirdischen Regionen. Wir haben nicht wider Fleisch und Blut, d.h. gegen andere Menschen, sondern im Grunde wider die genannten hohen Potentaten den Kampf zu kämpfen, laut derselbigen Stelle Eph 6,12. Diese Stelle Eph 6,10-17 ist überhaupt sehr wichtig, um das eigentliche Treiben der bösen Engel hier auf Erden tiefer zu ergründen und zwar mit dem Tiefblick des Apostels Jesu Christi. Paulus streift hier dem Kosmos seine blendende Hülle und glänzende Maske ab und läßt die Leser einen Blick tun in das eigentliche Wesen dieser Welt, sofern sie im Argen, d.h. in des Teufels Schoß liegt, 1.Joh 5,19.
Simon W.

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