Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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§ 40. Vom Satan, seinem Fall und seiner Wirkungsweise auf die Menschen (4. Teil)

Zum Schluß wollen wir nur noch konstatieren, daß Schleiermacher „Christlicher Glaube“ § 45, nichts vom Teufel wissen will; für ihn ist der Teufel höchstens eine Personifikation für die Liturgie und hat seine Stelle im christlichen Liederschatz. Indem man aber den Teufel wegschafft, so verlegt man die Keime des Bösen in Gottes gutes Wesen; dann liegt aber das letzte Glied an der Kette des Bösen doch in der Ewigkeit, und Gott hat das Böse als Potenz in sich; er kausiert es irgendwie, und wenn er das tut, so ist das Böse kein Böses mehr, oder Gott ist neben dem, daß er Licht ist, voll von Keimen der Finsternis. Diesen Wahngedanken hat auch das parsische System in seiner Weise trefflich umgangen durch das Theologumenon des Ahriman. Diese Zurücktragung des Bösen in Gott beseitigt auch die biblische Lehre. Ihr ist das Böse ein gewordenes – aber die Schrift tut von der ersten Entstehung nicht viel Meldung und macht nicht etwa Satan für Adams Fall verantwortlich. Der Mensch soll sich selber zur Verantwortung ziehen und nicht den Teufel anklagen als der das Böse auf sich nehmen müsse. Wie schon im „Christl. Glauben“, so hat Schleiermacher noch mehr in seinem „Leben Jesu“ seine Meinung auch Christus aufzudringen gesucht, indem er meint, Christus wende diese Vorstellung nur in der Weise an, wie wir von Gespenstern reden – also rein in akkommodierender Weise. Er raubt allen biblischen Stellen vom Teufel durch einen Machtspruch ihren didaktischen Gehalt. Bei Schleiermacher ist der Grund solcher Leugnung des Teufels die Verkennung der Sünde und des Bösen überhaupt. Das Böse ist ihm negative Vorbedingung oder Mitbedingung des Guten; das Böse ist ein notwendiger Durchgangspunkt und in Beziehung auf das Gute von Gott geordnet. Den Sündenfall in 1.Mose 3 wirft er aus der Dogmatik einfach heraus und sagt: die uns jetzt angeborne Sündhaftigkeit sei auch schon für die ersten Menschen etwas ursprüngliches gewesen (Chr. Glb. I. S.404). Sein Grund ist, daß der Fall Adams zu keiner Anschaulichkeit gebracht werden könne: d.h. er kann ihn mit der Vernunft nicht ergründen. Er kann sich die Entstehung des Bösen ohne eine Anknüpfung im früheren Leben Adams nicht denken. Die Anknüpfung aber ist eben in dem nach beiden Richtungen hin zum Guten wie zum Bösen gleich lenksamen Willen gegeben: in der mutabilitas der Kreatur, daß sie also nicht Gott ist und deshalb sich verschlechtern kann; daher sie auch ein Gebot als Schranke haben muß, damit sie der Oberherrschaft Gottes inne werde und inne bleibe. Übrigens ist ein großer Teil der Schüler Schleiermachers, wie Nitzsch, Müller, Twesten und in gewisser Weise auch Rothe von der Verirrung, den Teufel zu leugnen, wieder zurückgekommen und der heiligen Schrift in diesem Punkte gerecht geworden.
Simon W.

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DRITTE ABTEILUNG
Vom menschlichen Verderben § 41. Die Folgen des Falles im Allgemeinen

Die Folgen des Falles, auf einen einheitlichen Ausdruck gebracht, lassen sich in dem Ausdruck „Tod“ zusammenfassen. Tod ist hier als ein Zustand zu nehmen und zwar als das Widerspiel des Lebens, nicht freilich jeglichen Lebens, sondern des wahren Lebens. Wir sind durch nichts genötigt, den Tod, von welchem 1.Mose 2,17 als der Strafe der Sünde redet, von dem leiblichen Tode zu fassen und dann, weil dieser nicht eingetreten, zu behaupten: die abgedrohte Strafe sei aufgeschoben oder gemildert worden. Dies würde mit Gottes Wahrheit streiten, denn es heißt 1.Mose 2,17: „An welchem Tage du davon issest, wirst du gewiß des Todes sterben“. Die Strafe mußte eintreten, und wie das geschah, das lehrt die Geschichte. Wir brauchen nun nicht erst lange zu suchen um zu erfahren, welch eine Veränderung mit dem Menschen vor sich gegangen, und wie in der Tat der Tod dem Menschen sozusagen aus allen Poren drang. Verfolgen wir nur aufmerksam den Bericht 1.Mose 3,8-13. Vgl. Augustin, De civ. XIII, 15. Mit einer Hülle von Blättern sucht sich das Elternpaar zu bedecken: dieses Paar, das soeben noch keiner Bedeckung bedurfte, da es gedeckt und beschirmt war vom Bilde Gottes. Ferner sucht sich das gefallene Paar vor dem Allgegenwärtigen zu verbergen. Mit der rechten Hülle ging auch die geordnete Anwendung der Gaben Gottes verloren. Und sofort erheben sich die anklagenden und entschuldigenden Gedanken in der Menschenbrust, denen Adam zuerst Ausdruck verleiht. Adam sucht die Schuld auf das Weib zu wälzen und indirekt auf Gott, der ihm das Weib gegeben. Das Weib schiebt die Schuld auf die Schlange. Aber diese Entschuldigungsgründe verhallen vor Gott. Die Kreatur kann sich nicht vor dem Herzenskündiger reinigen. Alle Reinigungsversuche dienen nur dazu, die eingetretene, gründliche Veränderung oder den eingetretenen Tod zu offenbaren. Tod ist also der Sold gewesen, der dem sündigen Erstmenschen sofort ausbezahlt ward, wogegen erst in Christi Leben wieder ein Gegenwicht gegeben ist, Röm 6,23. Daher stellt Paulus dem Tode das Leben Christi gegenüber, Röm 5,18, wo ein Zustand dem anderen korrespondiert und gegenübertritt. Dem Zustand des Todes tritt überhaupt oft in der heiligen Schrift als der gerade entgegengesetzte der Zustand des Lebens gegenüber. So tritt das Leben als perennierender Zustand dem Tode gegenüber in Joh 5,24; ebenso 1.Joh 3,14. Aus dem Vergleiche mit dem durch Christus erworbenen Leben ergibt sich also, daß der Tod als ein Zustand zu definieren ist, in welchem die Menschen in jedem Momente ihres Daseins des wahren Lebens aus Gott und der Seligkeit entbehren. Dieser Zustand des Todes trat nun ganz und sofort ein, nachdem Adam gesündigt. Damit war aber der erste Stand, der Stand im Bilde Gottes, aufgehoben und der Mensch wurde dem Leben Gottes entfremdet, Eph 2,12; 4,18. Die Folge war Ungleichheit mit Gott. Wie nämlich vormals die Menschen in dem Bilde Gottes standen, und somit gemäß der Gleichheit Gottes waren 1.Mose 1,26; so sind sie jetzt, bei dem nun eingetretenen Todeszustand, Sünder. – Die Folgen des Falles Adams lehrt ausführlich Paulus in Röm 5,12. Durch einen Menschen kam die Sünde in die Welt – und durch die Sünde der Tod. Der Tod aber drang zu allen Menschen hindurch, das Leben Gottes inhibierend, und unter dem Einfluß dieses Todes sündigten alle. Daß der Tod wirklich ein bei den Nachkommen Adams sich vorfindender Zustand sei, infolgedessen sie alle sündigten, das zeigt Paulus in V.13 und 14 desselben 5. Kapitels. Er weist darauf hin, daß ja der Tod als unumschränkter König geherrscht habe von Adam bis Mose, ganz abgesehen von den durch ein Gesetz in Anrechnung gebrachten Sünden der Einzelnen; daß er geherrscht habe auch über die, welche gar nicht ein so bestimmtes Gebot übertreten hätten, wie vormals Adam. So zieht denn nicht erst die Übertretung des Gesetzes im Einzelnen und von Fall zu Fall dem Menschen den Tod zu, sondern derselbe ist schon zuvor da in Folge der Sünde Adams, und auf der Grundlage dieses Todeszustandes sündigten alle ohne Ausnahme. Durch Vermittlung – unter der Assistenz des Todes – kam die Sünde bei allen Menschen obenauf V.21. Denn das εφ΄ ω- 5,12 ist auf θανατος zurückzubeziehen, und es sagt diese Präposition επι aus: das Ruhen auf etwas, oder auch das Haften an etwas, das Verbundensein mit etwas, auch bei den Klassikern. Besonders instruktiv ist Herodot VII, 10. Teile, Rothe und Ritschl beziehen εφ΄ ω- auf θανατος; vgl. v. Hofmann I, S. 529. Wie demnach der Tod dem Bilde Gottes diametral gegenübersteht, so steht andererseits die aus dem Todeszustand resultierende Sünde der Gleichheit mit Gott gegenüber, die der Mensch einst im Paradiese besaß. Der Tod ist also das Erste; er ist die bittere Folge der einen Sünde Adams. Ihn müssen wir nun nach seinen Unterarten betrachten. Vgl. zu diesem und dem folgenden § Augustin, De civ. Dei XIII, Kap 12 und 15. Er umschreibt 1.Mose 2,17 also: qua die me deserueritis per inobedientiam, deseram vos per iustitiam.
Simon W.

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42. Die Unterarten des Todes

Der Begriff Tod zerlegt sich nach Augustins richtiger Erkenntnis in drei Spezies, in den geistlichen, leiblichen und ewigen Tod. Hier ist jede einzelne Unterart nur eine besondere Form, die der Gesamtbegriff „Tod“ für den Menschen annimmt. Es gibt verschiedene Lebenszustände, auf die eine gewisse Art des Todes besondere Anwendung leidet. So erlitt Adam nach seinem Fall zunächst den geistlichen Tod, d.h. er geriet in eine Verfassung, wo die Bedingungen des wahren Lebens ihm fehlten. Es war das ein Zustand der Privation, in welchem der Mensch der Gerechtigkeit ledig und eben damit Knecht der Sünde war, Röm 6,20. Es wird dieser Zustand in Röm 3,23 auch so ausgedrückt, daß alle der Herrlichkeit Gottes ermangeln, d.h. der Würde und jenes Glanzes, den Adam von Gottes wegen besessen. Bei denen, die also im Zustande der Privation, oder ελεθεροι τη δικαιοσυνη (Röm 6,20) leben, ist alles, was ihrerseits nur gedacht und getan wird, Sünde. Mit diesem geistlichen Tode war aber zugleich der ewige Tod schon mitgesetzt; der ja nur eine Fortsetzung des geistlichen ist, sofern er die Scheidung zwischen dem Menschen und Gott, der Quelle des Lebens, zu einer unwiderruflichen macht und sie ins Unendliche fortsetzt, falls keine Änderung eintritt. Endlich begann auch sofort schon die Macht des leiblichen Todes zerstörend zu wirken. Der leibliche Tod verwandelte das ganze irdische Leben in ein kontinuierliches Sterben, dessen Symptome in zahlreichen leiblichen Übeln und Krankheiten zu Tage traten, die dann endlich in der Ablösung der Seele von dem Leibe kulminieren. Es kulminiert diese Spezies des Todes in dem leiblichen Tode; sie beginnt aber schon mit der Geburt und setzt sich fort in den vielen Schwächezuständen, die des Menschen Los sind. Manilius114 sagt: „Nascentes morimur finisque ab origine pendet“. „Tota vita cursus ad mortem“, sagt ein anderer tiefer Denker. Vgl. Augustin l. c. XIII,10. Die Übel also finden hier ihre Stelle in der Dogmatik. Unter den Begriff des leiblichen Todes ist alles zu subsumieren, was die Schrift von Übeln als Strafen der Sünde spricht. Alle Übel sind die Vorboten des leiblichen Todes nach dem Satze: „gutta cavat lapidem“. Gehen wir auf den Beweis aus der heiligen Schrift ein. Vom geistlichen Tode reden Stellen wie Joh 5,24; Offb 3,1; ferner Eph 2,1.5; Kol 213; 1.Tim 5,6; sodann gehören hierher die Stellen, welche die Entfremdung vom Leben Gottes aussagen: Eph 4,18; Kol 1,21; 1.Petr 3,18: Christus führt die αδικοι erst noch zu Gott hin. Röm 5,6.8; 4,5 (ασεβης). Ferner legen für das Vorhandensein des geistlichen Todes solche Stellen Zeugnis ab, die von der Wiedergeburt des Menschen als von einer neuen Schöpfung reden: Joh 3,5; Eph 2,10; 2.Kor 5,17; Gal 6,15; oder als von einer Auferstehung: Jes 26,19; Hes 37; Joh 5,25; Offb 20,6. Diesen Zustand des geistlichen Todes umschreibt die heilige Schrift an Stellen wie Joh 1,5; Eph 5,8; vgl. 1.Petr 2,9; sofern sie das Leben hiernieden als Finsternis beschreibt, oder wenn sie von der Eitelkeit und der φθορα,, welcher die Kreaturen unterworfen seien, redet: Röm 8,20.21; (vgl. 2.Petr 1,4; 1.Petr 1,18).
Simon W.

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42. Die Unterarten des Todes (2. Teil)
Vom leiblichen Tod ist vielfach die Rede; besonders redet von ihm Ps 90, der eigentliche Psalm des Todes, der die Hinfälligkeit des Menschen wie kein anderer beschreibt: Ps 90,3.5.6.7.10; die Quintessenz dieses Lebens ist „Tod“. Wenn der weise Salomo von der Eitelkeit dieses Lebens (Pred 1,2), oder wenn David (Ps 39,7) vom schattenhaften Leben und Wandel redet, so meinen beide diesen Zustand, der im leiblichen Tode kulminiert. Ferner redet vom leiblichen Tod als einem dem Menschen bestimmten Los Hebr 9,27. Von den Vorspielen dieses Todes redet Hiob 14,1.2 und das ganze Buch überhaupt ist voll von dem Elend, das des Todes Vorbote ist. Gott selber kündigt den ersten Eltern allerlei Übel als Züchtigungen an, die mit dem leiblichen Tode im engen Verband stehen (1.Mose 3,16-19). Vom ewigen Tod endlich reden Stellen wie Offb 2,11; 20,6.14; 21,8; Mt 25,41.46; 2.Thess 1,9. Alle drei Spezies des einen Todes werden uns noch weiterhin in der Dogmatik beschäftigen.

§ 43. Von der Erbsünde
Der Fall Adams hatte für seine Nachkommen entscheidende Folgen. Seit dem Fall und Ungehorsam der ersten Eltern ist der Mensch in eine grundverkehrte Stellung zu Gott geraten; er ist Gott fremd geworden, um fortan sein eigener Herr zu sein (sui iuris). Dieses geschah infolge der Zurechnung der Sünde Adams. Jenen Fall und Ungehorsam der ersten Eltern hat Gott der ganzen Nachkommenschaft zugerechnet, wie es Röm 5,12ff. Iautet. An der Substanz der menschlichen Natur, an der Substanz der einzelnen Fähigkeiten, ist nichts verändert. Was wir Sünde nennen ist ein Akzidenz, das da durch verkehrte Stellung sowie durch Abwesenheit der ehemaligen Lebensbedingungen sich einstellte; aber Sünde ist nichts Substantielles; nur die Richtung ist eine andere, und zwar verkehrte geworden. Was sich forterbte, ist nach Röm 5,12ff. der Tod nach allen Dimensionen, aber nicht irgend ein verdorbener Same der Sünde, der durch natürliche Ab§ stammung von Adam vererbt würde. Das Mittel, wodurch der Tod über alle Menschen kommt, ist die göttliche Anordnung und Imputation, Röm 5,15-19. Dies ergibt sich aus der Stellung Adams vor dem Falle. Der kreatürliche Mensch war von Anfang an bestimmbar; er ist immer jemandes Knecht; er ist Kreatur, nicht Gott; auch nicht des eigenen Glückes Schmied, wie das Sprichwort uns solches glauben machen möchte. Der Mensch ist bestimmbar; er ist entweder unter Gott, in Gottes Bilde und dann glücklich, oder sein eigener Herr und alsdann unglücklich. Vor dem Falle hat Gott es veranstaltet, daß der Mensch unter dem Einfluß des Guten, des Bildes Gottes, zu stehen kam, und somit das Gute tat; er war geschaffen in Gerechtigkeit und Heiligkeit, wie sie in Wahrheit ist. Eph 4,24 ; Kol 3,10. Nach dem Falle nun bleibt zwar die Substanz des Menschen intakt; aber es ist nach dem Falle der Mensch mit seinen hohen und höchsten Gaben aus der ersten Stellung herausgetreten und unter die Herrschaft des Todes, also unter ein anderes Regiment, geraten: infolgedessen er nunmehr zu seinem früheren Stande in Gegensatz tritt und das Entgegengesetzte tut, wie früher. Der Stand ist schlecht, eben deshalb ist auch das Werk schlecht. Die Erbsünde besteht in erster Linie darin, daß der Mensch die ursprüngliche Gerechtigkeit verloren hat (carentia iustitiae originalis, aversio a Deo). Röm 6, 20 nennt ihn ελευθερος τη δικαιοσυνη, d.h. frei von der Gerechtigkeit. Der Tod nun, der durch die eine Übertretung über alle Nachkommen kam, ist die Wurzel aller Sünde der Einzelnen. Ganz abgesehen von diesen einzelnen Sünden wider ein Gesetz, ist nach Röm 5,14 der Tod für alle Einzelnen in Kraft. Von der Übertragung und Vererbung der Sünde als einer bösen Materie durch die natürliche Erzeugung sagt der Apostel nichts. Das eine peccatum brachte das ganze Verderben mit sich; ganz deutlich drückt dies der Apostel aus Röm 5,17 und 18. Die eine Sünde Adams genügt, um über alle Menschen das Verhängnis der Verdammung zu bringen. Dies ist die eine Seite des von Adam abzuleitenden Verderbens. Die andere Seite dieses Verderbens besteht darin, daß an die Stelle der Hingabe an Gottes Willen sofort getreten ist die Richtung der Seelenkräfte auf alles, was gesetzwidrig ist; d.h. was in Gedanken, Worten und Werken dem Gesetze Gottes widerspricht (vergl. Heid. Katech. 5). Dieser von Adam sich herschreibende Zustand des Sündenverderbens wird aber vom Menschen als Schuld empfunden. Insofern Gott sein Anrecht auf den Menschen als einen gut von ihm erschaffenen nicht aufgibt, kommen die Nachkommen Adams vor Gott in einem Anklagestand (reatus), in einem Stande der Schuld zu stehen, welcher Stand verbunden ist mit dem Bewußtsein der Strafwürdigkeit, mit dem Bewußtsein, daß man Gott mißfalle, daß man dem Zorne und der Strafe Gottes anheimgefallen sei: Röm 3,19; 5,16;115 Joh 3,36. Aus diesem Anklagestand oder Stande der Schuld wird man nur erlöst und entnommen durch das Gegengewicht (antidotum), welches Christi Verdienst uns bringt und welches Paulus Röm 5,15 f. genau formuliert. Von solcher Zurechnung der einen Sünde Adams werden wir nun durch die empirisch gegebene allgemeine Verbreitung des Todesverderbens überführt. Bleiben wir zunächst stehen bei dieser allgemeinen Verbreitung des Todes- oder Sündenverderbens.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (2. Teil)

Das infolge der Zurechnung bestehende Verderben ist zu allen Menschen hindurchgedrungen: Röm 5,12. Es stehen alle ausnahmslos unter der Zurechnung der Sünde Adams. Die zentrifugale Richtung setzt sich fort; Niemand erweist sich als frei von diesem Verderben. Und gesetzt auch, die Offenbarung dieses Todeszustandes sei bei dem einen Menschen geringer, als bei dem anderen, so genügt dies nicht, um dem einen (z.B. der Maria) einen Vorzug vor dem anderen zuzugestehen. Um eine Ausnahme zu machen, müßte der Betreffende nachweisen können, daß Gott ihn als einen zweiten Adam ins Dasein gerufen und sich zu ihm in ein neues ursprüngliches Verhältnis gesetzt habe, wie einst bei Adam, so daß er also einen ganz neuen Anfang bildete im menschlichen Geschlecht. Dies aber ist nur bei Christus der Fall. So lange man dagegen seinen Stammbaum lediglich auf Adam zurückführen muß und eben nichts weiter ist, als Mensch, – was sehr wenig ist, und doch wiederum sehr viel – so lange ist man Kind eines Rebellen und steht, wo Adam stand, vgl. 1.Mose 2,17 und 1.Mose 5,3 ; so lange kommt einem ausschließlich Adams Bild und Eigenart zu. Die heilige Schrift gibt dieses deutlich zu verstehen. Nach 1.Mose 5,3 stand Adam als sui iuris da; er zeugte Kinder gemäß der nach seinem Namen benannten Sphäre, und seine Kinder sind wie er; keines stand und steht außerhalb der Sphäre der Menschheit. Hiob fragt: „Wer wollte einen Reinen finden, der von einem Unreinen käme?“ Hiob 14,4; vgl. Jer 13, 23. Der Fluß ist nicht besser, als die Quelle. Oben in den Bergen, an der Quelle entscheidet sich Richtung und Eigenschaft des die Ebene durchflutenden Gewässers. Niemand ferner kann einen Zeitpunkt angeben, wo er für seine Person abfiel, nachdem er zuvor unschuldig gewesen. Was wir unschuldig nennen, ist solches nur relativ, meist aus Schwachheit oder Gedankenlosigkeit, oder weil man gar kein Gesetz hat. Kommt einem die Gelegenheit, so wird man fallen, wie das große Menschenkenner gesagt haben. So langt denn der Einzelne bei der Erforschung des Ursprungs seiner Sünde zuletzt bei Adam an. Der Mensch ist einer Erbfolge, einer Sukzession unterstellt, welche anknüpft an Adam. Das Geheimnis einer allgemeinen Sündhaftigkeit ist nur dadurch zu lösen, daß wir auf Adam zurückgehen. Es ist aber auf historischem Wege zu lösen, nicht auf philosophischem. Auf historischem Wege erfahren wir auch das Heilmittel, nämlich aus dem Evangelium. Die Sache ist diese. Gott ist stehen geblieben bei Adam, dem Stammvater; an ihn hielt er sich mit seinen Forderungen, ihn betrachtete er als Rebellen und Abtrünnigen. Zufolge dessen mußte der Same Adams entweder gar nicht ins Leben eintreten, oder er mußte dieses tun in der Verfassung, welche dem Stammvater eigentümlich war. Diese Verfassung war aber ein Zustand der Rebellion, der Entfremdung von Gott und die Neigung, wider alle Gebote Gottes zu handeln, die Neigung, sein eigener Herr zu sein. Die heilige Schrift zeigt, daß der ganze Same Adams in der gleichen Verfassung sich befindet, wie der Stammvater. Die Grundstelle hierfür ist Röm 5,12. Für das Empfangen- und Geborenwerden in solchem Zustande spricht Psalm 51,7. Die Kinder heißen Hiob 14,4; vgl 1.Kor 7,14 unrein. Nach dem Gesetze Moses (3.Mose 12,2-8) machte das Gebären die Mutter unrein; sie muß ein Opfer behufs ihrer Reinigung bringen. Die Beschneidung und die Taufe setzen beide voraus, daß der Mensch in einem Zustande geboren sei, der nicht seiner Bestimmung gemäß ist. Beide Sakramente, Beschneidung und Taufe, heben die Zurechnung der Sünde Adams durch Zurechnung der Gerechtigkeit Christi auf, Kol 2,11. Von der Bosheit des menschlichen Herzens redet 1.Mose 8,21 als von etwas natürlichem, das von der Geburt an datiert und auch der Anlage nach vorhanden ist, selbst wenn es noch nicht wirkt und nach außen in die Erscheinung tritt; vgl. 1.Mose 6,5 und Ps 143,2. Jesus sagt, indem er den Menschen meint, der ganze Baum sei schlecht, und deshalb auch die Frucht schlecht, Mt 7,18; 12,33; man solle zuerst den Baum gut machen, so werde auch die Frucht gut sein. Vom Herzen des Menschen redet Christus, Mt 15,19-20; Röm 3,10-12. 23; Eph 2,1-3 redet von Kindern des Zorns, und zwar φυσει, d.h. wie sie von Natur sind. Endlich der Umstand schon, daß alle des Erbarmens bedürfen, beweist die Allgemeinheit der Zurechnung der Sünde Adams: s. Röm 11,32 vgl. Gal 3,22. Demgemäß heißen nun auch die Menschen in der heiligen Schrift ausnahmslos Fleisch. Dieser Ausdruck tritt zunächst in 1.Mose 6,3 hervor, und zwar erhält er hier sofort seine Erklärung. Mein Geist, sagt Gott hier, soll nicht mehr herrschen im Menschen – als König und Gebieter – indem er ja Fleisch ist. Fleisch ist also etwas das dem Geiste Gottes so im innerstenWesen antipathisch ist, daß Gott dasselbe durch seinen Geist nicht mehr auf Erden beherrschen und in Ordnung halten lassen will. Mithin bezeichnet Fleisch nicht etwa die Sinnlichkeit als den alles überwiegenden Faktor im Menschen, sondern Fleisch ist der Mensch wie er leibt und lebt im Gegensatz zu dem heiligen Gott. Die ganze menschliche Natur wird durch den Ausdruck Fleisch dem Heiligen Geist oder der göttlichen Gnade entgegengesetzt.117 Dieser Gegensatz zwischen Fleisch und Geist tritt auch Jes 31,3 hervor. Am klarsten spricht Jesus sich über das Fleisch aus in Joh 3,6, wo er das vom Fleisch Geborene schildert als ungeeignet zur Teilnahme am Reiche Gottes, vgl. Joh 1,13. Das Fleisch hat auch wohl den Charakter eines den Menschen beherrschenden Prinzips in der heiligen Schrift, und wird als Macht über ihn dargestellt und als stärkster Opponent des heiligen Geistes; Gal 5,17. Auch in dem Bekehrten herrscht es noch derartig, daß Paulus, wo er rein auf sich selbst blickt, sich fleischlich nennt: Röm 7,14. Fleischlich sein ist hier das Gleiche, wie unter die Sünde verkauft sein. Nur da, wo uns der Geist Gottes treibt, .sind wir geistlich und Geist. Als solche, die im Tode liegen und von ihm beherrscht sind, bezeichnet Paulus den Unwiedergeborenen auch als einen alten Menschen Röm 6,6. Da bezeichnet nun „alter Mensch“ den Menschen als einen solchen, wie er von Adams wegen ist, und dagegen der Ausdruck „neuer Mensch“ bezeichnet den Menschen als einen solchen, wie er von Christi wegen und kraft des Verdienstes Christi ist. Auch die allen Menschen geltende Forderung der Wiedergeburt Joh 3,3ff. setzt solchen allen angebornen Zustand des Verderbens voraus. Endlich ist 1.Kor 15,22 Christus dem Adam entgegengestellt. Von Christus kommt die Auferstehung, gleichwie von Adam der Tod. Adam ist in allem Bezug ein Typus Christi (Röm 5,14). Wir müssen ganz als Adamskinder uns betrachten lernen, um Anteil zu haben an Christus.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (3. Teil)

Betrachten wir nun noch näher die Art, wie dieses erbliche Todesverderben im Menschen ist und empfunden wird. Wir Menschen wissen uns alle von frühester Jugend an als Sünder. Und zwar empfinden wir die Sünde, sowie das Gesetz dazu kommt und mit seinen Vorhaltungen beginnt, als eine Schuld von allem Anfang an, vgl. Röm 5,13. Dabei wissen wir aber von keinem ursprünglichen Entstehen der Sünde und des Schuldverhältnisses innerhalb unseres individuellen Lebens; wir wissen von keinem speziellen Sündenfall des Einzelnen zu erzählen, durch den unsere besondere Schuld konstituiert würde. Bei der Ergründung des Ursprungs der Sünde werden wir nach rückwärts über unseren Lebensanfang hinaus gewiesen, und zuletzt langen wir an bei Adams 117. S.z.B. Heinrici, „Das Sendschreiben des Apostels Paulus an die Corinthier“ zu I,2,14. § 43. Von der Erbsünde 229 Sünde. Aber, wie gesagt, diesen ganzen Zustand mit allen daraus fließenden Sünden empfinden wir als eine Schuld, sowie das Gesetz mit uns zu rechnen beginnt. Aller persönlich kontrahierten Schuld geht also eine Schuld der Gattung voraus. Und ausdrücklich wird diese Allgemeinheit der Schuld – ohne irgend eine Ausnahme – bezeugt von der Schrift: teils unmittelbar in Röm 5,16.11818; 3,19 (wonach alle Welt als schuldig vor Gott dasteht); teils wird dies mittelbar dadurch bezeugt, daß nach der heiligen Schrift alle Menschen in ihrem natürlichen Zustande Gegenstände des göttlichen Zornes sind, was nur dann Sinn hat, wenn sie schuldig sind; Joh 3,36: der Zorn Gottes bleibt auf ihn gerichtet; Röm 5,6.10: „Gottlose und Gottverhaßte“. Eph 2,3. Kinder des Zorns von Natur. Ferner gehören Stellen hierher wie 1.Joh 2,2; 1,7.9; Röm 5,18, wo die Allgemeinheit der Sünde und Schuld anerkannt wird und die alle Schuld tilgende Tat Christi als einziges Heilmittel namhaft gemacht wird. Der Tod Christi ist das stärkste Zeugnis für die Tiefe unsrer Verschuldung. Gottes Zorn wider die Sünde ist also groß, daß er dieselbige, ehe denn er sie ungestraft ließ hingehen, an seinem lieben Sohn, Jesu Christo, mit dem bitteren und schmählichen Tod des Kreuzes gestraft hat. (Worte des Pfälzer Abendmahlformulars). Wir sagen also: die Übertragung der Sünde und Schuld Adams auf die ganze Gattung sei geschehen durch direkte Zurechung der ersten Sünde Adams und der durch dieselbe kontrahierten Schuld: der selbstverschuldete Bankrott Adams ist auf seine Nachkommen als eine Schuldforderung gekommen. Röm 5,16.18. Um nun diese direkte Zurechnung oder imputatio peccati Adamitici immediata uns zu veranschaulichen, müssen wir den Gedanken der menschlichen Solidarität uns einprägen. Die Menschen sind Zweige, die alle an einem Stamme gewachsen – nicht ist jeder einzelne etwa von Gott, wie einst Adam in ein Verhältnis versetzt, in dem er ab ovo anfangen könnte. Die Menschen nun, sofern sie ja ein Geschlecht oder eine Gattung bilden und alle von einem Vater herkommen (Apg 17,26), sind solidarisch für einander verpflichtet. Der eine haftet für den andern. Der eine ist ein gleiches Exemplar, wie der andere; wenn man einen kennt, so kennt man alle. Wir sind aus einem Teige; das verrät schon die große Nachgiebigkeit, die der eine für den anderen hat, und die Leichtigkeit, womit man in einer sittlich verpesteten Atmosphäre atmet, Röm 1,32. Die sittliche Entrüstung liegt nur dünn obenauf, und darunter ist der felsige Boden der Gleichgültigkeit, der Fühllosigkeit, der stupiditas moralis. Diese stammt daher, daß man sich selbst ein Gesetz macht – aber Gottes Gesetz, den höchsten Maßstab, außer Acht läßt.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (4. Teil)

Die Solidarität des Menschengeschlechts wird auch von der Geschichte als allgemein anerkannt erwiesen. Jos 7 (vgl. 22,20) heißt es: die Kinder Israels vergriffen sich an dem Bann, und doch tat es nur einer, der Judäer Achan nämlich. In Dan 9,5.6 klagt Daniel seine Sünden mit an, als die das Exil verdient hätten; er aber war als Kind fortgeführt; vgl. auch Klgl 5,7. In 2.Kön 22,13 sagt Josia: es ist ein großer Grimm des Herrn über uns entbrannt, darum daß unsre Väter nicht gehorcht haben den Worten dieses Buches. Mt 27, 25 sagt das Volk, als es auf Jesu Kreuzigung besteht; sein Blut komme über uns und unsere Kinder: was dann auch geschehen, indem das Volk Israel bis heute wie ein Gebannter herumirrt. Und dennoch begingen auch diesen Frevel zunächst die Führer von nur einer Generation, und das Volk ward von ihnen verführt. Gerade die Juden sind bis auf heute ein Zeugnis, daß die Solidarität des ganzen Geschlechts für die Sünde der einzelnen eine Wahrheit sei. Die Sünde und Schuld der einzelnen lehrt uns auch die Kirchengeschichte als Sünde und Schuld der Gesamtheit behandeln. Die ehemals blühenden christlichen Gemeinden in Kleinasien, Ägypten und Nordafrika sind verschwunden; die Nachkommen, sofern sie noch existieren, sind dem blinden Aberglauben verfallen. Woraus ist das anders zu erklären, als aus der Haftung des einen für den anderen, der Söhne für die Schuld der Väter? Es kann eben nicht mit jedem einzelnen die Weltgeschichte neu anheben. Ebenso verhält es sich mit Frankreich und Österreich, wo auch das Evangelium einst große Siege feierte, und wo jetzt der Aberglaube und Unglaube sich um die Palme streiten. Nur ein armes, geringes Volk ist hie und da übrig geblieben, das nach dem Herrn fragt. Auch die griechische Sage hat schon viele Erzählungen, wo die Schuld durch ein Verhängnis des Fatums noch auf den späten Nachkommen lastet, und durch deren Unglück abgebüßt wird. Wir erinnern an die Schicksalstragödien des Sophokles: Oedipus tyrannus, Oedipus auf Kolonos, ferner Antigone, an Eteokles und Polyneikes119 und die Geschichte der Pelopiden, auf deren Geschick die Schuld oder der Frevel des Vaters (Tantalus) einen so überaus finsteren, unheilbringenden Einfluß hatte. Wir erinnern neuerdings an die spanischen und französischen Bourbonen; endlich an die Napoleoniden. Und so geschieht es auch in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen. Fällt ein Mann bei dem Landesfürsten in Ungnade, so fallen seine Kinder mit in Ungnade; muß er ins Exil, so müssen seine minderjährigen Kinder dasselbe teilen. Die Tat des Einzelnen wirft einen Flecken auf den ganzen Namen. Es gibt da noch andere Erscheinungen ähnlicher Art. Ein wohlgeratener Sohn wird sich verkriechen vor Scham, wenn sein Vater gestraft wird; er wird nicht die Hand mitanlegen, um den eigenen Vater zu strafen. Des Vaters Schuld ist ihm nichts Fremdes; er fühlt sich als sein Fleisch und Blut. In guten, alten Zeiten tat eine ganze Stadt Buße im Sack und in der Asche, wenn in ihren Mauern auch nur jemand am Pranger stand oder gar hingerichtet wurde. Man dankte Gott, daß er einen nicht in die gleiche Versuchung habe fallen lassen. Er ist eine Schande für sein Volk, ein Schandfleck für seine Nation, sein Geschlecht – das sind bekannte, inhaltschwere Redeweisen. Das alles sind laut redende Tatsachen für die Solidarität120 der Familie, des Volkes und endlich der Menschheit überhaupt. In Hebr 7,9.10 wird die Solidarität Abrahams und seines Urenkels Levi in sehr drastischer, krasser Weise veranschaulicht. Levi sei als ein in Abrahams Lenden Befindlicher mit dem Zehnten belegt worden. Von dieser überall anerkannten Solidarität, die uns tief im Blute sitzt, müßte man sich erst losmachen, bevor man über die Teilnahme an Adams Sünde und Schuld sich beschwerte. Man erwäge nur einmal ernstlich z.B. jene Tatsache, die unabweislich ist, daß die durch die Kreuzigung Christi kontrahierte Schuld einer Generation die Schuld des ganzen Volkes der Juden und zwar auf immerwährende Zeiten geworden. Man erkenne es an, daß nicht jedem einzelnen Juden, bevor er aus Kanaan vertrieben ward, noch einmal die Wahl gelassen wurde, Christum zu verwerfen oder aber als seinen Heiland anzuerkennen. Was geschehen ist, ist geschehen und läßt sich nie ungeschehen machen. So ist es mit der Verwerfung Gottes und seines Wortes von Seiten Adams gleichfalls. Wie Gott ewig ist, so ist auch sein Zorn und seine Strafe ewig, und Gott kann allein durch eine ewige Genugtuung befriedigt werden, und sonst durch nichts. Es wäre Schwäche, wenn Gott so leicht vergessen würde, wie die Menschen, bei denen die Zeit den Zorn verrauchen läßt. Weil aber Gottes Zorn so durchaus gerecht, so kann er nur durch eine von ihm selbst bestimmte Genugtuung versöhnt, vordem aber durch nichts gemäßigt werden. Bevor solche Genugtuung geleistet war, mußte Gott den Adam ignorieren und annullieren, gleichwie Adam ihn ignoriert hatte. Er mußte das um seiner Ehre willen tun, um seiner Gerechtigkeit nichts zu vergeben.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (5. Teil)

Auch der Kinder Adams noch so gutes Betragen hätte nichts fruchten können, denn Adams Sünde wäre erstlich dadurch nicht gesühnt und ferner hatte Gott ja sich mit Adam eingelassen, nicht aber hatte er sich zu Kain etwa in ein neues Verhältnis gesetzt und ihm den Stand im Bilde Gottes noch einmal geschenkt. Das Gleiche gilt von Seth: 1.Mose 5,3. Wir müssen uns die Sache nur recht anschaulich machen, wobei wir zunächst von Christus völlig absehen. Adam war gleichsam der Erzsünder; er aber bezahlt nicht und leistet keine Genugtuung. Inzwischen wächst sein Same und erfüllet die Erde. Aber was geht Gott der Same Adams an, wenn der Stammvater ihm nicht vollkommene Satisfaktion leistet. Er wird dem Samen Adams alles geben, was derselbe zum Leben und zur Notdurft nötig hat: dazu hat Gott als Schöpfer sich anheischig gemacht – das tut er den anderen Lebewesen auch – aber zu sonst nichts ist er verpflichtet. In das Kindschaftsverhältnis kann Gott den Menschen nicht aufnehmen: es sei denn, daß Adam und der Same Adams erfüllen Gottes Willen, der einmal vollkommene Gesetzeserfüllung verlangt und zweitens eine Abbüßung der kontrahierten Schuld, d.h. also Sühnung des ewigen Zornes Gottes. Aber davon sind Adam und sein Same weit entfernt. Vielmehr betätigten die Genannten dadurch ihre Schuld und erklärten dadurch die Sünde in Permanenz, daß sie vor Gott fliehen 1.Mose 3,12.13 ; Ja daß sie mit Gott verhandeln wollen, als ob nichts geschehen wäre und sie es gleich noch einmal versuchen könnten. Sie wollen im besten Falle das zerbrochene Gefäß zusammensetzen ; sie wollen, daß Gott solches Stückwerk hinnehme für das aus seiner Hand hervorgegangene ganze Gefäß. Alle guten Vorsätze des Menschen nämlich, alle Beeiferung, Gott erst noch zu gefallen, zeugen von dem Bewußtsein, daß wir alle etwas wieder gut zu machen haben. Und darüber wird ganz vergessen, daß dies nicht des Menschen Aufgabe war, Scherben zu einem Ganzen zusammenzusetzen, sondern daß es allein des Menschen Aufgabe war, das Gefäß – also den guten Stand im Bilde Gottes – unversehrt und ganz zu erhalten. Es war nicht des Menschen Aufgabe, sich selbst aus einem neutralen oder halbguten Wesen zu einem ganz guten zu machen. So werden wir denn also darauf hingeführt, daß eben unsere Existenz in diesem Zustande der Trennung von Gott eine Schuld involviert. Unsere Unruhe, unsere Besserungsversuche, unser ganzes Jagen und Treiben bezeugt, daß wir nicht im Stande der Unschuld sondern der Schuld geboren sind. Unsere ganze Existenz empfinden wir als etwas Ungehöriges. Es haftet uns ein Gefühl des Gebrochenseins und der Verschuldung an. Man kommt zu dem Gedanken: wer bin ich, daß ich wert sein sollte, einen Platz in dieser Welt einzunehmen und Gottes Güte zu genießen? Kann Gott sich mit andern als seinesgleichen einlassen, und andere zu sich in den Himmel nehmen? Und da ich nun so ganz verschieden von Gott bin, so ist ja meine Existenz ein Ballast in der Welt, ich bin nicht, was ich sein soll – wehe mir, daß ich bin! Dieses Gefühl liegt tiefer im Menschen, als man zunächst denken sollte. Es liegt in gewissen Momenten bei allen vor und kann durch das Gesetz, wenn dieses das Gewissen aufweckt, schreckliche Dimensionen annehmen, ja in Melancholie und Wahnsinn kann jenes Gefühl ausarten, wenn es nicht unter der Zucht des Geistes Gottes steht. Aber freilich mit dem Verstande läßt sich dieses Schuldigstehen vor Gott um der Sünde Adams willen nicht begreifen. Der Geist Gottes muß einen Menschen von dieser unabweislichen Tatsache überführen, wenn anders diese Schriftlehre von der imputatio peccati Adamitici bei ihm zur Lebenswahrheit und zum Ausgangspunkt einer wahrhaftigen Bekehrung werden soll. Denn gerade diese Erkenntnis, daß der Einzelne in und mit Adam eine unendliche Schuld kontrahiert habe, ist eine notwendige, um uns in die rechte Stellung zu Gott zu bringen. Sie allein lehrt uns die nötige Demut und erst von diesem Punkte aus wird uns der Blick auf die Erlösung durch Christum eröffnet.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (6. Teil)

Wir wollen noch zur Einprägung dessen, daß die Sünde und Schuld Adams uns imputiert wird, auf die freundliche Seite, welche die Imputation des Erwerbes der Väter hat, hinweisen. Da lassen wir Menschen es uns ja gern gefallen, wenn wir um der Gerechtigkeit unserer Väter willen gesegnet werden; ja, Völker selbst halten es für einen hohen Ruhm, falls sie fromme Vorfahren haben, um derentwillen sie gesegnet werden und nunmehr blühen und gedeihen. Und so bekennen wir auch gern mit dem Apostel Röm 5,15ff. in Christus Jesu alles Leben geschenkt erhalten und durch die von ihm erworbene Gerechtigkeit, das Urteil gerecht zu sein, davon getragen zu haben. Hier also preisen wir mit vollem Munde die Zurechnung eines fremden Gutes, der Wohltat Christi, und stoßen uns an gar nichts; warum sollten wir denn bei dem vorliegenden Problem Adam als unseren Vater zurückweisen? Es steht dem Sohn übel an, daß er seinen Vater verleugnet und desselben Schuld für eine fremde achtet! Wo hat der Sohn die Garantie, daß er es im gleichen Falle besser gemacht haben würde? Und dazu kommt nun, daß wir erst dann Christi als des anderen Adams, teilhaftig werden, wenn wir zuvor ganz und gar uns als Erben und legitime Kinder des ersten Adams anerkannt haben. Beide haben sie die gleiche Einwirkung auf die ganze Reihe der ihnen Unterstellten (Röm 5,12-21). Übrigens sind in der Anerkennung des Satzes, daß uns die Sünde Adams imputiert werde, alle christlichen Kirchen einig.121 Ohne diese Imputation wäre gleich die Taufe ganz unbegreiflich. Schon die Taufe und vor ihr auch die Beschneidung postulierten ein solches zugerechnetes Verderben auf Seiten der Neugebornen. Deshalb stellt auch Paulus in 1.Kor 7,14 es als ein bekanntes Faktum hin, daß die Kinder an sich unrein seien und nur als Kinder heiliger, d.h. gläubiger Eltern, für heilig gerechnet würden. Wenn also das neugeborne Kind bald nach seinem Eintritte ins Leben gleichsam im Wasser ertränkt wird oder unter das Messer muß, um dann erst zum neuen Leben aufzuerstehen laut Röm 6,3.4, was heißt das anderes, als daß von Sündern – Sünder, vom Ungehorsamen – Ungehorsame, vom Todeswürdigen – Todeswürdige kommen ? Das Taufwasser ist ja nach Petrus vorausbedeutet worden durch das Wasser der Sintflut 1.Petr 3,20.21. Mithin ist die Taufhandlung nicht etwas Ehrenvolles für die neugebornen Kinder, sondern eher ein Keulenschlag, der durch Christi Verdienst jedoch zum Gnaden- und Ritterschlag wird. In verschiedenen reformierten Taufformularen findet sich ein diesen petrinischen Gedanken zum Ausdruck bringendes Gebet. Somit läßt die heilige Taufe uns gleichfalls nicht im Unklaren über das Verderben, welches als Gegenstück des Bildes Gottes über uns gekommen ist. Fragen wir schließlich noch nach der Weise, wie auf uns, die Nachgebornen, diese Ursünde gelangte, so müssen wir mit Paulus auf die direkte Zurechnung der ersten Sünde Adams verweisen. Diese Sünde Adams wird uns ganz so zugerechnet , als hätten wir selber sie getan: Röm 5,12ff.; 1.Kor 15,21.22. Dies ist so gewiß, wie jenes andere Faktum, daß Christi Gehorsam uns derartig zugerechnet wird, als ob wir selber all den Gehorsam vollbracht, den Christus für uns geleistet hat. Der erste Adam ist ein Vorbild und Hinweis auf den zukünftigen Adam, nämlich Christum, Röm 5,14. Jener ist das Haupt aller Menschen vor und in der Sünde; dieser, Christus, das Haupt in dem neuen Reiche Gottes; sein Gehorsam tilgt Adams Ungehorsam aus; das von ihm erworbene Leben ist ein Gegengewicht gegen den durch Adam erwirktenTod. Und wie dieser Tod alle Menschen zu Sündern machte, so macht das Leben, welches Christus erworben, die Menschen zu Gerechten. Wie also die Sünde, die von dem einen Adam ihren Ursprung nahm, ihre unwiderstehliche Herrschaft geübt in der Sphäre des Todes, dem Gegenstück des Bildes Gottes, so hat andrerseits die Gnade durch Gerechtigkeit regiert in dem in die Ewigkeit hineinreichenden Lebensgebiet, und der Urheber davon war Jesus Christus unser Herr, Röm 5,21.
Simon W.

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§ 43. Von der Erbsünde (7. Teil)

Demnach haben wir zwei miteinander korrespondierende Schemata, in die wir unsere Namen eintragen müssen:
1. Adams Sünde: Christi Gehorsamstat.
2. Adams Tod: Das durch Christum erworbene Leben.
3. Unser Tod: Das neue Leben Christi, das durch die Gerechtsprechung dem Glauben zugerechnet wird.
4. Unsere Sünde: Unser Herrschen in diesem Leben durch Christum. Eine andre Art der Imputation, als sie dieses Schema anzeigt, gibt es nicht. Eine Vererbung, die etwa durch den Zeugungsakt geschähe, können wir aus Röm 5,12-21 nicht ableiten. Das peccatum originis ist nichts, was auf materiellem Wege sich fortpflanzte; es läßt sich die Sünde nicht an das semen virile oder an den Akt der conceptio binden und also ihre Fortpflanzung materialisieren. Es ist nichts Greifbares im Menschen, sondern die Wurzel der Sünde ist eine Privation und absoluter Mangel, eine carentia justitiae originalis. Aber aus dem Mangel entsteht die falsche Richtung und Anwendung aller unserer Fakultäten und Eigenschaften, wenn anders nicht alsbald der heilige Geist als allmächtiges Gegengewicht sich einstellt und jenen Defekt, der durch Adams Fall unser Teil geworden, aufhebt. Hinausgeschleudert aus der Sphäre des Bildes Gottes, befinden wir uns in der Sphäre des Todes. Es umfängt uns fortan nicht mehr die gesunde Atmosphäre des Bildes Gottes, sondern im Stande der Privation, wo der Tod zwischen uns und Gott steht, ist unser Dichten und Trachten böse von der Kindheit an (1.Mose 8,21; vgl. 6,5). Eine Fortpflanzung der Sünde mittels der Substanz des materiellen Fleisches oder der Seele neben jener unmittelbaren Imputation überdies noch anzunehmen, wäre irrig. So irrt denn der zuerst von Tertullian, später auch von den Lutheranern gelehrte Traducianismus, demzufolge man annahm, die Sünde pflanze sich fort zugleich mit der menschlichen Seele, und diese Mitteilung der Seele geschähe im Akte der Zeugung. Da liegt ein doppelter Irrtum vor: 1. daß die Seele vom Vater auf den Sohn ebenso übergehe, wie der Leib, durch das Mittel des semen virile; und 2. daß diese Seele mit Sünde, gleichwie mit Flecken behaftet sei. Die Seele jedes einzelnen Menschen kommt aber ebensogut aus dem Nichts hervor, wie die Seele Adams: von seiner Seele kann kein Mensch etwas abgeben. Und indem Gott jedesmal zum Leibe die Seele hinzuerschafft, so bringt er in Erfüllung sein bei der Schöpfung des Menschen gegebenes Wort: „seid fruchtbar und mehret euch“. Mit der Sünde, der diese Seele alsdann verfällt, hat der göttliche Schöpfungsakt nichts zu schaffen. Wenn also Gott eine Seele bei jeder Zeugung erschafft, so erschafft er damit keine Sünde; aber freilich ist das nun eine Seele, die nicht zwischen Himmel und Erde herumirrt, sondern dort ihre Stellung nimmt, wo Adam nach dem Fall (1.Mose 5,3), wo sodann die Eltern des zu gebärenden Kindes sich befinden: also im Stande des Todes. Der reformierte Kreatianismus muß also in bezug auf die Abstammung festgehalten werden. Die Furcht ist unbeII. gründet, als ob Gott Sünde schaffe. Vgl. noch Calvin, Instit. II,1,7. Dieser sagt u.a. in jenem § 7: „Weder in der Substanz des Fleisches noch der Seele hat die Ansteckung (der Erbsünde) ihren Grund, sondern es war von Gott also verordnet: daß der erste Mensch die ihm mitgeteilten Gaben sowohl für sich als für die seinigen zugleich haben und verlieren sollte.“ Vgl. Conf. Gall. X.
Simon W.

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§ 44. Von den tätlichen Sünden (1. Teil)

Tätliche Sünde oder peccatum actuale ist das, was in Gedanken, Worten oder Werken dem Gesetze Gottes widerstreitet. Das peccatum actuale ist die Folge des peccatum originale. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen. Im Stande der Unschuld, also im Paradiese war es Adam ganz natürlich, das Gesetz Gottes mit Gedanken, Worten und Werken zu erfüllen. Er stand unter dem Einfluß des Bildes Gottes. Diesem Bilde wandte er sich zu, gleichwie gewisse Blumen den Kelch der Sonne entgegen öffnen. Er nahm die Kräfte der Gottheit, soweit er als Geschöpf dies vermochte, in sich auf und ließ sie Gott zu Ehren und seinem Nächsten zum Besten von sich wieder ausströmen. Er verstand die Dinge Gottes, insoweit als dies zu seinem Glücke diente; er konnte Gott erkennen als den Ursprung alles Guten und fand in Gott alles, was der Mensch von Gerechtigkeit und Heiligkeit, von Wahrheit, Licht und Kraft bedarf, um mit seinem Nächsten glückselig zu leben und denselben des Genusses solcher Glückseligkeit teilhaftig werden zu lassen. Um es kurz zu sagen: Liebe Gottes und des nächsten war damals ihm zur anderen Natur geworden. Jetzt dagegen nachdem Adam jenen guten Stand verlassen – trat von dem allem das Gegenteil in Kraft und Wirkung. Der Mensch ward nicht etwa fortan das neutrale Wesen, als welches ihn die römische Kirche betrachten lehrt. Nein, der Mensch liebt Gott nicht mehr; er hat ihn bereits in Adam verletzt und flieht seitdem vor ihm; er tut, redet und begehrt, was sein eigenes Herz, oder der Teufel und die Welt ihm eingeben, und läßt dagegen Gott sagen, was er will. So übertritt er die Gebote der ersten Tafel mit Gedanken, Worten und Werken.
Aber er liebt

2. auch den Nächsten nicht mehr und übertritt gegebenenfalls die Gebote der zweiten Tafel mit Gedanken, Worten und Werken. Das ist es, was der Heidelberger Katechismus 5. sagt: „der Mensch sei von Natur geneigt, Gott und seinen Nächsten zu hassen“. An die Stelle der Tugenden und der Vollkommenheit, die den Menschen nach Gottes erster Schöpfung zierten, trat die Neigung, alle Gebote Gottes zu übertreten und die tatsächliche Übertretung selber. Das Urteil der heiligen Schrift liegt deutlich vor uns, und wir erfahren daraus, wie alle Menschen dadurch zu Sündern gemacht werden. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer ; da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer", Röm 3,10-18 und die Parallelstellen des Alten Testaments, besonders Ps 14,1-3. Ferner ist zu erinnern an 1.Mose 6,5; 8,21; Pred 7,21; 1.Kön 8,46; Mt 15, 19. Seine Jünger und die Menschen berhaupt nennt Jesus πονηροι, Mt 7,11, d.h. die da Mühe machen durch ihr Tun und Lassen; 7,17.18; 12,33; der Mensch ist einem faulen Baum gleich,von dem keine guten Früchte kommen. Vgl. Jer 13,23; 17,9; Joh 8,7.34; 1.Joh 1,8; Röm 3,23: sie sind allzumal Sünder; 7,14.15; 8,7. Angesichts solcher Lage der Dinge ist es eine große Barmherzigkeit Gottes, daß er uns sein Gesetz hat bekannt werden lassen. Gott war es, der sein Gesetz 1. einschrieb in die Tafeln des menschlichen Herzens, Röm 2,14.15; 2. aber es auf Sinai mit lauter Stimme vom Himmel herab bekannt machte. Dadurch eben blieb sein göttlicher Wille uns im Gedächtnis erhalten. Nichts wäre schrecklicher gewesen, als wenn auch dieser letzte Verbindungsfaden zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf zerrissen wäre. So aber ließ Gott uns sein Gesetz; er beharrte bei seiner Forderung, daß wir so sein müssen, wie er uns gemäß seiner ersten Schöpfung gemacht hat, Pred 7,29(30). Ob wir noch imstande sind diese Forderung zu erfüllen, wird nicht als Entschuldigung in Betracht gezogen. Gott hat das einige getan, und wir sind mit unserem ersten Vater verantwortlich dafür: daß wir nicht können. Preisen wir Gottes Weisheit, wonach er uns so behandelt, als hätten wir allen den Ungehorsam selbst uns zu Schulden kommen lassen, welchen Adam an unsrer Statt sich zu Schulden kommen ließ. Wenn wir im geringsten diesen Ernst Gottes, wonach er uns als die Schuldigen anspricht, verkleinern würden, so wäre damit die Voraussetzung für die Zurechnung der Wohltat Christi hinfällig geworden. So aber nimmt Gott es ernst mit uns und sieht uns als Sünder an, er behandelt uns als solche, auf daß wir um so viel mehr behalten würden vor seinem Zorn durch die Wohltat Christi (vgl. Röm 5,8-10). Das Mittel, wodurch diese Forderungen des Gesetzes lebendig erhalten werden, ist
1. das Gewissen;
2. das positive Gesetz.
Simon W.

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§ 44. Von den tätlichen Sünden (2. Teil)

Das Gewissen dient, die unserem Herzen eingeschriebene Aufgabe des Gesetzes, το εργον του νομου (Röm 2,15) lebendig zu erhalten und zu beleuchten. Dasselbe erwachte nach dem Falle. Der Mensch macht Erfahrungen betreffs dessen, was gut und böse ist. Bei diesen Erfahrungen kommt ihm das Gewissen zu Hilfe, richtend und ermahnend. Das Gewissen heißt griechisch „συνειθησις“ und ist ein inneres Wissen, ein Bewußtsein, wonach der Mensch um sich selbst weiß (conscius sibi), insbesondere weiß, ob das, was er tut oder getan, gut sei oder böse. In diesem συνειδεναι liegt gewissermaßen eine Verdoppelung des Menschen, ein Herantreten des Gewissens von außen her; denn so erscheint es uns: als ein inneres Wissen nämlich, welches hinzutritt, sei es vor, sei es nach der begangenen Tat und uns zur Rede stellt. Interessant ist die Erzählung der Alten vom Schwerte des Damokles, in welchem das Gewissen gegenständlich über dem Menschen erscheint. Dasselbe besagen auch die Furien oder Erinyen der Volkssage. Das Gewissen beleuchtet in unserem Inneren die Anforderungen des Gesetzes, welches wir von Natur kennen, und die unserem Herzen eingraviert sind: Röm 2,14-15. Das Gewissen tritt auf als ein inwendiges Zeugnis, wodurch das Vorhandensein einer angeborenen Erkenntnis von Gottes Wesen und seinem Willen konstatiert wird und zu seinem Rechte kommt, ja erst recht nützlich wird. Durch dieses Gewissen erhebt sich der Mensch über das Tier, sein Vorzug ist, daß er sich verdoppeln kann, wie es wenigstens in der Praxis erscheint. Mit Unkenntnis des Wesens und Willens Gottes kann er sich nicht entschuldigen – das leidet das Gewissen nicht (Röm 1,19.20; 2,14.15). Aber freilich auch das Gewissen nimmt Teil an der Verfinsterung, welche durch die Sünde sich verbreitet hat. Es ist das Gewissen nicht hinreichend, um uns auf den rechten Wege zu bringen und darauf zu erhalten; es irrt mannigfaltig, indem es ebenfalls der Unkenntnis des göttlichen Willens gemäß der Gesamtlage der Menschheit ausgesetzt ist. Es läßt sich auf mancherlei Abwege führen, welche der Mensch betritt infolge schlechter Tradition, schlechter Sitten und Gewohnheiten. Es läßt sich betäuben oder gar zum Schweigen bringen; das Gewissen richtet sich nach Erziehung und Gewohnheit. Der den Herzen eingeschriebene Gotteswille wird verwischt; die Offenbarung Gottes in der Natur vermag nicht durchzudringen – das Gewissen gerät ins Stocken. Eigentlich ist nur in den Anfängen der Geschichte der Menschheit eine relativ reinere religiös-sittliche Substanz vorhanden, die es dem Gewissen leichter macht seine Urteile zu fällen. Später wird diese Aufgabe eine viel verwickeltere, obschon dies Gewissen auch dann immer noch Achtung vor den spärlichen Überresten der religiös-sittlichen Substanz einfordert, und nie aus dem inneren menschlichen Haushalte verschwunden ist. Weiter aber läßt das Gewissen, dieser Wächter über das innere Gleichgewicht im Menschen, meist insofern auf sich warten, bis daß Schwankungen in demselben eintreten. Alsdann tritt es auf – und ist also aufs innigste mit der Schuld verknüpft und kommt zumeist nach, seltener vor der bösen Tat, um die Schuldfrage zu stellen, ohne jedoch von vornherein uns vor dem Bösen zu bewahren. Hierzu fehlt dem Gewissen die nötige Kraft. Unaufhörlich bedarf das Gewissen der Leitung und Pflege durch den Geist Gottes, der dann bei der Wiedergeburt sein Gesetz ins Herz schreibt und selbst für die Erfüllung sorgt (Hes 36,26.27; Jer 31,33). Endlich aber weiß das Gewissen nicht anzugeben, wie wir zur Vergebung der Sünden gelangen – es hält uns fest unter dem Gesetz und weiß nichts vom Bund der Gnade. Es kann also nie den Bann lösen, welchen Adams Fall auf uns gebracht, wenn immer es auch verhindert, daß die Menschen (mit der Konkordienformel p. 662) wie ein Stein oder Klotz zu betrachten sind. Da vielmehr greift es ein und zeigt durch sein Eingreifen, wozu Gott den Menschen die Kenntnis seines Namens und Willens mitgegeben – nämlich um ihn (unter der Assistenz des Gewissens) zu überführen, daß alle diese Kenntnis schlecht verwenden und also der Verdammnis billig unterliegen (Röm 1,19; 3,20). Das Gewicht dieser Sätze wird besonders § 69 bei der Verhandlung über die „Berufung“ hervortreten. Wir sagen also schließlich: Es dient das Gewissen dazu, um den Menschen die Möglichkeit zu nehmen, daß sie sich mit Unwissenheit entschuldigen, indem ja das eigene innere Zeugnis wider sie spricht.
Simon W.

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§ 45. Vom Gesetz Gottes

Wir bemerken, daß vom Gesetz unter allen Reformatoren Zwingli am erleuchtetsten geredet hat; er hat dessen ewigen, über alles erhabenen Charakter nach Gebühr dargelegt (vgl. Zwinglis Schriften, ed. Usteri und Vögelin, 1. Th. S. 230ff.). Er wendet sich besonders gegen die Behauptung etlicher, als ob das Gesetz jemals seinen hohen Charakter einbüßte, z.B. da, wo es straft oder verdammt. Das Gesetz Gottes ist die ewige unabänderliche Norm des göttlichen Willens, eingeschrieben in unsere Herzen und oftmals durch Gott selbst verkündigt. Dieses Gesetz ist eine Wohltat; ohne dasselbe wäre unsere Existenz ein Akt der göttlichen Grausamkeit. Zufolge dieser Wohltat will Gott den status quo als etwas absolut ungehöriges hinstellen; durch das Gesetz soll die Sünde stets dem Menschen aufgezeigt werden und es sollen ihm Ziele gesteckt werden bei seinem Tun und Lassen. Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde: Röm 3,20; die Kraft der Sünde, das, was in ihr steckt, entwickelt sich erst am Gesetz, 1.Kor 15,56. Ohne Gesetz ist die Sünde tot, oder wird nicht angeregt: Röm 5,13; 7,5.8; wir wußten nichts von der Begierde, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: „laß dich nicht gelüsten“: Röm 7,7. Also das Gesetz ist eine große Wohltat. Gott hätte ja den Menschen in seinem Tode fortvegetieren lassen können. Aber nein, er gibt ihm ein Gesetz und tut ihm damit eine große Wohltat. Der Mensch ist so ohnmächtig, so wenig Herr und Schöpfer seines Glückes, daß er ohne Gesetz gänzlich in sich versunken bliebe, apathisch, wie ein Stein oder Klotz. Zuerst gibt nun Gott das Gesetz in unser Herz hinein und hält es lebendig durch das Gewissen : Röm 2,14. Dazu kommt, daß das Gewissen bei allem, was wir tun und denken, mit Zeugnis ablegt, wodurch dann Streit und Bewegung in die Gedankenwelt, in die innere Welt des Geistes, gebracht wird: Röm 2,15. Es ist ein inneres Forum im Menschen; die Parteien ordnen sich; das Gewissen spielt den Ankläger; die Gedanken plädieren pro et kontra. Daß aber die Menschen (Heiden) ein solches Gesetz hätten, um durch dasselbe vor Gott gerecht zu werden, sagt Paulus durchaus nicht. Das liegt völlig außerhalb des Horizonts des natürlichen Menschen. Er will nur zeigen, daß auch die Heiden sich mit dem Gesetze zu schaffen machen, und wenn man daher auf dem Standpunkte, wo man der eigenen Gerechtigkeit nachjagt, stehenbleiben will, dann braucht man kein Christ, kein Jude zu sein und bedarf keiner Beschneidung. Dann lassen wir nur lieber alles beim Alten und die Heiden in Ruhe ihrer Wege gehen, sie sind Mannes genug, um sich auf ihre Weise auch weiter eine Art von Gerechtigkeit aus Werken eines inneren Gesetzes zu verschaffen und auf ihre Weise sich mit der Gottheit abzufinden. Und ebenso bei Israel! Auch ihm ist das Gesetz nicht um seiner selbst willen gegeben, auf daß sich Israel daran zerarbeite. Die Gerechtigkeit kommt nie aus dem Gesetz, sondern aus dem Glauben an Jesus (Röm 3,21ff.). Gleichwohl hat Gott seine dem Volke mit der Erlösung aus Ägypten bewiesene Wohltat dadurch gekrönt, daß er seinen heiligen Willen laut verkündigt hat, und zwar ebenfalls als eine Wohltat, über die sich das Volk zu freuen, nicht aber sich davor zu fürchten hatte: 2.Mose 20. Auf zwei Tafeln wurde das Gesetz erst dann geschrieben, als Israel floh, und in die Bundeslade wurden die Tafeln erst dann gelegt, als sich das Herz Israels ungeeignet erwies, um sie zu bewahren und um nach ihrem Inhalte sich zu richten. Die 10 Worte des Gesetzes vom Sinai enthalten nun nicht neue Dinge und Forderungen, sondern nur die lex primitiva,123 die schon im Anfang dem Adam oblag. Das Gesetz ist kein neues Phänomen, es mißt uns nach dem ersten Maßstabe, der im Paradiese gültig war, nach dem Maßstabe, der aus dem Wesen Gottes selbst entlehnt ist. Das Gesetz ist auf nichts anderes aus, als den Menschen in Übereinstimmung mit diesem Willen und Wesen Gottes zu setzen und zu erhalten. Mit allen seinen Forderungen ist das Gesetz nur darauf bedacht, uns zum Leben zu verhelfen. Wirkt es das Gegenteil, dann ist es Schuld des Menschen, der eben das Gesetz und den Geber des Gesetzes auseinanderreißt und wohl die Gabe etwa will und das Gesetz, so gut es angeht, beobachten möchte, aber nicht den Geber zu ehren willens ist. Gott aber hat gleich zu Anfang der Festversammlung am Sinai im ersten Gebot an die Erlösung aus der Knechtschaft erinnert und eine damit übereinstimmende Haltung seinem Volke ans Herz gelegt. Das Gesetz am Sinai ist eine höchste Wohltat und es schließt alles in sich, sowohl was nur immer jemals vom Menschen verlangt wurde, als auch was durch Christum nachmals verlangt worden ist. Selbst die Heiden haben gewisse Umrisse dieses Gesetzes in ihren Büchern verzeichnet und aus dem Munde ihrer Weisen je und je erhalten. Die großen Gesetzgebungen der Völker enthalten viele gleichlautende Gebote; nur freilich das erste Gebot, das den Glauben predigt, fehlt ihnen. Im Übrigen aber braucht man den Heiden gewiß nicht erst zu sagen: „Tue das, so wirst du leben!“ Vgl. hierzu Calvin, Instit. II,2,24 und 25.
Simon W.

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§ 45. Vom Gesetz Gottes (2. Teil)

Genug, die zehn Gebote geben uns in nuce ein Bild davon, wie Gott will, daß der Mensch sei. Sie sind, wie Melanchthon sagt, der Inbegriff der gemeinmenschlichen Einsichten, der κοιναι εννοιαι von gut und böse, die Gott dem Menschen ins Herz schrieb (s. Loci v. Jahr 1561). Im Dekalog ist jenes Verhalten für ewig verzeichnet, das einst Adam vor dem Falle schon eigentümlich gewesen, und es ist nicht etwa 2.Mose 20 ein neues Gesetz gegeben. Das Gesetz ist kein neues Phänomen; es mißt nur nach dem Maße, welches Gottes heiliges Wesen in sich trägt und an den Menschen legt. Aus dem Wesen Gottes entlehnt das Gesetz seine Normen. Gott selbst ist der Gute – der allein Gute – das Urbild des Guten – von ihm entlehnt das Gesetz seine Normen. Nicht zum Schein, sondern nach Wahrheit heißt es: tue das, so wirst du leben. 3.Mose 18,5; Hes 20,11; Gal 3,12. Auch Christus sagt dem Jüngling: halte die Gebote, Mt 19,17. Das Gesetz will zurechtstellen, will bewahren vor Irrtum und Unglück, kurz uns mit Gott, dem höchsten Gut, vereinigen durch Gehorsam. Und erst, wo der Mensch widersteht, läßt es seinen Donner hören (5.Mose 27,26; Gal 3,10). – Wir wollen eine kurze Skizze der zehn Worte geben, wobei wir sie auf die in ihnen liegenden Ideen ansehen und sie umschreiben. Daraus lernen wir, daß wir in ihnen ein Kompendium dessen haben, was überhaupt gut zu heißen hat; es wird uns deutlich werden, wie das Gesetz vom Sinai sowohl dasjenige Adams gewesen als auch das gleiche sei mit dem, welches die Heiden in gröberen Umrissen wenigstens in sich tragen: Nach dem ersten Gebot dürfen wir nur bei Gott Heil, Hilfe und Errettung suchen. Nach dem zweiten Gebot haben wir den Herrn uns nicht unter irgend einem Bilde vorzustellen, sondern wir haben uns an sein Wort zu halten.125 Das dritte Gebot verdammt jede Anwendung des Namens Gottes zur Erreichung irgend eines eitlen Zweckes. Das vierte Gebot verdammt alles, was uns abhalten könnte, zur Ruhe Gottes einzugehen, einer Ruhe, deren erstes Unterpfand der Sabbath war 1.Mose 2,2.3. Vgl. das goldene Zeitalter der Heiden. Das fünfte Gebot verdammt jede Anmaßung, wonach wir weiser wären, als diejenigen, denen Gott Vorzüge vor uns verliehen, also als unsere Eltern und die Vorgesetzten überhaupt. Das kannten auch die Heiden. Das sechste Gebot verlangt, daß wir den Nächsten unversehrt lassen. Das forderten auch die heidnische Gesetze.
Das siebente Gebot verlangt, daß wir die Scham in allen Stücken bewahren. Das achte Gebot verdammt jeden Anschlag des Menschen, um seines Nächsten Hab und Gut an sich zu bringen. Das neunte Gebot verdammt jedes Urteil über unseren Nächsten, das der Wahrheit nicht entspricht. Das zehnte Gebot verdammt selbst die geringste Lust, das haben zu wollen, was Gott dem Nächsten gegeben hat.128 Wenn wir in dieser Weise die zehn Gebote auf ihren allgemeinen Inhalt ansehen, dann wird die Bekanntschaft mit diesen Geboten von Anfang der Welt an evident. Ihrem inneren Geiste nach standen sie schon in Adams Herz geschrieben. Indem also Adam an dem einen Gebote 1.Mose 2,17 sich verging – übertrat er inklusive alle zehn Gebote, den Komplex des Gesetzeswillens Gottes. Und sofort standen diese Gebote wider ihn auf, um ihre Forderung an ihn geltend zu machen und ihn als Furien oder als Eumeniden – wovon selbst bei den Heiden ein Nachklang sich findet – durchs Leben zu geleiten.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 45. Vom Gesetz Gottes (3. Teil)

Weisen wir kurz nach, daß der Erstmensch die zehn Gebote übertrat mit seiner ersten Sünde. Durch Ungehorsam, Mißtrauen und Undank sündigte er wider Gott. Er verlangte nach der Gottgleichheit, und sündigte wider jenes : „Ich bin der Herr dein Gott“ – erstes Gebot. Zur Übertretung des zweiten Gebotes ward mit der Übertretung des ersten wenigstens der Grund gelegt; ebenso zur Übertretung des dritten Gebotes. Solches alles folgt aus der Nichtbeachtung des ersten Gebotes: Ich bin der Herr, dein Gott etc. Adam und Eva verachteten ferner das Wort und die Ruhe Gottes, also das vierte Gebot; sie verachteten Gott ihren Vater und König – fünftes Gebot; mordeten sich und ihre Nachkommenschaft – sechstes Gebot; sie legten den Grund zur Unmäßigkeit – siebentes Gebot; raubten, was Gott ihnen vorenthalten – achtes Gebot; sie vernachlässigten den Wortlaut des Gebotes Gottes und redeten falsches Zeugnis wider Gott – neuntes Gebot, indem Eva 1.Mose 3,2.3 das Gebot anders darstellte, als es eigentlich lau tete; und begehrten endlich nach einer höheren Stufe des Seins, als sie ihnen zugemessen war, waren also unzufrieden mit dem, was Gott ihnen zugeteilt hatte, und übertraten das zehnte Gebot. Als solches nun geschehen und der Mensch in den Todeszustand versunken war – da trat nach jeder bösen Tat eine Reaktion des Gesetzes ein, welcher das Gewissen Zeugnis gibt. Das soll nicht so sein, das müßtest du nicht getan haben, sagt das Gewissen. Oder das Gewissen warnt vor der bösen Tat. Aber da das Gewissen nicht nachhaltig das Böse hindert, so hat Gott für Gesetze und Ordnungen überall in der Welt Sorge getragen, wie denn selbst die Heiden ihre Gesetze von den Göttern ableiten. Gleich nach der Sintflut gab Gott ein doppeltes Gebot, 1.Mose 9,4-6, wodurch 1. die Heilighaltung des Bundesblutes und alles Opferblutes gefordert und 2. die Heiligkeit des Menschenlebens vor allen Angriffen sicher gestellt ward. Das erste dieser zwei dem Noah gegebenen Gebote bezieht sich auf die Verehrung Gottes, das zweite auf die Liebe des Nächsten. Beide Gebote haben sich in den großen Institutionen der Heiden erhalten und sie tragen wirklich die Summe des gesamten Gesetzeswillens Gottes in sich, den Adam einst aus freien Stücken erfüllte, und den Jesus in die Forderung der Liebe Gottes und des Nächsten zusammenfaßte Mt 22,37-40. Auf das Gleiche kommt auch das am Sinai gegebene Gesetz 2Mose 20 hinaus. Dasselbe zerfällt in zwei Abschnitte. Der erste umfaßt die Pflichten, die sich auf die Verehrung Gottes beziehen, d.h. also die ersten vier Gebote. Der zweite Abschnitt hat es mit den Liebespflichten gegen den Nächsten zu tun: das sind die sechs letzten Gebote. Da findet sich also wiederum die gleiche Teilung, welche bei Adam schon vorlag, und die sodann Jesus wieder aufnimmt: Liebe Gottes und des Nächsten. Diese zehn Gebote enthalten nun die vollständige Anweisung zur Gerechtigkeit. Und zwar ist stets bei jedem Gebot der umfassendste Rahmen gewählt; das in seiner Art Häßlichste und Abscheulichste oder das Größte, Herrlichste ist als Muster des Ganzen hingestellt. Hier begreift aber das Größte und Abscheulichste das Kleinere und minder Abscheu Erregende schon unter sich. Wenn Gott also sagt: du sollst nicht töten, so will er die ganze Menge der ähnlichen Sünden nicht ausschließen, sondern vielmehr unter dieses eine Hauptlaster zusammenfassen, also z.B. beim 6. Gebot – Zorn, Haß, Neid und andere Affekte, die auf das Gleiche hinauskommen wie das Töten. Ebenso ist es beim Verbot des Ehebruchs, wodurch zunächst die Befriedigung der Geschlechtslust außerhalb der Ehe verboten wird, jedoch auch alles, was dahin führen kann: also auch die lüsterne Begierde, welche die legalen Schranken überschreitet, denn sie ist Wurzel und erster Ansatz zum Ehebruch. Ebenso ist auch bei den Gottes Verehrung fordernden Geboten das Größte und Auffallendste in den Vordergrund gestellt, die feineren Nuancen damit aber nicht ausgeschlossen, sondern stillschweigend darunter subsumiert; unter die ins Auge fallenden Tatsünden sind auch die Wort- und Gedankensünden subsumiert. Denn auch das Alte Testament setzt schon, gerade wie das Neue, die Sünde nicht bloß in die böse Tat, sondern auch in die Gedanken und innere Gesinnung. Es fordert eine heilige Gesinnung 3.Mose 19,2 und die Liebe des Nächsten: V.17.18; sowie die Liebe Gottes in 5.Mose 6,5; 10,12.16; 11,13. Die beste Auslegung der zehn Gebote findet sich in der Bergpredigt. Das rechte Verständnis für die zehn Gebote war dem Volke abhanden gekommen, indem die Pharisäer es zu dem Wahn verführt hatten, als ob man schon das Gesetz erfülle, wenn man nur nicht gegen den äußerlichen Wortlaut des Gebotes verstoße, s. Calvin, Inst. II,8,7. Auch Chemnitz, Loc. theol. II, de lege Dei p. 6 bietet Gutes. Nach dieser Auslegung Jesu aber fordert das Gesetz der zehn Worte nicht bloß einen äußerlichen Gehorsam, auch nicht, wie die heidnische Ethik, innerliche Bezähmung des Willens, damit man nach außen hin gesetzlich erscheine: sondern es fordert die Hingabe des ganzen Menschen aus Liebe zu Gott und dem Nächsten. Das göttliche Gesetz fordert den ganzen Menschen, sein ganzes Herz 5.Mose 6,5; 5,29; Spr 23,26; Ps 119,34.69. – Die reformierte Einteilung der Gebote, wonach vier Gebote auf die erste Tafel und sechs auf die zweite zu stehen kommen, stammt nicht erst aus dem 16. Jahrhundert, sondern ist von Origenes bereits als zu seiner Zeit allgemein gültig anerkannt. Augustin wich von dieser Einteilung erst ab, und ihm folgte das Mittelalter und Luther; dabei fällt dann unser so wichtiges zweites Gebot völlig weg zum Schaden auch der lutherischen Kirche.
Simon W.

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