Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Der Pilgrim
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ERSTE ABTEILUNG
Der göttliche Ratschluß zur Erlösung des Menschen und seine erste Ausführung

§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes
Es ist Gottes Wesen und seiner Würde allein entsprechend, daß der Fall Adams Gott nicht unvorbereitet traf; daß Gott also, gleichwie er den Fall vorausgesehen und nicht hat hindern wollen, nun auch einen Ausweg aus demselben bereitet habe. Wir haben schon im ersten Teil von Gottes Vorsehung und Weltregierung gehandelt; in derselben nimmt der Erlösungsrat die hervorragendste Stelle ein. Und so reden denn auch Stellen wie Eph 1,5.9.10.11; 3,10. 11; Apg 4,28; 2.Tim 1,9 von einem Ratschluß Gottes, den er von Ewigkeit gefaßt zu unserer Erlösung; oder dann von einem Geheimnis, das bei ihm verborgen gewesen von Ewigkeit her: Röm 16,25; Eph 3,9; Kol 1,26. Die Predigt von Christus reicht nach erstgenannter Stelle in die Vorzeit zurück; man hätte von dem Heilsgeheimnis, das diese Predigt bringt, seit undenklichen Zeiten reden können; aber man hat davon geschwiegen, d.h. also es unter den Scheffel gestellt; geoffenbart sei es aber schon durch die prophetischen Schriften (Röm 16,25.26). Dieser Ratschluß Gottes hatte es aber nicht mit einem Abstraktum zu tun, etwa mit der Erlösung im Allgemeinen, sondern er bezieht sich auf eine ganz konkrete Person, auf Christus, als das neue Haupt und den neuen Anfänger aller Dinge (Eph 1,10). Schon Jesaja in (53,10) sagt vom Messias aus, daß Jahwes Vornehmen (Ratschluß) durch seine Hand glücklichen Fortgang haben werde. Nach 1.Petr 1,20 hat Gott in seinem Ratschluß Christus zuvor ersehen, d.h. bestimmt zum Mittler und Exekutor seines Rates zur Wiederherstellung der gefallenen Menschen. Nach 1.Kor 3,11 heißt Christus der Grund der Gemeinde, der schon im Ratschluß daliegt. In gleichem Sinne heißt Christus dann auch das Lamm, das von Grundlegung der Welt an geschlachtet sei: Offb 13,8. Mehr im Allgemeinen redet Paulus von der verborgenen Weisheit, die Gott bestimmt hat vor der Weltzeiten Beginn zu unserer Verherrlichung in 1.Kor 2,7; diese Weisheit ist Christus; vgl. Spr 8,22-25. Sodann heißt es, Gott habe den Ratschluß in Christo, im Hinblick auf ihn, gefaßt : Eph 1,4.5; 3,10.11; oder es heißt: wir sind in Christus erwählt, d.h. weil er vorhanden ist als der Grund- und Eckstein des ganzen Baues. Also der einzige Mitarbeiter Gottes in dem vorweltlichen Ratschluß war Christus. Und von hier aus eröffnet sich nun ein Blick in die Tiefen des Geheimnisses der Dreieinigkeit, der höchster Beachtung wert ist. Erst in Verbindung nämlich mit unserem Abfall und unserer darauffolgenden Wiederherstellung tritt auch die ganze Tiefe und der volle Gehalt der Trinitätslehre in das rechte Licht. Alles andere Verhandeln über die Trinität, das nicht im Hinblick auf diese Offenbarung geschieht – ist müßige Spekulation. Nur von dem festen Grunde dieser Offenbarung aus können wir auf eine ewige Wesenstrinität zurückschließen, von der wir ohne solche Manifestation nichts wüßten. Der Ratschluß der Erlösung hat in der Ewigkeit seine Wurzeln; hier ist er durch das Zusammenwirken der Dreieinigkeit zustande gekommen. Dieser Ratschluß war auf die Sendung des Sohnes durch den Vater gerichtet, auf die Mitwirkung Christi und des heiligen Geistes war er gegründet.
Simon W.

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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (2. Teil)

Vom Standpunkt der Offenbarungstrinität aus stellt sich nunmehr der Ratschluß Gottes in folgender Weise dar: Adam ist Sohn Gottes Lk 3,38; er ist geschaffen im Bilde und nach der Gleichheit Gottes, und wir partizipierten daran, insofern als er unser Stammvater und Haupt war. Adam jedoch, da er in solcher Herrlichkeit stand, hat dieselbe nicht bewahrt, sondern er hat aus eigenwilligem Ungehorsam gesündigt und ist demzufolge in den Zustand des Todes hineingeraten, der das gerade Gegenteil des ursprünglichen Lebens aus Gott ist. Wie kann das nun wieder gut gemacht werden? Wie kann überhaupt die Sünde des Menschen annulliert und seine Schuld gesühnt werden? Wie kann Genugtuung und Sündenvergebung stattfinden? Kann man etwas, das nun einmal gesehehen ist, ungeschehen machen? Man sollte denken, das sei absolut unmöglich. Wir aber sind aus der heiligen Schrift eines Besseren belehrt. Diese sagt uns, daß Gott Vater noch einen Sohn habe, gleichen Wesens mit ihm selbst. Und während nun der eine Sohn Gottes, Adam, nach Lk 3,38, nicht stehen blieb – so trat dieser andere Sohn in die durch Adams Abfall entstandene Lücke ein, und zwar dadurch, daß er Adams Sohn und Erbe wurde (Lk 3,38; Röm 1,1-3). Adam ist nach Röm 5,14 Typus Christi. Der eine ist auf den anderen angelegt, der irdische entspricht dem himmlischen, der erste Adam dem zweiten; s. 1.Kor 15,45-49. Das will also sagen: Adams ganze Stellung und seine Art ist darauf angelegt, daß er den Sohn Gottes repräsentiert und zwar in vorbildlicher Weise. Dadurch ist aber die Möglichkeit offen gelassen, daß das Urbild Adams, der Sohn Gottes, an die Stelle seines Typus, an die Stelle Adams, treten und sozusagen dessen Rolle übernehmen kann. Als nun der Typus sich als hinfällig erwies, als Adam fiel – da trat in seine Stelle Christus ein.154 Dieser Parallelismus zwischen dem ersten und zweiten Adam wird von Paulus vielfältig umschrieben. An die Stelle des Irdischen trat der Himmlische laut 1.Kor 15,49. An die Stelle des ersten Adam trat der zweite Adam 1.Kor 15,45, aus dem Himmel stammend: V.47. Röm 5,12-21 ruht ganz auf diesem Parallelismus zwischen Adam und Christus. Es war also in Gottes Ratschluß von vornherein alles so bestellt, daß wo der eine Adam hinfällig geworden, gleich sein Stellvertreter vorhanden sei, der das in bleibender Weise wiederbringen würde, was mit Adams Fall uns verloren gegangen war. Es enthüllt sich also ein ratschlußmäßiger wundervoller Bau der Weisheit Gottes in den Worten des Paulus: Adam sei Typus dessen, der da zukünftig, kommen werde, Röm 5,14. Und große Dinge folgert Paulus auch sonst daraus, daß Adam Typus Christi sei, so z.B. Eph 5,30-32, wo selbst er von dem näher liegenden Verhältnis zwischen Adam und seinem Weibe aufsteigt zu dem Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde. Es ist also mit Adams Fall noch nicht alles aus und vorbei. Christi, seines Sohnes, Sendung in die Welt hat Gott sich vorbehalten, als er Adam schuf. Gleichwie nun Adam uns mit sich in den Abgrund des Todes gerissen, so steigt der andere Adam hinab in die Tiefe des Todesverderbens und führt uns mit sich hinauf zum Leben. Der zweite Adam geht ganz in den Fußstapfen des ersten Adam einher; er begab sich in unseren verlorenen, von Gott entfremdeten Zustand hinein, den die Schrift „Fleisch“ nennt, um ihn gleichfalls zu schmecken, jedoch zu dem Zweck, daß er ihn aufhöbe. Röm 8,3. Er begab sich in eine solche Lage hinein,daß auch er dem Worte Gottes zu glauben hatte, daß er dem Gesetze gehorsam sein mußte, und es fordernd sich gegenübertreten sah; aber er tat dies, um Glauben zu halten und das Gesetz zu erfüllen. Gal 4,4.5. Er starb den Tod der Missetäter am Kreuze, aber nur, damit er den Tod vernichte und an unserer Statt auch diesen Höhegrad der Strafe erdulde. 1.Kor 15, 55. Hebr 2,9.14. Kurz es geht der zweite Adam, Christus, dem ersten auf Schritt und Tritt nach, um in den Todesspuren, die jener hinterlassen, Quellen des ewigen Lebens hervorzurufen und das finstere Todestal zu wandeln in sein Gegenteil (vgl. Athanasius, kontra Apollin. ed. Bened. Opp. tom. I,2. p. 927ff.)
Simon W.

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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (3. Teil)

Was Gott Vater dergestalt im Ratschluß sich vorgenommen und was er verfügt hat – das darzustellen übernimmt Gott der Sohn. Es geht bei der zweiten Schöpfung gerade so her, wie bei der ersten Schöpfung. Gott Vater verordnet die Erlösung, und der Logos stellt sie dar. Aber auch die dritte Person in der Gottheit ist wie bei der ersten Schöpfung, also auch beim Zustandekommen der zweiten Schöpfung nicht untätig gewesen. Alles, was der Vater in der Ewigkeit verordnet, und was der Sohn Gottes zu vollbringen auf sich genommen hat, das kommt allein denjenigen zu gute, auf welche der heilige Geist sich niederläßt. Mag der Sohn Gottes vom Himmel herniedersteigen, mag er das glänzendste Zeugnis ablegen von der Liebe des Vaters, mag er den Menschen mit Wohltaten überschütten: es obliegt doch allein dem heiligen Geiste, jene Wohltat Christi uns innerlich anzueignen. Dem Geiste Gottes ist es vorbehalten, daß durch seine Wirkung das steinerne Herz weggenommen und dem Menschen ein fleischernes gegeben werde; und es hängt also von seiner Wirkung auf den Menschen, die ebenfalls göttlich und unwiderstehlich ist, die Applikation der Erlösung ab. Röm 8,16.26. Vgl. ferner Joh 16,8-11, woselbst die unterweisende Tätigkeit des heiligen Geistes beschrieben ist. Also die Dreieinigkeit wirkt bei der zweiten Schöpfung, der Schöpfung der Gnade, zusammen, um den Menschen neu zu schaffen, gleichwie sie bei der ersten Schöpfung bereits wirkte. Und so mußte es in der Tat sein, wenn der Mensch nicht sein eigener Erlöser sein und sein Geist den heiligen Geist ersetzen sollte, worauf es bei allen Neueren doch mehr oder weniger hinauskommt. Wenn wir nun nach den leitenden Motiven fragen, die bei der Fassung des Ratschlusses obwalteten, so sind die Liebe und die Gerechtigkeit als solche zu bezeichnen. Was 1. die Liebe betrifft, so äusserte sie sich den Gefallenen gegenüber als Erbarmen. Unseres jammervollen Zustandes hat Gott sich schon vor der Welt Grundlegung erbarmt. Da bereits faßte er den Entschluß, uns freiwillig zu lieben, als wir noch Sünder, ja Gottlose und Gottverhaßte waren. Röm 5,6.8.10; Joh 3,16. Seine freiwillige Liebe wollte er beweisen; eine Welt wollte er lieben, die nichts Liebenswertes an sich hat, denn sie liegt ja ganz und gar im Schoß des Argen, 1.Joh 5,19. Mit einem staunenswerten Wunder haben wir es hier zu tun, daß Gott nämlich eine fluch- und verdammungswürdige Welt hat lieben wollen und zwar aus eigener Initiative, ohne irgend welchen Anlaß, den ihm die Welt geboten hätte. Diese Liebe Gottes aber, wenn sie anders ein dauerhaftes und ewiges Verhältnis Gottes zu den Mensehen begründen sollte, mußte nach Gerechtigkeit bemessen sein. Vgl. § 14.15. Die göttliche Liebe mußte mit der Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes in Einklang gebracht werden. Als demnach der Fall eintrat, konnte die Liebe nicht sich aufdringen. Das Strafwort 1.Mose 2,17 mußte zuvor seine Erfüllung finden und der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen werden. Gegenüber der Schuld des gefallenen Menschen galt es alsbald ein Äquivalent zu finden, auf daß die Liebe einen Rechtsgrund und Rechtstitel habe bei der Beseligung des Menschen. Und das geschieht denn auch 1.Mose 3,15. Es handeln hier die Gerechtigkeit und die Liebe in Harmonie miteinander: daß also die Erweisung der Liebe nicht stattfinden konnte, ohne daß der Gerechtigkeit Gottes dabei genug geschehen wäre (vgl. darüber schon Athanasius, De incarnatione Verbi Dei, tom. I,1. p.52ff.) Christus nun ist der aus dem Weibe Geborne und unter das Gesetz Gestellte, auf daß er die unter dem Gesetz Verhafteten erlöst habe nach Gal 4,4.5. Er hat die auf den Menschen lautende, doppelte obligatio – ad obedientiam und ad poenam (s. § 50) – eingelöst; er hat Gott dem Vater bezahlt mit seinem Blute; die Dahingabe seines Lebens hat den Charakter eines lu,tron (Mt 20,28; vgl. 1.Tim 2,5.6), wodurch die vielen, die in der Haft sich befanden und des Todes gewärtig sein mußten, frei ausgingen. Aber nicht genug damit – seine Dahingabe in den Tod hat zugleich den Charakter eines büßenden Aktes; es ist ein Erleiden des Todes unter williger Anerkennung des Fluches, der auf den Menschen lastete, des Fluches, der den Tod am Kreuze nach sich zog (Gal 3,13).
Simon W.

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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (4. Teil)

Es ist nun aufs Entschiedenste behauptet worden, und zwar auch von den Lutheranern, speziell seit der Formula Concordiae, daß der Ratschluß Gottes ein allgemeiner, alle Menschen ohne Ausnahme umspannender sei: diese Universalität leide durchaus keine Einschränkung. Dieselben Lutheraner, welche den freien Willen auf dem Altar des Buches Luthers: De servo arbitrio geschlachtet haben – gestatten sich, den göttlichen Ratschluß zu einem allgemeinen zu stempeln, wonach Gott wirklich und ernstlich die Erlösung aller, Haupt für Haupt, gewollt. Obwohl nun alles der Gnade zugeschrieben wird, so soll Gott dennoch bei der Prädestination zur Seligkeit intuitu fidei (so Joh. Gerhardt) verfahren sein, bei der Prädestination zur Verdammnis aber den beharrlichen Unglauben der Verworfenen angesehen haben. So lehrt der orthodoxe Lutheraner Philippi, Kirchl. Glaubenslehre IV, 1. S.15: Gott habe nicht nur diejenigen zum Tode vorherbestimmt, deren beharrlichen Unglauben er vorhergesehen, sondern auch diejenigen zum Leben vorherbestimmt, deren beharrlichen Glauben er vorhergesehen hat. So sehr diese Behauptung, wie wir sehen werden, gegen zahlreiche Schriftstellen verstößt – so ist doch ein Protonpseudos der Lutheraner von vornherein abzuweisen, indem sie, gestützt auf die von ihnen behauptete Allgemeinheit der göttlichen Liebe und auf die gleichfalls mit Unrecht behauptete Allgemeingültigkeit des Werkes Christi, nun auch die Allgemeinheit der göttlichen Berufung zu behaupten, kurz den Universalismus des Erlösungsratschlusses zu statuieren für gut finden. Und wir müssen daher diesem Protonpseudos hier zunächst das exegetische Fundament entreißen und nachweisen: daß das Reden von einer Allgemeinheit auf brüchigen Voraussetzungen beruht. Weder ist die Liebe in dem Sinne eine allgemeine, wie es die Lutheraner behaupten, noch auch ist die satisfactio Christi pro omnibus efficaciter geschehen, wie wir gleich sehen werden; noch endlich kann man auf Grund gewisser aus dem Zusammenhang gerissener Stellen den Ratschluß allgemein nennen. Was das Erste anlangt, so haben wir § 14 auseinandergesetzt, daß die göttliche Liebe im Kreise der Eigenschaften nicht in der Weise obenan gestellt werden dürfe, daß man ihr die Gerechtigkeit und Heiligkeit unterordne. Was ist an der Kreatur, das die Liebe Gottes herausforderte, ohne daß dieselbe sich zuvor mit der Weisheit beraten und mit der Gerechtigkeit und Heiligkeit auseinandergesetzt hätte? Unsere menschliche Auffassung der Liebe – im Stande der Sünde – bewegt uns, von einer göttlichen Liebe zu träumen, die nicht besteht. Das Objekt wurde der göttlichen Liebe durch den weisen Ratschluß Gottes gegeben (s.o. S. 64).
Simon W.

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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (5. Teil)

Was nun zweitens die Allgemeingültigkeit der Genugtuung Jesu Christi betrifft, so ruht dieselbe auf der falschen Voraussetzung der Allgemeinheit der göttlichen Liebe. Zwar behaupten wir keineswegs, daß Christi Tod nicht ausgereicht hätte, alle zu erlösen, wenn anders dies Gottes weiser Ratschluß verfügt haben würde. Aber gleichwohl werden wir § 74 beweisen, daß die heilbringende Wirksamkeit des Todes Christi nur in den Erwählten zur Geltung kam (s. Can. Dordrac. Cap. II, § 8). Mt 1,21 (sein Volk); Joh 10,14; Eph 5,23 (seines Leibes Heiland). Apg 20,28. Joh 17,9 (ich bitte nicht für die Welt). Was nun drittens die Stellen anlangt, nach welchen die Wohltat Christi sich auf alle zu beziehen scheint, so sind dieselben nach gesunden Auslegungsgrundsätzen und vor allem nach der Analogie des Glaubens zu erklären. Bekanntlich legt man besonderes Gewicht darauf, daß an zwei Hauptstellen der heiligen Schrift die Welt als von Gott geliebt und durch Christus versöhnt hingestellt werde: Joh 3,16. 1.Joh 2,2. Ferner trete die Allgemeinheit dieses Ratschlusses in 1.Tim 2,4; Tit 2,11 zu Tage, wo der Wille Gottes zu retten ganz deutlich als ein universaler erscheine. Aber zur Erklärung des Wortes „Welt“ in jenen Stellen bedarf es der genauesten Erwägung des Sinnes, den Jesus und Johannes damit verbunden haben. Wir erwägen: 1. Daß in Jesu Munde der Ausdruck „Welt“ zur Beugung des Hochmuts eines Pharisäers diente und sonach auch engherzig gesinnter, exklusiv denkender Christen. 2. Diente dieser Ausdruck zur Bewahrheitung der Verheißungen Gottes. Was den ersten Punkt anlangt, so haben wir zu bedenken, daß Jesus es mit dem Pharisäer Nikodemus zu tun hatte, dessen Blick nicht hinausreichte über seine Kaste, oder besten Falles über sein Volk. Der Pharisäer hoffte auf das Kommen des Messias zum Gericht über die Heiden und zur Beglückung seines Volkes. Die Juden hielten sich für die Schoßkinder Gottes; „wir sind Abrahams Kinder“ war ihr stolzes Wort und sie vergaßen, daß der Segen Abrahams auch die Familien des Erdbodens angehe. 1.Mose 12,3. Und damit kommen wir auf den zweiten Grund, weshalb Jesus diesen Ausdruck anwandte. Der Segen, welchen der Same Abrahams, Christus, mit sich brachte, sollte sich nicht beschränken auf die Juden, sondern es sollte gerade jetzt eine Entschränkung stattfinden, ein Überfließen des Segens auch auf die Heiden. Gal 3,14. Und weil die Juden solches im Hochmut verkannten, deshalb mußte ihnen Christus den Ausdruck „Welt“ entgegenhalten. Wollen sie nun Teil haben an Christi Opfertod, so müssen sie sich subsumieren lassen unter diesen Ausdruck „Welt“. Das war dann freilich nicht schmeichelhaft, aber doch heilsam. Schmeichelhaft war der Ausdruck deshalb nicht, weil der Ausdruck „Welt“ ähnliche Vorstellungen in Nikodemus erregen mußte, wie in Petrus das in Apg 10,10-16 vom Himmel herabgelassene Tuch voll reiner und unreiner Tiere, von denen ohne Unterschied zu essen ihm zugemutet wurde. An Jesu Ausspruch über die Liebe Gottes zur Welt mußte ein engherziger Jude sich ebenso sehr stoßen, wie daran, daß Jesus den Zöllnern und Sündern das Evangelium verkündigte. Lk 15,1.2.11-32. Aus diesem Kap des Lukas vernehmen wir die übliche Beschuldigung der Pharisäer wider Jesus, die dahin lautete: daß dieser Mensch die Sünder annehme und mit ihnen esse. Lk 7,34. Genug, der Ausdruck „Welt“ besagt im Grunde nicht mehr, als Pauli Aussage in Röm 1,16, daß das Evangelium eine Kraft Gottes sei den Juden vornehmlich und auch den Hellenen.
Simon W.

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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (6. Teil)

Auch in 1 Joh 2,2 soll der Ausdruck „die ganze Welt“ jede solche Beschränkung abschneiden und Jesu über das Judenvolk hinausreichende Bedeutung hervorheben, nicht aber so beiläufig einen Universalismus lehren, an den weder Jesus noch seine Jünger auch nur von fern gedacht haben. Denn wie würde Jesus sonst Worte haben sagen können, wie jenes im hohenpriesterlichen Gebet Joh 17,9.20; ferner Joh 11,52? An letzterer Stelle nennt er neben dem Volk Israel die überall zerstreut sich findenden Kinder Gottes; für diese und für das Volk sollte Jesus sterben. Der Gedanke eines absoluten Universalismus, den der Ratschluß Gottes in sich schließe, ist aus der Schrift nicht zu eliminieren. Nur diejenigen, welche den freien Willen behaupten und deswegen für eine allgemeine Gnade, statt für die souveräne und freie, eifern, pflegen sich an solche Sprüche zu hängen, die sie aus dem Kontext herausreißen und dabei Worte wie z.B. „Welt“ weit über das rechte Maß hinaus pressen. Der Ausdruck „Welt“ meint nicht sofort „alle“, sondern wenn man den Sinn des Ausdrucks „ko,smoj“ recht ergründen will, so hat man Stellen, wie Mt 13,38; Lk 12,29.30; 1 Joh 2,16.17 zu berücksichtigen. Auch Paulus wird für die Universalität des Ratschlusses als Zeuge aufgerufen. In 1.Tim 2,4 heißt es: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und daß sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen – denn es ist ein Gott und so auch ein Mittler Gottes und der Menschen – der Mensch Christus Jesus.“ Wenn nach dieser Stelle der Wille Gottes ein solcher wäre, wonach Gott alle, Haupt für Haupt, retten wollte: so würde das auch geschehen, oder es gäbe nichts gebrechlicheres und hinfälligeres, als den Willen Gottes, der sich an der größeren Zahl der Menschen von Adam bis jetzt nicht realisiert hätte. Und ein Paulus, der Röm 9 und 11 geschrieben, sollte also sich widersprochen haben? Es muß auffallen, daß man den mahnenden, zurechtweisenden Charakter in dieser Hauptstelle 1 Tim 2,1ff. so völlig übersehen hat. Paulus redet hier vom Willen Gottes, „alle“ zu erretten, mit polemischem Hinblick auf die schon bei den damaligen Christen beliebte Anschauungsweise: als ob einige Menschen als zu schlecht von vornherein von Christus auszuschließen und der Fürbitte für unwert zu halten wären. So waren besonders die ersten Christen in Gefahr, Gefühle der Rache und Erbitterung gegen den römischen Kaiser und dessen Behörden oder Unterkönige zu hegen; und so kam es, daß sie dann Gebete für dieselben als nicht notwendig erachteten. Die Christen sollen nun aber die Obrigkeit nicht als eine verlorene Provinz aufgeben, sondern sie einschließen in ihr Gebet: 1. soll dies deshalb geschehen, weil Gott allen Menschen wohl will, d.h. also (nach dem Zusammenhang) „allen ohne Unterschied des Standes und Ranges“ oder aber genauer: Gott will, daß allerlei Menschen geholfen werde. Den Sinn von „allerlei“ hat „alle“ z.B. 1.Mose 2,16 nach Luther; auch Mt 3,5 ist πασα zu beschränken.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 52. Vom Erlösungsrate Gottes (7. Teil)

2. soll dies Gebet für „allerlei“ Menschen deshalb stattfinden, weil ja nach V.5. nur ein Gott und auch nur ein Mittler Gottes und der Menschen vorhanden sei; schlösse man z.B. die Obrigkeit, die Könige aus,so wären dieselben völlig ohne Hoffnung in der Welt, hätten weder einen Gott, noch einen Mittler bei Gott: denn es gibt nur einen d.i. Christus! Damit zugleich verschlössen sich ja aber auch die Christen die Hoffnung auf eine sichere, ungestörte Zukunft, wofern sie nämlich ihre heidnische Obrigkeit von vornherein so ansähen, als ob Gott über sie keine Macht hätte; vgl. Calvin zu 1.Tim 2,4. Das παντες also in 1.Tim 2,4 weist die Sucht auch der christlichen Leser zurück, Scheidewände aufzurichten in der menschlichen Gesellschaft und für sich kleine Konventikel zu bilden; und demnach etwa die Obrigkeit oder gar die Reichen auszuschließen und die Armen allein zu berücksichtigen, wie die Essäer – eine jüdische Sekte – taten. Das Gleiche ist zu sagen von Tit 2,11: „Die heilsame Gnade Gottes ist erschienen allen Menschen“. Hier soll nach den vorausgehenden Versen der Unterschied des Alters und des Standes als gleichgültig in diesem Bezug hingestellt werden. Daß man nun „alle“ in der Tat für „allerlei“ nehmen darf, dafür geben wir folgende 3 Beweise: 1. der alttestamentliche Sprachgebrauch spricht dafür; vgl. 2.Mose 9,6.25, wonach alles Vieh und alles Grün des Feldes geschlagen ward, während doch für die folgende Plage davon noch etwas übrig blieb: also ist „alles“ hier mit „allerlei“ zu übersetzen. Wenn der Ausdruck „alle“ unbeschränkt sein und einen mathematisch genauen Wert haben sollte, dann müßte noch eine Umschreibung hinzutreten; denn „alle“ ist zu abgegriffen. Wo man auf hebr. Sprachgebiet schlechthin „alle“ bezeichnen will, da bedient man sich verschiedener Ausführungen; z.B. alle, die auf Erden sind, oder vom Großen bis zum Kleinen (2.Kön 23,2; 2.Chr 34,30; Jer 6,13). Jes 6,11 findet auch eine Umschreibung für „alle“ statt. Vgl. endlich Aristoteles Poetik Kap 25, § 8: το παντες αντι του πολλου κατα μεταφοραν ειρηται το γαρ παν πολυ τι. 2. Die prophetische Ausdeutung des Wortes „Alle“ bei Joel zeugt für eine Einschränkung dieses Wortes (vgl. Joel 3,1.2). Hier wird eine Geistesausgießung über „alles“ Fleisch geweissagt; aber es wird sofort auch der Ausdruck „alles“ näher bestimmt. Drei Alterstufen und zwei Rangklassen werden bei Joel namhaft gemacht als solche, die der Geistesausgießung teilhaftig werden sollten. Der Ausdruck „alles Fleisch“ richtet sich also wider alle falsche Distinktionen, oder gegen eine falsche Exklusivität, ganz wie Tit 2,11, wo, wie bemerkt, die Beschränkung des Alters und Standes durch den Ausdruck „alle“ abgelehnt werden soll. 3. Auch das N.T. gebraucht das Wort „alle“ für „allerlei“: Mt 3,5; 8,16; nach vielen auch Hebr 13,4 (s. Bleek dazu). Am deutlichsten werden wir zu einer solchen Beschränkung des „pa,ntej“ veranlaßt durch Joh 12,32. Hier sagt Christus entweder Unmögliches aus, daß er nämlich alle ohne Ausnahme bei sich aufnehmen werde; dies aber würde zum rohesten Universalismus führen, wonach absolut alle Menschen selig würden. Oder aber, was allein richtig ist, Jesus meint mit dem Worte „alle“ – in Übereinstimmung mit dem Zusammenhang – Hellenen und Israeliten, d.h. alle ohne Unterschied der Nation und Berücksichtigung der ererbten Vorrechte. Hellenen nämlich waren es, die kurz zuvor gefragt hatten, ob sie Jesus einmal sehen dürften, Joh 12,20.21. So haben wir denn drei der wichtigsten Stellen, welche man herbeizieht für die Universalität des Ratschlusses Gottes von vornherein abgewiesen. Es läßt sich aus denselben keineswegs ein universaler Ratschluß herausdeuten, wenn man nicht eben den Kanon vernachlässigt, die einzelnen Schriftstellen aus dem Zusammenhang zu erklären. Wir weisen aber schon hier, wenn auch im Vorbeigehen, auf die Schwierigkeiten hin, in die solche Universalität des Ratschlusses uns führen würde. Ist Christus für alle ohne Ausnahme gestorben, dann müssen auch alle ohne Ausnahme selig werden; oder aber man setzt eine Kraft im Menschen voraus, sich für oder gegen Christus zu entscheiden. Aber nun ist ja gerade Christus deshalb für die Menschen gestorben, weil in denselben keine Kraft irgend welcher Art vorhanden ist. Diejenigen, welche den universalen Ratschluß annehmen, setzen hier etwas voraus im Menschen, was erst noch zu beweisen wäre. Wir verweisen schließlich noch zum Erweis der Partikularität dieses in Rede stehenden Ratschlusses Gottes im Vorbeigehen auf Stellen wie Eph 1,5.11; Röm 8,28-30; 9,11-23; Apg 13,48; 2.Tim 1,9. Aus diesen Stellen ergibt sich ganz unwidersprechlich, daß, wie einerseits Christus in dem Rate des Friedens zuvor versehen ist oder prädestiniert (laut 1.Petr 1,20) – so auch die Christus Angehörigen eine von Gott festgesetzte Anzahl gläubiger Personen ausmachen. Das Äquivalent, welches Christus für die Arbeit seiner Seele erhält, ist kein schwankendes, sondern ein von vornherein im göttlichen Ratschluß fixiertes; die Zahl derjenigen, welche die Braut Christi, oder seine Kirche auszumachen berufen sind, ist eine von vornherein feststehende; sie schwankt nicht zwischen allen oder keinem: Joh 17,12; 10,28. Alle in Christus Erwählten sind solches überdies nicht auf ein unsicheres Ziel hin, so daß es ungewiß bliebe, ob sie bei ihm bleiben werden, oder nicht. Vielmehr sind sie laut Eph 1,4 gleich dazu erwählt, heilig und untadelig zu sein vor Gott; vgl. V.6. Sie sind erwählt in Christo, um bei Christus zu bleiben.
Simon W.

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Peter01
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§ 53. Die Ausführung des göttlichen Ratschlusses im Alten
Testament (Teil 1)


Schon in der alten Zeit gab es in der Kirche solche, die da behaupteten,
daß die Menschen vor Christus auch ohne ihn, durch Erfüllung der lex naturae oder lex Mosaica von Gott zu seinen Kindern angenommen würden.158 Pelagius war es, der im Interesse des freien Willens solche relative Entbehrlichkeit des Heiles durch Christus hervorhob und diese Ansicht sogar als diejenige des kirchlichen Altertums hinstellen wollte. Aber Augustin bewies ihm das Gegenteil. Das Gleiche tat Calvin in seiner wichtigen Responsio contra Pighium, s. Corp. Ref. Bd. 6 der Opp. Calvini. Es ist in der Tat dies als die orthodoxe, sowohl altkirchliche, als auch reformatorische Ansicht hinzustellen: daß Gott sich seinem Volke während der alten Ökonomie niemals gnädig erwiesen und überhaupt im Heidentum niemand auf Gnade hoffen ließ, ohne den Mittler des neuen Bundes, Christus.159 Wir können in der Dogmatik nur die recipierten loca probantia der Messiaslehre im Alten Testament angeben. Die exegetische Begründung derselben gehört der alttestamentlichen Christologie an.160

Gleich nach dem Fall Adams lassen wir, wie billig, mit Luther und den andern Begründern der Reformation, die Manifestation des verheißenen Mittlers, Christi, beginnen. Die Verheißung von einem Samen des Weibes wird den gefallenen Ersteltern vorgehalten, 1.Mose 3,15; ihn nennt Eva den Mann, den Jahwe, (4,1)161 und zeigt damit, wie sie jene Verheißung vom Weibessamen aufgefaßt habe. Sie erwartet in diesem Sohne zugleich ihren Herrn und Gott: ein Hoffnungsmoment der alten Heiligen, das in der prophetischen Zeit wieder recht zur Geltung gelangte. Jener Weibessame soll anstelle der Ersteltern den Kampf mit der Schlange aufnehmen, und das Leiden, welches er dabei zu erdulden haben wird, ist als Zermalmung seiner Ferse durch einen Biß der Schlange dargestellt. Der Weibessame stirbt; sein Tod ist sühnend. Hier haben wir das Evangelium der Patres, das Evangelium von Adam bis auf Abram.

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Joschie
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§ 53. Die Ausführung des göttlichen Ratschlusses im A.T.

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§ 53. Die Ausführung des göttlichen Ratschlusses im Alten Testament (Teil 2)

Der Weibessame, den Eva nach Gen. 4,1, als Jehova begrüßt, – ist der Inhalt des frühesten Evangeliums. Eva nennt ihren ersten Sohn Jehova – freilich indem sie sich irrt in der Person, aber doch in ihr Herz uns blicken lässt: wo wir deutlich die Erwartung von einem Erlöser, der Gott sein werde, finden. Aus diesen zwei Namen „Weibessame“ und „Jehova“ wird nun alles genommen, was später von der göttlichen und menschlichen Natur des Erlösers geredet wird. Bald wird der Nachdruck mehr auf die menschliche Seite gelegt – so bei Abraham, in dessen Samen alle Völker der Erde gesegnet werden sollen, Gen. 22,17.18; – bald wird mehr auf die göttliche Seite gesehen, wie bei den Erscheinungen des Engels Jehovas, oder bei der Ausführung aus Ägypten, wo der Engel des Herrn, d. h. Jehova, den Zug leitete. David sieht ebenfalls den Messias bald als Mensch, bald als Gott; ebenso die Propheten. Die Propheten teilen sich den Stoff; etliche reden von der menschlichen Natur des Erlösers; etliche reden von der göttlichen Natur. Die Hauptstellen, welche die menschliche Natur des Erlösers im Alten Testamente hervorheben, sind, außer Gen. 3,15, Gen, 22,18: durch deinen Samen; Gen. 49,10 – Schilo; Deut. 18,15 – der Prophet wie Mose; 1. Sam. 2,10; 2. Sam. 7,12.13. Auf die durch letztere Stelle gegebene Anregung hin haben dann die Propheten den Messias bald David, bald Davids Sohn, oder Spross oder bloß König genannt, der jedoch die erhabensten, ja göttliche Attribute führt: vgl. Hos. 1,11; 3,5; Jes. 11,1 ff.; Jer. 23,5.6; Ezech. 34,23-25; 37,24-26; Mich. 2,13; 5,1 ff.; Sach. 3,8; 6,12; 9,9. Aufgrund von Deut. 18,15 nannten die Propheten den Messias Knecht Gottes. Knecht Gottes heißt der Messias bei Jesaja (diesem Evangelisten unter den Propheten nach Hieronymus) in Kap. 42,1; 49,1; besonders aber Kap. 53: ein Kapitel, welches man mit Recht ein Kompendium des gesamten Evangeliums genannt hat, indem hier die Leidensgestalt, der Grund dieser Leiden, das Begräbnis und die Auferstehung Christi, nebst Angabe der aus der Auferstehung sich ergebenden Früchte beschrieben wird. Das prophetische Amt des Messias beschreibt vornehmlich Jes. 42,1 ff.; 49,1 ff.; 61,1 ff.; das hohepriesterliche Jes. 53; Dan. 9,24 ff.; Sach. 3,8.9; das königliche Jes. 9,6; Jer. 23,5.6; Dan. 7,13.14.

Die Hauptstellen, welche die göttliche Natur vom Erlöser prädizieren, sind hauptsächlich Gen. 4,1; unter den messianischen Psalmen Ps. 45,7; 110,1.5; ferner bei den Propheten Jes. 9,5; Jer. 23,6; Mal. 3,1 (Adôn).

An anderen Stellen gehen die Propheten von dem messianischen Reiche aus; so nennt Jesaja den Ort, von wo das Reich Christi seinen Ausgang nehmen wird, in Kap. 2,2.3; dieses Reich selber wird beschrieben 11,3 ff.; 25; 32; 35; 60; dann Hos. 1,10.11; Amos 9,11; Obad. V. 17 ff.; Micha 4,1 ff. 8; Dan. 2,35.44. Wo aber dergestalt vom messianischen Reiche die Rede ist, da ist die Person des Messias stets mit hinzuzudenken; ohne dieselbe wäre auch kein Reich da.

Neben diese zwei Klassen tritt noch eine dritte Klasse der prophetischen Weissagungen; in dieser wird die Herbeiführung des messianischen Heiles Jahwe übertragen. Es wird hier an Jahwe geknüpft, was in anderen Stellen an die Zukunft des Messias verbunden ward. Hierher gehört z. B. Ps. 93,1; Ps. 97,1; Ps. 98,9; Ps. 99,1; Obad. V. 21; Jes. 11,10 ff.; Joel 4,21; Jes. 24–27; Sach. 12–14.
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes

Beitrag von Peter01 »

§ 54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes (Teil 1)

Wir haben die frohe Botschaft von dem Kommen des Erlösers in eine durch den Fall Adams gänzlich zerrüttete Welt vom Paradiese an durch Mose und die Propheten sich mitteilen sehen. Gott hat von Anbeginn an den Erlöser in die Welt eingeführt, und das geschah zunächst durch das Mittel des lebendigen und kräftigen Wortes Gottes. Man hatte von Anfang an einem Worte zu glauben, das von dem Erlöser redete. Hebr. 1,6; 10,5 wird von dieser Einführung des Sohnes Gottes und von dem Eintreten Christi in die Welt geredet. Die Botschaft von Christus ist also bei seiner Geburt nichts Neues auf Erden, sondern der Messias ist in sein Eigentum gekommen, so oft als ein Wort, das ihn verkündigte, aus dem Munde gottgesandter Männer hervorging. Bevor wir uns nun zu der Realisierung dieser Verheißungen, die mit der Ankunft Jesu Christi auf Erden anhob, wenden, fragen wir uns, wie sich die Erfüllung zur Weissagung verhalte. Diese Frage ist identisch mit der Frage nach dem Verhältnis des Alten Testaments zum Neuen, oder nach ihrer Ähnlichkeit und ihrer Verschiedenheit. Mit der bloßen göttlichen Zusage – so sicher dieselbe auch ist, weil ja Gott sie gegeben, war es nicht genug. Es musste nun auch noch geschehen, was da verheißen war. Gibt es darum aber einen Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichem Heil? Nein!Die Differenz, welche zwischen dem Heil vor Christi Geburt und dem in Jesu Person gegebenen obwaltet, ist eine rein zeitliche.

Eine spezifische Differenz, der zufolge die Gläubigen vor Christus noch nicht so Genügendes von ihm erfahren hätten, wie die nach Christus lebenden Glaubenden, gibt es nicht. Die Annahme, dass die alten Väter vor Christo noch unbefriedigt gewesen, oder dass ihre Befriedigung wohl gar im Gegensatz zu der vollen Befriedigung der nach Christo Lebenden gestanden, ist unzulässig. Der Unterschied zwischen der alt- und neutestamentlichen Ökonomie ist, wie schon die alten Theologen wiederholt behaupteten, kein andrer, als der zwischen credere in Christum exhibendum und in Christum exhibitum160. Wir haben es ja mit dem Heil und der Erlösung der Menschen zu tun, d. h. mit geistlichen Lebensbedingungen. Diese dulden es aber nicht, dass man sie bald mit diesem, bald mit jenem Maße den Menschen zumesse. Ist das Heil in Christo wirklich eine solche Lebensbedingung, so muss dasselbe den Alten gleichfalls zuteil geworden sein, oder aber sie waren ohne geistliches Leben. Abraham wäre dann nicht das hohe Exempel des Glaubens, sondern müsste erst noch bei dem einfachsten Christen in die Schule gehen – im Widerspruch mit Röm. 4,12.18; seine Rechtfertigung wäre nicht das Vorbild unserer Rechtfertigung, Röm. 4,22-24; sein Glaube nicht das Vorbild unseres Glaubens; vergeblich hieße er der Vater aller Gläubigen, Röm. 4,16. Wichtig ist hier die Schlussfolgerung in dem Satze Gal. 3,29, dass, wenn wir Christi Eigentum sind, wir alsdann Abrahams Same und Erben der Verheißung seien. Abrahams Same müssen wir sein, um Gottes Kinder zu heißen.

Entschieden sprechen ferner gegen solche Trennung der Gemeinde der Erlösten vor und nach Christus Stellen wie: Joh. 8,56. Apg. 15,11: Wir glauben durch die Gnade Jesu Christi errettet zu werden in gleicher Weise, wie auch jene, d. h. die Väter. Vgl. ferner 1. Kor. 10,4. 9; Hebr. 3,9.19. Nach Hebr. 2,10 ist Christus der Herzog ihrer, d. h. der Juden Seligkeit, was aus Mich. 5,1. genommen ist. Das ganze 11. Kapitel des Hebräerbriefs zeigt, dass schon in der alten Ökonomie derselbe seligmachende Glaube und die gleiche Hoffnung ewigen Lebens, wie in der neuen Ökonomie geherrscht habe. In Apg. 7,51 klagt Stephanus darüber, dass die Väter allezeit dem Heiligen Geist widerstanden hätten. Vgl. auch Calv. II. c. 10.

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§ 54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes

Beitrag von Joschie »

§ 54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes (Teil 2)

Es gibt nun aber auch Instanzen, die gegen diese Gleichsetzung des Alten und Neuen Testaments angeführt werden.

Da heißt es freilich in Hebr. 11,39.40, dass diese Gläubigen alle, welche von Gott ein gutes Zeugnis sich erwarben durch den Glauben, die Verheißung nicht erfüllt gesehen hätten. Also die Erfüllung war für sie noch eine in der Zukunft liegende; und dies geschah deshalb, weil laut V. 40 Gott nicht wollte, dass sie ohne uns (die Nachgeborenen) zum Ziel gelangten. Um unseretwillen gab Gott den alten Vätern noch nicht das Vollmaß der Erfüllung, dass sie es sehen und tasten konnten; sie begrüßten die Erfüllung nur von fern. Hebr. 11,13. Gott stellte seinen Sohn in die Mitte der Zeiten, auf dass gewissermaßen die Letzten die Ersten würden, die Ersten aber die Letzten, und dass es den Nachgeborenen nicht zum Schaden gereiche, erst so spät zur Existenz gelangt zu sein. Gott hat für uns sowohl, wie für jene alten Väter Sorge getragen und die Erfüllung der Verheißung in die Mitte der Zeiten gestellt, auf dass die Spätgeborenen einen recht deutlichen Eindruck von Christo bekämen. Gott trug für alle Sorge, und wenn er zu benachteiligen scheint, so gibt er doppelt, wenn er endlich gibt. In gleichem Sinne preist Jesus in Mt. 13,16 die Jünger selig, weil sie sahen, was viele Propheten und Gerechte zu sehen begehrten, und weil sie hörten, was jene zu hören begehrten – aber nicht hörten. Auch hier ist die wunderbare Herrlichkeit der nun erschienenen Gnade Gottes, die von Christo Jesu abstrahlt, ins Auge gefasst. So Herrliches ist in der Tat nicht in praxi erlebt worden bis jetzt, wenn auch die Alten schon immerdar hinreichende Nahrung für ihre Seele hatten. Überschwängliches tut Gott, wenn er nun endlich seine Verheißung erfüllt; er überbietet sich immerdar und gibt mehr, als man erwartete. Wenn aber auch ein Simeon und eine Hanna, wie alle Jünger, Herrlicheres gesehen haben, als die Propheten, so beeinträchtigt das nicht die objektive Genügsamkeit der alttestamentlichen Verheißung, durch die den Patriarchen zum seligen Leben verholfen ward. Desgleichen widerspricht Joh. 1,17 dieser Anschauung nicht; Christus wird dort nicht Mose gegenübergestellt, sondern einfach koordiniert. Die Heilslehre, die Thora, ward durch Moses Hand gegeben; in Christo ist die Gnade und Wahrheit in Person erschienen, hier ist sie Fleisch geworden. Der Evangelist denkt hier durchaus nicht an eine Antithese. Demnach besitzen wir freilich alles reichlicher in Christo, was zu unserem Heile dient; aber mit Unrecht schließt man daraus: dass die alten Heiligen etwas Wesentliches entbehrt hätten. Nachdem Christus gen Himmel gefahren, so gilt nun auch von uns der Satz des Apostels, dass wir hienieden nur in der Hoffnung selig sind, Röm.8,24, und also noch nicht in den vollen Besitz der durch Christus erworbenen Wohltaten gelangt, mithin gerade wie die alten Heiligen hienieden aufs Hoffen angewiesen sind. Zwar sind wir aus dem Tode in das Leben übergegangen durch den Glauben in Christum, aber wir dürfen nicht die Worte Johannis im l. Briefe 3,2 übersehen: dass noch nicht erschienen ist, was wir sein werden; wenn das aber eingetroffen sein wird, so werden wir ihm gleich sein und dann erst ihn völlig erkennen. Es ruht also auch für die Christen der volle Genuss der Wohltat Christi im Schoße der Zukunft; wir wandeln im Glauben, und was den Genuss anlangt, so hoffen wir, – bis wir, des verweslichen Leibes entledigt, den sehen werden, der uns von Anfang geliebt hat. Bis dahin müssen wir uns, wie die Patriarchen, an die Verheißungen halten; 2. Kor. 7,1; 2. Petr. 1,4; 1. Tim. 4,8; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen, 2. Kor. 5,7. Nach Hebr. 11,1 vermittelt aber der Glaube lediglich gehoffte Dinge; er ist ein Aufweisen von Dingen, die durchaus nicht gesehen werden.
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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§ 54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes

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§ 54. Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testamentes (Teil 3)

Auch die Taufe Johannis ist so wenig, wie seine Person ein Grenzstein zwischen der sogenannten alten und neuen Ökonomie, wie unsre älteren Theologen stets anerkannt haben. Johannis Name darf nicht gemissbraucht werden, um die innere Einheit der heiligen Schrift zu zerstören, wie die römische und die neuere Theologie tun. In Mt. 11,11 stellt Jesus dem verzagten Johannes, der übrigens der notorisch Größte unter allen vom Weibe Geborenen sei, den entgegen, welcher kleiner, d. h. demütiger als er ist unter den Bürgern des Himmelreiches. Johannis Frage nämlich in Mt. 11,3 war nicht von der Demut eingegeben. Wir haben in V. 11 die gleiche Mahnung, wie jene, da Jesus ein Kind seinen Aposteln vor Augen führt: Lk. 9,47.48. Die Taufe Johannis war identisch mit der apostolischen Taufe; sie wird ebenso eine Taufe zur Vergebung der Sünden genannt, Lk. 3,3, wie die des Petrus am Pfingstfest: Apg. 2,38. Johannes wies seine Täuflinge auch auf Christum Joh. 1,36; Apg. 19,4, gerade wie die Apostel; und Paulus hat die Johannesjünger in Apg. 19 auch nicht abermals getauft, sondern ihnen nur die Hände aufgelegt: V. 6, worauf dann die Erfüllung mit den für jene Zeit verliehenen wunderbaren Geistesgaben erfolgte. Vgl. Beza und Calvin in Comm. a. h. l. Ihnen folgen wir, wie auch bei den Lutheranern Gerhard u. a. getan. Es bilden demnach die Schriften der alten und neuen Ökonomie keinen Gegensatz zueinander; vielmehr, was dem sogenannten Neuen Testamente seinen absoluten Wert gibt für unsere christlichen Bedürfnisse – das liegt auch bereits im Alten vor; das Evangelium oder die frohe Botschaft steht nicht im Widerspruch zum richtig verstandenen Gesetz und zu den Propheten. Der Christus der neuen Ökonomie ist die reife Frucht, die entfaltete Blüte des Messias Moses und der Propheten.163 Bucer in dem Bericht an die Kirche zu Münster sagt: Weil man den Paulus, der Gesetz und Evangelium einander wohl entgegensetze, missverstanden, habe man den „alten Bund“ zu einem fleischlichen und irdischen gemacht, als ob dort nichts, als Figuren, Zeremonien und tote Werke wären, und als ob erst wir Christen den reinen Geist und die wahre Frömmigkeit hätten. Nach Hebr. 11 kam es vielmehr im Alten wie im Neuen Bund auf den Glauben an. Von Anfang bis ans Ende der Welt ist nur ein Volk Gottes gewesen – nur ein Bund der Gnade – ein Geist, ein Glaube etc. – Dass dies zugleich die Anschauung aller Derjenigen war, durch die Gott vor dreieinhalb Jahrhunderten seine Kirche hat lehren wollen, ist zu bekannt, als dass wir es hier näher ausführen müssten.164
(zu.163: S. Usteri, Die Stellung der Straßburger Reformatoren Bucer und Capito zur Tauffrage, in den Studien und Kritiken 1884, 3. Heft. S. 509.
(zu.164: Man vergl. Diestel, Geschichte des Alten Testaments, bes. S. 290 ff. 300, 306 und meine Christologie des A.T., sowie „Zum Gesetz und zum Zeugnis“; Abschnitt 1 und 2.)
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§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 1

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ZWEITE ABTEILUNG

Der göttliche Ratschluß zu unserer Erlösung in seiner schließlichen Ausführung

§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 1

Das Wort – das im Anfang bei Gott war, welches selbst Gott, und durch
welches alles geschaffen ist (Joh 1,1-3) – ward Fleisch und wohnte unter uns, so steht geschrieben Joh 1,14; es steht aber nirgends geschrieben: das Wort ward Mensch. Menschliche Natur hat zwar der Logos angenommen, aber dies dadurch, daß er Fleisch ward. „Fleisch werden“ bedeutet: der Logos ging ein in unseren von Gott entfremdeten Zustand, oder in die Natur, welche gesündigt hat165. Unser Zustand ist aber: daß wir durch Adam in Schuldhaft geraten und dem Tode anheimgefallen sind, infolgedessen wir Feinde Gottes und ihm verhaßt sind. Dieser elende Zustand ist das Antecedens, die peccata actualia erst das Consequens. Zu solchen Sünden treibt und zieht uns der Zustand hin, wenn Gottes Geist nicht den Menschen erfüllt und ihn zu himmlischen Dingen erhebt. Als solche, die in diesem Zustande sind, heißen die Menschen Fleisch in der Schrift, gleichwie die in der Finsternis Befindlichen laut Joh 1,5 geradezu „Finsternis“ heißen. So stehen sich nach Joh 1,13 Gott und Fleisch gegenüber; in 1.Mose 6,3 ist ganz dieselbe Gegenüberstellung, wonach die Menschen Fleisch und nicht Geist sind. In der Bezeichnung der menschlichen Natur als Fleisch liegt aber nach der heiligen Schrift der böse Sinn der Untauglichkeit, der Ohnmacht. Der im Fleisch Lebende kann Gott nicht gefallen. Röm 8,7-8. Der Grund liegt im Widerstreit zwischen Geist und Fleisch: Gal 5,17. Das Fleisch steht hiernach dem Geist entgegen und es schwächt die Wirkung des Gesetzes, s. Röm 8,3. Fleisch ist nicht das Ergebnis von allem menschlichen Handeln, sondern die Voraussetzung dazu. Es liegt darin das Menschsein, wie es geworden ist nach Adams Fall und seitdem der Tod über uns herrscht.166 Der ewige Logos also wird, was er zuvor nicht war; er tritt hinüber in eine Existenz, die den Namen des Fleisches trägt; er wird geoffenbart im Fleisch 1.Tim 3,16; oder Jesus Christus geht im Fleisch einher: 1.Joh 4,2; 2.Joh 7. Die letzteren Stellen besagen: Jesus Christus sei gekommen, sodaß er nun im Fleisch ist, also nicht als ein Phantom, nicht als ein solcher, der seine besondere Art, auf Erden zu erscheinen, aus dem Himmel mit sich brächte (Apollinaris, Wiedertäufer), sondern der unter denselbigen Bedingungen wie andere Menschen einhergeht. Er ist nicht ein Mittelwesen zwischen Gott und Mensch, sondern ein wahrhaftiger Mensch, und das ist dem Apostel so wichtig, daß er von solcher Erkenntnis die Kindschaft Gottes abhängig macht. Röm 8,3 heißt es: in Gleichheit eines Fleisches der Sünde, also nicht im Bilde Gottes, wie Adam, hat Gott seinen Sohn gesandt. Jenes Fleisch also, das der Erlöser angenommen, war nach seiner Substanz und seinen Qualitäten gänzlich dem unsrigen ähnlich und kein anderes, als dasjenige Fleisch, was die herkunft aus einem Menschenkind vermitteln kann, nämlich sa,rx a`marti,aj, d.h. ein Fleisch, das der Sünde unterworfen ist (peccato obnoxia)167.
(zu.165 S. das Niederländ. Glaubensbekenntnis Art. 20: Gott hat seinen Sohn gesandt, daß er die Natur annähme, in welcher der Ungehorsam begangen war, um in derselben auszusöhnen und zu tragen die Strafe der Sünde etc. Damit ist zu vergleichen, was eine römische Synode unter Damasus gegen apollinaristische Irrtümer (376 p.Chr.) sagt: Der Sohn Gottes hat selbst menschlichen Leib, Seele und Geist (nou/n) angenommen, d.h. den vollständigen Adam, oder unsren ganzen alten Menschen, ohne die Sünde. Thomasius, Dogmengesch. 1, S. 305.
zu.166. Die Daten zum richtigen Verständnis des oben Gesagten liegen in § 47. Die Sünde ist nicht „de“ oder „ex“ natura hominis, was manichäisch wäre.
zu.167.Athanasius Opp. I, p. 934. Ἐν μορφῇ τοῦ καταδικασθέντος, ἀκαταδικάστῳ καὶ ἀναμαρτήτῳ ὠφθείς womit die Gegensätze krass nebeneinander gestellt sind. In der Gestalt des Verdammten, – er selbst aber von der Verdammung und Sünde an und für sich frei – erschien Christus. Man lese den ganzen §. Damit ist zu vergleichen Gregor von Nazianz, Oratio II. de Filio, die Sendung Christi sei geschehen ἵνα πρὸς ἑαυτὸν ἑνώσας τὸ κατακριθέν ὅλον λύσῃ κακρίματος; d. h. damit er, indem er das Verdammte (das Fleisch) mit sich vereint hatte, das Gesamte vom Verdammungsurteil erlöse.)
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§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 2

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§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 2


Die Frage erhebt sich: wozu das alles? Und die Gegenfrage ist zunächst, wie hätte er sonst kommen sollen? Als Engel, als ein apartes Wesen? Dann wäre er ein Phantom gewesen, für Phantome und nicht für Menschen würde er gekommen sein. Sobald wir dem Messias etwas von der wahren menschlichen Natur abdingen, so haben wir eben ein apartes Wesen, das nun nicht mehr zu uns paßt und auch Gott nicht mehr Bürgschaft und Genugtuung leistet. Denn nicht für eingebildete Wesen, sondern für ganz konkrete, auf Erden wandelnde Sünder sollte der Messias ins Mittel treten; es sollte ein für allemal abgehandelt werden, was zwischen Gott und Menschen in Richtigkeit zu bringen war; es sollte zwischen beiden der Friede gemacht, Genugtuung gebracht, und der geziemende Gehorsam geleistet werden. Sondern wir den Messias von der Gemeinschaft der Menschen aus und stellen ihn auf eine Höhe oberhalb derselben, dann müssen wir noch eines anderen warten, der uns näher stünde, oder wir müssen uns selbst, jeder für sich, ins Mittel legen, um Gott zu befriedigen. Soll wirklich eine Erlösung zustande kommen, dann muß sie nicht über unsern Köpfen geschehen, etwa durch eine Geistererscheinung zustande kommen, oder als eine Theophanie über unsern Köpfen oder als eine Idee (wie bei Plato) hinter unserem Rücken dahinziehen, sondern in unserer Natur muß die Wiederherstellung statthaben, so daß jeder getrost sagen kann: hier haben wir unser Fleisch und Blut, Einen unseres Gleichen, der das wieder in Richtigkeit bringt, was Adam verdorben hat. Wir dagegen stehen fortan so da, als hätten wir nie eine Sünde begangen, noch gehabt, sondern selbst all den Gehorsam vollbracht, den Christus für uns geleistet: Heid. Katechismus 60. Entweder also führt der Bürge, das zweite Haupt der Menschheit, der Weibessame, unsere Sache aus, oder sie ist eben nicht ausgeführt, und wir sind noch in unsern Sünden, noch nicht erlöst. Entweder bringt der Sohn Gottes unter den gleichen Verhältnissen, in denen wir leben, das Heil zustande, indem er alle Gerechtigkeit erfüllt und für alle Sünden leidet, oder aber es hat ein jeder die Sache wieder von vorn anzufangen und die Forderungen Gottes an uns selbständig ins Reine zu bringen. Ist nun aber der Logos Fleisch geworden, ist er Adams Rechtsnachfolger und Erbe geworden, hat er sich herabgelassen, die Natur anzunehmen, in welcher der Ungehorsam begangen war (Conf. Belg. 20; Heid. Kat. 16), hat er sich mit jener Natur befassen wollen, die Gottes Zorn herausfordert; ist er in den Menschenorden eingetreten, als Davids Sohn, Abrahams Sohn und des Weibes Same: dann ist freilich seitdem des Menschen Stellung Gott gegenüber gänzlich verändert. Das Alte ist vergangen – siehe es ist alles neu geworden, gilt fortan vom Menschen, der in Christus ist (2.Kor 5,17).
Nunmehr fordert der Erlöser und Bürge Gott heraus, den Sünder zu begnadigen, nachdem er, obwohl Gottes Sohn, im Fleisch mit allen Folgen dieses Zustandes sich auseinandergesetzt hat. Er, der Fleisch gewordene Logos, ist es, der von der Empfängnis an bis zum Tode am Kreuze den Anforderungen des Gesetzes an alles Fleisch sich gehorsam bezeigt hat; er ist es, der den Fluch Gottes getragen und dem Zorne Gottes sich bloßgestellt hat; er ist es, der durch alle Nachteile dieser unserer Existenz sich hindurchgerungen hat, und gestorben und begraben ist. Er ist es, der durch seinen Gehorsam Gott herausgefordert hat, ihn danach anzuerkennen als seinen lieben Sohn, als den Einzigen, der Gehorsam geleistet, und das dadurch, daß er endlich ihn wieder auferweckt aus den Toten und ihn aufnimmt in die Herrlichkeit. Der ganze status quo des Menschen, der Umstand, daß wir Fleisch sind, ist dadurch, daß der Logos unter uns wohnte, Gott nicht mehr hinderlich und im Wege. Der Sünder ist ein Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens geworden um Christi willen. Es ist keine Notwendigkeit mehr vorhanden, daß Gott den Menschen verdamme, nachdem der Sohn Gottes im Fleische erschienen und alle Gerechtigkeit erfüllt hat. Vielmehr um seines lieben Sohnes willen, der im Fleische seiend nicht nach Fleisch wandelte, sondern Gerechtigkeit getan hat, wird nunmehr Gott uns gnädig sein.
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§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 3

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§ 55. Von der Fleischwerdung des Logos Teil 3

Die Analogien aus dem Alten Testament illustrieren dies näher. Der Logos war in den Patriarchen, so große Sünder sie waren; er wohnte durch den Glauben an das Verheißungswort in den Herzen derjenigen, aus deren Samen er dem Fleische nach hervorgehen wollte (Röm 1,3; vgl. Epheser 3,17).168 In Noah predigte er den Geistern im Gefängnis: 1.Petr 3,19,vgl. 1.Mose 6,3; daß Christus in ihnen lebte, bewirkte, daß sie die Welt überwanden, daß sie durch eine Welt hindurchkamen, in welcher Sünde und Tod regieren. Christus in ihnen – das hat sie siegen lassen über Sünde, Tod und Teufel, im Kampfe wider ihr eigenes Fleisch. Aber freilich, dies alles hat noch keinen absoluten Wert vor Gott. Jene ganze Reihe von Typen Christi endet schliesslich damit, daß eine ganz neue und völlige Vereinigung des Logos mit dem Fleische stattfindet. Hier wird die Einwohnung des Logos im Fleische vollgültig vollzogen. Es wird das Recht, sich mit Fleisch einzulassen, einzuwohnen im Menschen, dem Sünder auf grundlegende Weise erworben, und zwar durch einen zweiten Adam, durch den Gott ein für allemal Genugtuung geschieht und das Recht des Gesetzes zur Anerkennung gelangt. Hier also ist der Tausch vollzogen, daß Gottes Sohn unser wird, und was unser ist, sein Eigentum wird. Was das unsrige ist, das sehen wir in innigster Verbindung mit ihm von der Empfängnis an bis zum Kreuze und weiter bis in die Ewigkeit. Weissagend weist auf dieses engste Verhältnis, das zwischen ihm und uns statt hat, der Name Goel ( = Blutsverwandter und Bluträcher), in den Hiob (19,25) seine Hoffnungen auf Erlösung zusammengefaßt hat. Ihm also, dem Sohne Gottes, hat es gefallen, in keiner Beziehung etwas apartes haben zu wollen, sondern in eben diesem „status quo“ alle Gerechtigkeit zu erfüllen und die ganze Genugtuung dem Vater im Himmel zu leisten: Er, der Sünde nicht gekannt hat, ist Sünde gemacht an unserer Statt (2.Kor 5,21). Er ist den Brüdern in allen Stücken gleich geworden (Hebr 2,17); er ist versucht worden in allen Stükken, wie wir, ohne Sünde (Hebr 4,15).
(zu.168 Vergl. dazu meine Schrift: Von der Incarnation des göttlichen Wortes. S. 100.103.)
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