Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps22

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23. Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern;
ich will dich in der Gemeine rühmen.
24. Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet;
es ehre ihn aller Same Jakobs,
und vor ihm scheue sich aller Same Israels.
25. Denn er hat nicht verachtet, noch verschmähet das Elend
des Armen,
und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen;
und da er zu ihm schrie, hörte er’s.
26. Dich will ich preisen in der großen Gemeine;
ich will meine Gelübde bezahlen vor denen, die ihn fürchten.
27. Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden;
und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen;
euer Herz soll ewiglich leben.
28. Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden,
und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden.
29. Denn des Herrn ist das Reich,
und er herrschet unter den Heiden.
30. Alle Fetten auf Erden werden essen, und anbeten;
vor ihm werden Knie beugen alle, die im Staube liegen,
und die, so kümmerlich leben.
31. Er wird einen Samen haben, der ihm dient;
vom Herrn wird man verkündigen zu Kindeskind.
32. Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit predigen dem
Volk, das geboren wird,
dass er’s getan hat.


Der Wechsel ist stark. Auf den furchtbaren Sturm folgt plötzlich große Stille. Wie die Finsternis ringsum in der Natur weicht, so auch in der Seele des Erlösers, und ein freundliches Lächeln erhellt sein Antlitz, da er die ersten Lichtstrahlen des Sieges und seiner weit reichenden Folgen erblickt. 9 Wir sind unserm Heiland durch das Dunkel gefolgt; so lasst uns ihn auch begleiten, da das Licht wiederkehrt. -- Wir werden gut tun, auch die nun folgenden Verse als einen Teil des Selbstgesprächs des am Kreuze hangenden Erlösers aufzufassen, als den Ausdruck seiner Gedanken in den letzten Augenblicken vor seinem Tode.

23. Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern. Jesu Herzenslust ist seine Gemeinde; darum kehren seine Gedanken, die vordem durch so vieles in Anspruch genommen waren, sofort, da Erleichterung eintritt, in ihre gewohnte Bahn zurück: Er fasst neue Pläne zum Besten der Seinen. Er schämet sich nicht, sie Brüder zu heißen, und spricht: Ich will verkündigen deinen Namen meinen Brüdern und mitten in der Gemeine dir lobsingen. (Hebr. 2,11 f.) Eins der ersten Worte des Auferstandenen war: "Gehe hin zu meinen Brüdern" (Joh. 20,17). In dem vor uns liegenden Verse freut sich Jesus zum voraus auf die Gemeinschaft mit den Seinen. Er nimmt sich vor, ihr Prediger und Lehrmeister zu sein, und richtet seine Gedanken auf den Gegenstand, über den er zu ihnen reden will. Der Name Gottes, d. i. sein Wesen und sein Walten, wird durch das Evangelium Jesu Christi der ganzen heiligen Bruderschaft kundgemacht. Sie nehmen die Fülle der Gottheit wahr, die in ihm leibhaftig wohnt, und freuen sich hoch, alle die unermesslichen Vollkommenheiten des Ewigen in einem Wesen sich offenbaren zu sehen, das da ist Bein von ihrem Bein und Fleisch von ihrem Fleisch. Welch köstliches Predigtthema ist der Name Gottes! Es ist einzigartig des eingebornen Sohnes würdig, dessen Speise und Trank es war, den Willen seines Vaters zu tun. Aus diesem Entschluss unseres Heilands mögen wir die Lehre entnehmen, dass eine der vorzüglichsten Weisen, uns für die erfahrene Errettung dankbar zu erzeigen, die ist, unsern Brüdern kundzumachen, was der Herr an uns getan hat. Unsere Kümmernisse andern zu erzählen, sind wir schnell genug bereit; warum sind wir denn so säumig, wenn es gilt, die uns widerfahrene Hilfe zu rühmen? Inmitten der Gemeinde (Grundt.) will ich dich rühmen . Nicht nur in kleiner häuslicher Zusammenkunft will der Herr seines Vaters Liebe lobpreisend verkündigen, sondern in der großen Gemeinde der Seinen. Das tut er auch jetzt fortwährend durch seine Stellvertreter, die Herolde des Heils, deren Wirken dahin zielt, dass Gott gepriesen werde. In der großen allgemeinen Kirche ist Jesus der eine maßgebende Lehrer; alle andern Prediger sind, sofern sie diesen Namen überhaupt verdienen, nur der Widerhall seiner Stimme. In diesem zweiten Satz legt Jesus den Zweck klar, den er bei dem Verkündigen des göttlichen Namens im Auge hat, nämlich, dass Gott gepriesen werde . Die Gemeinde des Herrn lobpreist Jahwe beständig dafür, dass er sich in Jesu geoffenbart hat, und Jesus selbst hebt den Lobgesang an: Er ist beides, der Vorsänger und der Prediger, in seiner Gemeinde. Das sind genussreiche Stunden, wenn Jesus unsern Herzen die göttliche Wahrheit enthüllt. Da kann es nicht anders sein, als dass Frohlocken und Lobgesang folgen.

24. Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet. Der Leser muss sich hier den Heiland als die Versammlung der Seinen anredend vorstellen. Er fordert die Gläubigen auf, sich mit ihm im dankenden Lobpreis zu vereinigen. Die Beschreibung der Gläubigen als solcher findet sich häufig in der Schrift und ist höchst lehrreich. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang und ein wesentliches Merkmal des Gnadenstandes. "Ich bin ein Hebräer und fürchte Jahwe", war Jonas Glaubensbekenntnis (Jona 1,9). Heilige, demütige Scheu vor dem Ewigen ist so notwendig zur rechten Bereitung auf den Lobpreis Gottes, dass niemand tauglich ist, des Herrn Ehre zu besingen, als wer sein Wort ehrt. Diese Furcht aber ist vereinbar mit der höchsten Freude und darf nicht mit der knechtischen Furcht verwechselt werden, die vielmehr von der völligen Liebe ausgetrieben wird (1.Joh. 4,18). Heilige Ehrfurcht sollte den Sängern allezeit ihre Kirchenstühle ausschließen. Wo Jesus den Gesang anhebt, dürfen nur heilige Lippen es wagen, mit einzustimmen. Es ehre ihn aller Same Jakobs. Alle, die durch die freie Gnade Gottes errettet sind, Juden und Heiden, sollen in dem beseligenden Dienste geschäftig sein, den Gott ihres Heils zu ehren. Und vor ihm scheue sich aller Same Israels. Es gibt eine Scheu des Misstrauens gegen Gott, die uns von Gott ferne wegtreibt; die Gottesfurcht aber, welche hier gemeint ist, ist sowohl die Vorbedingung als auch die Frucht des Glaubens und knüpft uns fest an Gott. Sie findet sich bei allen, die zu dem geistlichen Israel gehören, und wir hoffen, der Tag werde bald anbrechen, wo auch das Israel nach dem Fleisch desselben Sinnes wird. Je mehr wir Gott preisen, desto ehrerbietiger wird unsere Furcht vor ihm sein, und je tiefer unsere Ehrfurcht, desto lieblicher wird unser Gesang sein. So hoch schätzt Jesus das Lobpreisen Gottes, dass wir es hier von seiner sterbenden Hand versiegelt sehen, dass alle Heiligen Jahwe ehren und verherrlichen sollen.

25. Denn er hat nicht verachtet, noch verschmäht (Grundt. stärker: verabscheut) das Elend des Elenden (Grundtext). Wahrlich, hier bietet sich uns reicher Stoff zum Preise Gottes. Die Erfahrungen unseres Bundeshauptes und Stellvertreters sollten uns alle ermuntern, den Gott aller Gnade zu erheben. Nie sind einem Menschen solche Leiden Leibes und der Seele, von Freund und Feind, aus Himmel und Hölle, im Leben und im Sterben widerfahren, wie unserem Erlöser. Er war der Vorderste in der Reihe der Dulder. Aber trotz all des Elends, worin er sich befand, war er dennoch der Geliebte Gottes. Die Liebe sandte ihm das Leiden, und nicht etwa wurde er deshalb damit überhäuft, weil sein Vater ihn verachtet oder verabscheut hätte. Wohl erforderte es die Gerechtigkeit, dass Christus völlig die Bürde trage, welche er als unser Stellvertreter auf seine Schultern genommen hatte; aber Jahwe liebte ihn allezeit und legte ihm aus Liebe diese Last auf, mit dem Blick auf seine schließliche Verherrlichung und auf die Erfüllung seines eigenen teuersten Herzenswunsches. Bei allem Elend war unser Heiland in den Augen des Vaters hochgeehrt, ja das unvergleichliche Kleinod seines Herzens. Und hat sein Antlitz vor ihm nicht verborgen. Das will sagen: Das Verbergen währte nur eine kleine Zeit und wurde bald aufgehoben; es war nicht ewig und endgültig. Und da er zu ihm schrie, hörte er’s. Jesus wurde erhöret von dem Zagen. Er schrie zu Gott in extremis und de profundis (im äußersten Elend, aus tiefer Not), und eilends wurde ihm Antwort. Darum fordert er die Seinen auf, mit ihm vereint das gloria in excelsis (Ehre sei Gott in der Höhe) anzustimmen.
Jedes Gotteskind darf und soll seinen Glauben an diesem Zeugnis aus dem Munde des Mannes der Schmerzen erfrischen. Was Jesus hier als seine Erfahrung bezeugt, ist heute so wahr, wie damals, als es zuerst niedergeschrieben wurde. Nie wird man sagen können, dass Leiden und Elend für irgendjemand ein Hindernis sei, an Jahwes Gnadenthron Erhörung zu finden. Auch der geringste Bittsteller findet ein freundliches Willkommen; keiner, der sich Gottes Thron naht, wird Gott untreu oder ungütig finden.

26. Von dir geht mein Lobpreis aus (Grundt.) in der großen Gemeine . Der echte Lobpreis ist himmlischen Ursprungs. Die wunderbarsten Harmonien der Tonkunst haben im Hause Gottes keinen Wert, wenn sie nicht aufrichtig Gott geweiht sind von Herzen, die der heilige Geist geheiligt hat. Der Pfarrer sagt wohl: "Lasst uns zum Preise Gottes das und das Lied anstimmen", aber der Sängerchor singt nur zu oft zu seinem eigenen Preise. Ach, wann werden unsere Gesänge ein reines Opfer sein! Man beachte in diesem Verse, welches Wohlgefallen der Herr Jesus an den öffentlichen Lobgesängen seines Volkes hat und mit welcher Freude er an die "große Gemeine" denkt. Es würde unsrerseits ein Verbrechen sein, die "zwei oder drei", die sich hier oder da im Namen des Herrn versammeln, zu verachten. Mögen aber auf der andern Seite auch die kleinen Häuflein nicht die größeren Gemeinden scheel ansehen, als wären diese mit Naturnotwendigkeit weniger rein und weniger gottgefällig; denn der Herr Jesus erfreut sich an dem Lobpreis Gottes in der großen Gemeine. Ich will meine Gelübde bezahlen vor denen, die ihn fürchten. Aufs Neue weiht sich Jesus zur Ausführung des göttlichen Vorsatzes in Erfüllung der Gelübde, welche er in der Angst seiner Seele gelobt hatte. Hat der Herr etwa, als er gen Himmel fuhr, unter den Erlösten, die schon in die Herrlichkeit eingegangen waren, den Ruhm Jahwes verkündigt? Ist dies das Gelübde, welches er hier meint? Jedenfalls ist die Verkündigung des Evangeliums die fortwährende Erfüllung der Bundesverpflichtungen, welche unser Bürge in den Ratsversammlungen der Ewigkeit übernommen hat. Der Messias hat es gelobt, dem Herrn einen geistlichen Tempel aufzubauen, und er wird sein Wort halten.

Fußnote
9. Delitzsch meint, die Wahl der Melodie "die Hirschkuh der Morgenröte" sei vielleicht im Blick auf den sich in dem Psalm vollziehenden Durchbruch des Lichts durch die Leidensnacht erfolgt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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27. Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden. Siehe, wie die sterbende Liebe sich an der Frucht ihres Todes erquickt! Den geistlich Armen ist in Jesus ein Fest bereitet; sie nähren sich an ihm, seiner Person und seinem Werk, bis zur vollen Herzenssättigung. Sie waren am Verhungern, ehe er sich für sie dahingab; jetzt aber werden sie mit königlicher Kost bewirtet. Der Gedanke an die Freude der Seinen stärkte den Erlöser bei seinem Verscheiden. Beachten wir aber auch, welcher Art Leute die Frucht seines Leidens genießen: die innerlich Gebeugten, die Demütigen, die geistlich Armen. Herr, mache uns zu solchen! Man beachte ferner, dass das Lebensbrot, das Gott im Evangelium darbietet, nicht umkommen soll: Sie sollen essen und welch gute Wirkung dieses Essen hat: dass sie satt werden. -- Und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen . Eine Weile mögen sie fasten und trauern müssen; aber der Tag soll und wird kommen, wo freudiger Dank ihre Herzen höher schlagen lässt. Euer Herz soll ewiglich leben --: es lebe auf (Grundt. Optativ) in geistlicher, unzerstörbarer Freude und labe sich auf ewig an der Frucht meines Leidens! Keine Trübsal wird hinfort eure Lebensgeister dämpfen, kein Kummer euch töten können, unsterbliche Freude wird euer Teil sein. So spricht Jesus vom Kreuze herab den Betrübten zu, die nach Gott fragen. Wenn seine Sterbensworte so ermutigend sind, welch reichen Trost mögen wir erst in der Wahrheit finden, dass er immerdar lebt, um für uns einzutreten! Die an Jesu Tisch essen, erfahren die Erfüllung der Verheißung: Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit (Joh. 6,58).

28. Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden. Beim Lesen dieses Verses tritt einem in überwältigender Weise entgegen, wir sehr der Messias vom Missionsgeist erfüllt war. Das ist augenscheinlich sein großer Trost im Leiden, dass durch dasselbe die Erkenntnis Jahwes in seinem ganzen Reiche ausgebreitet werden wird. Von dem kleinen Kreise des Jüngerhäufleins aus soll sich der Segen mit immer zunehmender Macht ergießen, bis sich die Bewohner der entferntesten Erdteile ihrer Götzen schämen, indem sie des allein wahren Gottes, den sie vergessen haben (Ps. 9,18), gedenken , für ihre Missetaten Buße tun und sich einmütig mit Gott zu versöhnen suchen. Dann wird aller falsche Gottesdienst ein Ende haben: Und vor dir, heißt es weiter (nach dem Grundt.), dem einen lebendigen und wahren Gott, werden sich niederwerfen und anbeten alle Geschlechter der Heiden . Diese Aussicht war für Jesus der Lohn seiner Schmerzen. Er kann in seiner Glaubenserwartung nicht getauscht werden. Das ist ein mächtiger Ansporn für alle, welche gewürdigt werden, als seine Krieger im Felde zu stehen.
Wir wollen nicht außer Acht lassen, wie hier die Ordnung der Bekehrung angedeutet ist: Sie werden gedenken -- nämlich Gottes, den sie vergessen haben, wie der verlorene Sohn, da er zur Selbstbesinnung kommt, des gütigen Vaters wieder gedenkt (Lk. 15,17), den er schnöde verlassen hatte; sodann werden sie sich wieder zu Jahwe kehren in aufrichtiger Buße, wie Manasse, der die Götzen wegtat (2. Chr. 33,15); und endlich werden sie sich vor Jahwe niederwerfen, ihn anbeten und sich ihm zu heiligem Dienste weihen, wie Paulus sich vor Jesus, den er früher verabscheut hatte, niederwarf und ihm mit Wort und Tat fortan huldigte.

29. Denn des Herrn ist das Reich -- ihm allein gebührt das Zepter. Als unterwürfiger Sohn freute sich der sterbende Erlöser in der Gewissheit, dass durch sein Leiden der Vater geehrt und dessen Königreich ausgebreitet werden würde. Jahwe ist König: Das war sein Freudengesang und ist auch der unsere. Er, der kraft seiner eigenen Machtvollkommenheit in Majestät herrscht im Reich der Schöpfung und der Vorsehung, hat ein Gnadenreich aufgerichtet, und dies Reich wird sich durch die siegreiche Kraft des Kreuzes ausbreiten, bis alle Völker sich zu seinem Zepter bekennen und verkündigen, dass er herrscht (Gebieter ist) über die Heiden, d. h. die Nationen . Bei all dem Getümmel und Gewirr der gegenwärtigen Zeit sitzt der Herr dennoch im Regiment; es kommt aber eine stille Zeit des Friedens, wo die reiche Frucht seiner Herrschaft für aller Augen sichtbar sein wird. Großer Hirte, lass dein herrliches Reich bald anbrechen!

30. Alle Fetten auf Erden werden essen und anbeten : Die Reichen und Großen sind nicht ausgeschlossen. Jetzt findet die Gnade die meisten ihrer Kleinode unter den Armen; aber in den letzten Tagen werden auch die Reichen und Mächtigen der Erde, die sonst nur an dem, was ihren Gaumen kitzelte, Geschmack fanden, an Gottes Tisch essen, ihre bei aller Wohlhäbigkeit des Leibes ausgehungerten Seelen an der erlösenden Gnade und der bis in den Tod getreuen Liebe sättigen und von ganzem Herzen den Gott anbeten, der uns in Christus Jesus so überreiche Gnade zuteil werden lässt. Wir dürfen das hier Gesagte vielleicht auch auf die geistlich Fetten anwenden, die innerlich wohl gedeihen. Die sollen an dem fetten Mark der Gemeinschaft mit dem Herrn sich ergötzen und mit besonderer Inbrunst den Herrn anbeten. In dem Bund der Gnade hat Jesus uns für die guten Tage ein reiches Mahl bereitet und er hat gleich gute Vorsorge getroffen, um uns in der Erniedrigung zu trösten, wie die folgenden Worte zeigen: Vor ihm werden Knie beugen alle, die in den Staub sinken, und wer sein Leben nicht fristete . (Wörtl.) In der Beugung vor Gott finden wir Erleichterung und Trost, wenn unsere Sachen am schlechtesten stehen; sogar inmitten des Grabesstaubs zündet das Gebet die Lampe der Hoffnung an. Aber freilich nur, wer sich huldigend beugt, empfängt das Leben; es gibt keine andere Weise, wie wir uns das Leben fristen und das ewige Leben gewinnen können.

31. Ein Same (Grundt.) wird ihm dienen; vom Herrn (Adonai) wird man verkündigen zu Kindeskind. Die Nachkommenschaft wird die Anbetung des Hocherhabenen beständig fortpflanzen. Das Königreich der Wahrheit wird niemals untergehen. Sowie ein Geschlecht zur Ruhe des Volkes Gottes eingeht, wird ein anderes an seiner Stelle aufstehen. Um die wahre apostolische Sukzession brauchen wir uns keine Sorge zu machen; die ist sicher genug.

32. Sie werden kommen. Die souveräne Gnade wird aus der Menschheit alle die bluterkauften Seelen hervorkommen lassen. Nichts wird den göttlichen Vorsatz durchkreuzen. Die Erwählten werden zum geistlichen Leben, zum Glauben, zur Vergebung, zur himmlischen Herrlichkeit kommen. In dieser Aussicht findet der sterbende Erlöser heilige Befriedigung. Du Diener Gottes, der du dich um die Seelen mühst und dabei zuzeiten denkst, du arbeitetest vergeblich (Jes. 49,4), fasse frohen Mut: Der ewige Ratschluss Gottes kann durch nichts gehemmt oder gar zunichte gemacht werden. Und sie werden seine Gerechtigkeit predigen dem Volke, das geboren wird . Keiner von allen denen, die durch die unwiderstehliche Anziehungskraft des Kreuzes zu Gott geführt werden, wird stumm sein. Sie werden im Stande sein, von der Gerechtigkeit des Herrn zu zeugen, so dass die zukünftigen Geschlechter die Wahrheit kennen werden. Die Väter werden ihre Söhne unterweisen, und diese werden die selige Kunde wieder ihren Kindern überliefern. Und der Refrain (der immer wiederkehrende Schluss) der heiligen Erzählung wird stets sein: dass er’s getan oder ausgeführt, vollbracht hat. Das herrliche Heilswerk ist getan; nunmehr ist Friede auf Erden und Ehre in der Höhe. Es ist vollbracht: dieser letzte Ruf des sterbenden Erlösers au die Welt (Joh. 19, 30) klingt an den letzten Gedanken dieses Kreuzespsalmes an. Möge es uns gegeben werden, durch den lebendigen Glauben unsere Erlösung als in Jesu Tod vollbracht zu schauen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Die Hirschkuh der Morgenröte. Es wird sich nicht leugnen lassen, dass die Hirschkuh ein sehr passendes Emblem (Sinnbild) des leidenden und verfolgten Gerechten ist, der uns in dem Psalm entgegentritt. Dass unter der Hirschkuh die leidende Unschuld zu verstehen ist [wofür Hengstenberg manche Belege aus arabischen Schriftstellern anführt], wird dadurch über allen Zweifel erhoben, dass die Bösen und Verfolger in diesem Psalm, zu dessen eigentümlicher Physiognomie gerade die Tiersymbolik gehört, unter dem Bilde der Hunde, der Löwen, der Stiere, der Büffel erscheinen. Prof. D. E. W. Hengstenberg 1843.

Einer früh gejagten Hirschkuh oder (wörtl.) einer Hirschkuh der Morgenröte wird er (Christus) verglichen, weil die letzte Todesjagd frühmorgens mit ihm vorgenommen wurde, sobald es Tag wurde (Lk. 22, 66). Ja schon an dem frühen Morgen seines Lebens angegangen, da er von Herodes zum Tod gesucht wurde (Mt. 2). J. D. Frisch 1719.

Die Alten, wie z. B. Hieronymus, haben über die Hirschkuh mancherlei merkwürdige Dinge zu sagen gewusst. Nach ihrer seltsamen Naturgeschichte besteht eine tödliche Feindschaft zwischen dem Hirsch und der Schlange. Der Hirsch soll durch seinen warmen Odem die Schlangen aus ihren Löchern locken, um sie zu vertilgen. Gewisse alte Grammatiker leiteten "Hirsch" harmlos von "die Schlangen vertreiben" ab. Sogar das Verbrennen eines Stückes von einem Hirschgeweih vertreibt der Sage nach alle Schlangen. Wenn eine Schlange dem Hirsch entkommt, nachdem er sie durch seinen Hauch aus der Erde hervorgeht hat, sei sie noch viel giftiger als zuvor. Die Schüchternheit des Hirsches wird der absonderlichen Größe seines Herzens zugeschrieben, in dem man einen Knochen voll der Gestalt eines Kreuzes wähnte. Nach J. G. Wood 1869.

Die Worte "Hirschkuh der Morgenröte" werden einfach eine bekannte Melodie angeben; so bedarf es keiner allegorischen Künsteleien. Jean Calvin † 1564.

Zum ganzen Psalm. Dieser Psalm scheint eher Geschichte als Weissagung. M. A. Cassiodorius † um 675.

Eine Prophezeiung von den Leiden Christi und der Berufung der Heiden. Bischof Eusebius von Cäsarea † 340.

Dieser Psalm muss Wort für Wort, ganz und in jeder Hinsicht, allein von Christus ausgelegt werden, ohne Allegorie, Tropologie oder Anagoge. Reinhard Bake (Bakius) † 1657.

Wie dieser Psalm die Leiden des Messias wunderbar klar darstellt, so auch seine drei Ämter. Vom Anfang des Psalms bis zu V. 22 werden die Leiden Christi weitläufig beschrieben; das prophetische Amt Christi von V. 23-26. Was V. 26 von seinen Gelübden gesagt ist, hat Bezug auf sein priesterliches Werk; und im letzten Teil des Psalms wird das königliche Amt Christi enthüllt. D. William Gouge † 1653.

Als Luther diesen Psalm ergründen wollte, schloss er sich bei Salz und Brot drei Tage lang in seinem Zimmer ein. Die Seinen fragen, klopfen, rufen; der Tischler wird geholt und bricht die Tür auf. Zürnend fragt Luther, weshalb man ihn bei so wichtiger Arbeit störe. "Meinet ihr denn, es sei etwas Schlechtes, was ich vorhabe?" Reinhard Bake † 1657.

Hat David den 18. Psalm auf dem Gipfel seiner königlichen Macht und Herrlichkeit gedichtet, so hat er den 22. Psalm wahrscheinlich geschrieben zu jener Zeit, wovon er Ps. 18, V. 5-7 spricht, in einem Augenblick, wo das Leiden aufs Höchste gestiegen war und der Glaube zu erliegen drohte. - Wie hat David aber diesen Psalm beten und niederschreiben können? Dass diese Frage nicht so leicht zu beantworten sei, ergibt sich daraus, dass fast alle Exegeten für diesen Psalm ein anderes Subjekt suchen, orthodoxe sowohl wie heterodoxe. Alle diese Konjekturen beweisen nur, dass man Davids Leiden nicht zu würdigen versteht, weil man die Leiden des Exils oder die Leiden eines Jeremia zu Hilfe nimmt, um den Psalm zu erklären: dass man ebenso wenig den Glauben Davids versteht, weil man nicht begreifen kann, dass er an seine Errettung so große Hoffnungen geknüpft habe, wie sie im dritten Teil ausgesprochen sind, und dass man in David die vor Gott geltende Gerechtigkeit nicht erkennt, indem man zu dem Phantom eines "idealen Gerechten" die Zuflucht nimmt. Laut der Überschrift ist aber der 22. Psalm ein Lied von David und der alttestamentliche Exeget hat die Aufgabe, den ganzen Psalm Vers für Vers so zu erklären, wie er aus Davids Munde hervorgegangen ist. - Was von den Gläubigen des neuen Testaments gilt, dass sie gleich gestaltet sind dem Sohne Gottes (Röm. 8, 29), dass Christus in ihnen lebt und eine Gestalt gewinnt; was Paulus von sich sagt, dass er die Ertötung des Herrn Jesu an seinem Leibe trage, auf dass auch das Leben desselben an ihm offenbar werde (2.Kor. 4, 11), dasselbe gilt von den Gläubigen des alten Testaments. Paulus bedient sich Kol. 1, 24 des eigentümlichen Ausdrucks, dass er auf der andern Seite das vollmache, was noch fehlt an den Trübsalen Christi in seinem Fleisch: Damit gibt er zu verstehen, dass alle Leiden um des Wortes der Gerechtigkeit willen "Leiden Christi" sind, dass die Propheten solche Leiden nach ihrer Seite hin getragen haben, dass sie in ihrem ganzen Wesen und Umfang hervorgetreten sind an Jesus Christus, und dass nun nach Christi Erscheinung dieselben Leiden sich aufs Neue wiederholen. So fremd der modernen Betrachtungsweise der Satz erscheinen mag, dass in David der Geist Christi gewesen und durch ihn geredet hat, so ist doch ohne diese Anerkennung ein Verständnis der Psalmen unmöglich. Ohne diesen Geist hätte David kein Typus von Christus sein können, so wenig wie Mose ohne diesen Geist hätte sagen können: Einen Propheten wie mich usw. Denn es hat kein Mensch an und für sich selbst irgendeine Ähnlichkeit mit Christus, dem Sohne Gottes, wenn nicht der Geist Gottes in ihm wohnt. Die Antwort auf obige Frage ist demnach gegeben durch folgende Schriftstellen: 2. Samuel 23,1.2; 1. Petr. 1,11.12; 2. Petr. 1,20.21; Prof. Joh. Wichelhaus † 1858.

Wie kann ein vom Geiste Gottes beseeltes Buch ohne diesen Geist verstanden werden? Kann doch ohne poetischen oder musikalischen Sinn niemand die Schönheit der Poesie würdigen oder edle Musik wahrhaft verstehen; eben so unmöglich ist es, dass ein psychischer (seelischer, natürlicher) Mensch (1.Kor. 2, 14), der Gottes Geist nicht hat, sein Wort verstehen sollte. Er mag mit den Grundsprachen, der Geschichte und den Altertümern der Bibel wohl vertraut sein, - dies alles bezieht sich nur auf ihren äußeren Leib. Er mag fähig sein, ihre hehre Schönheit zu würdigen, und von dem echt menschlichen Element in ihr, auch im Unterschied zu der griechischen und römischen klassischen Literatur, entzückt werden: ihre so treue, wahre Schilderung der mannigfachen Lebenserfahrungen mag sein Gemüt tief ergreifen, - dies alles geht gleichsam nur ihre Seele an; der Geist der Schrift ist Gottes Geist, der heilige Geist. Deshalb betete der Psalmist, wiewohl er mit der Sprache und den Ordnungen des Pentateuchs wohl vertraut war: Herr, öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz! (Ps. 119, 18 .) Und daraus folgt, dass der "geistliche Mensch gerade das Wesentliche der Schrift wohl verstehen kann, auch wenn ihm in anderer Hinsicht, in Bezug auf das Verständnis dessen, was wir das Leibliche und das Seelische der heiligen Schrift nennen können, vieles mangelt, und ferner, dass alles bloß kritische (das Äußere erforschende), sprachliche, historische, ästhetische und menschliche Verständnis der Schrift - so wertvolle Dienste es dem geistlichen Verständnis derselben leisten kann - außer Stande ist, den wahren Gehalt des Wortes zu erfassen.
Ein unstudierter, einfältiger Christ wendet z. B. den 22. Psalm ohne weiteres auf Christus an und beachtet vielleicht kaum seine nächste Beziehung zu David. Er meint wahrscheinlich, David habe ohne irgendwelche vermittelnde Umstände und ohne Einschränkung einfach im Geiste die Leiden Christi gesehen. Eine solche Anschauung ist unvollkommen, aber sie ist nicht falsch; sieht sie die Sache doch gerade von dem Hauptgesichtspunkt aus an. Sie ist die vornehmste und wahre Anschauung, auf die Gottes Plan und Wille schließlich abzielt, wohingegen eine rein historische Erklärung dieses Psalms (wie treffend immer die psychologische Analyse ausfallen möge), die nicht den leidenden und triumphierenden Christus darin sieht, oberflächlich ist und ein falsches Bild gibt. Ohne Zweifel hat schon mancher unstudierte, aber vom Geist gelehrte Mann eine richtigere Exegese gegeben, als wohl unterrichtete, aber unerleuchtete Gelehrte. Doch müssen wir da ein Wort beifügen. Es gibt eine Gefahr der die Wahrheit vergewaltigenden Herrschsucht und des Eigendünkels bei Ungelehrten ebenso wie bei Gelehrten. Jemand kann ohne gelehrtes Wissen und zugleich ohne geistliche Einsicht und ohne Demut sein. Die Männer, die am demütigsten und am meisten geistlich gesinnt sind, werden höchst wahrscheinlich zugleich fleißige und gewissenhafte Forscher sein und sich mit Dankbarkeit alles dessen bedienen, was über die Schrift nach ihren verschiedenen Seiten Licht verbreiten kann. Und diejenigen, welche das tiefste Interesse für das wahre Wohlergehen der Gemeinde des Herrn haben, begehren in erster Linie eine wahrhaft geistliche, dann aber auch gleich in zweiter Linie eine gründlich unterrichtete und geistig regsame Predigerschaft. D. Adolph Saphir † 1891.

Es gibt eine Überlieferung, dass unser Herr am Kreuz diesen Psalm sowie die nächstfolgenden durchgebetet habe und dass er seinen Geist aufgegeben habe, als er bis zum sechsten Vers des 31. Psalms gekommen war. Wie dem immer gewesen sein mag, das ist klar, dass Christus, indem er die ersten Worte dieses 22. Psalms in seinen Mund nahm, den Psalm als auf ihn sich beziehend gestempelt hat. Ludolph der Kartäuser, um 350.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 2. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wir stellen dem Joh. 16, 32 gegenüber: "Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir", und Joh. 8, 29 : "Der mich gesandt hat, ist mit mir. Der Vater lässt mich nicht allein. Beides, die Worte hier wie die dort in Johannes, sind Worte Christi; und doch, wie scheinen sie sich zu widersprechen! William Streat 1654.

Dies Wort kann kein Mensch gründlich ausdenken und auslegen, sagt der selige Arnd, weil dergleichen Angst und Seelennot nie kein Mensch erfahren hat. J. D. Frisch 719.

Dass ein sonderlicher Verstand oder Meinung in diesen Worten ist, ist ein gewisses Zeichen, dass die Evangelisten mit Fleiß den Anfang dieses Verses anziehen, wie er in hebräischer Sprache steht, eine sonderliche Kraft dieser Worte anzuzeigen. Darüber kann ich mich nicht erinnern, dass ich irgend an einem andern Orte der Schrift gefunden hätte, dass dies Wort Eli, Eli, mein Gott, mein Gott, zweimal nacheinander wiederholt wäre. Martin Luther 1519.

Die Evangelien geben uns nur hie und da einen Wink, dass Jesus in der (palästinensisch-aramäischen) Volksmundart redete. Wir haben etliche Stellen, wo die Macht des aramäischen Wortes so unabweislich sich geltend machte, dass der in griechischer Sprache schreibende Verfasser nicht anders kann, als das wirklich gesprochene Wort wiederzugeben. So Talita kumi, Ephphata u. Das letzte Wort, dessen Markus am Kreuz gedenkt, ist: Eloi, Eloi, lima sabachtani (15,34). Es ist, um einen Stein erweichen zu machen, schon bloß diese Worte zu hören. Malerischeres, Majestätischeres ist nie über die Erde hingerufen worden. Auch Matthäus 27,46 gibt den verbis ipsis (den ureignen Worten) von Jesus Ausdruck. Von diesem (Gebrüll des Löwen aus Juda erzittert die Welt, - und keine andere Sprache kann solches in sich fassen, als eben die auf solche erschütternden Wirkungen allein angelegte hebräische Sprache. Eine Sprache, in der so viel gerungen und die so vielen Leidenden sich anpasst, ist allein weit genug, um die Größe der Schmerzen Jesu in sich aufzunehmen. Prof. D. Eduard Böhl 1873.

Warum. Der Dichter fragt nicht nach dem Grund oder Zweck seines Leidens, sondern drückt die Unbegreiflichkeit desselben aus. Obwohl er Gott festhält, ihn "mein Gott" anredend, und ihn nicht entbehren kann, hat doch Gott ihn zeitweilig verlassen, d. i. der Macht der Leiden preisgegeben, - nicht scheinbar, sondern wirklich, alle Erweisungen seiner hilfreichen Gemeinschaft einstellend und dadurch die Not und die Anfechtung aufs äußerste Steigernd. Lic. Hans Keßler 899.

Dies Warum ist nicht das der Ungeduld oder der Verzweiflung, nicht das sündige Fragen eines Menschen, der sich gegen seine Züchtigung auflehnt, sondern gleicht eher dem Schrei eines verlorenen Kindes, das nicht begreifen kann, warum der Vater es allein gelassen hat, und das sehnlich seines Vaters Angesicht wieder zu sehen begehrt. J. J. Stewart Perowne 1864.

Während die Heftigkeit seines Schmerzes und die Schwachheit des Fleisches dem David die Klage auspressten: "Ich bin von Gott verlassen" - gab der Glaube ihm ein, damit er dem Druck nicht unterliege, den Gott, von dem er sich verlassen fühlte, getrost als seinen Gott anzurufen. Ja wir sehen, dass er dem Glauben den Vorzug gibt; denn bevor er seiner Klage freien Lauf lässt, bricht er ihr schon die Spitze ab, indem er sich trotzdem zu seinem Gott flüchtet. Hätte er nur gesagt: "Warum hast du mich verlassen, Gott?" - so konnte es den Anschein haben, als mache er dem Herrn Vorwürfe und murre wider ihn. Ja dann wäre zu fürchten gewesen, dass die unmäßige Bitterkeit seines Schmerzes sein Herz vergifte. Nun legt er sich aber durch den Glauben einen Zügel an und nimmt sich zusammen, damit er das rechte Maß nicht überschreite. Es ist keine überflüssige Wiederholung, wenn er Gott zweimal seinen Gott nennt und auch zum dritten Male (V. 3) diese Anrede wiederholt. Der Glaube gewinnt nicht gleich beim ersten Ansturm den Sieg, sondern er geht erst nach langem, hartem Ringen als Sieger aus diesem Kampfe hervor. Jean Calvin † 1564.

Dies Wort "mein Gott" hat mehr in sich, als alle Weisen in aller Welt daraus herausbringen können. Alexander Wedderburn 1701 .

Wenn Christus hier klagt, dass er von Gott verlassen sei, so haben wir das nicht so zu verstehen, als ob er wirklich von der ersten Person der Dreieinigkeit verlassen oder die hypostatische (Wesens-) Gemeinschaft zwischen der ersten und zweiten Person aufgehoben gewesen wäre oder Christus die Huld und Freundschaft des Vaters verloren hätte; sondern er zeigt uns damit, dass Gott es zugelassen habe, dass seine menschliche Natur jene schrecklichen Qualen durchmachte und einen schimpflichen Tod erlitt, wovon er ihn, wenn es ihm beliebt hätte, so leicht hätte erlösen können. Auch gingen diese Klagen nicht aus Ungeduld hervor, noch haben wir anzunehmen, dass Christus etwa Grund und Zweck seiner Leiden nicht gewusst hätte oder nicht voll Herzen willig gewesen wäre, solch Verlassensein in seinem Leiden zu tragen. Mit diesen Klagen will der Erlöser vielmehr nur die Bitterkeit seiner Leiden bezeugen. Und während der Herr im ganzen Verlauf seines Sühnleidens alles mit solcher Geduld ertrug, dass ihm nicht ein einziger Laut des Murrens oder Seufzens entfuhr, erklärt er nun, da sich seine letzten Augenblicke nahen, damit nicht etwa die Umstehenden denken, er sei durch eine höhere Macht gegen das Leiden unempfindlich gemacht, durch den Klageruf feierlich, dass er wahrer Mensch sei und als solcher wirklich leidensfähig, von seinem Vater verlassen in seinem Leiden, dessen Bitterkeit und Heftigkeit er aufs Stärkste empfand. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.

Hat Gott wirklich Jesus am Kreuze verlassen? Dann entspringt aus dieser Verlassenheit Christi dem Volke Gottes einzigartiger und mannigfaltiger Trost, vornehmlich in zwei Beziehungen. 1) Weil Christus eine Zeitlang vom Vater verlassen war, werden wir nicht auf ewig verstoßen werden: denn um unsertwillen wurde er verlassen. 2) Christus’ zeitweilige Gottverlassenheit und sein Verhalten während derselben ist ein trostreiches Vorbild für betrübte Seelen, die sich auch von Gott verlassen fühlen. Mögen solche dies Vorbild gläubig anschauen. Wiewohl Gott den Herrn Christus verließ, stützte er ihn dennoch zur selben Zeit mächtig. Gottes freundlichen Blick musste er entbehren, nicht aber seine tragende Kraft. So wird es auch bei dir sein, lieber Christ. Dein Gott mag sein Angesicht von dir wenden, seinen Arm wird er dir nicht entziehen. Als jemand einen Knecht Gottes (Baines) fragte, wie es ihm innerlich gehe, antwortete er: "Dass Gott mich hält, erfahre ich, wiewohl ich alle lieblichen Gefühle entbehre." Unser himmlischer Vater verfährt darin mit uns, gerade wie wir manchmal mit einem Kinde, das eigensinnig und widerspenstig ist. Wir setzen es vor die Tür und befehlen ihm, uns aus den Augen zu gehen, und wiewohl es da draußen nun schluchzt und weint, rufen wir es doch nicht gleich wieder herein, bezeigen ihm nicht alsbald wieder Freundlichkeit, sondern lassen es zu seiner Demütigung eine Weile draußen. Trotzdem ordnen wir an oder lassen wir wenigstens zu, dass die Dienstboten es mit Speise und Trank versorgen. Da ist väterlich fürsorgliche Liebe, wiewohl kein freundlicher Blick wie früher. - Wiewohl Gott Christus verließ, vermochte dieser doch zur selben Zeit Gottes Tun als gerecht zu bezeugen (V. 4). Bist du nach deinem Maße in ähnlicher innerer Verfassung, wie Christus es in dieser Lage war? Kannst du nicht, auch wenn Gott dich tief verwundet, bekennen, dass er trotz alledem ein heiliger, treuer und guter Gott ist? Ich bin verlassen, aber ich bin nicht ungerecht behandelt. Nicht ein Tropfen von Ungerechtigkeit ist in dem ganzen Meer meiner Schmerzen. Wiewohl er mich verurteilt hat, muss und will ich ihm Recht geben. Siehe, wenn du so sprichst, - das ist auch Christus ähnlich. Joh. Flavel † 1691.

Durch den Glauben war es Christus möglich zu wissen, dass er von Gott geliebt war, und er wusste es, obwohl er den Sinnen und Gefühlen nach Gottes Zorn kostete. Glaube und Mangel an Empfindung der Nähe und Liebe Gottes sind miteinander nicht unvereinbar. Es mag jemand in gewissen Augenblicken und Zeiten nichts von Gottes Liebe fühlen, ja er mag Gottes Zorn empfinden, und doch kann zur selben Zeit Glaube vorhanden sein. John Row 1680.

Verlassenheit ist an sich nicht unbedingt ein Zeichen besonderer Sünde; denn Christus selbst erfuhr ihre ganze Bitterkeit. Eine gänzliche, ewige Verlassenheit ist die unsere nicht; eine zeitweilige haben die Besten dann und wann durchgemacht. Der Gerechte wird seines Glaubens leben, nicht seiner Gefühle. Richard Capel † 1656.

O wie müssen unsere Herzen vor Liebe schmelzen, wenn wir dessen gedenken, in welchen Seelennöten Christus für uns war! Gott hob die Wirkungen seiner Gnade in jener Stunde so auf, dass Jesus nichts von ihrer Kraft verspürte. Er empfing keinerlei Trost von seinem himmlischen Vater, keinen von seinen Engeln, keinen von seinen Freunden, und das in jener Stunde der größten Betrübnis, da er des Trostes so hoch bedürftig war. Timothy Rogers 1729.

Herr, du weißt, was es für ein Menschenherz bedeutet, verlassen zu sein: Du hast es selbst einst durchgemacht, als du klagen musstest: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ! Wohl hattest du in der Tat göttlichen Beistand, aber wie es scheint, nicht jene innere Freude, die dich sonst erfüllte. Jetzt, da du in der Herrlichkeit bist, hab’ Erbarmen mit einem elenden Wurm, der nach dir mehr verlangt, als nach irgendetwas anderem. Herr, du hast schwer gebüßt zu meinem Besten; lass mir reichen Segen daraus zufließen! Joseph Symonds 1658.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 3. Der königliche Prophet sagt: Mein Gott, des Tages rufe ich. Manchen würde es als eine große Torheit erscheinen, zu jemand zu rufen und zu schreien, der sich die Ohren zuhält und nicht zu hören scheint. Dennoch ist diese Torheit des Glaubens weiser als alle die Weisheit der Welt. Denn wir wissen gut genug, dass der Herr, mag er zuerst noch so sehr nicht zu hören scheinen, eine sichere Zuflucht ist in der Not. Thomas Playfere 1604.

Wie kindlich ist dieser Ruf! Nur kindliche Herzen können ihn zu dem ihren machen. Das Kind weiß, dass des Vaters Herz sich sein erbarmen muss. Gerade das Vertrauen auf die Liebe des Vaters macht sein Bitten ungestüm. Es schweigt nicht , es lässt dem Vater keine Ruhe, weil es unbedingtes Vertrauen hat zu seiner Macht und seiner Willigkeit, die begehrte Hilfe zu gewähren. Das ist natürlich. Es ist die Schlussfolgerung des Herzens, die Berufung auf die innersten Naturempfindungen. Es ist auch schriftgemäß, nach den Worten des Heilands Lk. 11, 13 : So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten! John Stevenson 1842.

V. 3-4. Was hört Gott nun aus seinem Munde, jeztz, da Gott nichts von sich hören lässt, trotz allem Flehen um Erlösung? Kein Ton des Murrens über Gottes seltsames Verhalten entfährt ihm: Nein, Gott vernimmt ganz das Gegenteil, der edle Dulder rechtfertigt und rühmt den Herrn: Aber Du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels! William Gurnall † 1679.

Hier sehen wir den Triumph des Glaubens . Der Heiland stand in dem wild bewegten Meer der Anfechtung fest wie ein Fels. Mochten sich die Wogen auch türmen, sein Glaube wuchs dennoch, gleich einem Korallenriff inmitten der Brandung, und wurde immer größer und stärker, bis er zu einer Rettungsinsel wurde für unsere schiffbrüchigen Seelen. Es ist, als sagte er: Es macht nichts, was ich auch leide: Mögen Stürme mich umtosen, die Menschen mich verschmähen, der Teufel mich versuchen, die Umstände mich überwältigen, ja Gott selbst mich verlassen: Gott ist und bleibt dennoch der Heilige, und ist kein Unrecht an ihm. John Stevenson 842.

Wer die Wasserleitung im Hause hat, denkt, wenn das Wasser einmal ausbleibt, nicht, dass die Quelle versiegt sei, sondern dass die Röhren irgendwo verstopft oder zerbrochen sein müssen. Wenn unser Beten erfolglos ist, können wir sicher sein, dass der Fehler nicht bei Gott, sondern bei uns liegt. Wären wir innerlich reif für die Gnade, um die wir bitten, so würde er ohne allen Zweifel sie uns zu gewähren bereit sein; wartet er doch darauf, dass er uns gnädig sei. John Trapp † 1669.

V. 4. Erscheint es nicht seltsam, dass das Herz mitten in Dunkelheit und tiefer Bekümmernis in der Heiligkeit Gottes Trost finden sollte? Nein, denn Gottes Heiligkeit ist nur gleichsam eine andere Ansicht seiner Treue und Gnade. Und der bemerkenswerte Name "der Heilige Israels", der Gott so oft in der Schrift beigelegt wird, lehrt uns, dass er, der der Heilige ist, auch der Gott ist, der mit seinen Erwählten einen Bund geschlossen hat. Es wäre einem rechten Israeliten unmöglich gewesen, an Jahwes Heiligkeit zu denken, ohne sich auch dieser Bundesgemeinschaft mit Jahwe zu erinnern. "Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig, Jahwe, euer Gott", das waren die Worte, durch die die Kinder Israel an ihr Verhältnis zu Gott erinnert wurden, vergl. besonders 3. Mose 19, 2 Wir merken etwas von dieser Empfindung in solchen Stellen wie Ps. 89,16-19; 99,5-9; Hos. 11,8 f.; Jes. 41,14; 47,4; J. J. Stewart Perowne 1864.

Mögen die Versuchungen noch o fürchterlich sein, so wird der Glaube dennoch nie einem bösen Wort wider Gott Gehör schenken, sondern Gott allezeit rechtfertigen. David Dickson † 1662.

Die kühne Metapher "der auf den Lobliedern Israels thront" knüpft an die ständige Benennung Jahves als des auf den Cherubim Thronenden an, 80,2; 99,1 . Die Loblieder Israels auf seinen hilfreichen Gott sind der Thron, von welchem Jahve getragen wird. Eine richtige Sinnerklärung gibt die Nachbildung in 71,6: Von dir ertönt mein Loblied stets. Dem Flug des hochpoetischen Ausdrucks konnten allerdings schon die LXX nicht folgen. Prof. D. F. Bäthgen 1904.

V. 6. Zu dir schrieen sie und wurden errettet: in der Wüsten- und Richterzeit, für die das Schreien und Erhörtwerden charakteristisch war, vergl. Ps. 78. Lic. Hans Keßler 899.

V. 7. Ich aber bin ein Wurm - so unter die Füße getreten, ja zerstampft, misshandelt und gemartert, verspottet und verspien, dass ich mehr einem Wurm als einem Menschen gleiche. O Christ, nimm es zu Herzen, welch schmähliche Behandlung der Herr der Herrlichkeit erduldet hat, auf dass aus seiner Pein unser Heil, aus seiner Schmach unsere Herrlichkeit, aus seinem Strafleiden unsere ewige Wonne erwachse! Ohne Unterlass präge dieses Schauspiel deiner Seele ein. Dionysius der Kartäuser 1471.

Wenn unter den Hindus jemand über sich wehklagen und seinem Abscheu vor sich selber Ausdruck geben will, sagt er: "Was bin ich? Ein Wurm, ein Wurm! Ähnliche Redensarten sind: "Ha, der Stolze! Er verachtet mich wie einen Wurm: Ich möchte wohl zu ihm sagen: Wir alle sind Würmer." "Wurm, kriech aus meinem Gegenwart! Joseph Roberts, Bilder aus dem Morgenland 1835.

V. 8. Alle, die mich sehen, spotten mein . Stelle dir die schreckliche Szene vor Augen. Siehst du diesen buntscheckigen Haufen von Vornehmen und Geringen, von Juden und Heiden? Die einen stehen in Gruppen um das Kreuz und gaffen; andere sitzen gemächlich da und betrachten ebenfalls höhnisch den Gekreuzigten; wieder andere gehen hin und her: die Freude über das Geschehene lässt ihnen keine Ruhe. Ein Zug der Befriedigung ist auf jedem Antlitz zu lesen. Keiner schweigt; ja das schnellste Sprechen erscheint noch zu langsam. Des Redestoffs ist viel zu viel, als dass ein Glied ihn bewältigen könnte: Jede Lippe, jeder Kopf, jeder Finger ist jetzt eine Zunge. O ihr grausamen Römer, und ihr Juden, die ihr euern König mordet: Ist euch sein Tod nicht genug? Müsst ihr auch noch Spott und Hohn hinzufügen? An diesem Tage seid ihr eins geworden! Schreckliche Einheit, die euch als die vereinten Mörder des Herrn der Herrlichkeit brandmarkt! John Stevenson 1842.

Es hat in unsern Tagen Menschen gegeben, deren Verbrechen solche Entrüstung erregten, dass der Pöbel sie in Stücke zerrissen hätte, wenn er sie in seine Gewalt bekommen hätte. Doch wenn diese nämlichen gemeinschädlichen Verbrecher dem Urteilsspruch gemäß hingerichtet wurden, so fand sich, wenn auch nicht einer der Zuschauer gewünscht hätte, dass sie der gerechten Vergeltung entrinnen würden, doch auch keiner, der so alles Gefühl verloren gehabt hätte, dass er sie in ihren letzten Augenblicken noch verhöhnt hätte. Aber da Jesus leidet, spotten sein alle, die ihn sehen, verziehen die Lippe, nicken mit dem Kopf, lästern ihn, den Heiligen, als Übeltäter und verhöhnen sein Gottvertrauen! John Newton † 1807.

Verziehen die Lippe. Das Vorstrecken der Unterlippe gilt im Morgenlande als ein starkes Zeichen der Verachtung. In der Regel gebrauchen nur einfache Leute diese Gebärde. C. H. Spurgeon 1869.

V. 8-9. Wiewohl alle Qualen, die der Herr erduldete, sehr groß waren, so dass jede derselben die größte zu sein scheint und ein Vergleich zwischen ihnen nicht wohl angestellt werden kann, so scheint es doch vielen, und mit Recht, als sei diese Art des Leidens, nämlich die Marter, den Hohn und Spott zu sehen und zu hören, den man mit seiner Person und seiner Lehre trieb, die allerschmerzlichste gewesen; denn im Allgemeinen werden die Dinge als am schwersten zu tragen angesehen, für die wir das feinste Gefühl haben. Diese Leiden aber mussten das Zartgefühl des Herrn am tiefsten verwunden. Andere Leiden mögen wir begehren, um darin unsere Liebe zu beweisen; denn sie sind oft ein Mittel, Gottes Ehre zu vermehren, und diese geht dem Gläubigen über alles. Aber Gott gelästert, die ewige Wahrheit in Lüge verkehrt und die höchsten Erweisungen der Göttlichkeit und Majestät des Sohnes Gottes entstellt und geschändet zu sehen, das sind ihrer Natur nach Dinge, die, wenn sie auch etwa ertragen werden müssen, doch eben, weil sie die Ehre Gottes so stark angreifen, nie von jemandem zu leiden begehrt werden können, sondern von allen verabscheut werden müssen. Unser Erlöser, der von Eifer für Gottes Ehre beseelt war wie sollst keiner, fand demnach in dieser Art Leiden, mehr als in allen andern, viel zu verabscheuen und nichts zu begehren. Darum mag dieses Leiden für das größte von allen gehalten werden und für das, worin er die allergrößte Geduld erwiesen hat. Fra Thomé de Jesu † 1582.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 8-19. Von jeher hat die christliche Kirche in dem Psalm die Stimme ihres leidenden Herrn und Heilands gehört. Sie hatte gegründete Veranlassung dazu, weil der Dulder ohnegleichen seinen Schmerz am Kreuz in das Anfangswort des Psalms ausgeschüttet hat und weil außerdem die Einzelheiten der Leidensgeschichte mit den Schilderungen V. 8-19 so frappierend übereinstimmen, dass David Strauß in den letzteren das im Voraus fertige "Programm der Kreuzigung Christi" hat sehen können. Mag für die nachgeborenen Generationen in der Kirche der Zusammenhang der weissagenden "Schrift" mit den Einzeltatsachen der Erfüllungsgeschichte selbst in scheinbar geringfügigen Äußerlichkeiten ihres Vollzugs nicht so wichtig sein wie die großartige Harmonie im Gesamtverlauf der Heilsgeschichte, - die Anfangsjahrhunderte der Kirche, welche den letzteren zu übersehen weniger als wir im Stande waren, haben mit gutem Recht ihr Glaubensleben mehr an dem ersteren genährt und gestärkt. Das Neue Testament aber, das der Gemeinde Gottes auf allen Stufen ihres Lebens- und Entwicklungsganges zur Leuchte gegeben ist, enthält eben darum zahlreiche Hinweise auf beides, unterlässt also auch nicht, die Beziehungen des 22. Psalms zu Jesus’ Erlösungswerk aufzudecken: Mt. 27, 35 ff.: Mk. 15, 34; Joh. 19, 24; Hebr. 2, 11 ff. Lic. Hans Keßler 1899.

V. 9. Da sind ja genau die Worte angeführt, womit die Widersacher des Herrn ihrem Spott und ihrer Verachtung gegen ihn Ausdruck gaben (Mt. 27, 43). Wie merkwürdig, die selben Worte in einem viele Jahrhunderte zuvor geschriebenen Psalm zu finden! John Stevenson 1842.

V. 10. Ja, Du bist ’s, der mich hervorzog aus dem Schoße usw. Was die Feinde (V. 9) höhnend rieten, nimmt die Glaubenserfahrung des Dichters ernsthaft an und auf. V. 10 begründet letzteres; so gewinnt ykIi affirmative Bedeutung: Ja. Lic. Hans Keßler 1899.

V. 10-11. In den Worten "Auf dich wurde ich geworfen gleich vom Mutterschoß" finden manche Ausleger (Keßler, Bäthgen) eine Anspielung auf den Brauch, ein neugeborenes Kind auf die Knie des Vaters zu legen, der es dadurch anerkannte, Hiob 3, 12; 1. Mose 50, 23: also so viel als: "Auf deine Vatersorge und -liebe bin ich angewiesen". J. M

Zweimal nennt er seine Mutter. Überhaupt ist im Alten Testament nie von einem menschlichen Vater, d. i. Erzeuger, des Messias, immer nur von seiner Mutter oder Gebärerin die Rede. Und die Worte des hier Betenden, dass er vom Mutterschoße an mit all seinem Bedürfnissen und Anliegen einzig und allein auf Jahve gewiesen gewesen sei, besagen, dass sein Lebensanfang, auf die äußeren Umstände gesehen, ein armseliger war, was gleichfalls mit dem alt- wie neutestamentlichen Christusbilde übereinstimmt. Prof. D. Franz Delitzsch † 1890.

Fortgesetzte Erweise der göttlichen Huld stärken den Glauben mächtig. Damit hielt auch Er sein Vertrauen aufrecht, der zu Gott sprach: Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen usw. Man vergleiche Ps. 71,5 f.: "Du bist meine Zuversicht, Herr, Herr, meine Hoffnung von meiner Jugend an. Auf dich hab ich mich verlassen von Mutterleibe an: Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen . Mein Ruhm ist immer von dir." Und was Obadja bewog, so zuversichtlich zu Elia zu sagen: "Ich fürchte den Herrn von meiner Jugend auf", 1.Kön. 18, 12), war nicht nur seine Gesinnung gegen Gott, sondern auch die Gewähr für Gottes Gunst gegen ihn, die darin für ihn lag. Wo altbewährte Freundschaft und Huld beharrlich fortdauert, kommt es zu mannigfaltigen Erweisen starker und standhafter, ja unauslöschlicher Liebe, so dass, auch wenn uns infolge voll Versuchungen der eine oder andere Beweis fraglich werden sollte, noch andere bleiben und den Glauben aufrecht halten. Es ist, als wenn ein Haus von vielen Säulen getragen wird: Werden auch etliche weggenommen, so bleibt es doch mit Hilfe der übrigen stehen. D. William Gouge † 1653.

Dankbar erkennt David Gnadenerweisungen an, die ihm vor langer Zeit erwiesen worden. Sie waren noch frisch in seinem Gedächtnis. Das ist ja gerade die Eigentümlichkeit und die Neigung eines dankbaren Herzens, solcher Wohltaten zu gedenken, welche anderen ganz aus dem Gedächtnis entschwinden oder für die sie überhaupt kein Auge haben. Die Wohltaten, welche Gott ihm in seinem ersten Lebensanfang, dann in seiner Kindheit und seinen jungen Jahren erwiesen hatte, und von denen man denken könnte, dass sie ihm jetzt, in seinem reifen Alter, ganz aus dem Sinn wären, die frischt er hier wieder in seiner Erinnerung auf. "Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen": Wie lange mochte das her sein? Vielleicht waren, als David den Psalm schrieb, schon sechzig Jahre seither vergangen. Er gedenkt der Gnadenerweisungen, die Gott ihm gewährt hatte, als er noch gar nicht zu denken oder die ihm erwiesene Güte zu erkennen fähig gewesen war. Das lehrt uns, in Nachahmung dieses heiligen Beispiels, die Wohltaten, die Gott uns, da wir noch unmündig waren, erzeigt hat, in den reiferen Jahren uns ins Gedächtnis zu rufen und dankbar anzuerkennen. D. Thomas Horton † 1673.

Hier beginnt nun die Anfechtung nachzulassen und gelinder zu werden und die Hoffnung sich auf den Sieg zu wenden, doch also, dass er einen sehr geringen und mit großer Mühe ersuchten Behelf und Aufenthalt gefunden hat. Denn weil er fühlte, dass sein Leiden ganz anders beschaffen war als aller Väter Leiden, so vor ihm gewesen, und er gar kein Exempel gleichen Leidens vor sich hatte, also, dass ihm dazumal nichts halfen die wunderlichen Taten Gottes, die er denen Vätern erzeigt hatte, kommt er auf sein eigen Tun, was ihm Gott sonderlich etwan hat getan, darinnen spürt er Gottes Gnade und Güte: Auf dass auch der sonderlich errettet würde, der da etwas Sonderliches gewesen wäre vor dem ganzen Israel unter allen andern auch sonderlich gelitten hätte. Darum findet er zuletzt, da er alles durchsichtet hat, Gottes wunderbare Taten an ihm selbst, mit denen er sich stärkt und einen Mut fasst, mit einem großen Vertrauen zu bitten und zu flehen, wie folgen wird. So scharf und genau lernt die Angst und Not zu suchen, auch die allerkleinsten Risse und Spältchen. Martin Luther 1519.

Alle die heftigen Schmähungen, womit die Feinde über unsern Herrn Jesus herfielen, hatten keine andere Wirkung als die, dass sie ihn bewogen, sich unmittelbar an seinen Vater zu wenden. Diese Berufung auf den Vater in den vorliegenden beiden Versen ist merkwürdig. Der Beweis, auf dem sie ruht, ist stark und folgerichtig. Er ist zugleich der vernunftgemäßere und der passendste, der nur geltend gemacht werden kann. Wir können ihn so umschreiben : Es ist jetzt mit mir als Menschen aufs Äußerste gekommen. Man sagt, Gott verleugne mich : Aber das kann nicht sein. Über dem ersten Augenblick meines Daseins waltete er mit zarter Fürsorge. Als ich ihn noch nicht einmal um Erweise seiner Güte bitten, noch gar nicht an solche denken konnte, überschüttete er mich schon damit. Hat er mich rein aus seinem Wohlgefallen ins Leben gerufen, so wird er mich sicher nicht im Stich lassen, da ich nun aus diesem Leben scheide. An ihren Schmähungen zum Trotz darf und will ich mich daher an ihn wenden. O Gott, meine Feinde erklären, du habest mich von dir gestoßen: Aber Du bist es, der mich aus meiner Mutter Leibe gezogen hat. Sie versichern, ich traute nicht auf dich und dürfe es auch nicht: aber Du bist es, der mich auf dich vertrauen ließ, da ich noch an meiner Mutter Brüsten war. Sie wollen mir eingeben, du erkenntest mich nicht als deinen Sohn an: Aber auf dich bin ich geworfen gleich vom Mutterschoß: Du bist mein Gott von meiner Mutter Leibe an. John Stevenson 1842.

Bei dem Kirchenvater Euseb von Cäsarea († 340) findet sich eine schöne Stelle, worin er zeigt, welch inniger Zusammenhang zwischen der Menschwerdung und dem Leiden des Herrn bestand und mit welch gutem Grunde der Heiland, als er am Kreuze hing, aus dem Gedanken Trost schöpfte, dass der Leib, dessen Gestalt jetzt hässlicher war, als der anderer Leute, und sein Ansehen wie der Menschen Kinder (Jes. 52, 14), eben derselbe war, der durch den Vater mit solch einziger Ehre verherrlicht worden war, als der heilige Geist über Maria gekommen war und die Kraft des Höchsten sie überschattet hatte, und dass dieser jetzt so zerfleischte und entstellte Leib, wie er einst die Verwunderung der Engel gewesen war, so auf immer die Freude der Engel und, nachdem er die Unsterblichkeit angezogen, die Lebenskraft der Seinen bis ans Ende der Zeiten sein würde. John Mason Neale 1860.

V. 11. Vom Mutterleibe an bist Du mein Gott. In Israel erhalten schon Kinder den Namen "Ella"mein Gott ist Jahve". Prof. D. F. Bäthgen 1904.

V. 12. Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe . Profanen Menschen scheint das ein seltsamer Grund, sagt ein lateinischer Ausleger; aber es ist ein trefflicher. Das wusste der Prophet, und darum machte er ihn geltend. John Trapp † 1669.

Diese Bitte, Ergebnis und Abschluss alles Vorhergehenden und insbesondere auf den Anfang zurückblickend, bereitet in ihrer Begründung (denn Drangsal ist nahe) den folgenden Abschnitt vor, der fast ausschließlich eine Schilderung der "nahen Drangsal" ist. Im Zusammenhang des Ganzen stellt sie sich als ein momentanes Aufatmen des Bedrängten dar. Lic. Hans Keßler 1899.

V. 2-12. Die Hauptwendungen des Gedankens in diesem 1. Teil zeichnen sich ab V. 4 durch das "Und du", V. 7 "Und ich", und V. 10 ein abermaliges "Ja, du". Prof. Joh. Wichelhaus † 1858.

V. 13. Zu dem Ausdruck "die Starken = die Stiere Basans" vergleiche man, wie Amos (4,1) die üppigen Frauen Samarias mit "ihr Kühe Basans" anredet. - Unter den Stieren Basans verstand der Prälat Ötinger die "dicken, fetten Hohenpriester". - J. M.

V. 13-14. Ein hilfloses Kind oder ein harmloses Lamm, von wütenden Stieren und heißhungrigen Löwen umgeben, - das ist ein passendes Bild des Erlösers, da er von seinen blutdürstigen Feinden umringt war. Thomas Scott † 1821.
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Erläuterungen und Kernworte

V. 15. Alle Kraft hatte ihn verlassen. Es war solch ein Gefühl der äußersten Entkräftung, Mattigkeit und Ohnmacht über ihn gekommen, dass Worte nicht hinreichen und ein Bild angewendet wird, um es zu veranschaulichen. Wasser, das auf die Erde hingegossen wird , ist ein treffendes Bild der äußersten Schwäche, die unser Herr am Kreuz erduldete. Er war im Begriff, vor Schwäche ohnmächtig zu werden. Die Empfindungen beim Ohnmächtigwerden sind überwältigend. Eines Gefühls nur sind wir uns bewusst, nämlich unserer Schwäche. Alle unsere Gebeine sind schlaff: Es ist uns, als hätten wir nichts Festes mehr im ganzen Körper. Die Kraft der Knochen ist dahin, die Verbindung der Gelenke ist lose geworden, und die Muskelkraft ist geschwunden. Schrecklicher Schwindel erfasst uns. Wir sind unvermögend, uns aufrecht zu halten. Aller Mut hat uns verlassen. Unsere Kraft schwindet wie Wachs, das beim Zerschmelzen hinabtropft und verloren geht. So beschreibt Daniel (10,8), was er empfand, als er das große Gesicht schaute: "Es blieb keine Kraft in mir, und ich wurde sehr entstellt, und hatte keine Kraft mehr." Was jedoch das Schwächegefühl betrifft, das unser Erlöser empfand, gilt es, den erschwerenden Umstand zu beachten, dass ihm die Sinne nicht schwanden. Er verschmähte es, sein Leiden dadurch zu erleichtern, dass er sich der Bewusstlosigkeit in die Arme warf, wie er ja auch bei der Kreuzigung den Betäubungstrank von sich gewiesen hatte. Wenn das Bewusstsein aufhört, ist augenblicklich jedes Schmerzgefühl zu Ende. Unser Erlöser aber behielt sein Bewusstsein völlig und ertrug geduldig während langer banger Stunden die uns schon für Minuten unerträglichen Empfindungen, welche dem Ohnmächtigwerden vorhergehen. John Stevenson 1842.

Die Folter ist eine entsetzliche Erfindung und das Kreuz war eine Folter. Auf diese war er gespannt, bis, wie der Psalm sagt, alle seine Gebeine sich zertrennet hatten . Drei lange Stunden in der Lage zu stehen, in der er am Kreuze hing, die Arme in die Höhe gereckt, muss - ich habe es von solchen bestätigen hören, die es durchgemacht haben - eine fast unglaubliche Pein sein. Dass aber die Hände und Füße, diese wegen der in ihnen besonders stark zergliederten Nervenstränge so überaus empfindlichen Teile, so grausam angenagelt waren, musste seine Schmerzen über alle Maßen steigern. Nicht ohne guten Grund sagt ein römischer Schriftsteller: dolores acerrimi dicuntur cruciatus, die heftigsten Schmerzen nenne man eine Kreuzigung. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.

V. 16. Meine Kräfte sind vertrocknet usw. Sehr bald muss eine heftige Entzündung die verwundeten Stellen ergriffen und sich dann schnell den straff gespannten Körperteilen mitgeteilt haben, bis der ganze Körper in Fieberhitze brannte. So wurden die animalischen Säfte ausgetrocknet und der Wassergehalt des Blutes aufgebraucht. Die durch die sengenden Strahlen der Sonne ausgedörrte Haut wurde unfähig, irgendwelche Feuchtigkeit aufzusaugen. Der Blutverlust an den Händen und Füßen musste die Austrocknung beschleunigen. Darum sagt der Heiland: Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe und meine Zunge klebt an meinem Gaumen . Das Fieber verzehrte den Rest seiner Kraft, und der Durst, diese unerträglichste aller leiblichen Entbehrungen, muss überwältigend gewesen sein. Sein Körper war seiner Empfindung nach wie eine Scherbe, die im Töpferofen ausgedörrt ist. Saft und Kraft waren dahin: Es war ihm, als seien alle Lebenssubstanzen aus seinem Körper herausgezogen. So schwach war er geworden, so ausgedörrt und vertrocknet, dass ihn bereits jene Klebrigkeit des Mundes ergriffen hatte, die eine der Vorbotinnen der unmittelbar bevorstehenden Auflösung ist. John Stevenson 1842.

Bestimmen zu wollen, was seine Empfindungen in jenen Stunden gewesen sein müssen, ist ein bedenklicher Versuch: Wir kennen sie nicht und mögen leicht zu kühn sein und irren. Die alten Väter der griechischen Kirche handelten in weislicher Absicht, da sie in der Liturgie die Aufzählung an der einzelnen Leidenszüge, wie sie uns in der Passionsgeschichte aufbehalten sind, und die an jeden einzelnen Zug sich allschließenden Gebetsseufzer um Gnade mit der Bitte schlossen: Bei deinen unbekannten (von dir empfundenen, aber von uns nicht zu ermessenden) Mühsalen und Martern hab Erbarmen mit uns und hilf uns. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.

Und in den Todesstaub legst du mich. Ein Lichtblick des Glaubens, der auch in den wütendsten Angriffen der Feinde die Hand Gottes walten sieht. Lic. Keßler 1899.

V. 17. Hunde haben mich umgeben. So groß und mannigfaltig war die Bosheit, die die Feinde des Herrn an den Tag legten, dass die Eigentümlichkeiten von zwei Gattungen wilder Tiere noch nicht hinreichten, sie angemessen zu schildern. Darum wird hier ein neues Bild eingeführt. Die Rotte von Bösewichtern, die das Kreuz umgibt, wird mit den Rudeln von Hunden verglichen, die in den morgenländischen Städten umherstreichen, alle Winkel durchsuchen, gierig selbst über das Aas herfallen und alles verschlingen. Oder ist hier vielleicht an die zwar im Alten Testament nicht erwähnten, sollst aber auch im Morgenland schon im Altertum bekannten Jagdhunde gedacht, die mit ihrem unfehlbaren Geruchssinn das Wild aufspüren, unverwandten Auges alle seine Bewegungen überwachen, kläffend in vollem Laufe ihm nacheilen und sich durch nichts von ihrem Entschluss abbringen lassen, ihre Beute zu Tode zu hetzen? Die morgenländische Art der Jagd war in alten Zeiten, wie noch heute, höchst mörderisch und unbarmherzig. Es wird ein großer, wohl Stunden im Umfang messender Kreis von den Jägern gebildet, die nun, alles vor sich her treibend, die Beute immer enger einschließen. Dann beginnt das grausame Niedermetzeln der armen gefangenen Opfer. So machten es die Feinde unseres Herrn: Schon lange, ehe sie ihn ans Kreuz bringen konnten, hatten sie, wie uns die Evangelisten berichten, die verschlagensten Pläne gefasst und auszuführen versucht, um ihn in ihre Gewalt zu bekommen. John Stevenson 1842.

Welcher Schmutz in den unregelmäßigen, unebenen, dunkeln Gassen (Jerusalems), welche totale Abwesenheit der Straßenpflege! Die Sanitätspflege ist den scheu blickenden, schakalähnlichen Hunden, die bei Tage trag herumliegen und bei Nacht durch ihr Geheul viel Verdruss machen (Ps. 59, 7), ausschließlich anvertraut. Diese halbwilden, herrenlosen Tiere, so widerlich sie sind, können deshalb nicht entbehrt werden. Nur wenn sie in einem Quartier gar zu zahlreich werden, macht man ihnen mit Peitschen und Gift den Krieg. Auch sind sie fast immer verwundet. Ohne gereizt zu sein, greifen sie nicht an, sehen aber tückisch aus. Dass der Hund bei den Israeliten als unreines Tier verachtet war und man gerne die gemeinen, rohen und unverschämten, aber feigen Menschen mit Hunden verglich (Ps. 22,17.21; Mt. 7,6; Phil. 3,2; Off. 22,15), lässt sich nach der Art dieser Rasse leicht denken. Auch ihre wenig wählerische Gefräßigkeit machte sie verächtlich (Spr. 26,11; 2. Petr. 2,22; Jes. 56,11). Prof. D. von Orelli, Durchs heilige Land, 1879.

Man vergl. auch zu V. 21 S. 407 f. und im 2. Bänd zu Ps. 59,7.15. - J. M.

Sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Die Texteslesart yri)AkIf wird erklärt: Wie ein Löwe haben sie umgeben meine Hände und meine Füße. Die Hände sollen nach Aben Ezra als Mittel der Abwehr, die Füße als Mittel zum Entlaufen genannt sein. Aber mit den Händen wehrt man einen Löwen nicht ab, und die Vorstellung, dass die Frevler wie ein Löwe Hände und Füße umgeben, ist nicht vollziehbar. Endlich ist die Texteslesart weit schlechter bezeugt als eine andere, wonach in yr)k ein Verbum Wr)k steckt. LXX . Aquila, Hieronymus, Syrer sprachen Wr)kIf aus. plene geschrieben für WrkIf. Sie weichen zwar in Ableitung und Übersetzung dieser Form zum Teil voneinander ab, beweisen aber sämtlich ein w am Ende des Worts und eine Verbalform. LXX (w}ruxan,. sie haben gegraben resp. durchgraben) u. Syr. (w(zb, sie haben verwundet) führen diese Form auf hrfkIf graben zurück. Die Übers. vinxerunt (sie haben besiegt) des Aquila und Hieroll. leitet das Wort ab von rwk, arabisch r)k II. Die Übers. h}&scunan (Aquila in einer zweiten Ausgabe) findet in dem Worte (Wr)AkIf) das syrische r)akIf beschimpfen. Diese alle haben also nicht yr)k, sondern wr)k gelesen. Das Targum "sie beißen wie ein Löwe" drückt beide Lesarten nebeneinander ans und nach der Masora Ochla w’ Ochla hat yr)k im Psalm eine andere Bedeutung als Jes. 38, 13, wo es nur heißen kann "wie der Löwe". -- Durchschlagend geworden ist d e Übersetzung der LXX. (und der syrischen Peschito), die die Wr)kIf Form auf hrfkIf graben zurückführen. Dies Wort bedeutet freilich sonst: aushöhlen, eine Grube machen, oder (Spr. 16, 27): etwas aus der Erde graben, während in den Zusammenhang nur die Bedeutung durchproben oder durchbohren passt. Jedoch hat Delitzsch darauf aufmerksam gemacht, dass auch rqn denselben Doppelsinn hat, vergl. das von der LXX hier gebrauchte o)ru/ssein (z. B. den Isthmus durchstechen, Herodot) und fodere hasta, mit der Lanze durchbohren. Jedenfalls ist Wr)kIf die am besten bezeugte Lesart. Es wird zu verstehen sein von den klaffenden Wunden, die dem Dulder an Händen und Beinen geschlagen sind und die ihm wie Löcher entgegenstarren. - Nach Prof. D. Friedr. Bäthgen 1904.

Da LXX, Syr. und Vulg. wr)k ausdrücken, so ist schließlich wahrscheinlicher, dass die masoretische Lesart yri)AkIf auf Polemik gegen die christliche Verwertung der Stelle beruht, als umgekehrt die Lesart wr)k auf christlicher Fälschung. Prof. D. E. Kautzsch 1894.

Von allen Arten der Hinrichtung ist die Kreuzigung eine der schrecklichsten, gerade weil keiner der edlen Teile des Körpers, deren Verwundung alsbald den Tod bewirkt, davon unmittelbar betroffen wird. Die Hände und Füße , diese wegen ihres feinen organischen Gebildes so empfindlichen Glieder, werden mit Nägeln durchbohrt, die naturgemäß von beträchtlicher Größe sein müssen, um ihren Zweck zu erfüllen. Das Zerstören der zarten Fleischfasern, das Zerreißen der vielen feinen Nerven und das Bersten so vieler Blutgefäße müssen die heftigsten Schmerzen bewirken. Die Nerven der Hände und Füße sind aufs Engste mit den Nerven des ganzen Körpers verbunden; ihr Zerreißen muss sich daher im ganzen Organismus fühlbar machen. Man denke daran, welche Wirkung es hat, wenn auch nur eilt Nadelstich einen der äußersten Nerven trifft. Es kommt sogar vor, dass durch eine geringfügige Verletzung ein Krampf in den Gesichtsmuskeln entsteht, der die Kiefer so fest schließt, dass keine Gewalt sie öffnen kann. Als daher die Hände und Füße unseres teuren Heilands mit den Nägeln ans Kreuz geheftet wurden, müssen die heftigsten, beklemmenden Schmerzen alle Teile seines Körpers durchwühlt haben. Und in solcher Lage, nur von seinen durchbohrten Gliedern getragen, hatte unser Erlöser an die sechs Stunden unter unsäglichen Qualen auszuhalten. John Stevenson 1842.

Man vergleiche dazu, was Gott durch Jesaja, den Evangelisten des alten Bundes, bezeugt (Jes. 49, 16): Siehe, in die Hände hab ich dich gezeichnet. Wurden wir nicht eben damals seinen Händen unauslöschlich eingegraben, als diese für uns durchbohrt wurden? "Sie haben meine Hände und Füße durch graben" und so tief, dass selbst nach seiner Auferstehung noch die Nägelmale sichtbar waren und die Jünger ihre Finger in dieselben legen konnten. Manche denken, dass diese Narben auch an seinem verklärten Leibe bleiben, um bei seinem Kommen allen gezeigt zu werden: Sie werden mich ansehen, welchen sie zerstochen haben (Sach. 12, 10; Off. 1, 7). Mag dem sein wie immer, das ist gewiss: Die Auserwählten bleiben ewiglich dem Herzen Jesu eingeprägt. Thomas Adams 1614.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 18. Ich kann alle meine Gebeine zählen . Denn wie der erste Adam durch seinen Fall das Kleid der Unschuld verlor und hinfort andere Bedeckung brauchte, so ließ der zweite Adam sich herab, seiner irdischen Bekleidung entblößt zu werden, auf dass danach zu uns gesagt werden könne: Bringet das beste Kleid hervor und tut ihn an (Lk. 15,22). Propst Gerhoch von Reichersberg † 1169.

Sie aber schauen, und sehen ihre Lust an mir. Wir streiften eine Stunde lang durch diesen alten Herrschersitz (Sebastije, das alte Samaria) bis auf die oberste Terrasse, von der man eine fürstliche Aussicht bis zum Mittelländischen Meer hat. Dabei begegnete es, dass ich meine beiden Gefährten aus den Augen verlor und nicht gleich finden konnte. Einige Kinder boten mir ihre Führung all: Allein nachdem wir eine Zeitlang ohne Ergebnis zwischen den riesenhaften Kaktushecken herumgeirrt waren, merkte ich, dass ihre Aufmerksamkeit mehr als zweifelhaft war, und ging meine eigenen Wege. Da ich ihnen ein Bachschich unter solchen Umständen verweigern musste, fingen sie an, mit Steinchen und Holzstückchen nach mir zu werfen, deren ich mich aber leicht zu erwehren wusste. Da ich mutmaßte, die andern hätten schon den Rückweg allgetreten, zog ich mich zu den Pferden zurück, die unten bei der Kirche standen. Hier kam ich aber vom Regen in die Traufe. Denn da umdrängten mich gleich die erwachsenen Bewohner mit ihren "Antikas" und entfalteten dabei eine Zudringlichkeit, welche mir sonst nirgends vorgekommen ist und mir erst recht die Lust nahm, ihnen etwas abzukaufen. Da ich sie etwas barsch abwies, wie man denn leicht in solcher Mittagshitze etwas ungeduldig wird, wenn die Kerle sich überall anhängen, so wurden sie auch gereizt und liefen mir auf Schritt und Tritt nach, einen immer engeren Kreis um mich bildend. Ich sah den Moment kommen, wo sie zu Tätlichkeiten übergingen. Ich ließ mich nun unter einem Baume nieder und schälte eine Orange, als ob nichts wäre. Natürlich drängte ich auch hier alles um mich her und ich hatte die Tortur von mehr als fünfzig Augen auszuhalten. Wie unausstehlich es ist, von solchen Leuten unverwandt begafft zu werden, die jede Handbewegung, jede Miene mit ihren boshaften Bemerkungen und ihrem Gelächter begleiten und es darauf absehen, jemand zornig zu machen, das kann man sich im Abendland nicht vorstellen. Mir war es interessant für das Verständnis jener Klage des Psalmisten Ps. 22, 18: Sie aber schauen und sehen ihre Lust an mir. Prof. D. von Orelli, Durchs heilige Land, 1879.

O wie verschieden von diesen kränkenden Blicken ist doch der Blick, den der erweckte Sünder auf Golgatha richtet, wenn er gläubig sein Auge zu dem erhebt, der dort für die Schuldigen sich in Todesangst wand und blutete und starb ! Und welche Dankbarkeit sollte die sterbende und verderbende Menschheit erfüllen, da von ihm, der dort am Fluchholze hängt, der freundliche Ruf ertönt: Wendet euch zu mir (Engl. Übers.: Blicket auf mich), so werdet ihr selig, aller Welt Enden: Denn ich bin Gott, und keiner mehr (Jes. 45, 22). John Morison 1829.

V. 19. Sie teilen meine Kleider unter sich. "Ganz nackt," sagt H. A. W. Meyer, "hingen die Cruciarii (die Gekreuzigten) am Kreuze, und ihre Kleider fielen als Spolien den Vollstreckern anheim. Das Lendentuch hat wenigstens keine alte Bezeugung." Die Kleider fielen den Kriegsknechten nach römischem Recht zu. Das Obergewand teilten sie wahrscheinlich in vier Teile, indem sie die Nähte auflösten. Vier Krieger wurden nach der Ordnung des römischen Waffendienstes ad excubias (als Wache) verwendet. Das Untergewand ließ sich nicht teilen, weil es gewirkt war. Damit kamen sie auf das Loswerfen und Würfelspiel. Prof. D. J. P. Lange 1864.

Der Spruch von der Verteilung der Kleider und der Verlosung des Gewandes gehört zu denen, die in ihrer scheinbar zufälligen Form des hebräischen Parallelismus, wo ein Glied nur unmerklich vom andern abweicht, sich erfüllt haben, wie namentlich das vierte Evangelium ausführt, wo auch V. 19 ausdrücklich angeführt ist. Prof. D. von Orelli 1882.

So geringfügig dieses Losen um das Gewandes Herrn an sich scheinen mag, ist es doch höchst bedeutsam. Es lehrt uns zweierlei, nämlich, wie hoch jener ungenähte Leibrock geschätzt wurde, und wie gering der, dessen Eigentum er gewesen war. Der Auftritt sagt deutlich: Dies sein Gewand gilt uns unendlich viel mehr als er. Wie es im Propheten von dem Judaslohn heißt: "Sie wogen dar, wie viel ich galt, dreißig Silberlinge. Ei, eine treffliche Summe, der ich wert geachtet bin von ihnen!" (Sach. 11, 12 f.), so mögen wir in Bezug auf das Auslosen des Gewandes sagen: Wahrlich, wie billig war ihnen Christus! John Stevenson 1842.

V. 21. Errette meine Seele vom Schwert. Seele bedeutet hier wie an vielen anderen Stellen das Leben, denn an die Seele reicht weder Schwert noch andere Waffen, Mt. 10, 28. So wird auch Schwert hier insgemein für ein Mordzeug genommen. Und mag wohl sein, wie einige dafür halten, dass der Heiland den Speerstoß vor sich gesehen und mit diesen Worten Gott gebeten habe, das Leben vor dem Stoß von ihm zu nehmen, wie auch geschehen ist, Joh. 19,34. J. D. Frisch 1719.

In dem, dass er spricht: meine einsame, will er sagen, dass seine Seele alleine sei und von jedermann verlassen, dass niemand da sei, der ihn suche, seiner wahrnehme, noch tröste, wie der 142. Psalm V. 5 sagt: Schaue zur Rechten, und siehe, da will mich niemand kennen, ich kann nicht entfliehen, niemand nimmt sich meiner Seelen all. Wahrlich, es ist die Einsamkeit an ihr selbst ein Kreuz; viel mehr ist das verdrießlich, dass einer in solchen großen Leiden und Ängsten ohne Exempel und ohne Gesellen stehet. Aber wir alle müssen auch also verlassen sein und alleine stehen in einem jeglichen Leiden, oder ja in Todesnöten, und mit dem 25. Psalm V. 16 zum Herrn schreien: Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. Martin Luther 1519.

Vom Hunde. Es ist für einen Europäer kaum möglich, sich davon eine Vorstellung zu machen, welch unerträgliche Page in den Städten und Dörfern des Orients die zahllosen Hunde sind, die die Straßen unsicher machen. Die Eingeborenen, die von früherer Jugend an daran gewöhnt sind, achten es kaum: Für den Fremden dagegen sind diese Tiere die größte Plage, der er unterworfen ist. Denn da diese Hunde nie in ein Haus kommen dürfen und herrenlos umherstreifen, sind ihnen alle die edlen Eigenschaften fremd, welche bei uns den Hund zum treuen Freund des Menschen machen. Die Rasse ist gänzlich entartet und nähert sich den Raubtieren. Sie sind wild, hinterlistig, blutdurstig und von unersättlicher Fressgier. Sogar ihre Leibesgestalt ist abstoßend hässlich. Die hageren, unedlen Formen, die wolfähnlichen Augen, die langen, schlaff herabhangenden Ohren, der steife, spitze Schwanz, der schmächtige Rumpf, an dem alle Knochen hervortreten, dagegen fast gar keine Bauchrundung sichtbar ist, das alles macht sie zu einem solchen Bild der Elendigkeit und Herabwürdigung, das zu der all gemeinen Stellung und den edeln Eigenschaften des europäischen Hundes in traurigem Gegensatz steht. Diese scheußlichen Tiere, die von dem Volk wegen ihrer Wildheit gefürchtet oder doch als unrein verabscheut werden, sind genötigt, überall umherzustreichen und auf Raub auszugehen, um ihr erbärmliches Dasein zu fristen. Sie leben gewöhnlich in Rudeln, und ihre natürliche Wildheit, die durch den Hunger und das Bewusstsein ihrer Stärke gesteigert wird, macht sie für den Fremden, der sich unerwartet von ihnen umgeben findet, zu höchst lästigen, ja gefährlichen Gesellen, da sie keinen Anstand nehmen, ihm alles, was er bei oder an sich hat, zu entreißen Und sogar ihn selbst, wenn er das Unglück hat zu fallen, und sich nicht gegen sie wehren kann, anzufallen und zu zerreißen. Die Bestien verschlingen, durch den Hunger getrieben, alles, was sie finden, sogar das Aas und die ekelhaftesten Sachen. Aller Unrat aus den Häusern, tote Tiere und dergleichen, das alles wird ja im Morgenland auf die Straße geworfen: Daran weiden sie sich. Auf nichts aber sind sie so erpicht wie auf Menschenfleisch, ein Mahl, das die in den despotischen Reichen Asiens herrschende Barbarei ihnen häufig bereitet, da die Leichname von Verbrechern, welche wegen Mordes oder Hochverrats, wegen Gewalttaten oder ähnlicher Dinge hingerichtet sind, selten beerdigt werden, sondern unter dem Himmel liegen, bis ihre verstümmelten Überreste von den Hunden weggeschleppt werden. D. George Paxton † 1837.

V. 22. Leute, die sich vor der Gewalt oder Grausamkeit anderer in großer Not befinden, rufen oft zu ihren Göttern: O rette mich von den Zähnen des Elefanten, aus dem Rachen des Tigers und den Tatzen des Bären, rette mich, rette mich! Joseph Roberts, Bilder aus dem Morgenland, 1835.

Und von den Hörnern der Wildochsen - hast du mich erhört. (Grundt.) "Erhört von" ist gedrängte hebräische Redeweise für "erhört und befreit von". Das im Perfekt stehende Zeitwort haben Luther und andere als Fortsetzung der Bitte des ersten Versgliedes aufgefasst und daher übersetzt: und erhöre (errette) mich von usw. Diese Auffassung ist aber kaum haltbar. Da der plötzliche Übergang ins Perfekt auffällt, hat der Engländer Thrupp 1860 die Vermutung aufgestellt, es sei statt "du hast mich erhört" "meine arme, nämlich Seele", zu lesen, als Gegenstück zu "meine einzige, nämlich Seele", V. 20 b. Diese Konjektur, der sich Wellhausen und Bäthgen anschließen, ist sehr einleuchtend, erstens weil dann V. 21b und 22b einander ganz entsprechen, zweitens weil die beiden Adjektive Psalm 25, 16 ebenfalls zusammengestellt sind. Auch scheint schon die Übersetzung von LXX. Symm. und Syr. (th`n tapeinwsi/n mou) auf dieser Lesart zu beruhen, -- wie denn Bäthgen (Kommentar 1904, Seite XLIX) zu seiner Überraschung beobachtet zu haben bezeugt, dass die Auffassungen Neuerer in den meisten Fallen schon in der einen oder anderen der alten Übersetzungen vertreten sind. Dass die LXX nicht adjektivisch ("meine arme"), sondern substantivisch ("meine Niedrigkeit") übersetzen, wiewohl dies schlechter zu dem Zeitwort passt, dass sie also den Parallelismus zu V. 21 b nicht beachtet haben, lässt darauf schließen, dass sie die Lesart nicht zur Verbesserung des Textes selber erfunden, sondern als Überlieferung vor sich gehabt haben. Wenn diese Lesart aber auch die LXX an Alter überragt, so kann sie dennoch ein scharfsinniger Verbesserungsversuch oder aber einer der ebenfalls nicht seltenen einen schönen, sehr passenden Sinn gebenden Schreibfehler sein und der gewöhnliche masoretische Text doch den ursprünglichen Wortlaut bewahrt haben. Wir halten an dem masoretischen Text fest. Das Perfekt wird das der Gewissheit sein. Der auffallende Wechsel erklärt sich aus dem Wechsel der Stimmung. Der Leidende hatte wohl (Hengstenberg) das "mögest du mich erhören, oder erretten" auf der Zunge. Da erhält er die Zusicherung der Erhörung, und so geht plötzlich der Wunsch in die Zuversicht über: "und von den Hörnern der Wildochsen hast du mich erhört." So leitet das am Schluss des Verses stehende Zeitwort zu dem folgenden Abschnitt des Psalms über. - Einige, z. B. Moll, Andreä , ziehen "und von den Hörnern der Wildochsen" noch zu dem Vorigen (der Bitte) und betrachten das letzte Wort als für sich allein stehend: (Ja,) du hast mich erhört! Diese Zerteilung der Vershälfte scheint weniger natürlich. - J. M.
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Erläuterungen und Kernworte

V. 22-32. Die Art, wie der Beter die Dankfeier für seine Errettung beschreibt, ist nicht minder merkwürdig, als es die Schilderung seiner Leiden war. Nicht nur will er vor allem Volke sein Dankopfer bezahlen wie ein David, Hiskia und andere fromme Könige, so dass die Gottesfürchtigen sich an diesem sakramentalen Gnadenmahl laben. Der Schluss des Liedes V. 28 -32 redet sogar davon, dass die Heiden von den Enden der Erde kommen und gleichfalls den Herrn anbeten werden: "denn des Herrn wird das Reich, und er herrschet unter den Heiden" (V. 29). Ja es scheint, dass die Errettung dieses Dulders und sein Lob des Herrn diese Bekehrung zuwege bringt (vergl. "Sie werden gedenken", wozu "mein Loblied" zu ergänzen wäre). Wie er seine Volksgenossen gemäß seinem Gelübde zum großen Opfermahl einlädt, so erwartet er auch die Heiden dabei als Gäste!
Wie also der Anfang und die Mitte des Psalms typisch, so ist der Schluss prophetisch. Gerade der prophetische Schluss aber muss darauf führen, dass wir einen vom Geiste gewirkten, nicht eingebildeten Typus hier vor uns haben. Der Beter war ein geistiges Haupt der Gemeinde: Sein Gebet endigt mit prophetisch erleuchtetem Spruch: so war er auch in seiner bitteren Leidensklage von einem höheren Geiste regiert und nicht unwert, ein prophetisches Vorbild dessen zu werden, der durch sein unerhörtes Martyrium das Reich Gottes über alle Welt begründet hat. Prof. D. C. von Orelli 1882.

V. 23. Ich will deinen Namen predigen. Ist wohl ein wunderlicher Prediger, sagt Lutherus , der erst geklagt hat, er werde vom Tode gefressen, will nach dem Tod erst anheben zu weissagen. Doch ist es in der Tat so geschehen. J. D. Frisch 1719.

Meinen Brüdern. Dies Wort weist uns auf beides hin: Wie tief sich der Sohn Gottes herabgelassen hat und wie hoch die Menschenkinder durch ihn erhöht werden. Denn es war für den Sohn des Höchsten eine tiefe Selbsterniedrigung, ein Bruder der Erdgeborenen zu werden, und für sie ist es eine wunderbare Erhöhung, Brüder des Sohnes Gottes zu werden: Denn Christi Brüder sind als solche Kinder Gottes, Erben des Himmels und Könige - nicht irdische, sondern himmlische, nicht zeitliche, sondern ewige Könige! Die innige Liebe Christi zu den Seinen, die uns in diesem Namen, den er selber ihnen gibt, entgegentritt, ist eine große Ermutigung und ein mächtiger Trost für solche, die von den Kindern die er Welt verachtet und verspottet werden, weil sie Christus vor den Menschen bekennen. D. William Gouge † 1653.

V. 25. Denn er hat nicht verachtet, noch verschmäht das Elend des Armen. Darum, wer da will der Same Israel sein, der muss arm sein und sich über der Gnade Gottes, in Christus verheißen, freuen. Dies Urteil stehet fest und aufs Allergewisseste : Unser Gott ist ein solcher Gott, der auf die Armen sieht. Und schaue hier dem Propheten zu, wie reich er von Worten und wie so gar fleißig er ist. Er hat nicht ein Genügen dran, dass er einmal gesagt hat: verachtet: setzet auch hinzu: verschmähet; und weiter spricht er, er habe sein Antlitz vor ihm nicht verborgen, und dass er erhöret sei, da er zu Gott schrie . Darüber gibt sich der Herr Christus oder der Prophet in der Person Christi, selbst zu einem Exempel und Vorbild, da er spricht, dass der Arme (redet von ihm selbst) geschrieen habe und sei erhört worden. Als spräche er: Seht und lernt von meinem Exempel, der ich worden bin der Allerschnödeste und Verächtlichste unter allen Männern, und unter die Übeltäter gerechnet und aufs Höchste verachtet war, verschmähet, verworfen, vernichtet: Der bin ich nun aufs Freundlichste angesehen worden, angenommen und erhört. Darum so erschrecke euch diese arme Gestalt und Ansehen nicht, meines Exempels halben: Das Evangelium will solcher Gestalt Leute haben, die es von allem Übel erretten und selig machen soll. Wahrlich, o viel starker Vermahnung bedarf unsere Schwachheit, auf dass sie sich nicht entsetze und scheue, entweder sich herunterzuwerfen oder nicht verzweifeln, wenn sie erniedriget und heruntergeworfen ist, dass sie also durch dies Kreuz solche Gnade zuletzt überkomme. Martin Luther 1519.

V. 27. Es lebe euer Herz auf ewig: Segenswunsch des Gastgebers an seine Gäste, die nie mehr durch Verzagtheit angefochten werden sollen. Lic. H. Keßler 1899.

V. 28-29. Das eine große Lebensziel des Sohnes Gottes, das er durch alles hindurch unverwandt im Auge behielt, war die Ehre seines Vaters. Er kam, um seinen Willen zu tun, und er erfüllte ihn mit an der unwandelbaren Inbrunst seines Sohnesherzens. Wie hoch wird denn seine Freude sein, wenn er in seinem Reich der Herrlichkeit den Vater unermesslich verherrlicht sehen wird. Der Lobpreis, die Ehre und der freudige Dank, die an jenem Tage durch ihn als den Mittler der Welt, dem Vater werden dargebracht werden, wird es ihn empfinden lassen, dass der bittere Kelch seiner Leiden nicht einen Tropfen zu viel enthalten hatte, da es die Erreichung eines so herrlichen Zieles galt. Jeder Ton des Dankes, der zu dem Vater im Himmel aufsteigt, sei es von den Vögeln der Luft oder den Tieren des Feldes oder den Fischen des Meeres, oder von den Hügeln und Bergen, von den Bäumen des Waldes oder dem Strom im Tal, alles wird des Sohnes Herz mit Freude erfüllen, weil jeder dieser Töne den Ohren Gottes lieblich sein wird um deswillen, dass Jesus auch die Schöpfung von dem Fluch, der der Sünde des Menschen wegen auf ihr lastete, befreit und ihr eine noch lieblichere Harmonie ewigen Friedens wiedergegeben hat, als die, welche an ihrem Geburtstag auf der Schöpfung ruht und nun gar der Mensch, der erneuerte und wiedergeborene Mensch, dessen Seele zu retten er sein Blut vergossen und zu dessen Erlösung er den Tod überwunden! Wie wird der heilige Freudenchor der Erlösten, das klare, reine Halleluja der vernunftbegabten Kreatur, das Räucherwerk sein, das der Heiland dem Vater mit Wonne darbringen wird, als süßen Geruch, angenehm gemacht durch ihn, der einst außer dem Lager litt, auf dass er das Volk heiligte durch sein Blut. Wie sind doch in dieser bösen Welt die Kanäle verstopft und zerbrochen, durch die der Lobpreis Gottes fluten sollte! Wie wird Christus dann, zur höchsten Freude seiner Seele, alles gereinigt und wiederhergestellt sehen! Da wird keine Kälte mehr das Herz des Menschen befangen, kein Stottern mehr die Zunge ankommen, wenn es gilt, des Vaters Lob zu singen: Da wird alle Stumpfheit vom Verständnis, alle Schwäche von den Augen genommen sein, des Vaters Herrlichkeit zu schauen. Keine Hand wird lässig sein, kein Fuß mehr straucheln, wo es gilt, seine Gebote zu erfüllen. Gott die Herrlichkeit seiner Geschöpfe, seine Verherrlichung ihr williger, wonniger Dienst und alles dies der Lohn für Jesus’ Schmerzen! C. J. Goodhart 1848.

V. 30. Es werden sich vor ihm beugen alle, die zum Staube hinfahren. Das Partizipium (des Grundtextes) ist präsentisch: Der Sinn: "alle, die den Weg des Todes gehen, alle Sterblichen." Gewählt ist dieser Ausdruck statt "alle Menschen", weil die Absicht vorlag, im Folgenden noch auf die späteren Generationen hinzuweisen. Lic. H. Keßler 1899.

Wenn mit dem Staube auf das Grab hingedeutet ist, wie viele hervorragende Schriftausleger meinen, so ist der köstliche Gedanke dieses Versteils der, dass Scharen sterbender Sünder sich zur Anbetung Jahwes kehren und die, welche ihr Leben nicht fristen, d. h. sich nicht selber retten können, den ewigen Bergungsort suchen werden, welchen allein die finden können, die zum Thron der Gnade eilen. Reiche und Arme, sagt Bischof Horne († 1792), sind eingeladen, nämlich Gott anzubeten, und die Stunde kommt, da das ganze adamitische Geschlecht, alle, die im Staub der Erde schlafen liegen und sich nicht selber daraus erheben können, durch die Stimme des Sohnes Gottes werden lebendig gemacht und aus ihren Gräbern gerufen werden und vor Gott und seinem Könige die Knie werden beugen müssen. John Morison 1829.

V. 31. Zu Kindeskind. Im masoretischen Text steht nur: dem Geschlecht. Dies Wort steht auch Ps. 71, 18 ohne nähere Bestimmung von dem künftigen Geschlecht. Delitzsch unterscheidet in dem masoretischen Text drei Generationen: die der bekehrten Väter V. 30, die des kommenden Geschlechts V. 31, und das Volk, das noch geboren werden soll, auf welches die Heilskunde durch dieses (zweite) Geschlecht fortgepflanzt wird V. 32: Sie werden kommen (ins Dasein treten, wie 71,18) und verkündigen seine Gerechtigkeit dem Volke, das geboren wird, dass er’s vollbracht hat. - Andere lesen den Schluss von V. 31 und den Anfang von V. 32 (indem sie im masoretischen Text die Verschiebung eines annehmen) nach den LXX: , also V. 31 b: Vom Herrn wird man erzählen dem kommenden Geschlecht. V. 32 a: Und verkündigen wird man seine Gerechtigkeit dem Volk, das geboren wird. So werden die beiden Versglieder einander ganz parallel. -J. M.

V. 32. Dem Volk, das geboren wird . Was ist mir dies für eine Rede? Welches Volk wird nicht geboren? Ich halte meines Bedünkens, er wolle das sagen, dass die Völker weltlicher Könige angerichtet werden durch Gesetze, durch Sitten und durch Gewohnheiten. Aber damit wirst du nichts ausrichten, das da diente zu der wahrhaftigen Gerechtigkeit ; es ist allein eine Fabel und ein Spiegelfechten der Gerechtigkeit, dies Wesen alles miteinander. Denn auch das Gesetz Moses konnte das jüdische Volk nicht anrichten als nur zu einem äußerlichen Schein und Heuchelei. Aber das Volk dieses Königs wird nicht mit Gesetzen zu einem äußerlichen Schein angerichtet, sondern es wird auf ein Neues geboren durch den Geist und das Wasser, zur neuen Kreatur der Wahrheit, welches denn die Kraft ist seiner Gerechtigkeit, die ohne Schein und Gleißen ist, welche allein im Geiste verkündigt und gepredigt wird. Denn so jemand geboren wird, das verändert sich ganz und gar, und wird neu, wie Christus sagt zu Nikodemus Joh. 3, 3: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Martin Luther 1519.

Homiletische Winke

V. 2. Der Angstruf des sterbenden Erlösers.
V. 3. Unerhörte Gebete . 1) Der Prediger untersuche das Warum. 2) Er wecke die Funken neuer Hoffnung aus der Asche. 3) Er treibe zu desto inbrünstigerem Anhalten im Gebet.
V. 4. Was immer Gott tun mag, eins stehe uns fest: dass er heilig und preiswürdig ist.
V. 5. Gottes Treue in vergangenen Zeiten ein Pfand seiner Hilfe in den Nöten der Gegenwart.
V. 5-6. Die Heiligen der Vorzeit. 1) Was sie beseelte: sie trauten. 2) Was sie taten: sie schrieen. 3) Was sie erfuhren: sie wurden nicht zuschanden. 4) Was sie uns zu sagen haben.
V. 7-19. sind von überraschender Hindeutungen auf das Leiden des Herrn.
V. 12. Des Gläubigen Nöte - die Schwingen seines Gebetes.
V. 21. Meine einzige. (Wörtl.) Der unersetzliche Wert der Menschenseele.
V. 22. Hilf mir aus dem Rachen des Löwen - grausamer Menschen, des Teufels, der Sünde, des Todes, der Hölle.
V. 23. Christus unser Bruder - unser Prediger - der Chorführer unserer Lobgesänge.
Der herrliche Gottesdienst: das köstliche Predigtthema, der große Prediger, die selige Gemeinde.
V. 24. Dreifacher Dienst des Einen: Preiset ihn mit euern Liedern, ehret ihn in eurem Wandel, scheuet ihn in euern Herzen. Dreierlei Träger dieses Dienstes: die Gottesfürchtigen überhaupt, -der Same Jakobs, das Gottesvolk, - der Same Israels, die Beter (die mit Gott ringen): Die drei sind eins. Gottes Verherrlichung die Frucht des Holzes, an dem Jesus starb.
V. 25. Eine tröstliche alte und doch ewig neue Erfahrungstatsache.
V. 25a. Eine von vielen gehegte Furcht als unbegründet erwiesen.
V. 26. Der öffentliche Lobpreis Gottes. 1) Eine süße Pflicht: Gott preisen . 2) Persönliche Willigkeit zu dieser Pflicht: Ich will usw. 3) Der köstliche Gegenstand des Preises: Dich will ich preisen. 4) Die Quelle dieses Lobpreises: Von dir geht mein Lobpreis aus. (Grundt.) 5) Der angemessene Ort des Lobpreises: in der großen Gemeine.
V. 26b. Gelübde. Was, wann und wie wir geloben sollen, und wie wichtig es ist, die Gelübde zu bezahlen.
V. 27. Ein geistliches Fest. Die Gäste, das Mahl, der Wirt, die volle Sättigung.
V. 27b. Vom Suchen zum seligen Finden. Was tun sie jetzt? Nach dem Herrn fragen. Was werden sie einst tun? Den Herrn preisen. Warum? Ihr Herz soll ewig leben.
Gute Botschaft für Suchende. Predigt von C. H. Spurgeon, Botschaft des Heils, 11, Nr. 47. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 27c. Euer Herz lebe ewiglich . Was soll leben? Die Quelle dieses Lebens. Die Art dieses Lebens. Warum ewiges Leben? Was wird dies Leben ausfüllen? Welcher Trost ist in diesem Worte jetzt für uns zu finden?
V. 28. Das Wesen der wahren Bekehrung. Die Gemeinde der Bekehrten aus allen Völkern.
Die Ordnung der Bekehrung. (Siehe die Auslegung.)
Der unzweifelhafte und weltumfassende Sieg des Christentums.
V. 29. Das Reich des Königs aller Könige in seiner jetzigen und seiner zukünftigen Gestalt.
V. 30. Gnade für die Reichen und Gnade für die Armen; aber alle verloren ohne dieselbe.
V. 30b. Und der seine Seele nicht am Leben erhalten kann. (Wörtl.) In geistlicher Anwendung sind diese Worte wohl geeignet, die Eitelkeit alles Selbstvertrauens zu enthüllen.
Des Lebens Notdurft und Erhaltung. Predigt von C. H. Spurgeon, Botschaft des Heils, 11, Nr. 35. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 31. Die ununterbrochene Fortdauer der Gemeinde des Herrn.
V. 32. Die Zukunftsaussichten der Gemeinde des Herrn. 1) Es werden Bekehrungen stattfinden. 2) Es sind ihr Prediger der Gerechtigkeit verheißen. 3) Der Segen soll fortgehen von Geschlecht zu Geschlecht. 4) Es soll das Evangelium von der vollbrachten Erlösung verkündigt und 5) Christus dadurch verherrlicht werden.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 23 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dieser Psalm hat, abgesehen von der kurzen Angabe des Verfassers, keine Überschrift, und er hat keine nötig; denn er berichtet kein besonderes Ereignis und bedarf zu seinem Verständnis keinen andern Schlüssel als den, welchen jeder Christ in seinem eigenen Herzen findet. Der Psalm ist Davids Himmlisches Pastorale oder Hirtengedicht , ein unvergleichliches Stück wahrer Poesie, das von keinem Erzeugnis der Dichtkunst je übertroffen werden kann. Die Kriegstrompete weicht hier der Friedensschalmei und der Sänger, der soeben ein Klaglied über die Leiden des Hirten angestimmt hat, führt uns hier in melodischen Tönen die Freude der Herde vor. Wir stellen uns bei diesem Psalm David vor, wie er, Bunyans Hirtenknaben im Demutstal gleich, von seiner Herde umgeben unter einem schattigen Baume sitzt und da dies unvergleichliche Hirtenlied anstimmt, das Herz zum Springen voll von heiliger Freude. Oder wenn dieser Psalm, und das hat ja mehr Wahrscheinlichkeit für sich, eine Frucht des späteren Lebens Davids ist, so sind wir gewiss, dass seine Seele sich sinnend an die einsamen Wasserbäche zurückversetzte, die auf den Auen der Wüste rieselten, wo er in seinen jungen Tagen zu weilen gepflegt hatte. Dieser Psalm ist die Perle der Psalmen, die mit ihrem milden, reinen Glanze jedes Auge erfreut; eine Perle, deren der Helikon 1 sich nicht zu schämen brauchte, obwohl der Jordan sie für sich beansprucht. Von diesem köstlichen Gesang darf man behaupten, dass sein Inhalt eben so reich an tief innerlicher Frömmigkeit ist, wie seine Form von vollendeter dichterischer Schönheit ist. An Lieblichkeit der Töne und an geistlicher Tiefe steht er unerreicht da.
Die Stelle, die dem Psalm angewiesen ist, ist der Beachtung wert. "Die Anordnung," sagt Delitzsch , "könnte nicht sinniger sein, als dass nun auf den Psalm, der von einem großen der Menschheit zugerichteten Gnadenmahle redet, ein Psalm folgt, der Jahwe preist als Hirt und Wirt der Seinen." Für uns als Christen bietet sich noch eine andere Betrachtung dar. Erst nachdem wir uns in das "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" vertieft haben, kommen wir zu dem "Der Herr ist mein Hirte". Wir müssen die Leiden des Erlösers in ihrer Bedeutung für uns würdigen gelernt haben, ehe wir fähig sind, die Süßigkeit der Fürsorge des guten Hirten ganz zu schmecken.
Man hat gesagt, was die Nachtigall unter den Vögeln, das sei dieses Lied unter den Psalmen. In der Tat haben seine Töne schon, ach, wie manchem Betrübten in tränenvollen Nächten wunderlieblich ins Ohr geklungen und ihm Hoffnung auf einen freudevollen Morgen ins Gram beschwerte Herz hineingesungen. Und ich möchte es wagen, den Psalm der Lerche zu vergleichen, die singend sich gen Himmel schwingt und immer höher steigt und singt und singt, und selbst dann noch ihr fröhliches Schmettern hören lässt, wenn sie im Azurblau des Himmels den menschlichen Blicken entschwunden ist. Man beachte die Schlussworte des Psalms: "Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar." Das sind himmlische Töne, mehr geeignet für die ewigen Wohnungen droben als für unsere ärmlichen Hütten hienieden. O dass wir so recht in den Geist des Psalms eindringen möchten, während wir ihn betrachten! Dann werden wir Himmelswonne auf Erden schmecken.

Auslegung

1. Der Herr ist mein Hirte;
mir wird nichts mangeln.
2. Er weidet mich auf einer grünen Aue,
und führt mich zum frischen Wasser;
3. er erquickt meine Seele;
er führt mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
4. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir;
dein Stecken und Stab trösten mich.
5. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl,
und schenkst mir voll ein.
6. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
mein Leben lang,
und werde bleiben im Hause des Herrn
immerdar.


1. Der Herr ist mein Hirte. Welche Herablassung ist es, dass Jahwe, der Allerhabene, seinem Volk gegenüber den Namen und das Amt des Hirten annimmt! Es sollte uns mit dankbarer Verwunderung erfüllen, dass der große Gott sich jede Vergleichung gefallen lässt, die geeignet ist, seine große Liebe und zärtliche Sorgfalt für die Seinen ins Licht zu stellen. David hatte in seiner Jugend selbst die Schafe seines Vaters gehütet und hatte daher volles Verständnis sowohl für die Bedürfnisse der Schafe als auch für die vielen Sorgen und Mühen eines Hirten. Er vergleicht sich selber mit einem so schwachen, wehrlosen und törichten Geschöpf, wie es das Schaf ist, und blickt zu Gott auf als seinem Versorger, Erhalter, Führer, kurz, seinem Alles. Niemand hat aber das Recht, sich als des Herrn Schäflein zu betrachten, es sei denn, dass seine Natur durch die Gnade umgewandelt worden ist; denn die unbekehrten Menschen schildert die Schrift nicht als Schafe, sondern als Wölfe oder als Böcke. Das Schaf gehört zu den Haustieren; es ist Eigentum eines Herrn, nicht ein wildes Tier. Sein Eigentümer hält es wert und manchmal ist es um teuren Preis erkauft. Es ist ein köstliches Ding, so gewiss wie David zu wissen, dass wir dem Herrn angehören. Ein edler Ton der Zuversicht klingt uns in diesen Worten entgegen. Da gibt es kein Wenn und kein Aber, nicht einmal ein "Ich hoffe", sondern kurz und klar bekennt er: Der Herr ist mein Hirte. Diese Gesinnung vertrauensvoller Abhängigkeit von unserem himmlischen Vater sollen wir pflegen. Am lieblichsten klingt in dem ganzen Satz das kleine Wörtlein "mein". David sagt nicht: Der Herr ist der Hirt der ganzen Welt und leitet die unzählbaren Scharen als seine Herde, sondern: Der Herr ist mein Hirte; wenn er auch keines andern Hirte wäre, ist er doch mein Hirte. Er sorgt für mich, er hat auf meine Schritte Acht und erhält mich. Ferner: Er ist mein Hirte -- jetzt, in der Gegenwart. In welcher Lage immer der Gläubige sein mag, er steht dennoch gerade jetzt unter der Hirtenfürsorge Jahwes.
Die nächsten Worte sind eine Schlussfolgerung aus dem ersten Satz. Klar und bündig spricht Davids Glaube -- es sind im Hebräischen nur zwei Worte --: Mir wird nichts mangeln . Sonst würde ich wohl Mangel leiden; aber ist der Herr mein Hirte, dann wohl mir! Er ist im Stande, für alle meine Bedürfnisse zu sorgen, und am Willen fehlt es ihm sicher nicht, denn sein Herz ist voller Liebe; darum wird mir nichts mangeln. Es wird mir an zeitlichen Gütern nicht fehlen. Nährt er nicht die Raben und lässt er nicht die Lilien auf dem Felde wachsen? (Lk. 12,24. 27.) Wie könnte er denn sein Kind umkommen lassen? Aber auch im Geistlichen wird mir nichts mangeln. Ich weiß, dass seine Gnade für mich genügt. (2.Kor. 12,9 Grundt.) Traue ich auf ihn, so wird er mir zusprechen: Wie dein Tag, so soll auch deine Kraft sein. 2 Mag sein, dass ich nicht alles habe, was ich wünsche; aber mangeln wird mir nichts, was mir wirklich notwendig und heilsam ist. Andere, die viel reicher und weiser sind als ich, mögen Mangel leiden; aber ich nicht. Reiche müssen darben und hungern; aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut (Ps. 34,11). David sagt nicht nur: Mir mangelt nichts, sondern: Mir wird nichts mangeln. Mag kommen, was da will; mag eine Hungersnot das Land verwüsten oder ein Unglück die Städte zerstören, mir wird nichts mangeln. Das Alter mit seinen Gebrechen wird daran nichts ändern, ja selbst der Tod mit seiner Düsternis wird mich nicht verlassen finden. Ich habe alles und habe überflüssig (Phil. 4,1 , vergl. V. 10-20) ; nicht darum, weil ich etwa einen reichen Geldvorrat auf der Bank habe, nicht weil ich gescheit und gewandt genug bin, mir mein Brot zu erwerben, sondern weil der Herr mein Hirte ist. Die Gottlosen haben immer Mangel, die Gerechten nie. Das Herz des Sünders ist nie befriedigt, aber die begnadigte Seele wohnt in dem Palast der göttlichen Zufriedenheit.

2. Er weidet mich auf einer grünen Aue, und führt mich zum frischen Wasser. Das christliche Leben hat zwei Elemente in sich, das beschauliche und das tätige, und für beide ist reichlich gesorgt. Zuerst das beschauliche: Auf Auen frischen Grüns lässt er mich lagern (wörtlicher). Was anders haben wir unter diesen saftig grünen Auen zu verstehen als das Wort der Wahrheit? Das ist allezeit frisch, bietet allezeit kräftige Kost und ist nie zu erschöpfen. Da ist wahrlich kein Mangel zu befürchten, wo das Gras so hoch steht, dass die Schafe sich gemächlich darin lagern können. Die evangelische Wahrheit ist eine süße, fette Weide, so gute Nahrung für die Seelen, wie das zarte, weiche Gras für die Schafe. Wenn wir durch den Glauben auf den Verheißungen ruhen, gleichen nur den Schafen, die sich auf der Weide lagern; wir finden da beides, Ruhe und Genuss, Nahrung und Erquickung, süßen Frieden und Stillung unserer Bedürfnisse. Man beachte aber: Er lagert mich auf grünen Auen. Es ist der Herr, der uns in seiner Gnade in Stand setzt, die Köstlichkeit seiner Wahrheit zu erkennen und uns daran zu nähren. Wie dankbar sollten wir sein, wenn es uns geschenkt wird, die Verheißungen uns anzueignen! Gibt es doch so manche verwirrte Seelen, die Welten dafür geben würden! Sie wissen, wie köstlich es ist, aber sie können dies Glück nicht ihr eigen nennen. Sie kennen die grünen Auen , aber es ist ihnen unmöglich, sich auf ihnen zu lagern. Gläubige, die sich lange Jahre einer vollen Zuversicht des Glaubens erfreut haben, sollten Gott für die ihnen widerfahrene Gnade hoch preisen.
Das zweite Stück gesunden christlichen Lebens ist Tätigkeit. Wir denken nicht nur, wir handeln auch. Nicht immer ruhen wir in behaglichem Genuss auf den fetten Weiden, sondern wir wandern auch dem Ziele der Vollkommenheit zu. Darum lesen wir weiter: Er leitet mich an den stillen Wassern. 3 Was sind diese stillen Wasser anders als die sanften Einflüsse und Gnadenwirkungen des heiligen Geistes, der darin dem Wasser vergleichbar ist, dass auch er reinigt, erfrischt, fruchtbar macht und am Leben erhält. Stille Wasser sind es, denn der heilige Geist ist ein Geist des Friedens und der Stille: Er stößt nicht prahlerisch ins Horn, wo er wirkt. Er mag sich in unsere Seele ergießen, ohne dass unser Nachbar etwas davon mitbekommt; darum mag es sein, dass unser Nachbar nichts von Gottes Nähe spürt, ja, der Geist des Herrn mag ein Herz in Strömen überfluten und doch mag der, der unmittelbar neben dem so reich Begnadeten sitzt, nichts davon merken. Stille Wasser sind tief. Nichts macht mehr Lärm als eine hohle Trommel. Wie köstlich ist die feierliche Stille, in der sich der heilige Geist den Seelen offenbart! Nicht zu den ungestümen Wogen des Streits und Haders, sondern zu den friedlichen Wassern der heiligen Liebe führt der Geist des Herrn die Schafe. Die Taube, nicht der Adler, ist sein Sinnbild; der Tau, und nicht der Wolkenbruch. Unser Hirt führt uns zu diesen stillen Wassern: wir könnten den Weg zu ihnen nicht finden. Er leitet uns sanft und sorgsam, wie der Hirt die Herde (vergl. 1. Mose 33,14; Jes. 40,11), nicht hetzt und jagt er uns. Mose treibt uns durchs Gesetz, Jesus leitet uns freundlich durch sein Vorbild und die sanfte Zugkraft seiner Liebe.

Fußnoten
1. Der bei den Griechen als Sitz der Musen gefeierte Berg.

2. 5. Mose 33,25 übersetzen die englische und andere Bibeln wörtlich. Wie deine Tage, so soll deine Kraft sein. Es hat sich in der englischen Christenheit eingebürgert, diese Worte so zu verstehen: Je nach der Schwere der Erlebnisse und Anforderungen der einzelnen Tage solle auch Kraft gewährt werden. Diese Deutung, die zu dem eisernen Bestand der englischen Christenheit gehört, sickert durch englische Bücher auch in unsere Kreise hinein, so dass mancher schon vergeblich den schönen Spruch in seiner deutschen Bibel gesucht hat. Die Verbreitung des so gedeuteten Spruchs ist gewiss an und für sich kein Schade; er enthält eine köstliche, sicherlich biblisch zu begründende und in der Erfahrung der Gläubigen sich bestätigende Wahrheit, wenn auch kein Schriftwort sie gerade so ausspricht. (Man vergl. etwa Jes. 40,29; 2. Chr. 16,8 f.; Ps. 138,3; 1.Kor. 10,13; 2.Kor. 12,9 f.; Eph. 6,13; Phil. 4,13.) Freilich, wenn das Wort so hieße, wie es Spurgeon wohl ganz unbewusst ändert: "Wie dein Tag (Einzahl), so deine Kraft, dann wäre jene Deutung richtig. Da aber von den Tagen die Rede ist, wird Luthers freie Übersetzung: "Dein Alter sei wie deine Jugend" den Sinn des Grundtextes treffen. Vergl. Kautzschs Übers.: "Und solange du lebest, währe deine Kraft", und Segond: "Et que ta vigueur dura autant que tes jours".

3. So die engl. Bibel. Wir fassen dagegen mit den meisten Übersetzern: zu, und übers. nicht: stille Wasser, sondern: Wasser der Ruhe oder des Ausruhens, dann auch der Erholung, an denen die Herde sich zur Tränkzeit traulich lagert und erquickt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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3. Er erquickt meine Seele. Wenn unsere Seele von Kummer und Sorgen matt wird, belebt er sie; wenn Sünden sie drücken, heiligt er sie; wenn Schwäche sie beugt, kräftigt er sie. Er tut’s. Seine Diener vermögen es nicht, wenn er es nicht selber täte. Sein Wort als Buchstabe, ohne die lebendig machende Wirksamkeit seines Geistes, könnte solches auch nicht ausrichten. Er erquickt meine Seele, d. h. wörtlich: er führt sie zurück, nämlich zu neuer Lebenskraft. (Vergl. zu Ps. 19,8), S. 322.) Fühlst du, dass der Puls deines geistlichen Lebens nur schwach geht? Er kann ihn wieder beleben. Flehe denn zu ihm um neue Lebenskraft!
Er leitet mich in den Pfaden der Gerechtigkeit 4 um seines Namens willen. Dem Christen ist es eine Freude, dem Herrn zu gehorchen; es ist aber eben der Gehorsam aus dankbarer Liebe, wozu er sich durch das Beispiel seines Meisters verbunden fühlt: Er leitet mich. Der Christ gehorcht nicht einigen Geboten und vernachlässigt andere; er wählt nicht einige heraus, sondern leistet allen Verordnungen seines Herrn willig Folge. Man beachte, dass die Mehrzahl gebraucht ist: die Pfade oder Spuren der Gerechtigkeit. Was immer Gott uns tun heißt, das tun wir gerne; leitet uns doch seine Liebe. Manche Christen übersehen es, welches Glück in der Heiligung liegt, und doch ist einem von Grund aus erneuerten Herzen gerade die Heiligung eine der köstlichsten Bundesgnaden. Wenn es uns auch möglich wäre, von dem zukünftigen Zorn erlöst zu werden und dabei unwiedergeborene, unbußfertige Sünder zu bleiben, so wäre eine solche Erlösung nicht nach unserem Wunsch; denn wir sehnen uns vor allem danach, von der Sünde erlöst (Mt. 1,21) und auf den Weg der Heiligkeit gebracht zu werden. Alles dies geschieht rein aus freier Gnade: um seines Namens willen . Die Ehre unseres großen Hirten ist das Ziel, um dessentwillen wir ein heiliges Volk sein und auf dem schmalen Pfade der Gerechtigkeit wandeln sollen. Lasst uns nicht versäumen, die Fürsorge unseres himmlischen Hirten anzubeten, die uns dazu führt.

4. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück: denn Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Dieser unvergleichlich köstliche Vers ist an unzähligen Sterbebetten schon gesungen worden und hat dazu beigetragen, das "finstere Tal" licht zu machen. Jedes Wort birgt einen Reichtum tiefer Bedeutung in sich. Ob ich schon wanderte -- es ist, als beschleunigte der Gläubige seinen Schritt nicht im mindesten in Hast und Unruhe, wenn es zum Sterben geht, sondern als setzte er ganz ruhig seine Wanderschaft an Gottes Hand fort. Wandern bezeichnet den gemessenen Schritt einer Seele, die ihren Weg kennt, weiß, wohin er führt, und darum entschlossen ist, den Pfad bis an sein Ziel zu verfolgen; die sich ganz sicher fühlt und daher vollkommen ruhig und gesammelt ist. Das sterbende Gotteskind ist nicht in Aufregung; es rennt nicht, als wäre es in Schrecken, noch steht es still, als wollte es nicht weiter; es ist weder bestürzt, noch beschämt; darum hält es den gewohnten Schritt ein. Es geht ja nur durchs finstere Tal, wir bleiben nicht darin. Wir wandern durch die dunkle Schlucht des Todes und treten plötzlich in das helle Licht der Unsterblichkeit. Wir sterben nicht, sondern legen uns nur schlafen, um in der Herrlichkeit zu erwachen. Der Tod ist nicht das Haus, sondern die Vorhalle; nicht das Ziel, sondern der Durchgang, der dazu führt. Das Sterben wird hier ein Wandern durch ein Tal genannt. Auf den Bergen bricht der Sturm los, aber das Tal ist der Ort der Stille: So sind oft die letzten Tage und Stunden des Christen die friedevollsten seines ganzen Lebens. Die Bergeshöhen sind rauh und kahl; aber das Tal ist voller goldner Garben: So hat auch mancher Jünger des Herrn mehr Freude und Erkenntnis eingeheimst, als es zum Sterben ging, als je in seinem Leben. Sodann heißt es nicht: das Tal des Todes, sondern: das Tal des Todesschattens 5 -- das ist uns köstlich, die wir wissen, dass der Tod in der Tat seinem Wesen nach abgetan und nur sein Schatten übrig geblieben ist. Einer hat gesagt, wo Schatten sei, da müsse auch Licht sein; und so ist es hier. Der Tod steht an der Seite der Straße, die wir zu wandeln haben, und das himmlische Licht, das auf den Tod strahlt, wirft dessen Schatten auf unsern Pfad; lasst uns also fröhlich sein, dass jenseits des Todes das Licht scheint. Kein Mensch fürchtet sich vor einem Schatten; denn ein Schatten kann niemand auch nur für einen Augenblick den Weg versperren. Der Schatten eines Hundes kann nicht beißen, der Schatten eines Schwertes kann nicht töten, der Schatten des Todes kann uns nicht verderben; darum lasst uns vor ihm keine Furcht hegen. Fürchte ich kein Unglück. (Buchstäblich: fürchte ich nichts Böses.) David sagt nicht, es werde in jenem dunkeln Tal nichts Böses sein; aber er fürchtet es nicht. Der Christ weiß, dass Jesus allen Gefahren die Spitze abgebrochen hat; ja, selbst die Furcht, jener Schatten des Unheils, mag völlig verschwinden. Die schlimmsten Übel sind diejenigen, die gar nicht vorhanden sind, außer in unserer Einbildung. Wenn wir uns an den wirklichen Übeln genug sein ließen, würden wir nicht den zehnten Teil der Sorgen haben, die uns jetzt bedrücken. Wir erleiden tausend Tode, indem wir den einen fürchten; David aber war von dem Übel der Furcht geheilt. Der Glaube spricht: Nicht fürcht’ ich Böses -- auch nicht den Bösen selber; ich will mir vor dem letzten Feind nicht grauen lassen, sondern auf ihn als einen überwundenen, der Vernichtung anheim gegebenen Widersacher herabsehen, denn Du bist bei mir. Das ist’s, was den Christen so fröhlich macht: Du bist bei mir. Das Kindlein dort draußen auf sturmbewegter See wird nicht von Angst gepeinigt wie all die andern Reisenden an Bord. Es schlummert süß in seiner Mutter Schoß, es ist ihm genug, dass seine Mutter bei ihm ist; und es sollte dem Gläubigen genug sein zu wissen, dass Christus bei ihm ist. Du bist bei mir und weil ich Dich habe, habe ich alles, was ich nur wünschen kann; ich habe überreichen Trost und bin unbedingt sicher, weil Du bei mir bist. Dein Stecken und Stab, womit du deine Herde leitest und beschützest, sie, die Sinnbilder deiner Oberhoheit und deiner liebreichen Fürsorge, trösten mich. Ich will’s glauben, dass du mich auch jetzt, im dunkeln Tal, leitest. Dein sanfter Hirtenstab waltet über mir; kein Feind wird mich überwältigen, kein Unglück mich befallen können.
Manche Leute sagen, dass ihnen die Hoffnung, nicht sterben zu müssen, viel Trost gewähre. Sicherlich wird es etliche geben, die da "leben und überbleiben auf die Zukunft des Herrn (1.Thess. 4,15); aber bietet es wirklich so viele Vorzüge, vom Tode verschont zu werden, dass der Christ das zum Gegenstand seines sehnlichen Verlangens machen soll? Ein weiser Mann könnte von den beiden wohl das Sterben wählen; denn diejenigen, die nicht entschlafen, sondern bei dem Ton der letzten Posaune verwandelt werden, werden in gewisser Hinsicht eher etwas verlieren als gewinnen: Sie gehen der Ähnlichkeit mit Christus im Grabe verlustig, die die sterbenden Gläubigen genießen, und Paulus bezeugt an jener Stelle ausdrücklich, dass sie denen, die schlafen, nicht zuvorkommen, also vor ihnen keinen Vorzug haben werden. Lasst uns die Gesinnung eben jenes Knechtes Christi teilen, der gesagt hat: Sterben ist mir Gewinn (Phil. 1,21), und lasst uns mit ihm Lust haben abzuscheiden und bei Christus zu sein, was viel besser ist (V. 23). Unser Psalmvers ist nicht alt und abgenutzt; er klingt dem Gläubigen noch heute so lieblich ins Ohr, wie zu Davids Zeiten, mögen Leute, die nach Neuem haschen, sagen, was sie wollen.

5. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Der gute Mensch hat Feinde. Er wäre seinem Herrn nicht ähnlich, wenn er keine hätte. Wäre jedermann mit uns gut Freund, so hätten wir wohl Ursache, zu fürchten, dass wir zu Gottes Freunden nicht gehören; denn der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft (Jak. 4,4). Sieh aber, wie ruhig der Gottesfürchtige trotz seiner Feinden, ja angesichts derselben ist. Wie erquickend ist es, diese ruhige Tapferkeit wahrzunehmen! Du bereitest vor mir einen Tisch. Wenn der Krieger die Feinde vor Augen hat, lässt er die Speise unberührt oder wenn er isst, verschlingt er doch nur hastig einige Bissen und eilt in den Kampf. David aber sagt: Du bereitest vor mir einen Tisch -- gerade wie in stiller Friedenszeit die Magd zu einem häuslichen Fest das Damasttuch auf dem Tisch ausbreitet und die Tafel zurichtet. Da ist keine Eile, keine Verwirrung, keine Störung. Der Feind ist vor der Tür; dennoch bereitet Gott den Tisch und der Christ setzt sich an Gottes Tafel und genießt der Speise, als ob alles lauter Friede wäre. Wie köstlich ist die Seelenruhe, die der treue Bundesgott den Seinen auch inmitten der trübsten Umstände verleiht! Mag die ganze feindliche Welt in Waffen starren, in den Hütten der Gerechten ist der Friede Gottes.
Du salbest mein Haupt mit Öl. 6 Mögen wir täglich im Genuss dieses Segens leben, eine frische Salbung für die Pflichten jedes Tages zu empfangen. Jeder Christ ist ein Priester; aber ohne Salbung kann er seines Priesteramts nicht walten. Darum müssen wir Tag für Tag zu Gott dem heiligen Geiste nahen, dass unser Haupt mit heiligem Öl gesalbt werde. Ein Priester ohne Salböl entbehrt des allerersten Erfordernisses für sein Amt; und der Priester des neuen Bundes ermangelt der Hauptbedingung zur Tauglichkeit für den Dienst Gottes, wenn er nicht stets mit neuer Gnade von oben gesalbt wird.
Und schenkst mir voll ein -- und mehr als das; denn der Grundtext lautet wörtlich: Mein Becher ist Überfluss. David hatte nicht nur genug, sondern mehr als genug; sein Becher war nicht nur voll, er floss über . Das kann der Arme, der an Gottes Tisch sitzt, ebenso sagen wie der Reiche. "Wie, all dies und Jesus Christus dazu?", sagte die Bewohnerin einer armseligen Hütte, während sie ein Stück trockenen Brots zu einem Becher kalten Wassers genoss. Ein anderer mag noch so reich sein, -- ist er unzufrieden, so kann sein Becher doch nicht überlaufen, denn er hat einen Sprung und leckt. Zufriedenheit ist der Stein der Weisen, der durch seine Berührung alles in Gold verwandelt; glücklich, wer ihn gefunden hat. Zufriedenheit ist mehr als ein Königreich; es ist ein anderes Wort für Glückseligkeit.

6. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Dies ist eine Tatsache, die eben so unbestreitbar als ermutigend ist; darum ist ein Fürwahr oder Wahrlich als himmlisches Siegel darauf gedrückt. 7 Wir mögen den Satz aber auch lesen: Nur Gutes und Barmherzigkeit usw.; denn Gnade und nichts als Gnade wird der Inhalt der ganzen Geschichte unseres Lebens sein. Glück und Gnade, diese beiden Zwillingsengel, werden mich allezeit geleiten und mir auf Schritt und Tritt folgen. Wenn Fürsten sich irgendwohin begeben, gehen sie nie ohne Gefolge; so ist es mit dem Gläubigen. Gutes und Barmherzigkeit folgen ihm allezeit -- alle Tage seines Lebens (wörtl.), sie geleiten ihn schützend und segnend sowohl an dunkeln als auch an heiteren Tagen, an Fasttagen wie an Festtagen, sowohl in der trüben Winterzeit als auch im lichten Sommer. Das Glück folgt uns, so dass alles Gute uns in den Schoß fällt, und die Barmherzigkeit tilgt unsre Sünden. Und werde bleiben 8 im Hause des Herrn immerdar. Der Knecht bleibt nicht ewig im Hause; der Sohn bleibt ewig. (Joh. 8,35 .) Solange ich auf dieser Erde bin, will ich als Kind im Hause meines Vaters daheim sein: die ganze Welt ist für mich sein Haus. Und wenn ich einst in das himmlische Gemach da droben einziehe, werde ich meine Gesellschaft nicht ändern, ja nicht einmal das Haus wechseln: Ich werde nur ins höhere Stockwerk des Hauses Gottes ziehen, um da zu bleiben immerdar.
Möge Gott uns Gnade schenken, allezeit in der heitern Himmelsluft dieses Psalms zu bleiben.

Fußnoten
4. Die engl. Bibel fasst nach dem Vorgang des Hieronymus Gerechtigkeit hier im sittlichen Sinn. Ebenso Schiltz-Keßler. Damit würde aber das Bild durchbrochen. Die meisten Ausleger halten es daher mit Luthers Fassung: auf rechter Straße. Vergl. die Erläut. u. Kernworte S. 429 f.

5. twemfl:ca bedeutet allerdings nach der Punktation der Masora Todesschatten. So übersetzen denn auch die engl. Bibel und alle alten Übersetzungen. Doch ist es auch dann bildliche Bezeichnung des tiefsten Dunkels, und es ist daher bei diesem Vers nicht ausschließlich ans Sterben zu denken. Die meisten Neueren halten, entgegen der allgemeinen Tradition, dafür, das Wort sei ursprünglich kein Kompositum, sondern = tWml:ca, von Mlacf finster sein, womit Luthers Übersetzung übereinkommt.

6. Spurgeon bezieht dies irrtümlich auf die priesterliche Salbung, gegen den Wortlaut (da dann x$mf stehen müsste), sowie gegen den Zusammenhang. Es ist hier offenbar von der jedem festlichen Mahl im Morgenland vorausgehenden (daher das Perf.) Salbung der Gäste mit wohlriechendem Öl die Rede. Vergl. 45,8; 104,15; Lk. 7,46 usw. Unmissverständlich ist die wenig poetische, aber wortgetreue Übersetzung Luthers 1524: Du machest mein Haupt fett mit Öle.

7. Der Grundtext lautet: Ja, Gutes usw. Andere nehmen das K)a hier in einschränkender Bedeutung: Nur Gutes u.

8. Es ist fraglich, ob die hebr. Form auf bW$, zurückkehren, oder auf b$ayf, wohnen, zurückzuführen ist. Delitzsch u. Bäthgen fassen den vorliegenden Text als prägnante Konstruktion auf: Und ich werde zurückgekehrt bleiben im Hause u. Andere übersetzen: und mein Wohnen wird sein u.; doch müsste es dann ytIib:$iw: heißen. Schon früh (vergl. Hieron.: et habitabo) sah man in ytIib:$aw: eine Verstümmelung von ytIib:$ayfw:::: und ich werde wohnen u.; und diese Deutung bleibt die Wahrscheinlichste.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Von allen Psalmen, die David hinterlassen hat, ist keiner lieblicher als dieser kurze dreiundzwanzigste, den wir die Nachtigall unter den Psalmen nennen. Wie diese ist er klein, von schlichtem Äußern, fern allem Prunk und Prahlen; aber er hat die ganze Welt erfüllt mit seinen süßen Klängen, die nicht Ohr und Gemüt allein ergötzen, sondern das Herz laben. Gesegnet sei der Tag, als dieser Psalm geboren wurde! Er ist ein singender Engel, den Gott in alle Lande gesandt hat und der durch seine liebliche Weise, die in allen Sprachen der Welt ertönt, alles Erdenleid hinwegsingt. Er hat mehr bekümmerte Seelen in süßen Schlummer gesungen als all die leidigen Trostsprüche der Weisheit dieser Welt. Er hat mehr treulose Gedanken, mehr finstere Zweifel, mehr diebische Sorgen in ihren Kerker zurückgeschickt, als es Sand am Ufer des Meeres gibt. Er hat ganze Scharen von edeln Duldern getröstet und unzähligen Unglücklichen Mut ins Herz gesungen. Er hat ach wie vielen Kranken auf ihrem Siechbett, Gefangenen im Kerker, Witwen in ihrem nagenden Kummer, Waisen in ihrer Vereinsamung den milden Balsam göttlichen Trostes ins verwundete Herz geträufelt. Sterbenden Kriegern hat er den Tod versüßt, grausige Stätten des Elends sind durch ihn mit Himmelslicht erfüllt worden. Auch ist das Werk dieses himmlischen Boten noch nicht vollbracht. Er wird auch euern und meinen Kindern und wiederum deren Kindern von Geschlecht zu Geschlecht mit seinem wunderbaren Gesang das Herz stärken und wird sein Lied nicht enden, bis der letzte Erdenpilger sicher am Ziel ist und die Zeit ein Ende hat; und dann wird er zu Gott zurückkehren, von dem er ausgegangen ist, und dort wird sein Lied, doch nun ins Himmlische verklärt, wieder ertönen und sich mit all den Freudenchören vereinigen, von denen der Himmel auf ewig widerhallen wird. Henry Wurde Beecher 1862.

Der Kirchenvater Augustinus († 430) soll einst im Traum den 119. Psalm als Baum des Lebens mitten im Paradiese Gottes geschaut haben. Dieser 23. Psalm mag mit den lieblichsten Blumen, die um diesen Baum des Lebens wachsen, verglichen werden. Der vorhin genannte ist die Sonne inmitten der Sterne genannt worden; dieser ist fürwahr dann dem schönsten der Sternbilder gleich zu stellen. John Stoughton 1860.

Manche frommen Seelen beunruhigen sich darüber, dass sie sich der Sprache dieses Psalms nicht zu allen Zeiten, oder nicht einmal oft, mit ganz ungetrübter Freude bedienen können. Solche mögen sich erinnern, dass David in seinem langen Leben nur einen dreiundzwanzigsten Psalm gedichtet hat. Manche seiner Gesänge sind allerdings eben so beredete Zeugnisse seines starken Glaubens wie dieser und der Glaube kann auch im Dunkeln wandeln. Aber wo finden wir sonst bei ihm einen ganzen Psalm, der von Anfang bis zu Ende so unvermischt Zuversicht, Freude und Siegesgewissheit zum Ausdruck brächte, wie dieser? Gottes Kinder haben ihre Zeiten der Dunkelheit, so gut wie ihre Zeiten des Frohlockens. D. William S. Plumer. 1867.

Auch David ist nicht allezeit fröhlich gewesen, auch er hat nicht alle Stunden singen können: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Es hat ihm zuweilen nur viel, ja schier allzu viel gemangelt, dass er weder Gerechtigkeit, Gottes Trost und Hilfe, sondern eitel Sünde, Gottes Zorn, Schrecken, Zagen, der Höllen Angst usw. gefühlt hat, wie er in vielen Psalmen klagt. Doch gleichwohl wendet er sich von seinem Fühlen und ergreift Gott bei seiner Verheißung und gedenkt: Es stehe um mich, wie es kann, so ist doch das meines Herzens Trost, dass ich einen gnädigen, barmherzigen Herrn habe, der mein Hirte ist, dessen Wort und Zusage mich stärkt und tröstet; darum wird mir nichts mangeln. Das ist die güldene Kunst, sich an Gottes Wort und Zusage halten, nach derselbigen und nicht nach des Herzens Fühlen urteilen; so soll gewiss Hilfe und Trost folgen und gar an nichts mangeln. Martin Luther 1536.

Die begnadigten Stimmen der Blutzeugen im Kolosseum zu Rom sind längst verhallt; aber noch zeugen in den dunkeln Gängen der Katakomben zu Rom die häufig wiederkehrenden Gestalten des guten Hirten, der grünen Auen mit ihrem Frühlingsschmuck und die Grabschriften ergreifender Glaubensfreudigkeit davon, welche Wirkung der 23. Psalm auch unter den Schatten des Todes ausübte. Otto Strauß 1859.

V. 1. Mögen andere sagen: "Meine Güter, mein Handel werden mich versorgen, darum wird mir nichts mangeln"; mag der Krieger auf sein Schwert und der Arbeiter auf seine Faust, der Künstler auf seine Kunst und der Gelehrte auf seine Bücher sein Vertrauen setzen und sprechen: "Die werden mich erhalten, darum wird mir nichts mangeln"; wir aber wollen freudig bekennen: "Der Herr ist mein Hirte; darum wird mir nichts mangeln ". Wer das in Wahrheit sagen kann, schätzt das Übrige gering; hingegen wer etwas außer Gott begehrt, kann nicht der Wahrheit gemäß sagen, der Herr sei sein, sei sein Hirte, sein Versorger und Führer, darum werde ihm nichts mangeln. John Hull 1617.

Der Mann hat geistliche Augen gehabt; darum hat er wohl gesehen was das beste und edelste Gut auf Erden ist. Er rühmt sich seiner königlichen Herrlichkeit und Gewalt nicht. Er erkennt wohl, dass solche Güter Gottes Gaben sind. Er läuft nicht davon und lässt es liegen, sondern gebraucht sie zu Gottes Ehren und dankt ihm dafür. Davon aber rühmt er am allermeisten, dass der Herr sein Hirte und er in seiner Weide und Hut ist, das ist, dass er Gottes Wort hat. Der Wohltat kann er nimmermehr vergessen, redet gar herrlich und mit großen Freuden davon und preist es weit über alle Güter auf Erden. Und tut dasselbige in vielen Psalmen. Die Kunst sollen wir auch lernen, nämlich, die Welt immerhin lassen rühmen von großem Reichtum, Ehre, Gewalt usw. Denn es ist doch eine lose, ungewisse, vergängliche Ware, die Gott preisgibt. Es ist ihm eine schlechte Sache, dass er einem bösen Buben, der ihn zu Lohn dafür lästert und schändet, ein Königreich, Fürstentum oder sonst Ehre und Gut auf Erden gibt. Es sind seine Kleien und Treber, damit er den Säuen den Bauch füllt, die er schlachten will. Seinen Kindern aber, wie David hier davon redet, gibt er den rechten Schatz. Martin Luther 1536.

Es kommt nur zu leicht, dass wir, wenn wir Friede und Freude haben, Gott vergessen. Ja, die meisten Menschen macht das Glück nicht nur trunken und maßlos übermütig, sondern auch stolz und frech gegen Gott. Kaum der hundertste Teil versteht es, sich beim Genuss der göttlichen Wohltaten zu mäßigen und sich in der Furcht Gottes zu halten. Um so mehr Beachtung verdient daher das Beispiel Davids, der auf dem höchsten Gipfel der Würde, im Glanz des Reichtums und der Ehre, beim größten Überfluss, unter den Freuden des Hofes nicht nur bekennt, dass er Gottes gedenkt, sondern auch seine Wohltaten als Leiter benutzt, um näher an ihn heranzukommen. Jean Calvin † 1564.

Der Herr ist mein Hirte. Das ist ein Wort eines überaus reichen und vollen Glaubens; wer auch das glaubte, der würde sich um zeitliche Nahrung und Friede dieser Welt nichts bekümmern. Er ist der Hirte, spricht er, ich bin sein Schäflein. Martin Luther 1530.

Es ist merkwürdig, dass die beiden, die sich zuerst des Bildes vom Hirten bedienen, Jakob (1. Mose 48,15; 49,24) und David, durch ihre persönlichen Verhältnisse auf dasselbe geführt wurden. Durch sie eingebürgert, wurde es dann auch von andern gebraucht, so von Jesaja 40,11; Hesekiel 34,13 ff., Micha 7,14 und in Ps. 80,2; 95,7. Prof. D. E. W. Hengstenberg 1843.

Die spätere Prophetie verkündigt die sichtbare Parusie (Zukunft) dieses Hirten. Ist sie geschehen, so findet das "Der Herr ist mein Hirte" aus Menschenmunde das trauliche Echo: "Ich bin der gute Hirte" (Joh. 10,12). Prof. D. Franz Delitzsch † 1890.

Man hat uns Christus nicht so freundlich vorgemalt, wie es die lieben Propheten, Apostel und Christus selbst tun; sondern man hat uns ihn so gräulich gebildet, dass wir uns mehr vor ihm gefürchtet haben als vor Mose, auch nicht anders gemeint, Moses Lehre wäre viel leichter und freundlicher als Christus’ Lehre. Daher wussten wir nicht anders, Christus wäre ein zorniger Richter, dessen Zorn wir mit guten Werken und heiligem Leben versöhnen und dessen Gnade wir durch Verdienst und Fürbitte der Heiligen erlangen müssten. Das heißt nicht allein schändlich gelogen, die armen Gewissen jämmerlich betrogen, sondern auch Gottes Gnade aufs Höchste geschändet. Martin Luther 1536.

Aus dem Bilde mögen wir im Allgemeinen die Lehre entnehmen, dass es dem begnadigten Menschen eigentümlich ist, in der einen oder andern Weise aus früheren Lagen geistlichen Nutzen zu ziehen. David war selber einst Hirte gewesen; so erkennt er jetzt in dem Herrn seinen Hirten. Was David seiner Herde gewesen war, wie er sie behütet und treu gegen den Löwen und den Bären verteidigt (1. Samuel 17,34 ff.) und vor allem, was sie sonst hätte schädigen können, beschützt und sie sorgsam auf die Weide und zum Tränkort geführt hatte, alle diese Fürsorge, und größere, nimmt er in des Herrn Verhalten gegen ihn wahr. Begnadigte Herzen gewinnen aus allem geistliche Unterweisung; es kann auch nicht anders sein, denn solche werden von Gottes Geist regiert und durch ihn zu einem geistlichen Gebrauch aller Dinge angeleitet. Samuel Smith 1625.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Mein Hirte. Möge dieser süße Name solche, die bisher noch nie geschmeckt haben, was es ist, an Jesus’ Herzen zu ruhen, die bisher weder Lämmer noch Schafe in Christi Herde gewesen sind, überreden, die zarte Liebe dieses Hirten zu betrachten und zu ihm zu eilen. Satan macht allerdings eine süße Miene, um dich in die Sünde zu locken: aber zuletzt wird er mit dir hart verfahren. Er, der dich jetzt mit Sirenengesang anzieht, wird dich am Ende wie ein Löwe zerreißen. Christus dagegen scheint wohl hart, indem er dich von der Sünde zurückhält und deinen Weg mit Dornen umzäunt; aber er wird sich dir gar freundlich erzeigen, ungeachtet all deiner Sünden, wenn du zu ihm kommst. Du siehst, wie Christi Herde von allen Seiten mit Hecken und Zäunen umgeben ist, um sie vor Sünde zu bewahren, und das hält dich davon ab, dich ihr anzuschließen; aber lass dich nicht dadurch zurückhalten. Christus will allerdings nicht, dass eines seiner Schäflein seiner Hut entlaufe. Wollen sie es auch nicht, dann ist’s gut. Wenn sie aber in die Irre gehen, dann holt er sie zurück, wohl gar mit seinem Schäferhund. (d.i. durch Trübsal); aber er selbst bleibt der freundliche, gute Hirt. O dass noch viele zu seiner Herde kämen! John Durant 1652.

Mein Hirte: Das Wort umfasst alle Pflichten eines guten Hirten, wie das Weiden, Führen, Regieren und Verteidigen der Herde. Henry Ainsworth † 1622.

Eine Eigenschaft eines guten Hirten ist die, dass er seine Schafe kennt. Eben dieses bezeugt Christus von sich: Ich kenne sie, und sie folgen mir (Joh. 10,27). Ja gewiss, er, der das Heer der Sterne bei der Zahl herausführt und sie alle mit Namen ruft (Jes. 40,26), ja auch die Haare auf unserm Haupte alle zählt, er nimmt jedes seiner Kinder, der "Schafe seiner Weide" (Ps. 100,3) in seine besondere Obhut, sorgt für sie und beschützt sie vor allen Gefahren. Zweitens muss ein guter Hirt es verstehen, seine Schafe auf die rechte Weide zu führen, wo sie gedeihen und wachsen können. Ein rechter Hirt lässt seine Schafe nicht auf dürrem oder verdorbenem Grase weiden; er führt sie auf grüne Auen. Drittens hält der gute Hirte über die Schafe sorgsam Wacht, da er weiß, dass sie sich so leicht verlaufen wie kein anderes Tier; und wenn sich eins verloren hat, bringt er es zurück. Das ist es ja gerade, was der Herr an armen verirrten Seelen tut. Viertens ist dem guten Hirten an den Schafen gelegen; er tut sein Bestes für sie. Sollte das bei Christus weniger der Fall sein, der es dem Petrus dreimal so ernstlich einschärfte, seine Schafe zu weiden? Fünftens ist der treue Hirt bereit, seine Schafe zu verteidigen. Siehe Joh. 10,12.28. Sechstens sorgt der Hirt ganz besonders für die Kranken und Schwachen und für die Kleinen in seiner Herde: er trägt sie wohl gar auf den Armen. An zarter Liebe lässt es unser Hirt fürwahr nicht fehlen, siehe Jes. 40,11. Endlich ist es dem guten Hirten nicht anders möglich, als dass er sich freut, wenn ein verirrtes Schäflein wieder heimgebracht ist. So freut der Herr sich über die Bekehrung des Sünders (Lk. 15). Samuel Smith 1625.

Ich beobachte, dass sich einige Schafe der Herde ganz nahe zum Hirten halten und ihm ohne das geringste Zögern folgen, wo immer er hingeht, während andere nach rechts und links umherschweifen oder weit zurückbleiben. Oft wendet sich der Hirte nach diesen um und schilt sie in scharfem, strengem Ton oder wirft ihnen einen Stein nach. Eben sah ich, wie er eins so traf, dass es hinkte. Auch das ist dem guten Hirten nicht so ganz unähnlich. In der Tat reite ich nie über diese mit Schafen bedeckten Hügel, ohne über dies köstliche Thema nachzusinnen. Unser Heiland sagt, der gute Hirte gehe, wenn er seine Schafe aus der Hürde ausgelassen, vor ihnen her, und sie folgten ihm (Joh. 10,4). Das entspricht ganz dem, was ich hier beobachte. Die Schafe sind so zahm und so gut gezogen, dass sie ihrem Hirten mit der großen Lenksamkeit folgen. Er führt sie aus der Hürde oder aus dem Stall im Städtchen ganz, wohin er will. Da es an solchen Orten wie diesem viele Herden gibt, geht jeder Hirt nach einer andern Richtung und seine Aufgabe ist es, gute Weide für die Schafe zu finden. Es ist daher durchaus nötig, dass diese dazu erzogen seien, ihm zu folgen und nicht in die Kornfelder abzuschweifen, die sich rechts und links so verlockend darbieten. Jedes Schaf, das so abirrt, kommt sicher in irgendwelche Gefahr. Der Hirt stößt von Zeit zu Zeit einen durchdringenden Ruf aus, um die Schafe an seine Gegenwart zu erinnern. Sie kennen seine Stimme und folgen ihr; wenn dagegen ein Fremder ruft, bleiben sie plötzlich stehen und heben bestürzt die Köpfe in die Höhe und wenn der Ruf sich wiederholt, wenden sie sich um und fliehen; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht. Auch dieser Zug des Gleichnisses (Joh. 10,5) ist nicht dichterische Ausschmückung, sondern einfache Tatsache. Ich habe wiederholt die Probe darauf gemacht. Der Hirt geht vor den Schafen her, nicht nur, um ihnen den Weg zu zeigen, sondern auch, um zu sehen, ob dieser gangbar und sicher ist. Er ist bewaffnet, um seine Herde zu verteidigen, und beweist darin große Tapferkeit. Es kommen viele Abenteuer mit wilden Tieren vor, die den von David 1. Samuel 17,34-36 berichteten nicht unähnlich sind, und zwar in eben diesen Bergen; denn wenn es hier auch keine Löwen mehr gibt, so doch Wölfe in Menge und in den einsamen Wadis lungern grimmige Leoparden und Panther auf Beute. Nicht selten greifen sie die Herde sogar in Gegenwart des Hirten an und er muss daher jeden Augenblick zum Kampf bereit sein. Ich habe mehr denn einmal mit der größten Spannung den malerischen Schilderungen dieser Hirten von den gefährlichen und verzweifelten Kämpfen mit diesen Bestien zugehört. Und wenn Diebe und Räuber kommen (und sie kommen!), so muss der treue Hirte oft sein Leben wagen, um seine Herde zu verteidigen. Es ist mehr als ein Fall zu meiner Kenntnis gekommen, wo der Hirt sein Leben tatsächlich in dem Kampfe lassen musste. So hielt letztes Frühjahr solch ein treuer Bursche, statt zu fliehen, gegen drei räuberische Beduinen tapfer stand, bis sie ihn mit ihren Säbeln buchstäblich in Stücke zerhauen hatten und er mitten unter seiner Herde starb. Manche Schafe halten sich stets in der unmittelbaren Nähe des Hirten und sind seine besonderen Lieblinge. Jedes von ihnen hat seinen Namen, auf den es mit Freuden hört, und der zärtliche Hirte hat für sie immer irgendeinen Leckerbissen, den er besonders ausgesucht hat. Diese Schafe sind so recht ein Bild des Glücks und der Zufriedenheit. Sie sind in keiner Gefahr verloren zu gehen oder in irgendein Unglück zu geraten, noch kommen ihnen wilde Tiere oder Räuber nahe. Die große Masse aber sind leider die reinen Weltlinge, die nur auf ihr Vergnügen und ihren egoistischen Nutzen bedacht sind. Sie laufen von einem Strauch zum andern, um von allem zu naschen und Leckerbissen zu suchen, und heben nur je und dann den Kopf auf, um zu sehen, wo der Hirt, oder vielmehr wo die große Masse der Schafe ist, damit sie sich nicht so weit entfernen, dass sie dadurch ihresgleichen auffällig werden oder sich gar einen Verweis vom Hirten holen. Andere wiederum sind ohne Rast und Ruhe, springen in jedes Feld, klettern in die Büsche oder in niederhangende Bäume, wodurch sie oft einen bösen Fall tun und sich die Glieder brechen. Diese bereiten dem Hirten unendliche Mühe. D. W. M. Thomson, Palästinas Land und Leute, 1859.

Während wir so dasaßen, wurden die stillen Bergabhänge um uns her auf einmal voll Leben und Lärm. Die Hirten führten ihre Herden aus den Toren der Stadt. Wir konnten von unserem Platz aus alles übersehen und wir beobachteten und belauschten die Hirten und die Herden mit nicht geringem Interesse. Tausende von Schafen und Ziegen waren da, in dichten, wirren Haufen zusammengedrängt. Die Hirten standen beieinander, bis alle herausgekommen waren. Dann trennten sie sich, indem jeder Hirt einen andern Weg einschlug und dabei einen eigentümlichen schrillen Ruf ertönen ließ, auf den die Schafe alsbald hörten. Das erste war, dass ein Schwanken, eine scheinbar planlose Bewegung in die Massen kam: dann bildeten sich Spitzen in den verschiedenen Richtungen, welche die Hirten genommen hatten, und diese Spitzen wurden länger und länger, bis sich die wirren Massen in lange Züge aufgelöst hatten. Der Anblick war mir nicht neu, doch büßte er dadurch nichts von seinem Reiz ein. Das Schauspiel war vielleicht eine der lebhaftesten Illustrationen zu jener herrlichen Hirtenrede des Herrn Joh. 10. Die Hirten hatten nichts von dem friedlichen, sanften Aussehen, das wir uns mit dem Hirtenleben verbunden zu denken gewohnt sind. Sie sahen eher aus wie Krieger, die zum Kampf ausrücken. An der Schulter hatten sie eine lange Flinte, im Gürtel steckten ein Dolch und eine große Pistole und in der Hand trugen sie eine leichte Streitaxt oder einen eisenbeschlagenen Knüttel. Solcher Art war ihre Ausrüstung und ihre feurigen Augen und der ernste, finstere Ausdruck ihrer Gesichter zeigte nur zu deutlich, dass sie jeden Augenblick ihre Waffen zu brauchen bereit waren. J. L. Porter 1867.

Mir wird nichts mangeln. Etwas nicht haben und an etwas Mangel leiden, zwischen den beiden Dingen gilt es wohl zu unterscheiden. Wir gestehen zu, dass es mancherlei gute Dinge geben mag, die das Kind Gottes nicht hat, aber nichts, was es wirklich bedarf. Wenn dies oder jenes Gute nicht in meinem Besitz ist, ich es aber nicht brauche, so ist das kein Mangel. Solange ich in den Verhältnissen, in denen ich bin, behutsam und fröhlich meinen Weg gehen kann, mangelt mir nichts, wiewohl ich keinen solchen Ballast von unnötigen Sachen auf dem Rücken habe wie andere: Mein Weniges genügt für mich und ich bin dabei wohl zufrieden. Unsere verdorbene Natur findet freilich allerlei begehrenswert und hat mehr Wünsche, als es Gott gefallen mag, zu befriedigen. Was ein Kranker verlangt und was seine Krankheit verlangt, ist zweierlei. Deine Unwissenheit, deine Ungenügsamkeit, dein stolzes und undankbares Herz mögen dich glauben lassen, dass du in einem unfruchtbaren, dürren Lande wohnst und der Herr dir wenig oder gar keine Güte erweise; aber wenn Gott dir die Augen öffnete, wie der Hagar, so würdest du Wasserquellen in der Wüste entdecken (1. Mose 21,19) und Barmherzigkeiten und Segnungen genug: -- wenn nicht viele, so doch hinreichende, wenn nicht überreiche, so doch deinen wirklichen Bedürfnissen angemessene und in jeder Beziehung deinem wahren Wohlsein dienliche. Das ist, soweit mein Urteil reicht, der rechte Sinn von Davids Versicherung: Mir wird nichts mangeln. Obadiah Sedgwick † 1658.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Nur wer die Kunst gelernt hat, Mangel zu leiden (Phil. 4,12), leidet keinen Mangel ; wer nichts entbehren kann, entbehrt viel. Ihr sagt mir, der Christ habe dies und das nötig, was gottlose Leute haben; aber ich sage euch: Man kann nicht mit mehr Recht sagen, diese Dinge mangelten ihm, als man von einem Metzger sagen könnte, es mangle ihm der Homer oder desgleichen etwas; denn des Christen Beruf und Neigung sind derart, dass er die Dinge, die ihr gewöhnlich meint, gar nicht braucht. Was er begehrt, sind die nötigen Dinge, und derer sind nicht viele. Eins ist Not und dies Eine hat er erwählt, das gute Teil (Lk. 10,42). Darum leidet er keinen Mangel, wenn er auch von all den andern Dingen nichts hätte; auch gibt es nichts, das ihn reicher machen könnte, als er schon in Jesus ist. Zachary Bogan † 1659.

Ob wir der Furcht des Mangels dadurch enthoben werden, dass wir uns der Fürsorge des guten Hirten anvertrauen, oder dadurch, dass wir unsre Zuversicht auf unsere Habe oder Geschicklichkeit setzen, das sind zwei verschiedene, ja einander entgegengesetzte Dinge. Die Zuversicht der ersteren Art erscheint dem natürlichen Menschen als etwas sehr Schwieriges, wenn nicht gar Bedenkliches und Unmögliches; dagegen das Vertrauen auf Reichtum und dergleichen erscheint ihm natürlich, vernünftig und gediegen. Es bedarf jedoch keiner umständlichen Beweisführung, um zu zeigen, dass derjenige, der sich für die Befriedigung seiner zeitlichen Bedürfnisse auf Gottes Zusage stützt, eine unendlich sicherere Grundlage unter den Füßen hat, als wer auf seine aufgehäuften Reichtümer baut. Die tüchtigsten Finanzmänner geben zu, dass bei ihren besten Geldanlagen der Vorbehalt, werde er nun ausdrücklich hinzugefügt oder als selbstverständlich stillschweigend angenommen, nicht vergessen werden dürfe: "Soweit alles Menschliche überhaupt sicher sein kann." Da denn auf Erden keinerlei unbedingte Sicherheit gegen den Mangel zu finden ist, ergibt sich mit Notwendigkeit die Folgerung, dass der der Weiseste und Klügste ist, der auf Gott vertraut. Denn wer dürfte es wagen, zu leugnen, dass die Zusagen des lebendigen Gottes unbedingt zuverlässig sind? John Stevenson 1842.

Die Schafe Christi mögen die Weide wechseln, aber sie werden nie guter Weide ermangeln. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise, und der Leib mehr denn die Kleidung? (Mt. 6,25 .) Gibt er uns das Große, sollten wir ihm dann bezüglich der kleinen Dinge misstrauen? Er, der uns zu Himmelserben gemacht hat, wird uns auch im Irdischen segnen. William Secker 1660.

Seit ich von Deiner Krankheit und der gnädigen Durchhilfe des Herrn Kunde bekommen habe, war es schon immer meine Absicht, Dir zu schreiben, um mit Dir, teure Schwester, den Herrn zu preisen und auch meinen Glauben dadurch zu stärken. Hat der Herr Dir doch Deinen Becher voll eingeschenkt in der Zeit der Trübsal. Ist das nicht in der Tat die Sprache der Schäflein Christus’: Mir wird nichts mangeln? -- darum nichts mangeln, weil der Herr mein Hirte ist ? Der Allgenugsame unser Hirt! Nichts kann zu seiner Fülle etwas hinzufügen, nichts sie vermindern. Es liegt in diesem kleinen Satz eine überschwängliche Fülle des Inhalts und ein Reichtum an Frieden, die nur Christus’ Schäflein bekannt sind. Der übrige Teil des Psalms legt eigentlich nur auseinander, was in diesem ersten Verse enthalten ist: Ruhe, Labung und Erquickung, sichere Leitung, Frieden im Tode, Triumph über die Feinde, ein überfließendes Maß von Segnungen; heitere Aussicht in die Zukunft, ewige Sicherheit im Leben und im Sterben, in Glück und Unglück, Segen im Geistlichen wie im Leiblichen, für Zeit und Ewigkeit. Ja, wir mögen im Glauben sprechen: Der Herr ist mein Hirte. Wir stehen dabei auf dem untrüglichen Grund des Wortes Gottes. Was kann uns mangeln, wenn wir dem Herrn angehören? Wir haben ein Recht, uns alle seine Fülle anzueignen. Seine Unerschöpflichkeit und Herrlichkeit sind unser Gut und Erbe. Haben wir ihn, so ist alles unser. Wir haben das ewige Leben und daneben die Verheißung, dass uns das andere alles werde hinzugegeben werden (Mt. 6,33), -- alles, was wir nach seiner weisen Einsicht nötig haben. Unser Hirt hat die Bedürfnisse seiner Schafe aus eigener Erfahrung kennen gelernt; ist er doch das Lamm Gottes geworden und wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt worden. Er kennt seine Schafe in jeder Beziehung, er kennt ihre Natur, ihre Bedürfnisse und Bedrängnisse; ist er ihnen doch in allem ähnlich geworden. Das furchtsame Schäflein hat nichts zu fürchten, weder Mangel noch Trübsal noch Schmerzen; denn stündlich wird uns gegeben werden, was wir bedürfen. "Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn trauen." (Klagl. 3,24.) -- Aus einem Briefe der Vicomtesse Theodosia A. Howard Powerscourt, 1830.

Eins der geringen Glieder der Herde Christi geriet in seinen alten Tagen in die dürftigste Armut; doch kam kein Murren über seine Lippen. Eines Tages sagte ein mildherziger Nachbar zu ihm, als sie auf der Straße zusammentrafen: "Es muss Ihnen doch jetzt recht schlecht gehen und ich kann nicht begreifen, wie ein alter Mann, wie Sie, sich selber und seine Frau erhalten kann; und doch sind Sie immer fröhlich!" "O nein", antwortete er, "es geht uns nicht schlecht. Ich habe einen reichen Vater, der lässt mich keinen Mangel leiden." "Was? Ihr Vater ist noch am Leben? Der muss aber sehr alt sein!" "O, mein Vater stirbt nie, und er sorgt immer für mich", erwiderte der Alte. Dieser betagte Christ war tagtäglich ein Kostgänger an Gottes Tisch. Es war jedermann bekannt, mit welcher Mühe er sich den notwendigsten Lebensunterhalt erringen musste; sein eigenes Zeugnis aber war, dass ihm nie an etwas fehle, was er unbedingt nötig habe. Die Zeiten der größten Not waren auch die Zeiten, da er auf die merkwürdigste Weise rechtzeitige Durchhilfe erfuhr. Als seine emsige Hand durchs Alter steif geworden war, tat ihm der Herr die milde Hand anderer Leute auf. Oft musste er von seinem dürftigen Mahl aufstehen, ohne zu wissen, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte. Aber mit David verließ er sich auf die Fürsorge seines Hirten und sprach im Glauben: Mir wird nichts mangeln ; und wie er zuversichtlich auf Gott traute, so gewiss wurden auch, auf irgendeine unerwartete Weise, seine Bedürfnisse gestillt. John Stevenson 1842.

V. 1-4. Kommt mit mir zum Fluss hinab; es gibt da Interessantes zu sehen. Jener Hirte da ist eben im Begriff, seine Herde überzusetzen; und ihr seht, dass er, gerade wie es der Heiland im Gleichnis vom guten Hirten sagt, vor den Schafen hergeht und diese ihm folgen. Allerdings nicht alle in gleicher Weise. Einige gehen furchtlos ins Wasser und kommen ganz gerade hinüber. Das sind die Lieblinge des Hirten, die ihm hart auf dem Fuße folgen, sei es, dass sie gemächlich durch die grünen Auen und an den stillen Wassern hinziehen, sei es, dass sie auf den Bergen weiden oder endlich in der Mittagshitze unter dem Schatten mächtiger Felsen ruhen. Und jetzt gehen andere in den Fluss, aber mit Furcht und Zagen. Fern von ihrem Hirten verfehlen sie die Furt und werden, die einen mehr, die andern weniger, vom Strom hinabgetrieben. Doch kämpfen sie sich, eins nach dem andern, durch die Fluten und kommen glücklich aus Land. Bemerkst du die kleinen Lämmer dort? Sie wollen durchaus nicht in den Fluss und müssen schließlich von dem Schäferhund (Hiob 30,1) hineingetrieben werden. Die armen Dinger! Wie sie vor Schrecken im Wasser aufspringen und unfreiwillig untertauchen und jämmerlich blöken! Jenes schwache Lämmchen dort wird gewiss ganz vom Strom fortgerissen werden und in den Fluten umkommen. Doch nein; der Hirt springt selber in den Strom, ergreift es, hebt es auf seine Arme und trägt das arme zitternde Geschöpfchen aus Ufer. Nun sie aber alle glücklich drüben sind, wie glücklich sehen sie aus! Die Lämmer hüpfen und springen lustig, während die älteren Schafe sich um ihren treuen Führer sammeln und in stiller und doch beredter Dankbarkeit zu ihm aufschauen. Wäre es möglich, eine solche Szene zu beobachten, ohne an den Hirten Israels zu denken, der Josephs hütet wie der Schafe (Ps. 80,2), und an den Strom, durch welchen alle seine Schafe hindurch müssen? Auch er geht vor den Schafen her, und gerade wie bei dieser Herde fürchten die, die sich nahe zu ihm halten, kein Unglück . Sie hören seine freundliche Stimme zu ihnen sagen: So du durch Wasser gehest, will Ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersaufen (Jes. 43,2). Sie haben ihren Blick unverwandt auf ihn gerichtet und sehen kaum den Strom, noch fühlen sie seine kalten, drohenden Wogen. W. M. Thomson, Palästinas Land und Leute, 1859.

V. 1-5. Der Prophet gibt dem Worte Gottes mancherlei Namen: heißet es ein fein lustig grünes Gras, ein frisches Wasser, einen richtigen Weg, einen Stecken, Stab, Tisch, Balsam oder Freudenöl, und einen Becher, der stets voll eingeschenkt ist. Und tut solches nicht vergebens; denn die Kraft des Wortes Gottes ist auch mancherlei. Denn gleichwie ein Schäflein in einer schönen, lustigen Aue, bei grünem Gras und kühlem Wasser, in Gegenwärtigkeit seines Hirten, der es mit dem Stecken oder Rute leitet, dass es nicht irre, und mit dem Stabe wehrt, dass ihm kein Leid widerfahre, in aller Sicherheit seine Weide und Luft hat, oder wie einem Menschen, der an einem Tische sitzt, da Essen, Trinken und allerlei Trost und Freude überflüssig ist, gar nichts mangelt: also vielmehr, die dieses Hirten Schafe sind, haben keinen Mangel an irgendeinem Gute (Ps. 34,11), sind reichlich versorgt, nicht allein an der Seele, sondern auch am Leibe, vergl. Mt. 6,33 . Denn wenn Gottes Wort recht und rein gepredigt wird, so mancherlei Namen ihm der Prophet hier gibt, so mancherlei Nutzen und Frucht es schafft. Es ist denen, wenn sie es mit Fleiß und Ernst hören (welche unser Herr Gott alleine als seine Schafe erkennt), ein lustig grünes Gras, ein kühler Trunk, davon sie satt und erquicket werden. Ebenso hält es sie an rechter Bahn und bewahrt sie, dass ihnen kein Unglück noch Leid widerfährt. Dazu ist es ihnen ein stetes Wohlleben, da Essen, Trinken und allerlei Freude und Lust überflüssig ist; das ist, sie werden nicht allein durch Gottes Wort unterwiesen und geleitet, erquicket, gestärkt und getröstet, sondern auch fortan immer auf dem rechten Wege erhalten, in allerlei Not, beide des Leibes und der Seelen, geschützt, und endlich siegen und liegen sie ob wider alle Anfechtung und Trübsal, der sie nur viel ausstehen müssen, wie der vierte Vers meldet. Zusammengefasst: Se leben in aller Sicherheit als solche, denen kein Leid widerfahren kann, weil ihr Hirte sie weidet und schützt. Und wo dieses selige Licht des Wortes Gottes nicht scheint, da ist weder Glück noch Heil, weder Stärke noch Trost, beide an Leib und Seele, sondern nichts als Unfriede, Schrecken und Zagen; sonderlich wenn Trübsal, Angst und der bittere Tod vorhanden sind. Wiewohl die Gottlosen, wie der Prophet spricht (Jes. 48,22), nimmer keinen Frieden haben, es gehe ihnen wohl oder übel. Denn gehet es ihnen wohl, so werden sie vermessen, hoffärtig und stolz, vergessen unseres Herrn Gottes gar, pochen und trotzen allein auf ihre Gewalt, Reichtum, Weisheit, Heiligkeit usw. und sorgen daneben, wie sie die erhalten und mehren und andere, die ihnen im Wege liegen, verfolgen und unterdrücken mögen. Kehrt sich aber das Blatt mit ihnen um, als des denn endlich gewiss geschehen muss, -- denn die zarte Jungfrau Maria ist eine sehr gewisse Sängerin, der es noch nie um ein einiges Nötlein in ihrem Gesange Magnificat: (Lk. 1,46 ff.) gefehlt hat, -- so sind sie die elendesten und betrübtesten Leute, die flugs verzweifeln und verzagen. Woran fehlt es ihnen? Sie wissen nicht, wo und wie sie Trost sollen suchen, weil sie Gottes Wort nicht haben, das allein rechtschaffen lehrt geduldig und getrost sein, wenn es übel zugeht (Röm. 15,4). Martin Luther 1536.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 2. Mein Hirt hat nicht nur grüne Auen, sondern er führt mich auf dieselben , dass ich mich an ihnen laben kann. Er bringt mich nicht auf dürre Steppen, deren Anblick schon mich anwidern würde, sondern auf grüne Auen voller Reiz und Lieblichkeit. Und sie sehen nicht nur einladend aus -- denn ach, Grün ist nur eine Farbe und Farben sind trügerisch; gar manche ungenießbare oder gar giftige Pflanze sieht verlockend aus -- sondern dies Grün ist das Grün des fetten Grases. Diese Auen halten, was ihr Anblick verspricht; wie ihre Farbe mich erquickte, sobald ich sie sah, so merke ich beim ersten Bissen, wie wohlschmeckend, und noch mehr, wie nahrhaft und gesund diese Weide ist. Es scheint mir, ich sei in einem Paradies und es fehlt mir nichts außer ein wenig Wasser. Aber siehe, wie gut der Hirte ist! Er lässt seine Schäflein an nichts Mangel leiden: Er führt sie jetzt zum frischen Wasser ! Aber werde ich mich auch satt essen können? Oder wird er uns etwa bald wieder wegführen, wenn wir nur halb genug haben, so dass der Freude bittere Enttäuschung folgt? Nein, mein Herz, du musst von deinem Hirten nicht so kleinlich denken. Er lässt seine Schafe auf den grünen Auen sich lagern , dass sie volle Genüge haben, nach Herzenslust weiden und, wenn sie genug haben, in stiller Ruhe das Genossene innerlich verarbeiten können. Sir Richard Baker 1640.

Gleichwie das Gras in einer grünen Aue fein dick und voll stehet und immer mehr und mehr wächst, so haben auch die Gläubigen nicht allein Gottes Wort reichlich, sondern je mehr sie desselben brauchen und damit umgehen, je mehr nimmt es zu und wächst bei ihnen. Darum setzt er auch die Worte fein deutlich, spricht nicht: Er führet mich einmal oder oft auf eine grüne Aue, sondern: Er weidet mich ohne Unterlass darauf, dass ich mitten im Grase und in der Weide fein liegen, ruhen und wohnen kann und nimmer keinen Hunger oder sonst einen Mangel leiden darf. Denn das Wörtlein, das er hier braucht, heißt liegen und ruhen, wie ein Tierlein, wenn sich’s gesetzt hat, auf seinen vier Füßen liegt und ruht. Martin Luther 1536.

Auf diesen grünen Auen haben die Schafe geweidet, seit Christus eine Gemeinde auf Erden hat, und doch stehen sie so üppig und voll wie je. An diesen Wassern haben die Schafe seit Adams Zeiten ihren Durst gelöscht, und doch sind sie noch heutzutage zum Überlaufen voll und werden es bleiben, bis die Schafe ihrer nicht mehr bedürfen, da sie vom himmlischen Strom des Lebens trinken. Ralph Robinson † 1655.

Der Hirt treibt seine Schafe nicht, er führt sie sanft und sorgsam. Vergl. 1. Mose 33,13 f. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.

Das Evangelium ist gleich dem Wasser zu Siloah, das stille geht (Jes. 8,6) und gar köstlich ist. John Trapp † 1669.

V. 3. Auf rechter Straße. Diese Übersetzung Luthers entspricht genau dem Sinn des Grundtextes, wiewohl die Worte buchstäblich lauten: auf Wegen der Gerechtigkeit. Das heißt nicht: gerade, geebnete Wege, so dass Berge, Klippen und Abgründe oder Unebenheiten, Buckel und Löcher auf dem Wege oder Umwege, hinderndes Dorngestrüpp usw. den Gegensatz bilden würden (Rosenmüller u. a.), sondern richtige Wege, so dass ihre "Gerechtigkeit" der Gegensatz zum Trügerischen (yqe$e, lwe(f) ist, gerade wie richtige Wagen, Gewichte, Maße 3. Mose 19, 36 der Gegensatz zu trügerischen sind. Bei qdece ist (nach Cremer) hier, wie auch sonst im biblischen Sprachgebrauch, das Verhältnis zu dem Anspruch, den jemand hat, der Grundgedanke. Der erste Anspruch, den jemand an einen Weg zu stellen berechtigt ist, ist der, dass er ihn zum Ziele führe . So sind also "Wege der Gerechtigkeit" solche Wege, die nicht falsch führen, die Hoffnung und Erwartung nicht trügen, also "richtige Wege". An "Pfade des rechten sittlichen Verhaltens" ist nicht zu denken, da nicht eine Eigenschaft des Wanderers, sondern des Weges gemeint ist. Will man das Wort "Gerechtigkeit" hier von vornherein im höheren, sittlichen und religiösen Sinn nehmen, so wird man eher an die Gerechtigkeit Gottes dabei zu denken haben, wie Keßler auslegt: Pfade, die der Gerechtigkeit Jahwes, d. h. seiner Huld gegen die Frommen (vergl. 22,32) entsprechen. -- Natürlich ist, wenn man die Bedeutung "richtige Wege" festhält, nicht zu vergessen, dass durch sie ein tieferer Sinn nicht aus-, sondern eingeschlossen wird, weil der Psalmist den Ausdruck ja als Bild gebraucht. -- J. M.

In der Wüste und Einöde gibt es keine gebahnten Straßen, die Pfade sind nur einfache Spuren (vergl. den Grundt.) und manchmal laufen sechs oder acht solcher Pfade neben- und übereinander her. Daran ist bei diesen Psalmworten ohne Zweifel gedacht. John Gadsby 1862.

Ach Herr, diese richtigen Pfade sind seit langem so wenig betreten worden, dass die Spuren derselben fast gänzlich verwischt sind und es jetzt sehr schwer ist, diese Pfade auch nur zu finden; und hat jemand sie glücklich entdeckt, so sind sie doch so schmal und holperig, so voll von Hindernissen aller Art, dass es ohne besondern Beistand ein Ding der Unmöglichkeit ist, nicht zu fallen oder von ihnen abzuweichen. Darum Dank dir, großer Hirte meiner Seele, dass du so gnädig sein willst, selber mich auf den richtigen Pfaden zu führen; denn ohne deine Leitung und deinen Beistand würden sie mir doch nur zu Irrwegen werden. Sir Richard Baker 1640.

Auf dieser rechten Straße werden die geführt, die sich führen lassen, sanftmütig sind, sich raten lassen und auf ihrem Sinn, Wahn und Gedanken gar nicht halsstarrig bleiben. Denn einer, der sich führen lässt, muss willig sein und an keinem Dinge so feste kleben und hangen, das zu verlassen er nicht alle Augenblicke bereit sei. Und gegen ein solches Führen sperrt sich die Natur. Martin Luther † 1546.

Um seines Namens willen. Da er den Namen des guten Hirten auf sich genommen hat, wird er das Seine tun, wie immer seine Schafe sich verhalten mögen. Sind sie schlechte Schafe, so wird das daran nichts ändern, dass er der gute Hirte ist und bleibt. Mögen sie um ihrer Halsstarrigkeit willen keinen Nutzen davon haben, so wird doch seine Ehre durch seine Treue groß werden, und sein Name wird nichtsdestoweniger verherrlicht und erhoben werden. Sir Richard Baker 1640.

V. 4. Ein Tal ist ein niedriger Ort mit Bergen zu beiden Seiten. Und auf diesen Höhen mögen Feinde lauern, um auf den Wanderer ihre Pfeile zu schießen, wie es im Morgenlande so oft der Fall war; aber er muss hindurch. Das Bild unseres Verses bezieht sich ursprünglich nicht, wie manche meinen, auf das Sterben, wiewohl es diese Auslegung trefflich verträgt, sondern wir haben dabei zunächst an ein einsames, düsteres Tal zu denken, das durch Räuber und Raubtiere voller Gefahren ist. David aber wurde in diesem Tal nicht nur herrlich behütet, sondern Gott deckte ihm sogar im Angesicht dieser Feinde den Tisch (V. 5). Die Beduinen haben noch heute ihre Verstecke in den Bergen und belästigen die Reisenden auf ihrer Wanderschaft durch die Täler und Schluchten. John Gadsby 1862.

Er bekennt, dass er Unglück fühlet, mit dem, dass er saget, er fürchte sich nicht; ebenso: trösten mich; so ist er ja traurig und betrübt, sonst würde er so nicht reden. Martin Luther 1530.

Wir sehen hier, dass er auch in Glück und Glanz niemals vergessen hat, dass er ein Mensch war, sondern dass er schon beizeiten an das Unglück gedacht hat, das ihn vielleicht treffen könnte. Und sicherlich zittern wir deshalb so sehr, wenn Gott uns durchs Kreuz prüft, weil ein jeder, um ruhig zu schlafen, sich in fleischliche Sicherheit einwiegt. Von diesem Schlaf der Starrheit ist die Ruhe des Glaubens sehr verschieden. Ja, da Gott den Glauben durch Unglück prüft, so folgt, dass niemand wahren Glauben hat, der nicht mit unbesiegbarer Standhaftigkeit ausgerüstet ist, um alle Furcht zu besiegen. Doch David rühmt sich nicht, von aller Furcht frei zu sein, sondern nur, dass er allem gewachsen sein werde, so dass er furchtlos überall hingeht, wohin der Hirt ihn führt. Dies geht aus dem Zusammenhange noch deutlicher hervor. Zuerst sagt er: Ich fürchte kein Unglück . Dann gibt er gleich darauf den Grund hierfür an. Er gesteht offen, dass er sich dadurch von seiner Furcht zu heilen sucht, dass er auf den Stab des Hirten blickt. Denn wozu hätte er Trost nötig, wenn die Furcht ihn nicht beunruhigte? Es ist also festzuhalten, dass David, da er an die Leiden denkt, die ihn treffen können, nur dadurch dieser Versuchung Herr wird, dass er sich der Fürsorge Gottes übergibt. Dies hat er schon vorher durch die Worte ausgedrückt: Du bist bei mir. Denn wenn er von Furcht frei gewesen wäre, so hätte er nicht nach der Gegenwart Gottes verlangt. Jean Calvin † 1564.

Es ist dieser sehr herrliche Vers eine Stimme der einigen vollkommenen Gnade, dafür die Natur vielmehr also sagt: Ob ich gleich wanderte oben im höchsten Lichte des Lebens, fürchte ich mich noch vor Unglück; denn ich bin allein, und du bist nicht bei mir. Denn der Gottlosen Leben ist voll Furcht und Schrecken vor Unglück, da es auch am gewissesten ist: Dagegen derer Christen Tod, wie ungewiss er ist, voll Friedens und Sicherheit ist. Solches setzt sich und streitet wunderbar gegeneinander. Die Gottlosen schreckt in ihrem Leben das Rauschen eines fliegenden Blatts; die Christen aber schreckt nicht, wenn sie sterben, der grausame Anblick der ewigen Finsternis. Daher man denn in Sprichwortsweise fein sagt: Ich lebe und weiß nicht wie lang; ich sterbe und weiß nicht wann; ich fahre und weiß nicht wohin, mich wundert, dass ich fröhlich bin. Martin Luther 1530.

"Ich möchte mit dir vom Himmel sprechen", sagte ein sterbender Vater (der heimgegangen Pf. Hugh Stowell von Ballaugh auf der Insel Man) zu einem seiner Familienglieder. "Es könnte sein, dass wir nicht mehr lang zusammen sind. Mögen wir uns am Thron der Herrlichkeit als eine selige Familie zusammenfinden!" Die Tochter des Sterbenden rief, von dem Gedanken überwältigt, dass ihr Vater ihr genommen werden könnte: "Du meinst doch nicht, dass Gefahr da ist?" Ruhig gab dieser die schöne Antwort: "Gefahr? Mein Liebling, o brauche doch das Wort nicht! Für den Christen gibt es keine Gefahr, was immer geschehen mag! Es ist alles, alles gut. Gott ist die Liebe. Alles ist gut in Ewigkeit, in alle Ewigkeit!" John Stevenson 1842.

Ich fordere alle die lustigen Zecher und Buhler der ganzen Welt heraus, mir eine so fröhliche Gesellschaft zu zeigen, wie es die Freunde Gottes sind. Nicht die Gemeinschaft mit Gott, sondern das Fernsein von Gott macht traurig. Ach, ihr wisst nichts von dem Frieden, den sie genießen, und Fremde haben an ihren Freuden keinen Teil. Ihr meint, sie könnten nicht fröhlich sein, da ihre Angesichter so ernst sind; sie aber sind gewiss, dass ihr nicht wirklich fröhlich sein könnt, da euch bei all eurer Ausgelassenheit der Fluch auf der Seele lastet. Sie wissen, dass auch beim Lachen das Herz trauern kann und nach der Freude Leid kommt. (Spr. 14,13.) Nennt immerhin euer Lachen und Singen und Lärmen Fröhlichkeit: ein anderer nennt es Tollheit (Pred. 2,2). Wenn den fleischlich gesinnten Menschen das Herz im Leib erstirbt und wie ein Stein wird, wie es Nabal erging (1. Samuel 25,37), wie fröhlich können dann die sein, die Gott zum Freunde haben! Wenn euch der Tod ins Angesicht grinst, dann kommt, ruft die lustigen Kameraden zusammen, lasst die Harfen und Geigen aufspielen, lasst vom besten Wein aus dem Keller bringen! Kommt, steckt eure Köpfe zusammen, damit ihr nichts vergesset, was eure Fröhlichkeit erhöhen könnte. Nun, seid ihr fertig? Ist alles da? Und nun, Sünder, komm mit! Diese Nacht muss deine Seele vor Gott erscheinen! Nun, was sagst du dazu, Mensch? Was, dir sinkt der Mut? Jetzt ruf deine Zechbrüder und lass sie dich erheitern! Jetzt lass eine Flasche vom Besten, lass ein Freudenmädchen kommen! Nur immer zu! -- -- Entsinkt dir das Herz, das noch vorhin über die Drohungen des Allmächtigen spotten konnte? Was, eben noch so munter und ausgelassen, und jetzt so stumm? Wahrlich, ein schneller Wechsel! Ich frage wieder, wo sind deine lustigen Gesellen? Alle fort? Wo deine Lieblingspassionen? Was ist dir, Mensch, warum so bleich und verzagt? Ja, dein Herz hat dich verlassen! Ist das das Ende aller deiner Freude, von der du so viel zu reden wusstest? Sieh, hier steht einer, dessen Herz so voll Trostes ist wie je, und den der Gedanke an die Ewigkeit, der dich zu Boden schlägt, erhebt. Und willst du die Ursache wissen? Er weiß, er geht zu seinem Freund: vielmehr, sein Freund geht mit ihm durch jenes düstere Tal. Ja, wohl dem Volk, dem es so geht! Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist! (Ps. 144,15.) James Janeway † 1674.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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