Der Ursprung der Auserwählung
gemäß der Vorsehung Gottes, des Vaters, (1,2b)
Menschen, die Gottes souveräne Wahl nach seinem Willen nicht akzeptieren können, haben sich eine beliebte Erklärung für die Auserwählung zurechtgelegt, die aber auf einem falschen Verständnis von seiner
Vorsehung beruht. Entsprechend diesem Verständnis bedeutet der Begriff lediglich Weitblick oder übernatürliches Wissen von der Zukunft. Befürworter sagen, Gott blickte in seiner Allwissenheit einfach in die Zeit hinein und sah, wer dem Evangelium glauben würde und wer nicht. Anschließend erwählte er zur Errettung all jene, von denen er wusste, dass sie glauben würden, und garantierte, dass sie in den Himmel kommen. Aber es gibt mindestens drei Gründe, weshalb eine solche Interpretation von der
Vorsehung nicht der Schrift entspricht. Zuallererst macht sie statt Gott den Menschen zum Herrn der Errettung, obgleich Jesus seine Souveränität und die des Vaters bestätigte, als er seinen Jüngern sagte: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt« (Joh 15,16; vgl. Röm 9,11-13.16). Zweitens gesteht sie dem Menschen ungebührende Verdienste an seiner Errettung zu und verleiht ihm einen Teil der Ehre, die allein Gott gehört. Die bekannte Heilsaussage in Epheser 2,8-9 macht diese Vorstellung zunichte: »Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes
Gabe ist es; nicht aus Werken,
damit niemand sich rühme« (Hervorhebung hinzugefügt; vgl. 1Kor 1,29.31). Drittens setzt sie voraus, dass der gefallene Mensch Gott suchen kann. Paulus erklärt in Römer 3,11 deutlich: »Es ist keiner, der verständig ist, der nach Gott fragt« (vgl. Ps 14,1-3; 53,2-4; Eph 2,1). Zu Recht definierte der Apostel Johannes Gottes errettende Initiative folgendermaßen: »Darin besteht die Liebe – nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat als Sühnopfer für unsere Sünden« (1Jo 4,10; vgl. Röm 5,8).
Jegliche Definition von Vorsehung, die den Menschen ins Zentrum rückt, ist unvereinbar mit Gottes absoluter Souveränität über alle Dinge: »Gedenkt an das Frühere von der Urzeit her, dass Ich Gott bin und keiner sonst; ein Gott, dem keiner zu vergleichen ist. Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen« (Jes 46,9-10; vgl. 14,24.27; Hi 42,1-2; Ps 115,3; 135,6; Jer 32,17).
Der Gebrauch des griechischen Wortes, welches in Vers 2 mit
Vorsehung wiedergegeben wurde, beweist auch, dass nicht bloßes Wissen über zukünftige Ereignisse und Einstellungen gemeint sein kann.
Prognōsis (
Vorsehung) bezieht sich auf Gottes ewigen, vorherbestimmenden, liebevollen und erlösenden Vorsatz. In 1,20 gebrauchte Petrus das verwandte Verb »war zuvor ersehen«, eine Form von
proginōskō, in Bezug auf Gottes ewiges Wissen, dass er seinen Sohn senden würde, um Sünder zu erlösen. Der Gebrauch dieses Verbs kann nicht bedeuten, dass Gott in die Zukunft schaute und sah, dass Jesus sich entschließen würde zu sterben und er ihn deswegen zum Erlöser machte. In derselben Weise, wie Gott, der Vater, seinen Plan zur Kreuzigung Christi vor Grundlegung der Welt vorhersah (Apg 2,23; vgl. 1Petr 2,6), sah er die Auserwählten vorher. In keinem der beiden Fälle war es lediglich eine Frage von Vorinformation über das, was noch geschehen sollte. Aus diesem Grund beinhaltet
Vorsehung Gottes Vorherbestimmung, mit einigen Einzelpersonen eine Beziehung einzugehen, was seinem ewigen Plan entsprach. Gottes Vorsatz bringt die Erlösung von Sündern zur Erfüllung, wie sie durch den Tod Jesu Christi vollbracht wurde; es ist nicht bloß ein Vorwissen, das beobachtet, wie Menschen auf Gottes Erlösungsangebot reagieren.
Im Alten Testament konnten die Worte »wissen« und »erkennen« ein sexuelles Verhältnis andeuten (4Mo 31,18.35; Ri 21,12; vgl. 1Mo 19,8). Lange bevor Petrus das Wesen von Gottes Vorsehung darlegte, »sprach der Herr zu Mose: Auch dies, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade gefunden vor meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen!« (2Mo 33,17). Über Christus den Knecht heißt es in Jesaja 49,1-2: »Hört auf mich, ihr Inseln, und gebt acht, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich von Mutterleib an berufen und meinen Namen von Mutterschoß an bekannt gemacht. Er hat meinen Mund gemacht wie ein scharfes Schwert; er hat mich im Schatten seiner Hand geborgen und mich zu einem geschärften Pfeil gemacht; er hat mich in seinem Köcher versteckt.« Gott hatte eine vorherbestimmte Beziehung zum Propheten Jeremia: »Ehe ich dich im Mutterleib bildete, habe ich dich ersehen, und bevor du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt; zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt!« (Jer 1,5). Amos schrieb über Gottes Vorsehung von Israel: »Nur euch habe ich ersehen von allen Geschlechtern der Erde« (Am 3,2). Wie all die vorangegangenen Aussagen belegen, besitzt Gott nicht bloß Informationen
über jemanden, sondern baut eine persönliche Beziehung zu ihm auf. Und in seiner
Vorsehung legte Gott dies vor dem Beginn der Zeit in einem göttlichen Dekret fest.
Da die Schrift in sich selbst übereinstimmend ist, findet sich das alttestamentliche Verständnis von der Vorsehung in den Evangelien wieder. Als Jesus in der Bergpredigt das Wesen der Erlösung erläuterte, sagte er über Menschen, die fälschlicherweise meinen, zu den Auserwählten zu gehören: »Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt und in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen viele Wundertaten vollbracht? Und dann werde ich ihnen bezeugen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, ihr Gesetzlosen!« (Mt 7,22-23). Natürlich wusste Jesus, wer dies war, aber er »kannte« sie nicht in dem Sinne, dass er eine erlösende Beziehung mit ihnen vorherbestimmt hätte. Diese Art von Beziehung ist für seine Schafe reserviert: »Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und bin den Meinen bekannt« (Joh 10,14; vgl. V. 16.26-28; 17,9-10.20-21). Die
Vorsehung beinhaltet somit, dass Gott vorherbestimmt, wen er durch eine persönliche Beziehung kennt und wen er dementsprechend seit aller Ewigkeit auserwählt hat, seine erlösende Liebe zu empfangen.
John MacArthur: Der 1. Brief des Petrus (CLV), S. 27-29.