Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Der Pilgrim
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Dreizehntes Kapitel: Zwei Hauptpunkte die bei der Rechtfertigung aus Gnaden Beachtung erfordern


III,13,1

Hier muß man nun allgemein besonders auf zweierlei achten: (1) dem Herrn muß sein Ruhm unverkürzt und unversehrt erhalten bleiben (Sektion 1-2), (2) unser Gewissen aber muß vor seinem Gericht friedliche Ruhe und frohe Gelassenheit haben (Sektion 3-5). Wir sehen doch, wie oft und wie ernstlich uns die Schrift ermahnt, Gott allein unser Lob zu bezeugen, wenn es sich um die Gerechtigkeit handelt. Ja, nach dem Zeugnis des Apostels hat der Herr, als er uns in Christus die Gerechtigkeit zuteil werden ließ, dabei den Zweck im Auge gehabt, selbst seine Gerechtigkeit zu offenbaren (Röm. 3,25). Gleich darauf fügt er aber hinzu, wie diese Offenbarung seiner Gerechtigkeit vor sich gehen soll: „Auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum“ (Röm. 3,26). Man sieht: Gottes Gerechtigkeit wird nur dann genugsam verherrlicht, wenn er allein als gerecht angesehen wird und wenn er die Gnade der Gerechtigkeit solchen zuteil werden läßt, die sie nicht verdienen! Darum will er, „daß aller Mund verstopfet würde und alle Welt ihm schuldig sei“ (Röm. 3,19). Denn solange der Mensch etwas hat, was er zu seiner Entschuldigung sagen könnte, geht Gottes Ehre etwas ab! So lehrt er uns bei Ezechiel, wie sehr wir durch Anerkennung unserer Ungerechtigkeit seinen Namen verherrlichen. Er spricht: „Daselbst werdet ihr gedenken an euer Wesen und an all euer Tun, damit ihr verunreinigt seid, und werdet Mißfallen haben über alle eure Bosheit, die ihr getan habt. Und werdet erfahren, daß ich der Herr bin, wenn ich mit euch tue um meines Namens willen und nicht nach eurem bösen Wesen …“ (Ez. 20,43f.). Wenn das zur rechten Erkenntnis Gottes gehört, daß wir, vom Bewußtsein unserer eigenen Ungerechtigkeit zerschlagen, erkennen, daß er uns als Unwürdigen wohltut – was unterstehen wir uns dann zu unserem großen Schaden, dem Herrn auch nur ein kleines Stücklein von dem Lobpreis für seine Güte zu stehlen, die er uns aus Gnaden zuwendet? Jeremia ruft aus: „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, sondern wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn …“ (Jer. 9,24; nicht Luthertext, Schluß nach 1. Kor. 1,30). Gibt er uns damit nicht auch zu verstehen, daß von der Ehre Gottes etwas verloren geht, wenn der Mensch sich in sich selber rühmt? Jedenfalls paßt Paulus diese Worte einem derartigen Verständnis an, wenn er uns lehrt, daß unser ganzes Heil bei Christus liegt, damit wir uns allein „in dem Herrn rühmen“ sollen! (1. Kor. 1,30). Er zeigt uns damit nämlich, daß ein Mensch, der auch nur das geringste von sich aus zu haben meint, sich gegen Gott empört und seine Ehre verfinstert!



III,13,2

Es ist tatsächlich so: wir kommen nie und nimmer dazu, uns wahrhaft des Herrn zu rühmen, wenn wir nicht auf unseren eigenen Ruhm gänzlich verzichtet haben. Auf der anderen Seite sollen wir es als allgemeingültigen Grundsatz festhalten: wer sich in sich selber rühmt, der rühmt sich wider Gott. Nach der Überzeugung des Paulus wird erst dann „alle Welt Gott schuldig“ (Röm. 3,19), wenn den Menschen jeder Anlaß zum Rühmen genommen ist. Deshalb läßt auch Jesaja seiner Botschaft, daß Israel seine Rechtfertigung in Gott finden werde, gleich das wort folgen: „und wird sich sein rühmen“ (Jes. 45,25). Es ist, als ob er sagen wollte, daß der Herr seine Auserwählten zu dem Zweck rechtfertige, daß sie sich nun in ihm rühmen sollen und nicht in irgend etwas anderem! In welcher Weise wir uns aber „im Herrn“ rühmen sollen, das hat Jesaja in dem voraufgehenden Verse gesagt: „Daß … alle Zungen schwören und sagen: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke“ (Jes. 45,23f.). Man muß beachten, daß hier nicht ein einfaches Bekenntnis gefordert wird, sondern seine Bekräftigung durch einen Eidschwur; man soll also nicht meinen, mit irgendwelcher erheuchelten Demut seine Schuldigkeit zu tun! Hier soll auch niemand vorwenden, das sei doch gar kein „Rühmen“, wenn er sich ohne jede Anmaßung seine eigene Gerechtigkeit zum Bewußtsein bringe. Nein, solche Betrachtung (der eigenen Gerechtigkeit) muß notwendig (Selbst-)Vertrauen erzeugen, und das wieder muß unvermeidlich das Rühmen gebären! wir wollen also daran denken, daß in aller Auseinandersetzung über die Gerechtigkeit dies als Zweck gelten muß, daß dem Herrn der Lobpreis dafür vollkommen und unangetastet verbleibe! Hat er doch auch nach dem Zeugnis des Apostels seine Gnade zur Anzeigung seiner Gerechtigkeit auf uns ausgegossen, „auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum“ (Röm. 3,26). Deshalb lehrt Paulus an einer anderen Stelle zunächst, daß der Herr uns das Heil hat zuteil werden lassen, um den Ruhm seines Namens zu verherrlichen (Eph. 1,6), und dann fügt er später, gewissermaßen als Wiederholung des gleichen Gedankens, noch hinzu: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden … Gottes Gabe ist es -, nicht aus den Werken, damit sich nicht jemand rühme!“ (Eph. 2,8f.). Und Petrus erinnert uns daran, daß wir zur Hoffnung auf die Seligkeit berufen sind – „daß ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht!“ (1. Petr. 2,9). Da will er doch ohne Zweifel, daß in dem Ohr der Gläubigen allein Gottes Lobpreis wiederklingen soll, so daß er alle Vermessenheit des Fleisches laut übertönt und zum Schweigen bringt. Ich fasse zusammen: der Mensch kann sich kein Fünklein Gerechtigkeit zumessen, ohne Gott das Seine zu rauben – denn von der Ehre der Gerechtigkeit Gottes wird damit ebensoviel weggerissen und verkürzt!



III,13,3

Fragen wir, auf welche Weise unser Gewissen vor Gott gestillt werden kann, so werden wir nur einen Weg finden: nämlich wenn uns die Gerechtigkeit durch Gottes Geschenk aus lauter Gnade zuteil wird! Stets soll uns das Wort des Salomo im Sinn sein: „Wer kann sagen: Ich bin rein in meinem Herzen und lauter von meiner Sünde?“ (Spr. 20,9). Es ist gewiß keiner, der nicht von einer unendlichen Sturzflut (der Sünde) überströmt würde! Mag nun jeder, auch der vollkommenste, mit seinem Gewissen Zwiesprache halten und seine Taten zur Rechenschaft fordern – zu welchem Schluß wird er am Ende kommen? Wird er etwa sanft ruhen, als ob zwischen ihm und Gott alles wohl bestellt wäre? Werden ihn nicht vielmehr bittere Qualen zerreißen, wenn er merkt, daß in ihm aller Grund zur Verdammnis liegt, sofern er nach seinen Werken beurteilt wird? Wenn das Gewissen auf Gott schaut, so muß es entweder mit seinem Urteil sicheren Frieden haben – oder aber von den Schrecken der Hölle bedrängt werden! Unser ganzes Nachdenken über die Gerechtigkeit hilft uns nichts, wenn wir nicht eine solche Gerechtigkeit aufrichten, auf deren Festigkeit sich unsere Seele in Gottes Urteil stützen kann! Nur da, wo unsere Seele Grund hat, unerschrocken vor Gottes Angesicht zu erscheinen und unerschüttert sein Gericht zu erwarten – nur da sollen wir wissen, daß wir eine untrügliche Gerechtigkeit gefunden haben! Es ist also nicht grundlos, wenn der Apostel hierauf so großes Gewicht legt – ich will auch lieber mit seinen Worten vorgehen, als mit meinen. Er sagt: „Denn wo die vom Gesetz Erben sind, so ist der Glaube nichts, und die Verheißung ist abgetan“ (Röm. 4,14). Er erklärt zunächst, der Glaube sei zunichte gemacht und entleert, wenn die Verheißung der Gerechtigkeit auf die Verdienste unserer Werke achtete oder von der Beobachtung des Gesetzes abhängig wäre. Denn dann könnte nie ein Mensch sicher auf ihr Ruhe finden: es wird ja nie und nimmer ein Mensch mit Gewißheit bei sich feststellen können, er habe dem Gesetz Genüge getan, wie ihm doch ganz sicher nie jemand durch Werke gänzlich genuggetan hat. Damit wir nun hierfür nicht von weither ein Zeugnis holen, kann sich jeder selbst Zeuge sein, wenn er sich nur mit dem rechten Blick selber anschauen will! In was für tiefe, finstere Schlupfwinkel die Heuchelei den Sinn der Menschen vergräbt, das wird nun deutlich, indem sie sich dermaßen in Sicherheit wiegen, daß sie sich nicht scheuen, Gottes Gericht ihre Schmeicheleien entgegenzusetzen – als ob sie ihn zur Einstellung des Verfahrens zwingen wollten! Die Gläubigen dagegen, die sich selber recht erforschen, ängstigt und quält eine ganz andere Sorge. So müßte also in jedes Menschen Herz Zagen und schließlich Verzweiflung eindringen, wenn jeder bei sich überschlüge, was für eine schwere Last der Schuld ihn noch drückt und wie weit er noch von der (Erfüllung der) ihm auferlegten Bedingung entfernt ist! Man muß aber erkennen, daß damit der Glaube zu Boden gedrückt und ausgelöscht wäre; denn wenn wir zweifeln und schwanken, auf und nieder pendeln, wenn wir zagen und im Ungewissen verharren, wenn wir wanken, ja schließlich verzweifeln – so heißt das nicht glauben! Glauben heißt doch vielmehr, daß wir unser Herz in fester Gewißheit und untrüglicher Sicherheit stärken und daß wir einen Ort haben, auf dem wir uns gründen und festen Fuß fassen können!
Simon W.

Der Pilgrim
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III,13,4

Paulus fügt (Röm. 4,14; vgl. Sektion 3) noch ein Zweites hinzu: Die Verheißung werde ungültig und eitel sein, (wenn das Erbe aus dem Gesetz käme). Wenn nämlich die Erfüllung der Verheißung von unserem Verdienst abhängt – wann wird es denn wohl einmal dahin kommen, daß wir Gottes Wohltätigkeit verdienen? Auch folgt ja dieses zweite Glied (der Aussage des Apostels) aus dem ersten: denn die Verheißung wird nur an denen erfüllt, die ihr Glauben schenken! Fällt also der Glaube dahin, so bleibt der Verheißung keine Kraft mehr. Das „Erbe“ kommt also (Anspielung an Röm. 4,14) aus dem Glauben, damit es aus Gnade gegeben werde – zur Bestätigung der Verheißung! Sie ist ja überreich bekräftigt, wenn sie sich allein auf Gottes Barmherzigkeit stützt; denn (Gottes) Barmherzigkeit und Wahrheit sind ja durch ein stetiges Band miteinander verknüpft; das heißt: was Gott in seiner Barmherzigkeit verheißt, das führt er auch getreulich aus! So begehrt David sein Heil aus Gottes Zusage, aber zuvor stellt er zunächst die Ursache (dieses Heils) fest, nämlich Gottes Barmherzigkeit: „Es komme zu mir deine Barmherzigkeit, dein Heil, wie du es mir zugesagt hast!“ (Ps. 119,76; nicht Luthertext). Und das ist richtig so; denn Gott läßt sich durch nichts zu seiner Verheißung bestimmen als durch seine bloße Barmherzigkeit. Deshalb muß hier unsere ganze Hoffnung liegen, hier muß sie sich gleichsam tief festsetzen, und wir sollen nicht auf unsere Werke schauen, um bei ihnen irgendwelche Hilfe zu suchen! Auch Augustin gibt uns die Weisung, es so zu machen – es soll also keiner meinen, ich sagte hier etwas Neues! Er sagt: „In Ewigkeit wird Christus in seinen Knechten regieren. Das hat Gott verheißen, das hat Gott gesprochen – ja, wenn das zu wenig sein sollte: das hat Gott geschworen! Weil also die Verheißung ihre Kraft nicht auf Grund unserer Verdienste, sondern auf Grund seines Erbarmens hat, darum darf keiner das, an dem er doch gar nicht zweifeln kann, mit Zittern und Zagen verkündigen!“ (zu Psalm 88, I,5). So auch Bernhard: „‘Wer kann denn selig werden?’, so fragen Christi Jünger (Matth. 19,25). Er aber antwortet: ‘Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott!’ (Matth. 19,26, ungenau). Das ist unsere ganze Zuversicht, unser einziger Trost, der ganze Grund unserer Hoffnung! So haben wir also die Gewißheit, daß es möglich ist (Matth. 19,26, ganzer Text) – aber wie steht es um Gottes Willen? ‘Wer weiß, ob er Liebe oder Haß verdient?’ (Pred. 9,1; nicht Luthertext). ‘Wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen?’ (1. Kor. 2,16; in dieser Form tatsächlich Röm. 11,34). Hier muß uns nun aber ausdrücklich der Glaube zu Hilfe kommen, hier muß uns die Wahrheit Beistand leisten! Was im Herzen des Vaters über uns verborgen liegt, das muß uns der Geist offenbaren, und sein Geist muß Zeugnis ablegen und uns überzeugen, ‘daß wir Gottes Kinder sind’ (Röm. 8,16). Das muß er aber tun, indem er uns beruft und uns aus Gnaden durch den Glauben rechtfertigt! Denn darin geschieht wie durch ein Mittel gleichsam ein Übergang von der ewigen Vorherbestimmung zur zukünftigen Herrlichkeit!“ (Bernhard von Clairvaux, Predigt zur Kirchweihe, 5ff.). Wir wollen es kurz zusammenfassen: Die Schrift zeigt, daß Gottes Verheißungen nicht fest sind, wenn sie nicht mit sicherer Zuversicht des Gewissens ergriffen werden; wo immer Zweifel und Ungewißheit ist, da werden nach ihrem Zeugnis die Verheißungen unwirksam – auf der anderen Seite aber sagt sie uns, daß unser Gewissen wanken und schwanken muß, wenn es auf unseren Werken ruht! Entweder muß uns also die Gerechtigkeit verloren gehen, oder aber die Werke dürfen nicht in Betracht kommen, sondern es muß allein der Glaube hier Raum haben. Das Wesen des Glaubens aber ist es, die Ohren aufzumachen und die Augen zu schließen, d.h. allein auf die Verheißung ausgerichtet zu sein und sein Augenmerk von aller Würdigkeit und allem Verdienst des Menschen abzuwenden! So erfüllt sich die herrliche Verheißung des Sacharja: „Ich … will die Sünde des Landes wegnehmen … Und zu der Zeit wird einer den anderen laden unter den Weinstock und unter den Feigenbaum“ (Sach. 3,9f.). Da gibt der Prophet zu verstehen, daß die Gläubigen erst dann wahren Frieden genießen, wenn sie Vergebung ihrer Sünden erlangt haben. Wir müssen nämlich beachten, daß die Propheten, wenn sie vom Reich Christi reden, einen Vergleich brauchen: sie stellen uns Gottes äußere Segnungen gewissermaßen als Abbild der geistlichen Güter vor Augen. Daher wird auch Christus als „Friedefürst“ (Jes. 9,6) und als „unser Friede“ (Eph. 2,14) bezeichnet, weil er nämlich allen Aufruhr des Gewissens stillt. Fragen wir, wie das geschieht, so müssen wir auf das Opfer kommen, durch das er Gott versöhnt hat; denn wer nicht daran festhält, daß Gott allein durch jenes Opfer versöhnt ist, in welchem Christus seinen Zorn getragen hat – der wird nie aufhören zu zittern. Kurz, wir sollen allein in den Schrecken Christi, unseres Erlösers, unseren Frieden suchen.



III,13,5

Wozu gebrauche ich aber hier ein Zeugnis, das noch einigermaßen dunkel ist? Bestreitet doch Paulus überall, daß die Gewissen Frieden und ruhige Freude genießen können, sofern nicht unsere Rechtfertigung durch den Glauben feststeht! (Röm. 5,1). Zugleich erklärt er auch, woher uns diese Gewißheit kommt: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist …!“ (Röm. 5,5). Er will also gleichsam sagen: unsere Seele kann nicht eher zur Ruhe kommen, als bis wir die feste Gewißheit haben, daß wir Gott wohlgefällig sind. Deshalb ruft er auch anderwärts im Namen aller Frommen aus: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo … ist …?“ (Röm. 8,34f.; nicht genau). Wir müssen ja bei dem geringsten Windhauch erzittern, bis wir in diesem Hafen angelegt haben; dagegen werden wir auch in der Finsternis des Todes sicher sein, solange sich Gott als unser Hirte erzeigt! (Ps. 23,4). Die Leute, die da faseln, wir würden durch den Glauben gerechtfertigt, weil wir als Wiedergeborene durch geistliches Leben gerecht wären – haben also niemals die Süßigkeit der Gnade geschmeckt, d.h. nie bedacht, daß Gott ihnen gnädig sein werde. Daraus folgt auch, daß sie nicht besser wissen, wie man recht beten soll, als die Türken und andere unheilige Heiden! Denn nach dem Zeugnis des Paulus ist das kein wahrer Glaube, der uns nicht den wunderlieblichen Namen „Vater“ eingibt und auf die Lippen drängt, ja, der uns nicht den Mund öffnet und uns freimütig rufen läßt: „Abba, lieber Vater!“ (Gal. 4,6; Röm. 8,15). An anderer Stelle drückt er das noch deutlicher aus: „Durch welchen wir haben Freudigkeit und Zugang in aller Zuversicht durch den Glauben an ihn“ (Eph. 3,12). Das widerfährt uns durch die Gabe der Wiedergeburt ganz sicher nicht; denn die ist in diesem Fleisch stets unvollkommen und trägt daher mannigfachen Anlaß zum Zweifeln in sich. Es ist also erforderlich, zu jener Arznei (dem Glauben) die Zuflucht zu nehmen, damit die Gläubigen daran festhalten: es gibt nur Eins, das uns das Recht verschafft, auf das Erbe des Himmelreichs zu hoffen, nämlich die Tatsache, daß wir in Christi Leib eingefügt sind und deshalb aus Gnaden für gerecht gelten. Denn der Glaube ist was die Rechtfertigung betrifft, gänzlich passiv, er bringt nichts von dem Unseren, um Gottes Gnade zu erwerben, sondern empfängt von Christus, was uns gebricht!



Vierzehntes Kapitel: Vom Anfang und vom beständigen Fortschreiten der Rechtfertigung



III,14,1

Um die Sache deutlicher zu machen, wollen wir jetzt untersuchen, wie die Gerechtigkeit des Menschen im ganzen Ablauf seines Lebens beschaffen sein kann. Es ergibt sich dabei aber für uns ein vierfacher Stufenbau. Erstens können die Menschen ohne jede Erkenntnis (agnitio) Gottes leben und deshalb in den Götzendienst versunken sein. Zweitens kann es sein, daß sie zwar in die Sakramente eingeweiht sind, aber durch die Unreinheit ihres Lebens Gott, den sie mit dem Munde bekennen, mit der Tat verleugnen und also bloß dem Namen nach zu Christus gehören. Drittens können sie auch Heuchler sein, welche die Bosheit ihres Herzens hinter leerem Schein verbergen. Viertens sind die zu nennen, die durch den Geist Gottes wiedergeboren sind und nach wahrer Heiligkeit trachten. Was die erste Gruppe anbetrifft, so wird man bei diesen Menschen, wenn man sie nach ihren natürlichen Gaben beurteilen will, von der Fußsohle bis zum Scheitel nicht ein Fünklein Gutes finden. Wir müßten sonst die Schrift des Betrugs bezichtigen; denn diese gibt über alle Kinder Adams das Urteil ab, daß ihr Herz ein „böses und hoffärtiges Ding“ sei (Jer. 17,9), daß alles „Dichten ihres Herzens böse ist von Jugend auf“ (Gen. 8,21), daß ihre Gedanken „eitel“ sind (Ps. 94,11), daß sie „die Furcht Gottes nicht vor Augen haben“ (vgl. Ex. 20,20) und daß keiner von ihnen „klug“ ist oder „nach Gott fragt“ (Ps. 14,2). Sie bezeichnet sie kurzum als Fleisch (Gen. 6,3), und darunter werden alle die Werke begriffen, die Paulus aufzählt: „Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord“ und was sonst dergleichen schändliche und abscheuliche Dinge mehr sind! (Gal. 5,19ff.). Das ist also die Würdigkeit, auf die sie ihr Vertrauen setzen und um derentwillen sie hoffärtig sein mögen! Wenn nun aber einige unter ihnen eine so große Anständigkeit ihrer Sitten an den Tag legen, daß diese unter den Menschen einen gewissen Schein von Heiligkeit besitzt, so wissen wir doch, daß Gott nicht beim äußeren Glanz stehen bleibt, und deshalb müssen wir zur eigentlichen Quelle dieser Werke durchdringen, wenn wir ihnen einen Wert zum Erwerb der Gerechtigkeit beimessen wollen. Wir müssen also, das meine ich, in der Tiefe nachforschen, aus was für einer Gesinnung des Herzens solche Werke kommen. – An dieser Stelle bietet sich für die Erörterung ein sehr weites Feld; trotzdem kann man die Frage auch mit sehr wenigen Worten behandeln, und deshalb will ich, soweit es angeht, in meiner Darstellung eine kurze Zusammenfassung erstreben.



III,14,2

Zunächst leugne ich nicht, daß alle hervorragenden Gaben, die man an den Ungläubigen sehen kann, Gottes Geschenke sind. Ich bin auch von dem Urteil des gesunden Menschenverstandes nicht so weit entfernt, daß ich etwa behaupten wollte, zwischen der Gerechtigkeit, Mäßigung und Billigkeit eines Titus und Trajan und der Wüterei, Maßlosigkeit und Grausamkeit eines Caligula, eines Nero oder Domitian, zwischen den widerwärtigen Gelüsten eines Tiberius und der Enthaltsamkeit des Vespasian in diesem Punkt und – ich will mich nicht bei den einzelnen Tugenden und Lastern aufhalten – zwischen der Beobachtung von Recht und Gesetzen und deren Verachtung sei kein Unterschied. Denn zwischen Gerecht und Ungerecht besteht ein so großer Unterschied, daß er noch an ihrem leblosen Bilde zum Vorschein kommt. Was soll denn in der Welt in Ordnung bleiben, wenn wir diese beiden miteinander vermengen? Deshalb hat auch der Herr solche Unterscheidung zwischen ehrbaren und schnöden Taten jedem einzelnen ins Herz eingemeißelt, und er bekräftigt sie auch noch oft durch die Art, wie seine Vorsehung sich auswirkt (nämlich Gut und Böse verteilt). Wir sehen doch, wie er Leute, die unter den Menschen nach Tugend trachten, mit vielen Segnungen des gegenwärtigen Lebens verfolgt. Nicht etwa, daß dieses äußerliche Bild der Tugend seine Wohltat im mindesten verdiente. Nein, es gefällt ihm, auf die Art zu beweisen, wie herzlich er die wahre Gerechtigkeit liebt, daß er auch die äußerliche und erheuchelte nicht ohne zeitliche Belohnung bleiben läßt. Daraus aber folgt, was wir eben anerkannt haben, nämlich, daß all solche Tugenden oder besser Abbilder von Tugenden Gottes Gaben sind – denn es verdient ja kein Ding irgendwelches Lob, das nicht von ihm herkommt.



III,14,3

Nichtsdestoweniger ist es aber wahr, wenn Augustin schreibt: „Alle, die der Verehrung des einen Gottes entfremdet sind, mögen um ihrer Tugend willen einen noch so guten Ruf haben und noch so sehr bewundert werden, so verdienen sie doch keine Belohnung, sondern vielmehr Strafe, weil sie Gottes reine Gaben durch die Befleckung ihres Herzens verunreinigen. Sie sind gewiß Gottes Werkzeuge zur Erhaltung der menschlichen Gemeinschaft durch Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit, Freundschaft, Mäßigkeit, Tapferkeit und Weisheit. Aber sie führen doch diese guten Werke Gottes sehr schlecht aus, weil sie sich nicht durch lauteres Trachten nach dem Guten, sondern allein durch Ehrgeiz oder Selbstliebe oder durch sonst eine verkehrte Gesinnung vom Übeltun abhalten lassen. Ihre Werke sind also durch die Unreinigkeit ihres Herzens gewissermaßen von ihrem Ursprung her verdorben und können deshalb ebensowenig zu den Tugenden gerechnet werden, wie die Laster, die um ihrer Verwandtschaft oder Ähnlichkeit mit der Tugend willen die Menschen zu täuschen pflegen. Kurz, wenn wir bedenken, daß alles rechte Tun seinen steten Zweck in dem Dienst hat, der Gott zu leisten ist, so verliert damit alles, was in anderer Richtung geht, billigerweise die Bezeichnung als „rechtes Tun“. Weil also diese Menschen den Richtpunkt nicht beachten, den Gottes Weisheit uns vorgeschrieben hat, deshalb mag das, was sie tun, zwar der Pflichtleistung (officium) nach gut erscheinen – um des verkehrten Zieles willen aber ist es doch Sünde!“ (Augustin, Gegen Julian, IV,3,16ff.21). Augustin kommt also zu der Feststellung, daß all solche Männer wie Fabricius, Scipio und Cato bei ihren herrlichen Taten darin gesündigt haben, daß ihnen das Licht des Glaubens abging und sie deshalb ihre Taten nicht dem Ziel dienstbar machten, auf das sie sie hätten ausrichten müssen; sie besaßen also – so führt er aus – nicht die wahre Gerechtigkeit, weil eben unsere Leistungen nicht nach der Tat, sondern nach dem dabei verfolgten Ziel gewogen werden! (Gegen Julian, IV,3,25f.).
Simon W.

Der Pilgrim
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III,14,4

Und dann: wenn es wahr ist, was Johannes sagt, nämlich, daß es kein Leben gibt außer dem Sohne Gottes (1. Joh. 5,12), so sind doch alle, die an Christus keinen Anteil haben, im ganzen Lauf ihres Lebens auf dem Wege zum Verderben und zum Urteil des ewigen Todes – sie mögen sein, wer sie wollen, mögen auch tun und ins Werk setzen, was sie wollen! In diesem Sinne hat Augustin gesagt: „Unsere Religion unterscheidet die Gerechten von den Ungerechten nicht nach dem Gesetz der Werke, sondern nach dem des Glaubens; denn ohne den Glauben verkehrt sich das, was als gutes Werk erscheint, in Sünde!“ (An Bonifacius, III,5). Deshalb ist es auch sehr gut, wenn er anderwärts den Eifer solcher Leute mit einem Lauf in die Irre vergleicht. Je schneller nämlich ein Mensch abseits vom (rechten) Wege läuft, desto weiter kommt er vom Zielpunkt ab und desto jämmerlicher ist er daran. Er behauptet deshalb: „Es ist besser, auf dem rechten Wege zu hinken, als abseits von ihm zu laufen!“ (Erklärung zu Psalm 31, II,4). Schließlich steht es doch fest, daß diese Menschen üble Bäume sind, weil es ja ohne die Gemeinschaft mit Christus keine Heiligung gibt: sie können also schöne und dem Augenschein nach prächtige Früchte hervorbringen, auch solche, die von süßem Geschmack sind – aber gute nie und nimmer! Daraus merken wir ohne weiteres, daß alles, was der Mensch, bevor er durch den Glauben mit Gott versöhnt ist, bedenkt, erwägt und vollbringt, verflucht ist und nicht nur keinen Wert für die Gerechtigkeit hat, sondern ganz gewiß die Verdammung verdient! Aber wozu tun wir bei dieser Auseinandersetzung, als ob es sich hier um etwas Zweifelhaftes handelte? Der Beweis liegt doch schon in dem Zeugnis des Apostels vor: „Ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen:“ (Hebr. 11,6).



III,14,5

Ein noch viel klarerer, leuchtenderer Beweis ergibt sich aber, wenn wir Gottes Gnade auf der einen und demgegenüber den natürlichen Zustand des Menschen auf der anderen Seite betrachten. Die Schrift spricht es nämlich allenthalben laut aus, daß Gott im Menschen nichts vorfindet, das ihn anreizen könnte, ihm wohlzutun, sondern daß er ihm aus lauter Gnaden mit seiner Güte zuvorkommt. Was soll ein Toter vermögen, um das Leben zu gewinnen? Tatsächlich sind wir aber tot; denn wenn er uns mit seiner Erkenntnis erleuchtet, dann erweckt er uns, so heißt es, aus dem Tode und macht uns zu neuen Geschöpfen! (Joh. 5,25 u.a.). Mit diesem Ehrentitel wird uns nämlich – besonders bei dem Apostel – öfters Gottes Güte gegen uns gepriesen. So spricht er: „Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigst, – durch seine große Güte, damit er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht…“ (Eph. 2,4f.). Und an anderer Stelle behandelt er an dem Vorbilde des Abraham die allgemeine Berufung der Gläubigen und sagt dabei: „Gott, der da lebendig macht die Toten und ruft dem, das nicht ist, als ob es sei!“ (Röm. 4,17; nicht ganz Luthertext). Wenn wir „nichts sind“ – was sollen wir dann wohl ausrichten können? Deshalb schlägt der Herr in der Geschichte des Hiob alle solche Anmaßung gewaltig zu Boden und spricht „wer hat mir etwas zuvor getan, daß ich’s ihm vergelte? Es ist doch alles mein …!“ (Hiob 41,3). Diese Aussage erläutert Paulus (Röm. 11,35) und deutet sie dahin, daß wir nicht meinen sollen, wir brächten dem Herrn etwas zu – außer der reinen Schande unserer Armut und Leere. Deshalb fügt er auch an der oben bereits herangezogenen Stelle (Eph. 2,8) noch den Beweis hinzu, daß wir allein aus seiner Gnade und nicht durch unsere Werke zur Hoffnung auf das Heil gelangt sind, und sagt deshalb „Denn wir sind sein Werk, wiedergeboren in Christo Jesu zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen!“ (Eph. 2,10; nicht Luthertext). Es ist, als ob er sagen wollte: Wer von uns will es denn für sich in Anspruch nehmen, er habe Gott mit seiner Gerechtigkeit angereizt – wo doch unser erstes Vermögen zum rechten Tun erst aus der Wiedergeburt fließt! Denn wie wir von Natur beschaffen sind – so ist es leichter, aus einem Stein Öl herauszupressen, als aus uns ein gutes Werk! Es ist deshalb wirklich verwunderlich, wenn der Mensch, der doch unter der Verdammnis solcher Schande steht, sich erkühnt, sich selbst noch etwas vorzubehalten! Wir wollen also mit diesem herrlichen Werkzeug Gottes (Paulus) bekennen: Wir sind von dem Herrn „berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und der Gnade …“ (2. Tim. 1,9). Oder ähnlich: „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, – nicht um der Werke willen, die wir getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig … auf daß wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens …“ (Tit. 3,4.5.7). Durch dieses Bekenntnis nehmen wir dem Menschen jede Gerechtigkeit, auch das allergeringste Stücklein, bis er allein aus Barmherzigkeit zur Hoffnung auf das ewige Leben wiedergeboren ist – denn wenn irgendwelche Werkgerechtigkeit zu unserer Rechtfertigung beiträgt, so ist es falsch, wenn wir sagen: Aus Gnaden werden wir gerechtfertigt! Paulus behauptete die Rechtfertigung aus lauter Gnaden – und er hatte seine eigenen Worte nicht vergessen, wenn er anderwärts erklärte, die Gnade wäre nicht mehr Gnade, wenn die Werke etwas gelten sollten! (Röm. 11,6). Und was meint der Herr anderes, wenn er sagt, er sei nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder? (Matth. 9,13). Werden allein die Sünder zugelassen – wozu sollen wir uns dann den Zugang durch selbsterdichtete Gerechtigkeit suchen?



III,14,6

Immer wieder beschleicht mich der gleiche Gedanke, es bestünde Gefahr, daß ich der Barmherzigkeit Gottes Unrecht zufügte, indem ich sie mit solcher Ängstlichkeit und Mühsal zu verteidigen suche – als ob sie etwas Zweifelhaftes und Dunkles wäre! Aber unsere Bosheit ist doch so groß, daß sie Gott nur dann das Seinige zuerkennt, wenn man sie mit äußerster Gewalt zurückdrängt – und deshalb muß ich hier gezwungenermaßen etwas länger verweilen. Weil aber in diesem Stück die Schrift klar genug ist, so will ich den Streit lieber mit ihren, als mit meinen Worten führen. So beschreibt Jesaja an einer Stelle zunächst das allgemeine Verderben des Menschengeschlechts und fügt dann sehr treffend die Ordnung an, nach der es wiederhergestellt werden soll: „Solches sieht der Herr, und ist übel in seinen Augen. Und er sieht, daß niemand da ist, und verwundert sich, daß niemand ins Mittel tritt. Darum läßt er das Heil auf seinem Arm beruhen, und seine Gerechtigkeit steht ihm bei“ (Jes. 59,15f.; nicht ganz Luthertext). Wo ist denn all unsere Gerechtigkeit, wenn es wahr ist, was der Prophet hier ausspricht, nämlich daß keiner dem Herrn Beistand tut, um sein Heil wiederzuerlangen? Ebenso redet ein anderer Prophet (Hosea): er zeigt uns den Herrn, wie er davon spricht, daß er die Sünder mit sich versöhnen will: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit…, in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ich will zu der, die keine Barmherzigkeit erlangt hat, sprechen: Du, die du Barmherzigkeit erlangt hast!“ (Hos. 2,21. 25; Schluß nicht Luthertext). Unbestreitbar ist doch dieser Bund unsere erste Verbindung mit Gott; wenn der sich aber auf Gottes Barmherzigkeit stützt, so bleibt für unsere Gerechtigkeit kein Fundament mehr übrig! Ich möchte doch auch von denen, die so tun, als ob der Mensch Gott mit irgendwelcher Werkgerechtigkeit entgegenkäme, gern wissen, ob sie denn meinen, daß es überhaupt irgendwelche Gerechtigkeit geben könne außer der, die Gott wohlgefällig ist. Wenn es aber unsinnig ist, an so etwas nur zu denken – wie soll dann von Gottes Feinden etwas ausgehen können, das ihm wohlgefiele, wo er doch gegen sie ganz und gar und gegen alle ihre Taten einen Widerwillen hat? Die Wahrheit bezeugt doch, meine ich, daß wir alle tödliche und geschworene Feinde unseres Gottes sind (Röm. 5,6; Kol. 1,21), bis wir gerechtfertigt sind und in seine Freundschaft aufgenommen werden. Wenn der Ursprung der Liebe die Rechtfertigung ist, was soll es dann für Gerechtigkeit aus den Werken geben, die ihr voraufgehen könnte? So gemahnt uns Johannes, um diese verderbenbringende Anmaßung abzuwenden, mit Nachdruck daran, daß wir ihn nicht zuerst geliebt haben! (1. Joh. 4,10). Das gleiche hatte der Herr schon vorzeiten durch seinen Propheten erklärt: „Ich will sie lieben mit freiwilliger Liebe; denn mein Zorn hat sich gewendet“ (Hos. 14,5; nicht Luthertext). Wenn sich also seine Liebe unverursacht zu uns neigte, so ist sie sicherlich nicht durch unsere Werke angeregt worden. Der gewöhnliche Mensch aber meint in seiner Unkundigkeit, mit all dem Vorstehenden sei nur dies gemeint: Daß Christus unsere Erlösung vollbrachte, das hat freilich keiner verdient, daß wir aber in den Besitz dieser Erlösung gelangen – dazu helfen uns unsere Werke! O nein! Selbst wenn wir von Christus erlöst sind, so bleiben wir doch, bis wir durch die Berufung des Vaters in Christi Gemeinschaft eingefügt werden, Finsternis und Erben des Todes und Gottes Feinde! Denn nach der Lehre des Paulus werden wir erst dann durch Christi Blut von unseren Unreinigkeiten befreit und gewaschen, wenn der Heilige Geist diese Reinigung in uns bewirkt! (1. Kor. 6,11). Das gleiche will auch Petrus sagen, wenn er erklärt, die „Heiligung des Geistes“ wirke „zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut … Christi“ (1. Petr. 1,2). Wenn wir so durch den Heiligen Geist mit dem Blut Christi zu unserer Reinigung besprengt werden, so sollen wir nicht meinen, wir seien vor dieser Besprengung etwas anderes, als was der Sünder ohne Christus ist! Es soll also stehen bleiben: Der Beginn unseres Heils ist gewissermaßen eine Erweckung vom Tode zum Leben; denn erst dann, wenn es uns um Christi willen geschenkt wird, an ihn zu glauben, fangen wir an, aus dem Tode ins Leben überzugehen.



III,14,7

Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich die Gruppe von Menschen zusammenfassen, die ich bei der oben erwähnten Stufenfolge an zweiter und dritter Stelle nannte. Denn die Unreinheit des Gewissens bezeugt, daß sie beide noch nicht durch Gottes Geist wiedergeboren sind. Auf der anderen Seite macht die Tatsache, daß sie nicht wiedergeboren sind, offenbar, daß es ihnen am Glauben gebricht. Daraus aber ergibt sich deutlich, daß sie noch nicht mit Gott versöhnt und vor seinem Angesicht noch nicht gerechtfertigt sind; denn zu diesen Gütern gelangt man nur durch den Glauben. Was sollen Sünder, die von Gott entfremdet sind, anders hervorbringen, als was vor seinem Urteil widerwärtig ist? Die Gottlosen und vor allem die Heuchler blähen sich zwar in solch törichtem Selbstvertrauen: mögen sie auch wissen, daß ihr ganzes Herz ein Brunnquell von Abscheulichkeit ist, so meinen sie doch, wenn sie einmal einige blendende Werke hervorbringen, die wären nun wert, daß sie Gott nicht verschmähe! Daher kommt denn dieser verderbliche Irrtum, daß sie sich, von ihrer lasterhaften, nichtswürdigen Gesinnung überführt, doch nicht zu dem Geständnis bringen lassen, daß sie aller Gerechtigkeit bar sind. Nein, sie erkennen zwar, daß sie ungerecht sind, weil sie es nicht leugnen können, aber trotzdem maßen sie sich einige Gerechtigkeit an! Dieser Eitelkeit setzt der Herr bei dem Propheten eine herrliche Widerlegung entgegen: „Frage den Priester um das Gesetz und sprich: Wenn jemand heiliges Fleisch trüge in seines Kleides Zipfel und rührte danach an mit seinem Zipfel Brot … oder was es für Speise wäre, würde es auch heilig? Und die Priester antworteten und sprachen: Nein. Haggai sprach: wenn nun einer, der an seiner Seele befleckt wäre, etwas von diesen Dingen berührte, würde es damit unrein? Die Priester antworteten und sprachen: Es würde unrein. Da antwortete Haggai und sprach: Ebenso sind dies Volk und diese Leute vor mir auch, spricht der Herr; und all ihrer Hände Werk und was sie opfern, ist unrein“ (Hagg. 2,11-14; V. 13 nicht Luthertext). Wenn doch dieser Spruch bei uns vollen Glauben finden und sich in unserem Gedächtnis recht festsetzen könnte! Denn es ist keiner, der sich von dem überzeugen ließe, was der Herr hier so deutlich kundtut – mag er sonst in seinem ganzen Leben auch noch so lasterhaft sein! Auch der Nichtswürdigste hat, sobald er die eine oder andere der vom Gesetz erforderten Leistungen vollbracht hat, gar keinen Zweifel, daß ihm das nun an Stelle der Gerechtigkeit das Wohlgefallen Gottes eintrüge. Der Herr aber erklärt, daß wir auf solche Weise keinerlei Heiligung erwerben, ohne daß unser Herz zuvor recht gereinigt wäre! Und damit begnügt er sich noch nicht, sondern er versichert mit Schärfe, daß alle Werke, die vom Sünder ausgehen, durch die Unreinigkeit des Herzens mit verunreinigt werden! (Hagg. 2,13). Deshalb fort mit dem Namen „Gerechtigkeit“ von solchen Werken, die Gottes Mund um ihrer Beflecktheit willen verdammt! Wie fein ist auch das Gleichnis, an dem er das zeigt! Man hätte ja einwerfen können, was der Herr geboten habe, das bleibe doch unverletzlich rein. Dem setzt er aber das Gegenteil entgegen: es ist nicht verwunderlich, wenn etwas, das im Gesetz des Herrn geheiligt ist, von der Unreinigkeit der Gottlosen besudelt wird; denn wenn eine unreine Hand das Heilige berührt, so macht sie es gemein.
Simon W.

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III,14,8

Den gleichen Sachverhalt behandelt er ganz herrlich bei Jesaja: „Bringt mir nicht mehr Schlachtopfer so vergeblich! Das Räuchwerk ist mir ein Greuel! … Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahrfesten; ich bin ihrer überdrüssig, ich bin’s müde zu leiden! Und wenn ihr schon eure Hände ausstreckt, verberge ich doch meine Augen vor euch; und ob ihr schon viel betet, so höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. Waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen …“ (Jes. 1,13-16; vergleiche Jes. 58,1-5). Was soll das hier bedeuten, daß der Herr solchen Ekel am Gehorsam gegen sein Gesetz hat? Nein, er verwirft hier nichts, was aus der lauteren Befolgung seines Gesetzes kommt; – deren Anfang ist aber, wie er allenthalben lehrt, die aufrichtige Furcht seines Namens! Ist die weggenommen, so ist alles, was man ihm darbringt, nicht allein Possenzeug, sondern stinkender, abscheulicher Schmutz! Nun sollen die Heuchler hergehen und sich bemühen, Gott durch ihre Werke für sich zu gewinnen, während doch unterdessen ihr Herz weiter in Bosheit verwickelt bleibt! Sie werden ihn auf diese Weise doch nur um so mehr erzürnen! Denn „der Gott, losen Opfer ist dem Herrn ein Greuel“, allein „das Gebet der Frommen ist ihm angenehm!“ (Spr. 15,8). Es ergibt sich also als zweifellose Tatsache und es muß dem, der in der Schrift einigermaßen geübt ist, völlig geläufig sein, daß bei den Menschen, die noch nickt wahrhaft geheiligt sind, auch die dem Augenschein nach am herrlichsten gleißenden Werke so weit von der Gerechtigkeit vor dem Herrn entfernt sind, daß sie gar als Sünden gelten! Es ist deshalb sehr richtig, wenn man gesagt hat: Die Person kann bei Gott nicht durch die Werke Gnade erlangen, sondern die Werke sind umgekehrt erst dann Gott wohlgefällig, wenn zuvor die Person vor Gottes Angesicht Gnade gefunden hat! (Pseudo-Augustin, Von der wahren und der falschen Buße 15,30; Gregor I., Briefe, IX,122; wiedergegeben im Decretum Gratiani, II,3,7). Man soll auf diese Ordnung, zu der uns die Schrift mit der Hand leitet, ehrfürchtig achten. So heißt es: „Und der Herr sah gnädig an Abel und seine Werke“ (Gen. 4,4). Da sieht man doch, wie der Herr den Menschen seine Gunst erteilt und dann erst ihren Werken! Deshalb muß die Reinigung des Herzens voraufgehen, damit die Werke, die von uns ausgehen, von Gott gnädig angenommen werden. Denn das Wort des Jeremia bleibt stets in Kraft: „Herr, deine Augen sehen nach der Aufrichtigkeit!“ (Jer. 5,3; Luther: nach dem Glauben). Auch hat der Geist Gottes durch den Mund des Petrus erklärt, daß allein „durch den Glauben“ der Menschen Herzen gereinigt werden (Apg. 15,9). Daraus ergibt sich, daß das erste Fundament im wahren und lebendigen Glauben liegt.



III,14,9

Wir wollen nun zusehen, was denn die Menschen für eine Gerechtigkeit haben, die wir oben an vierter Stelle nannten. Wir bekennen: Wenn uns Gott durch das Eintreten der Gerechtigkeit Christi für uns mit sich versöhnt, uns aus lauter Gnaden die Vergebung der Sünden schenkt und uns so als gerecht ansieht, dann ist mit solcher Barmherzigkeit zugleich die Wohltat verbunden, daß er durch seinen Heiligen Geist in uns wohnt. Durch die Kraft dieses Geistes wird alle Begehrlichkeit unseres Fleisches von Tag zu Tag mehr ertötet, wir aber werden geheiligt, das heißt: wir werden dem Herrn zu wahrhaftiger Reinheit des Lebens geweiht, und zwar dadurch, daß unser Herz so gestaltet wird, daß es dem Gesetz Gehorsam leistet. Unser Wille soll also darin sein vornehmstes Ziel haben, seinem Willen zu dienen und seinen Ruhm auf alle Weise zu fördern. Allein, selbst wenn wir unter der Leitung des Heiligen Geistes auf den Wegen des Herrn wandeln, bleiben noch immer Reste von Unvollkommenheit an uns, die uns allen Grund zur Demut geben, damit wir uns nicht selbst vergessen und unser Herz aufblähen! „Es gibt keinen Gerechten“, sagt die Schrift, „der Gutes täte und nicht sündigte:“ (1. Kön. 8,46; nicht genau). Was für eine Gerechtigkeit wollen die Gläubigen also noch aus ihren Werken erlangen? Zunächst behaupte ich: auch das Beste, das sie vorbringen können, ist noch immer von der Unreinigkeit des Fleisches benetzt und verderbt und es ist gewissermaßen stets mit irgendwelchem Bodensatz untermischt. Ein heiliger Knecht Gottes, sage ich, soll einmal aus seinem ganzen Leben das auswählen, was nach seiner Meinung die hervorragendste Tat seines Lebenslaufs gewesen ist, er soll alle Einzelheiten genau überdenken. Er wird dann ohne allen Zweifel an irgendeiner Stelle etwas vorfinden, das die Fäulnis des Fleisches empfinden läßt. Denn unsere Freudigkeit, Gutes zu tun, ist nie, wie sie sein sollte, sondern unser Lauf ist gehemmt, und daran offenbart sich viel Gebrechlichkeit! So sehen wir, daß die Makel, mit denen die Werke der Heiligen befleckt sind, nicht verborgen sind. Aber nehmen wir trotzdem an, diese Flecken seien ganz, ganz klein – werden sie darum auch Gottes Augen keinen Anstoß geben, vor denen doch nicht einmal die Sterne rein sind? (Hiob 25,5). Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß von den Heiligen nicht ein einziges Werk ausgeht, das nicht, an sich selbst betrachtet, als gerechten Lohn die Schmach verdiente!



III,14,10

Und weiter: selbst wenn es eintreten könnte, daß wir doch einige durchaus reine und vollkommene Werke hätten, so ist doch, wie der Prophet sagt, eine einzige Sünde genug, um jede Erinnerung an die vorige Gerechtigkeit zu zerstören und auszulöschen! (Ez. 18,24). Dem stimmt auch Jakobus zu: „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist’s ganz schuldig!“ (Jak. 2,10; bei Calvin verkürzt). Nun ist aber dieses sterbliche Leben niemals von Sünden rein und frei, und deshalb wird alles, was wir uns vielleicht an Gerechtigkeit errungen haben, durch die immer wieder folgenden Sünden verderbt, erdrückt und vernichtet, so daß es nicht vor Gottes Angesicht kommt und uns nicht zur Gerechtigkeit gerechnet werden kann. Schließlich muß man auch, wenn es um die Gerechtigkeit aus den Werken geht, nicht auf das Werk des Gesetzes sehen, sondern auf das Gebot. Wenn wir also beim Gesetz Gerechtigkeit suchen, so ist es vergebens, wenn wir das eine oder das andere Werk vorbringen; nein, es ist fortdauernder Gehorsam gegen das Gesetz erforderlich! Deshalb rechnet uns Gott die Vergebung der Sünden, von der wir sprachen, nicht bloß einmal zur Gerechtigkeit an – wie viele Leute töricht meinen! -, so daß wir also zunächst Vergebung für unser vergangenes Leben empfingen, dann aber im Gesetz unsere Gerechtigkeit suchen sollten. Das wäre ja nichts anderes, als daß uns Gott eine falsche Hoffnung einflößte und uns darüber verlachte und mit uns sein Spiel triebe. Es kann uns doch keine Vollkommenheit zuteil werden, solange wir mit diesem Fleische angetan sind. Auf der anderen Seite aber droht das Gesetz allen denen Tod und Gericht an, die nicht mit der Tat vollkommene Gerechtigkeit an den Tag gelegt haben. Es müßte also stets Grund haben, uns anzuklagen und für schuldig zu erklären – wenn uns nicht Gottes Barmherzigkeit dagegen zu Hilfe käme, um uns in beständiger Vergebung unserer Sünden sogleich loszusprechen! Es bleibt also immer bestehen, was ich im Anfang gesagt habe: Wenn wir nach unserer eigenen Würdigkeit beurteilt werden, so sind wir, was wir auch bedenken und ins Werk setzen mögen, doch mit allen unseren Bemühungen, mit all unserem Streben des Todes und des Verderbens würdig.



III,14,11

Wir müssen hier zweierlei mit Nachdruck vertreten: erstens hat es nie ein Werk eines frommen Menschen gegeben, das, wenn es nach Gottes strengem Urteil geprüft wurde, nicht verdammenswert gewesen wäre. Zweitens: selbst wenn es so etwas gäbe – was aber dem Menschen nicht möglich ist! -, so würde es doch durch die Sünde, mit der der Täter dieses Werks sicherlich zu schaffen hat, verdorben und befleckt werden und so seine Wohlgefälligkeit verlieren. Hier liegt der wichtigste Punkt unserer Auseinandersetzung (mit den Papisten). Denn über den Ursprung der Rechtfertigung besteht zwischen uns und den verständigeren Schultheologen kein Streit; (wir behaupten) nämlich (beiderseits), daß der Sünder aus lauter Gnade von der Verdammnis befreit wird und die Gerechtigkeit erlangt, und zwar durch die Vergebung der Sünden. Dabei verstehen die Schultheologen aber unter dem Wort „Rechtfertigung“ die Erneuerung, in der uns der Geist Gottes zum Gehorsam gegenüber dem Gesetz umgestaltet. Die Gerechtigkeit des wiedergeborenen Menschen beschreiben die Schultheologen dann folgendermaßen: Der Mensch, der durch den Glauben an Christus einmal mit Gott versöhnt ist, wird nun durch seine guten Werke vor Gott für gerecht geachtet und er ist also durch das Verdienst dieser Werke Gott wohlgefällig. Der Herr aber sagt das Gegenteil: er erklärt, daß er dem Abraham seinen Glauben zur Gerechtigkeit gerechnet habe (Röm. 4,3) – und zwar nicht zu der Zeit, als er noch den Götzen diente, sondern als er bereits viele Jahre ein durch hervorragende Heiligkeit ausgezeichnetes Leben geführt hatte! Abraham hat also Gott schon lange aus reinem Herzen verehrt, hat schon lange den Gehorsam gegen das Gesetz bewiesen, den ein sterblicher Mensch leisten kann – und trotzdem ruht seine Gerechtigkeit auch jetzt noch allein auf dem Glauben! Daraus folgern wir, genau wie es Paulus in seiner Beweisführung auch tut: also hatte er sie nicht aus den Werken! (Röm. 4,4f.). Auch wenn es bei dem Propheten heißt: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben“ (Hab. 2,4), so ist da nicht von gottlosen und unheiligen Menschen die Rede, die der Herr zum Glauben bekehrte und dadurch rechtfertigte, sondern dies Wort richtet sich an die Gläubigen und verheißt ihnen das Leben aus dem Glauben! Auch Paulus behebt jeden Zweifel, wenn er den obigen Satz (Röm. 4,4f.) durch die Heranziehung des Davidswortes bekräftigt: „Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind..“ (Röm. 4,7; Ps. 32,1). Es ist aber sicher, daß David hier nicht von den Gottlosen, sondern von den Gläubigen redet, deren er selber einer war: er redet doch aus dem Empfinden seines eigenen Gewissens heraus. Wir müssen also diese „Seligkeit“ (im Sinne von Psalm 32,1) nicht nur einmal haben, sondern unser Leben lang festhalten! Und schließlich: Paulus bezeugt, daß die Botschaft von der aus Gnade geschehenden Versöhnung mit Gott nicht nur für den einen oder anderen Tag kundgemacht wird, sondern daß sie in der Kirche ihren bleibenden Platz hat (2. Kor. 5,18ff.). Deshalb haben die Gläubigen bis ans Ende ihres Lebens keine andere Gerechtigkeit, als sie hier beschrieben wird. Denn Christus bleibt unablässig unser Mittler, der den Vater mit uns versöhnt, und unaufhörlich ist auch die Wirkung seines Todes, nämlich Abwaschung und Genugtuung, die Sühne und schließlich der vollkommene Gehorsam, der alle unsere Ungerechtigkeiten bedeckt! Auch sagt Paulus im Epheserbrief nicht, wir hätten den Anfang unserer Seligkeit aus der Gnade, sondern (allgemein): „Aus Gnaden seid ihr selig geworden… nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme!“ (Eph. 2,8f.).
Simon W.

Der Pilgrim
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III,14,12

Die Schultheologen mochten nun entkommen und suchen allerlei Ausflüchte; die helfen ihnen aber nicht heraus! Zunächst erklären sie, die guten Werfe hätten ihr Vermögen, zum Erwerb der Gerechtigkeit ausreichend zu sein, nicht aus der ihnen innewohnenden Würdigkeit (intrinseca dignitas), sondern es sei der „annehmenden Gnade“ (gratia acceptans) zu verdanken, daß sie solchen Wert besäßen! Alsdann müssen sie zwar gezwungenermaßen anerkennen, daß die Gerechtigkeit aus den Werken hier stets unvollkommen ist, und deshalb geben sie zu, daß wir, solange wir leben, der Vergebung der Sünden bedürfen, die den Mangel unserer Werke auffülle, zugleich aber behaupten sie, daß die Missetaten, die wir begehen, durch „überschüssige Werke“ (opera supererogationis) ausgeglichen würden! Was sie nun die „annehmende Gnade“ nennen, das ist, so entgegne ich, gar nichts anderes als die gnädige Güte, mit der uns der Vater in Christus annimmt, wenn er uns nämlich mit Christi Unschuld bekleidet und sie uns zurechnet, so daß er uns durch deren Wohltat vor ihm als heilig, rein und unschuldig gelten läßt! Denn Christi Gerechtigkeit allein ist vollkommen, sie allein vermag Gottes Anblick zu ertragen, und sie muß deshalb für uns eintreten und sich gewissermaßen als Bürge dem Gericht stellen! Sind wir mit ihr gerüstet, so erlangen wir im Glauben immerfort die Vergebung der Sünden. Ihre Reinheit verhüllt unseren Schmutz und die Unreinigkeit unseres unvollkommenen Wesens, und darum werden uns diese nicht zugerechnet, sondern gewissermaßen vergraben und bedeckt, so daß sie nicht vor Gottes Urteil kommen. Bis einst die Stunde kommt, da in uns der alte Mensch getötet und gänzlich ausgelöscht ist, und Gottes Güte uns mit dem „neuen Adam“ in den seligen Frieden aufnimmt: da sollen wir auf den Tag des Herrn warten, an dem wir einen unverweslichen Leib empfangen und in die Herrlichkeit des Himmelreichs übergehen werden.



III,14,13

Ist das aber wahr, so können uns gewiß keinerlei Werke, die wir getan haben, aus sich heraus Gott wohlgefällig und angenehm machen, ja sie können auch selbst Gottes Wohlgefallen nur insofern finden, als der Mensch, mit Christi Gerechtigkeit umhüllt, Gott wohlgefällt und Vergebung für seine Übeltaten erlangt. Denn Gott hat den Lohn des Lebens nicht bestimmten Werken verheißen, sondern er spricht allein: „Welcher Mensch das tut, der wird dadurch leben!“ (Lev. 18,5; nicht ganz Luthertext). Auf der anderen Seite aber spricht er einen feierlichen Fluch über alle die, welche nicht in allen Geboten bleiben! (Deut. 27,26). Es wird also im Himmel keine andere Gerechtigkeit angenommen, als die vollkommene Beobachtung des Gesetzes. Damit wird das Hirngespinst einer „teilweisen Gerechtigkeit“ (partialis iustitia) reichlich widerlegt. Ebensowenig begründet ist das übliche Geschwätz der Schultheologen von der Ersatzleistung durch „überschüssige Werke“. Wieso, kommen diese Leute nun nicht immer wieder an einen Punkt zurück, wo man sie bereits ausgeschlossen hat? Behaupten sie nicht wiederum, daß der, welcher das Gesetz zum Teil erfüllt hat, insofern durch seine Werke gerecht sei? Kein Mensch mit gesundem Urteil wird ihnen das zugeben – und doch nehmen sie es in toller Unverschämtheit als ausgemachte Sache an! So oft bezeugt der Herr, daß er keine Gerechtigkeit der Werke anerkennt außer der, die in der vollkommenen Beobachtung seines Gesetzes besteht. Was ist es da für eine Bosheit, wenn wir dieser vollkommenen Beobachtung des Gesetzes zwar ermangeln, aber trotzdem nicht den Eindruck machen wollen, als wären wir alles Ruhms beraubt, das heißt: als hätten wir Gott gänzlich das Feld geräumt – und darüber wer weiß welche geringfügigen Bruchstücke von Werken für uns in Anspruch nehmen und uns bemühen, das, was daran fehlt, mit irgendwelchen anderen genugtuenden Taten auszugleichen! Diese „genugtuenden Werke“ sind schon oben mächtig niedergerissen worden, so daß sie uns nicht einmal mehr im Traum in den Sinn kommen sollten. Ich sage nur dies: die Leute, die solch ungereimtes Zeug schwatzen, bedenken gar nicht, was für eine abscheuliche Sache vor Gott die Sünde ist. Sonst würden sie wahrhaftig einsehen, daß die ganze Gerechtigkeit der Menschen, wenn man sie auf einen Haufen zusammenbrächte, doch nicht ausreichen könnte, um für eine Sünde den Ausgleich zu bieten! Wir sehen doch, daß der Mensch durch eine einzige Missetat dermaßen von Gott verworfen und verstoßen worden ist, daß er zugleich jedes Mittel verloren hat, sich das Heil wiederzuerlangen! (Gen. 3,17). Das Vermögen zur Genugtuung ist also nicht mehr da, und die Menschen, die sich dessen brüsten, werden Gott ganz gewiß nie Genugtuung leisten, weil ihm doch nichts angenehm und wohlgefällig ist, was von seinen Feinden ausgeht. Feinde sind aber alle, denen er die Sünde anzurechnen entschlossen ist! Es muß also zunächst unsere Sünde bedeckt und vergeben sein, ehe der Herr irgendeines von unseren Werken ansieht. Daraus folgt, daß die Vergebung der Sünden aus lauter Gnaden geschieht – und diese Vergebung wird von denen, die irgendwelche „genugtuenden Werke“ vorbringen, schmählich gelästert! Wir wollen also nach dem Vorbild des Apostels „vergessen, was dahinten ist und uns strecken zu dem, das da vorne ist“, wollen auf unserer Bahn „laufen“ und nach dem „Kleinod“ der „himmlischen Berufung“ „jagen“! (Phil. 3,13f.).



III,14,14

Wenn man nun „überschüssige Werke“ für sich in Anspruch nimmt – wie stimmt das denn mit der Weisung des Herrn überein? Der hat uns doch gesagt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, wir haben nicht mehr getan, als was wir zu tun schuldig waren!“ (Luk. 17,10; nicht ganz Luthertext). Wenn einer das nun vor Gott sagt, so heißt das nicht heucheln und lügen, sondern bei sich selbst feststellen, was man für gewiß hält. Der Herr gibt uns also die Weisung, aufrichtig zu empfinden und bei uns selber zu bedenken, daß wir ihm keinerlei unerforderte Dienste leisten können, sondern stets nur die schuldige Arbeit tun. Und das mit Recht: denn wir sind als Knechte zu so vielen Dienstleistungen verpflichtet, daß wir sie nicht zu verrichten vermögen, selbst wenn wir alle unsere Gedanken und alle unsere Glieder in den Dienst der Erfüllung des Gesetzes stellten. Wenn er also sagt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist …“ – so bedeutet das: wenn etwa einer die Gerechtigkeit aller Menschen besäße und noch mehr als das …! Wir sind aber doch alle ohne Ausnahme von diesem Ziel sehr weit entfernt – und wie sollten wir es da wagen, uns zu rühmen, als hätten wir gar noch einen Haufen zu dem rechten Maß hinzugebracht? Hier soll auch keiner einwenden, es könnte doch durchaus vorkommen, daß ein Mensch, der die notwendigen Leistungen zum Teil nicht vollbringt, doch in seinem Eifer über das Erforderte hinausginge. Wir müssen nämlich scharf daran festhalten, daß uns nichts, was zur Verehrung Gottes oder zur Liebe in Beziehung steht, in den Sinn kommen kann, das nicht unter dem Gesetz Gottes begriffen würde! Ist aber alles ein Stück des Gesetzes, so sollen wir keine freiwillige Guttat für uns in Anspruch nehmen, wo wir doch tatsächlich durch die Notwendigkeit gebunden sind.



III,14,15

In dieser Sache beruft man sich nun zu Unrecht auf die Tatsache, daß sich Paulus rühmt, er habe bei den Korinthern freiwillig auf sein Recht verzichtet, das er doch sonst, wenn er gewollt hätte, auch hätte anwenden können, er habe an ihnen nicht nur das getan, was er nach seiner Verpflichtung tun mußte, sondern ihnen über die Grenze seines Dienstes hinaus auch noch umsonst seine Arbeit gewidmet (1. Kor. 9,1ff.). Aber man hätte doch darauf achten müssen, womit er da sein Verhalten begründet: er wollte (1. Kor. 9,12) eben den Schwachen keinen Anstoß bereiten! Es gab da böse, betrügerische Arbeiter, die sich mit solcher Gütigkeit heuchlerisch schmückten, um ihren schädlichen Lehren Gunst zu verschaffen und gegen das Evangelium Haß zu erregen. Da mußte also Paulus entweder das Evangelium solcher Gefahr aussetzen – oder aber diesen Ränken entgegentreten. Nun, wenn es für einen Christenmenschen eine freigelassene (außerhalb seiner Christenpflicht stehende) Sache ist, einem Ärgernis entgegenzutreten, wenn er es vermeiden kann – dann gebe ich zu, daß der Apostel dem Herrn etwas „überschüssiges“ geleistet hat. Wenn es aber von einem verständigen Verwalter des Evangeliums mit Recht verlangt werden kann, so zu handeln, dann hat, so behaupte ich, Paulus getan, was er schuldig war! Aber selbst wenn eine solche Begründung nicht sichtbar wird, so ist schließlich trotzdem stets das Wort des Chrysostomus richtig, nach welchem alles, was wir haben, der gleichen Bedingung unterliegt wie der Eigenbesitz der Leibeigenen, der nach dem dafür geltenden Recht dem Herrn selber unzweifelhaft zusteht. Das hat Christus in dem genannten Gleichnis auch nicht außer Ansatz gelassen; er fragt nämlich, welchen Dank wir denn wohl einem Knecht schuldig wären, der sich den ganzen Tag mit mancherlei Arbeit abgegeben hat und dann des Abends zu uns zurückkehrt (Luk. 17,7-9). Man könnte fragen: Aber es kann doch vorkommen, daß er mehr Eifer daran gewendet hat, als wir zu fordern gewagt hatten! Das mag sein; aber er hat doch nichts getan, was er nicht in seiner Stellung als Knecht zu tun schuldig war, denn er gehört ja uns mit allem, was er vermag. Ich will davon schweigen, was das für Werke sind, die die Schultheologen Gott als „überschüssige Werke“ anbieten wollen. Es sind nämlich Possen, die er selber nie verlangt hat, noch billigt, noch auch annehmen wird, wenn wir ihm werden Rechenschaft geben müssen! Nur in einem Sinne wollen wir zugeben, daß diese Werke wirklich „überschüssig“ sind, nämlich im Sinne des Prophetenwortes: „Wer fordert solches von euren Händen?“! (Jes. 1,12). Sie sollen aber dann auch bedenken, was anderwärts von solchen Werken gesagt ist: „Warum zählet ihr Geld dar, da kein Brot ist, und tut Arbeit, davon ihr nicht satt werden könnt?“ (Jes. 55,2). Allerdings ist es für diese müßigen Rabbinen nicht sehr mühselig, in der Schule auf ihren weichgepolsterten Lehrstühlen solcherlei Reden zu führen. Aber wenn einst der höchste Richter seinen Richtstuhl besteigt, dann müssen alle solche haltlosen Meinungen verwehen! Unsere Frage sollte aber wahrhaftig die sein, mit welcher Zuversicht auf unsere Verteidigung wir vor seinen Richtstuhl treten können – nicht aber, was wir in Schulen und Winkeln zu fabeln vermögen!



III,14,16

In diesem Stück müssen wir vor allem zweierlei Pestilenz aus unserem Herzen vertreiben: einmal soll es keinerlei Zuversicht auf die Gerechtigkeit der Werke setzen, und zum anderen soll es ihnen keinen Ruhm zuerkennen.

(1) Alle solche Zuversicht nimmt uns die Schrift an vielen Stellen weg, indem sie uns lehrt, daß all unsere Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht stinkend ist, wenn sie nicht durch Christi Unschuld einen Wohlgeruch empfängt, daß sie nur Gottes Rache auf uns ziehen kann, wenn sie nicht von Gottes barmherziger Nachsicht getragen wird. Sie läßt uns also nichts übrig, als daß wir unseren Richter um Gnade bitten und mit David bekennen, daß vor Gott keiner gerechtfertigt werden kann, wenn er von seinen Knechten Rechenschaft fordert (Ps. 143,2). Hiob sagt: „Bin ich gottlos, so wehe mir! Bin ich gerecht, so darf ich doch mein Haupt nicht aufheben!“ (Hiob 10,15). Dabei hat er freilich jene höchste Gerechtigkeit Gottes im Auge, der auch die Engel nicht entsprechen; aber er zeigt doch zugleich, daß allen Sterblichen, wenn es zu Gottes Gericht kommt, nichts übrigbleibt, als zu verstummen. Denn er will nicht nur sagen, daß er lieber weichen will, als sich mit Gottes Strenge in einen gefahrvollen Streit einzulassen, nein, er deutet zugleich an, daß er bei sich nur eine solche Gerechtigkeit wahrgenommen hat, die gleich im ersten Augenblick vor Gottes Angesicht zusammenbrechen muß.

(2) Ist aber so die Zuversicht (auf die Gerechtigkeit der Werke) abgetan, so muß auch alles Rühmen weichen. Wenn einer auf seine Werke vertraut, so muß er vor Gottes Angesicht erzittern – wie sollte er ihnen dann aber das Lob der Gerechtigkeit zollen? Wir müssen also dahin kommen, wozu uns Jesaja ruft: nämlich daß sich aller Same Israels in Gott rühme und preise (Jes. 45,25)! Denn es ist volle Wahrheit, wenn er an anderer Stelle sagt, wir seien „pflanzen“ der Ehre des Herrn! (Jes. 61,3; nicht Luthertext). Unser Herz ist also dann recht gereinigt, wenn es sich in keiner Weise auf das vertrauen auf die Werke stützt und im Rühmen (dieser Werke) jubiliert. Wo sich aber törichte Menschen von solcher falschen, lügnerischen Zuversicht aufblähen lassen, da hat sie der Irrtum angereizt, die Ursache ihres Heils stets auf die Werke zu gründen!
Simon W.

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III,14,17

Die Philosophen geben uns bekanntlich die Anweisung, bei allem Zustandekommen der Dinge auf vielerlei Ursachen zu achten. Tun wir das hier, so werden wir finden, daß keine einzige von ihnen die Begründung unseres Heils auf die Werke ermöglicht. Als (1) wirkende Ursache (causa efficiens), die uns das ewige Leben verschafft, bezeichnet die Schrift allenthalben die Barmherzigkeit unseres himmlischen Vaters und seine aus lauter Gnaden uns zukommende Liebe. Als (2) „inhaltliche Ursache“ (causa materialis) nennt sie Christus und seinen Gehorsam, mit dem er uns die Gerechtigkeit erworben hat. (3) Und die „formale“ oder das Werkzeug bezeichnende Ursache (causa formalis seu instrumentalis) ist doch unzweifelhaft nichts anderes als der Glaube! Diese drei Ursachen faßt Johannes in einen einzigen Salz zusammen, wenn er sagt: „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!“ (Joh. 3,16). (4) Die Zweckursache (causa finalis) ist nach dem Zeugnis des Apostels die Offenbarung der Gerechtigkeit und der Lobpreis der Güte Gottes. An der Stelle, wo wir das letztere bezeugt finden, erwähnt Paulus mit ausführlichen Worten auch die anderen drei Ursachen. Er sagt nämlich im Römerbrief: „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten, und werden … gerecht aus seiner Gnade …“ (Röm. 3,23f.): da haben wir die Hauptsache (caput) und die erste Quelle vor uns, nämlich daß uns Gott in gnädigem Erbarmen angenommen hat! Dann geht es weiter: „… durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist“ (Vers 24). Da steht also die inhaltliche Tatsache (materia), durch die uns Gerechtigkeit zuteil wird. Dann weiter: „… durch den Glauben in seinem Blut …“ (Vers 25): da tritt uns die das Werkzeug bezeichnende Ursache (causa instrumentalis) vor Augen, durch die uns Christi Gerechtigkeit zugeeignet wird. Zum Schluß fügt er dann auch den Zweck an: „… auf daß er … darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum!“ (Vers 26). Außerdem bemerkt er ja im Vorbeigehen auch, daß diese Gerechtigkeit in der Versöhnung besteht, und erklärt dementsprechend ausdrücklich, daß uns Christus zur Versöhnung gesetzt ist (Vers 25). So lehrt er uns auch im ersten Kapitel des Epheserbriefs: (1) Gott nimmt uns aus lauter Erbarmen in Gnaden an, (2) das geschieht durch Christi Eintreten für uns, (3) es wird im Glauben erfaßt, und (4) das alles zu dem Zweck, daß der Ruhm der Güte Gottes in vollem Glanz erstrahle! (Eph. 1,3-14). Wir sehen also, daß unser Heil in allen seinen einzelnen Stücken außer uns besteht – was haben wir nun noch für einen Grund, uns auf die Werke zu verlassen oder uns ihrer zu rühmen? (vgl. Sektion 16). Selbst die geschworensten Feinde der göttlichen Gnade können hinsichtlich der „wirkenden Ursache“ und der „Zweckursache“ keinerlei Streit mehr mit uns anfangen, wenn sie nicht die ganze Schrift leugnen wollen. Was die „inhaltliche“ und die „formale“ Ursache betrifft, so tun sie so, als ob sich da unsere Werke mit dem Glauben und der Gerechtigkeit Christi den Platz teilen müßten. Aber auch dagegen erhebt die Schrift Einspruch: sie erklärt einfach, daß Christus unsere Gerechtigkeit und unser Leben ist, und daß wir dieses Gut der Gerechtigkeit allein durch den Glauben innehaben.



III,14,18

Nun stärken und trösten sich aber die Heiligen öfters durch das Bewußtsein ihrer Unschuld und Lauterkeit, rühmen sich ihrer auch zuweilen ohne Scheu. Das geschieht in einem doppelten Sinne. Entweder vergleichen sie ihre gute Sache mit der bösen Sache der Gottlosen und gewinnen dadurch Siegeszuversicht, freilich nicht so sehr durch die hohe Würde ihrer eigenen Gerechtigkeit, als durch die gerechte und wohlverdiente Verdammnis ihrer Feinde. Oder aber sie vergleichen sich sonst mit niemand, prüfen sich aber vor Gott – und da bringt ihnen die Reinheit ihres Gewissens einigen Trost und einige Zuversicht. Mit der ersten Ursache solchen Rühmens müssen wir uns noch später befassen. Jetzt wollen wir die zweite betrachten und kurz erwägen, wie denn damit unser obiger Satz übereinstimmt, daß wir uns nämlich vor Gottes Gericht auf keinerlei Zuversicht auf unsere Werke stützen und uns keines Wahns dieser Werke rühmen können. Die Übereinstimmung ist folgendermaßen zu denken: Wenn es sich um die Begründung und Aufrichtung des Heils handelt, dann sehen die Heiligen von allen ihren Werken ab und richten ihren Blick allein auf Gottes Güte. Sie wenden sich zu Gottes Güte nicht nur vor allem anderen, gewissermaßen als zum Ursprung ihrer Seligkeit, sondern ruhen auf ihr auch als auf der völligen Erfüllung. Ist das Gewissen auf solche Weise gegründet, aufgerichtet und gestärkt, so dient ihm auch die Betrachtung der Werke zur Stärkung, weil sie nämlich Zeugnisse dafür sind, daß Gott in uns wohnt und regiert. Diese Zuversicht auf die Werke hat also nur da Raum, wo man zuvor alle Zuversicht des Herzens auf Gottes Barmherzigkeit geworfen hat; sie kann also nicht im Widerspruch zu der Zuversicht erscheinen, von der sie doch tatsächlich abhängt! Wenn wir also die Zuversicht auf Werke ausschließen, so wollen wir damit nur, daß das Christenherz nicht auf ein Verdienst der Werke als Hilfe zur Seligkeit seine Betrachtung richte, sondern sich ausschließlich auf die Gnadenverheißung der Gerechtigkeit verlasse. Wir verbieten aber nicht, daß es diesen Glauben durch die Zeichen des ihm zugewandten göttlichen Wohlwollens unterstütze und stärke. Wenn wir daran gedenken, was für Gaben uns Gott alle hat zuteil werden lassen, so gleichen sie uns gewissermaßen Strahlen des göttlichen Angesichtes, die uns erleuchten, um dieses herrlichste Licht seiner Güte anzuschauen. Wieviel mehr kann uns dann aber die Gnadengabe der guten Werke dazu dienen, die uns beweist, daß er uns den Geist der Kindschaft gegeben hat!



III,14,19

Wenn also die Heiligen ihren Glauben im Blick auf die Unschuld ihres Gewissens stärken und an ihr den Anlaß zu jubelnder Freude nehmen, so ist das nichts anderes, als daß sie an den Früchten ihrer Berufung merken, daß sie von dem Herrn an Kindes Statt angenommen sind. Wenn also Salomo sagt: „Wer den Herrn fürchtet, der hat eine sichere Festung“ (Spr. 14,26), oder wenn die Gläubigen, um vom Herrn erhört zu werden, zu der Beteuerung greifen, sie hätten doch in Lauterkeit und Einfalt vor seinem Angesicht gewandelt (Gen. 24,40; 2. Kön. 20,3) – so hat das keinerlei Bedeutung, wenn es sich darum handelt, das Fundament zu legen, um unser Gewissen zu stärken. Alles das hat nur Wert, wenn es als Rückschluß (a posteriori) behandelt wird. Denn tatsächlich ist die „Furcht Gottes“ (Spr. 14,26!) nirgendwo so beschaffen, daß sie eine völlige Sicherheit begründen könnte. Und die Lauterkeit (Gen. 24,40; 2. Kön. 20,3!), deren sich die Gläubigen bewußt sind, ist doch noch immer mit mancherlei Überbleibseln des Fleisches untermischt! Aber da sie aus den Früchten der Wiedergeburt einen Beweis entnehmen, daß der Heilige Geist in ihnen wohnt, so dient ihnen das zu keiner geringen Stärkung, um in allen Nöten Gottes Hilfe zu erwarten, wo sie ihn doch in einer so wichtigen Sache als ihren Vater erfahren! Aber auch das vermögen sie nicht, wenn sie nicht zuvor Gottes Güte ergriffen haben, die durch keine andere Gewißheit besiegelt ist, als durch die der Verheißung! Wollten sie diese Güte Gottes nach den guten Werken zu beurteilen anfangen, so gäbe es nichts Ungewisseres und Unbeständigeres; denn wenn man die Werke an und für sich beurteilt, so beweisen sie durch ihre Unvollkommenheit nicht weniger den Zorn Gottes, als sie allenfalls durch ihre anfangsweise Reinheit sein Wohlwollen bezeugen! Kurzum, die Heiligen rühmen zwar Gottes Wohltaten, aber sie lassen darin Gottes Gunst nicht beiseite, die uns aus Gnade zukommt. In ihr liegt nach dem Zeugnis des Paulus die „Länge und die Breite und die Tiefe und die Höhe“ (Eph. 3,18; Reihenfolge etwas anders). Er will also gewissermaßen sagen: Wohin die Frommen auch ihre Sinne richten, wie hoch sie sie steigen, wie weit und breit sie sie schweifen lassen – so sollen sie doch nicht von der „Liebe Christi“ (Eph. 3,19) abgehen, sondern vielmehr ihre geschlossene Kraft daran wenden, sie zu betrachten, weil sie alle Maße in sich begreift. Deshalb sagt er auch, daß sie „alle Erkenntnis übertrifft“ und überragt, und daß wir, wenn wir erkennen, wie sehr uns Christus geliebt hat, „erfüllt werden mit allerlei Gottesfülle“ (Eph. 3,19). So rühmt er es auch an anderer Stelle, daß die Gläubigen in jedem Streite Sieger sind, und fügt dann gleich als Grund hinzu: „Um des willen, der uns geliebet hat!“ (Röm. 8,37).



III,14,20

Die Heiligen sehen also in den Werken nichts anderes als Gottes Gaben, an denen sie seine Güte erkennen, nichts anderes als Zeichen ihrer Berufung, an denen sie ihre Erwählung merken sollen. Daraus ersehen wir nun, daß in ihnen nicht ein Vertrauen auf die Werke lebendig ist, welches ihrem Verdienst etwas beimäße oder der aus Gnaden geschehenden Gerechtigkeit, die wir in Christus erlangen, etwas abzöge: es hängt ja vielmehr von ihr ab und besteht nicht ohne sie! Das zeigt auch Augustin mit kurzen Worten, aber sehr treffend, wenn er schreibt: „Ich sage nicht zu dem Herrn: Die Werke meiner Hände wollest du nicht verachten. Ich habe den Herrn gesucht mit meinen Händen, und ich bin nicht zuschanden geworden! (vgl. Ps. 77,3). Aber die Werke meiner Hände preise ich nicht; denn ich fürchte, wenn du sie anschautest, so würdest du mehr Sünden als Verdienste finden! Ich sage und bitte und begehre nur dies: ‘Die Werke deiner Hände wollest du nicht verachten’!“ (Zu Psalm 137; vgl. Ps. 138, 8). Er gibt hier zwei Ursachen an, weshalb er nicht wagte, Gott seine Werke anzubieten: (1) hat er tatsächlich irgendwelche guten Werke, so sieht er daran nichts, was sein wäre; (2) dann aber wird auch dies von der Menge der Sünden überrannt. So kommt es, daß das Gewissen dabei mehr Furcht und Schrecken empfindet, als Sicherheit! Er begehrt also, daß Gott das, was er recht gemacht hat, nur dazu anschaue, um die Gnade seiner Berufung darin wiederzuerkennen und das Werk zu vollenden, das er angefangen hat!
Simon W.

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III,14,21

Außerdem aber zeigt doch die Schrift, daß die guten Werke der Gläubigen Ursache sind, weshalb der Herr ihnen Wohltaten erweist! Das müssen wir nun so verstehen, daß dabei unser obiger Satz unerschüttert bestehen bleibt, nämlich, daß die wirkende Ursache (effectus) unseres Heils in der Liebe Gottes, unseres Vaters liegt, der Inhalt (materia) im Gehorsam des Sohnes, das Werkzeug (instrumentum) in der Erleuchtung des Heiligen Geistes, also im Glauben, und daß dabei das Ziel (finis) der Ruhm dieser großen Freundlichkeit Gottes ist (vgl. Sektion 17). Dem widerspricht es nicht, wenn der Herr unsere Werke, gleichsam als untergeordnete Ursachen, annimmt. Aber warum tut er das? Er führt eben die Menschen, die er in seiner Barmherzigkeit für das Erbe des ewigen Lebens bestimmt hat, nach seinem geordneten Walten durch die guten Werke in den Besitz dieses Erbes ein! Was nun in der Reihenfolge dieser Austeilung (seiner Gaben) vorausgeht, das bezeichnet er als die Ursache des Folgenden! Aus diesem Grunde leitet er zuweilen auch das ewige Leben von den Werken her, nicht weil ihnen der Ruhm zugeschrieben werden dürfte; nein: weil er die, welche er „erwählt“ hat, auch „rechtfertigt“ und schließlich „herrlich macht“ (Röm. 8,30), darum macht er die früher geschenkte Gnade, die eine Stufe zur folgenden ist, gewissermaßen zu deren Ursache. Aber wenn die wahre Ursache betont werden muß, dann weist er uns nicht an, zu den Werken unsere Zuflucht zu nehmen, sondern hält uns allein bei der Betrachtung seiner Barmherzigkeit! Was bedeutet es denn, wenn er uns durch den Apostel lehrt: „Der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben …“? (Röm. 6,23). Er stellt da Leben und Tod einander gegenüber – warum dann nicht ebenso Gerechtigkeit und Sünde? So hätte die Gegenüberstellung richtig lauten müssen, die durch die hier vorliegende Veränderung etwas abgebrochen wird. Aber der Apostel wollte der Wirklichkeit entsprechend in dieser Gegenüberstellung zum Ausdruck bringen, daß die Verdienste des Menschen den Tod verdienen, daß das Leben aber allein in Gottes Barmherzigkeit liegt! Kurz, durch solche Redeweisen (Ewiges Leben auf Grund der Werke!) wird mehr die Reihenfolge bezeichnet, als eine Ursache: Gott häuft Gnade auf Gnade und nimmt die früheren Gnadengaben zur Ursache, weitere hinzuzutun, damit er nichts außer acht lasse, um seine Knechte reich zu machen. So fährt er fort, freigebig gegen uns zu sein; aber er will dabei, daß wir stets auf die aus lauter Gnade uns zuteil werdende Erwählung blicken, die die Quelle und der Ursprung ist! Obgleich er nämlich die Gaben, die er uns tagtäglich schenkt, liebhat, sofern sie aus dieser Quelle hervorsprudeln, ist es doch unsere Sache, an jener gnädigen Annahme festzuhalten, die allem unsere Seelen fest machen kann. Die Gaben seines Geistes aber die er uns dann weiter zuteil werden läßt, sollen wir der ersten (eigentlichen) Ursache so unterordnen, daß sie ihr keinen Eintrag tun!



Fünfzehntes Kapitel: Was man vom Verdienst der Werke rühmt, macht Gottes Lobpreis für das Zustandebringen der Gerechtigkeit, zugleich aber auch die Heilsgewißheit zunichte



III,15,1

Was in dieser Sache das wichtigste ist, das haben wir bereits behandelt: wenn unsere Gerechtigkeit auf die Werke gegründet wäre, so müßte sie vor Gottes Angesicht gänzlich zuschanden werden; deshalb aber besteht sie tatsächlich allein in Gottes Erbarmen, allein in dem Teilhaben an Christus und darum allein im Glauben. Wir wollen aber nachdrücklich darauf achten, daß dies der Angelpunkt der ganzen Angelegenheit ist, damit wir uns nicht in jenen allgemeinen Irrtum verstricken, dem nicht nur einfältige, sondern auch gelehrte Leute verfallen sind! Sobald sich nämlich die Frage nach der Rechtfertigung aus dem Glauben oder aus den Werken erhebt, nehmen sie schnell ihre Zuflucht zu solchen Schriftstellen, die dem Anschein nach unseren Werken irgendein Verdienst vor Gott zuschreiben Als ob die Rechtfertigung aus den Werken schon erwiesen wäre, wenn sich zeigen ließe, daß die Werke immerhin einen Wert vor Gott besitzen! Ich habe doch oben klar nachgewiesen, daß die Gerechtigkeit aus den Werken ausschließlich in der vollendeten und vollkommenen Beobachtung des Gesetzes liegt. Daraus ergibt sich, daß ein Mensch nur dann nach seinen Werken gerechtfertigt wird, wenn er sich zu dem höchsten Grad von Vollkommenheit emporgeschwungen hat und keiner einzigen, auch nicht der allergeringsten Übertretung beschuldigt werden kann! Eine andere und hiervon getrennte Frage ist aber die, ob die Werke, selbst wenn sie in keiner Weise dazu ausreichen, den Menschen zu rechtfertigen, nicht doch Gnade bei Gott verdienen.



III,15,2

Zunächst muß ich einleitungsweise von dem Wort „Verdienst“ sprechen. Wer diesen Ausdruck zum erstenmal auf die menschlichen Werke in ihrem Verhältnis zu Gottes Urteil angewandt hat, der hat – er mag sein, wer er will – der Lauterkeit des Glaubens einen sehr schlechten Dienst getan! Ich habe wahrhaftig nicht gern mit Wortgezänk etwas zu tun – aber ich möchte wohl, unter den christlichen Schriftstellern wäre stets dies Maßhalten geübt worden, daß sie nicht ohne Notwendigkeit darauf gekommen wären, Ausdrücke in ihr Denken aufzunehmen, die der Schrift fremd sind, und die sehr viel Ärgernis, aber gar wenig Frucht bringen! Ich möchte doch zu gerne wissen: war es denn nötig, das Wort „Verdienst“ einzuführen, wo man den Wert der guten Werke doch auch mit anderen Ausdrücken deutlich und ohne Ärgernis bezeichnen konnte? Wieviel Ärgernis dieses Wort aber in sich trägt, das ist unter großem Schaden für die ganze Welt offenbar! Es ist doch sicherlich ein unsagbar aufgeblasenes Wort, und deshalb vermag es nichts anderes, als Gottes Gnade zu verdunkeln und die Menschen mit verkehrter Hoffart zu erfüllen! Allerdings haben – das gebe ich zu – auch die alten Schriftsteller der Kirche dieses Wort durchgängig gebraucht – und wollte Gott, sie hätten durch den Mißbrauch dieses einen Wörtleins den Späteren nicht solchen Anlaß zum Irrtum gegeben! Freilich bezeugen sie auch selbst an einigen Stellen, daß sie der Wahrheit mit ihrem Gebrauch jenes Wörtleins in keiner Weise etwas nehmen wollten. Augustin sagt nämlich an einer Stelle so: „Hier sollen die menschlichen Verdienste verstummen, die doch durch Adam verlorengegangen sind – hier soll Gottes Gnade durch Jesus Christus regieren!“ (Von der Prädestination der Heiligen,15,31). Oder auch: „Ihren Verdiensten schreiben die Heiligen nichts zu, nein, sie werden alles allem deiner Barmherzigkeit beimessen, o Gott!” (Zu Psalm 139). Oder an anderer Stelle: „Und wenn der Mensch sieht, daß er alles, was er Gutes besitzt, nicht aus sich heraus hat, sondern von seinem Gott, dann merkt er auch, daß alles, was man an ihm lobt, nicht aus seinen Verdiensten, sondern aus Gottes Barmherzigkeit stammt!“ (Zu Psalm 84). Da sieht man, wie er dem Menschen alles Vermögen abspricht, recht zu handeln, und wie er auch die Würdigkeit des Verdienstes umstößt. Chrysostomus aber sagt: „Wenn auf Gottes gnädige Berufung irgendwelche Werke folgen, die wir getan haben, so sind sie eine Rückgabe, eine Schuld; Gottes Wohltaten aber sind Gnade, Wohltätigkeit und reiche Freigebigkeit!“ (Predigten zur Genesis,34,6). Jetzt wollen wir aber das Wort (Verdienst) auf sich beruhen lassen und lieber auf die Sache selber unser Augenmerk richten. Ich habe nun zwar oben einen Satz aus Bernhard herangezogen, der folgendermaßen lautete: „Wie es zum Verdienste genug ist, sich der Verdienste nicht zu vermessen, so ist es zum Gericht genug, überhaupt keine Verdienste zu haben!“ (Predigten zum Hohen Liede, 68,6). Aber gleich darauf fügt er eine Erläuterung hinzu und mildert damit völlig die Härte des Ausdrucks: „Deshalb sorge dich darum, Verdienste zu haben! Hast du aber welche, so wisse, daß sie dir gegeben sind! Dann erhoffe als Frucht die Barmherzigkeit Gottes – dann bist du aller Gefahr der Armut, der Undankbarkeit und der Vermessenheit entgangen! Glücklich die Kirche, der es weder an Verdiensten fehlt, deren sie sich nicht vermißt – noch an Vermessenheit, die ohne Verdienste ist!“ (Predigten zum Hohen Liede, 68,6). Kurz vorher hatte er mehr als deutlich gezeigt, in welch frommem Sinne er jenes Wort („Verdienst“) gebrauchte: „Denn was soll sich die Kirche um Verdienste sorgen, weil sie doch einen viel festeren und gewisseren Grund hat, sich des Vorsatzes Gottes zu rühmen! Gott kann sich ja nicht selbst verleugnen: er wird tun, was er verheißen hat! (Anklang an 2. Tim. 2,13). Es ist also kein Grund zu fragen: aus was für Verdiensten dürfen wir Gutes erwarten? Besonders nicht, wenn man hört: Nicht um euretwillen, sondern um meinetwillen …’ (Ez. 36,22. 32; nicht genau). Zum Verdienst ist es genug, wenn man weiß, daß die Verdienste nicht genug sind!“ (Predigten zum Hohen Liede, 68,6).



III,15,3

Was alle unsere Werke für ein Verdienst begründen, das zeigt uns die Schrift, wenn sie erklärt, daß sie Gottes Anblick nicht ertragen können, weil sie voll Unreinigkeit sind! Und was weiterhin die vollkommene Beobachtung des Gesetzes – sofern sich eine solche finden ließe! – für ein Verdienst begründen könnte, das zeigt uns die Schrift auch: wenn wir „alles getan haben, was wir schuldig waren“, so weist sie uns an, uns für „unnütze Knechte“ zu halten! (Luk. 17,10). Denn wir haben dem Herrn ja nichts geleistet, wozu wir nicht verpflichtet waren, sondern nur unsere schuldige Pflicht erfüllt, für die uns kein Dank gebührt! Der Herr aber bezeichnet trotzdem die guten Werke, die er uns zuteil werden läßt, als unsere Werke, und er bezeugt nicht nur, daß sie ihm Wohlgefallen, sondern daß sie auch Belohnung finden sollen! Wiederum ist es unsere Sache, uns von einer so großen Verheißung aufmuntern zu lassen, unseren Mut zusammenzunehmen, damit wir nicht müde werden, Gutes zu tun – und uns für solch herrliche Freundlichkeit Gottes wahrhaft dankbar zu erzeigen! Unzweifelhaft ist alles, was an unseren Werken Lob verdient, eine Gnade Gottes, und es ist kein einziges Tröpflein daran, das wir uns eigentlich selber zuschreiben dürften! Wenn wir das wirklich und mit Ernst erkennen, dann vergeht uns nicht nur alle Zuversicht auf unsere Verdienste, sondern jeder Wahn, wir besäßen welche! Den Lobpreis für die guten Werke, meine ich, teilen wir also nicht zwischen Gott und dem Menschen auf, wie es die Klüglinge machen, – sondern wir lassen ihn ganz, unversehrt und unverkürzt dem Herrn zukommen. Dem Menschen schreiben wir dabei nur soviel zu, daß er gerade das, was gut war, mit seiner Unreinigkeit befleckt und verderbt! Denn vom Menschen – er mag so vollkommen sein, wie er will! – geht nichts aus, was nicht mit irgendeinem Makel beschmutzt wäre. Mag der Herr nun das, was an den menschlichen Werken noch das Beste ist, vor sein Gericht fordern: er wird darin zwar seine Gerechtigkeit erkennen, aber des Menschen Schmach und Schande! Die guten Werke sind also Gott wohlgefällig, sie sind auch nicht ohne Frucht für den, der sie tut, nein, sie bringen ihm vielmehr als Vergeltung die herrlichsten Wohltaten Gottes ein. Aber nicht, weil sie das so verdienten, sondern weil Gottes Güte ihnen von sich aus diesen Wert beigelegt hat! Was ist es aber für eine Bosheit, wenn der Mensch sich mit Gottes Freigebigkeit nicht zufrieden gibt, die ihm die Werke, die dergleichen nicht verdienten, mit unverdienten Belohnungen vergilt – und wenn er dann in gotteslästerlichem Ehrgeiz weiter darauf dringt, daß die Gaben, die allein aus Gottes Milde kommen, nun als Vergeltung für das Verdienst der Werke erscheinen! Hier berufe ich mich auf den natürlichen Menschenverstand jedes einzelnen. Nehmen wir an, es hat jemand durch die Freigebigkeit eines anderen Menschen die Nutznießung von einem Acker. Wenn er nun aber hergeht und auch auf das Eigentumsrecht Anspruch erhebt – verdient er dann nicht mit solcher Undankbarkeit, daß er gerade das Anrecht verliert, das er besaß? Oder ähnlich: wenn ein Herr seinen Sklaven freigelassen hätte und der nun seinen schlichten Stand als Freigelassener verschwiege und sich als Freigeborenen ausgäbe – wäre der nicht wert, wieder Sklave zu werden wie zuvor? Denn wenn wir etwas zum Geschenk erhalten haben, so genießen wir es nur dann recht, wenn wir uns nicht mehr herausnehmen, als uns gegeben ist, und wenn wir den Geber des Guten nicht um den ihm zukommenden Lobpreis bringen, sondern uns vielmehr so verhalten, daß das, was er uns geschenkt hat, gewissermaßen bei ihm zu verbleiben scheint! Müssen wir schon den Menschen gegenüber in dieser Weise Maß halten, so möge jeder sehen und bedenken, wie sehr wir es Gott schuldig sind!
Simon W.

Der Pilgrim
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III,15,4

Ich weiß nun, daß die Klüglinge einige Stellen mißbrauchen, um zu beweisen, daß sich auch in der Schrift der Ausdruck „Verdienst“ im Verhältnis zu Gott finde. Zunächst führen sie aus dem Buche Sirach den Satz an: „Alle Wohltat wird ihre Stätte finden, und einem jeglichen wird widerfahren, wie er’s verdient hat“ (Jes. Sir. 16,14). Dann ziehen sie aus dem Hebräerbrief die Stelle heran: „Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht; denn mit solchen Opfern erwirbt man sich ein Verdienst bei Gott“ (Hebr. 13,16; der Schluß nach der Vulgata und nicht nach dem Luthertext und Urtext, siehe unten). Ich hätte nun durchaus das Recht, die Autorität des Buches Sirach abzulehnen; aber darauf will ich jetzt verzichten. Ich bestreite trotzdem, daß die Klüglinge das, was dieser Sirach – mag dieser Schriftsteller sein, wer er will – geschrieben hat, textgetreu anführen. Denn der griechische Text lautet: „Alle Wohltat wird ihre Stätte finden, es wird nämlich jeder einzelne es nach seinen Werken finden!“ Dies ist aber die reine Lesart, die man in der lateinischen Fassung verdorben hat! Das ergibt sich einerseits schon allein aus dem Textbestand dieser Worte selbst, andererseits aber auch aus dem weiteren Zusammenhang der vorangehenden Rede. Was die Stelle aus dem Hebräerbrief betrifft, so finden sie in ihr keinerlei Grund, uns auch nur mit einem einzigen Wort einen Fallstrick zu legen. Denn in den griechischen Worten des Apostels steht gar nicht anderes als: „solche Opfer gefallen Gott wohl“ oder sind ihm angenehm (vgl. Luthertext). Um die Frechheit unseres hoffärtigen Wesens zu dämpfen und niederzuhalten, sollte schon allein dies reichlich genügen, daß wir unseren Werken keine Würdigkeit über die Aussage der Schrift hinaus andichteten! Die Lehre der Schrift aber sieht so aus: Unsere guten Werke sind stets und ständig mit mancherlei Schmutz befleckt, und dadurch wird Gott mit Recht beleidigt und zum Zorn gegen uns gereizt – so wenig können sie ihn mit uns versöhnen oder seine Wohltätigkeit gegen uns hervorrufen! Dennoch prüft er sie in seiner Nachsicht nicht nach schärfstem Recht und nimmt sie deswegen an, als ob sie ganz rein wären. Und darum vergilt er sie uns mit unzähligen Wohltaten des gegenwärtigen und auch des zukünftigen Lebens – obwohl sie das alles nicht verdienen! Denn ich kann mir die von sonst gelehrten und frommen Männern aufgestellte Unterscheidung nicht zu eigen machen, nach welcher uns unsere guten Werke die Gnadengaben verdienen, die uns in diesem Leben zuteil werden, die ewige Seligkeit aber allein ein Lohn des Glaubens sein soll. Der Herr nämlich verheißt uns fast immer, daß uns sowohl der Lohn für unsere Mühe, als auch der Siegeskranz für unser Kämpfen im Himmel zuteil werden wird! Auf der anderen Seite ist es gegen die Lehre der Schrift, wenn man die Tatsache, daß wir von dem Herrn mit Gnadengaben über Gnadengaben überschüttet werden, dem Verdienst der Werke zuschreibt und sie damit der Gnade abspricht. Denn Christus sagt zwar: „Wer da hat, dem wird gegeben werden“ (Matth. 25,29) und „Du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen!“ (Matth. 25,21). Aber er zeigt doch anderwärts zugleich, daß das Zunehmen der Gläubigen eine Gabe seiner unverdienten Güte ist. Er spricht: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommet her … und kauft ohne Geld und umsonst beides, Wein und Milch!“ (Jes. 55,1). Alles, was also jetzt den Frommen zur Förderung ihres Heils zuteil wird, das ist, wie die Seligkeit selber, lauter Freundlichkeit Gottes. Trotzdem bezeugt er, daß er bei dieser Seligkeit und bei jenen Gaben auch auf die Werke Rücksicht nimmt, weil er zum Erweis seiner großen Liebe gegen uns nicht nur uns selber solcher Ehre würdigt, sondern auch die Gaben, die er uns geschenkt hat!



III,15,5

Hätte man das in den vergangenen Jahrhunderten in der erforderlichen Ordnung behandelt und auseinandergesetzt, so wäre nie eine solche Fülle von Verwirrung und Uneinigkeit entstanden. Paulus sagt uns, bei dem Aufbau der christlichen Lehre müsse stets das Fundament beibehalten werden, das er selbst bei den Korinthern gelegt hatte und außer dem man kein anderes legen kann: dies aber sei Jesus Christus! (1. Kor. 3,11). Was ist das nun für ein Fundament, das wir in Christus haben? Besteht es etwa darin, daß er für uns der Anfang des Heils war, die Vollendung aber von uns aus folgen müßte? Hat er uns bloß einen Weg eröffnet, auf dem wir nun selber in eigener Kraft wandern müßten? In keiner Weise! Vielmehr wird uns dies Fundament, wie es Paulus selber zuvor erklärt hat, dann zuteil, wenn wir erkennen, daß er uns zur Gerechtigkeit gegeben ist! (1. Kor. 1,30). Es ist also niemand recht in Christus gegründet, der nicht in ihm vollkommene Gerechtigkeit besitzt. Denn der Apostel sagt nicht, Christus sei gesandt, um uns zur Erlangung der Gerechtigkeit zu helfen, sondern um selbst unsere Gerechtigkeit zu sein! (1. Kor. 1,30). Wir sind eben in ihm von Ewigkeit her, vor Grundlegung der Welt erwählt, ohne eigenes Verdienst, sondern nach dem Vorsatz des göttlichen Wohlgefallens (Eph. 1,4f.). Wir sind durch seinen Tod von dem Fluch des Todes erlöst und von der Verlorenheit befreit! (Kol. 1,14. 20). In ihm sind wir von unserem himmlischen Vater zu Kindern und Erben angenommen! (Röm. 8,17; Gal. 4,5-7). Durch sein Blut sind wir mit dem Vater versöhnt! In seine Hut sind wir gegeben und werden dadurch der Gefahr entrissen, verlorenzugehen und zunichte zu werden! In ihn sind wir eingefügt, und dadurch haben wir schon jetzt gewissermaßen Anteil am ewigen Leben (Joh. 10,28) und sind durch die Hoffnung in Gottes Reich eingegangen. Aber ich bin noch nicht am Ende. Haben wir solchermaßen Anteil an ihm gewonnen, so ist er vor Gott unsere Weisheit, wie große Narren wir auch in uns selber noch sein mögen! Mögen wir unrein sein – er ist Reinheit für uns! Mögen wir auch schwach sein, so daß wir waffenlos dem Satan ausgesetzt sind – „ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ – und diese Gewalt gehört auch uns! (Matth. 28,18). Mit ihr zertritt er für uns den Satan und zerbricht die Pforten der Hölle! Mögen wir auch den Leib des Todes noch an uns tragen – so ist er doch Leben für uns: Kurz, alles, was er besitzt, gehört uns, und in ihm haben wir alles, in uns nichts! Auf dieses Fundament, meine ich, müssen wir erbaut werden, wenn wir zu einem Tempel erwachsen wollen, der dem Herrn geheiligt ist!



III,15,6

Aber schon seit langer Zeit hat man die Welt anders unterwiesen: man hat wer weiß was für moralische „gute Werke“ erfunden, mit denen die Menschen Gott angenehm werden sollen, ehe sie in Christus eingeleibt sind. Als ob die Schrift löge, wenn sie uns sagt, daß alle, die den Sohn nicht haben, im Tode sind! (1. Joh. 5,12). Wenn sie aber im Tode liegen – wie sollen sie dann die Ursache zum Leben aus sich hervorbringen? Als ob es ohne Belang wäre wenn es heißt: „Was … nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde!“ (Röm. 14,23). Als ob aus einem faulen Baum doch gute Früchte hervorgehen könnten! (Matth. 7,18; Luk. 6,43). Was haben denn diese furchtbar verderbenbringenden Klüglinge eigentlich Christus noch übriggelassen, an dem er seine Kraft ausüben könnte? Sie sagen, er habe uns die „erste Gnade“ durch sein Verdienst erworben, das heißt: die Möglichkeit, überhaupt Verdienste zu erlangen, und dann wäre es unsere Sache, die dargebotene Gelegenheit nicht zu verfehlen! O, was ist das für eine verworfene, gottlose Unverschämtheit! Wer sollte es für möglich halten, daß Menschen, die Christi Namen bekannt haben, ihn dann so seiner Kraft entkleiden könnten, ja ihn beinahe gar mit Füßen zu treten wagten! Immer wieder wird ihm doch das Zeugnis gegeben, daß alle gerechtfertigt sind, die an ihn glauben – diese Leute aber lehren, es käme von ihm nur die eine Wohltat, daß nun dem einzelnen Menschen der Weg gebahnt sei, um sich selbst zu rechtfertigen! Hätten sie doch etwas von dem Sinn der Schriftstellen begriffen, die wir jetzt folgen lassen! „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben“ (1. Joh. 5,12). Oder: „Wer … glaubt, der ist … vom Tode zum Leben hindurchgedrungen!“ (Joh. 5,24). Hätten sie es verstanden, wenn die Schrift uns lehrt, daß wir durch seine Gnade gerechtfertigt und damit zu Erben des ewigen Lebens geworden sind (Tit. 3,5; 2.Tim. 1,9; Röm. 3,24; Röm. 5,1f.), daß die Gläubigen Christus besitzen und er in ihnen bleibt (1. Joh. 3,24), daß sie durch ihn Gott anhängen und als Mitteilhaber an seinem Leben „samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt sind“ (Eph. 2,6), daß sie durch ihn in Gottes Reich versetzt sind (Kol. 1,13) und die Seligkeit erlangt haben! Solche Stellen gibt es noch unzählige! Alle diese Aussagen der Schrift zeigen uns, daß wir durch den Glauben an Christus nicht etwa bloß die Fähigkeit erlangen, um die Gerechtigkeit zu gewinnen und das Heil zu erwerben, sondern daß uns dadurch beides (tatsächlich) geschenkt wird! Sobald du also durch den Glauben in Christus eingefügt bist, bist du bereits zum Kinde Gottes, zum Erben des Himmels, zum Mitgenossen an der Gerechtigkeit und zum Besitzer des Lebens geworden! Du hast – um die Lügen der Klüglinge noch besser zurückzuweisen! – damit nicht die Möglichkeit erhalten, dir Verdienste zu erwerben, sondern du hast alle Verdienste Christi erlangt, weil du an ihnen Teil gewonnen hast!



III,15,7

So haben uns die Schulen der Sorbonne, diese Mütter aller Irrtümer, die Rechtfertigung aus dem Glauben genommen, die doch das Hauptstück aller Frömmigkeit ist! Sie geben zwar mit Worten zu, daß der Mensch durch den „gestalteten“ Glauben gerechtfertigt werde; aber nachher erklären sie das so: vom Glauben her hätten eben die guten Werke die Kraft, zur Gerechtigkeit zu verhelfen! Es scheint fast gar, als ob sie den Ausdruck „Glaube“ nur zum Spott gebrauchen, weil sie ihn eben nicht ohne sehr große Schande verschweigen konnten: er wird ja in der Schrift so oft wiederholt! Aber damit geben sie sich noch nicht zufrieden, sondern sie stehlen Gott auch ein Stück von dem Lobpreis für die guten Werke und übertragen es auf den Menschen. Sie sehen, daß die guten Werke, wenn sie als Früchte der göttlichen Gnade gelten, zur Erhebung des Menschen gar wenig ausrichten und daß sie auch im eigentlichen Sinne nicht einmal Verdienste genannt werden können. Deshalb lassen sie sie aus der Kraft des freien Willens hervorgehen – wie Öl aus einem Stein! Sie bestreiten dabei nicht, daß die Hauptursache in der Gnade liege; es kommt ihnen aber trotzdem darauf an, daß der freie Wille nicht ausgeschlossen werde, durch den alles „Verdienst“ zustande kommt! Das ist nun aber nicht bloß eine Lehrmeinung der späteren Klüglinge; sondern ihr Pythagoras, nämlich Petrus Lombardus lehrt ebenso (Sentenzen II,27) – und dabei wird man doch, wenn man ihn mit den späteren vergleicht, immerhin noch sagen, er sei vernünftig und maßvoll! Gar oft führt er den Augustin im Munde, und da ist es doch eine seltsame Blindheit, daß er nicht merkt, mit welcher Sorgfalt sich dieser Mann gehütet hat, nur ja kein Stücklein Ruhm für die guten Werke dem Menschen zuzueignen! Ich habe schon oben, bei der Erörterung über den freien Willen, eine Anzahl diesbezüglicher Aussagen Augustins herangezogen. Immer wieder begegnen uns in seinen Schriften ähnliche Äußerungen. So verbietet er uns zum Beispiel, unsere Werke je für uns in Anspruch zu nehmen, weil ja auch sie Gottes Gaben sind (Zu Psalm 144). Oder er schreibt, all unser Verdienst komme allein aus der Gnade und es werde nicht durch unsere eigene Vollkommenheit zuwege gebracht, sondern allein und ganz durch die Gnade … (Brief 194). Daß Petrus Lombardus für das Licht der Schrift blind war, ist weniger verwunderlich; denn in der Schrift ist er offenkundig nicht so wohl bewandert gewesen! Trotzdem könnte man zur Abwehr gegen ihn und gegen seine Schüler gar nichts Klareres wünschen, als das Wort des Apostels in Eph. 2,10: Paulus hat da den Christen jedes Rühmen untersagt und fügt nun als Ursache, warum wir uns nicht rühmen dürfen, hinzu: „Denn wir sind Gottes Werk, geschaffen … zu guten Werken, welche er zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,10). Es kann also von uns nur insofern etwas Gutes kommen, als wir wiedergeboren sind; unsere Wiedergeburt ist aber ganz, ohne jede Ausnahme, Gottes Sache – also können wir uns von den guten Werken nicht eine Unze selber zueignen! Und zum Schluß: Immerzu dringen die Klüglinge auf die guten Werke, aber unterdessen unterweisen sie die Gewissen derart, daß sie nie die Zuversicht zu haben wagen, sie hätten nun einen gnädigen Gott, der an ihren Werken Wohlgefallen hätte. Wir dagegen reden nicht von Verdienst, richten aber dennoch mit unserer Lehre die Herzen der Gläubigen in herrlichem Troste auf, wenn wir ihnen nämlich sagen, daß sie in ihren Werken Gott wohlgefällig und unzweifelhaft von ihm angenommen sind! Ja, wir fordern hier, daß keiner ein Werk versuche oder angreife ohne den Glauben, d.h. wenn er nicht in gewisser Zuversicht zuvor zu dem Urteil gelangt, sein Werk werde Gott gefallen!
Simon W.

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III,15,8

Deshalb wollen wir uns von diesem einzigen Fundament unter keinen Umständen, auch nicht einen Finger breit abbringen lassen; ist es einmal gelegt, so bauen verständige Baumeister recht und ordentlich darauf auf! Denn wenn es jetzt der Lehre oder der Ermahnung bedarf, so verweisen sie darauf, daß der Sohn Gottes dazu erschienen ist, „daß er die Werke des Teufels zerstöre“, damit die, welche „aus Gott geboren sind“, nicht sündigen (1. Joh. 3,8f.; Schluß nicht Luthertext). Oder sie erinnern an die Stelle: „Es ist genug, daß wir die vergangene Zeit … zugebracht haben nach heidnischem Willen …“ (1. Petr. 4,3). Oder sie bemerken, daß die Auserwählten Gottes zur Ehre bestimmte Gefäße der Barmherzigkeit sind, die von allen Flecken gereinigt werden müssen! (2. Tim. 2,20f.). Aber es wird alles zusammen zum Ausdruck gebracht, wenn man darlegt, daß Christus solche Jünger haben will, die „sich selbst verleugnen“, ihr „Kreuz auf sich nehmen“ und „ihm nachfolgen“! (Luk. 9,23; Matth. 16,24). Wer sich selbst verleugnet hat, der hat allem Bösen die Wurzel durchgeschnitten, so daß er weiterhin nicht mehr sucht, was sein ist. Wer sein Kreuz auf sich genommen hat, der hat sich zu jeglicher Geduld und Sanftmut zubereitet. Aber Christi Vorbild umfaßt dies und dazu auch alle anderen Pflichten der Frömmigkeit und Heiligkeit! Er hat sich dem Vater gehorsam erwiesen bis zum Tode (Phil. 2,8), er ging ganz darin auf, die Werke Gottes zu vollführen (Luk. 2,49), er hat die Ehre seines Vaters von ganzem Herzen gesucht (Joh. 4,34; 7,16ff.; 8,49f.), er setzte sein Leben für seine Brüder ein (Joh. 10,15; 15,13), er tat seinen Feinden wohl und betete für sie! (Luk. 23,34). Ist Trost vonnöten, so können sie (jene „Baumeister“!) eine herrliche Ermunterung bringen: „Wir haben … Trübsal, aber wir ängsten uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um, und tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, auf daß auch das Lieben … Jesu … an uns offenbar werde“ (2. Kor. 4,8ff.; ganz am Schluß nicht ganz Luthertext). Oder: „Sterben wir mit, so werden wir mit leben, dulden wir, so werden wir mit herrschen …“ (2. Tim. 2,11f.). So werden wir seinen Leiden ähnlich gestaltet, bis wir gelangen zur Gleichartigkeit mit seiner Auferstehung! (Phil. 3,10f.; nicht Luthertext). Denn der Vater hat die, welche er in seinem Sohne erwählt hatte, „auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf daß derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern!“ (Röm. 8,29). Deshalb gilt es: „Weder Tod …, noch Gegenwärtiges, noch Zukünftiges … mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo … ist …“ (Röm. 8,38f., ungenau und stark verkürzt). Ja, es muß uns nun vielmehr alles zum Guten und zum Heil dienen! (Röm. 8,28). Siehe, wir rechtfertigen den Menschen vor Gott nicht aus seinen Werken, sondern wir behaupten, daß alle, die aus Gott sind, wiedergeboren werden und eine „neue Kreatur“ (2. Kor. 5,17) werden, um aus dem Reich der Sünde in das Reich der Gerechtigkeit überzugehen, an diesem Zeugnis ihren „Beruf“ „festzumachen“ (2. Petr. 1,10) und wie Bäume an ihren Früchten erkannt zu werden! (Matth. 7,20; 12,33; Luk. 6,44).



Sechzehntes Kapitel: Widerlegung der Schmähungen, mit denen die Papisten unsere Lehre in schlechten Ruf zu bringen versuchen



III,16,1

Mit diesem einen Wort läßt sich auch das widerlegen, was einige gottlose Menschen in ihrer Unverschämtheit an Schmähungen gegen uns vorbringen. So verleumden sie uns, wir schafften die guten Werke ab und führten die Leute vom Eifer um sie weg, wenn wir sagen, daß der Mensch nicht durch Werke gerechtfertigt wird und sich das Heil nicht verdient! Und dann zweitens: Wenn wir behaupten, der Weg zur Gerechtigkeit liege in der aus lauter Gnade geschehenden Vergebung der Sünden, so lästern unsere Gegner, wir bahnten eben einen allzu leichten Weg zur Gerechtigkeit, und durch solche Lockungen reizten wir die Menschen zu sündigen an, zu dem sie ohnehin mehr als zuviel geneigt wären. Diese Schmähungen, sage ich, lassen sich mit jenem einzigen Wort hinreichend widerlegen: ich will aber trotzdem auf beide kurz erwidern. Zunächst behauptet man, durch die Rechtfertigung aus dem Glauben würden die guten Werke abgetan. Ich will hier davon absehen zu sagen, was das eigentlich für Eiferer um die guten Werke sind, die uns solche Nachrede bereiten! Sie mögen ebenso ungestraft lästern, wie sie auch ungezügelt mit der Unsittlichkeit ihres Lebens die ganze Welt anstecken! Sie geben also vor, es bereite ihnen Schmerz, daß bei solch gewaltiger Lobeserhebung des Glaubens die Werke aus ihrer Stellung verdrängt würden. Was wollen sie aber sagen, wenn sie aber nun tatsächlich nur besser aufgerichtet und bekräftigt werden? Denn wir träumen nicht von einem Glauben, der leer wäre von allen guten Werken, auch nicht von einer Rechtfertigung, die ohne gute Werke bestünde. Der Unterschied besteht nur darin: wir geben zwar zu, daß Glaube und gute Werke notwendig miteinander zusammen hängen, aber wir begründen die Rechtfertigung auf den Glauben und nicht auf die Werke! Warum das geschieht, das läßt sich sofort leicht erklären, wenn wir uns nur zu Christus wenden, auf den sich der Glaube richtet und von dem er alle Kraft empfängt. Weshalb werden wir nun imGlauben gerechtfertigt? Weil wir im Glauben die Gerechtigkeit Christi ergreifen, durch die allein wir mit Gott versöhnt werden! Diese aber kann man gar nicht ergreifen, ohne zugleich auch die Heiligung zu erfassen! Denn Christus ist uns gegeben „zur Gerechtigkeit und zur Weisheit, zur Heiligung und zur Erlösung!“ (1. Kor. 1,30; Reihenfolge am Anfang umgekehrt). Christus rechtfertigt also keinen, den er nicht zugleich heiligt! Diese Wohltaten Christi sind durch ein bleibendes und unlösbares Band miteinander verknüpft: die Menschen, welche er mit seiner Weisheit erleuchtet, die erlöst er auch, die er erlöst, die rechtfertigt er auch, die er rechtfertigt, die heiligt er auch! Aber weil die Frage sich hier allein auf die Gerechtigkeit und Heiligung bezieht, deshalb wollen wir bei diesen beiden auch bleiben. Wir unterscheiden sie allerdings voneinander, aber Christus trägt sie beide untrennbar in sich! Willst du also in Christus Gerechtigkeit erlangen? Dann mußt du zuvor Christus besitzen! Du kannst ihn aber gar nicht besitzen, ohne zugleich auch an seiner Heiligung teilzuhaben! Denn man kann ihn nicht in Stücke zerreißen. Wenn uns also der Herr diese Wohltaten genießen läßt – und zwar einzig und allein dadurch, daß er sich selber uns gibt! -, so spendet er uns beides zugleich, das eine nie ohne das andere! Daraus geht deutlich hervor, wie richtig der Satz ist, daß wir nicht ohne die Werke, aber dennoch auch nicht durch die Werke gerechtfertigt werden! Denn wir werden ja nur dadurch gerecht, daß wir an Christus Anteil haben – und darin ist die Heiligung nicht weniger beschlossen als die Gerechtigkeit!



III,16,2

Völlig falsch ist auch der Vorwurf, wir brächten das Herz der Menschen von dem Eifer ab, Gutes zu tun, wenn wir ihnen den Wahn nehmen, sie könnten sich damit etwas verdienen. Im Vorbeigehen muß ich den Leser darauf aufmerksam machen, daß unsere Gegner hier, wie ich später noch deutlicher auseinandersetzen will, unsinnigerweise vom Lohn auf das Verdienst schließen. Das tun sie, weil sie einen wichtigen Grundsatz nicht kennen: Wenn Gott unseren Werken Lohn zuerteilt, so ist er dabei ebenso freigebig, wie wenn er uns das Vermögen zum rechten Tun verleiht! (Also Lohn ist nicht Verdienst!) Aber ich will das doch lieber an die dazu vorgesehene Stelle verschieben! Jetzt wird es genug sein, wenn ich bloß andeutend zeige, auf wie schwachen Füßen der Einwand der Gegner steht. Das soll auf zweierlei Weise geschehen. Zunächst sagen sie, es könne keinen Eifer um rechte Lebensführung geben, wenn man den Menschen nicht die Hoffnung auf Lohn vor Augen stellte. Das ist auf der ganzen Linie irrig! Denn wenn es nur darauf ankommt, daß die Menschen bei ihrem Dienst, den sie Gott leisten, Lohn erwarten, wenn sie ihm also ihre Arbeit vermieten oder verkaufen – so wird gar wenig ausgerichtet! Denn Gott will umsonst verehrt, umsonst geliebt werden! Er läßt, meine ich, nur den Diener als recht gelten, der auch dann nicht aufhört ihm zu dienen, wenn ihn alle Hoffnung, Lohn zu empfangen, abgeschnitten ist. Und dann: wenn die Menschen zum Guten angereizt werden sollen, so vermag kein Mensch einen schärferen Ansporn zu finden als den Hinweis auf den Zweck unserer Erlösung und Berufung. Diesen Sporn wendet das wort des Herrn an. Es lehrt, daß es eine furchtbar gottlose Undankbarkeit wäre, wenn wir den, „der uns zuerst geliebt hat“ nicht unsererseits auch wieder liebten! (1. Joh. 4,10.19). Es sagt, daß „unser Gewissen“ durch das „Blut Christi“ „von den toten Werken gereinigt“ wird, , zu dienen dem lebendigen Gott“! (Hebr. 9,14). Nach seinem Zeugnis ist es eine unwürdige Gotteslästerung, wenn wir uns, einmal gereinigt, mit neuem Schmutz beflecken und so das heilige Blut gemein machen (Hebr. 10,29). Es sagt, daß wir „aus der Hand unserer Feinde“ erlöst sind, um ihm zu dienen „ohne Furcht unser Leben lang, in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm!“ (Luk. 1,74f.; Schluß nicht Luthertert). Wir sind „frei geworden von der Sünde“, um nun mit freiem Geiste der Gerechtigkeit zu dienen! (Röm. 6,18). „Unser alter Mensch ist.. gekreuzigt“, damit wir zu einem neuen Leben auferstehen! (Röm. 6,6). Ebenso sagt uns die Schrift: sind wir nun mit Christus gestorben – wie es seinen Gliedern geziemt! -, so sollen wir auch „suchen, was droben ist“, und in der Welt als Fremdlinge wandern, um uns nach dem Himmel zu sehnen, wo unser Schatz ist! (Kol. 3,1ff.; Matth. 6,21). „Dazu ist erschienen die … Gnade Gottes …, daß wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und unseres Heilandes …“ (Tit. 2,11ff.). „Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unseren Herrn Jesus Christus“ (1. Thess. 5,9). Darum nennt uns die Schrift auch „Tempel des Heiligen Geistes“, die zu entweihen ein Frevel wäre! (1. Kor. 3,16f.; 2. Kor. 6,16; Eph. 2,21). Wir sind nach ihrem Urteil nicht Finsternis, sondern Licht in dem Herrn, und deshalb sollen wir auch als „Kinder des Lichts“ wandeln! (1. Thess. 5,4ff.; Eph. 5,8f.). „Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung“ (1. Thess. 4,7); „denn das ist der Wille Gottes“, unsere „Heiligung“, daß wir uns enthalten von allen unerlaubten Begierden! (1. Thess. 4,3). Unsere Berufung ist „heilig“ (2. Tim. 1,9), und wir können ihr deshalb nur durch Reinheit unseres Lebens gerecht werden; sind wir doch dazu „frei geworden von der Sünde“, daß wir nun der Gerechtigkeit in Gehorsam dienen sollen! (Röm. 6,18). Könnten wir denn überhaupt mit einer kräftigeren Begründung zur Liebe angetrieben werden, als mit der des Johannes: wir sollen uns untereinander lieben, wie uns der Herr geliebt hat, und der Unterschied zwischen den „Kindern Gottes“ und den „Kindern des Teufels“, den Kindern des Lichts und den Kindern der Finsternis liegt eben darin, daß jene in der Liebe bleiben? (1. Joh. 2,11; 3,10). Oder auch mit dem Hinweis des Paulus, daß wir, die wir Christus anhangen, eines Leibes Glieder sind, die sich untereinander mit gegenseitigem Dienste beistehen sollen? (1. Kor. 6,17; 1. Kor. 12,12ff.). Können wir stärker zur Heiligkeit gereizt werden, als wenn wir wiederum bei Johannes hören: „Und ein jeglicher, der solche Hoffnung hat …, der reinigt sich, gleichwie er auch rein ist“ (1. Joh. 3,3)? Oder wenn wir ebenso aus dem Munde des Paulus vernehmen, wir sollten uns im Vertrauen auf die Verheißung unserer Aufnahme in die Kindschaft „von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigen …“ (2. Kor. 7,1)? Gibt es eine bessere Mahnung zur Heiligkeit, als wenn wir hören, daß sich Christus selber als unser Vorbild hinstellt, dessen Fußtapfen wir nachwandeln sollen? (Joh. 15,10; vgl. 1. Petr. 2,21).
Simon W.

Der Pilgrim
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III,16,3

Diese wenigen Hinweise habe ich nun bloß als Kostprobe gegeben. Denn wenn ich im Sinne hätte, sie alle einzeln durchzugehen, so müßte ich darüber einen dicken Band füllen! Alle Apostelschriften sind ja voll von Zusprachen, Ermahnungen und Züchtigungen, mit denen sie den Menschen Gottes zu allem guten Werk unterweisen wollen (vgl. 2. Tim. 3,17) – und zwar ohne jede Erwähnung eines Verdienstes! Nein, sie gründen im Gegenteil gerade darauf die stärksten Ermahnungen, daß unser Heil durch kein Verdienst von unserer Seite, sondern allein durch Gottes Erbarmen Bestand hat! So macht es Paulus in Römer 12. In dem ganzen Briefe hat er davon gesprochen, daß wir einzig und allein in Christi Gerechtigkeit eine Hoffnung auf das Leben haben. Als er dann aber zu den Ermahnungen übergeht, da „ermahnt“ er seine Leser „durch die Barmherzigkeit Gottes“, deren er uns gewürdigt hat: (Röm. 12,1). Und dabei sollte uns doch zweifellos die eine Ursache genug sein, daß Gott durch uns verherrlicht werden soll (Matth. 5,16). Wenn aber einer von der Ehre Gottes innerlich nicht kräftig genug ergriffen ist, dann wird die Erinnerung an Gottes Barmherzigkeit doch sicher vollauf genügen, um solch einem Menschen zum rechten Handeln anzutreiben! (Vgl. Chrysostomus, Predigten zur Genesis, 26,5f.). Die Römischen dagegen erreichen mit ihrem Hinweis auf die Verdienste allenfalls einen knechtischen, erzwungenen Gehorsam gegen das Gesetz, und deshalb lügen sie, wir hätten, da wir ihren Weg nicht gehen wollen, nichts, um die Menschen zu guten Werken anzuspornen! Als ob sich Gott an derartigen Gehorsam sehr erfreute! Er tut uns doch kund, daß er „einen fröhlichen Geber lieb hat“, und er verbietet uns, etwas gleichsam „mit Unwillen oder aus Zwang“ zu geben (2. Kor. 9,7). Das sage ich aber nicht, weil ich die Art der Ermahnung verwerfen oder vernachlässigen wollte, die die Schrift oftmals zur Anwendung bringt, um nur ja kein Mittel außer acht zu lassen, um uns von allen Seiten zum Handeln zu ermuntern. Sie macht uns nämlich auf den Lohn aufmerksam, den Gott jedem einzelnen nach seinen Werken geben werde (Matth. 16,27; Röm. 2,6f.; 1. Kor. 3,14f.; 2. Kor. 5,10). Ich bestreite aber, daß diese Art der Ermahnung die einzige oder auch nur unter den vielen anderen die wichtigste wäre. Auch gebe ich nicht zu, daß man von ihr den Ausgangspunkt nehmen kann. Ferner behaupte ich, daß diese Tatsache, wie wir nachher noch sehen werden, in keiner Weise dazu dient, die Verdienste aufzurichten, wie die Römischen sie predigen. Und endlich kann, so meine ich, diese Art der Ermahnung nur dann Nutzen stiften, wenn zuvor die Lehre zur Geltung gekommen ist, daß wir allein durch Christi Verdienst, das wir durch den Glauben ergreifen, gerechtfertigt werden, aber durch keinerlei Verdienst aus unseren Werken! Denn zu solchem Streben nach Heiligkeit kann nur der geschickt sein, der diese Lehre zuvor in sich aufgenommen hat. Das gibt uns auch der Prophet trefflich zu verstehen, wenn er Gott anredet: „Denn bei dir, Herr, ist die Vergebung, daß man dich fürchte“ (Ps. 130,4). Er zeigt doch damit, daß es keine Verehrung Gottes gibt, wenn man nicht zuvor seine Barmherzigkeit erkannt hat, auf die jene sich gründet und von der sie ihre Kraft hat. Das ist wert, sehr nachdrücklich beachtet zu werden. Denn wir müssen nicht nur wissen, daß der Ursprung aller rechten Verehrung Gottes die Zuversicht auf seine Barmherzigkeit ist, sondern auch, daß die Furcht Gottes – die nach dem Willen der Papisten etwas Verdienstliches sein soll! – eben nicht mit dem Namen „Verdienst“ bezeichnet werden darf, weil sie ja auf die Vergebung und den Erlaß der Sünden gegründet ist!



III,16,4

Jetzt kommt aber die bei weitem unbegründetste Schmähung: wenn wir die unverdiente Vergebung der Sünden bezeugen, in der nach unserer Lehre die Gerechtigkeit ruht, so wirft man uns vor, damit reizten wir die Menschen zum Sündigen! Denn wir sagen ja, daß die Vergebung der Sünden zu köstlich ist, als daß sie mit irgendeinem Gut von unserer Seite aufgewogen werden könnte: wir vermöchten sie also nie und nimmer zu erlangen, wenn sie nicht umsonst geschähe! Nun ist sie – sagen wir weiter – für uns zwar umsonst, für Christus dagegen nicht eben so; denn er hat sie ja teuer bezahlt, nämlich mit seinem hochheiligen Blute, außer dem es kein Lösegeld gab, das wertvoll genug gewesen wäre, um dem Urteil Gottes Genüge zu leisten! Wenn man den Menschen diese Lehre Predigt, so werden sie damit daran erinnert, daß es nicht an ihnen liegt, wenn nicht jedesmal, wenn sie sündigen, aufs neue dieses hochheilige Blut vergossen wird! Außerdem sagen wir auch noch dies: unsere Schnödigkeit ist so groß, daß sie nur in dem Quell dieses unendlich reinen Blutes abgewaschen werden kann. Muß nun nicht der Mensch, welcher das hört, einen tieferen Abscheu vor der Sünde bekommen, als wenn man ihm sagt, er könne sie durch Abwaschung mit seinen guten Werken wieder loswerden? Und wenn solch ein Mensch irgendwie mit Gott zu tun hat, wie soll er dann nicht davor zurückschrecken, sich, nachdem er einmal gereinigt ist, aufs neue im Schlamm zu wälzen, um, soweit es bei ihm steht, die Reinheit dieser Quelle zu trüben und zu beschmutzen? „Ich habe meine Füße gewaschen“, spricht die gottesfürchtige Seele bei Salomo, „wie soll ich sie wieder besudeln?“ (Hoheslied 5,3). Jetzt ist es offenkundig, wer von uns beiden die Vergebung der Sünden mehr gemein macht und die Würde der Gerechtigkeit am schlimmsten schändet! Die Papisten schwatzen, sie könnten Gott mit ihren genugtuenden Werken, das heißt: mit ihrem Dreck, versöhnen. Wir dagegen behaupten, daß der Sündenschaden viel zu schlimm ist, als daß man ihn mit solch inhaltlosen Possen tilgen könnte, daß die Beleidigung, die wir Gott angetan haben, viel zu schwer ist, um auf Grund solcher nichtigen „genugtuenden Werke“ verziehen zu werden. Deshalb sagen wir: solche Tilgung der Schuld ist das alleinige Vorrecht des Blutes Christi! Die Papisten erklären, wir könnten die Gerechtigkeit, wo sie uns mangle, durch genugtuende Werke wieder aufrichten und erneuern. Wir dagegen halten sie für viel zu kostbar, als daß sie mit irgendeiner Ersatzleistung durch Werke aufgewogen werden könnte, und deshalb lehren wir, daß wir zur Wiederherstellung unserer Gerechtigkeit allein zu Gottes Barmherzigkeit unsere Zuflucht nehmen sollen. Das übrige, das mit der Vergebung der Sünden im Zusammenhang steht, muß man aus dem folgenden Kapitel entnehmen.



Siebzehntes Kapitel: Wie lassen sich die Verheißungen des Gesetzes mit denen des Evangeliums vereinigen?


III,17,1

Jetzt wollen wir auch noch den anderen Beweisen nachgehen, mit denen der Satan durch seine Trabanten die Rechtfertigung aus dem Glauben umzustoßen oder zu schmälern sich bemüht. Einen Vorwand glaube ich den Lästermäulern bereits aus der Hand geschlagen zu haben: sie können nicht mehr mit uns umgehen, als seien wir Feinde der guten Werke. Denn wenn die Rechtfertigung den Werken nicht zugeschrieben wird, so geschieht das nicht, weil wir meinten, es sollten keine guten Werke getan werden oder die guten Werke, die tatsächlich geschehen, wären gar nicht gut, sondern dazu, daß wir ihnen nicht unser Vertrauen schenken, uns ihrer nicht rühmen und ihnen nicht unser Heil beimessen! Denn unsere Zuversicht, unser Ruhm, der einzige Anker unseres Heils ist dies Eine, daß Christus, der Sohn Gottes, uns gehört und daß wir wiederum in ihm Gottes Kinder und Erben des himmlischen Reiches sind, die durch Gottes Güte und nicht um ihrer eigenen Würdigkeit willen zur Hoffnung auf die ewige Seligkeit berufen sind. Aber die Gegner berennen uns außerdem, wie gesagt, auch noch mit anderen Kampfwerkzeugen – wohlan, so wollen wir uns denn aufmachen, auch diese zurückzutreiben! Zunächst kommen sie auf die Verheißungen des Gesetzes zurück, die der Herr denen, die sein Gesetz halten, gegeben hat. Sie fragen, ob wir denn meinten, diese Verheißungen seien gänzlich kraftlos – oder ob wir sie für wirksam hielten. Da es nun aber widersinnig und lächerlich wäre, sie für kraftlos zu erklären, so nehmen sie es als zugestanden an, sie hätten irgendeine Wirkung. Daraus ziehen sie dann die Folgerung: also würden wir eben nicht „allein durch den Glauben“ gerechtfertigt! Denn der Herr spricht: „Und wenn ihr diese Rechte hört und haltet sie und danach tut, so wird der Herr, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, die er deinen Vätern geschworen hat, und wird dich lieben und segnen und mehren …“ (Deut. 7,12f.). Oder ebenso: „Wenn ihr eure Wege und euer Trachten recht richtet und nicht anderen Göttern nachfolget, und wenn ihr recht tut einer gegen den anderen und nicht in Bosheit verfallt, so will ich in euerer Mitte wandeln …“ (Jer. 7,5-7.23; nicht durchweg Luthertext, abgekürzt und in geänderter Reihenfolge). Es gibt noch tausend Sprüche der gleichen Art; ich will sie aber nicht aufzählen, weil sie dem Sinne nach den angegebenen gänzlich gleich sind und deshalb durch deren Lösung ebenfalls ihre Erläuterung finden. Eine Zusammenfassung bietet das Zeugnis des Mose: „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch, das Leben und den Tod!“ (Deut. 11,26 und 30,15, Schluß ungenau). Unsere Gegner schließen nun so: entweder muß man diesen Segen unnütz und fruchtlos machen – oder aber die Rechtfertigung geschieht nacht „allein durch den Glauben“! Wir haben nun schon oben gezeigt, wie wir, wenn wir am Gesetz hängenbleiben, alles Segens verlustig gehen, und wie uns dann allein Gottes Fluch droht, der über alle Übertreter ausgesprochen ist. Denn der Herr gibt einzig und allein denen eine Verheißung, die sein Gesetz vollkommen halten – ein solcher Mensch aber findet sich nicht! Es bleibt also bestehen, daß das ganze Menschengeschlecht vom Gesetz beschuldigt wird, des Fluchs und Zorns Gottes schuldig zu sein. Sollen wir daraus erlöst werden, so müssen wir aus der Gewalt des Gesetzes herauskommen und gewissermaßen aus seiner Knechtschaft in die Freiheit versetzt werden. Das ist dann freilich nicht eine fleischliche Freiheit, die uns von der Beobachtung des Gesetzes abzieht, die uns zur Ausgelassenheit in allen Dingen anreizt und unserer Begierde die Erlaubnis gibt, sich gehen zu lassen, als ob alle Schranken zerbrochen und alle Zügel weggenommen wären! Nein, es ist die geistliche Freiheit, die unser schwer getroffenes und zu Boden geworfenes Gewissen tröstet und aufrichtet, und die ihm zeigt, daß es von dem Fluch und der Verdammnis frei ist, mit denen das Gesetz es gebunden und gefesselt hielt und auf solche Weise bedrückte! Diese Befreiung oder sozusagen diese Freilassung aus der Unterwerfung unter das Gesetz erlangen wir, wenn wir durch den Glauben Gottes Barmherzigkeit in Christus ergreifen. Dadurch werden wir der Vergebung der Sünden sicher und gewiß – der Sünden, durch deren Empfinden uns das Gesetz zuvor stach und quälte! Aus diesem Grunde wären auch die Verheißungen, die uns im Gesetz dargeboten werden, unwirksam und kraftlos, wenn uns nicht Gottes Güte durch das Evangelium zu Hilfe käme! Denn diese Verheißungen hängen von der Bedingung ab, daß wir das Gesetz erfüllen; auf Grund dieser Bedingung allein treten sie in Kraft – und diese Bedingung wird nie erfüllt werden! Der Herr aber hilft uns so, daß er nicht etwa einen Teil der Gerechtigkeit bei unseren Werken beläßt und den anderen Teil aus seiner Nachsicht heraus hinzutut, sondern vielmehr, indem er uns Christus allein als Erfüllung der Gerechtigkeit verordnet. So spricht der Apostel (Gal. 2,16) zunächst davon, wie er und andere Juden in der Erkenntnis, „daß der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird“, an Christus glaubten. Dann fügt er auch den Grund hinzu, und da heißt es nicht, wir erhielten durch den Glauben an Christus eine Hilfeleistung zur vollkommenen Gerechtigkeit, sondern: „auf daß wir gerecht werden durch den Glauben an Christum und nicht durch des Gesetzes Werke“! (Gal. 2,16). Wenn die Gläubigen vom Gesetz zum Glauben übergehen, um in ihm die Gerechtigkeit zu finden, von der sie sehen, daß sie im Gesetz nicht ist, so leisten sie damit wahrhaftig auf die Gerechtigkeit nach dem Gesetz Verzicht! Deshalb rühme nun, wer da will, die Belohnungen, von denen es heißt, sie warteten dessen, der das Gesetz hält! Er soll nur zugleich bemerken, daß wir infolge unserer Bosheit daraus gar keine Frucht empfangen, bis wir aus dem Glauben eine andere Gerechtigkeit erlangt haben! So erinnert sich auch David zwar der Belohnungen, die der Herr seinen Knechten bereitet hat, aber er kommt dann sogleich zur Erkenntnis seiner Sünden, durch die jene Belohnungen zunichte gemacht werden. So preist er auch im 19. Psalm zunächst herrlich die Wohltaten des Gesetzes – aber gleich danach ruft er aus: „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Herr, verzeihe mir die verborgenen Fehle!“ (Ps. 19,12 – Ps. 19,13!). Diese Stelle stimmt voll und ganz mit einer anderen überein; da heißt es zunächst: „Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit bei denen, die ihn fürchten“ (Ps. 25,10; Schluß ungenau), dann aber gleich danach: „Um deines Namens willen, Herr, sei gnädig meiner Missetat, die da groß ist!“ (Ps. 25,11). So sollen auch wir erkennen: im Gesetz ist uns zwar Gottes Wohlwollen dargeboten, sofern wir es mit Werken verdienen können – aber tatsächlich kommt es durch das Verdienst unserer Werke nie und nimmer zu uns!
Simon W.

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III,17,3

Wieso, sind uns denn diese Verheißungen dazu gegeben, daß sie ohne Frucht vergehen? Ich habe bereits oben ausgesprochen, daß dies nicht meine Meinung ist. Ich behaupte allerdings, daß sie ihre Wirkung nicht bis zu uns dringen lassen, solange sie sich auf die Verdienste unserer Werke beziehen. Wenn man sie also an und für sich betrachtet, so sind sie gewissermaßen abgetan. So haben wir die herrliche Verheißung: „Ich gab euch gute Gebote, und wer sie hält, der wird dadurch leben!“ (Lev. 18,5; Ez. 20,11; ungenau). Aber der Apostel lehrt (Röm. 10,5ff.), daß diese Verheißung ohne Bedeutung ist, wenn wir bei ihr stehen bleiben, und daß sie uns dann um kein Haar mehr nützen wird, als wenn sie gar nicht gegeben wäre. Denn sie trifft ja nicht einmal auf die heiligsten Knechte Gottes zu: sie sind ja alle weit davon entfernt, das Gesetz zu erfüllen, sondern gar mit vielen Übertretungen umgeben! Wenn aber die Verheißungen des Evangeliums an ihre Stelle treten, die uns die Vergebung der Sünden aus lauter Gnade zusprechen, dann bewirken sie nicht allein, daß wir selber Gott angenehm sind, sondern daß auch unsere Werke seine Gunst empfangen! Und nun ist es nicht bloß so, daß der Herr sie gnädig annimmt, nein, er läßt ihnen auch die Belohnungen folgen, die auf Grund des Bundes denen zustehen, die das Gesetz halten! Ich gebe also zu, daß den Werken der Gläubigen das zuteil wird, was der Herr in seinem Gesetz denen verheißen hat, die sich der Gerechtigkeit und Heiligkeit befleißigen; aber bei dieser Belohnung ist stets auf die Ursache zu achten, welche diese Werke angenehm macht. Wir sehen nun, daß diese Ursache dreifältig ist. Erstens wendet Gott den Blick von den Werken seiner Knechte ab, die ja stets mehr Tadel als Lob verdienen, nimmt sie in Christus an und versöhnt sie mit sich – und zwar allein vermittelst des Glaubens, ohne jede Hilfeleistung der Werke. Zweitens erhebt er die Werke, ohne auf ihre Würdigkeit zu achten, kraft seiner väterlichen Güte und Nachsicht zu solcher Ehre, daß er ihnen einigen Wert beimißt. Drittens nimmt er eben diese Werke mit Nachsicht an und rechnet ihnen ihre Unvollkommenheit nicht zu, mit der sie alle befleckt sind und um derentwillen sie sonst mehr den Sünden als den Tugenden zuzurechnen wären. Hieraus kann man nun ersehen, wie sehr sich die Klüglinge getäuscht haben. Sie meinten, allen Widersinnigkeiten sein aus dem Wege gegangen zu sein, wenn sie erklärten, die Werke hätten nicht etwa vermöge der ihnen innewohnenden Güte die Kraft, das Heil zu verdienen, sondern kraft des Bundes, weil sie nämlich der Herr in seiner Freigebigkeit so hoch einschätzte. Aber unterdessen achteten sie nicht darauf, wie weit die Werke, die sie für „verdienstlich“ hielten, von der an die Verheißungen geknüpften Bedingung noch entfernt sind, sofern nicht die Rechtfertigung, die sich allein auf den Glauben stützt, und die Vergebung der Sünden, durch die auch die guten Werke noch von ihren Makeln befreit werden müssen, vorausgeht. Sie haben also von den drei (angegebenen) Ursachen der göttlichen Freigebigkeit, um derentwillen die Werke der Gläubigen Gott angenehm werden, bloß eine beachtet, die beiden anderen, und zwar die wichtigsten, haben sie unterschlagen!



III,17,4

Unsere Gegner ziehen aber ein Wort des Petrus heran, das Lukas in der Apostelgeschichte überliefert: „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansieht; sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm!“ (Apg. 10,34f.). Aus diesen Worten ziehen sie nun die scheinbar keinem Zweifel unterworfene Folgerung: wenn sich der Mensch durch rechten Eifer bei Gott Wohlgefallen erwerben kann, so ist es nicht allein Gottes Wohltat, daß er das Heil erlangt! Ja – so behaupten sie weiter! – Gott kommt in seiner Barmherzigkeit dem Sünder in der Weise zu Hilfe, daß er sich von dessen Werken zur Barmherzigkeit bewegen läßt! Man kann aber die Aussagen der Schrift auf keinerlei Weise miteinander in Einklang bringen, wenn man nicht eine zwiefache Annahme des Menschen vor Gott unterscheidet.

(1) Wie der Mensch von Natur beschaffen ist, findet Gott in ihm rein gar nichts, das ihn zur Barmherzigkeit bewegen könnte, außer seinem Elend! Denn zuerst, wenn Gott den Menschen annimmt, so ist dieser doch unzweifelhaft alles Guten ledig und arm, dagegen mit Bösem aller Art erfüllt und belastet! Um welches Guten willen, frage ich, sollen wir ihn da der himmlischen Berufung für würdig erklären? Fort also mit jener leeren Einbildung von Verdiensten, wo doch Gott so offenkundig seine aus reiner Gnade gewährte Freundlichkeit preist! Denn wenn dem Kornelius an jener Stelle durch die Stimme des Engels gesagt wird, seine Gebete und Almosen seien vor Gottes Angesicht gekommen (Apg. 10,31), so bedeutet es eine üble Verdrehung, wenn unsere Gegner meinen, der Mensch bereite sich eben durch den Eifer in guten Werken auf den Empfang der Gnade Gottes vor. Kornelius mußte schon vom Geiste der Weisheit erleuchtet sein, wenn er durch wahre Weisheit, nämlich durch die Furcht Gottes, ausgezeichnet war! Der gleiche Geist mußte ihn bereits geheiligt haben, wenn er doch ein Diener der Gerechtigkeit war! Denn der Apostel bezeugt, daß die Gerechtigkeit ganz gewiß eine Frucht dieses Geistes ist (Gal. 5,5). Kornelius besaß alles, was nach unserem Bericht Gott wohlgefällig war, durch seine Gnade. Es kann also keine Rede davon sein, daß er sich durch jene Werke aus eigener Kraft auf deren Empfang vorbereitet hätte! Wahrlich, man wird nicht eine einzige Silbe aus der Schrift vorbringen können, die dieser Lehre nicht entspräche: Es gibt für Gott keine andere Ursache, den Menschen bei sich aufzunehmen, als daß er sieht, wie dieser in jeder Hinsicht verloren ist, wenn er sich selbst überlassen bleibt; weil aber Gott nicht will, daß er verloren sei, darum übt er seine Barmherzigkeit an ihm und macht ihn frei! Nun merken wir, daß diese Annahme keine Rücksicht auf die Gerechtigkeit des Menschen nimmt, sondern ein reines Zeugnis der göttlichen Liebe zu elenden und solcher Wohltat gänzlich unwürdigen Sündern ist.



III,17,5

(2) Nachdem aber der Herr den Menschen aus dem Abgrund der Verlorenheit herausgegriffen und ihn durch die Gnade der Aufnahme in die Kindschaft für sich abgesondert hat, da nimmt er ihn als eine neue Kreatur samt den Gaben seines Heiligen Geistes auf – weil er ihn ja wiedergeboren und zu neuem Leben geschaffen hat! Das ist die Annahme, die Petrus hier meint (Apg. 10,34f.): die Gläubigen gefallen Gott nach ihrer Berufung wohl, und zwar auch hinsichtlich der Werke; denn der Herr kann ja nicht anders, als das Gute zu lieben und gern zu haben, das er durch seinen Geist in ihnen gewirkt hat! Dabei müssen wir aber stets aufs neue darauf Bedacht nehmen, daß sie Gott nur deshalb hinsichtlich ihrer Werke wohlgefällig sind, weil er um ihretwillen und ihnen zugut auch die guten Werke, die er ihnen hat zuteil werden lassen, zur Mehrung seiner Freigebigkeit seiner Annahme würdigt! Denn woher haben sie überhaupt anders gute Werke als daher, daß der Herr sie zu Gefäßen der Ehre auserwählt hat und sie dementsprechend auch mit wahrer Reinheit zieren will! Woher kommt es, daß diese Werke als gut angerechnet werden, als ob ihnen nichts fehlte? Doch nur daher, daß der Vater in seiner Güte an den Flecken und Makeln, die ihnen noch anhaften, vergebende Nachsicht übt! Kurzum, Petrus bezeugt an dieser Stelle (Apg. 10) nichts anderes, als daß Gott seine Kinder, an denen er die Merkmale und Umrisse seines eigenen Angesichtes wahrnimmt, wohlgefällig und mit Liebe ansieht. Wir haben ja schon an anderer Stelle die Lehre vorgetragen, daß die Wiedergeburt die Erneuerung des göttlichen Ebenbildes in uns ist. Wo also der Herr sein eigenes Angesicht sieht, da liebt er es mit Recht und hält es in Ehren – und deshalb heißt es nicht ohne Ursache, daß ihm das Leben der Gläubigen, das ja auf Heiligkeit und Gerechtigkeit gerichtet ist, wohlgefällt! Aber die Frommen tragen ja noch ihr sterbliches Fleisch an sich, sie sind noch Sünder, und ihre guten Werke stehen erst in den Anfängen und lassen die Verderbtheit des Fleisches noch erkennen. Gott kann also weder sie selbst noch ihre Werke günstig aufnehmen, wenn er sie nicht mehr in Christus, als in ihnen selber annimmt! In diesem Sinne müssen wir die Stellen verstehen, an denen bezeugt wird, daß Gott denen, die Gerechtigkeit üben, freundlich und gnädig ist. So sprach Mose zu den Kindern Israel: „Der Herr, dein Gott, hält den Bund und die Barmherzigkeit denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, auf tausend Glieder!“ (Deut. 7,9). Dieser Spruch ist dann später im Volke als gewohnte Formel verwendet worden. So heißt es in dem feierlichen Gebet des Salomo: „Herr, Gott Israels, … der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen!“ (1. Kön. 8,23). Die gleichen Worte werden auch von Nehemia wiederholt (Neh. 1,5). Denn Gott fordert in allen Bundschlüssen seiner Barmherzigkeit wiederum auch von seinen Knechten Reinheit und Heiligkeit ihres Lebens, damit seine Güte nicht zum Spott wird und sich keiner um ihretwillen in eitler Hoffart aufbläht, „sich segnet in seinem Herzen“ – und dabei doch in der Bosheit seines Herzens wandelt! (Deut. 29,18). Wenn er also Menschen in die Gemeinschaft seines Bundes aufgenommen hat, dann will er sie auch auf diesem Wege bei ihrer Pflicht halten! Trotzdem wird der Bund selber im Anfang aus lauter Gnade geschlossen – und er bleibt stets von dieser Art! In diesem Sinne rühmt David zwar: „Der Herr … vergilt mir nach der Reinigkeit meiner Hände“ (2. Sam. 22,21); aber er geht doch an der Quelle, von der ich sprach, nicht vorüber, sondern erinnert sich, daß er ja aus dem Schoße seiner Mutter gezogen worden ist, weil Gott ihn liebte! Er rühmt also, daß er eine gute Sache vertritt; aber dabei tut er Gottes gnädigem Erbarmen, das ja allen Gaben, deren Ursprung es ist, voraufgeht, doch keinen Abbruch!
Simon W.

Der Pilgrim
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III,17,6

Hier wird es nun zweckmäßig sein, beiläufig zu erwähnen, inwiefern sich solche Redeformen von den Gesetzesverheißungen unterscheiden. Unter Gesetzesverheißungen verstehe ich nicht einfach alle, die sich in den Büchern Moses verstreut finden; denn unter ihnen sind in Wirklichkeit auch viele Verheißungen des Evangeliums anzutreffen. Ich verstehe darunter vielmehr solche, die im eigentlichen Sinne das Amt des Gesetzes betreffen. Diese Verheißungen – man mag sie nun nennen, wie man will! – machen kund, daß dem Menschen unter der Bedingung: „Wenn du tust, was dir befohlen ist …“, eine Belohnung bereit steht. Wenn es dagegen heißt, der Herr halte den Bund seiner Barmherzigkeit gegenüber denen, die ihn lieben (vgl. Deut. 7,9; 1. Kön. 8,23; Neh. 1,5) – dann wird da weniger die Ursache angegeben, weshalb der Herr ihnen wohltut, sondern vielmehr beschrieben, wie denn die Knechte Gottes beschaffen sind, die seinen Bund in rechter Treue angenommen haben! Der Sinn dieser Beschreibung ist da folgender: Wenn Gott uns der Gnade des ewigen Lebens würdigt, so hat er dabei das Ziel im Auge, von uns geliebt, gefürchtet und verehrt zu werden; dementsprechend sind alle Verheißungen der Barmherzigkeit, die sich in der Schrift finden, auch mit gutem Grunde auf dies Ziel ausgerichtet, daß wir den Geber der guten Gaben fürchten und verehren! Wenn wir also hören, daß Gott denen wohltut, die sein Gesetz halten, so sollen wir jedesmal bedenken, daß da Gottes Kinder beschrieben werden, und zwar nach der Amtsverpflichtung, der sie allezeit unterliegen sollen; es wird also gleichsam gesagt: wir sind zu dem Zweck zu Kindern angenommen worden, ihn als unseren Vater zu ehren! Wollen wir also auf das Recht unserer Annahme in die Kindschaft nicht verzichten, so müssen wir stets auf das dringen, was unserer Berufung als Ziel gesetzt ist. Trotzdem müssen wir auf der anderen Seite festhalten, daß die Erfüllung der Barmherzigkeit des Herrn nicht von den Werken der Gläubigen abhängig ist; nein, er erfüllt an denen, die in Rechtschaffenheit des Lebens ihrer Berufung entsprechen, die Verheißung des Heils, weil er die reinen Kennzeichen seiner Kinder erst an denen wahrnimmt, die durch seinen Geist zum Guten geleitet werden. Darauf muß die Beschreibung bezogen werden, die in Psalm 15 von den Bürgern der Kirche gegeben wird: „Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte, wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge? Wer unschuldige Hände hat und ein reines Herz …“ (Ps. 15,1f.; Vers 2 nicht Luthertext, tatsächlich aus Ps. 24,4 herübergenommen). Auch das Wort des Jesaja gehört hierher: „Wer wird bei einem verzehrenden Feuer wohnen? … Wer in Gerechtigkeit wandelt und redet, was recht ist …“ (Jes. 33,14f.; Anfang nicht Luthertext). Denn da wird nicht der Grund beschrieben, auf dem die Gläubigen vor dem Herrn bestehen könnten, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie der Vater in seiner großen Güte in seine Gemeinschaft einführt und in ihr bewahrt und stärkt. Denn er verabscheut die Sünde und liebt die Gerechtigkeit – und deshalb macht er die, welche er mit sich verbindet, durch seinen Geist rein, um sie so sich selber und seinem Reiche gleichförmig zu machen! Fragt man also nach der ersten Ursache, weshalb den Heiligen der Zugang zu Gottes Reich offensteht und weshalb sie darin bestehen und beharren können – dann ist gleich zu antworten: Weil der Herr sie in seiner Barmherzigkeit einmal zu Kindern angenommen hat und sie in diesem Stande auch allezeit erhält. Geht die Frage aber um die Art und Weise, dann muß man auf die Wiedergeburt und auf ihre Früchte zu sprechen kommen, wie sie in jenem (15.) Psalm beschrieben werden!



III,17,7

Eine wesentlich größere Schwierigkeit scheint sich nun aber angesichts solcher Stellen zu erheben, welche die guten Werke mit dem Titel „Gerechtigkeit“ auszeichnen und gar behaupten, der Mensch werde durch sie gerechtfertigt! Die meisten Stellen sind von der erstgenannten Art: da wird also das Halten der Gebote mit der Bezeichnung „Rechtfertigungen“ oder „Gerechtigkeiten“ versehen. Ein Beispiel für die zweite Art findet sich bei Mose: „Und es wird unsere Gerecht tigkeit sein … so wir … halten alle diese Gebote“ (Deut. 8,25). Wenn man nun aber einwenden wollte, hier handle es sich doch um eine Gesetzesverheißung, die an eine unerfüllbare Bedingung geknüpft sei und deshalb nichts beweise, so gibt es andere, bei denen man diese Entgegnung nicht vorbringen könnte. So z.B.: „Das wird dir vor dem Herrn … eine Gerechtigkeit sein, wenn du dem Armen sein Pfand wiedergibst …“ (Deut. 24,13; Schluß ist Inhaltsangabe von V. 13a). Dahin gehört auch das Wort des Propheten, der von dem Eifer des Pinehas, Israels Schande zu rächen, sagt: „Das ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit …“ (Ps. 106,31). Unter solchen Umständen meinen nun unsere heutigen Pharisäer einen wichtigen Anlaß zu haben, gegen uns anzugehen. Denn wenn wir sagen, mit der Aufrichtung der Gerechtigkeit aus dem Glauben falle die Gerechtigkeit aus den Werken dahin – dann folgern sie mit dem gleichen Recht, wenn man aus den Werken Gerechtigkeit erlangen könne (was jene Stellen zu beweisen scheinen!), so sei es eben nicht wahr, daß wir allein durch den Glauben gerechtfertigt würden! Ich gebe zwar zu, daß die Gebote des Gesetzes „Gerechtigkeiten“ genannt werden – das ist auch kein Wunder; denn sie sind es wirklich! Allerdings muß ich die Leser darauf aufmerksam machen, daß die griechischen Übersetzer das hebräische Wort „Chuqqim“, das eigentlich „Gebote“ bedeutet, wenig angemessen mit „dikaiomata“ wiedergegeben haben. Aber ich will den Streit um Worte gern fahren lassen. Wir wollen es auch dem Gesetz Gottes nicht bestreiten, daß es vollkommene Gerechtigkeit in sich begreift. Freilich sind wir ja alles das schuldig zu halten, was es uns befiehlt, und deshalb sind wir auch dann, wenn wir ihm völligen Gehorsam geleistet haben, noch „unnütze Knechte“ (Luk. 17,10). Aber der Herr hat es doch der Ehre gewürdigt, als Gerechtigkeit zu gelten, und deshalb entziehen wir ihm nicht, was er ihm gegeben hat. Wir gestehen also gern zu, daß der vollkommene Gehorsam gegen das Gesetz Gerechtigkeit ist; das Halten eines beliebigen einzelnen Gebotes ist dann ein Teil der Gerechtigkeit, sofern einer auch hinsichtlich der anderen Teile vollkommene Gerechtigkeit erlangt hat. Wir bestreiten dagegen, daß es eine derartige Gerechtigkeit je geben wird! Wir heben also die Gerechtigkeit aus dem Gesetz auf, und zwar nicht, weil sie an und für sich unvollkommen und schwach wäre, sondern weil sie um der Gebrechlichkeit unseres Fleisches willen niemals in die Erscheinung tritt! Aber – so könnte man einwenden! – die Schrift nennt nicht bloß die Gebote des Herrn „Gerechtigkeiten“, sondern gibt diese Bezeichnung auch den Werken der Heiligen! So berichtet sie von Zacharias und seinem Weibe, sie seien in den „Gerechtigkeiten“ des Herrn gewandelt! (Luk. 1,6). Ja, wenn sie aber so redet, so beurteilt sie sicherlich diese Werke mehr nach der Natur des Gesetzes als nach ihrer eigenen Beschaffenheit. Auch könnte hier wiederum darauf aufmerksam gemacht werden, daß man – wie ich oben bereits sagte – auf Grund der Ungenauigkeit des griechischen Übersetzers kein Gesetz aufstellen darf. Weil aber Lukas an der überlieferten Fassung nichts hat ändern wollen, so will ich auch hier nicht streiten. Denn Gott hat das, was im Gesetz enthalten ist, den Menschen zu ihrer „Gerechtigkeit“ befohlen; aber wir erreichen diese Gerechtigkeit nicht, wenn wir nicht das ganze Gesetz halten: durch jede einzelne Übertretung wird sie verdorben! Da also das Gesetz ausschließlich Gerechtigkeit vorschreibt, so sind seine einzelnen Gebote, wenn man das Gesetz selbst ansieht, tatsächlich „Gerechtigkeiten“. Schauen wir aber auf die Menschen, welche die Gebote ausführen, so verdienen sie in keiner Weise um eines einzigen Werkes willen das Lob der Gerechtigkeit, da sie ja in vielen anderen Geboten Übertreter sind; auch ist selbst dieses eine Werk um seiner Unvollkommenheit willen stets in irgendeiner Hinsicht verderbt!



III,17,8

Ich komme aber nun zu der zweiten Art (vgl. den Anfang der vorigen Sektion) von Schriftaussagen, an der die größte Schwierigkeit entsteht. Paulus hat keine festere Begründung für die Gerechtigkeit aus dem Glauben, als das Wort über Abraham, sein Glaube sei ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden (Röm. 4,3; Gal. 3,6; Gen. 15,6). Wenn es nun aber (Ps. 106,31) von der Tat des Pinehas heißt, sie sei ihm „zur Gerechtigkeit gerechnet“ worden – so können wir, meint man, das, was Paulus vom Glauben behauptet, auch von den Werken annehmen! Deshalb meinen nun unsere Widersacher gleich, sie hätten gewonnenes Spiel, und sie stellen fest, wir würden zwar nicht ohne den Glauben gerechtfertigt, aber auch nicht allein durch ihn, vielmehr wären es die Werke, die unsere Gerechtigkeit erfüllten. Deshalb bitte ich hier die Frommen, sie möchten doch, wenn sie wissen, daß die wahre Regel der Gerechtigkeit allein aus der Schrift zu entnehmen ist, gottesfürchtig und ernstlich mit mir erwägen, wie man ohne Spitzfindigkeiten die Schrift mit sich selber in Einklang bringen kann! Paulus wußte, daß die Rechtfertigung aus dem Glauben die Zuflucht für die sei, die der eigenen Gerechtigkeit ermangelten. Daraus schließt er kühnlich, daß alle, die aus dem Glauben gerechtfertigt werden, von der Gerechtigkeit aus den Werken ausgeschlossen sind. Nun ist aber offenkundig diese Gerechtigkeit allen Gläubigen gemeinsam; daraus leitet Paulus mit gleicher Zuversicht den Satz ab, durch die Werke werde kein Mensch gerechtfertigt. Ja, er stellt sogar im Gegenteil fest, daß die Rechtfertigung auch ohne jede Hilfeleistung der Werke geschehe! Nun ist es aber zweierlei, ob man darüber streitet, was die Werke an und für sich für einen Wert haben, oder ob es darum geht, welche Stellung sie nach Aufrichtung der Gerechtigkeit aus dem Glauben einnehmen sollen.

(a) Soll unseren Werken nach ihrer eigenen Würdigkeit ein Wert beigelegt werden, so erklären wir, daß sie nicht würdig sind, vor Gottes Angesicht zu erscheinen. Der Mensch besitzt also keinerlei Werke, mit denen er sich vor Gott rühmen könnte. Darum ist ihm jede Unterstützung durch die Werke entzogen, und er wird allein durch den Glauben gerechtfertigt. Diese Gerechtigkeit umschreiben wir dann so: der Sünder wird in die Gemeinschaft mit Christus aufgenommen und durch seine Gnade mit Gott versöhnt; denn er wird durch sein Blut gereinigt und erlangt dadurch Vergebung seiner Sünden, wird mit Christi Gerechtigkeit als mit seiner eigenen umkleidet und erscheint so unbekümmert vor dem himmlischen Richtstuhl!

(b) Ist nun die Vergebung der Sünden voraufgegangen, so werden die dann folgenden guten Werke anders beurteilt, als nach ihrem Verdienst. Denn alles, was an ihnen unvollkommen ist, das wird durch Christi Vollkommenheit bedeckt, alle Makel und Schmutzflecken, die sie an sich tragen, werden durch seine Reinheit abgetan, so daß sie vor Gottes Gericht nicht mehr in Untersuchung gezogen werden! So ist also alle Schuld der Übertretungen getilgt, die den Menschen hindern, irgend etwas vorzubringen, das Gott wohlgefällig wäre; auch das Gebrechen der Unvollkommenheit ist begraben, das selbst seine guten Werke zu beschmutzen pflegt – und deshalb, werden die guten Werke, welche von den Gläubigen ausgehen, für gerecht angesehen oder – was das gleiche ist – „zur Gerechtigkeit gerechnet“!
Simon W.

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Joschie
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III,17,9

Wenn mir nun einer diese Dinge vorhält, um die Gerechtigkeit aus dem Glauben zu bestreiten, so werde ich ihm zunächst die Frage vorlegen, ob denn der Mensch um des einen oder anderen heiligen Werkes willen für gerecht erachtet werde, selbst wenn er in den übrigen Werken ein Übertreter des Gesetzes ist. Das wäre nun mehr als widersinnig. Dann werde ich weiter fragen, ob er denn auch um vieler guter Werke willen gerecht gesprochen werde – selbst wenn er noch in irgendeiner Hinsicht der Übertretung schuldig sei. Auch das wird mein Gegner nicht zu behaupten wagen; denn das Urteil des Gesetzes steht dagegen: es erklärt ja alle für verflucht, die nicht alle Gebote des Gesetzes vom ersten bis zum letzten erfüllen! (Deut. 27,26). Dann werde ich noch weiter fragen: nämlich, ob es denn irgendein Werk gäbe, das gar keiner Unreinheit oder Unvollkommenheit beschuldigt zu werden verdiente! Wie sollte das aber möglich sein – vor jenen Augen, vor denen auch die Sterne nicht rein genug und die Engel nicht gerecht genug sind! (Hiob 4,18). Er muß mir also gezwungenermaßen zugeben, daß jedes Werk nicht nur um der neben ihm stehenden Übertretungen, sondern auch um seiner eigenen Verderbnis willen befleckt ist, so daß es also die Ehre, als Gerechtigkeit zu gelten, nicht in Anspruch nehmen kann! Nun hat aber die Rechtfertigung aus dem Glauben unzweifelhaft die Folge, daß jetzt Werke, die sonst befleckt, unrein und verstümmelt sind und Gottes Anblick, geschweige denn seine Liebe, nicht verdienen – daß solche Werke als Gerechtigkeit gerechnet werden! Weshalb nimmt man denn diese Gerechtigkeit für sich in Anspruch, um damit nach Möglichkeit jene (die Gerechtigkeit aus dem Glauben!) zu zerstören, ohne deren Bestehen man sich der Gerechtigkeit aus den Werken vergebens rühmen würde? Will man denn eine Schlangengeburt machen? Darauf laufen nämlich die Redensarten der Gottlosen hinaus! Sie können nicht leugnen, daß die Rechtfertigung aus dem Glauben der Ursprung, das Fundament, die Ursache, die Begründung und die Substanz der Gerechtigkeit der Werke ist. Aber sie kommen doch zu dem Schluß: weil auch gute Werke zur Gerechtigkeit gerechnet würden, so werde der Mensch nicht durch den Glauben gerechtfertigt!
Wir wollen also solche Ungereimtheiten fahren lassen und bekennen, wie es sich tatsächlich verhält, nämlich: wenn die Gerechtigkeit der Werke – man mag sie nun beurteilen, wie man will – von der Rechtfertigung aus dem Glauben abhängt, so wird diese dadurch nicht verkleinert, sondern vielmehr bekräftigt, weil eben ihre Kraft dadurch klarer zutage tritt. Auch sollen wir nicht meinen, nach der Rechtfertigung aus reiner Gnade ständen die Werke in solchem Wert, daß sie nun hernach selbst die Fähigkeit erlangten, den Menschen zu rechtfertigen, oder sich mit dem Glauben in dieses Amt teilten! Denn wenn die Rechtfertigung aus dem Glauben nicht ständig unerschütterlich erhalten bleibt, dann muß die Unreinheit der Werke offenbar werden! Es ist aber nichts Widersinniges darin, wenn der Mensch durch den Glauben solchermaßen gerechtfertigt wird, daß er nun nicht nur selbst gerecht ist, sondern auch seine Werke über ihre Würdigkeit hinaus als gerecht angesehen werden.


III,17,10


Aus diesem Grunde geben wir zu, daß unseren Werken nicht bloß eine teilweise Gerechtigkeit eigen ist – das wollen eben unsere Widersacher! -, sondern daß diese Gerechtigkeit von Gott so anerkannt wird, als ob sie vollkommen und gänzlich vollendet wäre! Wenn wir aber daran denken, auf was für ein Fundament sie gegründet ist, so ist jede Schwierigkeit gelöst. Denn ein Werk fängt erst dann an, (Gott) angenehm zu sein, wenn es mit Vergebung angenommen wird! Woher kommt nun aber diese Vergebung anders als daher, daß Gott uns und alles, was wir sind und haben, in Christus anschaut? Denn wie wir selber, sobald wir in Christus eingefügt sind, deshalb vor Gott gerecht erscheinen, weil unsere Missetaten von seiner Unschuld bedeckt werden, so sind auch unsere Werke deshalb gerecht und gelten auch als solche, weil alles, was sonst an Gebrechen an ihnen ist, durch Christi Reinheit begraben und deshalb nicht zugerechnet wird! So können wir mit gutem Grunde sagen, daß nicht nur wir, sondern auch unsere Werke allein durch den Glauben gerechtfertigt werden! Wenn nun solche Gerechtigkeit der Werke – sie mag aussehen, wie sie will! – vom Glauben und von der aus reiner Gnade geschehenden Rechtfertigung abhängt und erst dadurch bewirkt wird, dann muß sie darin eingeschlossen und sozusagen als Wirkung ihrer Ursache untergeordnet werden! Es kann also durchaus keine Rede davon sein, daß sie aufgerichtet werden dürfte, um ihre eigene Ursache zu zerschlagen oder zu verdunkeln! So legt Paulus, um zwingend zu beweisen, daß unsere Seligkeit auf Gottes Barmherzigkeit und nicht auf unseren Werken beruht, größtes Gewicht auf das Wort des David: „Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind und welchen ihre Sünden bedeckt sind! Selig ist der Mann, welchem Gott die Sünde nicht zurechnet!“ (Röm. 4,7f.; Ps. 32,1f.). Es könnte nun freilich vielleicht jemand dagegen die unzähligen Aussagen ins Feld führen, in welchen die Seligkeit den Werken gegeben zu werden scheint. So zum Beispiel: „Selig ist der Mann, der den Herrn fürchtet“ (Ps. 112,1; nicht Luthertext). Oder: „Wohl dem, der sich der Elenden erbarmt“ (Spr. 14,21), „der nicht wandelt im Rate der Gottlosen“ (Ps. 1,1), der „die Anfechtung erduldet!“ (Jak. 1,12). Oder: „Wohl denen, die das Gebot halten und tun immerdar recht“ (Ps. 106,3), „die ohne Tadel leben“ (Ps. 119,1). Ebenso: „Selig sind, die da geistlich arm sind … die Sanftmütigen … die Barmherzigen …!“ (Matth. 5,3.5.7). Aber all diese Stellen werden die Wahrheit der Aussage des Paulus nicht umstoßen können! Denn all das, was da gepriesen wird, findet sich ja nie derartig in einem Menschen, daß er vor Gott deshalb Anerkennung finden könnte; und daraus folgt, daß der Mensch allezeit elend ist, wenn er nicht durch Vergebung der Sünden aus seinem Elend befreit wird! All jene Arten von „Seligkeit“, die in der Schrift gerühmt werden, sind also ohne Geltung und müssen zerfallen, so daß der Mensch aus ihnen keinerlei Frucht empfängt – bis er durch die Vergebung der Sünden die Seligkeit erlangt hat, die dann jenen anderen „Seligkeiten“ Raum schafft. Daraus ergibt sich aber, daß diese Seligkeit (die aus der Vergebung der Sünden kommt), nicht bloß die vollkommenste und wichtigste, sondern die einzige ist! Man müßte sonst schon meinen, daß sie von jenen anderen entkräftet würde, die doch tatsächlich allein in ihr Bestand haben! Noch weniger soll uns die Tatsache irremachen, daß die Gläubigen häufig als „Gerechte“ bezeichnet werden. Ich gebe zwar zu, daß sie diese Bezeichnung auf Grund der Heiligkeit ihres Lebens tragen; aber tatsächlich liegt bei ihnen ja mehr eifriges Bemühen um die Gerechtigkeit vor, als deren eigentliche Erfüllung: diese Gerechtigkeit (der Gläubigen) muß also billigerweise vor der Rechtfertigung aus dem Glauben weichen, von der sie alles hat, was sie ist.

III,17,11

Nun sagen unsere Widersacher, mehr Mühe würden wir aber mit Jakobus haben, der uns mit ausdrücklichen Worten widerspreche! Er lehrt nämlich, Abraham sei „durch die Werke gerecht geworden“ (Jak. 2,21), und auch wir alle würden durch die Werke gerechtfertigt, „nicht durch den Glauben allein!“ (Jak. 2,24).
Was soll da geschehen? Will man Paulus und Jakobus miteinander in Streit ziehen? Wenn man den Jakobus als Diener Christi gelten lassen will, so muß man doch seinen Spruch so verstehen, daß er nicht mit Christus im Widerspruch steht, der durch den Mund des Paulus spricht. Der Heilige Geist erklärt nun aber durch den Mund des Paulus, Abraham habe die Gerechtigkeit durch den Glauben und nicht durch die Werke erlangt! (Röm. 4,3; Gal. 3,6). So lehren denn auch wir, daß alle durch den Glauben, ohne die Werke des Gesetzes gerechtfertigt werden. Nun lehrt uns der gleiche Geist durch Jakobus, Abrahams und auch unsere Gerechtigkeit beruhe auf den Werken und nicht allein auf dem Glauben! Es ist sicher, daß der Heilige Geist nicht mit sich selber im Widerspruch steht. Wie soll man dann aber diese beiden Aussagen in Einklang miteinander sehen? Unseren Widersachern wäre es vollauf genug, wenn sie die Gerechtigkeit aus dem Glauben umstoßen könnten, von der wir möchten, daß sie zutiefst eingewurzelt sei und feststehe! Den Gewissen ihre Ruhe zu geben, das macht ihnen nicht viel Sorge! Daraus kann man sehen, daß sie zwar die Gerechtigkeit aus dem Glauben annagen, aber unterdessen keinerlei klares Richtmaß für die Gerechtigkeit festlegen, an das die Gewissen sich halten könnten. Sie mögen also triumphieren, wie sie wollen – nur können sie keinen anderen Sieg für sich in Anspruch nehmen, als daß sie alle Gewißheit um die Gerechtigkeit aufgehoben haben! Diesen jämmerlichen Sieg mögen sie wohl erlangen, wo das Licht der Wahrheit verlöscht und der Herr ihnen verstatten wird, die Finsternis der Lüge auszubreiten! überall aber, wo Gottes Wahrheit Bestand hat, da werden sie nichts ausrichten!Ich bestreite also, daß unseren Gegnern jener Spruch des Jakobus, den sie uns so eifrig gleich dem Schild des Achilles entgegenhalten, auch nur im mindesten Beistand leistet. Damit das deutlich wird, müssen wir zuerst auf den Gesichtspunkt achten, der dem Apostel vorschwebte, und dann müssen wir unser Augenmerk auf den Punkt richten, an dem unsere Gegner in Hirngespinste verfallen.Es gab damals viele Leute, die – und das ist ein Übel, das allezeit in der Kirche zu bestehen pflegt! – ihren Unglauben offen zutage treten ließen, indem sie all die Werke, die den Gläubigen eigentümlich sind, vernachlässigten und beiseiteließen, aber trotzdem nicht aufhörten, sich ihres fälschlich so genannten „Glaubens“ zu rühmen. Die närrische Zuversicht solcher Leute verspottet hier Jakobus. Er hat also nicht die Absicht, die Kraft des wahren Glaubens in irgendeiner Weise abzuschwächen; nein, er will nur zeigen, wie töricht es ist, wenn jene Schwätzer über einem leeren Scheinbild solchen Glaubens in derartige Anmaßung verfallen, daß sie sich damit zufriedengeben und sich unbekümmert in allerlei sündhaften Ausschweifungen gehen lassen!
Hat man diesen Tatbestand begriffen, so kann man auch leicht bemerken, an welcher Stelle unsere Widersacher fehlgehen. Sie erliegen nämlich einem zwiefachen Mißverständnis, indem sie sowohl das Wort „Glauben“, als auch den Begriff „Rechtfertigen“ verkehrt deuten.Wenn der Apostel einen leeren Wahn, der von dem wahren Wesen des Glaubens gar weit entfernt ist, doch als „Glauben“ bezeichnet, so ist das ein Eingehen auf die Ansicht seiner Gegner, das der von ihm vertretenen Sache nichts benimmt. Das zeigt er zu Anfang (unserer Stelle) selber: „Was hilft’s, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den Glauben, und hat doch die Werke nicht?“ (Jak. 2,14). Er sagt also nicht: ‘Wenn jemand den Glauben hat und hat doch die Werke nicht’, sondern: Wenn jemand den Anspruch erhebt, Glauben zu haben …’! Noch deutlicher wird das etwas nachher, wo er diesen „Glauben“ verspottet, er sei noch wirkungsloser als die Erkenntnis der „Teufel“ (Jak. 2,19), und erst recht am Schluß, wo er ihn „tot“ nennt! Was er im Auge hat, das kann man auch hinreichend aus der Beschreibung dieses „Glaubens“ entnehmen: „Du glaubst, daß ein einiger Gott ist?“ In diesem „Glauben“ ist also nur dies enthalten, daß ein Gott sei. Wenn es sich aber so verhält, dann ist es kein Wunder, daß dieser Glaube nicht rechtfertigt! Wenn Jakobus aber diesem Glauben die rechtfertigende Kraft abspricht, so sollen wir nicht meinen, es wäre damit dem christlichen Glauben etwas genommen; denn mit dem verhält es sich ganz anders! Denn der wahre Glaube rechtfertigt uns doch einzig auf die Weise, daß er uns mit Christus zusammenfügt, und wir dann, mit ihm eins gemacht, des Teilhabens an seiner Gerechtigkeit genießen. Er rechtfertigt uns also nicht deshalb, weil er das Wissen um ein göttliches Wesen erfaßt, sondern weil er auf der Gewißheit des göttlichen Erbarmens beruht!
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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III,17,12

Wir haben aber den Gesichtspunkt, der dem Apostel vorschwebt, noch nicht erfaßt, wenn wir nicht auch das zweite Mißverständnis (unserer Gegner) erwägen; dies entsteht daran, daß Jakobus (nach ihrer Meinung) einen Teil der Rechtfertigung auf die Werke begründet. Wenn man nun Jakobus mit der übrigen Schrift und auch mit sich selbst in Einklang bringen will, so ist es erforderlich, das Wort „rechtfertigen“ hier in anderer Bedeutung zu verstehen, als bei Paulus. Nach der Ausdrucksweise des Paulus werden wir gerechtfertigt, wenn die Erinnerung an unsere Ungerechtigkeit ausgetilgt wird und wir als gerecht angesehen werden. Hätte nun Jakobus dies im Auge gehabt, so wäre es verkehrt, wenn er aus Mose anführt: „Abraham hat Gott geglaubt …“ (Jak. 2,23; Gen. 15,6). Der Zusammenhang in seiner Darlegung ist doch der: Abraham hat durch die Werke Gerechtigkeit erlangt, weil er auf Gottes Geheiß ohne Zögern seinen Sohn opferte (Jak. 2,22); und so ist die Schrift erfüllt, die da sagte, er habe Gott geglaubt, und das sei ihm zur Gerechtigkeit gerechnet! (Jak. 2,23). Nun wäre es aber doch widersinnig, wenn die Wirkung ihrer eigenen Ursache voranginge! Es ist also entweder verkehrt, wenn Mose an jener Stelle bezeugt, dem Abraham sei sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet worden – oder Abraham hat die Gerechtigkeit tatsächlich nicht durch den Gehorsam verdient, den er durch die Opferung des Isaak bewies. Abraham wurde doch bereits aus dem Glauben gerechtfertigt, als Ismael noch nicht empfangen war – und der war schon herangewachsen, als Isaak geboren wurde! Wie soll er sich dann durch den Gehorsam, der lange Zeit später folgte, die Gerechtigkeit erworben haben? Jakobus hat also entweder verkehrterweise die Reihenfolge umgekehrt – aber es wäre doch ein Unrecht, so etwas zu denken! – oder er will mit dem Wort „Rechtfertigen“ nicht sagen, daß Abraham es sich verdient hätte, für gerecht geachtet zu werden! Was soll man aber dann sagen? Es ist klar, daß Jakobus hier sicherlich von dem Erweis der Gerechtigkeit, nicht aber von ihrer Zurechnung spricht. Er will also etwa sagen: Wer aus wahrem Glauben gerecht ist, der beweist seine Gerechtigkeit durch Gehorsam und gute Werke und nicht durch eine nackte, eingebildete Larve des Glaubens! Kurz, er redet nicht davon, aus welchem Grunde wir gerechtfertigt werden, sondern er fordert von den Gläubigen eine tätige Gerechtigkeit. Und wie Paulus behauptet, daß wir ohne jede Unterstützung durch die Werke gerechtfertigt werden, so will Jakobus solche Menschen nicht als gerecht gelten lassen, die der guten Werke ermangeln!
Wenn wir diesen Gesichtspunkt ins Auge fassen, dann wird er uns aus aller Unsicherheit heraushelfen. Die entscheidende Täuschung unserer Widersacher liegt eben darin, daß sie meinen, Jakobus beschriebe hier die Art und Weise der Rechtfertigung, während er doch tatsachlich nur die üble Selbstsicherheit solcher Leute umstoßen will, die sich töricht auf den Glauben beriefen, um ihre Verachtung der guten Werke zu entschuldigen. Sie mögen nun die Worte des Jakobus verdrehen, wie sie wollen, so werden sie doch nur zwei Sätze aus ihnen herauspressen können: (1) Ein leeres Gespenst von Glauben rechtfertigt uns nicht, und (2) der Gläubige gibt sich mit solcher Einbildung nicht zufrieden, sondern bekundet seine Gerechtigkeit durch gute Werke!



III,17,13

Man führt auch eine Paulusstelle in dem gleichen Sinne an: „Sintemal vor Gott nicht, die das Gesetz hören, gerecht sind, sondern die das Gesetz tun …“ (Röm. 2,13). Aber auch das wird unseren Widersachern in seiner Weise helfen.Ich will mich nun hier nicht mit der Lösung des Ambrosius aus der Sache ziehen, der erklärt, dies sei eben deshalb gesagt, weil der Glaube an Christus die Erfüllung des Gesetzes sei. Ich sehe nämlich, daß dies eine bloße Ausflucht ist – und eine solche ist wirklich nicht nötig, wo doch der Weg offen daliegt! Der Apostel entreißt hier den Juden ihr närrisches Selbstvertrauen: sie rühmten sich nämlich der bloßen Kenntnis des Gesetzes, obwohl sie unterdessen seine schlimmsten Verächter waren! Damit sie sich nun in der einfachen Bekanntschaft mit dem Gesetz nicht so sehr gefallen, macht er sie darauf aufmerksam: wenn man schon auf Grund des Gesetzes Gerechtigkeit suche, so werde nicht seine Kenntnis, sondern seine Innehaltung gefordert! Nun ziehen wir es ja durchaus nicht in Zweifel, daß die Gerechtigkeit des Gesetzes in den Werken besteht; wir leugnen auch nicht, daß in der Würdigkeit und den Verdiensten der Werke Gerechtigkeit liegt. Aber damit ist noch nicht bewiesen, daß wir durch Werke gerechtfertigt werden, sofern man uns nicht einen Menschen zeigen kann, der das Gesetz wirklich erfüllt hat! Das gleiche hat auch Paulus gemeint, wie der Zusammenhang seiner Darlegung deutlichst beweist. Zunächst erklärt er Juden und Heiden gleichermaßen der Ungerechtigkeit für schuldig. Dann kommt er auf beide einzeln zu sprechen und sagt: „Welche ohne Gesetz gesündigt haben, die werden auch ohne Gesetz verloren werden“ – das bezieht sich auf die Heiden! -, „und welche unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden“ – das geht die Juden an! (Röm. 2,12). Nun übten aber die Juden ihren Übertretungen gegenüber Nachsicht und waren allein um des Gesetzes willen hoffärtig; deshalb fügt Paulus durchaus sachgemäß hinzu, das Gesetz sei nicht dazu gegeben, daß man durch das Hören seiner Stimme gerecht gemacht würde, sondern es tue diese Wirkung nur, wenn man ihm wirklich gehorche! Er will also etwa sagen: Du suchst im Gesetz die Gerechtigkeit? Dann berufe dich nicht darauf, es gehört zu haben – denn das ist an sich von geringer Wichtigkeit -, sondern bringe deine Werke vor, mit denen du bekundest, daß dir das Gesetz nicht vergebens vorgelegt ist! Weil aber hierin alle versagen, darum ergibt sich: sie sind alle des Ruhms aus dem Gesetz beraubt. Deshalb muß man aus der Ansicht des Paulus vielmehr die umgekehrte Beweisführung ableiten: Die Gerechtigkeit des Gesetzes beruht auf der Vollkommenheit der Werke; es kann aber niemand den Anspruch erheben, er habe durch seine Werke dem Gesetz Genüge getan: also gibt es keine Gerechtigkeit aus dem Gesetz!

III,17,14

Nun führt man auch solche Stellen gegen uns ins Treffen, in denen die Gläubigen vor dem Gericht Gottes kühnlich auf ihre Gerechtigkeit verweisen und deren Prüfung erbitten, auch begehren, nach ihr beurteilt zu werden. So etwa: „Richte mich, Herr, nach meiner Gerechtigkeit und Frömmigkeit!“ (Ps. 7,9). Oder ähnlich: „Gott, erhöre meine Gerechtigkeit!“ (Ps. 17,1; nicht Luthertext). Oder: „Du prüfst mein Herz und siehst nach ihm des Nachts …, und keine Ungerechtigkeit wird in mir gefunden!“ (Ps. 17,3; Schluß nicht Luthertext). Ebenso: „Der Herr wird mir wohltun nach meiner Gerechtigkeit; er wird mir vergelten nach der Reinigkeit meiner Hände. Denn ich halte die Wege des Herrn und bin nicht gottlos wider meinen Gott. Ich werde auch ohne Tadel sein und mich vor meiner Missetat hüten …“ (Ps. 18,21.22.24; nicht durchweg Luthertext). Oder auch: „Herr, schaffe mir Recht; denn ich bin in Unschuld gewandelt … Ich sitze nicht bei den eitlen Leuten und habe nicht Gemeinschaft mit den Falschen … Raffe meine Seele nicht hin mit den Sündern, noch mein Leben mit den Blutdürstigen, welche mit böser Lücke umgehen und nehmen gern Geschenke. Ich aber wandle unschuldig …“ (Ps. 26,1.4.9-11; nicht immer Luthertext).
Ich habe oben (Kap. 14,18ff.) bereits von der Zuversicht gesprochen, die die Heiligen einfach aus ihren Werken zu schöpfen scheinen. Die hier angeführten Schriftzeugnisse werden uns nun nicht viel Hindernisse in den Weg legen, wenn wir sie nach ihrem Zusammenhang oder, wie man gewöhnlich sagt, nach ihren Umständen begreifen. Da ist zweierlei festzustellen: (1) die Gläubigen begehren an solchen Stellen nicht eine alles umfassende Untersuchung ihres Lebens, so daß sie also auf Grund ihres gesamten Lebenslaufs verdammt oder freigesprochen würden, sondern sie bringen eine bestimmte Sache zur Entscheidung vor Gericht. (2) Auch sprechen sie sich die Gerechtigkeit nicht im Blick auf die göttliche Vollkommenheit zu, sondern im Vergleich mit verworfenen und ruchlosen Menschen!
(1) Zunächst: wenn es sich um die Rechtfertigung des Menschen handelt, so wird nicht bloß verlangt, daß er in irgendeiner besonderen Angelegenheit eine gute Sache vertrete, sondern daß er in seinem ganzen Leben gewissermaßen einen ständigen Gleichklang mit der Gerechtigkeit aufweisen kann. Wenn dagegen die Heiligen zum Beweis ihrer Unschuld Gottes Urteil anrufen, so stellen sie sich nicht hin, als ob sie von jeder Schuld frei und in jeder Hinsicht unsträflich wären. Nein, sie heften ihre Heilszuversicht allein an Gottes Güte; aber sie vertrauen dennoch zugleich darauf, er werde der Rächer der Elenden sein, die gegen Recht und Billigkeit angefochten werden, und so befehlen sie ihm in der Tat die Sache, in der sie unschuldig bedrückt werden!
(2) Wenn sie sich aber dann mit ihren Widersachern vor Gottes Richtstuhl hinstellen, so berufen sie sich nicht auf eine Unschuld, die bei scharfer Prüfung Gottes Reinheit genugtun würde. Aber sie wissen, daß ihre Lauterkeit, Gerechtigkeit, Einfalt und Reinheit im Vergleich zu der Bosheit, Gottlosigkeit, List und Schalkheit ihrer Widersacher Gott bekannt und wohlgefällig ist, und deshalb haben sie keine Angst, ihn als Richter zwischen sich und ihnen anzurufen. So sagte David zu Saul: „Der Herr… wird einem jeglichen vergelten nach seiner Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit“ (1. Sam. 26,23; letztes Wort bei Luther: seinem Glauben!) Damit meinte er nicht, der Herr solle jeden einzelnen an sich prüfen und nach seinen Verdiensten belohnen, sondern er bezeugt vor Gott, wie groß seine Unschuld im Vergleich zu der Ungerechtigkeit des Saul ist. Auch Paulus rühmt sich und beruft sich darauf, daß ihm sein Gewissen ein gutes Zeugnis gibt, nämlich daß er mit Einfalt und Lauterkeit in der Gemeinde Gottes gewandelt sei (2. Kor. 1,12). Aber vor Gott will selbst er sich nicht auf solchen Ruhm stützen; nein, die Schmähungen gottloser Menschen zwingen ihn dazu, seine Treue und Redlichkeit, von der er gewiß ist, daß sie vor Gottes Nachsicht Wohlgefallen findet, gegen jede Lästerung von Menschen zu verteidigen! Wir merken doch, was er anderwärts ausspricht: „Ich bin mir nichts bewußt; aber darin bin ich nicht gerechtfertigt!“ (1. Kor. 4,4). Er wußte eben, daß Gottes Gericht weit tiefer dringt, als menschliche Augenschwäche! So mögen also die Frommen ihre Unschuld gegen die Heuchelei der Gottlosen verteidigen und dabei Gott zum Zeugen und Richter anrufen – sobald sie es mit Gott allein zu tun haben, da rufen sie alle aus einem Munde: „So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen?“ (Ps. 130,3). Oder auch: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht!“ (Ps. 143,2). Wenn sie es mit Gott allein zu tun haben, dann haben sie keinerlei Vertrauen auf ihre Werke, sondern bekennen frei: „Deine Güte ist besser denn Leben!“ (Ps. 63,4).

III,17,15

Vielleicht könnte sich jemand auch noch auf andere Stellen berufen, die den erwähnten nicht unähnlich sind. So bezeichnet Salomo einen Menschen, „der in seiner Frömmigkeit wandelt“, als „Gerechten“ (Spr. 20,7). Oder er erklärt: „Auf dem Wege der Gerechtigkeit ist Leben, und auf ihrem gebahnten Pfad ist kein Tod“ (Spr. 12,28). In diesem Sinne verheißt auch Ezechiel dem, der Recht und Gerechtigkeit getan hat, er werde gewißlich leben (Ez. 18,9. 21; 33,15).
Keine von diesen Stellen leugnen oder verdunkeln wir. Aber es soll doch einmal ein einziger von den Söhnen Adams hervortreten, der so untadelig wäre! Ist keiner da, so müssen sie entweder vor Gottes Anblick vergehen – oder aber den Zufluchtsort seiner Barmherzigkeit aufsuchen!
Freilich leugnen wir damit nicht, daß den Gläubigen ihre Aufrichtigkeit, obwohl sie bloß halb und unvollkommen ist, als Stufe zur Unsterblichkeit dient. Aber woher kommt das? Doch nur daher, daß der Herr sie in den Bund seiner Gnade aufgenommen hat und nun ihre Werke nicht nach ihrem Verdienst wägt, sondern in seiner väterlichen Freundlichkeit liebreich annimmt! Darunter verstehen wir nicht nur das, was die Schultheologen lehren, die da meinen, die Werke hätten ihren Wert auf Grund der sie annehmenden Gnade (gratia acceptans). Sie sind nämlich der Ansicht, die Werke, die sonst auf Grund des Gesetzesbundes nicht ausreichten, uns das Heil zu erwerben, würden durch Gottes Annahme doch zu einem ausreichenden Preis (für die Seligkeit) erhoben. Ich behaupte dagegen: die Werke sind durch sonstige Übertretungen wie auch durch ihre eigenen Makel befleckt, und sie gelten deshalb nur dann etwas, wenn Gott für beides Verzeihung gewährt; das bedeutet aber: Gott schenkt dem Menschen die Gerechtigkeit aus lauter Gnade.
Es ist nicht sachgemäß, wenn man hier mit Nachdruck die Gebete des Apostels anführt, in denen er den Gläubigen solche Vollkommenheit wünscht, daß sie unsträflich und untadelig seien auf den Tag des Herrn (Eph. 1,4; 1. Thess. 3,13 u.a.). Mit diesen Worten haben nun früher die Coelestiner gewaltigen Lärm gemacht, um zu beweisen, wir erlangten bereits in diesem Leben die Vollkommenheit. Ich will aber meine Antwort auf jene Lehre nach Augustin geben, und ich glaube damit Zureichendes zu sagen: Gewiß sollen alle Frommen nach dem Ziel streben, einst makellos und unsträflich vor Gottes Angesicht zu erscheinen; aber die beste und herrlichste Weise, dieses Leben zu führen, ist nichts anderes als ein Fortschreiten, und deshalb werden wir zu jenem Ziel erst dann gelangen, wenn wir dieses sündige Fleisch abgelegt haben und dem Herrn voll und ganz anhängen! Trotzdem will ich keinen hartnäckigen Streit erheben, wenn jemand den Heiligen den Titel der Vollkommenheit zuerteilen will, nur soll er dann diese Vollkommenheit mit den Worten des gleichen Augustin beschreiben: „Wenn wir die Tugend der Frommen vollkommen nennen, so gehört zu dieser Vollkommenheit auch die aufrichtige und demütige Erkenntnis unserer Unvollkommenheit!“ (An Bonifacius, III,7,19).
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Achtzehntes Kapitel: Es geht nicht an, vom Lohn auf die Gerechtigkeit aus den Werken zu schließen

III,18,1

Wir wollen nun zu den Schriftaussagen übergehen, in denen behauptet wird, Gott werde „einem jeglichen vergelten nach seinen Werken“ (Matth. 16,27). Dazu gehören folgende Stellen: „… auf daß ein jeglicher empfange, nach dem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse“ (2. Kor. 5,10). Ferner: „Preis und Ehre … dem, der das Gute tut, … jeder Seele aber, die da Böses tut, … Trübsal und Angst!“ (Röm. 2,7ff.; zusammenfassend). Oder: „Und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (Joh. 5,29). Oder auch: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters … Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt … (Matth. 25,34f.).Mit diesen Stellen müssen wir auch solche in Verbindung bringen, die das ewige Leben als Lohn für unsere Werke bezeichnen. So z.B.: „Dem Menschen wird vergolten, nach dem seine Hände verdient haben“ (Spr. 12,14). Oder: „Wer … das Gebot fürchtet, dem wird’s vergolten“ (Spr. 13,13). Oder auch: „Freut euch alsdann und hüpfet; euer Lohn ist groß im Himmel!“ (Matth. 5,12; Luk. 6,23; nach Lukas zitiert). Oder endlich: „Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit“ (1. Kor. 3, 8).Wenn es heißt, daß Gott „geben wird einem jeglichen nach seinen Werken“ (Röm. 2,6), so läßt sich dies mit leichter Mühe klarstellen. Diese Redeweise gibt nämlich eher eine geordnete Aufeinanderfolge an, als eine Ursache. Denn ohne Zweifel vollendet der Herr unser Heil in verschiedenen Stufen seiner Barmherzigkeit: „welche er verordnet hat, die hat er auch berufen, welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welche er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch herrlich gemacht!“ (Röm. 8,30). Er nimmt also die Seinen zwar allein aus Erbarmen zum Leben an; aber in den Besitz dieses Lebens führt er sie auf der Bahn der guten Werke ein, um in ihnen sein Werk nach der von ihm festgesetzten Ordnung zu vollenden. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn es heißt, sie würden nach ihren Werken gekrönt; denn durch diese Werke werden sie ohne Zweifel zum Empfang des Kranzes der Unsterblichkeit vorbereitet! Ja, es wird in diesem Sinne durchaus sachgemäß von ihnen gesagt: sie „schaffen“ ihre „Seligkeit“ (Phil. 2,12), wenn sie nämlich in eifriger Mühe um gute Werke nach dem ewigen Leben trachten. Das geschieht im gleichen Sinne, wie ihnen an anderer Stelle aufgetragen wird: „Wirket Speise, … die da bleibt!“ (Joh. 6,27). Das tun sie, wenn sie sich durch den Glauben an Christus das Leben erwerben. Aber trotzdem wird dann gleich darauf zugefügt: „… welche euch des Menschen Sohn geben wird! (Joh. 6,27). Daraus wird ganz deutlich, daß „Wirken“ hier nicht im Gegensatz zur „Gnade“ steht, sondern auf den Eifer (des Menschen) bezogen ist. Es ergibt sich also aus solchen Aussagen nicht, daß die Gläubigen selbst die Urheber ihres Heils sind oder daß die Seligkeit aus ihren Werken hervorgeht. Wie ist es nun? Sobald sie durch die Erkenntnis des Evangeliums und die Erleuchtung durch den Heiligen Geist in Christi Gemeinschaft aufgenommen sind, hat in ihnen das ewige Leben seinen Anfang genommen. Nun muß das gute Werk, das Gott in ihnen angefangen hat, auch vollendet werden bis auf den Tag des Herrn Jesu (Phil. 1,6). Das geschieht nun aber, wenn sie in Gerechtigkeit und Heiligkeit ihrem himmlischen Vater ähnlich zu werden trachten und sich so als seine Kinder beweisen, die nicht aus der Art geschlagen sind!

III,18,2

Den Ausdruck „Lohn“ kann man in keiner Weise benutzen, um zu beweisen, daß unsere Werke Ursache unseres Heils seien. Zunächst muß es in unserem Herzen unverbrüchlich feststehen, daß das Himmelreich nicht ein Lohn für Knechte, sondern ein Erbe für Kinder ist! (Eph. 1,18). Dieses Reich erlangen nur die, die der Herr sich zu Kindern angenommen hat, und zwar aus keiner anderen Ursache, als eben auf Grund dieser Annahme in die Kindschaft! Es soll nämlich nicht der Sohn der Magd erben, sondern der Sohn der Freien! (Gal. 4,30). Ja, gerade an solchen Stellen, an denen der Heilige Geist verheißt, die ewige Herrlichkeit werde der Lohn für unsere Werke sein, bezeichnet er sie ausdrücklich als „Erbe“ – und zeigt damit, daß sie uns tatsächlich von anderswoher zukommt! So zählt Christus die Werke auf, die er mit der „Belohnung“ des Himmels vergelten will, wenn er seine Auserwählten aufruft, diesen in Besitz zu nehmen (Matth. 25,35); aber zugleich fügt er hinzu, daß ihnen dieser Besitz als Erbe zukommt! (Matth. 25,34). So befiehlt Paulus den Knechten, getreulich ihre Pflicht zu tun und dabei von dem Herrn eine „Vergeltung“ zu erhoffen (Kol. 3,23f.) – aber er setzt hinzu: „… des Erbes“ (Kol. 3,24)! Wir sehen, wie sie also gewissermaßen mit ausdrücklichen Worten darauf dringen, daß wir die ewige Seligkeit nicht unseren Werken danken, sondern der Annahme in die Kindschaft, die uns Gott gewährt hat! Warum kommen sie denn zugleich auch auf die Werke zu sprechen? Diese Frage läßt sich durch ein einziges Beispiel aus der Schrift klären. Vor der Geburt des Isaak war dem Abraham ein „Same“ verheißen worden, in dem alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden sollten, ein Same, der in seiner Ausbreitung den Sternen am Himmel, dem Sand am Meere gleichkommen sollte usw. (Gen. 12,3; 15,5; 17,1ff.). Viele Jahre danach machte sich Abraham auf, seinen Sohn zum Opfer darzubringen, wie es ihm in einem Offenbarungswort aufgetragen war (Gen. 22,3). Als er nun diese Gehorsamstat vollbracht hatte, da empfing er die Verheißung: „Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr, weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, daß ich deinen Samen segnen und mehren will wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres; und dein Same soll besitzen die Tore seiner Feinde, und durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, darum daß du meiner Stimme gehorcht hast!“ (Gen. 22,16ff.). Was hören wir hier? Hat Abraham mit seinem Gehorsam den Segen verdient, der ihm doch schon lange verheißen war, bevor er das Gebot empfing? Hier vernehmen wir wahrhaftig ohne alle Umschweife: Der Herr belohnt die Werke der Gläubigen mit Gütern, die er ihnen bereits gegeben hat, ehe sie überhaupt an Werke gedacht haben! Und zu dieser Zeit hat er doch keinen anderen Grund gehabt, ihnen wohlzutun, als seine Barmherzigkeit!

III,18,3

Aber trotzdem ist es kein Betrug und kein Hohn, wenn uns der Herr sagt, er vergelte unseren Werken mit dem, was er doch vor diesen Werken aus Gnaden geschenkt hat. Denn es ist sein Wille, daß wir uns durch gute Werke darin üben, nach dem Empfang und sozusagen nach dem vollen Genuß der Güter zu trachten, die er uns verheißen hat -, daß wir durch diese Werke unseren Lauf nehmen, um der seligen Hoffnung zuzueilen, die uns im Himmel vor Augen gestellt ist. Deshalb wird den Werken aber auch mit Recht die Frucht der Verheißungen zugesprochen, die uns unter ihrer Leitung heranreifen soll. Beides bringt Paulus trefflich zum Ausdruck. Er spricht davon, wie die Kolosser die Pflichten der Liebe mit Eifer erfüllen, „um der Hoffnung willen, die euch beigelegt ist im Himmel, von welcher ihr zuvor gehört habt durch das Wort der Wahrheit im Evangelium“ (Kol. 1,4f.). Wenn er da erklärt, daß sie aus dem Evangelium die Hoffnung kennengelernt haben, die ihnen im Himmel beigelegt ist, so spricht er damit deutlich aus, daß diese einzig auf Christus gegründet ist, aber auf keinerlei Werke. Damit steht auch das Wort des Petrus im Einklang: „Die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, welche bereitet ist, daß sie offenbar werde zu der letzten Zeit“ (1. Petr. 1,5). Wenn Paulus (oben) von den Kolossern sagt, daß sie „um dieser Hoffnung willen“ sich mühen, so deutet er damit an, daß die Gläubigen im ganzen Lauf ihres Lebens eilen müssen, um sie zu ergreifen.Wir sollen aber nun nicht denken, der Lohn, den uns der Herr verheißt, solle nach dem Maße des Verdienstes bemessen werden. Darum hat uns der Herr ein Gleichnis gegeben: er stellt sich da als einen Hausvater dar, der alle, die ihm begegnen, in die Arbeit an seinem Weinberg schickt; die einen bereits in der ersten Tagesstunde, andere in der zweiten, wieder andere in der dritten – einige sogar erst in der elften! Am Abend aber bezahlt er allen den gleichen Lohn! (Matth. 20,1ff.). Die Erklärung dieses Gleichnisses finden wir kurz und richtig zusammengefaßt bei jenem Schriftsteller der Alten Kirche, dessen Buch „Von der Berufung der Heiden“ unter dem Namen des Ambrosius überliefert ist – wie er geheißen hat, ist schließlich gleichgültig! Ich will jedenfalls seine und nicht meine eigenen Worte brauchen: „Durch die in diesem Gleichnis uns gegebene Regel hat der Herr dargelegt, wie die Verschiedenheit der vielfältigen Berufung doch zu der einen Gnade in Beziehung steht. Wenn hier die Männer, die erst in der elften Stunde in den Weinberg geschickt werden, den Arbeitern gleichgestellt sind, die den ganzen Tag geschafft haben, so ist damit ein Bild derer gegeben, die Gott zum Ruhm seiner herrlichen Gnade am Ende des Tages, am Schluß ihres Lebens nach seiner Güte belohnt hat; dabei bezahlt er keinen Preis für ihre Arbeit, sondern er ergießt in Menschen, die er ohne Werke erwählt hat, die Reichtümer seiner Güte. So sollen auch die, welche unter viel Arbeit ihren Schweiß vergossen haben und doch keinen reicheren Lohn empfangen als die zu allerletzt Gekommenen, erkennen, daß sie ein Geschenk der Gnade und nicht einen Lohn für ihre Werke empfangen haben“ (Pseudo-Ambrosius, Von der Berufung der Heiden, I,5).
Zum Schluß ist auch noch folgendes beachtenswert: An den Stellen, wo das ewige Leben als Lohn für unsere Werke bezeichnet wird, da bezieht sich das nicht einfach auf die Gemeinschaft, die wir mit Gott haben und die uns die selige Unsterblichkeit gewährt, also auf jene Gemeinschaft, in der er uns in väterlichem Wohlwollen in Christus annimmt, sondern vielmehr auf den Besitz und den Genuß der Seligkeit, wie man sagt. So klingt es uns auch aus den Worten Christi selbst entgegen: „ … und in der zukünftigen Welt das ewige Leben“ (Mark. 10,30), oder: „Kommet her … ererbet das Reich …!“ (Matth. 25,34). In diesem Sinne nennt auch Paulus die Offenbarung unserer Kindschaft, die in der Auferstehung geschieht, unsere Kindschaft (Röm. 8,18f.), und er erläutert es nachher noch dahin, das sei „unseres Leibes Erlösung“ (Röm. 8,23). Wie übrigens die Entfremdung von Gott der ewige Tod ist, so wird der Mensch, wenn ihn Gott in seine Gnade aufnimmt, damit er seiner Gemeinschaft genieße und mit ihm eins werde, vom Tode zum Leben gebracht, und das geschieht allein durch die Wohltat unserer Annahme in die Kindschaft. Wollen sich unsere Widersacher nach ihrer Art halsstarrig auf den Lohn für die Werke versteifen, so mag man ihnen auch das Wort des Petrus entgegenhalten, wonach das ewige Leben der Lohn des Glaubens ist! (1. Petr. 1,9).
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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