Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Der Pilgrim
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III,23,7

Man erklärt nun, es stünde nicht mit ausdrücklichen Worten geschrieben, daß Gott beschlossen habe, Adam solle durch seinen Abfall zugrunde gehen. Als ob dieser Gott, von dem die Schrift Predigt, daß er macht, „was er will“ (Ps. 115,3), das edelste seiner Geschöpfe auf ein ungewisses Ziel hin geschaffen hätte! Man sagt, es habe bei seinem freien Willen gestanden, sich selbst sein Los zu gestalten, Gott aber habe nichts bestimmt, als daß er ihn nach seinem Verdienst behandeln werde. Wo bleibt aber, wenn solch ein inhaltloses Hirngespinst zur Annahme kommt, Gottes Allmacht, in der er nach seinem geheimen Ratschluß, der sonst von nichts abhängt, alle Dinge lenkt? Aber mögen solche Menschen wollen oder nicht, so tritt doch die Vorbestimmung an den Nachkommen Adams zutage! Denn es ist nicht natürlicherweise geschehen, daß durch die Schuld des einen Stammvaters alle aus dem Heil herausgefallen sind. Was hindert sie nun, von einem Menschen zu bekennen, was sie wider ihren Willen vom ganzen Menschengeschlecht zugeben? Denn wozu geben sie sich vergebliche Mühe, hier Ausflüchte zu suchen? Die Schrift erklärt laut, daß alle Sterblichen in der Person eines einzigen Menschen dem ewigen Tode zu eigen gegeben worden sind. Da man dies aber nicht der Natur zuschreiben kann, so liegt es hell am Tage, daß es aus Gottes wunderbarem Rat hervorgegangen ist. Gar zu widersinnig ist es aber, daß diese guten Beschützer der Gerechtigkeit Gottes an solch einem Grashalm hängen bleiben, aber hohe Baumstämme überspringen! Ich frage auf der anderen Seite: Wie ist es denn gekommen, daß Adams Fall rettungslos so viele Völker samt ihren unmündigen Kindern in den ewigen Tod verwickelt hat? Gibt es einen anderen Grund, als daß es Gott so Wohlgefallen hat? Hier müssen jene sonst so geschwätzigen Zungen verstummen. Es ist zwar ein furchtbarer Ratschluß, das gebe ich zu; aber dennoch wird niemand leugnen können, daß Gott, bevor er den Menschen schuf, zuvor gewußt hat, welchen Ausgang er nehmen würde, und daß er dies eben darum vorauswußte, weil er es in seinem Ratschluß so bestimmt hatte! Wer hier gegen Gottes Vorherwissen losfahren will, der rennt vorwitzig und unbedacht an. Denn aus was für einem Grunde, frage ich, soll der himmlische Richter der Anklage unterliegen, weil er wohl wußte, was eintreten würde? Alles, was man an rechtmäßiger oder scheinbarer Klage vorbringen mag, richtet sich doch gegen seine Vorbestimmung. Es darf auch nicht widersinnig erscheinen, wenn ich behaupte: Gott hat den Fall des ersten Menschen und in ihm das Verderben seiner Nachfahren nicht bloß vorhergesehen, sondern auch nach seinem Gutdünken angeordnet. Denn wie es zu seiner Weisheit gehört, daß er alles Zukünftige zuvor weiß, so zu seiner Macht, alles mit seiner Hand zu regieren und zu leiten! Auch diese Frage, wie andere, hat Augustin weislich gelöst. Er sagt: „Sehr heilsam bekennen wir, was wir sehr recht glauben, nämlich daß der Gott und Herr aller Dinge, der alles ’sehr gut’ geschaffen hat, der zuvor wußte, daß aus dem Guten Böses erwachsen würde, und der wußte, daß es seiner schlechthin allmächtigen Güte eher anstünde, das Böse zum Guten zu wenden, als das Böse nicht geschehen zu lassen, daß dieser Gott das Leben der Engel und der Menschen so angeordnet hat, daß er an ihm zunächst zeigte, was der freie Wille vermag, und dann auch, was die Wohltat seiner Gnade und das Urteil seiner Gerechtigkeit kann!“ (Von der Züchtigung und Gnade 10,27).



III,23,8

Hier nimmt man nun seine Zuflucht zu der Unterscheidung zwischen Willen und Zulassung; danach will man erreichen, daß die Gottlosen nur unter Gottes Zulassung, nicht aber nach seinem Willen verlorengehen. Aber was wollen wir sagen: aus welchem anderen Grunde soll er denn etwas zulassen, als – weil er es will? Freilich ist es nicht einmal an sich einzusehen, daß der Mensch sich das Verderben allein unter Gottes Zulassung und ohne seine Anordnung zugezogen habe. Als ob Gott nicht fest beschlossen hätte, in welcher Stellung nach seinem Willen die vornehmste unter seinen Kreaturen sich befinden sollte! Ich trage also keine Bedenken, mit Augustin einfach zu bekennen, daß Gottes Wille die Notwendigkeit der Dinge ist (Von der Genesis IV,15,26), und daß, was er will, notwendig eintreten wird, wie ja auch alles wirklich geschehen wird, was er vorausgesehen hat! Wenn nun aber die Pelagianer oder die Manichäer oder die Wiedertäufer oder die Epikuräer – denn mit diesen vier Sekten haben wir es bei dieser Erörterung zu tun! – zu ihrer und der Gottlosen Entschuldigung auf die „Notwendigkeit“ verweisen, kraft deren sie durch Gottes Vorbestimmung gezwungen würden, so bringen sie nichts vor, was zu dieser Sache geeignet ist. Denn die Vorbestimmung ist doch nichts anderes als die Austeilung der zwar verborgenen, aber unbeschuldbaren göttlichen Gerechtigkeit. Weil es nun aber sicher ist, daß die, welche zu solchem Geschick (nämlich zum Verderben) vorbestimmt wurden, dessen nicht unwürdig waren, so ergibt sich: es ist ebenso sicher, daß das Verderben, dem sie kraft der Vorbestimmung unterworfen sind, völlig gerecht ist! Außerdem ist ihr Verlorengehen von Gottes Vorbestimmung in der Weise abhängig, daß sich doch die Ursache und Begründung dazu in ihnen selbst finden! Der erste Mensch ist nämlich gefallen, weil Gott es für nützlich hielt; warum er es dafür hielt, ist uns nicht bekannt. Dennoch ist es sicher, daß er es aus keinem anderen Grund getan hat, als weil er sah, daß so die Ehre seines Namens mit Recht verherrlicht würde. Wo du aber Gottes Ehre nennen hörst, da denke auch an seine Gerechtigkeit. Denn das, was Lobpreis verdient, muß gerecht sein! Der Mensch kommt also zu Fall, weil Gottes Vorsehung es so ordnet – aber er fällt durch seine eigene Schuld! Kurz zuvor hatte der Herr kundgetan, alles, was er gemacht hatte, sei „sehr gut“ (Gen. 1,31). Woher kommt denn dem Menschen solche Bosheit, daß er von seinem Gott abfällt? Es sollte niemand meinen, sie stamme aus der Schöpfung; deshalb hatte Gott das, was von ihm selbst ausgegangen war, durch eigenen Lobspruch gutgeheißen. Der Mensch hat also in eigener Bosheit die reine Natur verderbt, die er von dem Herrn empfangen hatte und zog durch seinen Fall auch seine ganze Nachkommenschaft mit sich ins Verderben! Deshalb sollen wir an der verderbten Natur des Menschengeschlechts die offenkundige Ursache der Verdammnis anschauen, die uns naher liegt – statt eine verborgene und tiefst unbegreifliche in Gottes Vorbestimmung zu suchen! Wir wollen es uns auch nicht verdrießen lassen, unseren Verstand Gottes unermeßlicher Weisheit so gar zu unterwerfen, daß er unter ihren vielen Geheimnissen zusammenbricht! Denn gegenüber dem, was zu wissen uns nicht gegeben ist und nicht gebührt, ist Nichtwissen etwas Gelehrtes, Trachten nach Wissen aber eine Art Wahnsinn!



III,23,9

Vielleicht wird aber irgendwer sagen, ich hätte noch nichts vorgebracht, was jene gotteslästerliche Entschuldigung (der Sünde unter Hinweis auf die Prädestination) zum Schweigen brächte. Ich gestehe nun zwar, daß auch dies nicht geschehen kann, ohne daß die Unfrömmigkeit immer noch murrt und mault. Ich habe aber doch den Eindruck, daß ich genug gesagt habe, um nicht nur die Ursache zu solcher Widerrede, sondern auch den Vorwand dazu aus der Welt zu schaffen. Die Verworfenen wollen über ihrem Sündigen für entschuldbar gelten, weil sie der Notwendigkeit zum Sündigen nicht entgehen könnten, vor allem, wo ihnen doch diese Notwendigkeit durch Gottes Anordnung auferlegt werde. Wir dagegen bestreiten, daß sie solchermaßen recht entschuldigt werden, weil doch Gottes Anordnung, kraft deren sie nach ihrer Klage zum Verderben bestimmt sind, ihre klare Billigkeit in sich trägt, die uns zwar verborgen, die aber doch ganz gewiß ist! Daraus ergibt sich für uns die Feststellung: sie stehen kein Übel aus, das ihnen nicht durch Gottes schlechthin gerechtes Gericht zugefügt wird. Ferner lehren wir auch, daß sie verkehrt vorgehen, wenn sie ihre Augen auf das verborgene Allerheiligste des göttlichen Ratschlusses richten, um dort den Ursprung ihrer Verdammnis zu suchen, unterdessen aber vor der Verderbnis ihrer Natur, aus der solche Verdammnis wirklich hervorquillt, die Augen zukneifen! Diese Verderbnis können sie aber nicht Gott zurechnen: dem steht im Wege, daß er seiner Schöpfung ein solches Zeugnis gibt (nämlich: sie sei „sehr gut“!). Obgleich nämlich der Mensch durch Gottes ewige Vorsehung zu dem Jammer erschaffen ist, dem er unterliegt, so hat er doch den Grund und Anlaß dazu aus sich selbst, nicht aber aus Gott genommen. Denn er ist aus keiner anderen Ursache so verloren, als weil er aus Gottes reiner Schöpfung zu lasterhafter, unreiner Verderbtheit entartet ist!



III,23,10

Noch mit einer dritten Widersinnigkeit wird Gottes Vorbestimmung von ihren Widersachern verunglimpft. Wir schreiben es ja nichts anderem als dem Gutdünken des göttlichen Willens zu, daß dem allgemeinen Verderben einige entnommen werden, die Gott zu Erben seines Reiches annimmt, – und daraus ziehen jene Widersacher die Folgerung, es gebe also bei Gott ein Ansehen der Person, was doch die Schrift allerorts verneint. Also muß – so folgert man weiter – entweder die Schrift sich selbst widersprechen oder aber bei Gottes Erwählung eine Rücksicht auf Verdienste stattfinden! Zunächst: wenn die Schrift bestreitet, daß Gott einer sei, der „die Person ansieht“, so geschieht das in anderem Sinne, als in dem die Widersacher urteilen. Denn sie versteht (hier) unter „Person“ nicht den Menschen, sondern das, was am Menschen vor Augen ist und ihm Gunst, Ansehen und Würdigkeit zu verschaffen oder auch Haß, Verachtung und Unehre zuzuziehen pflegt. Dazu gehören Reichtum, Besitz, Macht, Adel, öffentliche Amtsstellung, Herkunft, seine Gestalt und anderes dieser Art. Ebenso auch Armut, Mangel, unedle Herkunft, niedrige Stellung, Verächtlichkeit und dergleichen mehr. So lehren Petrus und Paulus, der Herr sei nicht einer, der die Person ansieht (Apg. 10,34; Röm. 2,11), weil er nämlich zwischen Juden und Griechen keinen Unterschied macht (Gal. 3,28), also nicht etwa wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk den einen verwirft und den anderen annimmt. So gebraucht auch Jakobus die gleichen Worte, indem er beweisen will, daß sich Gott in seinem Urteil nicht um Reichtümer kümmert (Jak. 2,5). Paulus aber redet an anderer Stelle in derselben Weise von Gott, und zwar weil er bei seinem Urteil keine Rücksicht auf Freiheit oder Knechtschaft nimmt (Kol. 3,25; Eph. 6,9). Es liegt also gar kein Widerspruch darin, wenn wir sagen: Gott erwählt ohne jedes Verdienst nach dem Ermessen seines Wohlgefallens die zu seinen Kindern, die zu erwählen ihm gut scheint, die anderen aber verstößt und verwirft er. Die Sache läßt sich aber auch folgendermaßen erklären, um die Widersacher noch völliger zufriedenzustellen. Man fragt, wie es denn komme, daß Gott von zwei Menschen, die kein Verdienst voneinander unterscheidet, den einen in seiner Erwählung übergeht, den anderen aber annimmt. Ich frage auf der anderen Seite: Meint man denn, in dem, der angenommen wird, wäre irgend etwas, das Gottes Herz zu ihm hinneigt? Wenn man nun zugibt, daß sich da nichts findet – und das muß man zugeben! -, so folgt daraus, daß Gott nicht den Menschen anschaut, sondern aus seiner Güte die Ursache nimmt, aus der heraus er ihm wohltut! Daß also Gott den einen Menschen erwählt und dabei den anderen verwirft, das ergibt sich nicht etwa daraus, daß Gott den Menschen ansähe, sondern allein aus seinem Erbarmen, dem es freistehen muß, sich zu erzeigen und auszuwirken, wo und wie oft es ihm gefällt! (siehe Augustin, An Bonifacius II,7,13ff.). Wir sahen doch auch anderwärts, daß seit Anbeginn nicht viel Edle, nicht viel Weise, nicht viel Gewaltige berufen worden sind (1. Kor. 1,26), damit Gott die Hoffart des Fleisches demütigte! So wenig ist Gottes Gunst an Personen gebunden gewesen!
Simon W.

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III,23,11

Es ist also verkehrt und sehr übel, wenn einige Leute Gott verleumden, er übe ungleiche Gerechtigkeit, weil er in seiner Vorbestimmung nicht allen gegenüber die gleiche Haltung einnimmt. Man sagt: Wenn er sie alle schuldig befindet, so soll er sie auch alle gleichermaßen strafen, findet er sie aber unschuldig, so soll er sich allen gegenüber der Strenge seines Gerichts enthalten. Aber dabei geht man mit ihm gerade so um, als ob ihm Barmherzigkeit untersagt wäre oder als ob er, wenn er sich erbarmen will, nun auch gezwungen wäre, seinem Gericht ganz und gar zu entsagen! Was verlangt man denn? Wenn alle schuldig sind, so sollen sie auch alle miteinander die gleiche Strafe erleiden. Nun geben wir zu: die Schuld ist gemeinsam! Wir behaupten aber, daß einigen Gottes Barmherzigkeit zu Hilfe kommt. Dann muß sie auch allen helfen – sagen sie darauf! Wir dagegen wenden ein: es ist billig, daß er sich auch durch Strafen als gerechten Richter beweise! Wenn sie das nicht ertragen, was tun sie dann anders, als daß sie versuchen, Gott entweder des Vermögens zum Erbarmen zu berauben – oder es ihm wenigstens nur unter der Bedingung zuzugestehen, daß er auf sein Gericht gänzlich Verzicht leistet? Daher passen die folgenden Aussagen Augustins trefflich hierher. Zunächst: Weil in dem ersten Menschen die gesamte Masse seines Geschlechts in Verdammnis geraten ist, so sind alle, die aus ihr zu Gefäßen zur Ehre werden (vgl. Röm. 9,21), nicht Gefäße ihrer eigenen Gerechtigkeit, sondern der Barmherzigkeit Gottes. Daß aber andere zu Gefäßen zur Unehre werden, das ist nicht Gottes Ungerechtigkeit, sondern seinem Gericht zuzuschreiben (Brief 196). Ferner: Wenn Gott denen, die er verwirft, die verdiente Strafe zuteil werden läßt, und wenn er andererseits denen, die er beruft, unverdiente Gnade schenkt, so ist er darin von jeder Anklage frei, und zwar nach dem Gleichnis des Schuldherrn, in dessen Gewalt es steht, dem einen seine Schuld zu erlassen, sie aber von dem anderen einzufordern! (Von der Prädestination und Gnade 3; Pseudo-Augustin). Oder auch: Der Herr kann also auch Gnade schenken, welchem er will, weil er barmherzig ist; wiederum kann er sie auch nicht allen schenken, weil er der gerechte Richter ist! Indem er einigen schenkt, was sie nicht verdient haben, kann er seine freie Gnade ans Licht bringen; indem er es aber nicht allen schenkt, kann er zeigen, was alle verdienen! (Von der Gabe der Beharrung 12,28). Denn wenn Paulus schreibt, Gott habe alles unter die Sünde beschlossen, „auf daß er sich aller erbarme“ (Röm. 11,32), so ist zugleich zuzufügen: er ist niemandem etwas schuldig; denn keiner „hat ihm etwas zuvor gegeben, daß ihm werde wieder vergolten!“ (Röm. 11,35).



III,23,12

Die Widersacher verweisen, um die Vorbestimmung umzustoßen, auch mit Schärfe darauf, daß bei Aufrechterhaltung der Vorbestimmung jede Sorge, jeder Eifer um rechtes Tun zu Boden falle. Denn wer wird, so sagen sie, vernehmen, daß für ihn durch ewigen, unveränderlichen Entscheid Gottes bereits Leben oder Tod festgelegt sind, ohne sofort auf den Gedanken zu verfallen, es liege nichts daran, wie er sich aufführe, weil ja mit seinem Werk Gottes Vorbestimmung weder zu hindern noch zu fördern wäre? So werden sich denn alle zuchtlos gehen lassen und auf jammervolle Weise kopfüber in alles hineinstürzen, wohin sie auch ihre Lust treibt! Und diese Leute sagen wahrhaftig nicht in jeder Beziehung die Unwahrheit! Denn es gibt gar viele solcher Säue, die die Lehre von der Vorbestimmung mit unsauberen Gotteslästerungen besudeln, alle Mahnungen, allen Ladet verspotten und als Deckmantel vorwenden: „Gott weiß ja, was er einmal mit uns zu machen beschlossen hat; hat er uns das Heil zubestimmt, dann wird er uns auch zu seiner Zeit zu ihm hinführen; hat er uns den Tod zugesprochen, so werden wir uns vergebens dagegen sperren!“ Indem uns aber die Schrift gebietet, mit wieviel größerer Ehrerbietung und Gottesfurcht wir über ein so tiefes Geheimnis nachzudenken haben, unterweist sie die Frommen in ganz anderem Sinne und spricht auch einen gründlichen Tadel gegen den gottlosen Mutwillen jener Leute aus. Denn sie erwähnt die Vorbestimmung nicht dazu, daß wir uns zur Vermessenheit erheben und versuchen, Gottes unzugängliche Geheimnisse in nichtswürdigem Vorwitz zu durchforschen, sondern vielmehr, damit wir gedemütigt und niedergeschlagen lernen, vor seinem Gericht zu erzittern und zu seiner Barmherzigkeit emporzuschauen! Nach diesem Ziel sollen sich also die Gläubigen richten! Jenes gemeine Säuegrunzen aber wird von Paulus nach Gebühr zum Schweigen gebracht. Sie sagen, sie könnten unbekümmert in ihren Lastern weiterhin einhergehen; denn wenn sie zu der Zahl der Erwählten gehörten, dann würden ihre Laster nicht hindern, daß sie schließlich doch zum Leben herzugeführt würden. Paulus dagegen mahnt uns, wir seien zu dem Ziel erwählt, daß wir ein „heiliges“ und „unsträfliches“ Leben führten! (Eph. 1,4). Ist nun das Ziel der Erwählung die Heiligkeit unseres Lebens, so muß sie uns dazu erwecken und anspornen, nach solcher Heiligkeit wacker zu trachten, statt uns etwa einen Deckmantel für unsere Faulheit zu bieten! Denn was ist das doch für ein scharfer Widerspruch: man läßt davon ab, Gutes zu tun, weil die Erwählung zum Heil genüge – und dabei ist der Erwählung das Ziel gesetzt, daß wir uns dem Eifer um das Gute hingeben sollen! Fort also mit solchen Gotteslästerungen, die die ganze Ordnung der Erwählung fälschlich umkehren! Sie lassen ihre Lästerungen aber noch weiter gehen und behaupten, wer von Gott verworfen sei, der wende verlorene Mühe daran, wenn er durch Unschuld und Rechtschaffenheit des Lebens danach trachte, Gottes Wohlgefallen zu gewinnen. Aber damit werden sie nun der unverschämtesten Lüge überführt. Woher sollte nämlich solch eifriges Trachten entstehen können, als aus der Erwählung? Denn alle, die zu der Zahl der verworfenen gehören, die sind ja Gefäße, die zu Unehren gemacht sind (Röm. 9,21), und deshalb hören sie nicht auf, durch fortdauernde Missetaten Gottes Zorn wider sich zu reizen und Gottes Gericht, das bereits über sie geschehen ist, durch offenkundige Merkzeichen zu bestätigen! So wenig kann die Rede davon sein, daß sie mit solchem Gericht Gottes in einem vergeblichen Streite lägen!



III,23,13

Trotzdem schmähen andere diese Lehre boshaft und schamlos, als ob sie alle Ermahnungen, fromm zu leben, über den Haufen würfe. Dieser Sache halben hat Augustin einst viel Unglimpf ausstehen müssen; dessen hat er sich dann aber in seinem Buche „Von der Züchtigung und Gnade an Valentinus“ erwehrt, das alle frommen und belehrbaren Leute leicht zufriedenstellen wird, wenn sie es lesen. Trotzdem will ich hier einiges berühren, das, wie ich hoffe, rechtschaffenen und nicht streitsüchtigen Menschen Genüge tun wird. Wir haben ja oben gesehen, was für ein klarer und lauter Herold der Gnadenerwählung Paulus gewesen ist; – aber war er deshalb etwa untätig im Ermahnen und Ermuntern? Es sollen doch jene guten Eiferer sein ernstes Drängen mit dem ihrigen vergleichen: – dann werden sie bei sich selber Eis vorfinden im Vergleich zu seiner unglaublichen Glut! Und wirklich: alle Zweifel werden behoben, wenn wir den Grundsatz hören: „Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit“ (1. Thess. 4,7), sondern daß „ein jeglicher sein Gefäß behalte in … Ehren“ (1. Thess. 4,4), oder dann auch: „Wir sind Gottes Werk, geschaffen … zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,10). Kurz, wer in (den Schriften des Paulus) auch nur mittelmäßig bewandert ist, der wird ohne langen Beweis einsehen, wie trefflich er diese beiden Dinge (Vorbestimmung und Ermahnungen) miteinander überein bringt, von denen jene Leute phantasieren, sie stritten widereinander. Christus gibt uns das Gebot, wir sollten an ihn glauben; aber trotzdem ist es kein falscher Satz und auch jenem Gebot nicht zuwider, wenn er spricht: „Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben“ (Joh. 6,65). Deshalb soll die Predigt ihren Lauf nehmen, welche die Menschen zum Glauben führe und sie in ständigem Fortschreiten in der Beharrung erhalte! Dennoch aber soll auch die Erkenntnis der Vorbestimmung nicht gehemmt werden, damit die, welche gehorchen, nicht hoffärtig meinen, sie hätten das aus sich selbst, sondern sich in dem Herrn rühmen: Nicht ohne Ursache spricht Christus. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Matth. 13,9). Wenn wir also vermahnen und predigen, so gehorchen die, welche mit Ohren begabt sind, gern; die aber keine Ohren haben, – an denen erfüllt sich, was geschrieben steht: „Höret, und verstehet’s nicht!“ (Jes. 6,9). „Weshab“, sagt Augustin, „haben nun die einen Ohren, die anderen nicht? Wer hat des Herrn Sinn erkannt?’ (Röm. 11,34). Sollen wir etwa leugnen, was offenbar ist, weil wir nicht begreifen können, was verborgen ist?“ (Augustin, Von der Gabe der Beharrung 14,37). Das habe ich getreulich aus Augustin entnommen. Weil aber seine Worte vielleicht mehr Autorität haben werden als meine, nun, so soll jetzt vorgetragen werden, was wir bei ihm lesen! „Wenn sich auf das Hören dieser Botschaft hin einige der Trägheit und Faulheit zuwenden, wenn sie sich, zur Lust geneigt, von der Arbeit abwenden und hinter ihren Begierden herlaufen – sollen wir deshalb meinen, was man von Gottes Vorherwissen gesagt hat, sei verkehrt? Ist es nicht so: wenn Gott zuvor gewußt hat, daß sie gut sein werden, so werden sie gut sein, in was für Bosheit sie jetzt auch einhergehen mögen, und wenn er zuvor gewußt hat, daß sie böse sein werden, so werden sie böse sein, in was für gutem Wesen man sie auch jetzt sehen mag? Soll man nicht um solcher Ursachen willen alles leugnen oder verschweigen, was man von Gottes Vorherwissen in Wahrheit sagt; vor allem dann, wenn das Nichtaussprechen andere Irrtümer mit sich bringt;“ (Von der Gabe der Beharrung 15,38). „Es ist“, so sagt er, „anders bestellt um das Verschweigen der Wahrheit, als um die Notwendigkeit, die Wahrheit zu sagen. Es wäre nun aber eine weitläufige Sache, all die Gründe aufzusuchen, weshalb man die Wahrheit verschweigen könnte. Einer unter ihnen ist aber der: es sollen doch nicht, während wir die, welche es begreifen, klüger machen wollen, die anderen, die es nicht begreifen, schlimmer werden. Nun werden die ersteren, wenn wir ihnen dergleichen sagen, zwar nicht weiser, aber sie werden auch nicht schlimmer gemacht. Wenn es sich nun aber mit einer Sache, die wahr ist, so verhält, daß durch unser Reden von ihr der, der sie nicht begreift, schlimmer wird, durch unser Schweigen von ihr aber der, der sie zu begreifen vermag, was meinen wir dann tun zu sollen? Sollen wir das Wahre nicht lieber aussprechen, damit der es begreife, der es fassen kann, als es zu verschweigen, so daß sie es nun nicht nur beide nicht fassen, sondern auch gerade der Verständigere schlimmer wird, durch den, wenn er es hörte und begriffe, wiederum viele andere es lernen würden? Und wir wollen etwa nicht sagen, was nach dem Zeugnis der Schrift zu sagen erlaubt ist? Wir fürchten nämlich eben, es könnte durch unser Reden dem, der es nicht begreifen kann, ein Anstoß bereitet werden- aber wir fürchten nicht, daß durch unser Schweigen der, der die Wahrheit zu begreifen vermag, dem Irrtum verfällt!“ (Von der Gabe der Beharrung 16,40). Diesen Ausspruch faßt er schließlich noch kürzer zusammen und bekräftigt ihn auch mit größerer Klarheit. „Wenn nun also die Apostel und die ihnen nachfolgenden Lehrer der Kirche beides getan haben, wenn sie also Gottes ewige Erwählung fromm gelehrt und zugleich auch die Gläubigen unter der Zucht eines frommen Lebens gehalten haben, – weshalb meinen denn unsere heutigen Lehrer, von dem unüberwindlichen Zwang der Wahrheit überzeugt, sie redeten recht, wenn sie meinen, man solle das, was von der Vorbestimmung gesagt wird, dem Volke nicht predigen, wenn es auch wahr sei? Nein, man muß es durchaus predigen, damit die, welche Ohren zum Hören haben, es vernehmen! Wer hat aber solche Ohren, wenn er sie nicht von dem empfangen hat, der sie zu schenken verheißen? Freilich, wer sie nicht empfangen hat, der mag diese Lehre verwerfen, während dagegen der, der sie begreift, sie annehme und trinke, trinke und lebe! Wie nämlich die Frömmigkeit gepredigt werden muß, damit Gott recht verehrt werde, so auch die Vorbestimmung, damit der, der Ohren hat zu hören, sich über Gottes Gnade in Gott und nicht in sich selber rühme!“ (Von der Gabe der Beharrung 20,51).
Simon W.

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III,23,14

Und doch: wie dieser heilige Mann ganz besonders vom Eifer um die Erbauung erfüllt war, so übte er auch die Art und Weise, wie er die Wahrheit lehrte, mit Maßen, damit jedes Ärgernis nach Möglichkeit weislich vermieden werde. Denn er macht darauf aufmerksam, daß man das, was wahr geredet wird, auch zugleich angemessen aussprechen kann. Wenn jemand das Volk anschreit und sagt: „Wenn ihr nicht glaubt, so kommt das daher, daß ihr von Gott aus bereits zum Verderben verordnet seid“ – so nährt er nicht bloß die Faulheit, sondern begünstigt auch die Bosheit! Und wenn jemand seine Rede auch auf die Zukunft wendet und erklärt, seine Zuhörer würden ja doch nicht glauben, weil sie eben bereits verworfen wären, – so ist das eher eine Verfluchung, als etwa eine Unterweisung! Es ist daher nicht unverdient, wenn Augustin solchen Leuten als unklugen Lehrern oder auch als verkehrten, unheilkündenden Propheten befiehlt, sich aus der Kirche fortzumachen! Allerdings behauptet er an anderer Stelle auch richtig, man müsse daran festhalten: der Mensch kommt nur dann durch Züchtigung vorwärts, wenn der sich seiner erbarmt und ihm hilft, der die, welche er will, auch ohne Züchtigung vorwärtskommen läßt! Warum er nun aber mit dem einen so, mit dem anderen anders verfährt – darüber steht das Urteil durchaus nicht dem Ton zu, sondern dem Töpfer! Ebenso sagt er nachher: „Wenn die Menschen durch Züchtigung auf den Weg der Gerechtigkeit gelangen oder zurückkommen – wer wirkt dann in ihrem Herzen das Heil? Doch kein anderer als der, welcher bei allem pflanzen und Begießen von Menschen das Wachstum verleiht (1. Kor. 3,6-8), der, dem kein freier Wille des Menschen widersteht, wenn er selig machen will! … Es ist also nicht daran zu zweifeln, daß der Wille der Menschen dem Willen Gottes nicht zu widerstehen vermag, so daß er etwa nicht täte, was er will; denn Gott hat ja im Himmel und auf Erden alles gemacht, was er wollte, und er hat auch das geschaffen, was in Zukunft sein wird! Er macht ja doch gerade aus dem Willen der Menschen, was er will!“ (Von der Gabe der Beharrung 14,43.45). Ähnlich: „Wenn er die Menschen zu sich bringen will, bindet er sie dann mit leiblichen Banden? Nein, er wirkt inwendig, inwendig hält er die Herzen fest, inwendig bewegt er die Herzen und zieht sie mit ihrem eigenen Willen, den er in ihnen gewirkt hat!“ (ebenda 14,45). Aber dabei darf man keineswegs vergessen, was er gleich hinzusetzt: „Weil wir nicht wissen, wer zu der Zahl der Vorbestimmten gehört oder auch nicht gehört, so gebührt uns solche Gesinnung, daß wir wünschen, es möchten alle selig werden. So wird es kommen, daß wir jeden, der uns begegnet, zum Mitgenossen des Friedens zu machen trachten! Aber unser Friede wird auf den Kindern des Friedens ruhen (vgl. Matth. 10,13). Sofern es an uns liegt, sollen wir also allen die heilsame, strenge Züchtigung wie eine Arznei zuteil werden lassen, damit sie nicht verlorengehen und auch andere nicht verderben. Gottes Sache aber wird es sein, solche Züchtigung an denen nützlich werden zu lassen, die er zuvor ersehen und vorbestimmt hat!“ (Von der Gabe der Beharrung 15,46; 16,49).



Vierundzwanzigstes Kapitel: Die Erwählung wird durch Gottes Berufung bekräftigt; die Verworfenen aber ziehen sich die gerechte Verdammnis zu, zu der sie bestimmt sind


III,24,1

Damit aber die Sache noch klarer wird, muß von der Berufung der Erwählten und von der Verblendung und Verstockung der Gottlosen noch die Rede sein. Von der ersteren habe ich nun zwar schon etwas gesprochen, als ich den Irrtum derer widerlegte, denen die Allgemeinheit der Verheißungen das ganze Menschengeschlecht in eine Linie zu stellen scheint. Aber es geht nicht ohne eine Auswahl ab, wenn Gott die Erwählung, die er sonst in sich selber verborgen hält, schließlich durch seine Berufung offen zutage treten läßt; man kann diese also im eigentlichen Sinne als Bezeugung der Erwählung bezeichnen. „Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes … Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen, welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, um sie einst auch herrlich zu machen! (Röm. 8,29f.; Schluß verkürzt). Schon durch seine Erwählung hatte der Herr die Seinen an Kindes Statt angenommen; aber wir sehen doch, daß sie in den Besitz eines so herrlichen Gutes erst dann gelangen, wenn sie berufen werden; andererseits sehen wir auch, daß sie als Berufene das Teilhaben an seiner Erwählung bereits etlichermaßen genießen. Aus diesem Grunde nennt Paulus den Geist, den sie empfangen, den „Geist der (Aufnahme in die) Kindschaft“ (Röm. 8,15), auch das „Siegel“ und das „Pfand“ des künftigen Erbes (Eph. 1,13f.; 2. Kor. 1,22; 5,5), weil er nämlich durch sein Zeugnis in ihren Herzen die Gewißheit der zukünftigen Aufnahme in die Kindschaft bekräftigt und versiegelt. Gewiß sprudelt bereits die Predigt des Evangeliums aus dem Brunnquell der Erwählung hervor; aber sie ist ja auch den Verworfenen gemein und wäre an sich kein sicherer Beweis solcher Erwählung. Gott unterweist dagegen seine Auserwählten in wirksamer Kraft, um sie zum Glauben zu bringen. So haben wir es oben aus Christi Worten angeführt: „Wer aus Gott ist, der sieht den Vater, und kein anderer“ (Joh. 6,46; summarisch). Ebenso heißt es: „Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir … gegeben hast“ (Joh. 17,6). An anderer Stelle sagt er auch: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe mein Vater“ (Joh. 6,44). Diese Stelle hat Augustin weislich erwogen; seine Worte lauten: „Wenn – wie es die Wahrheit ausspricht! – jeder zu ihm kommt, der es gelernt hat, so hat der, der nicht kommt, es gewiß auch nicht gelernt: Daraus ergibt sich deshalb nicht die Folgerung, wer kommen könne, der komme auch; – das gilt allein, wenn er es will und tut! Jeder aber, der es vom Vater gelernt hat, der kann nicht bloß kommen, sondern der kommt auch; denn da ist bereits das Fortschreiten des Vermögens, die Regung des Willens und die Wirklichkeit der Tat vorhanden!“ (Von Christi Gnade und der Erbsünde I,14,15). An anderer Stelle finden wir das gleiche noch klarer: „Was heißt das: Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir?“ (Joh. 6,45). Doch dies: es ist keiner, der es vom Vater hört und lernt – und der nicht zu mir kommt! Wenn nämlich jeder, der es vom Vater gehört hat und lernt, auch kommt, so ist es sicher: wer nicht kommt, der hat es auch nicht vom Vater gehört und nicht gelernt; denn wenn er es gehört und gelernt hätte, dann käme er auch. Gar verborgen ist den Sinnen des Fleisches jene Schule, in der der Vater gehört wird und lehrt, damit man zum Sohne kommt!“ (Von der Vorbestimmung der Heiligen 8,13). Kurz hernach heißt es: „Diese Gnade, die in verborgener Weise dem Menschenherzen zuteil wird, nimmt kein hartes Herz an; ja, sie wird eben dazu gegeben, daß die Härtigkeit des Herzens zuallererst weggenommen werde! Wenn also der Vater im Innern gehört wird, dann nimmt er das steinerne Herz weg und schenkt ein fleischernes. So nämlich schafft er Kinder der Verheißung und Gefäße seines Erbarmens, die er zur Herrlichkeit bereitet hat. Weshalb lehrt er nun also nicht alle, damit sie zu Christus kommen? Doch nur deshalb, weil er alle, die er lehrt, in seiner Barmherzigkeit lehrt, alle dagegen, die er nicht lehrt, in seinem Gericht unbelehrt läßt! Denn er erbarmt sich, welches er will, und er verstockt, welchen er will (Röm. 9,18).“ (Von der Vorbestimmung der Heiligen 8,13f.). Zu seinen Kindern bestimmt er also die, welche er erwählt hat, und nur ihnen gibt er sich selbst zum Vater! Indem er sie dann beruft, nimmt er sie in seine Hausgenossenschaft auf und eint sich selbst mit ihnen, so daß sie miteinander eins sind. Wenn aber nun die Berufung an die Erwählung geknüpft ist, so gibt die Schrift auf diese Weise genugsam zu verstehen, daß in ihr nichts zu finden ist als Gottes gnädiges Erbarmen. Denn wenn wir fragen, welche Menschen er beruft und aus welchem Grunde er das tut, so antwortet sie: er beruft die, welche er erwählt hat! Kommt man aber auf die Erwählung, so wird dabei allenthalben allein Barmherzigkeit sichtbar. Und deshalb hat hier in Wahrheit das Wort des Paulus seinen Platz: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm. 9,16). Das darf aber nicht so verstanden werden, wie man das gewöhnlich tut, indem man zu gleichen Teilen zwischen Gottes Gnade und dem Wollen und Laufen des Menschen teilt. Man legt nämlich das Wort des Paulus so aus: das Begehren und Streben des Menschen habe zwar an sich keinerlei Bedeutung, wenn ihm nicht Gottes Gnade Erfolg verliehe; wenn ihm aber Gottes Segen zu Hilfe komme, dann – so behauptet man – trage es zur Gewinnung des Heils auch seinen Anteil bei! Das Geschwätz solcher Leute will ich lieber mit Augustins Worten als mit meinen eigenen widerlegen. Er sagt: „Wenn der Apostel nichts anderes sagen wollte, als daß es nicht allein auf unser Wollen und Laufen ankomme, wofern uns der Herr in seiner Barmherzigkeit nicht beistünde, so kann man die Sache ja auch umkehren und sagen: es kommt nicht allein auf dieses Erbarmen an, wofern nicht Wille und Laufen das Ihrige dazutun. Wenn das aber nun offenbar gottlos ist, so sollen wir nicht daran zweifeln, daß der Apostel der Barmherzigkeit des Herrn alles zuschreibt, unserem Wollen und Trachten aber nichts übrigläßt!“ (Handbüchlein an Laurentius 32). Das ist die Aussage dieses heiligen Mannes. Nicht um Haaresbreite achte ich auf das Fündlein, das man vorbringt: Paulus hätte gar nicht so geredet, wenn bei uns nicht irgendein Streben und irgendwelcher Wille vorhanden wäre. Denn er hat nicht darauf gesehen, was etwa im Menschen ist; nein, er sah, wie einige Leute dem Fleiß des Menschen einen Anteil am Heil zuschrieben, und deshalb hat er im ersten Glied (seiner Aussage: Röm. 9,16) einfach deren Irrtum verdammt und dann (im zweiten Gliede) das gesamte Heil allein der Barmherzigkeit Gottes vorbehalten. Was tun auch die Propheten anders, als daß sie ohne Unterlaß Gottes Berufung aus reiner Gnade rühmen?



III,24,2

Außerdem zeigt sich das auch im Wesen und in der Austeilung der Berufung selbst; denn diese besteht nicht allein in der Predigt des Wortes, sondern auch in der Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Welchen Menschen Gott sein Wort darbietet, das lesen wir bei dem Propheten: „Ich werde gefunden von denen, die nicht nach mir suchten, ich bin voll offenbar geworden denen, die nicht nach mir fragten, und zu einem Volk, das meinen Namen nicht anrief, habe ich gesagt: Hier bin ich!“ (Jes. 65,1; nicht Luthertext). Und damit die Juden nicht meinten, solche Freundlichkeit komme nur zu den Heiden (weil diese sie allein nötig hätten!), brachte er auch ihnen in Erinnerung, woher er denn ihren Vater Abraham genommen hatte, als er sich herbeiließ, ihn mit sich in Gemeinschaft zu bringen (Jos. 24,3): er hatte ihn nämlich mitten aus dem Götzendienst herausgenommen, in dem er mit all den Seinigen versunken war! Indem er Leuten, die es nicht verdient haben, zuerst mit dem Licht seines Wortes aufleuchtet, gibt er ihnen einen Beweis seiner unverdienten Güte, der hell genug strahlt. Bereits hier tritt also Gottes unermeßliche Güte an den Tag, aber nicht allen zum Heil; denn der Verworfenen wartet ein um so schwereres Gericht, weil sie solch Zeugnis der Liebe Gottes verwerfen. Gott entzieht ihnen überdies auch, um seinen Ruhm ans Licht zu bringen, die Wirksamkeit seines Geistes. Daher ist diese innerliche Berufung ein Unterpfand des Heils, das nicht täuschen kann. Dahin gehört das Wort des Johannes: „Daran erkennen wir, daß wir seine Kinder sind, an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1. Joh. 3,24; ungenau). Und damit das Fleisch sich nicht rühmt, es habe doch auf seinen Ruf hin, darauf hin, daß er sich selbst von sich aus angeboten habe, wenigstens geantwortet, so betont er, daß wir keine Ohren zum Hören, keine Augen zum Sehen haben, die er nicht selber gemacht hat! Er macht sie aber – das betont er weiter – nicht auf Grund der Dankbarkeit jedes einzelnen, sondern nach seiner Erwählung! Dafür finden wir bei Lukas ein hervorragendes Beispiel: da hörten nämlich Juden und Heiden gemeinsam die Rede des Paulus und des Barnabas; und obwohl alle mit dem gleichen Worte unterwiesen worden waren, so wurden doch nach dem Bericht nur die gläubig, die „zum ewigen Leben verordnet waren“ (Apg. 13,48). Woher sollten wir nun die Unverschämtheit nehmen, zu leugnen, daß die Berufung aus lauter Gnade erfolgt, wo doch in ihr bis ins letzte Stücklein hinein ausschließlich die Erwählung regiert;
Simon W.

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III,24,3

Hier muß man sich aber vor zwei Irrtümern hüten. (1.) Einige machen nämlich den Menschen zum Werkgenossen Gottes, so daß er also durch seine Zustimmung die Erwählung (erst) wirksam macht. Nach ihrer Meinung ist also auf diese Weise der Wille des Menschen dem Ratschluß Gottes übergeordnet. Als ob uns aber die Schrift lehrte, es würde uns bloß geschenkt, daß wir glauben könnten! Als ob sie uns nicht vielmehr lehrte, daß wir den Glauben selbst zum Geschenk erhalten! (2.) Andere schwächen die Gnade des Heiligen Geistes nicht gar so ab; aber sie machen die Erwählung doch – ich weiß nicht, aus was für einem Grunde! – von dem ihr nachfolgenden Glauben abhängig, als ob sie zweifelhaft oder auch unwirksam wäre, bis sie vom Glauben bekräftigt wird! Allerdings ist es hell und deutlich, daß die Erwählung, was uns betrifft, vom Glauben bekräftigt wird. Auch haben wir ja bereits gesehen, daß Gottes Ratschluß, der verborgen war, (nun) klar zu sehen ist. Nun soll man darunter nichts anderes verstehen, als daß hierdurch das, was unbekannt war, erwiesen und wie mit einem Siegel verbrieft wird. Falsch geredet ist es aber, wenn man meint, die Erwählung sei erst dann wirksam, wenn wir das Evangelium angenommen hätten, und sie nehme eben daraus ihre Kraft! Zwar müssen wir die Gewißheit unserer Erwählung daraus entnehmen; denn wenn wir versuchen sollten, zu Gottes ewiger Anordnung zu dringen, dann müßte uns dieser tiefe Abgrund verschlingen. Sobald uns Gott solche Erwählung aber offenbart hat, da müssen wir höher dringen, damit die Wirkung nicht ihre eigene Ursache überrennt! Die Schrift lehrt uns, daß wir erleuchtet worden sind, gleichwie Gott uns erwählt hat; – was wäre nun da aber widersinniger und unwürdiger, als wenn unsere Augen vom Glanz solcher Erleuchtung dermaßen geblendet würden, daß sie sich weigerten, auf die Erwählung selbst zu achten? Unterdessen leugne ich nicht, daß wir, um unseres Heils gewiß zu sein, bei dem Wort den Anfang machen müssen und daß unsere Zuversicht sich mit diesem Wort zufrieden geben soll, damit wir Gott als unseren Vater anrufen. Denn es ist verkehrt, wenn einige, um über Gottes Ratschluß – der doch „nahe“ bei uns ist, in unserem „Munde“ und in unserem „Herzen“ (Deut. 30,14) – Sicherheit zu erlangen, über die Wolken hinaus zu fliegen begehren. Daher müssen wir jene Vermessenheit durch die Mäßigkeit des Glaubens im Zaum halten, damit uns Gott als Zeuge seiner verborgenen Gnade in seinem äußeren Wort genüge; nur darf uns der Kanal, aus dem uns das Wasser reichlich zum Trinken zufließt, nicht daran hindern, daß der Brunnquell selbst seine Ehre erhält!



III,24,4

So tut man also verkehrt daran, wenn man die Kraft der Erwählung vom Glauben an das Evangelium abhängig macht, durch den wir erfahren, daß solche Erwählung uns zukommt. Dementsprechend werden wir die beste Ordnung innehalten, wenn wir uns beim Suchen nach der Gewißheit unserer Erwählung an jene nachfolgenden Zeichen halten, die deren sichere Bezeugungen sind. Es gibt keine schwerere und gefährlichere Anfechtung, mit der der Satan die Gläubigen erschüttern kann, als wenn er sie mit dem Zweifel an ihrer Erwählung beunruhigt und sie zugleich zu dem üblen Begehren aufstachelt, außerhalb des rechten Weges nach ihr zu forschen. Unter solchem Forschen außerhalb des rechten Weges verstehe ich dies, daß ein kleiner Mensch in die verborgenen Winkel der göttlichen Weisheit einzubrechen und bis zu Gottes höchster Ewigkeit zu dringen versucht, um zu erkennen, was vor seinem Richtstuhl über ihn beschlossen sei. Denn dabei stürzt er sich in die Tiefe eines unermeßlichen Schlundes, um von ihr verschlungen zu werden, umschlingt sich mit unzähligen, unentwirrbaren Fesseln und begibt sich in einen Abgrund von undurchdringlicher Finsternis. Denn es ist billig, daß auf solche Weise die Torheit des Menschengeistes mit furchtbarem Zusammenbruch bestraft wird, wenn sie auf eigene Faust in die Tiefe der göttlichen Weisheit zu dringen unternimmt. Diese Versuchung ist um so verderblicher, als wir fast alle zu keiner anderen mehr geneigt sind, als zu ihr. Denn es findet sich sehr selten ein Mensch, dessen Herz nicht zuweilen der Gedanke bedrängte: Woher kommt dir dein Heil anders als aus Gottes Erwählung? Wo aber ist dir solche Erwählung geoffenbart? Wenn dieser Gedanke einmal bei einem Menschen aufgekommen ist, dann peinigt er den Elenden unablässig mit harter Qual oder er stürzt ihn ganz und gar in Verwirrung. Ich möchte mir wahrhaftig keinen gewisseren Beweis wünschen, um zu bekräftigen, in welch verkehrter Art solche Menschen über die Vorbestimmung phantasieren, als eben solche Erfahrung selbst; denn unser Sinn kann von keinem verderblicheren Irrtum vergiftet werden, als dem, der das Gewissen in seinem Frieden und seiner Ruhe Gott gegenüber stört und verwirrt. Wenn wir also Furcht vor einem Schiffbruch haben, so müssen wir uns sorgsam vor dieser Klippe hüten, gegen die man nie und nimmer ohne Verderben anrennen wird. Mag man auch die Erörterung über die Vorbestimmung als ein gefahrvolles Meer ansehen, so ist bei ihrer Betrachtung doch auch eine sichere, ruhige, ja auch fröhliche Schiffahrt möglich, – wofern sich einer nicht mutwillig der Gefahr auszusetzen strebt! Denn wie alle, die ohne das Wort den ewigen Ratschluß Gottes ergründen, um über ihre Erwählung Gewißheit zu erlangen, sich in einen verderbenbringenden Abgrund versenken, so empfangen alle, die recht und nach der Ordnung nach ihr forschen, wie sie in dem Worte enthalten ist, herrliche Frucht des Trostes daraus! Der Weg, hier Nachforschungen zu treffen, soll für uns also der sein, daß wir bei Gottes Berufung den Ausgang nehmen und mit ihr auch schließen! Freilich steht dem nicht entgegen, daß die Gläubigen empfinden, wie all die Wohltaten, die sie Tag für Tag aus Gottes Hand empfangen, aus jener verborgenen Annahme in die Kindschaft herfließen; wie sie bei Jesaja sprechen: „Du tust Wunder; deine Ratschlüsse von alters her sind treu und wahrhaftig!“ (Jes. 25,1). Denn Gott will uns durch diese Berufung in die Kindschaft gewissermaßen ein Merkzeichen geben, an dem er uns bekräftigt, soviel uns von seinem Ratschluß zu wissen gebührt. Damit aber niemand meint, diese Bezeugung sei doch schwach, wollen wir bedenken, wieviel Klarheit und Gewißheit sie uns bringt. Trefflich redet Bernhard hiervon; zunächst ist die Rede von den verworfenen; dann sagt er: „Es besteht Gottes Vorsatz, es besteht Gottes Friedensspruch über die, die ihn fürchten: denn er übersieht ihre bösen Werke und vergilt ihnen die guten, so daß ihnen auf wundersame Weise nicht nur das Gute, sondern auch das Böse zum Guten mitwirkt. ’Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?’ Mir genügt es zu aller Gerechtigkeit, allein dessen Gnade zu besitzen, an dem allein ich gesündigt habe! Alles, was er beschlossen hat, mir nicht zuzurechnen, das ist, als wäre es nicht gewesen!“ (Predigten zum Hohen Liede 23,15). Und kurz danach: „O, welch ein Stätte wahrer Ruhe, die ich nicht unverdient auch wohl eine Schlafkammer nennen möchte, da Gott nicht gleichsam zornerschüttert oder sorgenerfüllt sich anschauen läßt, sondern da man an ihm seinen guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen erfährt (Röm. 12,2). Solch Schauen schreckt nicht, sondern erfreut, es erweckt keine unruhige Neugier, sondern dämpft sie, es müht unsere Sinne nicht ab, sondern macht sie still. Hier hat man wirklich Ruhe. Der stille Gott macht alles still, und ihn als den Ruhigen anzuschauen, das heißt: Ruhe haben!“ (ebenda 23,16).



III,24,5

Suchen wir Gottes väterliche Freundlichkeit und sein uns gnädiges Herz, so müssen wir zunächst unsere Augen auf Christus richten, auf dem allein des Vaters Wohlgefallen ruht! (Matth. 3,17). Suchen wir Heil und Leben, suchen wir die Unsterblichkeit des Himmelreichs, so sollen wir auch dabei unsere Zuflucht zu keinem anderen nehmen; denn er allein ist der Brunnquell des Lebens, er ist der Anker des Heils, er ist der Erbe des Himmelreichs. Worauf geht nun aber unsere Erwählung anders hinaus, als darauf, daß wir, von dem himmlischen Vater an Kindes Statt angenommen, durch seine Gunst Heil und Unsterblichkeit erlangen? Man mag sie überdenken und durchforschen, soviel man will, so wird man doch finden, daß ihr letzter Zielpunkt nicht weiter geht, als bis dahin: Deshalb heißt es von denen, die sich Gott zu Kindern angenommen hat, nicht, daß sie in sich selber erwählt worden sind, sondern in seinem Christus! (Eph. 1,4). Denn nur in ihm vermochte er sie zu lieben; und er konnte sie auch nur dann mit dem Erbe seines Reiches ehren, wenn er sie zuvor zu seinen Mitgenossen gemacht hatte! Sind wir nun aber in ihm erwählt, so werden wir die Gewißheit unserer Erwählung nicht in uns selber finden, ja auch nicht in Gott, dem Vater, wenn wir ihn uns für sich allein, ohne den Sohn vorstellen! Christus ist also der Spiegel, in dem wir unsere Erwählung anschauen sollen und es ohne Täuschung vermögen! Er ist es, in dessen Leib der Vater alle die einzufügen beschlossen hat, die er seit aller Ewigkeit zu den Seinen haben wollte; er will also alle die als seine Kinder ansehen, die er unter Christi Gliedern erkennt. Ist es aber so, dann haben wir ein reichlich klares und sicheres Zeugnis dafür, daß wir in das Buch des Lebens geschrieben sind, wenn wir mit Christus Gemeinschaft haben! Nun hat er uns aber solche gewisse Gemeinschaft mit sich geschenkt, indem er uns durch die Predigt des Evangeliums bezeugt hat, er sei uns von dem Vater gegeben, damit er mit allen seinen Gütern unser sei (Röm. 8,32). Es heißt, daß wir ihn „anziehen“, daß wir mit ihm zusammenwachsen, um zu leben, weil ja er lebt! Wie oft wird diese Lehre wiederholt, daß der Vater „seines eigenen Sohnes nicht hat verschont“, „auf daß alle die an ihn glauben, nicht verloren werden …“! (Röm. 8,32; Joh. 3,16). Von dem nun, der an ihn glaubt, heißt es, er sei „vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24). In diesem Sinne nennt er sich selbst „das Brot des Lebens“ (Joh. 6,35) und verkündigt dem, der solches Brot gegessen hat, er werde nicht sterben in Ewigkeit! (Joh. 6,51. 58). Er ist uns, sage ich, der Zeuge dafür geworden, daß alle, die ihn im Glauben angenommen haben, von dem himmlischen Vater für seine Kinder geachtet werden sollen! Suchen wir etwas Größeres, als daß wir zu Gottes Kindern und Erben gezählt werden, so müssen wir freilich über Christus hinaus dringen! Ist dies aber für uns das höchste Ziel, was ist es dann für ein Wahnwitz, wenn wir außer ihm suchen, was wir doch in ihm bereits erlangt haben und in ihm allein zu finden vermögen! Zudem ist er doch des Vaters ewige Weisheit, unwandelbare Wahrheit und unerschütterlicher Ratschluß, und deshalb steht nicht zu befürchten, es könnte das, was er uns in seinem Worte verkündet, von jenem Willen des Vaters, nach dem wir fragen, auch nur im mindesten verschieden sein, nein, er legt ihn uns vielmehr getreulich offen dar, wie er seit Anbeginn gewesen ist und stets sein wird. Die Übung (Praxis) dieser Lehre soll auch in unseren Gebeten ihre Kraft beweisen. Denn gewiß ermuntert uns der Glaube an die Erwählung zur Anrufung Gottes; aber es wäre doch, wenn wir unsere Gebete aussprechen, verkehrt, diese Erwählung Gott vorzuhalten, etwa mit ihm einen Vertrag zu machen, ihm dabei eine Bedingung zu stellen und zu sagen: „Herr, wenn ich erwählt bin, so mögest du mich erhören!“ Denn er will, daß wir uns mit seinen Verheißungen zufrieden geben und nirgendwo anders zu erfahren suchen, ob er uns erhören wolle. Diese Einsicht wird uns von vielen Stricken frei machen, wenn wir es verstehen, das, was recht geschrieben steht, auch in rechter Weise anzuwenden, und wenn wir das, was in bestimmtem Sinne hätte eingeschränkt werden sollen, nicht unbedacht auf alles Mögliche beziehen.
Simon W.

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III,24,6

Zur Kräftigung unserer Zuversicht kommt nun noch weiter die Beständigkeit der Erwählung hinzu, die, wie wir sagten, mit unserer Berufung verbunden ist. Denn die Menschen, welche Christus mit der Erkenntnis seines Namens erleuchtet und in den Schoß seiner Kirche aufgenommen hat, die nimmt er auch, wie es von ihm heißt, in seine Treue und in seine Hut. Und von allen, die er angenommen hat, wird gesagt, daß sie ihm vom Vater anvertraut und anbefohlen sind, um zum ewigen Leben bewahrt zu werden. Was wollen wir denn mehr? Christus ruft doch mit lauter Stimme, daß der Vater alle, die er selig machen will, ihm in seine Obhut gegeben hat! (Joh. 6,37.39; 17,6.12). Wollen wir nun wissen, ob Gott unser Heil am Herzen liegt, so müssen wir fragen, ob er es Christus anbefohlen hat; denn ihn hat er als den einigen Seligmacher all der Seinen eingesetzt! Zweifeln wir nun aber, ob wir auch von Christus in seine Treue und Hut aufgenommen sind, so tritt er selbst solchem Zweifel entgegen, indem er sich aus freien Stücken als unseren Hirten anbietet und uns kundtut, daß wir in die Zahl seiner Schafe eingereiht werden, wenn wir seine Stimme hören (Joh. 10,3). Deshalb wollen wir also Christus umfangen, der sich uns so freundlich vor Augen stellt und uns entgegenkommt; er aber wird uns zu seiner Herde zählen, von seiner Hürde umschließen und uns so bewahren! Aber zuweilen kommt doch die Angst um unseren künftigen Zustand über uns! Denn wie Paulus lehrt, es würden nur die berufen, die zuvor erwählt sind (Röm. 8,30), so zeigt doch Christus, daß zwar viele berufen, aber nur wenige auserwählt sind! (Matth. 22,14). Ja, Paulus warnt auch selbst an anderer Stelle vor der Sicherheit: „Wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle!“ (1. Kor. 10,12). Oder ebenso: „Du bist in Gottes Volk eingefügte Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. Denn Gott kann auch dich wieder abschlagen, um andere einzupfropfen!“ (Röm. 11,20ff.; zusammenfassend). Und endlich lehrt uns die Erfahrung selbst genugsam, daß Berufung und Glaube wenig Wert haben, wenn nicht die Beharrung hinzukommt, die nicht allen zuteil wird. Aber von solcher Besorgnis hat uns doch Christus frei gemacht. Denn es sind wahrhaftig Verheißungen für die Zukunft, wenn er spricht: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6,37). Oder ebenso: „Das ist aber der Wille des Vaters, der mich gesandt hat, daß ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat …, sondern daß ich es auferwecke am Jüngsten Tage“ (Joh. 6,39f.; Schluß nicht Luthertext). Oder: „Meine Schafe hören meine Stimme … und sie folgen mir. Ich kenne sie, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden in Ewigkeit nicht umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen“ (Joh. 10,27-29; geringe Unterschiede gegenüber dem Luthertext). Ja, auch wenn er erklärt: „Alle pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, die werden ausgereutet“ (Matth. 15,13), so gibt er damit auf der anderen Seite zu verstehen, daß die, welche ihre Wurzeln in Gott haben, niemals aus dem Heil herausgerissen werden können! Dem entspricht auch das Wort des Johannes: „Wo sie von uns gewesen wären, so wären sie niemals von uns weggegangen“ (1. Joh. 2,19; zweiter Teil ist Inhaltsangabe). Daher kommt auch jenes hochgemute Rühmen des Paulus gegenüber Leben und Tod, Gegenwärtigem und Zukünftigem (Röm. 8,38f.); denn solches Rühmen muß in der Gabe der Beharrung gegründet sein. Es ist aber auch kein Zweifel, daß er diesen Spruch auf alle Gläubigen anwendet. An anderer Stelle spricht der gleiche Paulus: „Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden bis auf den Tag … Christi“ (Phil. 1,6). So hat sich auch David, als sein Glaube ins Wanken geriet, auf diesen Grund gestützt: „Das Werk deiner Hände wollest du nicht lassen“ (Ps. 138,8). Es kann aber auch kein Zweifel darüber bestehen, daß Christus, wenn er für alle Auserwählten betet, für sie das nämliche erbittet wie einst für den Petrus, nämlich daß ihr Glaube nicht aufhöre (Luk. 22,32). Daraus ergibt sich für uns, daß sie außerhalb jeder Gefahr sind, abzufallen, weil ja der Sohn Gottes um die Beständigkeit ihrer Gottesfurcht gebetet und dabei keine Abweisung erfahren hat. Was sollen wir nun daraus nach dem Willen Christi lernen? Doch dies, daß wir zuversichtlich darauf trauen sollen: wir werden ewig selig sein, weil wir einmal sein Eigentum geworden sind!



III,24,7

Man wird aber entgegnen: Es kommt doch Tag für Tag vor, daß Menschen, die Christus zu gehören schienen, wieder von ihm weichen und zu Fall kommen. Ja, eben an der Stelle, an der Christus erklärt, es sei keiner von denen verlorengegangen, die ihm von dem Vater gegeben worden waren – da nimmt er doch „das verlorene Kind“ aus! (Joh. 17,12). – Dies ist zwar wahr; aber ebenso wahr ist es auch, daß solche Menschen nie und nimmer mit jener Herzenszuversicht an Christus gehangen haben, in der uns – wie ich behaupte – die Gewißheit der Erwählung bekräftigt wird! „Sie sind von uns ausgegangen“, sagt Johannes, „aber sie waren nicht von uns. Denn wo sie von uns gewesen wären, so wären sie ja bei uns geblieben“ (1. Joh. 2,19). Ich leugne auch nicht, daß sich an ihnen gleiche Merkzeichen der Berufung wie an den Auserwählten finden; aber die unerschütterliche Festigkeit der Erwählung, welche ich die Gläubigen aus dem Wort des Evangeliums zu nehmen heiße, die gestehe ich ihnen durchaus nicht zul Deshalb sollen uns dergleichen Beispiele nie und nimmer davon abbringen, uns ruhig auf die Verheißung des Herrn zu stützen, in der er uns kundtut, daß alle, die ihn in wahrem Glauben annehmen, ihm vom Vater gegeben sind, und daß keiner von ihnen verlorengehen wird, da er doch ihr Hüter und Hirte ist (Joh. 3,16; 6,39). Von Judas wird übrigens nachher gleich die Rede sein. Paulus (1. Kor. 10,12; Röm. 11,20ff.) warnt die Christen nicht einfach vor Sicherheit schlechthin, sondern vor jener lässigen, ungebundenen Sicherheit des Fleisches, die Aufgeblasenheit, Anmaßung und Verachtung der anderen mit sich bringt, die die Demut und Ehrerbietung vor Gott auslöscht, und die den Menschen dazu bringt, die empfangene Gnade zu vergessen! Denn er redet (Röm. 11,20ff.) die Heiden an und lehrt sie, sie sollten die Juden nicht hoffärtig und unmenschlich schmähen, weil diese nun enterbt und sie selbst an ihrer Statt eingesetzt worden seien. Er verlangt nun auch „Furcht“ von ihnen; aber das ist nicht eine solche, die sie erschrecken und wankend machen, sondern die uns lehren soll, demütig Gottes Gnade anzuschauen, und die, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt wurde, der Zuversicht zu ihm keinerlei Abbruch tun soll. Zudem redet er nicht einzelne an, sondern eben die Parteien im ganzen. Denn die Kirche war in zwei Parteien zerteilt, und der Wetteifer unter ihnen führte zum Zwiespalt. Da ermahnt nun Paulus die Heiden: wenn sie an die Stelle des heiligen Eigentumsvolkes aufgenommen seien, dann müsse ihnen das eine Ursache zur Furcht und zur Bescheidenheit sein. Aber unter ihnen waren viele eitle Leute, und es war von Nutzen, ihr leeres Prahlen zu dämpfen. – Übrigens haben wir anderwärts gesehen, daß unsere Hoffnung auch die Zukunft umfaßt, selbst über den Tod hinaus, und daß zu ihrem Wesen nichts so sehr im Widerspruch steht, als im Zweifel zu sein, was denn in Zukunft mit uns geschehen solle.



III,24,8

Recht verkehrt ist es, wenn man Christi Ausspruch von den vielen, die berufen, und den wenigen, die auserwählt sind, in diesem Sinne versteht. Es wird keinen Zweifel geben, wenn wir daran festhalten, was sich aus den obigen Ausführungen bereits klar ergibt, nämlich daß es eine zwiefache Art von Berufung gibt. Da ist zunächst die allgemeine Berufung, kraft deren Gott durch die äußere Predigt des Wortes alle gleichermaßen zu sich einlädt, auch die, welchen er solche Predigt als „Geruch des Todes“ und als Anlaß zu desto schwererer Verdammnis anbietet. Die andere Art der Berufung ist die besondere, deren er gemeinhin allein die Gläubigen würdigt, indem er nämlich vermittelst der innerlichen Erleuchtung durch seinen Geist bewirkt, daß das gepredigte Wort in ihrem Herzen einwurzelt. Indes macht er zuweilen auch solche dieser Berufung teilhaftig, die er bloß für eine Zeitlang erleuchtet und nachher aus Verdienst ihrer Undankbarkeit wieder fahren läßt und mit um so größerer Blindheit schlägt. Nun sah der Herr, wie das Evangelium weit und breit gepredigt, aber von den meisten verachtet und nur von wenigen mit der ihm zukommenden Wertschätzung angenommen wurde. Da zeichnet er uns nun Gott unter der Person eines Königs vor Augen, der ein feierliches Gastmahl richtet und nun seine Boten allenthalben herumschickt, um eine große Schar von Gästen zu laden, aber doch nur von ganz wenigen eine Zusage erhalten kann, weil jeder einzelne für sich Hinderungsgründe vorwendet, so daß er schließlich angesichts der Weigerung dieser Geladenen genötigt wird, auf den Straßen alle herbeizuholen, die daherkommen (Matth. 22,2ff.). Jeder sieht, daß dies Gleichnis bis hierhin auf die äußere Berufung zu beziehen ist. Dann fährt er aber fort: Gott handelt nun wie ein rechter Gastgeber und geht um die Tische herum, um seine Gäste freundlich zu begrüßen. Wenn er nun einen trifft, der nicht mit einem hochzeitlichen Kleide angetan ist, so läßt er es durchaus nicht zu, daß dieser mit seinem Schmutz die Festlichkeit des Gastmahls entehrt (Matth. 22,11-13). Dieser Abschnitt muß, das bekenne ich, auf solche Leute bezogen werden, die vermittelst des Glaubensbekenntnisses in die Kirche eindringen, aber durchaus nicht mit Christi Heiligung angetan sind! Solche Schandflecke, ja gleichsam: solche Krebsschwären seiner Kirche wird Gott nicht allezeit dulden, sondern er wird sie hinauswerfen, wie es ja ihrer Verruchtheit verdientermaßen zukommt. Aus der großen Zahl der Berufenen sind also wenige auserwählt; – aber das bezieht sich nicht auf die Berufung, aus der die Gläubigen, wie wir behaupten, ihre Erwählung erkennen sollen. Denn jene (erste Art von) Berufung kommt zugleich auch den Gottlosen zu, während diese (zweite) den Geist der Wiedergeburt mit sich bringt, der das Unterpfand und Siegel des zukünftigen Erbes ist, mit welchem unsere Herzen auf den Tag des Herrn versiegelt werden (Eph. 1,13f.). Kurzum: Die Heuchler erheben den Anspruch auf Frömmigkeit nicht anders als Gottes wahre Anbeter, und angesichts dessen tut Christus kund, daß sie schließlich von dem Platz verstoßen werden, den sie zu Unrecht innehaben (Matth. 22,13). So heißt es auch in einem Psalm: „Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte?“ (Ps. 15,1). „Der unschuldige Hände hat und reines Herzens ist!“ (Ps. 24,4; vgl. Ps. 15,2ff.). Oder an anderer Stelle: „Das ist das Geschlecht derer, die nach Gott fragen, die da suchen das Angesicht des Gottes Jakobs (Ps. 24,6; nicht Luthertext). So ermahnt nun auch der Heilige Geist die Gläubigen zur Geduld, damit sie es sich nicht verdrießen lassen, daß in der Kirche auch Ismaeliter unter sie gemischt sind; – denn schließlich wird diesen doch die Maske vom Gesicht gezogen, und sie werden mit Schande hinausgeworfen!



III,24,9

Ebenso ist es um die vor kurzem angeführte Ausnahme bestellt, in der Christus erklärt, daß ihm keiner verlorengegangen ist, „als das verlorene Kind“ (Joh. 17,12). Das ist nun eine zwar uneigentliche, aber doch keineswegs dunkle Redeweise: denn Judas wurde nicht deshalb zu den Schafen Christi gezählt, weil er es etwa wirklich gewesen wäre, sondern weil er den Platz eines solchen Schafes einnahm. Wenn dann der Herr an einer anderen Stelle erklärt, er habe mit den anderen Aposteln zusammen auch ihn erwählt, so bezieht sich das nur auf das Amt; er spricht: „Habe ich nicht euch zwölf erwählt? Und euer einer ist ein Teufel!“ (Joh. 6,70). Zum Amt eines Apostels hatte er ihn ja tatsächlich erwählt. Als er dagegen von der Erwählung zum Heil redet, da hält er ihn weit von der Zahl der Erwählten fern: „Nicht sage ich von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe“ (Joh. 13,18). Wenn jemand hier den Ausdruck „Erwählen“ an beiden Stellen im gleichen Sinne versteht, dann gerät er elend in Verwirrung; wenn er dagegen eine Unterscheidung macht, dann gibt es nichts Klareres! Ganz übel und gefährlich ist es daher, wenn (Papst) Gregor (I.) die Lehre vertritt, wir seien uns bloß unserer Berufung bewußt, unserer Erwählung dagegen seien wir ungewiß. Aus diesem Grunde ermahnt er alle zu Furcht und Zittern, und als Ursache führt er auch an, wir wüßten zwar, wie es heute um uns bestellt sei, nicht aber, wie wir in Zukunft daran sein würden! (Predigten II,38). Aber er erklärt an dieser Stelle auch mit aller Deutlichkeit, wieso er an diese Klippe gestoßen ist. Er machte nämlich die Erwählung von dem Verdienst der Werke abhängig, und deshalb bot sich ihm hier mehr als genug Ursache, um die Herzen niederzuschlagen; sie zu stärken vermochte er dagegen nicht, weil er sie nicht von sich selbst weg auf die Zuversicht zu Gottes Güte verwies. Hieraus gewinnen die Gläubigen einigen Geschmack von dem, was wir im Anfang feststellten, nämlich daß die Vorbestimmung, wenn sie recht bedacht wird, nicht eine Erschütterung, sondern vielmehr die beste Bekräftigung des Glaubens bringt. Ich leugne aber auch nicht, daß der Heilige Geist seine Worte zuweilen dem Maß unseres Verstandes anpaßt. So z.B. wenn er spricht: „Sie sollen in der Versammlung meines Volks nicht sein und in die Zahl meiner Knechte nicht geschrieben werden …“ (Ez. 13,9; nicht ganz Luthertext). Als ob Gott anfinge, die, welche er zu der Zahl der Seinen rechnet, in das Buch des Lebens zu schreiben, wo wir doch aus Christi Zeugnis wissen, daß die Namen der Kinder Gottes seit Anbeginn in das Buch des Lebens geschrieben sind! (Luk. 10,20; Phil. 4,3). Aber in diesen Worten (bei Ezechiel) wird tatsächlich einfach die Verwerfung solcher zum Ausdruck gebracht, die unter den Auserwählten als die Allervornehmsten erschienen; so heißt es auch in einem Psalm: „Mögen sie getilgt werden aus dem Buche des Lebens und mit den Gerechten nicht angeschrieben werden!“ (Ps. 69,29; Anfang nicht Luthertext).
Simon W.

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III,24,10

In der Tat werden die Erwählten nicht gleich vom Mutterleibe an, auch nicht alle zur gleichen Zeit, sondern je nachdem, wie es Gott gut scheint, seine Gnade an sie auszuteilen, durch die Berufung in die Hürde Christi versammelt. Bevor sie aber zu diesem höchsten Hirten versammelt werden, irren sie, in der allgemeinen Wüste verstreut, umher; sie unterscheiden sich auch in nichts von den anderen – einzig darin, daß sie von besonderem Erbarmen Gottes geschützt werden, um nicht in den äußersten Abgrund des Todes hineinzurennen. Schaut man also auf sie selbst, so sieht man Adams Geschlecht, das die allgemeine Verderbtheit der ganzen Menge an sich erkennen läßt. Daß sie nun aber doch nicht bis zu äußerster, heilloser Gottlosigkeit getrieben werden, das hat seine Ursache nicht etwa in irgendeiner ihnen angeborenen Güte, sondern es kommt daher, daß zu ihrem Heil Gottes Auge auf der Wacht und seine Hand ausgereckt ist! Einige träumen da nämlich, in ihr Herz sei von Geburt an wer weiß was für ein „Same der Erwählung“ eingesenkt, durch dessen Kraft sie stets zur Frömmigkeit und zur Furcht Gottes geneigt wären; aber sie haben keine Stütze an der Autorität der Schrift und werden auch durch die Erfahrung selbst widerlegt. Freilich bringen sie einige wenige Beispiele vor, um daraus zu beweisen, daß die Auserwählten auch vor ihrer Erleuchtung der Gottesverehrung nicht gar fremd gegenüberstünden. Paulus sei doch, betonen sie, in seinem Pharisäertum von untadeliger Lebensführung (Phil. 3,5), Kornelius durch Almosen und Gebete Gott wohlgefällig gewesen (Apg. 10,2), und ähnliches mehr. Was Paulus betrifft, so geben wir ihnen ihre Behauptung zu. Im Blick auf Kornelius aber sind wir der Überzeugung, daß sie sich täuschen. Denn es ist offenkundig, daß er dazumal bereits erleuchtet und wiedergeboren war, so daß ihm nichts mehr mangelte als die klare Offenbarung des Evangeliums. Aber was will man denn schließlich auch mit so gar wenigen Beispielen für ein Zugeständnis erpressen? Will man damit beweisen, daß alle Erwählten allezeit mit dem Geiste der Frömmigkeit begabt seien? Das werden sie ebensowenig erreichen, als wenn jemand auf die Lauterkeit eines Aristides, Sokrates, Xenokrates, Scipio, Curius, Camillus oder anderer zeigte und daraus folgerte, alle, die in der Blindheit der Abgötterei verkommen waren, wären Eiferer um Heiligkeit und Rechtschaffenheit gewesen! Auch widerspricht die Schrift an mehr als einer Stelle den Vertretern dieser Ansicht. Der Zustand der Epheser vor ihrer Wiedergeburt, wie ihn uns Paulus schildert, zeigt nämlich nicht ein einziges Korn von diesem (angeblichen) „Samen“! „Ihr wäret tot in euren Sünden und Übertretungen“, sagt er, „in welchen ihr weiland gewandelt habt nach dem Lauf dieser Welt und nach dem Fürsten, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens, unter welchen auch wir alle weiland unseren Wandel gehabt haben in den Lüsten des Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Vernunft und waren auch Kinder des Zorns von Natur, gleich wie auch die anderen“ (Eph. 2,1-3). Oder ebenso: „Gedenket daran …, daß ihr … keine Hoffnung hattet und wäret ohne Gott in der Welt!“ (Eph. 2,12). Oder: „Denn ihr wäret weiland Finsternis; nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn. Wandelt wie die Kinder des Lichtes …“ (Eph. 5,8f.). Aber vielleicht wollen jene Leute diese Aussagen auf die Unkenntnis des wahren Gottes beziehen; denn sie leugnen auch nicht, daß die Erwählten vor ihrer Berufung in solcher Unkenntnis befangen sind. Nun hieße das allerdings, unverschämte Schmähungen auszusprechen, wo doch Paulus aus solchen Worten folgert, man solle jetzt nicht mehr weiter lügen (Eph. 4,25) und stehlen (Eph. 4,28)! Aber was will man nun auf andere Stellen für eine Antwort geben? Eine solche findet sich im ersten Korintherbrief; da erklärt Paulus zunächst: „Weder die Hurer noch die Abgöttischen noch die Ehebrecher noch die Weichlinge noch die Knabenschänder noch die Diebe noch die Geizigen … werden das Reich Gottes ererben“ (1. Kor. 6,9f.), und dann fährt er gleich fort, in die gleichen Laster seien auch sie verstrickt gewesen, ehe sie Christus kannten; nun aber seien sie durch sein Blut abgewaschen und durch seinen Geist geheiligt (1. Kor. 6,11). Oder eine andere Stelle im Brief an die Römer: „Gleichwie ihr eure Glieder begeben habt zum Dienst der Unreinigkeit und von einer Ungerechtigkeit zu der anderen, also begebet auch nun eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit (…). Was hattet ihr nun aus jenen Dingen für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämet!“ (Röm. 6,19.21; nicht ganz Luthertext). Dazu kommen noch andere Stellen dieser Art.



III,24,11

Was für ein „Same der Erwählung“ – das möchte ich zu gerne wissen! – keimte denn dazumal in jenen, die in ihrem ganzen Leben auf vielfältige Weise beschmutzt waren und sich gleichsam in verruchter Bosheit in dem scheußlichsten und fluchwürdigsten aller Laster wälzten? Hätte Paulus (1. Kor. 6,9-11) nach der Meinung jener Leute reden wollen (die vom „Samen der Erwählung“ sprechen), so hätte er darlegen müssen, wieviel sie der Wohltätigkeit Gottes verdankten, durch die sie davor bewahrt worden wären, in solchen Unflat hineinzufallen! So hätte auch Petrus die Seinen zur Dankbarkeit mahnen müssen, angesichts dieses „bleibenden Samens der Erwählung“. Er dagegen mahnt im Gegenteil: „Es ist genug, daß wir die vergangene Zeit des Lebens zugebracht haben nach heidnischem Willen …“ (1. Petr. 4,3). Was will man entgegnen, wenn wir nun auf Beispiele kommen? Was war denn das für ein Keim der Gerechtigkeit in der Hure Rahab, bevor sie zum Glauben kam? (Jos. 2,1). Oder in Manasse, als er Jerusalem mit dem Blute der Propheten benetzte und schier darin ersäufte? (2. Kön. 21,16). Oder in dem Schacher, der erst beim letzten Atemzug an Buße dachte? (Luk. 23,42). Deshalb fort mit solchen „Beweisen“, die sich vorwitzige Menschen unüberlegt und ohne die Schrift ausdenken! Für uns aber soll es bei dem Wort der Schrift bleiben: „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg“, das heißt: auf das Verderben! (Jes. 53,6). Die Menschen nun, die der Herr einst aus diesem Schlund herauszureißen beschlossen hat, die spart er auf, bis seine Gelegenheit für sie gekommen ist; nur bewahrt er sie, damit sie nicht in unvergebbare Lästerung stürzen!



III,24,12

Wie nun Gott an seinen Erwählten durch die Wirksamkeit der Berufung das Heil vollbringt, zu dem er sie kraft seines ewigen Ratschlusses bestimmt hat, – so hat er gegenüber den Verworfenen seine Gerichte, in denen er seinen Ratschluß über sie verwirklicht. Denn die, welche er zur Schmach des Lebens und zum Verderben im Tode erschaffen hat, damit sie Werkzeuge seines Zorns seien und Beispiele seiner Strenge, die beraubt er, damit sie zu ihrem Ende kommen, bald der Fähigkeit, sein Wort zu hören, bald verblendet und verstockt er sie durch die Predigt nur um so mehr. Für das Erstere gibt es unzählige Beispiele; doch wollen wir eins, das vor allen anderen klar und bemerkenswert ist, auswählen. Etwa viertausend Jahre sind vor dem Kommen Christi verflossen, in denen Gott das Licht seiner heilsamen Lehre allen Heiden verborgen hat! Wenn darauf jemand erwidert, sie seien solcher Wohltat deshalb nicht teilhaftig geworden, weil Gott sie für unwürdig erachtet hätte, so antworte ich: ihre Nachkommen waren doch auch um nichts würdiger! Dafür ist außer der Erfahrung der Prophet Maleachi ein vollgenügender Zeuge: er hält harte Anklage gegen den Unglauben, der sich mit groben Lästerungen mischt, und doch verkündet er, daß ein Erlöser kommen werde! (Mal. 3,19ff.). Warum wird nun dieser Erlöser den einen gegeben und den anderen nicht? Vergebens wird sich abplagen, wer hier eine Ursache sucht, die höher wäre als Gottes geheimer und unerforschlicher Ratschluß! Es ist auch nicht zu befürchten, daß irgendein Jünger des Porphyrius Gottes Gerechtigkeit ungestraft antastet, – auch wenn wir kein Wort zu ihrer Verteidigung vorbringen! Denn wenn wir darauf verweisen, daß keiner unverdient verlorengeht und daß es ein Werk der unverdienten Wohltätigkeit Gottes ist, wenn einige gerettet werden, so ist reichlich genug zur Verherrlichung ihres Ruhms gesagt, so daß sie unserer Ausflüchte durchaus nicht bedarf! Demnach bahnt der höchste Richter selbst seiner Vorbestimmung einen Weg, indem er die, welche er einmal verworfen hat, der Gemeinschaft an seinem Licht verlustig gehen und sie in Blindheit versinken läßt. Für das zweite Glied (der obigen Aussage) gibt es Tag für Tag Beweise, und ebenso sind in der Schrift viele enthalten. Hält man vor Hundert Menschen schier die gleiche Predigt, so nehmen sie wohl zwanzig in bereitwilligem Gehorsam des Glaubens an, die anderen aber legen ihr gar kein Gewicht bei oder verlachen oder verspotten oder verabscheuen sie! Wollte hier jemand erwidern, diese Verschiedenheit käme eben von der Bosheit und Verkehrtheit der Menschen her, so ist das noch nicht ausreichend; denn die Natur der anderen (die das Wort annehmen) würde ja von der gleichen Bosheit in Besitz gehalten, wenn Gott nicht in seiner Güte für Besserung sorgte! Deshalb werden wir uns hier stets verwickeln, wenn uns nicht das Wort des Paulus zu Hilfe kommt: „Wer hat dich vorgezogen?“ (1. Kor. 4,7). Da macht er deutlich, daß der Vorzug des einen vor dem anderen nicht aus eigener Tugend, sondern allein aus Gottes Gnade kommt.
Simon W.

Der Pilgrim
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III,24,13

Weshalb gewährt er denn den einen seine Gnade und geht an den anderen vorbei? Was die ersteren betrifft, so gibt Lukas die Ursache an: Sie sind „zum ewigen Leben verordnet!“ (Apg. 13,46). Was sollen wir demnach von den letzteren anders halten, als daß Gott sie übergeht, weil sie „Gefäße des Zorns“ „zu Unehren“ sind? (Röm. 9,21f.). Daher wollen wir es uns nicht verdrießen lassen, mit Augustin zu sprechen: „Gott hätte den Willen der Bösen zum Guten wenden können; denn er ist ja allmächtig. Durchaus hätte er das gekonnt. Warum tut er es denn nicht? Weil er es nicht wollte! Warum er aber nicht wollte, – das steht bei ihm!“ (Von der Genesis nach dem Wortsinn XI,10,13). Denn wir sollen nicht weiser sein, als es sich gebührt! Das ist viel besser, als wenn wir mit Chrysostomus auf die Ausflucht verfielen, Gott ziehe den, der da wolle und der ihm die Hand entgegenstrecke! (Chrysostomus, Von der Bekehrung des Paulus). Er will damit den Anschein erwecken, der Unterschied stünde nicht bei dem Urteil Gottes, sondern allein bei dem Gutdünken des Menschen. Es liegt nun aber gar nicht bei der eigenen Regung des Menschen, an Gott heranzutreten; so wenig, daß auch die Frommen und Gottesfürchtigen stets noch den besonderen Antrieb des Heiligen Geistes nötig haben. Die Purpurkrämerin Lydia fürchtete Gott, und doch mußte ihr Herz noch „aufgetan“ werden, damit sie auf die Lehre des Paulus merkte (Apg. 16,14) und in ihr Fortschritt machte. Das ist nicht allein von dieser einen Frau gesagt, sondern dazu, daß wir wissen: das Fortschreiten in der Frömmigkeit ist bei jedem einzelnen ein verborgenes Werk des Heiligen Geistes! Dies kann nun aber nicht in Zweifel gezogen werden, daß der Herr sein Wort vielen sendet, deren Blindheit er nur noch tiefer machen will! Wozu gebietet er sonst, dem Pharao soviele Anordnungen zukommen zu lassen? Etwa deshalb, weil er gehofft hätte, er werde durch oft wiederholte Botschaften erweicht werden? Nein, bevor er damit begann, hatte er ja das Ergebnis bereits gewußt und vorausgesagt! „Geh hin“, sprach er zu Mose, „und lege ihm meinen Willen vor; ich aber will sein Herz verstocken, daß er nicht gehorche“ (Ex. 4, 21; sehr ungenau). So machte er es auch, als er Ezechiel erweckte: er machte ihn schon zuvor darauf aufmerksam, daß er ihn zu einem widerspenstigen und halsstarrigen Volke sende, damit er nicht erschrecken sollte, wenn er sah, daß er tauben Ohren predigte! (Ez. 2,3; 12,2). So sagte er auch dem Jeremia voraus, seine Lehre werde gleich einem Feuer sein, um das Volk wie Stoppeln zu vernichten und zu verzehren (Jer. 1,10!). Noch mehr Nachdruck aber bringt die Prophetie des Jesaja; denn er wird vom Herrn mit den Worten ausgesandt: „Gehe hin und sprich zu den Kindern Israels: Höret, und versteht’s nicht; sehet, und merket’s nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren hart sein und blende ihre Augen, daß sie nicht sehen mit ihren Augen, noch hören mit ihren Ohren, noch verstehen mit ihrem Herzen und sich bekehren und genesen!“ (Jes. 6,9f.; Anfang nicht ganz Luthertext). Man sieht: er richtet sein Wort an sie, aber nur, damit sie sich noch mehr verhärten; er zündet ein Licht an, aber nur, damit sie noch blinder werden; er gibt ihnen die Lehre; aber nur, damit sie noch mehr abstumpfen, – er wendet eine Arznei an, von der sie aber nicht heil werden sollen! Und dieses Prophetenwort zieht Johannes heran und erklärt, die Juden hätten der Lehre Christi gar nicht glauben können, weil eben dieser Fluch Gottes auf ihnen gelastet hätte! (Joh. 12,39). Auch läßt sich nicht in Frage stellen, daß Gott denen, die er nicht zur Erleuchtung kommen lassen will, seine Lehre in der Verhüllung durch dunkle Rätsel zuteil werden läßt, damit sie dadurch in keiner Weise vorankommen, sondern höchstens in tiefere Kurzsichtigkeit hineingestoßen werden. Denn Christus bezeugt, daß er die Gleichnisse, in welchen er vor der Menge geredet hatte, deshalb allein den Aposteln auslege, weil es ihnen „gegeben“ sei, „die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen“, dem Volke aber eben nicht! (Matth. 13,11). Ja, wird man fragen, was will denn der Herr damit, daß er Menschen belehrt, von denen er doch absichtlich gar nicht verstanden werden will? Man muß zusehen, woher der Fehler kommt; – dann wird man aufhören zu fragen. Denn mag im Worte noch soviel Dunkelheit stecken – es ist immer noch Licht genug darin, um das Gewissen der Gottlosen zu überführen!



III,24,14

Jetzt müssen wir noch zusehen, warum der Herr das tut, was er augenscheinlich tut. Wenn man antworten will, das geschehe eben, weil die Menschen es mit ihrer Unfrömmigkeit, Bosheit und Undankbarkeit verdient hätten, so ist dies zwar gut und richtig geredet. Aber damit ist noch nicht die Ursache zu jener Verschiedenheit klargelegt, daß die einen zum Gehorsam geneigt gemacht werden, die anderen aber in ihrer Verstockung verharren. Will man das erforschen, so muß man notwendig zu dem übergehen, was Paulus aus Mose verzeichnet hat, nämlich daß der Herr solche (Verworfenen) dazu erweckt hat, um seinen Namen auf der ganzen Erde bekanntzumachen. (Röm. 9,17). Daß also die Verworfenen dem Worte Gottes, das ihnen offenbart wird, nicht Gehorsam leisten, das fällt zwar mit Recht auf die Bosheit und Ungerechtigkeit ihres Herzens zurück; nur muß man dabei gleich zufügen: sie sind deshalb solcher Bosheit überantwortet, weil sie nach Gottes gerechtem, aber unerforschlichem Gericht dazu erweckt sind, durch ihre Verdammnis seinen Ruhm zu verherrlichen! Ähnlich wird auch von den Söhnen des Eli erzählt, daß sie auf heilsame Mahnungen nicht hörten, weil der Herr „willens war, sie zu töten“ (1. Sam. 2,25). Da wird nicht bestritten, daß ihre Halsstarrigkeit aus ihrer eigenen Bosheit erwachsen war, und doch wird zugleich angegeben, warum sie in solcher Halsstarrigkeit belassen wurden, während der Herr ihre Herzen doch hätte erweichen können: das geschah eben, weil sie kraft seines unwandelbaren Entschlusses einmal zum Verderben bestimmt waren! Hierher gehört auch das Wort des Johannes: „Obwohl er solche Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubte doch keiner an ihn, auf daß erfüllt würde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte: Herr, wer glaubt unserem Predigen?’“ (Joh. 12,37f.). Denn er befreit hier allerdings diese widerspenstigen Menschen nicht von ihrer Schuld; aber er gibt sich doch mit der Ursache zufrieden, daß Gottes Gnade den Menschen nicht „schmeckt“, bis der Heilige Geist ihnen einen „Geschmack“ daran verleiht! Auch wenn Christus die Weissagung des Jesaja anführt: „Sie werden alle von Gott gelehrt sein“ (Joh. 6,45; Jes. 54,13), so will er nichts anderes zeigen, als daß die Juden Verworfene sind und außerhalb der Kirche stehen, weil sie unbelehrbar sind; – aber als Ursache (hierfür) führt er nur dies an, daß Gottes Verheißung sie eben nicht betrifft! Das bekräftigt das Wort des Paulus, nach welchem Christus „den Juden ein Ärgernis“ und den Heiden „eine Torheit“ ist, den Berufenen aber die „Kraft“ und „Weisheit“ Gottes (1. Kor. 1,23f.). Er führt zunächst aus, was sich ja tatsächlich in der Regel zuträgt, sooft das Evangelium gepredigt wird: daß es nämlich die einen verhärtet und von den anderen verachtet wird; – und dann erklärt er, daß es allein bei den Berufenen in Wert steht! Zuvor hatte Paulus die Berufenen als solche bezeichnet, „die da glauben“ (1. Kor. 1,21); aber er wollte der Gnade Gottes, die dem Glauben vorausgeht, ihren Ehrenplatz nicht streitig machen, sondern fügte als Richtigstellung noch das Zweite hinzu, damit die, welche das Evangelium angenommen hatten, den Lobpreis für ihren Glauben der Berufung Gottes zusprächen! Ebenso lehrt er auch kurz nachher, sie seien von Gott „erwählt“ worden (1. Kor. 1,27f.). Wenn das die Gottlosen hören, so jammern sie, Gott treibe mit seinen armen Geschöpfen in ungeordneter Gewalt Mißbrauch und spotte ihrer in Grausamkeit. Wir aber wissen, daß alle Menschen in sovielerlei Beziehung vor Gottes Richterstuhl schuldig sind, daß sie auf tausend Richterfragen nicht eine einzige genügende Antwort vorbringen können (Hiob 9,3), und deshalb bekennen wir, daß die Verworfenen nichts erleiden, was mit Gottes unendlich gerechtem Gericht nicht in Übereinstimmung wäre! Da wir aber die Ursache nicht völlig klar erfassen, so wollen wir uns nicht weigern, etwas nicht zu wissen, wo sich Gottes Weisheit auf ihre erhabene Höhe erhebt!



III,24,15

Nun hält man uns aber gewöhnlich einige wenige Schriftstellen entgegen, in denen Gott zu bestreiten scheint, daß es aus seiner Anordnung herkomme, wenn die Ungerechten verlorengehen, es sei denn insofern, als sie sich aus eigener Entscheidung gegen seinen Widerspruch den Tod zuziehen! Diese Stellen wollen wir kurz entfalten und dabei zeigen, daß sie unserer obigen Anschauung in nichts widersprechen. So bringt man eine Stelle aus Ezechiel vor, nach der Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern „daß er sich bekehre und lebe“ (Ez. 33,11). Wenn man das auf das ganze Menschengeschlecht ausdehnen will, so ist doch zu fragen: Wie kommt es denn, daß Gott soviele Menschen nicht zur Buße reizt, deren Herzen leichter zum Gehorsam zu bewegen sind, als das Herz derer, die sich gegenüber seinen tagtäglichen Einladungen mehr und mehr verhärten? Nach Christi eigenem Zeugnis hätten die Predigt des Evangeliums und seine Wunder bei den Leuten von Ninive und Sodom mehr Frucht gebracht, als in Judäa! (Matth. 11,23). Wenn doch Gott will, daß alle selig werden, – wie kommt es dann, daß er solchen Elenden, die mehr bereit wären, seine Gnade anzunehmen, die Tür zur Buße nicht auftut? Hieraus sehen wir, daß man jene Stelle gewaltsam mißdeutet, wenn man Gottes Willen, den der Prophet erwähnt, in einen Gegensatz zu seinem ewigen Ratschluß bringt, kraft dessen er die Auserwählten von den Verworfenen unterschieden hat: Fragt man nun nach der ursprünglichen Meinung des Propheten, so will er tatsächlich nur den Bußfertigen Hoffnung auf Vergebung machen. Der Hauptinhalt der Stelle ist der: es ist kein Zweifel daran, daß Gott bereit ist zu vergeben, sobald der Sünder sich bekehrt hat. Er will also seinen Tod nicht, sofern er ja die Buße will. Die Erfahrung aber lehrt, daß er die Bekehrung derer will, die er zu sich einlädt, aber doch so, daß er nicht aller Herzen berührt! Trotzdem läßt sich nun deshalb nicht behaupten, er handle trüglich; denn das äußere Wort macht freilich die Menschen, die es hören und ihm nicht Gehorsam leisten, bloß unentschuldbar, und doch gilt es in Wirklichkeit als Zeugnis der Gnade Gottes, kraft dessen er die Menschen wieder mit sich in Gemeinschaft bringt. Wir wollen also auf die eigentliche Absicht des Propheten achten, wenn er sagt, Gott habe nicht Wohlgefallen am Tode des Sünders, sie besteht darin, daß die Frommen die Zuversicht haben sollen, bei Gott sei Vergebung bereit, sobald sie von der Buße erfaßt sind, daß die Gottlosen aber vernehmen sollen, wie ihre Schuld verdoppelt wird, weil sie solche große Freundlichkeit und Bereitwilligkeit Gottes nicht annehmen! Der Buße wird also Gottes Erbarmen stets entgegenkommen; – aber welchen Menschen die Buße zuteil wird, das lehren alle Propheten und Apostel und auch Ezechiel selber ganz deutlich!



III,24,16

Zweitens bringt man eine Stelle aus Paulus vor, in der er lehrt, daß Gott „will, daß allen Menschen geholfen werde“ (1. Tim. 2,4). Um diese Stelle steht es zwar anders als um die eben besprochene; aber es gibt auch Gemeinsames zwischen beiden. Meine Antwort ist die: Zunächst geht aus dem Zusammenhang hervor, wieso Gott das „will“; denn Paulus verbindet hier zweierlei: Gott will, daß allen Menschen geholfen werde „und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“! Wenn man nun meint, es sei in Gottes Ratschluß festgelegt, daß sie die Lehre des Heils (alle) erfassen sollten, – was bedeutet dann das Wort des Mose: „Wo ist ein so herrliches Volk, zu dem sich Gott so nahe tut, wie zu dir?“ (Deut. 4,7). Wie ist es denn gekommen, daß Gott viele Völker des Lichtes des Evangeliums beraubt hat, während andere es genossen? Wie ist es gekommen, daß eine reine Erkenntnis der Lehre der Gottseligkeit zu manchen nie gedrungen ist, und daß andere kaum dunkle Anfangsgründe von ihr geschmeckt haben? Daraus läßt sich nun sofort entnehmen, was Paulus mit jenem Wort eigentlich will. Er hatte dem Timotheus geboten, man solle in den Kirchen öffentliche Gebete „für die Könige und für alle Obrigkeit“ tun. Nun wäre es ja einigermaßen widersinnig erschienen, wenn man bei Gott Gebete ausschüttete für eine Gruppe von Menschen, die schier hoffnungslos verloren war; – denn sie standen doch nicht nur alle außerhalb des Leibes Christi, sondern mühten sich auch mit allen Kräften, sein Reich zu unterdrücken! Deshalb fährt er fort: „Denn solches ist … angenehm vor Gott“ (1. Tim. 2,3), „welcher will, daß allen Menschen geholfen werde …“ (1. Tim. 2,4)! Damit macht Gott ganz gewiß nur dies eine deutlich, daß er keiner Art von Menschen den Weg zum Heil verschlossen, sondern seine Barmherzigkeit vielmehr dergestalt ausgegossen hat, daß nach seinem Willen niemand unberührt von ihr sein soll! Die anderen Stellen (die man anführt) erklären nicht, was der Herr in seinem verborgenen Urteil über alle Menschen festgesetzt hat, sondern sie verkünden allen Sündern, daß für sie Vergebung bereit ist, wenn sie nur umkehren, um sie zu suchen! Denn wenn man sich gar zu hartnäckig darauf versteift, daß es heißt, Gott wolle sich aller erbarmen, so werde ich demgegenüber darauf verweisen, daß es an anderer Stelle heißt: „Unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will“ (Ps. 115,3). Dieses Wort (Gott wolle sich aller erbarmen: Röm. 11,32) muß also so ausgelegt werden, daß es mit dem anderen übereinkommt: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes ich mich erbarme, des erbarme ich mich“ (Ex. 33,19). Wenn er die Menschen, denen er Barmherzigkeit widerfahren lassen will, auswählt, – dann läßt er sie eben nicht allen zuteil werden! Da es aber klar am Tage ist, daß es sich hier nicht um einzelne Menschen, sondern um bestimmte Gruppen von Menschen handelt, so erübrigt sich eine längere Erörterung. Allerdings ist zugleich zu bemerken, daß Paulus nicht sagt, was Gott allezeit und allerorten und an jedem einzelnen tut, sondern es ihm frei überläßt, schließlich doch „Könige und alle Obrigkeit“ der himmlischen Lehre teilhaftig zu machen, so sehr sie auch in ihrer Blindheit gegen sie wüten mögen! Besonders kräftig scheinen sie uns durch eine Stelle bei Petrus in Bedrängnis zu bringen, die sie uns vorhalten; da heißt es: „Gott will nicht, daß jemand verloren werde, sondern er will alle zur Buße annehmen!“ (2. Petr. 3,9; Schluß nicht Luthertext; sehr fragliche Übersetzung!) Aber die Lösung des Knotens bietet sich schon im zweiten Satzglied; denn wenn es heißt, Gott wolle den Menschen zur Buße annehmen, so kann dies doch nicht anders verstanden werden, als wie es sonst durchgängig gelehrt wird. Ganz gewiß liegt die Umkehr eines Menschen in Gottes Hand, und ob er alle bekehren will, das frage man ihn selbst, wo er doch wenigen verheißt, er werde ihnen ein fleischernes Herz geben, den anderen aber ihr steinernes beläßt (Ez. 36,26). Es ist freilich wahr: wenn er nicht bereit wäre, die Menschen anzunehmen, die ihn um seine Barmherzigkeit anflehen, dann würde das Wort seine Geltung verlieren: „Kehret euch zu mir, … so will ich mich zu euch kehren!“ (Sach. 1,3). Aber ich sage eben: es naht sich kein sterblicher Mensch zu Gott, wenn ihm Gott nicht zuvorkommt! Stünde die Buße in der Entscheidung des Menschen, so würde auch Paulus nicht sagen: „Ob ihnen Gott dermaleinst Buße gebe …“ (2. Tim. 2,25). Ja, wenn nicht derselbe Gott, der mit seiner Stimme alle zur Buße mahnt, die Auserwählten durch den geheimen Antrieb seines Geistes dazu brächte, dann würde Jeremia nicht sagen: „Bekehre mich du, Herr, so werde ich bekehrt … Da du mich bekehrtest, da tat ich Buße …“ (Jer. 31,18f.; Vers 19 nicht ganz Luthertext).
Simon W.

Der Pilgrim
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III,24,17

Ja, wird man einwenden, wenn es aber so bestellt ist, dann wird den Verheißungen des Evangeliums wenig Zuverlässigkeit beizumessen sein; denn diese legen doch von Gottes Willen Zeugnis ab und behaupten nun, daß er etwas wolle, was doch seinem unverletzlichen Entschluß entgegen wäre! Nein, durchaus nicht! Denn so allgemein die Heilsverheißungen auch sein mögen, so stehen sie doch zu der Vorbestimmung der Verworfenen in keinerlei Gegensatz; wir müssen nur unser Gemerk auf ihre Wirkung richten! Wir wissen, daß die Verheißungen für uns erst dann wirksam sind, wenn wir sie im Glauben annehmen; wo dagegen der Glaube erloschen ist, da ist zugleich auch die Verheißung abgetan! Ist dies aber das Wesen der Verheißung, so wollen wir zusehen, was denn für ein Gegensatz besteht, wenn es einerseits heißt, Gott habe seit Ewigkeit festgelegt, welche Menschen er mit seiner Liebe umfassen und an welchen er seinen Zorn üben wollte, – und wenn wir andererseits hören, daß er das Heil allen ohne Unterschied verkündigt! Ich sage: das stimmt in der Tat aufs beste zusammen; denn durch solche Verheißungen wollte Gott nichts anderes sagen, als daß seine Barmherzigkeit allen dargeboten ist, die sie nur begehren und erflehen; das tun aber nur die, welche er erleuchtet hat! Er erleuchtet nun aber die, welche er zum Heil vorbestimmt hat. Für diese, sage ich, steht die Wahrheit der Verheißungen sicher und unerschüttert fest, so daß man nicht sagen kann, es bestehe irgendein Zwiespalt zwischen Gottes ewiger Erwählung und dem Zeugnis seiner Gnade, das er den Gläubigen darbietet. Aber warum nennt er alle? Doch dazu: die Gewissen der Frommen sollen um so sicherer und ruhiger sein, indem sie sehen, daß es keinen Unterschied unter den Sündern gibt, wofern nur der Glaube da ist; die Gottlosen aber sollen nicht einwenden, sie hätten ja keinen Zufluchtsort, zu dem sie sich vor der Knechtschaft der Sünde retten könnten, – weil sie eben die Zufluchtsstätte, die ihnen dargeboten wird, in ihrer Undankbarkeit verachten! Während also Gottes Barmherzigkeit durch das Evangelium beiden angeboten wird, ist es der Glaube, das heißt: Gottes Erleuchtung, wodurch zwischen Frommen und Gottlosen ein Unterschied herbeigeführt wird, so daß jene die Wirksamkeit des Evangeliums verspüren, diese aber keinerlei Frucht daraus empfangen. Auch die Erleuchtung selbst hat Gottes ewige Erwählung zur Richtschnur. Man führt aber Christi Klage an: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen …, und ihr habt nicht gewollt!“ (Matth. 23,37). Aber dies Wort hilft unseren Widersachern zu nichts. Ich gebe zu, daß Christus hier nicht allein in seiner menschlichen Person redet, sondern ihnen vorwirft, daß sie zu allen Zeiten seine Gnade von sich gewiesen haben. Aber man muß näher bestimmen, von was für einem Willen Gottes hier die Rede ist. Denn es ist doch wohl bekannt, wie eifrig sich Gott gemüht hat, dieses Volk festzuhalten; es ist ebenso bekannt, in welcher Halsstarrigkeit sich diese Menschen aber vom ersten bis zum letzten ihren schwankenden Begierden ergeben und solches „Sammeln“ Gottes von sich gewiesen haben. Aber daraus folgt nicht etwa, daß Gottes Ratschluß durch die Bosheit von Menschen außer Kraft gesetzt worden sei! Man wendet dabei ein, dem Wesen Gottes sei nichts weniger gemäß, als wenn in ihm ein zwiefacher Wille bestünde. Das gebe ich den Widersachern zu. Nur müssen sie das richtig verstehen! Aber warum bedenken sie nicht die vielen Zeugnisse (der Schrift), in denen Gott menschliche Regungen annimmt und sich dabei weit unter seine Majestät herabläßt? Er sagt, er habe mit ausgebreiteten Armen sein widerspenstiges Volk gerufen, früh und spät habe er sich Mühe gegeben, es wieder zu sich zu führen (Jes. 65,2). Will man das alles Gott zumessen und das (hier angewendete) Bild außer acht lassen, dann wird allerdings viel überflüssiger Streit sich erheben, den doch diese eine Lösung klärt, daß hier eben Menschliches auf Gott übertragen wird! Freilich genügt auch die von uns an anderer Stelle vorgebrachte Lösung vollauf: Gottes Wille mag für unseren Sinn noch so vielfältig sein, so will er doch in sich selbst nicht etwa dies und das, sondern er will unsere Sinne nach seiner „mannigfaltigen Weisheit“ – wie sie Paulus nennt (Eph. 3,10) – bestürzt machen, bis es uns geschenkt wird, zu erkennen, daß er auf wundersame Weise will, was jetzt seinem Willen zuwider zu sein scheint! Unsere Widersacher treiben aber auch mit Schimpfreden ihr Spiel. Sie sagen: Wenn Gott aller Vater ist, so ist es unrecht, wenn er jemanden von sich stößt, sofern dieser nicht solche Strafe mit eigener Schuld vorher verdient hat. Als ob Gottes Freundlichkeit nicht auch den Säuen und Hunden zukäme! Wenn es sich aber um das Menschengeschlecht handelt, so soll man mir doch antworten, warum Gott sich denn einem Volke verbunden hat, sein Vater zu sein, und warum er auch aus ihm noch eine kleine Schar wie eine Blume abgepflückt hat! Aber diese Lästermäuler lassen sich von ihrer Schmähsucht daran hindern, zu bedenken, daß Gott zwar „seine Sonne aufgehen läßt über die Bösen und über die Guten …“ (Matth. 5,45), aber doch so, daß das Erbe nur für wenige bereit steht, zu denen einst gesagt werden wird: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich …!“ (Matth. 25,34). Auch wendet man ein, Gott habe doch keinen Haß gegen das, was er geschaffen hat. Obwohl ich das nun zugebe, so bleibt doch meine Lehre bestehen, daß die verworfenen Gott verhaßt sind, und das auch mit vollem Recht, weil ihnen nämlich sein Geist abgeht und sie deshalb nichts hervorzubringen vermögen, als was Ursache des Fluches ist! Auch sagt man weiter, es gäbe doch keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden, und deshalb werde Gottes Gnade allen ohne Unterschied dargeboten. Ja, wenn sie nur zugeben wollten, daß Gott „nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden“ – wie es Paulus erklärt – Menschen dergestalt nach seinem Wohlgefallen beruft, daß er niemandem verpflichtet ist (Röm. 9,24). Auf diese Weise wird auch der Einwand entkräftet, den sie auf Grund einer anderen Stelle erheben: „Gott hat alle beschlossen unter die Sünde, auf daß er sich aller erbarme“ (Röm. 11,32; nicht ganz Luthertext); denn Gott will eben, daß das Heil aller, die da selig werden, seiner Barmherzigkeit zugeschrieben wird, obwohl diese Wohltat nicht allen Menschen gemeinsam zukommt. Nachdem nun hin und her vieles vorgebracht worden ist, wollen wir damit den Beschluß machen, daß wir mit Paulus angesichts solcher Tiefe staunend erschaudern und uns beim Widerspruch zänkischer Zungen nicht schämen, mit ihm auszurufen: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?“ (Röm. 9,20). Denn es ist richtig, wenn Augustin behauptet, es sei verkehrt getan, wenn man Gottes Gerechtigkeit nach dem Maß der menschlichen messe (Pseudo-Augustin, Von der Vorbestimmung und Gnade 2).



Fünfundzwanzigstes Kapitel: Von der letzten Auferstehung


III,25,1

Gewiß hat Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, den Tod besiegt und uns durch die Erleuchtung mit dem Evangelium das „Leben ans Licht gebracht“, wie Paulus bezeugt (2. Tim. 1,10). Deshalb heißt es auch, daß wir durch den Glauben „vom Tode zum Leben durchgedrungen“ sind (Joh. 5,24). Jetzt sind wir „nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (Eph. 2,19); Gott hat uns mit dem eingeborenen Sohne „in das himmlische Wesen gesetzt“ (Eph. 2,6), so daß uns nichts mehr zu voller Seligkeit abgeht. Und doch werden wir noch unter hartem Kriegsdienst geübt, als ob es keine Frucht jenes Sieges gäbe, den Christus für uns errungen hat. Damit uns dies nun nicht beschwerlich fällt, müssen wir festhalten, was anderwärts vom Wesen der Hoffnung gesagt ist. Denn wir richten unsere Hoffnung ja auf das, „was wir nicht sehen“ (Röm. 8,25), und der Glaube ist, wie es an anderer Stelle heißt, ein Aufweis unsichtbarer Dinge (Hebr. 11,1; nicht Luthertext, vgl. III,2,41). Solange wir also in den Kerker unseres Fleisches eingesperrt sind, „wandeln wir ferne vom Herrn“ (2. Kor. 5,6). Aus diesem Grunde sagt Paulus an anderer Stelle: „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet auch ihr offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit“ (Kol. 3,3f.). Das ist also unser Stand, daß wir „züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi!“ (Tit. 2,12f.). Hier ist ungewöhnliche Geduld vonnöten, damit wir nicht ermatten und unseren Lauf rückwärts wenden oder unseren Kampfposten verlassen. Alles, was also bisher über unser Heil ausgeführt wurde, das erfordert einen Sinn, der sich zum Himmel erhebt, so daß wir Christus, den wir nicht „gesehen haben“, trotzdem „lieb haben“ und im Glauben an ihn uns „freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude“, bis wir „das Ende unseres Glaubens davonbringen“, wie Petrus uns mahnt (1. Petr. 1,8f.). Darum sagt auch Paulus, daß Glaube und Liebe der Heiligen auf die Hoffnung ausgerichtet sind, die uns „beigelegt ist im Himmel“ (Kol. 1,4f.). Wenn wir so unsere Augen stracks auf Christus richten und wenn wir am Himmel hängen, wenn nichts auf Erden unsere Augen daran hindern kann, uns zu der verheißenen Seligkeit emporzutragen, dann geht jenes Wort wahrhaft in Erfüllung: „Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein!“ (Matth. 6,21). Daher kommt es, daß der Glaube so selten ist in dieser Welt, weil nämlich unserer Schwerfälligkeit nichts mehr Mühe macht, als auf dem Wege zu der Palme der himmlischen Berufung unzählbare Hindernisse zu überwinden! Zu dem gewaltigen Berg von Elend, der uns fast erdrückt, kommt noch der Spott unfrommer Menschen, der unserer Einfalt zusetzt: indem wir auf die Lockungen der gegenwärtigen Güter gern Verzicht leisten, scheinen wir ja nach der Seligkeit, die uns doch verborgen ist, wie nach einem flüchtigen Schatten zu haschen! Kurz, von oben und unten, von hinten und von vorn umlagern uns heftige Versuchungen, und unsere Herzen wären bei weitem nicht fähig, sie auszuhalten, wenn sie nicht, von den Dingen dieser Erde frei gemacht, an jenes himmlische Leben gebunden wären, das freilich dem Anschein nach weit von uns weg ist! Erst der ist wahrhaft im Evangelium fortgeschritten, der an die beständige Betrachtung der seligen Auferstehung gewöhnt ist!
Simon W.

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III,25,2

Über die höchste Vollendung alles Guten haben die Philosophen einst peinlich genaue Erörterungen angestellt und auch miteinander gestritten. Trotzdem hat keiner von ihnen außer Platon erkannt, daß das höchste Gut des Menschen seine Vereinigung mit Gott ist. Wie diese aber beschaffen ist, davon vermochte auch Platon nicht einmal eine dunkle Ahnung zu empfinden. Das ist auch nicht verwunderlich, weil er von dem heiligen Band solcher Gottesgemeinschaft nichts vernommen hatte. Diese einige, vollkommene Seligkeit ist uns auch bei unserer irdischen Pilgrimschaft bekannt, aber so, daß sie durch das Verlangen, das wir nach ihr tragen, unsere Herzen tagtäglich mehr und mehr entzündet, bis ihr völliger Genuß uns sättigen wird! Deshalb habe ich gesagt, daß nur der aus Christi Wohltaten eine Frucht ziehen kann, der sein Herz auf die Auferstehung emporrichtet. So stellt auch Paulus den Gläubigen dies Ziel vor Augen, nach dem er sich, wie er selbst sagt, ausstreckt und um dessentwillen er alles vergißt, bis er zu ihm hindringt! (Phil. 3,8). Um so wackerer sollen auch wir diesem Ziel zustreben, damit uns nicht diese Welt in Besitz nimmt und wir deswegen unsere Lässigkeit bitter büßen müssen. Deshalb macht Paulus an anderer Stelle die Gläubigen mit dem Merkzeichen kenntlich, daß ihr „Wandel“ „im Himmel ist“, „von wannen“ sie auch ihren „Heiland“ „erwarten“ (Phil. 3,20). Damit sie nun in solchem Lauf nicht innerlich ermatten, gesellt der Apostel ihnen dabei alle Kreaturen als Mitgenossen zu. Denn weil ja allenthalben nur verunstaltete Trümmer zu sehen sind, darum erklärt er, daß sich alles, was im Himmel und auf Erden ist, nach der Erneuerung sehnt (Röm. 8,19). Da nämlich Adam durch seinen Fall die unversehrte Ordnung der Natur zerstört hat, so ist auch für die Kreaturen die Knechtschaft, der sie um der Sünde des Menschen willen unterworfen sind, beschwerlich und hart; nicht weil sie mit irgendwelchem Empfinden ausgestattet wären, sondern weil sie von Natur nach dem unversehrten Zustande streben, aus dem sie herausgefallen sind! Paulus schreibt der Kreatur „Seufzen“ und „Geburtswehen“ zu (Röm. 8,22; wörtlich), damit es auch uns, „die wir haben des Geistes Erstlinge“, Scham bereite, in unserer Verderbtheit dahinzuschwinden und es nicht wenigstens den toten Elementen nachzumachen, die die Strafe für fremde Sünde leiden! Und um uns schärfer anzuspornen, nennt er Christi letztes Kommen „unsere Erlösung“! (Röm. 8,23). Es ist freilich wahr, daß unsere Auferstehung bereits vollkommen erfüllt ist; aber weil Christus einmal für die Sünden geopfert ist (Hebr. 10,12), so wird er ein anderes Mal ohne Sünde zum Heile erschaut werden (Hebr. 9,28). Was für Kümmernisse uns auch bedrücken mögen, so soll uns doch diese Erlösung bis zu ihrer (sichtbaren) Auswirkung aufrechterhalten.



III,25,3

Das Gewicht der Sache selbst wird unseren Eifer schärfen. Denn Paulus behauptet nicht umsonst, das ganze Evangelium sei eitel und falsch, wenn die Toten nicht auferstünden (1. Kor. 15,13f.). Denn dann wären wir elender daran, als andere Sterbliche (1. Kor. 15,19); sind wir doch dem Haß und den Vorwürfen vieler Menschen ausgesetzt, Stunde um Stunde in Gefahr, ja gleichsam „geachtet wie Schlachtschafe“! (Röm. 8,36). Und deshalb würde (wenn es keine Auferstehung gäbe) das Ansehen des Evangeliums nicht nur an einem Stück hinfallen, sondern in seinem ganzen wesentlichen Inhalt, der in unserer Aufnahme in die Kindschaft und dem Vollzug unseres Heils beschlossen ist. Auf dieses Stück, das also von allen das weitaus ernsteste ist, sollen wir deshalb mit Anspannung ausgerichtet sein, damit uns keine Länge der Zeit lässig macht! Aus dieser Erwägung heraus habe ich das, was hierüber kurz zu sagen sein wird, bis hierher aufbehalten, damit die Leser, nachdem sie Christus, den Geber vollkommenen Heils, angenommen haben, nun auch lernen, sich höher emporzuschwingen und zu wissen, daß er mit himmlischer Unsterblichkeit und Herrlichkeit bekleidet ist, damit der ganze Leib diesem Haupte gleichförmig gemacht werde! An seiner Person stellt uns ja der Heilige Geist auch immer wieder ein Beispiel der Auferstehung vor Augen. Es ist schwer zu glauben, daß unsere Leiber, nachdem sie doch bereits von Fäulnis verzehrt sind, doch einst zu ihrer Zeit wieder auferstehen sollen. Deshalb haben zwar viele Philosophen behauptet, die Seelen seien unsterblich; die Auferstehung des Fleisches aber haben nur wenige anerkannt. Darin liegt nun allerdings keine Entschuldigung; aber diese Tatsache macht uns doch darauf aufmerksam, daß es sich hier um eine zu schwierige Sache handelt, als daß sie menschliche Sinne an sich zöge.Damit der Glaube solch schweres Hemmnis überwindet, bietet ihm die Schrift zwei Hilfsmittel: das eine liegt in dem Vorbild Christi, das andere in Gottes Allmacht. Sooft wir nun der Auferstehung gedenken, soll uns Christi Bild vor Augen treten. Christus hat ja in der Natur, die er von uns genommen hatte, den Lauf des sterblichen Lebens so vollendet, daß er nun Unsterblichkeit erlangt hat und uns ein Unterpfand der künftigen Auferstehung ist! Denn in allem Jammer, der uns umdrängt, „tragen“ wir „sein Sterben an unserem Fleische, auf daß auch sein Leben an uns offenbar werde“ (2. Kor. 4,10; summarisch). Ihn von uns zu scheiden, ist aber nun nicht erlaubt; es ist auch nicht möglich, ohne daß er zerrissen wird! Daher die Schlußfolgerung des Paulus: „Ist aber die Auferstehung der Toten nichts, so ist auch Christus nicht auferstanden!“ (1. Kor. 15,13). Er setzt hier nämlich den Grundsatz als anerkannt voraus, daß Christus nicht für sich allein dem Tode unterworfen gewesen ist, daß er auch nicht für sich allein durch seine Auferstehung den Sieg über den Tod davongetragen hat, sondern daß in dem Haupte das begonnen wurde, was sich notwendig auch in allen Gliedern erfüllen muß, freilich nach der Stufe und Ordnung des einzelnen; denn es wäre (andererseits) auch nicht billig, wenn sie ihm in allem gleichgemacht würden! In einem Psalm heißt es: „Du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe“ (Ps. 16,10; nicht ganz Luthertext; diese Form steht Apg. 2,25). Stückweise geht diese Zuversicht auch uns an, nach dem Maße der uns zuteil gewordenen Gnadengabe, die vollkommene Auswirkung aber ist allein in Christus sichtbar geworden, der von aller Verwesung frei ist und seinen Leib unversehrt wiedererhalten hat. Aber damit uns die Gemeinschaft an der seligen Auferstehung mit Christus nicht zweifelhaft ist und damit wir uns an diesem Unterpfand genügen lassen, versichert Paulus: Christus hat dazu im Himmel seinen Sitz und wird dazu am jüngsten Tage als Richter kommen, daß er unseren niedrigen und verachteten Leib „seinem verklärten Leibe ähnlich“ mache! (Phil. 3,20f.). An anderer Stelle (Kol. 3,4) lehrt er auch, daß Gott seinen Sohn nicht vom Tode erweckt hat, um damit nur ein einziges Zeugnis seiner Kraft zu geben, sondern um die gleiche Wirksamkeit seines Geistes auch an uns, den Gläubigen, zu beweisen. Diesen Geist nennt er, wenn er in uns wohnt, das Leben, und zwar darum, weil er uns zu dem Zweck gegeben ist, daß er lebendig mache, was an uns sterblich ist (vgl. Röm. 8,11). Ich berühre dies nur in kurzer Zusammenfassung; man könnte es auch weitläufiger behandeln, und es verdiente auch, glänzender ausgeschmückt zu werden; aber ich bin doch der Zuversicht, daß die Leser auch in diesen wenigen Worten genug Ursache finden werden, um ihren Glauben reichlich zu erbauen! Christus ist also auferstanden, um uns zu Mitgenossen des zukünftigen Lebens zu haben. Er ist vom Vater auferweckt worden, sofern er das Haupt der Kirche war, von der er sich auf keinerlei Weise abtrennen läßt. Er ist durch die Kraft des Heiligen Geistes auferweckt worden, an dem auch wir teilhaben, damit er an uns das Amt der Lebendigmachung ausübe. Kurz, er ist auferweckt, um „die Auferstehung und das Leben“ zu sein! (Joh. 11,25). Wie wir aber gesagt haben, daß wir in diesem Spiegel ein lebendiges Bild der Auferstehung vor Augen haben, so soll er uns auch eine feste Grundlage sein, auf die wir unsere Herzen stützen sollen. Nur sollen wir uns durch den langen Verzug nicht traurig oder verdrießlich machen lassen; denn es ist nicht unsere Sache, nach eigenem Gutdünken die Zeiträume abzumessen, sondern wir sollen geduldig und still sein, bis Gott zu der ihm gelegenen Zeit sein Reich aufrichtet! Das ist auch der Sinn der Mahnung des Paulus: „Der Erstling Christus, danach, die Christo angehören; ein jeglicher aber in seiner Ordnung“ (1. Kor. 15,23; umgestellt).Damit sich nun übrigens keine Frage hinsichtlich der Auferstehung Christi erhebt, auf die unser aller Auferstehung gegründet ist, wollen wir zusehen, auf wie viele und wie vielerlei Weisen er sie uns hat bezeugen lassen. Naseweise Leute werden die von den Evangelisten berichteten Geschichten wie ein Kindermärchen verlachen. Denn was soll auch eine Botschaft für Bedeutung haben, die erschrockene Weiber überbringen und die dann von fast verzagten Jüngern bestätigt wird? Warum hat Christus nicht lieber mitten im Tempel oder auf dem Markte die herrlichen Trophäen seines Sieges aufgerichtet? Warum trat er nicht in grausiger Erscheinung dem Pilatus entgegen? Weshalb erweist er sich nicht den Priestern und dem ganzen Jerusalem als der, der wieder zum Leben gekommen ist? Was die Zeugen aber betrifft, die er sich ausgesucht hat, so werden unfromme Menschen schwerlich zugeben, daß sie geeignet wären! – Ich entgegne darauf: Allerdings war in jenen Anfängen die Schwachheit dieser Botschaft verächtlich, und doch ist dies alles von Gottes wunderbarer Vorsehung so gelenkt worden, daß diese Menschen, die zuvor vor Angst verzagt waren, nun teils von der Liebe zu Christus und von frommem Eifer, teils auch aus Unglauben zu seinem Grabe getrieben und nicht bloß Augenzeugen dieser Tatsache wurden, sondern auch eben das, was sie sahen, von den Engeln hörten! Wie kann uns die Glaubwürdigkeit dieser Jünger zweifelhaft sein, wo sie doch das, was sie von den Weibern hörten, für eine Fabel hielten, bis sie sich selbst greifbar von der Tatsache überzeugen konnten? Daß aber das ganze Volk und auch der Landpfleger selbst, nachdem sie doch mehr als genugsam überführt waren, des Anblicks Christi und auch der anderen Merkzeichen beraubt wurden, das ist kein Wunder. Das Grab wird versiegelt, Wächter halten die Wache – und am dritten Tage findet man keinen Leichnam mehr darin! (Matth. 27,66; 28,11). Da besticht man die Kriegsknechte mit Geld, und nun verbreiten sie das Gerücht, die Jünger hätten ihn gestohlen! (Matth. 28,13.15). Als ob die Jünger das Vermögen gehabt hätten, eine Schar von Kriegsknechten zusammenzubringen, als ob ihnen Waffen zur Verfügung gestanden hätten oder als ob sie genügend gerüstet gewesen wären, um eine solche Tat zu wagen! Wenn nun aber die Soldaten nicht genug Mut gehabt haben, sie wegzutreiben, – warum haben sie sie dann nicht verfolgt, um mit Hilfe des Volkes einige von ihnen zu erhaschen? Pilatus hat also mit seinem Siegelring in Wirklichkeit Christi Auferstehung versiegelt, und die Wächter, die man an das Grab gestellt hatte, sind durch ihr Schweigen oder Lügen zu Herolden solcher Auferstehung geworden! Indessen erschallte die Stimme der Engel: „Er ist auferstanden; er ist nicht hier!“ (Luk. 24,6; umgestellt). Der himmlische Glanz zeigt klar und deutlich, daß es Engel und nicht Menschen waren. Hernach aber machte Christus selbst allem Zweifel, der noch bestehen mochte, ein Ende (Luk. 24,38). Mehr als einmal haben ihn die Jünger gesehen, auch seine Füße und Hände haben sie betastet (Luk. 24,40; vgl. Joh. 20,27), und ihr Unglaube hat nicht wenig dazu gedient, unseren Glauben zu stärken! In ihrem Kreis redete Christus von den Geheimnissen des Reiches Gottes, und schließlich ist er vor ihren Augen gen Himmel gefahren! (Apg. 1,3.9). Aber dies Schaubild wurde nicht allein den elf Aposteln vor Augen gestellt, sondern er ist auch von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal gesehen worden! (1. Kor. 15,6). Nun sandte er ihnen den Heiligen Geist und gab dadurch nicht nur einen Beweis, daß er lebte, sondern auch, daß er die höchste Herrschgewalt innehabe! So hatte er es ihnen ja vorhergesagt: „Es ist euch gut, daß ich hingehe; denn sonst kommt der Heilige Geist nicht!“ (Joh. 16,7; ungenau). Nun ist aber auch Paulus auf seinem Wege nicht von der Kraft eines Toten zu Boden geworfen worden, sondern er erfuhr, daß der, den er verfolgte, im Besitz der höchsten Gewalt war! (Apg. 9,4). Zu einem anderen Zweck ist er dem Stephanus erschienen: durch die Gewißheit des Lebens sollte er die Furcht vor dem Tode überwinden! (Apg. 7,55). Will man so zahlreichen und so glaubwürdigen Zeugnissen den Glauben weigern, so ist das nicht allein mangelndes Vertrauen, sondern geradezu bösartige, unsinnige Halsstarrigkeit!
Simon W.

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III,25,4

Wir sagten dann, wir müßten beim Beweis für die Auferstehung unsere Sinne auch auf Gottes unermeßliche Macht richten. Das lehrt uns Paulus in Kürze: „Welcher unseren nichtigen Leib … ähnlich machen wird seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, mit der er kann auch alle Dinge sich untertänig machen“ (Phil. 3,21). Deshalb gibt es nichts Unpassenderes, als wenn man hier danach sieht, was natürlicherweise geschehen könnte, wo uns doch ein unausdenkliches Wunder vor Augen gestellt wird, das in seiner Größe unsere Sinne versinken läßt! Trotzdem bringt Paulus auch einen Beweis aus der Natur vor, um die Unverständlichkeit derer zu widerlegen, welche die Auferstehung leugnen. „Du Narr“, sagt er, „was du säest, wird nicht lebendig, es sterbe denn …“ (1. Kor. 15,36). Er sagt also, daß man an dem Samen ein Bild der Auferstehung wahrnehmen kann, weil die junge Saat aus der Verwesung erwächst! Diese Tatsache wäre aber auch gar nicht so schwer zu glauben, wenn wir den Wundern, die sich allenthalben in der Welt unseren Augen darbieten, die gebührende Beachtung schenkten. Wir wollen weiter daran denken, daß niemand wirklich von der künftigen Auferstehung überzeugt ist, der nicht voller Bewunderung Gottes Kraft die gebührende Ehre gibt. Diese Zuversicht reißt den Jesaja zu dem Ausruf hin: „Deine Toten werden leben; mein Leichnam wird auferstehen! Wachet auf und rühmt, die ihr liegt unter der Erde!“ (Jes. 26,19; nicht ganz Luthertext). In verzweifelter Lage erhebt er sich zu Gott, dem Geber des Lebens, in dessen Hand die Errettung aus dem Tode liegt, wie es im Psalm heißt (Ps. 68,21). Auch Hiob, der einem Leichnam ähnlicher ist als einem Menschen, vertraut auf Gottes Macht und hebt sich, als ob er noch voll bei Kräften wäre, ohne Zögern zu jenem Tage empor: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt; und am letzten Tage wird er über dem Staube sich erheben“ – nämlich um da seine Macht auszuüben! -, „und ich werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen; selber werde ich ihn sehen und kein anderer!“ (Hiob 19,25-27; annähernd der ursprüngliche Luthertext). Freilich werden diese Stellen von einigen Leuten gar zu spitzfindig verdreht, als ob man sie nicht als Zeugnisse der Auferstehung auslegen dürfte; aber tatsächlich beweisen sie doch, was jene Menschen so gern umstoßen möchten; denn die heiligen Männer suchen ihren Trost einzig und allein aus dem Gleichnis der Auferstehung. Das kann man noch besser aus einer Stelle bei Ezechiel erkennen: Die Juden verwarfen die Verheißung von ihrer Rückkehr und brachten dagegen vor: daß ihnen ein Weg geöffnet würde, das sei nicht wahrscheinlicher, als daß Tote aus ihren Gräbern hervorgingen; da wurde denn dem Propheten ein Gesicht zuteil, bei dem er ein Feld voll dürrer Gebeine vor sich sah, – und denen gebietet nun Gott, wieder Fleisch und Sehnen an sich zu nehmen! (Ez. 37,1ff.). Allerdings ermuntert er unter diesem Bilde das Volk zur Hoffnung auf seine Rückkehr; aber die Ursache zu solcher Hoffnung nimmt er aus der Auferstehung, wie diese ja auch für uns das herrlichste Bild für alle Errettungen ist, die die Gläubigen in dieser Welt erfahren! So sehen wir es auch bei Christus: er lehrt zunächst, daß die Verkündigung des Evangeliums lebendig macht; weil die Juden das aber nicht annehmen, darum fügt er gleich hinzu: „Verwundert euch des nicht. Denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden hören die Stimme des Sohnes Gottes, und werden hervorgehen …“ (Joh. 5,28f.). Deshalb wollen wir nach dem Vorbild des Paulus bereits mitten in allen Kämpfen fröhlich triumphieren, weil der, der uns das zukünftige Leben verheißen hat, auch mächtig ist, uns zu bewahren, was uns beigelegt ist! (2. Tim. 1,12). Und so wollen wir uns rühmen, daß uns „die Krone der Gerechtigkeit beigelegt“ ist, die uns „der gerechte Richter geben wird“! (2. Tim. 4,8). So wird es geschehen, daß alle Widerwärtigkeiten, die wir zu erdulden haben, uns ein Anzeichen des zukünftigen Lebens sind, weil es dem Wesen Gottes geziemt, den Gottlosen, „die uns Trübsal antun“, „Trübsal zu vergelten“, uns aber, die wir zu Unrecht „Trübsal leiden, Ruhe, … wenn nun Christus wird offenbart werden … samt den Engeln seiner Kraft und mit Feuerflammen …“ (2. Thess. 1,6-8). Aber wir müssen auch festhalten, was Paulus kurz danach ausführt, nämlich daß Christus kommen wird, um herrlich zu erscheinen in seinen Heiligen und wunderbar zu sein in allen, die an ihn glauben, weil das Evangelium bei ihnen Glauben gefunden hat! (2. Thess. 1,10).



III,25,5

Obgleich nun aber die Sinne der Menschen eifrig auf solche Betrachtung gerichtet sein sollten, so haben sie doch, als wollten sie mit festem Vorsatz jede Erinnerung an die Auferstehung auslöschen, den Tod als letzte Grenze aller Dinge und als den Untergang des Menschen bezeichnet! Denn Salomo hat unzweifelhaft diese allgemeine und überall angenommene Ansicht im Auge, wenn er sagt: „Ein lebendiger Hund ist besser als ein toter Löwe!“ (Pred. 9,4), oder wenn er an anderer Stelle ausspricht: „Wer weiß, ob der Odem der Menschen aufwärts fahre und der Odem des Viehes unterwärts unter die Erde fahre?“ (Pred. 3,21). Dieser grobe Stumpfsinn hat aber zu allen Zeiten um sich gegriffen und ist gar in die Kirche eingebrochen; haben doch die Sadduzäer offen zu bekennen gewagt, es gäbe keine Auferstehung (Mark. 12,18; Luk. 20,27; Apg. 23,8), ja, die Seelen seien sterblich! Aber damit solche grobe Unwissenheit niemanden entschuldige, haben die Ungläubigen bereits aus natürlichem Trieb heraus stets ein Bild der Auferstehung vor Augen gehabt. Denn wozu dient die geheiligte und unverletzliche Sitte, die Toten zu begraben? Soll sie etwas anderes sein als Unterpfand eines neuen Lebens? Man darf auch nicht einwenden, das sei aus Irrtum geschehen; denn einmal war die Heilighaltung des Begräbnisses auch bei den heiligen Vätern stets in Kraft, und zum anderen hat Gott gewollt, daß selbst bei den Heiden die gleiche Sitte bestehen bliebe, damit ihnen damit ein Bild der Auferstehung vorgehalten werde und sie dadurch aus ihrer Schwerfälligkeit aufgeweckt würden! Mag diese Zeremonie auch noch so sehr ohne Frucht geblieben sein, so ist sie für uns doch von Nutzen, wenn wir weislich auf die dabei waltende Absicht achten; denn es ist keine geringe Widerlegung des Unglaubens, daß alle miteinander äußerlich bekannt haben, was doch keiner glaubte! Aber der Satan hat die Sinne der Menschen nicht nur in der Weise abgestumpft, daß sie mit ihren Leibern zusammen auch die Erinnerung an die Auferstehung der Toten begruben, sondern er hat sich auch bemüht, dies Stück der Lehre durch verschiedenerlei Wahngebilde zu verderben, damit es schließlich gar unterginge. Ich sehe hier davon ab, daß er schon zur Zeit des Paulus anfing, es zu untergraben. Es sind aber dann kurz danach die „Chiliasten“ gefolgt, die Christi Reich auf tausend Jahre festgelegt und beschränkt haben. Nun ist zwar ihre Phantasterei zu kindisch, als daß sie einer Widerlegung bedürfte oder auch wert wäre. Auch die Offenbarung des Johannes, aus der sie sicherlich die Deckfarbe zu ihrem Irrtum genommen haben, leistet ihnen keinen Beistand; denn wenn diese von einer Zahl von tausend Jahren redet (Apk. 20,4), so handelt es sich dabei nicht um die ewige Seligkeit der Kirche, sondern bloß um verschiedenartige Erschütterungen, die der noch auf Erden streitenden Kirche warteten. Im übrigen erklärt die ganze Schrift mit lauter Stimme, daß weder die Seligkeit der Auserwählten, noch auch die Strafe der Verworfenen je ein Ende finden wird. Bei allen Dingen aber, die sich unserem Anblick entziehen und weit über das Begreifen unseres Verstandes hinausgehen, müssen wir entweder aus Gottes klaren Offenbarungsworten Gewißheit zu erlangen suchen oder aber solche Gewißheit völlig verwerfen. Wer den Kindern Gottes zum Genuß der Erbschaft des künftigen Lebens nur tausend Jahre anweist, der bemerkt gar nicht, was für einen Schandfleck er damit Christus und auch seinem Reiche aufbrennt. Denn wenn die Gläubigen nicht mit Unsterblichkeit angetan werden, dann ist auch Christus selbst, in dessen Herrlichkeit sie umgestaltet werden sollen, nicht in unsterbliche Herrlichkeit aufgenommen worden; hat die Seligkeit der Gläubigen einmal ein Ende, so ist auch Christi Reich, auf dessen Beständigkeit sich jene Seligkeit stützt, zeitlich! Kurz, diese Leute sind entweder in allen göttlichen Dingen gänzlich unerfahren, oder aber sie bemühen sich in versteckter Bosheit, Gottes Gnade und Christi Kraft zu erschüttern, die allerdings nur dann ihre sichere Erfüllung finden, wenn die Sünde getilgt, der Tod verschlungen ist und dann das ewige Leben voll und ganz aufgerichtet wird! Was für einen törichten Unfug man aber treibt, wenn man Gott gar zu große Härte beizumessen fürchtet, sofern die Verworfenen ewigen Strafen überantwortet werden, – das ist auch für Blinde durchsichtig! Danach wäre also der Herr im Unrecht, wenn er solche Menschen von seinem Reiche ausschließt, die sich dieses Reiches in Undankbarkeit unwürdig gemacht haben! Aber ihre Sünden – so wendet man ein – sind doch zeitlich! Das gebe ich zu. Aber Gottes Majestät, auch seine Gerechtigkeit, die sie mit ihrem Sündigen verletzt haben, die ist ewig! Das Gedächtnis an ihre Ungerechtigkeit geht also verdientermaßen nie zu Ende. Aber dann – so wendet man weiter ein – geht ja die Strafe über das Maß der Übeltat hinaus! Das ist nun aber eine unerträgliche Gotteslästerung, indem man Gottes Majestät so gering einschätzt und ihre Verachtung nicht höher gelten läßt, als den Untergang einer einzigen Seele! Aber wir wollen nun diese Schwätzer fahren lassen, damit wir nicht – im Gegensatz zu unseren Ausführungen am Anfang! – den Anschein erwecken, als achteten wir ihre Wahngebilde doch einer Widerlegung für wert!



III,25,6

Außer dieser Schwärmerei haben Menschen, die von falscher Neugierde erfüllt sind, noch zwei weitere erdacht. Die einen vertraten die Meinung, als ob der ganze Mensch umkäme und die Seelen also samt den Leibern auferstehen würden. Andere geben zu, daß die Seelen unsterblich sind, meinen aber, sie würden einst mit neuen Leibern angetan: damit leugnen sie die Auferstehung des Fleisches! Die erste Schwärmerei habe ich bereits berührt, als ich von der Erschaffung des Menschen sprach; es wird mir also genügen, die Leser noch einmal darauf aufmerksam zu machen, was das doch für ein viehischer Irrtum ist, wenn man aus dem Geist, der nach Gottes Ebenbild gestaltet ist, einen flüchtigen Hauch macht, der bloß in diesem gebrechlichen Leben den Leib erhält, – wenn man den Tempel des Heiligen Geistes zunichte macht, kurz, wenn man das Stück von uns, in dem die Gottheit am stärksten hervorleuchtet und an dem so herrliche Kennzeichen der Unsterblichkeit sich finden, solcher Gabe beraubt, so daß sich also der Leib in besserer und glänzenderer Stellung befindet als die Seele! Ganz anders lehrt die Schrift. Sie vergleicht den Leib (2. Kor. 5,1) mit einer Hütte, und sie sagt uns, daß wir aus dieser Hütte auswandern, wenn wir sterben; denn sie beurteilt uns nach dem Teil (unseres Wesens), der uns von den unverständigen Tieren unterscheidet! So sagt Petrus, als er dem Tode nahe ist, die Zeit sei gekommen, wo er seine „Hütte“ ablegen müsse (2. Petr. 1,14). Und Paulus redet von den Gläubigen und sagt zunächst von ihnen: „Wir wissen aber, so unser irdisch Haus … zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben … im Himmel“ (2. Kor. 5,1). Dann fährt er fort: „Dieweil wir im Leibe wallen, so wallen wir ferne vom Herrn (…). Wir haben aber vielmehr Lust, außer dem Leibe zu sein und daheim zu sein bei dem Herrn“ (2. Kor. 5,6.8). Wenn unsere Seelen den Leib nicht überdauern, – so möchte ich wissen, was denn eigentlich das sein soll, das Gottes Gegenwart genießt und doch vom Leibe abgeschieden ist! Den Zweifel behebt aber der Apostel, indem er lehrt, wir seien „gekommen … zu den Geistern der … Gerechten“ (Hebr. 12,23). Denn mit diesen Worten meint er, daß wir den heiligen Vätern zugesellt werden, welche auch nach ihrem Sterben mit uns der gleichen Frömmigkeit ergeben sind, so daß wir also nicht Christi Glieder sein können, ohne mit ihnen zu verwachsen! Wenn die Seelen, nachdem sie den Leib von sich gelegt haben, nicht ihr Eigenwesen behielten und der seligen Herrlichkeit teilhaftig werden könnten, so hätte auch Christus nicht zu dem Schächer gesagt: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“ (Luk. 23,43). Auf solch klare Zeugnisse wollen wir uns verlassen und nach Christi Vorbild im Sterben ohne Scheu unsere Seelen Gott anbefehlen (Luk. 23,46) oder sie auch nach dem Beispiel des Stephanus in Christi Obhut geben (Apg. 7,58); denn er heißt nicht von ungefähr der treue „Hirte und Bischof unserer Seelen“ (1. Petr. 2,25). Vorwitzige Fragen nach dem Zwischenzustand unserer Seele zu stellen, ist nun aber weder erlaubt noch förderlich, viele mühen sich gewaltig mit Erörterungen darüber, an welchen Ort sich die Seelen begäben und ob sie schon die himmlische Herrlichkeit genössen oder nicht. Aber es ist töricht und vermessen, über unbekannte Dinge tiefere Nachforschungen anzustellen, als es uns Gott zu wissen verstattet hat. Die Schrift sagt uns, daß Christus ihnen gegenwärtig ist und sie in das Paradies aufnimmt (Joh. 12,32), damit sie ihren Trost empfangen, daß die Seelen der Verworfenen aber die Qualen erleiden, die sie verdient haben. Das sagt sie, aber weiter geht sie nicht. Welcher Lehrer oder Meister will uns nun aber offenbaren, was Gott verhüllt hat? Die Frage nach dem Ort der Seelen ist nicht weniger unangebracht und unbedacht; denn wir wissen doch, daß die Seele nicht solche Abmessungen hat wie der Leib! Wenn diese selige Versammlung heiliger Geister der „Schoß Abrahams“ heißt (Luk. 16,22), so ist es uns vollauf genug, daß wir nach dieser Pilgrimschaft von dem gemeinsamen Vater der Gläubigen aufgenommen werden, damit er uns an der Frucht seines Glaubens Anteil gebe! Indessen gebietet uns aber die Schrift allenthalben, an der Erwartung des Kommens Christi zu hängen, und sie behält die Krone der Herrlichkeit bis dahin auf; darum wollen wir uns an den Grenzen genügen lassen, die Gott uns vorgezeichnet hat: wenn die Seelen der Frommen die Mühsal des Kriegsdienstes hinter sich gebracht haben, dann gelangen sie zu seliger Ruhe, wo sie mit glückseliger Freude den Genuß der verheißenen Herrlichkeit erwarten; so bleibt also alles in der Schwebe, bis Christus als der Erlöser erscheint! Die Verworfenen aber werden unzweifelhaft das Los haben, das Judas den Teufeln zumißt: sie werden in Ketten gebunden gehalten, bis sie zu der Strafe gezogen werden, zu der sie verurteilt sind (Judas 6).
Simon W.

Der Pilgrim
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III,25,7

Ebenso ungeheuerlich ist auch der Irrtum derer, die sich einbilden, die Seelen würden einst nicht die Leiber erhalten, mit denen sie jetzt angetan sind, sondern mit neuen und anderen ausgerüstet werden. Und zwar haben die Manichäer die ganz und gar inhaltslose Begründung vorgebracht, es sei keineswegs angemessen, daß das Fleisch, das doch unrein sei, auferstehen sollte. Als ob an den Seelen gar keine Unreinigkeit wäre! Und sie haben doch diese deshalb nicht von der Hoffnung auf das himmlische Leben ferngehalten! Es war also genau so, als ob sie gesagt hätten, was vom Schmutz der Sünde angesteckt sei, das könne von Gott nicht gereinigt werden; denn jene Schwärmerei, das Fleisch sei von Natur unrein, weil es vom Teufel geschaffen sei, übergehe ich jetzt. Ich weise nur darauf hin, daß alles, was jetzt an uns des Himmels unwürdig ist, der Auferstehung nicht entgegensteht. Zunächst gebietet doch Paulus den Gläubigen, sich „von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes“ zu reinigen (2. Kor. 7,1). Daraus ergibt sich das Urteil, das er an anderer Stelle verkündet, nämlich es solle jeder empfangen, „nach dem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse“! (2. Kor. 5,10). Dem entspricht auch, was er an die Korinther schreibt: „Auf daß auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Fleische“ (2. Kor. 4,11). Aus diesem Grunde betet er anderwärts, Gott möge die Leiber unversehrt erhalten auf den Tag Christi; dieses Gebet betrifft den Leib genau so wie „Seele“ und „Geist“ (1. Thess. 5,23). Das ist kein Wunder; denn es wäre höchst widersinnig, wenn unsere Leiber, die sich doch Gott zu Tempeln geweiht hat (1. Kor. 3,16), ohne Hoffnung auf Auferstehung in Verwesung verfielen! Was will man dazu sagen, daß doch auch sie „Glieder Christi“ sind? (1. Kor. 6,15). Oder daß Gott gebietet, ihm ihre einzelnen Teile zu heiligen? Oder daß er will, daß unsere Zungen seinen Namen verherrlichen und daß wir reine Hände zu ihm erheben (1. Tim. 2,8) und ihm damit Opfer darbringen? Wenn also der himmlische Richter einen Teil des Menschen solch hervorragender Ehre würdigt, was ist es dann für ein Wahnwitz, wenn ihn ein sterblicher Mensch zu Staub werden läßt ohne jede Hoffnung auf Wiederherstellung? Ebenso ermahnt uns Paulus, Gott mit unserem Leibe wie mit unserer Seele zu preisen, weil beide ihm gehören! (1. Kor. 6,20). Da leidet er es sicher nicht, daß man das, was er Gott gewissermaßen als etwas Heiliges vorbehält, der ewigen Verwesung überantwortet! Es ist aber auch über keine Frage eine klarere Bestimmung der Schrift zur Hand als über die Auferstehung des Fleisches, das wir an uns tragen. „Dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit“, sagt Paulus (1. Kor. 15,53). Wo bliebe diese Veränderung des Zustandes, wenn Gott neue Leiber bildete? Wenn es hieße, wir müßten erneuert werden, so wäre das eine doppeldeutige Redeweise, die allenfalls solchem Geschwätz eine Gelegenheit böte. Nun weist aber der Apostel mit dem Finger eben auf die Leiber, mit denen wir jetzt angetan sind, und verheißt ihnen die Unverweslichkeit; damit bestreitet er offen, daß etwa neue Leiber gebildet würden! Ja, er hätte, wie Tertullian sagt, gar nicht ausdrücklicher reden können, es sei denn, daß er seine eigene Haut in der Hand gehalten hätte! Mit keiner Ausflucht werden die Schwärmer auch der Tatsache entrinnen, daß Paulus an anderer Stelle erklärt, Christus werde der Richter der Welt sein, und daß er dabei das Zeugnis des Jesaja heranzieht: „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, mir sollen alle Knie gebeugt werden!“ (Röm. 14,11; Jes. 45,23). Denn Paulus verkündigt ja offen eben denen, an die er seine Worte richtet, sie seien schuldig, einst von ihrem Leben Rechenschaft zu geben! Das würde aber nicht passen, wenn vor Gottes Richterstuhl neue Leiber gestellt würden. Keinerlei Unklarheit enthalten auch die Worte des Daniel: „Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, etliche zum ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach und Schande“ (Dan. 12,2). Denn Gott ruft hier nicht neuen Stoff aus den vier Elementen, um etwa daraus einen neuen Menschen zu machen, sondern er ruft die Toten aus ihren Gräbern hervor: Das diktiert uns auch die klare Vernunft. Wenn nämlich der Tod, der seinen Ursprung vom Fall des Menschen her hat, etwas (zum eigentlichen Wesen des Menschen) Hinzukommendes darstellt, so bezieht sich die Erneuerung, die Christus gebracht hat, eben auf diesen Leib, der einst anfing, sterblich zu sein. Auch wenn die Athener darüber lachen, daß Paulus die Auferstehung behauptet, dann läßt sich doch gerade daraus entnehmen, wie seine Verkündigung beschaffen war; und dieses Lachen dient durchaus nicht wenig zur Kräftigung unseres Glaubens! Der Beachtung wert ist auch der Spruch Christi: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten; fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle!“ (Matth. 10,28). Denn es wäre doch gar kein Anlaß zur Furcht vorhanden, wenn nicht eben der Leib, den wir an uns tragen, der Strafe unterworfen wäre! Ebenso deutlich ist ein anderes Wort Christi: „Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (Joh. 5,28f.). Sollen wir etwa sagen, in den Gräbern ruhten Seelen, um von dort her Christus zu hören? Müssen wir nicht vielmehr sagen, daß auf seinen Befehl hin die Leiber zu der Kraft zurückkehren, die sie verloren haben? Ferner: wenn wir mit neuen Leibern begabt werden sollen, wo bleibt dann die Gleichgestaltigkeit zwischen Haupt und Gliedern? Christus ist auferstanden; – etwa dadurch, daß er sich einen neuen Leib bildete? Nein, gewiß nicht; es geschah, wie er vorhergesagt hatte: „Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage werde ich ihn aufrichten!“ (Joh. 2,19). Eben den sterblichen Leib, den er zuvor an sich getragen hatte, den bekam er wieder; und es würde uns auch nicht viel eintragen, wenn er einen neuen Leib erhalten hätte und damit jener Leib abgetan wäre, der zum Sühnopfer dargebracht worden war! Wir müssen auch jene Gemeinsamkeit festhalten, die der Apostel Predigt: Wir erlangen Auferstehung, weil Christus auferstanden ist (1. Kor. 15,12ff.). Denn es ist nichts weniger wahrscheinlich, als daß unser Fleisch, an dem wir das Sterben Christi mit uns herumtragen (2. Kor. 4,10f.), der Auferstehung Christi beraube werden sollte! Das ist auch durch einen herrlichen Beweis offenkundig geworden, indem bei Christi Auferstehung viele Leiber von Heiligen aus ihren Gräbern hervorgingen (Matth. 27,52). Denn es läßt sich nun auch nicht leugnen, daß dies Geschehen ein Vorspiel, ja besser ein Unterpfand der letzten Auferstehung gewesen ist, auf die wir hoffen. Gleiches war ja zuvor bereits an Henoch und Elia zutage getreten; Tertullian nennt diese beiden deshalb „Besitzanwärter“ (candidati) der Auferstehung, weil sie nach Leib und Seele der Verderbnis entnommen und in Gottes Hut aufgenommen worden sind.



III,25,8

Ich schäme mich, in einer so klaren Angelegenheit soviel Worte zu verlieren; aber diesen Verdruß mögen die Leser geduldig mit mir in sich hineinfressen, damit verderbten und verwegenen Geistern keine Ausflucht mehr offensteht, um Einfältige zu täuschen! Die Schwarmgeister, mit denen ich hier zu streiten habe, bringen das Gespinst ihres eigenen Hirns vor und behaupten, in der Auferstehung werde eine Erschaffung neuer Leiber geschehen. Welche Ursache treibt sie eigentlich zu dieser Ansicht? Keine andere, als daß es ihnen unglaublich erscheint, daß ein Leichnam, der von so langer Verwesung verzehrt ist, noch einmal in seinen vorigen Zustand zurückkehren könnte! Einzig die Ungläubigkeit ist also bei ihnen die Mutter dieser Meinung! Uns dagegen ermahnt der Geist Gottes in der Schrift immer wieder zur Hoffnung auf die Auferstehung unseres Fleisches. In diesem Sinne ist uns die Taufe nach dem Zeugnis des Paulus ein Siegel der zukünftigen Auferstehung (Kol. 2,12). Ebenso sehr lädt uns das Heilige Abendmahl zur Zuversicht auf diese Auferstehung ein, indem wir die Merkzeichen der geistlichen Gnade mit unserem Munde empfangen! Auch wäre die ganze Mahnung des Paulus, wir sollten unsere Glieder als Waffen in den Dienst der Gerechtigkeit stellen (Röm. 6,13.19), doch ganz sicher ohne Gehalt, wenn nicht das hinzukäme, was er nachher anfügt: „Derselbe, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch eure sterblichen Leiber lebendig machen …“ (Röm. 8,11). Was würde es denn helfen, unsere Füße, Hände, Augen und Zungen in den Gehorsam Gottes zu begeben, wenn diese nicht auch an der Frucht und dem Lohn teilhätten? Das bestätigt Paulus ganz klar mit seinen eigenen Worten: „Der Leib nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe! Der aber Christum auferweckt hat, der wird auch uns auferwecken durch seine Kraft!“ (1. Kor. 6,13f.; nicht ganz Luthertext). Noch klarer sind die folgenden Worte, nach denen unsere Leiber „Glieder Christi“ (Vers 15) und „Tempel des Heiligen Geistes“ sind (Vers 19). Indessen sehen wir, daß er die Auferstehung mit Keuschheit und Heiligkeit verbindet, wie er denn kurz nachher den Preis der Erlösung auch auf den Leib ausdehnt. Es wäre nun der Vernunft nicht entsprechend, wenn der Leib des Paulus, an dem er die „Malzeichen“ Christi trug (Gal. 6,17) und an dem er Christus großartig verherrlichte, ohne den Ehrenpreis, die Krone bleiben sollte. Daher kommt auch jener rühmende Ausruf: „Wir warten des Heilandes vom Himmel, welcher unseren nichtigen Leib … ähnlich machen wird seinem verklärten Leibe …“ (Phil. 3,20f.; nicht ganz Luthertext). Ist es aber wahr, daß wir „durch viel Trübsale müssen in das Reich Gottes eingehen“ (Apg. 14,22), so ist es auf keinerlei Weise möglich, unseren Leibern solchen Eingang zu versperren, welche doch Gott unter dem Fähnlein seines Kreuzes übt und mit dem Lobpreis des Sieges ziert! Deshalb ist unter den Heiligen nie ein Zweifel in dieser Sache entstanden, sondern sie haben gehofft, Christi Mitgenossen zu sein; denn er nimmt alle Trübsale, mit denen wir geprüft werden, auf seine Person, um uns zu lehren, daß sie lebendigmachend sind: Ja, Gott hat auch die heiligen Väter unter dem Gesetz durch eine äußere Zeremonie in diesem Glauben geübt. Wozu diente – so sahen wir bereits! – die Sitte des Begrabens der Toten anders als dazu, daß sie wissen sollten, daß den begrabenen Leibern ein neues Leben bereitet sei? Auch die wohlriechenden Kräuter und andere Sinnbilder der Unsterblichkeit hatten diesen Zweck; mit ihnen wurde unter dem Gesetz, genau wie auch durch die Opfer, der Dunkelheit der Lehre abgeholfen. Auch ist diese Sitte nicht vom Aberglauben aufgebracht worden; denn wir sehen, wie der Heilige Geist auf die Schilderung von Begräbnissen nicht weniger eifrig Gewicht legt, als auf die vornehmsten Geheimnisse unseres Glaubens. Auch Christus lobt solchen Dienst als etwas ganz Besonderes (Matth. 26,10), und das sicherlich nur aus einem einzigen Grunde: weil er nämlich die Augen der Menschen vom Anblick des Grabes, welches alles verzehrt und vertilgt, weglenkt und sie zu dem Schaubild der Erneuerung emporhebt! Außerdem beweist die eifrige Beobachtung dieser Zeremonie, die an den Vätern gelobt wird, zur Genüge, daß ihnen diese ein außerordentliches und köstliches Hilfsmittel des Glaubens gewesen ist. Denn Abraham hätte sich nicht mit solcher Sorgfalt um das Grab seines Weibes gekümmert (Gen. 23,4.19), wenn ihm dabei nicht die Religion vor Augen gestanden hätte und der Nutzen, der köstlicher ist als alle Welt: daß er nämlich dadurch, daß er den Leib seines Weibes mit den Zeichen der Auferstehung zierte, seinen und seines Hauses Glauben bekräftigte! Noch klarer leuchtet der Beweis hierfür an dem Beispiel des Jakob hervor, der seinen Nachfahren gebietet, seine Gebeine in das verheißene Land zu überführen, um ihnen zu bezeugen, daß die Hoffnung auf dieses Land auch im Tode nicht aus seinem Herzen gewichen ist (Gen. 47,30). Ich frage den Leser: wenn Jakob mit einem neuen Leib angetan werden sollte, wäre dann sein Auftrag nicht lächerlich, weil er sich ja auf Staub bezöge, der der völligen Vernichtung entgegenging? Wenn also die Autorität der Schrift bei uns irgendwie in Kraft steht, so gibt es keine Lehre, für die wir einen klareren und gewisseren Beweis verlangen konnten! Schon die Worte „Auferstehung“ und „Auferwecken“ machen den gleichen Sachverhalt selbst Kindern lebendig; denn von etwas, das eben erst geschaffen wird, sagen wir doch nicht, es erstünde auf. Auch würde sonst das Wort Christi keinen Bestand haben: „Daß ich nichts verliere von allem, was mir mein Vater gegeben hat, sondern daß ich’s auferwecke am jüngsten Tage“ (Joh. 6,39). In der gleichen Richtung geht auch das Wort „Schlafen“, das nur auf Leiber zu beziehen ist. Daher hat man auch die Begräbnisstätten als „Schlafstätten“ (coemeteria) bezeichnet. Jetzt muß ich über die Art der Auferstehung noch einiges kurz ausführen. Ich sage: „kurz ausführen“; denn Paulus spricht hier von einem „Geheimnis“ (1. Kor. 15,51), und er ermahnt uns damit zur Bescheidenheit und zügelt die ausschweifende Neigung, gar zu frei und scharfsinnig zu philosophieren. Zunächst ist da festzuhalten, was wir bereits dargelegt haben: Was die Substanz betrifft, so werden wir in dem gleichen Fleische auferstehen, das wir jetzt an uns tragen. Die Beschaffenheit (qualitas) wird dagegen anders sein. So wurde ja auch das gleiche Fleisch Christi, das zum Opfer dargebracht worden war, auferweckt, und doch zeichnete es sich durch andere Gaben aus, so daß es so war, als ob es ein anderes Fleisch geworden wäre: Das hat Paulus durch wohlbekannte Beispiele verdeutlicht (1. Kor. 15,39). Denn wie das Fleisch von Mensch und Tier das gleiche Grundwesen, aber nicht die gleiche Beschaffenheit besitzt, wie alle Sterne aus dem gleichen Stoff bestehen, aber doch nicht gleich hell scheinen, so lehrt Paulus, daß wir zwar das Grundwesen unseres Leibes behalten, aber dabei eine Veränderung eintritt, so daß sein Stand viel herrlicher wird. Der verwesliche Leib geht also, damit wir auferstehen, nicht etwa zugrunde, er zergeht auch nicht, sondern er legt die Verweslichkeit ab und nimmt die Unverweslichkeit an! Da aber Gott alle Elemente auf seinen Wink hin zur Hand hat, so besteht für ihn gar keine Schwierigkeit, die ihn etwa hinderte, der Erde und dem Wasser und dem Feuer zu gebieten, daß sie zurückgeben, was von ihnen verzehrt zu sein scheint. Das bezeugt auch Jesaja, freilich nicht ohne Bild: „Denn siehe, der Herr wird ausgehen von seinem Ort, heimzusuchen die Bosheit der Einwohner des Landes über sie, daß das Land wird offenbaren ihr Blut und nicht weiter verhehlen, die darin erwürgt sind!“ (Jes. 26,21). Es ist aber hier ein Unterschied zu beachten zwischen denen, die dann bereits verstorben sind, und denen, die dieser Tag noch am Leben finden wird. Denn – wie Paulus bezeugt – „wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden“ (1. Kor. 15,51). Das bedeutet: es ist nicht notwendig, daß zwischen den Tod und den Beginn des neuen Lebens ein zeitlicher Abstand tritt; denn „plötzlich“ und „in einem Augenblick“ wird der Klang der Posaune ertönen und „die Toten“ auferwecken „unverweslich“, die Lebenden aber in plötzlicher Verwandlung zu gleicher Herrlichkeit umgestalten! (1. Kor. 15,52). So werden auch an anderer Stelle die Gläubigen, die den Tod erleiden müssen, damit getröstet, daß auch die, welche dann noch da sein werden, den Verstorbenen „nicht zuvorkommen“ sollen, sondern daß vielmehr die zuerst auferstehen, die „in Christo entschlafen“ sind! (1. Thess. 4,15f.). Wenn sich nun jemand dagegen auf das Wort des Apostels beruft, nach welchem es allen Menschen „gesetzt ist, einmal zu sterben“ (Hebr. 9,27), so ist die Lösung schnell zur Hand: wo der Zustand der Natur eine Verwandlung durchmacht, da ist das eine Art von Tod und wird auch durchaus zutreffend so bezeichnet; es paßt also gut zusammen, daß einerseits alle durch den Tod erneuert werden sollen, indem sie ihren sterblichen Leib von sich ablegen, und daß doch andererseits eine Trennung von Leib und Seele nicht notwendig sein wird, wenn jene plötzliche Verwandlung eintritt.
Simon W.

Der Pilgrim
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III,25,9

Aber hier entsteht eine schwierigere Frage, nämlich die, mit welchem Recht die Auferstehung, die doch eine besondere Wohltat Christi ist, auch den Gottlosen und von Gott Verdammten gemein ist. Wir wissen, daß in Adam alle zum Tode verurteilt worden sind; da ist nun Christus als „die Auferstehung und das Leben“ gekommen (Joh. 11,25); etwa dazu, daß er ohne Unterschied das ganze Menschengeschlecht lebendig macht? Aber was will sich weniger reimen, als daß die Gottlosen in ihrer halsstarrigen Blindheit erlangen sollten, was doch Gottes fromme Verehrer allein durch den Glauben erhalten? Und trotzdem soll fest bestehen bleiben, daß die eine Auferstehung eine Auferstehung zum Gericht, die andere eine Auferstehung zum Leben ist (Joh. 5,29), und daß Christus kommen wird, um die Schafe von den Böcken zu sondern! (Matth. 25,32). Ich entgegne: das soll uns nicht so ungewohnt vorkommen, da wir doch Ähnliches in tagtäglicher Erfahrung zu sehen bekommen! Wir wissen doch, daß wir in Adam der Erbschaft an der ganzen Welt verlustig gegangen sind, und daß wir aus ebenso gerechter Ursache von unserer gewöhnlichen Nahrung ferngehalten werden könnten, wie von dem Genuß am Baume des Lebens. Wie kommt es nun aber, daß Gott nicht nur „seine Sonne aufgehen läßt über die Bösen und über die Guten“ (Matth. 5,45), sondern daß seine unermeßliche Freigebigkeit auch, was den Gebrauch des gegenwärtigen Lebens betrifft, immerfort reichliche Güter aus sich hervorfließen läßt? Hieraus sehen wir doch unzweifelhaft, wie das, was Christus und seinen Gliedern eigen ist, doch auch zu den Gottlosen überströmt, und zwar nicht, damit sie es rechtmäßig besitzen, sondern damit sie um so mehr unentschuldbar werden! So erfahren die Gottlosen häufig Gottes Wohltätigkeit, und zwar nicht bloß in gewöhnlichen Erweisungen, sondern gar in solchen, die alle Segnungen, die den Frommen widerfahren, bisweilen in den Schatten stellen; – und doch gereichen sie ihnen nur zu größerer Verdammnis! Nun könnte jemand einwenden, die Auferstehung könne man doch nicht passenderweise mit diesen gebrechlichen, irdischen Wohltaten vergleichen. Darauf antworte ich nun auch: Sobald sie von Gott, der Quelle des Lebens, sich entfremdet haben, haben sie allerdings das Verderben des Teufels verdient, sie haben es also verdient, gänzlich vertilgt zu werden; und doch ist aus Gottes wunderbarem Rat ein Mittelzustand gefunden worden, daß sie außerhalb des Lebens, im Tode – leben! Ebensowenig widersinnig ist es, wenn auch den Gottlosen als etwas zu ihrem Wesen Hinzukommendes die Auferstehung zuteil wird, die sie gegen ihren Willen vor den Richterstuhl des Christus ziehen soll, den sie jetzt als Meister und Lehrer nicht hören wollen! Denn es wäre ja eine leichte Strafe, wenn sie bloß vom Tode verzehrt werden sollten, ohne vor den Richter gestellt zu werden, um dort für ihre Widerspenstigkeit Strafe zu leiden, – vor den Richter, dessen Rache sie ohne Ziel und Maß gegen sich hervorgerufen haben! So müssen wir also freilich an dem festhalten, was wir ausgeführt haben, und was jenes berühmte Bekenntnis des Paulus vor Felix enthält: „Und habe die Hoffnung zu Gott, daß zukünftig sei die Auferstehung der Toten, der Gerechten und Ungerechten!“ (Apg. 24,15). Trotzdem stellt die Schrift mehrfach die Auferstehung zusammen mit der himmlischen Herrlichkeit allein den Gläubigen vor Augen; denn eigentlich ist ja Christus nicht zum Verderben, sondern zum Heil der Welt gekommen. So wird auch im Glaubensbekenntnis allein das selige Leben erwähnt.



III,25,10

Die Weissagung, daß „der Tod soll verschlungen werden in den Sieg“ (Hos. 13,14; 1. Kor. 15,54f.), wird sich aber erst dann gänzlich erfüllen. Deshalb sollen wir allezeit der ewigen Seligkeit gedenken, die das Ziel der Auferstehung ist; wenn man von ihrer Herrlichkeit alles gesagt hätte, was aller Menschen Zungen zu sagen vermögen, so hätte man doch kaum den kleinsten Teil von ihr auch nur flüchtig berührt! Denn obwohl wir in Wahrheit hören, das Reich Gottes werde voll Glanz und Freude, voll Seligkeit und Herrlichkeit sein, so bleibt doch das alles, was man nennen mag, unserem Empfinden ganz fern und gleichsam in Rätsel eingehüllt, bis jener Tag gekommen ist, an dem er uns selber seine Herrlichkeit enthüllen und sie uns von Angesicht zu Angesicht schauen lassen wird. „Wir wissen nun“, sagt Johannes, „daß wir Gottes Kinder sind, aber es ist noch nicht erschienen … Wenn wir ihm aber gleich sein werden, dann werden wir ihn sehen, wie er ist!“ (1. Joh. 3,2; nicht Luthertext). Deshalb haben die Propheten diese geistliche Seligkeit gemeinhin unter leiblichen Dingen abgebildet, da sie sie an sich selbst mit keinerlei Worten auszudrücken vermochten. Weil aber auf der anderen Seite das heiße Verlangen durch irgendeinen Geschmack von der Süße dieser Seligkeit in uns entzündet werden soll, darum wollen wir dabei bleiben, vor allem dies zu bedenken: Wenn Gott wie eine unerschöpfliche Quelle die Fülle aller Güter in sich trägt, so sollen die, welche das höchste Gut und die vollkommene Seligkeit erstreben, nichts über ihn hinaus begehren. So lehren es uns sehr viele Stellen. So das Wort: „Abraham, ich bin … dein sehr großer Lohn!“ (Gen. 15,1). Diesem Wort stimmt David bei: „Der Herr ist mein Teil … Das Los ist mir gefallen aufs Liebliche!“ (Ps. 16,5.6). Oder an anderer Stelle: „Ich will satt werden … an deinem Anblick!“ (Ps. 17,15; nicht Luthertext). Petrus aber tut kund, daß die Gläubigen dazu berufen sind, „der göttlichen Natur teilhaftig zu werden“ (2. Petr. 1,4). Und warum das? Weil er „herrlich erscheinen wird in seinen Heiligen und wunderbar sein wird in denen, die da geglaubt haben!“ (2. Thess. 1,10; nicht Luthertext). Wenn der Herr seine Herrlichkeit, Kraft und Gerechtigkeit mit den Auserwählten teilen, ja wenn er sich ihnen selber zum Genuß geben und, was noch herrlicher ist, mit ihnen gewissermaßen in Eins zusammenwachsen wird, – dann sollen wir daran denken, daß in dieser Wohltat jederlei Seligkeit beschlossen liegt! Und wenn wir in dieser Betrachtung weit fortgeschritten sind, so wollen wir doch erkennen, daß wir noch bei den ersten Anfängen stecken, wenn wir das Begreifen unseres Verstandes mit der Erhabenheit dieses Geheimnisses vergleichen! Um so mehr müssen wir in diesem Stück auf Bescheidenheit halten, damit wir nicht unser Maß vergessen und uns der Glanz der himmlischen Herrlichkeit nicht übermannt, je kühnlicher wir unseren Flug in die Höhe lenken! Denn wir fühlen es auch, wie uns solche maßlose Gier, mehr zu wissen, als uns gebührt, immerfort kitzelt; daraus sprudeln dann zuweilen leichtfertige, schädliche Fragen hervor. Leichtfertige Fragen nenne ich solche, aus denen sich keinerlei Nutzen ziehen läßt. Aber schlimmer noch ist das zweite: Menschen, die sich in solchen Fragen gefallen, verwickeln sich in gefährliche Gedankenspielereien; deshalb nenne ich solche Fragen „schädlich“. Was die Schrift uns lehrt, das soll bei uns jeder Erörterung entzogen sein, nämlich: wie Gott bei der Austeilung seiner Gaben an die Heiligen in dieser Welt verschiedenartig vorgeht und sie seine Strahlen ungleich verspüren läßt, so wird auch im Himmel, wo Gott seine Gaben krönen wird, das Maß der Herrlichkeit nicht gleich sein. Denn es läßt sich nicht unterschiedslos auf alle anwenden, wenn Paulus sagt: „Ihr seid mein Ruhm und meine Krone am Tage Christi!“ (1. Thess. 2,19; nicht Luthertext). Ebensowenig das Wort Christi an seine Apostel: „Ihr werdet sitzen … und richten die zwölf Geschlechter Israels!“ (Matth. 19,28). Aber Paulus wußte, daß Gott nach dem Maß, wie er seine Heiligen auf Erden mit geistlichen Gütern reich macht, sie auch im Himmel mit Herrlichkeit ziert, und deshalb zweifelte er nicht, daß für ihn auch nach dem Maß seiner Mühen eine besondere Krone bereitliege. Christus aber will den Aposteln die Würde des Amtes preisen, das ihnen übergeben ist, und deshalb erinnert er sie daran, daß dessen Frucht im Himmel verborgen ist. So finden wir es auch bei Daniel: „Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich!“ (Dan. 12,3). Und wenn jemand aufmerksam auf die Schrift achtet, so wird er finden, daß diese den Gläubigen nicht allein das ewige Leben verheißt, sondern auch jedem einzelnen seinen besonderen Lohn. Daher auch das Wort des Paulus: „Der Herr wolle es ihm vergelten an jenem Tage …“ (2. Tim. 1,18; ungenau). Das wird auch durch Christi Verheißung bestätigt: „Ihr werdet’s hundertfältig empfangen im ewigen Leben“ (Matth. 19,29; nicht Luthertext). Kurz, wie Christus in der Welt die Herrlichkeit seines Leibes mit einer vielfältigen Verschiedenartigkeit von Gaben anfangen läßt und sie stufenweise vermehrt, so wird er sie auch im Himmel vollkommen machen!
Simon W.

Der Pilgrim
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III,25,11

Wie nun aber alle Frommen dies einmütig annehmen werden, weil es durch Gottes Wort genugsam bezeugt ist, so werden sie auf der anderen Seite alle spitzfindigen Fragen fahren lassen, weil sie wissen, daß sie ihnen bloß Hemmnisse bereiten, und sie werden die ihnen vorgezeichneten Grenzen nicht überspringen. Was mich betrifft, so halte ich mich nicht nur für mich allein von allem überflüssigen Forschen nach unnützen Dingen zurück, sondern meine, mich auch hüten zu sollen, daß ich nicht durch Antwortgeben die Leichtfertigkeit anderer noch fordere! Menschen, die nach eitlem Wissen hungern, möchten gern in Erfahrung bringen, wie groß einst der Abstand zwischen Propheten und Aposteln oder wiederum zwischen Aposteln und Märtyrern sein werde, wieviel Stufen die Jungfrauen über den verheirateten stehen würden, kurz, sie lassen keine Ecke im Himmel mit ihrer Fragerei unangetastet! Dann kommt ihnen auch die Frage in den Sinn, was eigentlich die Erneuerung der Welt für einen Zweck haben solle, wo doch Gottes Kinder aus solcher großen und unvergleichlichen Fülle nicht ein einziges Ding nötig haben, sondern den Engeln ähnlich sein sollen, die doch gerade als Sinnbild ihrer ewigen Seligkeit nicht essen? Ich aber antworte: Auch in dem bloßen Anschauen wird soviel Ergötzlichkeit stecken, im bloßen Erkennen wird auch ohne Genuß soviel Süßigkeit liegen, daß diese Glückseligkeit über alle Mittel, die uns jetzt zu Hilfe kommen, weit hinausgeht! Stellen wir uns doch vor, wir würden in das reichste Gefilde der Welt versetzt, in dem uns kein Vergnügen abginge: wen würden da nicht seine Gebrechen zuweilen am Gebrauch solcher Wohltaten Gottes hindern und davon abhalten? Wessen Lauf wird nicht oft genug von seiner Unmäßigkeit gestört? Daraus ergibt sich, daß die höchste Glückseligkeit im lauteren und von allen Gebrechen reinen Genießen besteht, selbst wenn kein Gebrauch dieses vergänglichen Lebens dabei stattfindet! – Andere schwingen sich noch „weiter hinauf“, und fragen, ob nicht Gußschaum und andere Schäden an den Metallen weit von jeder Erneuerung entfernt sind und zu ihr im Gegensatz stehen. Das lasse ich zwar einigermaßen gelten, aber ich erwarte mit Paulus eine Behebung der Mängel, die ihren Ursprung von der Sünde her haben; danach „seufzt“ ja die ganze Kreatur, darauf hin leidet sie ja „Geburtswehen“! (Röm. 8,22; wörtlich). Aber sie gehen dann noch weiter und fragen, wieso denn das Menschengeschlecht in einen besseren Stand kommen sollte, wo doch die Segnung der Nachkommenschaft dann ein Ende nehmen würde. Auch dieser Knoten ist leicht aufzulösen. Daß die Schrift diesen Segen so herrlich rühmt, das bezieht sich auf das Wachstum, mit dem Gott die Ordnung der Natur beständig weiterführt, bis zu ihrem Ziele hin; es ist aber doch bekannt, daß es bei der Vollendung anders zugehen wird! Aber weil unvorsichtige Leute gleich von Täuschungen ergriffen werden und der Irrgarten sie dann immer tiefer zieht, und weil schließlich, wo jeder sich in seinen besonderen Meinungen gefällt, des Disputierens kein Ende mehr ist, darum sollen wir es kurz und gut für unseren Weg halten, uns an dem „Spiegel und dunklen Wort“ genügen zu lassen, bis wir „sehen von Angesicht zu Angesicht!“ (1. Kor. 13,12). Denn unter der großen Menge findet man nur wenige, die sich darum sorgen, auf welchem Wege man zum Himmel wandern soll; dagegen begehren alle vor der Zeit zu wissen, was dort geschehe! Fast alle sind zu faul und träge, um Kämpfe durchzufechten; aber erträumte Triumphe malen sie sich schon an die Wand!



III,25,12

Weil nun weiter keine Beschreibung der Schwere göttlicher Rache gegen die verworfenen gleichzukommen vermag, darum werden uns ihre Leiden und Qualen unter dem Bilde leiblicher Dinge abgebildet, wie Finsternis, Heulen und Zähneklappern (Matth. 8,12; 22,13), unauslöschliches Feuer (Matth. 3,12; Mark. 9,43), oder auch unter dem Bilde eines Wurms, der ohne Ende am Herzen nagt (Jes. 66,24). Denn sicherlich hat der Heilige Geist durch solche Redeformen alle Sinne mit Schrecken erschüttern wollen; so, wenn es heißt, seit Ewigkeit sei eine tiefe Höllengrube bereitet, ihre Nahrung sei Feuer und viel Holz, und der „Odem des Herrn“ werde sie „anzünden wie ein Schwefelstrom“ (Jes. 30,33). Solche Worte sollen uns gewiß dazu helfen, das elende Los der Gottlosen einigermaßen zu verstehen; aber wir müssen dabei unsere Erwägung vor alledem darauf richten, was für eine Not es ist, von der Gemeinschaft mit Gott abgeschnitten zu sein, ja, nicht nur dies, sondern auch zu fühlen, wie Gottes Majestät gegen einen steht, so daß man ihrem lastenden Druck nicht entfliehen kann! Denn erstlich ist sein Zorn wie ein wütendes Feuer, durch dessen Berührung alles verschlungen und verzehrt wird. Dann aber dienen ihm zum Vollzug seines Gerichts auch alle Kreaturen, so daß die Gottlosen erfahren müssen, wie Himmel und Erde und Meer, wie alle Tiere und alles, was da ist, gleichsam in heftigem Zorn gegen sie entflammt und zu ihrem Verderben gerüstet sind: denn durch all das macht ihnen der Herr seinen Zorn offenbar. Deshalb hat der Apostel nichts Alltägliches kundgemacht, wenn er sagt, die Gottlosen müßten in ihrem Verderben ewige „Pein leiden“ „von dem Angesicht des Herrn und von seiner herrlichen Macht“ (2. Thess. 1,9). Und sooft die Propheten uns mit leiblichen Bildern Angst einjagen, sprechen sie zwar angesichts unserer Schwerfälligkeit nichts Unbegreifliches aus, aber sie mischen unter ihre Worte doch Vorspiele des künftigen Gerichts, die an Sonne und Mond und am ganzen Gebäu der Welt offenbar werden! Deshalb finden die unseligen Gewissen keine Ruhe, sondern sie werden von furchtbarem Wirbelwind gequält und umgetrieben, sie erfahren, wie der erzürnte Gott sie foltert, sie werden von todbringenden Pfeilen durchbohrt und zerfleischt, erschrecken vor Gottes Blitzstrahl und werden unter der Last seiner Hand erdrückt, so daß es leichter wäre, in irgendeinem Abgrund oder Schlund unterzutauchen, als auch nur einen Augenblick in solchen Schrecknissen zu stehen! Was ist das doch für eine furchtbare Sache, von Gottes ewiger und nie endender Drangsal bedrückt zu werden! Hierüber enthält der neunzigste Psalm eine beherzigenswerte Lehre: obgleich Gott allein durch seinen Anblick alle Sterblichen verstört und zunichte macht, so drängt er doch seine Verehrer, je furchtsamer sie in dieser Welt sind, nur um so mehr, um sie, mit dem Kreuze beladen, zur Eile anzufeuern, bis er selbst alles in allen ist! (Ps. 90,7ff.; 1. Kor. 15,28).
Simon W.

Der Pilgrim
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Viertes Buch: Von den äußeren Mitteln oder Beihilfen, mit denen uns Gott zu der Gemeinschaft mit Christus einlädt und in ihr erhält



Erstes Kapitel: Von der wahren Kirche, mit der wir die Einheit halten müssen, weil sie die Mutter aller Frommen ist


IV,1,1

Im vorigen Buche wurde auseinandergelegt, daß durch den Glauben an das Evangelium Christus unser eigen wird und wir des von ihm erworbenen Heils und der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Nun sind wir aber grobsinnig und träge, zudem auch von eitlem Verstande, und deshalb haben wir äußerliche Hilfsmittel nötig, damit der Glaube durch sie in uns erzeugt und vermehrt werde und seinen Fortgang habe bis zum Ziele hin. Darum hat Gott auch diese äußeren Mittel zugefügt, um so unserer Schwachheit aufzuhelfen; und damit die Predigt des Evangeliums ihre Wirkung tut, hat er der Kirche diesen Schatz in Bewahrung gegeben. Er hat „Hirten“ und „Lehrer“ eingesetzt (Eph. 4,11), um durch ihren Mund die Seinen zu unterweisen. Dazu hat er sie auch mit Autorität ausgerüstet. Kurz, er hat nichts unterlassen, was zur heiligen Einigkeit im Glauben und zu rechter Ordnung dienlich sein konnte, vor allem hat er die Sakramente eingesetzt, die, wie wir es durch die Erfahrung merken, höchst nutzbringende Mittel sind, um den Glauben zu erhalten und zu stärken. Denn wir sind ja noch in das Knechtshaus unseres Fleisches eingeschlossen und noch nicht auf die Stufe der Engel gelangt; darum hat sich Gott unserem Fassungsvermögen angepaßt und uns in seiner wunderbaren Vorsehung eine Art und Weise vorgeschrieben, wie wir zu ihm nahen sollen, obwohl wir doch in weiter Ferne von ihm sind. Die Reihenfolge der Unterweisung erfordert es daher, daß wir jetzt in die Behandlung der Kirche und ihres Regiments, ihrer Ordnungen und ihrer Gewalt, ebenso auch der Sakramente und zum Schluß auch in eine solche der bürgerlichen Ordnung eintreten. Zugleich ist es hier erforderlich, daß wir den frommen Leser von den Verderbnissen wegrufen, mit denen der Satan im Papsttum alles verfälscht hat, was Gott zu unserem Heil bestimmt hatte. Den Anfang will ich aber mit der Kirche machen: in ihrem Schoß sollen nach Gottes Willen seine Kinder versammelt werden, und zwar nicht nur, damit sie durch ihre Mühe und ihren Dienst genährt werden, solange sie Unmündige und Kinder sind, sondern auch, damit sie durch ihre mütterliche Fürsorge regiert werden, bis sie herangewachsen sind und endlich zum Ziel des Glaubens hindurchdringen. Denn was „Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ (Mark. 10,9): wer also Gott zum Vater hat, der muß auch die Kirche zur Mutter haben, und zwar (galt das) nicht allein unter dem Gesetz, sondern (es gilt) auch nach dem Kommen Christi; so bezeugt es Paulus, der uns lehrt, daß wir die Kinder des neuen, himmlischen Jerusalem sind (Gal. 4,26).



IV,1,2

Wenn wir in den Glaubensartikeln bekennen, daß wir „die Kirche glauben“, so bezieht sich das nicht allein auf die sichtbare Kirche, von der wir jetzt reden, sondern auch auf alle Auserwählten Gottes, unter deren Zahl auch die einbegriffen werden, die bereits verstorben sind. Deshalb wird hier auch das Wörtlein „glauben“ gebraucht; denn oft läßt sich kein Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Unheiligen, zwischen seiner eigenen Herde und den wilden Tieren herausmerken. Manche fügen nun in das Glaubensbekenntnis das Wörtlein „an“ (in) ein („ich glaube an eine … Kirche“!); aber dafür besteht keine ersichtliche Ursache. Ich gebe allerdings zu, daß dies Verfahren recht gebräuchlich ist und auch des Beistandes der Alten Kirche nicht ermangelt. Denn auch das Nicaenische Glaubensbekenntnis fügt in der Fassung, wie es uns die Kirchengeschichte überliefert, diese Präposition zu. Doch läßt sich zugleich aus den Schriften der Alten ersehen, daß es in alter Zeit ohne Widerrede üblich war, daß man sagte: „Ich glaube eine … Kirche“, nicht aber: „Ich glaube an eine … Kirche“. Denn Augustin und der alte Schriftsteller, dessen Büchlein „Von der Auslegung des Glaubensbekenntnisses“ unter dem Namen des Cyprian umgeht – er mag nun sein, wer er will! -, reden nicht nur auf diese Weise; nein, sie bemerken auch ausdrücklich, es würde eine uneigentliche Redeweise sein, wenn man jene Präposition anfügte, auch bekräftigen sie ihre Meinung mit einer begründeten Ursache. Denn wenn wir sagen: „Ich glaube an Gott“, so geben wir solch Zeugnis darum, weil unser Herz sich auf ihn als den Wahrhaftigen stützt und weil sich unsere Zuversicht auf ihn verläßt. Das würde aber auf die Kirche nicht in gleicher Weise zutreffen, auch nicht auf die „Vergebung der Sünden“ und die „Auferstehung des Fleisches“. Obgleich ich nun also nicht über die Worte streiten will, so möchte ich doch lieber der Eigenart der Rede folgen, die besser geeignet ist, um die Sache zum Ausdruck zu bringen, statt nach Formeln zu haschen, mit denen die Sache ohne Grund verdunkelt würde. Der Zweck (unserer Erörterungen) liegt aber darin, daß wir wissen: mag auch der Teufel kein Mittel unversucht lassen, um Christi Gnade zunichte zu machen, mögen auch die Feinde Gottes in wütendem Ansturm dem gleichen Ziel nachjagen, so kann sie doch nicht ausgelöscht, kann auch Christi Blut nicht unfruchtbar gemacht werden, nein, es bringt immerdar einige Frucht hervor! In diesem Sinne müssen wir unser Augenmerk auf Gottes verborgene Erwählung und innerliche Berufung richten; denn er allein weiß, wer die Seinigen sind, und er hält sie, wie Paulus sagt, unter einem Siegel verschlossen (Eph. 1,13; 2. Tim. 2,19); dazu kommt auch, daß sie seine Kennzeichen tragen, an denen sie von den Verworfenen unterschieden werden sollen. Aber da das kleine, verachtete Häuflein unter einer unmeßbaren Menge verborgen liegt und die wenigen Weizenkörner von einem Haufen von Spreu überdeckt werden, so muß man Gott allein die Erkenntnis seiner Kirche überlassen, deren Fundament ja seine verborgene Erwählung ist. Es ist aber nicht genug, daß wir solche Schar der Auserwählten bloß mit unserem Denken und unserem Herzen erfassen, sondern wir müssen dergestalt auf die Einheit der Kirche sinnen, daß wir wahrhaftig überzeugt sind, selbst in sie eingefügt zu sein. Denn wenn wir nicht mit allen übrigen Gliedern zusammen unter unserem Haupte, Christus, zu einer Einheit zusammengefügt sind, so bleibt uns keine Hoffnung auf das zukünftige Erbe. Deshalb heißt die Kirche „katholisch“ oder „allgemein“; denn man könnte nicht zwei oder drei „Kirchen“ finden, ohne daß damit Christus in Stücke gerissen würde – und das kann doch nicht geschehen! Nein, alle Auserwählten Gottes sind dergestalt in Christus miteinander verbunden, daß sie, wie sie ja an dem einen Haupte hängen, auch gleichsam zu einem Leibe zusammenwachsen, und sie leben in solcher Gefügtheit zusammen wie die Glieder des gleichen Leibes; sie sind wahrhaft eins geworden, als solche, die in einem Glauben, einer Hoffnung, einer Liebe, in dem gleichen Geiste Gottes miteinander leben und die nicht nur zum gleichen Erbe des ewigen Lebens berufen sind, sondern auch zum Teilhaben an dem einen Gott und dem einen Christus. Mag nun auch solche traurige Öde, wie sie uns von allen Seiten entgegentritt, mit lauter Stimme zu bezeugen scheinen, es sei von der Kirche nichts mehr übrig, so sollen wir doch wissen, daß Christi Tod seine Frucht trägt und daß Gott seine Kirche auf wundersame Weise gleichsam in dunkler Verborgenheit bewahrt. Es ist, wie es einst zu Elia gesagt wurde: „Ich habe mir lassen übrigbleiben siebentausend Mann, die nicht ihre Knie gebeugt haben vor Baal“ (1. Kön. 18,19; nicht Luthertext).



IV,1,3

Allerdings bezieht sich dieser Artikel des Glaubensbekenntnisses in einem gewissen Sinne auch auf die äußerliche Kirche, damit sich jeder von uns in brüderlicher Einigkeit mit allen Kindern Gottes halte, der Kirche die Autorität zuerkenne, die sie verdient, sich so aufführe wie ein Schaf aus der Herde. Zu diesem Zweck wird dann auch hinzugesetzt: „die Gemeinschaft der Heiligen“. Dieser Titel der Aussage wird freilich von den Alten durchweg ausgelassen; er ist aber trotzdem nicht zu vernachlässigen, weil er die Eigenart der Kirche sehr gut zum Ausdruck bringt. Er bedeutet doch soviel, als wenn da gesagt wäre: die Heiligen werden nach der Ordnung zur Gemeinschaft mit Christus versammelt, daß sie all die Wohltaten, die ihnen Gott gewährt, gegenseitig einander mitteilen. Dadurch wird die Verschiedenheit der Gnadengaben nicht aufgehoben; denn wir wissen ja, daß die Gaben des Heiligen Geistes vielartig ausgeteilt werden. Auch wird dadurch die bürgerliche Ordnung nicht umgestürzt, nach der jeder einzelne für sich allein sein besonderes Vermögen in Besitz haben darf; denn es ist ja zur Aufrechterhaltung des Friedens unter den Menschen erforderlich, daß jeder unter ihnen sein eigenes, besonderes Eigentumsrecht an seinem Besitz hat. Nein, es wird hier jene Gemeinschaft gewahrt, wie sie uns Lukas beschreibt: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg. 4,32), und wie sie Paulus im Auge hat, wenn er die Epheser ermahnt, sie sollten „ein Leib und ein Geist“ sein, wie sie ja auch zu einer Hoffnung berufen seien (Eph. 4,4). Denn wenn sie wahrhaft von der Überzeugung getragen sind, daß Gott für sie alle der gemeinsame Vater und Christus das gemeinsame Haupt ist, so kann es nicht anders zugehen, als daß auch sie, in brüderlicher Liebe miteinander verbunden, einander gegenseitig ihren Besitz mitteilen. Nun liegt aber für uns sehr viel daran, daß wir wissen, welche Frucht uns daraus erwächst. Denn wenn wir „die Kirche glauben“, so geschieht das dergestalt, daß wir fest überzeugt sind, ihre Glieder zu sein. Auf diese Weise nämlich stützt sich unser Heil auf sichere und feste Grundlagen, so daß es, selbst wenn das ganze Gebäu der Welt ins Wanken geriete, doch selber nicht zusammenstürzen und ineinanderfallen kann. Zunächst: es hat ja seinen Bestand zusammen mit Gottes Erwählung, und es kann deshalb auch allein mit Gottes ewiger Vorsehung zusammen eine Änderung erfahren oder zusammenbrechen! Zum zweiten ist unser Heil gewissermaßen mit der Festigkeit Christi verbunden, und er wird ebensowenig dulden, daß seine Gläubigen von ihm losgerissen werden, wie er es zugeben wird, daß seine Glieder zerstückelt oder auseinandergezerrt werden. Dazu kommt auch dies: wir sind sicher, daß die Wahrheit für uns allezeit Bestand haben wird, solange wir im Schoße der Kirche gehalten werden. Und endlich: wir empfinden es, daß uns nun solche Verheißungen gelten wie diese: „Auf dem Berge Zion wird eine Errettung sein“ (Joel 3,5; Ob. 17), oder auch: „In Ewigkeit wird Gott inmitten Jerusalems verweilen, so daß es nie und nimmer wanken wird!“ (Ps. 46,6; nicht Luthertext). Das Teilhaben an der Kirche vermag soviel, daß es uns in der Gemeinschaft mit Gott erhält. Auch liegt bereits in dem Wort „Gemeinschaft“ sehr viel Trost: denn es steht doch fest, daß alles, was der Herr seinen und unseren Gliedern gewährt, auch uns zukommt, und so wird durch alle Güter, die sie besitzen, unsere Hoffnung bekräftigt! Um übrigens in dieser Weise die Einheit der Kirche hochzuhalten, ist es, wie ich bereits sagte, durchaus nicht vonnöten, daß wir die Kirche selber mit Augen sehen oder mit unseren Händen betasten. Nein, die Kirche besteht ja vielmehr im Glauben, und dadurch werden wir daran gemahnt, daß wir sie, wenn sie unserem Begreifen entzogen ist, doch um nichts weniger mit unseren Gedanken umfassen müssen, als wenn sie offen in die Erscheinung träte. Auch ist unser Glaube deshalb nicht von geringerem Wert, weil er die Kirche in ihrer Unbekanntheit ergreift. Denn wir erhalten hier nicht die Weisung, die Verworfenen von den Auserwählten zu unterscheiden – das ist allein Gottes Sache und nicht die unsrige! -, sondern wir sollen in unserem Herzen klar und gewiß daran festhalten, daß alle, die aus der Freundlichkeit Gottes, des Vaters, durch die Wirkungskraft des Heiligen Geistes in die Gemeinschaft mit Christus gelangt sind, nun zu Gottes Eigentum und Eigenbesitz abgesondert sind, und daß wir, wenn wir zu ihrer Zahl gehören, solcher Gnade teilhaftig sind.



IV,1,4

Aber wir haben ja jetzt die Absicht, von der sichtbaren Kirche zu sprechen, und da wollen wir schon daraus, daß sie mit dem Ehrennamen „Mutter“ bezeichnet wird, lernen, wie nützlich, ja, wie notwendig es für uns ist, sie zu kennen. Denn es gibt für uns keinen anderen Weg ins Leben hinein, als daß sie uns in ihrem Schoße empfängt, uns gebiert, an ihrer Brust nährt und schließlich unter ihrer Hut und Leitung in Schutz nimmt, bis wir das sterbliche Fleisch von uns gelegt haben und den Engeln gleich sein werden (Matth. 22,30). Denn unsere Schwachheit erträgt es auch nicht, daß wir von der Schule entlassen werden, ehe wir im ganzen Lauf unseres Lebens Schüler gewesen sind. Zudem ist außerhalb des Schoßes der Kirche keine Vergebung der Sünden zu erhoffen und kein Heil; so bezeugen es uns Jesaja (Jes. 37,32) und Joel (Joel 3,5), und Ezechiel stimmt ihnen bei, indem er erklärt, daß die, welche Gott vom himmlischen Leben ausschließt, nicht auf der Liste seines Volkes stehen sollen (Ez. 13,9). Ebenso heißt es auch auf der anderen Seite von denen, die sich zum Dienste der wahren Frömmigkeit bekehren, daß sie ihren Namen unter die Bürger Jerusalems einschreiben (Jes. 56,5; Ps. 87,6). Aus diesem Grunde heißt es auch in einem anderen Psalm: „Herr, gedenke mein nach der Gnade, die du deinem Volk verheißen hast; suche mich heim in deinem Heil, damit ich sehe die Wohlfahrt deiner Auserwählten, damit ich mich freue an der Freude deines Volkes und mich rühme mit deinem Erbteil“ (Ps. 106,4f.; zumeist nicht Luthertext). Mit diesen Worten wird Gottes väterliche Gunst und das besondere Zeugnis des geistlichen Lebens auf Gottes Herde eingeschränkt, so daß die Absonderung von der Kirche stets verderblich ist.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,1,5

Wir wollen aber in der Besprechung dessen fortfahren, was eigentlich zu diesem Lehrstück gehört. Paulus schreibt, daß Christus, „auf daß er alles erfülle“, „etliche zu Aposteln gesetzt“ hat, „etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern, daß die Heiligen zugerichtet werden, bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi“ (Eph. 4,10-13). Wir sehen da, wie Gott, der die Seinigen in einem einzigen Augenblick zur Vollendung kommen lassen könnte, dennoch den Willen hat, daß sie allein durch die Erziehung der Kirche zum Mannesalter heranwachsen. Wir sehen weiter, wie hier die Art und Weise solcher Erziehung zum Ausdruck kommt; denn den „Hirten“ wird die Predigt der himmlischen Lehre aufgetragen. Und wir sehen, wie alle ohne Ausnahme in die gleiche Ordnung hineinverpflichtet werden, daß sie sich gefügigen und gelehrigen Geistes der Leitung jener Lehrer unterstellen, die zu diesem Zweck eingesetzt sind. An diesem Merkzeichen hatte bereits lange zuvor Jesaja das Reich Christi kenntlich gemacht: „Mein Geist, der bei dir ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen von deinem Munde nicht weichen noch von dem Munde deines Samens und Kindeskindes …“ (Jes. 59,21). Daraus folgt, daß alle, die diese geistliche Seelenspeise verschmähen, die ihnen von Gott durch die Hand der Kirche dargereicht wird, wert sind, daß sie an Hunger und Mangel zugrundegehen. Gewiß, Gott gibt uns den Glauben ins Herz – aber durch das Werkzeug seines Evangeliums, wie uns ja auch Paulus daran mahnt, daß der Glaube „aus dem Hören kommt“ (Röm. 10,17). Ebenso steht auch die Macht, selig zu machen, bei Gott, aber nach dem Zeugnis des nämlichen Paulus holt er sie in der Predigt des Evangeliums hervor und entfaltet sie in ihr. Aus dieser Absicht heraus hat er auch vorzeiten angeordnet, daß man beim Heiligtum heilige Versammlungen halten sollte, damit die Lehre, die durch den Mund des Priesters verkündigt wurde, die Einhelligkeit des Glaubens erhielte. Und wenn der Tempel als Gottes „Ruhe“ (Ps. 132,14), das Heiligtum als seine Wohnstatt bezeichnet wird (Jes. 57,15), wenn es von Gott heißt, daß er „sitzet über den Cherubim“ (Ps. 80,2), so haben alle diese prächtigen Lobeserhebungen keinen anderen Zweck, als dem Dienstamt der himmlischen Lehre Wert, Liebe, Achtung und Würde zu verschaffen; denn darin könnte sonst der Anblick eines sterblichen, verachteten Menschen nicht wenig Eintrag tun! Damit wir also erkennen, daß uns aus solch „irdenen Gefäßen“ (2. Kor. 4,7) ein unberechenbarer Schatz zugetragen wird, tritt Gott selber hervor, und da er ja der Stifter dieser Ordnung ist, will er auch in seiner Einrichtung als gegenwärtig erkannt werden. Deshalb verbietet er den Seinen, sich mit Wahrsagerei, mit Zeichendeutung, mit magischen Künsten, mit Totenbefragung und anderem Aberglauben abzugeben (Lev. 19,31); aber er setzt dann hinzu, daß er ihnen eins geben wird, das für alle genug sein soll, nämlich daß sie niemals ganz ohne Propheten sein sollen (Deut. 18,9-15). Wie er aber das Volk des Alten Bundes nicht an die Engel verwiesen hat, sondern ihm von der Erde her Lehrer erweckte, die das Amt der Engel in Wahrheit ausüben sollten, so will er uns auch heute noch durch Menschen unterweisen. Und wie er sich einst nicht mit dem Gesetz allein begnügte, sondern auch die Priester als dessen Ausleger hinzugab, aus deren Munde das Volk den wahren Sinn des Gesetzes erforschen sollte, so will er auch heute nicht nur, daß wir fleißig in der Schrift lesen, sondern er setzt auch Lehrmeister über uns, durch deren Dienst wir Hilfe empfangen sollen. Daraus fließt uns ein zwiefacher Nutzen zu: auf der einen Seite stellt er so in meisterlicher Prüfung unseren Gehorsam auf die Probe, indem wir ja seine Diener nicht anders reden hören, als wenn wir ihn selbst vernähmen; auf der anderen Seite aber kommt er auch unserer Schwachheit zu Hilfe: er will uns lieber nach menschlicher Weise durch Ausleger anreden, um uns zu sich zu locken, als uns etwa mit seinem Donnern von sich wegzutreiben. Und wahrlich, wie segensreich diese vertrauliche Art der Unterweisung für uns ist, das erfahren alle Frommen aus dem Schrecken, mit dem sie Gottes Majestät verdientermaßen zu Boden wirft. Wer aber meint, die Autorität der Lehrer werde durch die Verächtlichkeit der Menschen, die zur Unterweisung berufen sind, zunichte gemacht, der legt damit seine Undankbarkeit an den Tag; denn unter all den vielen hervorragenden Gaben, mit denen Gott das Menschengeschlecht geziert hat, ist doch dieses Vorrecht ganz einzigartig, daß er sich herbeiläßt, den Mund und die Zunge von Menschen für sich zu weihen, damit in ihnen seine Stimme erschalle! Deshalb wollen wir es uns nicht verdrießen lassen, auch unsererseits die Lehre des Heils, wie sie uns auf sein Geheiß und durch seinen Mund vorgetragen wird, gehorsam anzunehmen; denn obwohl Gottes Kraft nicht an solche äußeren Mittel gefesselt ist, so hat er doch uns an diese geordnete Art der Unterweisung gebunden, und wenn die Schwarmgeister sich weigern, sich daran zu halten, so verwickeln sie sich in viele verderbliche Stricke. Viele treibt der Hochmut, die Aufgeblasenheit oder der Ehrgeiz dazu, daß sie sich einreden, wenn sie für sich allein die Schrift läsen und darüber nachdächten, so könnten sie genug Fortschritte machen, und daß sie auf solche Weise die öffentlichen Versammlungen mißachten und die Predigt für überflüssig halten. Da aber solche Leute das heilige Band der Einheit, soviel an ihnen ist, auflösen und zerreißen, so entgeht keiner der gerechten Strafe für solche gottlose Absonderung, sondern sie begeben sich alle in den Zauberkreis von verderbenbringenden Irrtümern und greulichen Wahnvorstellungen. Damit also die reine Einfalt des Glaubens bei uns herrsche, sollen wir keine Beschwernis darin finden, diese Übung der Frömmigkeit zu gebrauchen; denn Gott zeigt uns ja durch ihre Einsetzung, daß sie notwendig ist, und er empfiehlt sie uns so nachdrücklich! Gewiß hat sich auch unter den frechsten Hunden nie einer gefunden, der behauptet hätte, man müsse vor Gott seine Ohren verschließen, aber zu allen Zeiten hatten die Propheten und die frommen Lehrer einen harten Streit wider die Gottlosen zu führen, deren Halsstarrigkeit sich niemals unter dies Joch zu beugen vermag, daß sie durch den Mund und den Dienst von Menschen unterwiesen werden sollen. Das bedeutet aber genau so viel, als wenn man Gottes Angesicht, das uns in solcher Lehre entgegenleuchtet, austilgt. Denn wenn den Gläubigen einst geboten wurde, Gottes Angesicht im Heiligtum zu suchen (Ps. 105,4), und wenn diese Weisung im Gesetz so oft wiederholt wird (Ps. 27, 8; 100,2 u.a.), so geschah das aus keinem anderen Grunde, als weil für sie die Unterweisung im Gesetz und die prophetischen Vermahnungen das lebendige Ebenbild Gottes darstellten; so versichert ja auch Paulus, daß in seiner Predigt die „Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi“ aufleuchte (2. Kor. 4,6). Um so mehr muß man die Abtrünnigen verabscheuen, die darauf aus sind, die Kirchen zu spalten – genau, als wenn sie die Schafe aus den Hürden vertrieben und sie den Wölfen in den Rachen jagten! Wir dagegen müssen an dem festhalten, was wir eben aus Paulus anführten: die Kirche wird nicht anders als durch die äußerliche Predigt erbaut, und die Heiligen sind durch kein anderes Band miteinander zusammengehalten, als wenn sie einhellig lernend und weiterschreitend die Ordnung der Kirche wahren, die Gott vorgeschrieben hat. Vornehmlich zu diesem Zweck wurde einst, wie ich sagte, den Gläubigen unter dem Gesetz die Weisung erteilt, zum Heiligtum zusammenzukommen; denn wenn Mose von Gottes Wohnstatt redet, dann nennt er sie zugleich auch den Ort des Namens (Gottes), an welchem Gott „seines Namens Gedächtnis“ gestiftet habe (Ex. 20,24). Damit legt er offen dar, daß diese Stätte ohne die Unterweisung in der Frömmigkeit keinerlei Nutzen hat. Es ist auch kein Zweifel, daß eben die gleiche Ursache den David dazu gebracht hat, in unendlicher Bitterkeit seines Geistes darüber zu klagen, daß er durch das tyrannische Wüten der Feinde daran gehindert wurde, in Gottes Hütte zu treten (Ps. 84,2f.). Vielen scheint das eine geradezu kindische Klage zu sein, weil es doch ein sehr geringer Verlust wäre, den Vorhof des Tempels entbehren zu müssen, und weil man dadurch doch nicht eben viel Genuß einbüßte, sofern einem nur andere Vergnügungen zur Verfügung stünden. Trotzdem aber klagt David, da er durch diesen einen Kummer vor Angst und Traurigkeit gequält und gemartert wird, ja, sich beinahe verzehrt. Und das geschieht darum, weil bei den Gläubigen nichts höher gilt als dies Mittel, durch das Gott die Seinen stufenweise zur Höhe führt. Es ist nämlich auch noch zu bemerken, daß sich Gott den heiligen Vätern im Spiegel seiner Lehre dergestalt gezeigt hat, daß die Erkenntnis, die sie gewannen, etwas Geistliches sein sollte. Daher heißt auch der Tempel nicht allein sein „Angesicht“, sondern auch – zur Behebung jeglichen Aberglaubens – sein „Fußschemel“ (Ps. 99,5; 132,7; 1. Chron. 28,2). Da geschieht nun jenes glückselige Zusammenstreben zur Einheit des Glaubens, wenn sie alle, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, nach dem Haupte sich ausstrecken. Alles, was die Heiden Gott in anderer Absicht an Tempeln erbaut haben, das war bloß eine Entheiligung seiner Verehrung. Darin sind aber auch die Juden, wenn auch nicht ganz so grob, doch in einem gewissen Umfang verfallen. Das macht ihnen Stephanus zum Vorwurf, und er verwendet dabei die Worte des Jesaja: „Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind!“ (Apg. 7,48; nicht ganz Luthertext; Jes. 66,1f.). Denn Gott allein heiligt sich durch sein Wort Tempel zu rechtmäßigem Gebrauch. Und wenn wir in unserem Vorwitz etwas gegen seinen Befehl unternehmen, dann heften sich an den bösen Anfang sogleich auch weitere Phantastereien, durch die sich dann das Übel ohne Maß und Ziel weiter ausbreitet. Nichtsdestoweniger war es unbedacht, daß Xerxes auf den Rat seiner Magier alle Tempel Griechenlands verbrannte und zerstörte, weil er meinte, es sei widersinnig, daß die Götter, denen doch alles frei offenstehen müßte, zwischen Mauern und Dachziegeln eingeschlossen würden. Als ob es nicht in Gottes Macht stünde, gewissermaßen zu uns herabzusteigen, damit er uns nahe sei, und dabei doch nicht den Ort zu wechseln und uns nicht an irdische Mittel zu binden, sondern uns vielmehr gewissermaßen in einem Wagen zu seiner himmlischen Herrlichkeit emporzuführen, die in ihrer Unermeßlichkeit alles erfüllt und auch die Himmel an Hoheit überragt.



IV,1,6

Nun hat sich aber zu unserer Zeit über die Kraft des Predigtamtes ein großer Streit erhoben. Die einen preisen seine Würde überschwenglich, die anderen behaupten, es sei verkehrt, daß man einem sterblichen Menschen übertrage, was doch dem Heiligen Geiste allein eigen sei; das geschehe aber, wenn wir dafür halten, daß die Diener (am Wort) und die Lehrer in Verstand und Herz der Menschen eindringen, um die Blindheit des Verstandes und die Härtigkeit des Herzens zu beheben. Wir müssen also eine rechte Beschreibung dieser Meinungsverschiedenheit geben. Was nun auf beiden Seiten ins Treffen geführt wird, das läßt sich ohne Mühe leicht zum Austrag bringen, wenn man sein Augenmerk (1) scharf auf die Stellen richtet, an denen Gott, der Urheber der Predigt, seinen Geist mit ihr verbindet und daraus Frucht verheißt, wenn man aber auf der anderen Seite (2) auch auf jene Stellen achtet, an denen er sich von den äußeren Mitteln abtrennt und den Anfang wie auch den ganzen Lauf des Glaubens sich allein zuschreibt.

(1) Das Amt des zweiten Elia bestand nach dem Zeugnis des Maleachi darin, daß er den Verstand erleuchten, „das Herz der Väter zu den Kindern“ und die Ungläubigen zur Verständigkeit der Gerechten bekehren sollte (Mal. 3,23f. = 4,5f.). Christus spricht aus, daß er die Apostel sendet, damit sie aus ihrer Arbeit „Frucht bringen“ (Joh. 15,16), und was das für eine Frucht ist, das gibt Petrus mit kurzen Worten an, indem er sagte, wir würden „wiedergeboren … aus unvergänglichem Samen“ (1. Petr. 1,23). Deshalb rühmt sich Paulus, daß er die Korinther „durchs Evangelium“ „gezeugt“ hat (1. Kor. 4,15) und daß sie das „Siegel“ seines Apostelamtes sind (1. Kor. 9,2), ja, daß er nicht bloß ein Amt des Buchstabens führt und als solcher nur mit dem Klang seiner Stimme die Ohren getroffen hätte, sondern daß ihm die Wirkkraft des Geistes gegeben ist, damit seine Unterweisung nicht ohne Nutzen bleibt (2. Kor. 3,6). In diesem Sinne bezeugt er auch anderwärts, daß sein Evangelium nicht bloß in Worten geschehen ist, sondern in Kraft (1. Kor. 2,4). Auch erklärt er, daß die Galater „durch die Predigt vom Glauben“ den Heiligen Geist empfangen haben (Gal. 3,2). Und schließlich macht er sich an vielen Stellen nicht allein zu einem „Mitarbeiter“ Gottes, sondern er mißt sich auch die Amtsaufgabe zu, das Heil mitzuteilen (1. Kor. 3,9).

(2) Dies alles hat nun Paulus ohne Zweifel nie und nimmer in der Absicht ausgesprochen, sich selbst auch nur das Allermindeste abseits von Gott zuzuschreiben; er setzt uns das an anderer Stelle selbst kurz auseinander: „Unsere Arbeit ist nicht vergeblich gewesen in dem Herrn“ (1. Thess. 3,5; sehr ungenau) „nach der Wirkung des, der in mir kräftig wirkt!“ (Kol. 1,29). Ebenso sagt er anderwärts: „Der mit Petrus kräftig gewesen ist … unter den Juden, der ist mit mir auch kräftig gewesen unter den Heiden“ (Gal. 2,8). Wie rein gar nichts er aber den Dienern (am Wort) für sich allein übrigläßt, das geht aus anderen Stellen deutlich hervor. So spricht er: „So ist nun weder der da pflanzt, noch der da begießt, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“ (1. Kor. 3,7). Oder ebenso: „Ich habe viel mehr gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist“ (1. Kor. 15,10). Auch müssen wir unzweifelhaft jene Sprüche behalten, in denen sich Gott die Erleuchtung des Verstandes und die Erneuerung des Herzens zuschreibt und uns damit daran mahnt, daß es ein Frevel ist, wenn sich der Mensch irgendeinen Anteil an diesen beiden Gottestaten anmaßt. Indessen gilt es aber doch: wenn sich jeder den Dienern, die Gott über ihn stellt, gelehrig erweist, so wird er aus der ihm erwachsenden Frucht erkennen: es war nicht umsonst, daß Gott diese Art der Unterweisung gefallen hat, und es ist auch nicht umsonst, daß den Gläubigen dieses Joch der Bescheidenheit auferlegt ist.
Simon W.

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