Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Der Pilgrim
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IV,4,15

Obgleich dies nun allenthalben ohne Ausnahme geschah, wuchs doch nach und nach eine andersartige Gepflogenheit heran, nämlich daß sich die Gewählten in die Hauptstadt begaben, um die Ordination nachzusuchen. Das ist nun mehr aus Ehrgeiz und Verkehrung der alten Ordnung als aus irgendeinem guten Grunde geschehen. Nicht lange danach, als die Autorität des römischen Stuhls bereits größer geworden war, riß dann noch eine schlimmere Gewohnheit ein, daß nämlich die Bischöfe von fast ganz Italien ihre Einsegnung (Weihe) von Rom begehrten. Das läßt sich aus den Briefen Gregors ersehen. Nur wenigen Städten, die sich nicht so leicht hatten zurückdrängen lassen, blieb ihr altes Recht erhalten. So findet man bei Gregor das Beispiel Mailands erwähnt (Briefe III,30). Möglicherweise haben allein die Hauptstädte (d.h. die Sitze der Metropoliten) ihr Vorrecht behalten. Denn zur Einsegnung (Weihe) des Erzbischofs pflegten alle Bischöfe der Provinz eben in der Hauptstadt zusammenzukommen. Der bei der Ordination waltende gottesdienstliche Brauch war übrigens die Handauflegung. Soweit ich nämlich lese, hat man außerdem keinerlei Zeremonien angewandt, abgesehen davon, daß die Bischöfe bei der feierlichen Versammlung bestimmte Schmuckgewänder getragen haben, um dadurch von den anderen Presbytern unterschieden zu werden. Auch die Presbyter und Diakonen ordinierte man allein durch Handauflegung. Jeder Bischof aber ordinierte seine Presbyter zusammen mit dem Kollegium der (anderen) Presbyter. Obgleich nun (dabei) alle (d.h. Bischof und Presbyter) das gleiche taten, so sprach man doch von der Ordination „durch den Bischof“, weil dieser voranging und die Handlung gleichsam unter seiner Anleitung geschah. Daher kann man bei den Alten oft zu lesen bekommen, der Presbyter sei nur darin vom Bischof verschieden, daß er eben nicht die Vollmacht zur Ordination besitze.



Fünftes Kapitel: Die alte Form des Kirchenregiments ist durch die Tyrannei des Papsttums völlig zugrunde gerichtet worden



IV,5,1

Jetzt ist es erforderlich, die Ordnung der Kirchenleitung, wie sie heutzutage der römische Stuhl und alle seine Trabanten innehalten, dazu auch das ganze Bild jener Hierarchie, die sie immerzu im Munde führen, in Augenschein zu nehmen und mit der oben beschriebenen Ordnung der ursprünglichen, alten Kirche zu vergleichen. Aus dieser Gegenüberstellung soll dann deutlich werden, was das für eine Kirche ist, die jene Leute innehaben, die allein auf diesen Titel übermütig pochen, um uns damit zu beschweren oder vielmehr zu erdrücken. Am besten ist es, wenn wir dabei mit der Berufung beginnen, damit wir sehen, welche Leute bei ihnen zum kirchlichen Amt berufen werden, welcher Art sie sind und aufweiche Weise die Berufung geschieht. Danach werden wir dann auch betrachten, mit welcher Treue sie ihr Amt ausfüllen. Den ersten Platz wollen wir aber den Bischöfen geben – ach, wenn es ihnen doch Ehre einbringen könnte, bei dieser Erörterung an erster Stelle zu stehen! Aber die Sache selbst erträgt es nicht, daß ich diesen Gegenstand auch nur leicht berühre, ohne daß es ihnen zu größter Schande gereicht. Und doch werde ich im Auge behalten, mit was für einer Art von Schrift(stellerei) ich hier beschäftigt bin, und ich werde meine Darlegungen, die der schlichten Unterweisung dienen sollen, nicht über ihre Grenzen hinausgehen lassen. Trotzdem soll mir doch einer von denen, die noch nicht ganz und gar alle Scham verloren haben, Antwort geben, was für Bischöfe man heutzutage allenthalben erwählt. Eine Prüfung hinsichtlich der Lehre anzustellen, das ist wahrhaftig gar zu sehr in Abgang gekommen. Wenn man irgendwie auf Lehre Rücksicht nimmt, so wählt man irgendeinen Rechts gelehrten, der sich besser darauf versteht, vor Gericht einen Streit zu führen, als in der Kirche zu predigen. Das steht fest, daß in den letzten hundert Jahren unter hundert Bischöfen kaum einer erwählt worden ist, der etwas von der heiligen Lehre gewußt hätte. Die vorausgehenden Jahrhunderte schone ich nicht etwa deshalb, weil sie viel besser gewesen wären, sondern weil ich hier nur von der Kirche der Gegenwart reden will. Soll eine Beurteilung des Lebenswandels eintreten, so werden wir finden, daß da nur wenige oder nahezu gar keine gewesen sind, die die alten Rechtssatzungen nicht für unwürdig erklärt hätten. Wer kein Trunkenbold war, der war ein Hurer, wer auch von diesem Laster rein war, der war ein Spieler oder ein Jäger oder sonst in irgendeinem Stück seines Lebens ohne Zucht. Die Fehler nämlich, die auf Grund der alten Rechtssatzungen einen Menschen vom Bischofsamt ausschließen, sind leichter (als die eben genannten). Das weitaus Widersinnigste ist aber dies, daß man Knaben von kaum zehn Jahren mit Bewilligung des Papstes zu Bischöfen gemacht hat. Man ist eben bis zu einem solchen Grad von Schamlosigkeit und Abstumpfung gelangt, daß man nicht einmal vor jener äußersten und geradezu ungeheuerlichen Schandtat zurückschreckt, die selbst dem natürlichen Empfinden voll und ganz zuwider ist. Daraus geht deutlich hervor, was für „gottesfürchtige“ Wahlen das gewesen sind, bei denen eine derart leichtfertige Unachtsamkeit im Spiele war.



IV,5,2

Ferner ist bei der Wahl das ganze Recht des Volkes, von dem wir sprachen, aufgehoben worden. Wünsche, Bewilligungen, Unterschriften und alle Dinge dieser Art sind verschwunden. Die ganze Macht ist ausschließlich auf die Kanoniker übergegangen. Diese übertragen das Bischofsamt, wem sie wollen; den von ihnen Bestimmten führen sie dann tatsächlich alsbald vor das Angesicht des Volkes – aber nicht zur Prüfung, sondern zur Anbetung! Leo (I.) aber erklärt doch demgegenüber, ein solches Verfahren sei unter keinen Umständen zulässig, er sagt ausdrücklich, damit werde (der Bischof dem Volke) gewalttätig aufgedrängt! Cyprian bezeugt, es gehe aus göttlicher Rechtssetzung hervor, daß die Wahl nur mit Einwilligung des Volkes erfolgen darf, und damit zeigt er, daß die entgegengesetzte Gewohnheit mit dem Worte Gottes im Widerspruch steht. So viele Synodalbeschlüsse verbieten auf das strengste ein anderes Verfahren; und wenn etwas dergestalt Verbotenes doch geschehen ist, so gebieten sie, es solle ungültig sein. Wenn das wahr ist, so ist heutzutage im ganzen Papsttum keine einzige Wahl mehr übrig, die nach göttlichem oder kirchlichem Recht satzungsgemäß wäre. Aber wie werden sie es, selbst wenn sonst kein Übelstand vorhanden wäre, doch fertigbringen, die Tatsache zu entschuldigen, daß sie die Kirche solcher Gestalt ihres Rechtes beraubt haben? Sie sagen: Beim Volk und bei den Obrigkeiten hatten bei der Wahl der Bischöfe Haß und Eifer mehr Gewicht als rechtes und gesundes Urteil, und so erforderte es die Verderbnis der Zeiten, daß statt dessen die Entscheidung in dieser Sache wenigen übertragen wurde. – Geben wir zu, dies wäre wirklich unter solch jämmerlichen Umständen das äußerste Heilmittel gegen ein derartiges Übel gewesen. Aber es ist doch inzwischen offen zutage getreten, daß die Arznei schädlicher ist als die Krankheit selbst – weshalb tritt man nun nicht auch diesem neuen Übel entgegen? – Ja, antworten sie, aber es ist doch den Kanonikern selbst genau vorgeschrieben, an welche Regeln sie sich bei der Wahl zu halten haben. – Aber behaupten wir denn, das Volk habe in alter Zeit vielleicht nicht gewußt, daß es an höchst heilige Gesetze gebunden war, wo es doch sah, daß ihm aus dem Worte Gottes eine Regel gesetzt war, wenn es zur Wahl eines Bischofs zusammenkam? Denn jenes eine Wort Gottes, in dem er das wahre Bild eines Bischofs beschreibt, mußte doch verdientermaßen mehr Gewicht haben als ungezählte Tausende von kirchlichen Rechtssatzungen. Aber trotzdem war das Volk durch üble Gesinnung verdorben, so daß es auf Recht und Billigkeit keine Rücksicht nahm! So steht es auch heutzutage: obwohl sehr gute Gesetze geschrieben sind, bleiben sie doch in den Büchern begraben. Unterdessen ist es durch die Gewohnheit durchgängig zur Annahme gekommen und auch, als geschähe es aus begründeter Ursache, gebilligt worden, daß man Trunkenbolde, Hurer und Würfelspieler allenthalben zu solcher Ehre (nämlich zu der des Bischofsamtes) befördert, ja – ich sage noch zu wenig -, daß die Bischofssitze Belohnungen für Ehebruch und Kuppelei darstellen. Denn wenn sie (bloß) an Jäger und Vogelsteller vergeben werden, dann muß man (schon) meinen, die Sache sei hervorragend ausgefallen! Eine solche Unwürdigkeit auf irgendeine Weise zu entschuldigen, ist gar zu unverschämt. Das Volk hatte, so sagte ich, in alter Zeit eine sehr gute Richtschnur (zur Wahl); denn das Wort Gottes schrieb ihm vor, ein Bischof solle „unsträflich“, „lehrhaft“, „nicht zänkisch“ sein usw. (1. Tim. 3,1-7). Weshalb hat man nun die Aufgabe, Bischöfe zu wählen, dem Volke genommen und sie auf die Kanoniker übertragen? Darum (so sagt man), weil eben inmitten des Aufruhrs und der Parteiungen des Volkes das Wort Gottes nicht mehr vernommen wurde. Und weshalb nimmt man diese Aufgabe nicht heutzutage wieder den Kanonikern fort, die nicht nur alle Gesetze verletzen, sondern alle Scham von sich werfen und in ihrer Zügellosigkeit, ihrer Geld- und Ehrsucht Göttliches und Menschliches miteinander vermengen und verwirren?



IV,5,3

Es ist aber erlogen, wenn sie sagen, dies (neue) Verfahren habe man als Heilmittel aufgebracht. Wir lesen zwar, daß in alter Zeit die Städte bei der Wahl von Bischöfen oft in Aufruhr geraten sind, aber trotzdem hat niemand gewagt, daran zu denken, daß man den Bürgern dieses Recht wegnehmen sollte. Denn man hatte andere Wege, um entweder solchen Fehlern entgegenzutreten oder, wenn sie bereits begangen waren, für Abhilfe zu sorgen. Ich will aber sagen, wie die Sache sich verhält. Als das Volk bei dem Vollzug der Wahl nachlässiger zu werden anfing und diese Sorge, als ob sie ihm weniger anstünde, den Presbytern zuschob, da haben diese die gebotene Gelegenheit mißbraucht, um eine tyrannische Macht an sich zu reißen, die sie dann hernach durch Aufstellung neuer Rechtssatzungen befestigt haben. Die Ordination aber ist (bei den Papisten) nichts anderes als ein reiner Spott. Das Scheinbild einer Prüfung, das sie dabei an den Tag legen, ist dermaßen leer und inhaltlos, daß es sogar jeder Trugfarbe ermangelt. Wenn daher mancherorts die Fürsten von den römischen Päpsten durch Vertrag das Recht erlangt haben, selbst die Bischöfe zu benennen, dann ist damit der Kirche kein neuer Schaden zugefügt worden, weil ja damit die Wahl nur den Kanonikern genommen ist, die sie ohne jedes Recht geraubt oder jedenfalls gestohlen hatten. Wenn auf solche Weise die Bischöfe vom (fürstlichen) Hofe ausgesandt werden, um die Kirchen in Besitz zu nehmen, so ist das allerdings gewiß ein sehr übles Beispiel, und fromme Fürsten hätten die Pflicht, von solchem verderbten Brauch Abstand zu nehmen. Es ist nämlich jedesmal eine gottlose Beraubung der Kirche, wenn man irgendeinem Volke einen Bischof aufdrängt, den es nicht begehrt oder wenigstens mit freier Meinungsäußerung bestätigt hat. Aber tatsächlich hat jene unordentliche Gewohnheit, die seit langer Zeit in den Kirchen bestand, den Fürsten die Gelegenheit geboten, die Benennung der Bischöfe an sich zu ziehen. Sie wollten nämlich lieber, daß diese Wohltat von ihnen ausginge, als von denen, die ebensowenig ein Recht dazu hatten und sie nicht weniger übel mißbrauchten.
Simon W.

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IV,5,4

Das ist also die herrliche Berufung, um derentwillen die Bischöfe sich rühmen, sie wären die Nachfolger der Apostel! Sie behaupten nun aber weiter, das Recht zur Einsetzung der Presbyter stehe ihnen allein zu. Aber sie verderben die alte Einrichtung dadurch auf das übelste, daß sie mit ihrer Ordination eben nicht Presbyter einsetzen, die das Volk leiten und weiden, sondern vielmehr Priester, die opfern sollen. Ebenso: wenn sie Diakonen weihen, so kümmern sie sich nicht um deren wahre und eigentliche Amtspflicht, sondern sie ordinieren sie nur zu bestimmten Zeremonien bei Kelch und Schale. Auf der Synode von Chalcedon (451) hat man nun aber festgesetzt, es sollten keine „absoluten“ Ordinationen stattfinden, das heißt: keine, bei denen man nicht zugleich dem Ordinierten einen Platz anwiese, an dem er sein Amt ausüben sollte (vgl. Decretum Gratiani I,70,1). Dieser Beschluß ist in zwiefacher Hinsicht von höchstem Nutzen. Er dient erstens dazu, daß die Kirchen nicht mit überflüssigen Ausgaben belastet werden und nicht an untätige Leute Geld ausgegeben wird, das man an die Armen verteilen sollte. Zweitens dient er dazu, daß die, welche ordiniert werden, daran denken, daß sie nicht zu einer Ehre befördert, sondern mit einem Amte beauftragt werden, zu dessen Ausrichtung sie sich durch feierliche Bezeugung verpflichten. Die römischen Meister dagegen, die da meinen, man solle in der Religion für nichts anderes sorgen als für den Bauch, erklären, unter dem „Titel“ (im Sinne des obigen Beschlusses) sei ein Einkommen zu verstehen, das zum Lebensunterhalt ausreiche, ob es nun aus elterlichem Erbgut oder aus einem Priesteramt herfließe. Wenn sie also einen Diakon oder einen Presbyter ordinieren, so machen sie sich keine Sorge darum, wo diese ihr Amt ausüben sollen, sondern übertragen ihnen ihren Rang, wenn sie nur reich genug sind, um sich zu ernähren. Aber welcher Mensch wird annehmen wollen, daß der „Titel“, den der Beschluß des Konzils erfordert, ein jährliches Einkommen zum Lebensunterhalt bedeute? Nun haben die neueren Rechtssatzungen die Bischöfe, um ihr gar zu großes Entgegenkommen (bei der Ordination) zu dämpfen, zum Unterhalt derer verurteilt, die sie ohne geeigneten „Titel“ ordiniert haben. Aber da hat man sich denn auch eine Vorsichtsmaßregel ausgedacht, um mit ihrer Hilfe der Strafe zu entgehen. Derjenige, den man ordiniert, verspricht nämlich nach Nennung irgendeines „Titels“, er wolle damit zufrieden sein. Durch diese Abmachung wird ihm das Recht zu einer Klage auf Unterhalt entrissen. Ich will noch von den tausend Betrügereien schweigen, die dabei vorkommen. So erdichten sich einige Leute eitle „Titel“ von Priesterstellen, aus denen sie nicht fünf Heller im Jahre zusammenbringen können. Andere erhalten auf Grund heimlicher Verabredung eine Pfründe geliehen, und sie versprechen, sie sofort zurückzugeben, geben sie aber zuweilen nicht zurück. Dazu kommen dann noch andere „Geheimnisse“ dieser Art.



IV,5,5

Aber selbst wenn diese gröberen Mißbräuche behoben werden sollten – bleibt es dann nicht doch immerfort ein Widersinn, einen Presbyter einzusetzen, dem man keinen Platz (zur Ausübung seines Dienstes) anweist? Denn die Papisten ordinieren tatsächlich niemanden zu einem anderen Dienst als allein zum Opfern. Die rechtmäßige Ordination eines Presbyters geschieht dagegen dann, wenn man ihn zur Regierung einer Kirche, diejenige eines Diakons, wenn man ihn zur Verwaltung der Almosen beruft. Sie umgeben zwar das, was sie tun, mit viel Gepränge, damit es unter solchem Schein bei schlichten Leuten Verehrung genießt. Aber was können solche Larven bei vernünftigen Menschen für einen Wert haben, wo doch nichts Festes und Wahres dahinter steckt? Denn sie wenden Zeremonien an, die sie entweder aus dem Judentum herbeiholen oder aus sich selbst heraus zusammendichten – und von denen man besser Abstand nähme! Von der wahren Prüfung (in der Lehre) aber – denn bei jenem Schatten, den sie beibehalten, halte ich mich nicht auf -, von der Einwilligung des Volkes und von anderen notwendigen Dingen ist keine Rede. Einen „Schatten“ nenne ich jene lächerlichen Gebärden, die danach gemacht sind, die alte Zeit unpassend und inhaltslos nachzuahmen. Die Bischöfe haben ihre Vikare, die vor der Ordination eine Untersuchung über die Lehre anstellen. Aber was stellen sie da für Fragen? Sie erkundigen sich, ob die Anwärter auch ihre Messen lesen können, ob sie irgendein gewöhnliches Hauptwort, das in der Lesung vorkommt, zu deklinieren oder irgendein Zeitwort zu konjugieren vermögen oder ob sie die Bedeutung eines einzigen Ausdrucks kennen – denn es ist nicht erforderlich, daß sie den Sinn auch nur eines einzigen Versleins wiederzugeben verstehen! Trotzdem werden auch die, die in diesen kindlichen Anfangsgründen versagen, nicht gleich vom Priestertum ausgeschlossen, wenn sie nur irgendeine Empfehlung an Geld oder Gunst beibringen. Aus dem gleichen Mehl ist dann das nächste gebacken: wenn die, die ordiniert werden sollen, vor den Altar gestellt werden, dann fragt man dreimal mit Worten, die niemand versteht, ob sie auch dieser Ehre würdig seien; dann ist da einer, der sie nie zu Gesichte bekommen hat, der aber, damit nichts an der gesetzten Form fehlt, im Spiel diese Rolle überkommen hat – und der antwortet: „Sie sind würdig“! Was soll man gegen diese verehrungswürdigen Väter anders für eine Beschuldigung vorbringen als dies, daß sie in solch offenem Frevel ihr Spiel treiben und damit Gott und Menschen ohne Scham verlachen? Aber weil sie bereits lange Zeit im „Besitz“ dieser Sache sind, so meinen sie, das sei ihnen nun erlaubt. Wenn nun aber jemand gegen so offenkundige und furchtbare Laster den Mund aufzutun wagt, so wird er von ihnen gleich vor Gericht geschleppt, als ob er ein todeswürdiges Verbrechen begangen hätte – wie der Mann, der einst die heiligen Geheimnisse der Ceres in die Öffentlichkeit gebracht hatte! Würden sie das wohl tun, wenn sie meinten, es gäbe einen Gott?



IV,5,6

Wie steht es nun mit der Austeilung der Pfründen (Benefizien), die einst mit der Ordination verbunden war, jetzt aber völlig von ihr getrennt ist? Wieviel besser führen sich die Papisten dabei auf? Hier besteht nun bei ihnen eine vielfältige Art und Weise. Denn die Bischöfe sind nicht die einzigen, die Priesterstellen verleihen, und auch bei solchen Stellen, deren „Kollatoren“ (Besetzungsberechtigte) sie heißen, haben sie nicht immer volles Recht, sondern andere haben (oft) das Benennungsrecht (praesentatio), die Bischöfe selber aber behalten zu ihrer Ehrung den Titel des Besetzungsrechts bei. Dazu kommen dann noch die Pfründenverleihungen auf der Schulbank, die „Resignationen“, und zwar „einfache“ oder auch solche, die auf Grund eines Austauschs erfolgen, dazu die Empfehlungsschreiben, die „Präventionen“ (Vorgriffsrechte) und was dergleichen mehr ist. Aber die Beteiligten verhalten sich alle so, daß keiner von ihnen dem anderen einen Vorwurf machen kann! So behaupte ich: im Papsttum wird heutzutage unter hundert Pfründen kaum eine ohne Simonie vergeben, wenn wir die Simonie so verstehen, wie die Alten sie definiert haben. Ich sage nicht, daß sie alle ihre Pfründen mit barem Gelde kaufen – aber man soll mir von zwanzig auch nur einen zeigen, der durch keinerlei versteckte Empfehlung zum Priesteramt käme! Die einen erlangen ihre Beförderung durch Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung, die anderen durch das Ansehen ihrer Eltern, wieder andere erwerben sich Gunst durch Dienstwilligkeit. Kurzum, die Pfründen werden nicht etwa zu dem Zweck vergeben, daß dadurch die Kirchen versorgt würden, sondern vielmehr, daß für die Leute gesorgt wird, die sie bekommen. Deshalb nennt man sie ja auch „Benefizien“ (Wohltaten) – ein Name, mit dem man genugsam zu erkennen gibt, daß man sie nicht anders einschätzt als die Schenkungen von Fürsten, mit denen sich diese die Gunst ihrer Kriegsleute erwerben oder auch ihre Anstrengungen belohnen. Ich übergehe dabei noch, daß man solche „Belohnungen“ auch an Barbiere, Köche, Maultiertreiber und andere Leute dieses Schlags vergibt. Zudem hallen heutzutage die Gerichte fast von keinen Streitigkeiten mehr wider als von solchen, die sich um Pfründen drehen – man könnte geradezu sagen, daß die Pfründen nichts anderes sind als eine Beute, die man den Hunden zur Jagd vorwirft! Ist es nicht unerträglich zu hören, daß man Leute als „Hirten“ bezeichnet, die in den Besitz einer Kirche eingebrochen sind, als wäre sie ein feindliches Gebiet, die diesen Besitz als Siegesbeute durch Streitereien vor Gericht gewonnen oder mit Geld erkauft oder mit schmutzigen Diensten erworben haben, die als Knaben, die kaum zu stammeln vermochten, in solchen Besitz hineingewachsen sind, als sei er ein Erbbesitz von ihren Onkeln oder verwandten oder zuweilen gar – sofern sie Bastarde sind – von ihren Vätern her?



IV,5,7

Wäre wohl die Zügellosigkeit des Volkes, so verderbt und gesetzlos es aicj gewesen sein mag, je soweit gegangen? Eine noch größere Ungeheuerlichkeit ist es aber, daß ein einziger Mensch – ich sage nichts davon, was für einer, jedenfalls aber einer, der sich selber nicht zu regieren vermag – an die Spitze von fünf oder sechs Kirchen gestellt wird, um sie zu „leiten“. Man kann heutzutage an den Fürstenhöfen junge Männer sehen, die dreimal Äbte, zweimal Bischöfe und einmal Erzbischöfe sind. Durchgängig aber sind sie Kanoniker, mit fünf, sechs, sieben Pfründen beladen, um die sie sich durchaus nur insofern sorgen, als sie sich eben darum kümmern, Einkünfte aus ihnen zu empfangen. Ich will da nicht den Einwurf machen, daß Gottes Wort dagegen allenthalben Einspruch erhebt – denn das hat bei diesen Leuten seit langer Zeit aufgehört, auch nur die mindeste Bedeutung zu haben. Ich will auch nicht den Einwurf machen, daß man auf vielen Konzilien gegen diese Unverschämtheit die schärfsten Verordnungen erlassen hat – denn auch diese verachten sie wacker, so oft es ihnen paßt. Ich sage aber dies: daß ein einziger Räuber viele Kirchen zugleich mit Beschlag belegt, und daß man einen Menschen als „Hirten“ bezeichnet, der, selbst wenn er will, nicht bei seiner Herde sein kann – das sind beides ungeheuerliche Schändlichkeiten, die Gott, der Natur und dem Kirchenregiment ganz und gar zuwider sind. Und doch verdeckt man in seiner Schamlosigkeit solch widerwärtige Greuel hinter dem Namen der Kirche, um sie jedem Vorwurf zu entziehen. Ja, „wenn es Gott gefällt“, so besteht in diesen Nichtsnutzigkeiten jene hochheilige Aufeinanderfolge (der Bischöfe), deren Verdienst es, wie sie rühmen, zuwege gebracht hat, daß die Kirche nicht untergegangen ist.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,5,8

Jetzt wollen wir zusehen, mit welcher Treue sie ihr Amt ausüben; denn das ist das zweite Kennzeichen, nach dem man einen rechtmäßigen Hirten beurteilen soll. Unter den Priestern, die man bei den Papisten einsetzt, sind die einen Mönche, die anderen sogenannte Weltpriester. Dabei ist der erste Haufe der Alten Kirche unbekannt gewesen. Auch steht das Innehaben einer solchen Stelle (nämlich des Priesteramts) in der Kirche mit dem Mönchsberuf in einem solchen Gegensatz, daß Leute, die einst aus den Klöstern heraus in den Klerus aufgenommen wurden, aufhörten Mönche zu sein. Ja, selbst Gregor (I.), zu dessen Zeiten die Kirche bereits sehr viel Unsauberkeit an sich trug, hat trotzdem nicht geduldet, daß eine derartige Verwirrung eintrat. Er will nämlich, daß Leute, die Äbte geworden sind, auf ihren Stand als Kleriker verzichten, und zwar, weil niemand zu gleicher Zeit rechtmäßig Mönch und Kleriker sein könne, da eben eins für das andere ein Hindernis sei (Brief IV,11). Wenn ich nun frage, wieso denn einer, den die kirchlichen Rechtssatzungen für nicht geeignet erklären, sein Amt recht ausfüllen könne – was will man mir dann, das möchte ich zu gerne wissen, für eine Antwort geben? Man wird mir natürlich jene unzeitig zur Welt gekommenen Anordnungen des Innozenz und des Bonifaz zitieren, nach denen Mönche zur Würde und Vollmacht des Priesteramtes zugelassen werden und doch gleichzeitig in ihren Klöstern verbleiben. Aber was ist das für eine Sache, daß irgendein ungelehrter Esel, sobald er nur den römischen Stuhl in Beschlag genommen hat, die ganze alte Ordnung mit einem einzigen Wörtlein über den Haufen wirft? Aber darüber nachher. Für jetzt soll die Feststellung genügen, daß man es in der reineren Kirche für einen großen Widersinn gehalten hat, wenn ein Mönch das Priesteramt ausübte. Denn Hieronymus erklärt, daß er, solange er unter den Mönchen lebt, nicht die Amtspflicht eines Priesters verrichtet; nein, er betrachtet sich als einen aus dem Volke, der von den Priestern regiert wird. Aber lassen wir ihnen das selbst durchgehen, so bleibt doch die Frage, was für eine Amtspflicht sie eigentlich erfüllen. Einige von den Bettelmönchen predigen. Alle anderen Mönche singen und murmeln Messen in ihren Winkeln. Als ob es nach dem Willen Christi wäre oder als ob es das Wesen dieses Amtes duldete, daß man sie zu diesem Zweck zu Presbytern („Priestern“) machte! Die Schrift bezeugt doch offen und klar, daß ein Presbyter die Aufgabe hat, seine eigene Kirche zu regieren (Apg. 20,28). Ist es dann nicht eine gottlose Entweihung, wenn man die heilige Stiftung Gottes in eine andere Richtung bringt, ja, wenn man sie voll und ganz verwandelt? Denn wenn die Mönche ordiniert werden, so wird ihnen doch ausdrücklich verboten, das zu tun, was Gott allen Presbytern („Priestern“) als Pflicht auferlegt hat. Es wird ihnen doch das Liedlein gesungen: Ein Mönch soll sich mit seinem Kloster zufrieden geben und sich nicht unterstehen, die Sakramente zu verwalten oder sonst irgend etwas zu verrichten, was Sache des öffentlichen Amtes ist. Nun sollen sie es doch, wenn sie können, bestreiten, daß es eine offene Verspottung Gottes ist, wenn man einen zu dem Zweck als Presbyter einsetzt, daß er sich seiner wahren und reinen Amtspflicht enthält, und wenn einer, der den Namen hat, die (zugehörige) Sache nicht haben kann!



IV,5,9

Jetzt komme ich zu den Weltpriestern. Diese sind zum Teil Pfründner, wie man sagt; das heißt: sie haben Priesterstellen, um sich von ihnen zu ernähren. Zum anderen Teil vermieten sie ihre täglichen Dienste zum Messelesen und Singen, und sie fristen ihr Leben gleichsam von dem (dabei) aufgebrachten Lohn. Die Pfründen umfassen zum Teil die Seelsorge, wie z.B. Bistümer und Pfarreien; zum Teil sind sie eine Besoldung für verwöhnte Leute, die sich mit Singen ihr Brot verdienen, so z.B. die Praebenden, Kanonikerstellen, Personate, Dignitäten (bestimmte Domherrenstellen), Kaplansstellen und dergleichen. Allerdings werden, wo die Dinge oben und unten bereits voll und ganz über den Haufen geworfen sind, auch Abts- und Priorstellen nicht nur an Weltpriester, sondern auch – durch „Privileg“, das heißt nach allgemeiner, gebräuchlicher Gewohnheit – an Knaben vergeben. Was nun die Lohnpriester betrifft, die Tag für Tag ihren Unterhalt suchen – was sollten die anders machen, als sie wirklich tun? Was sollten sie anders machen, als daß sie sich in einer Weise, die eines freien Mannes unwürdig und die beschämend ist, zu schnödem Gewinn mißbrauchen lassen? Vor allem in der Menge, in der heutzutage die Welt von ihnen überströmt! Weil sie nun also nicht öffentlich zu betteln wagen oder weil sie meinen, auf diesem Wege allzu wenig zu erreichen, so laufen sie wie hungrige Hunde umher und pressen den Menschen, die nicht wollen, durch ihr unverschämtes Geilen wie durch Gebell etwas ab, um damit ihren mageren Leib zu füllen. Wenn ich nun hier versuchte, mit Worten darzutun, was für eine Schande es der Kirche bringt, daß die Ehre und das Amt eines Presbyters so weit heruntergekommen sind, so würde ich kein Ende finden. Die Leser haben also keinen Anlaß, von mir eine Rede zu erwarten, die einer solch schandbaren Unwürdigkeit entspräche. Ich sage nur kurz: nach der Vorschrift des Wortes Gottes (1. Kor. 4,1) und auch nach den Erfordernissen der alten Kirchensatzungen hat der Presbyter die Amtsverpflichtung, die Kirche zu weiden und Christi geistliches Reich zu verwalten; wenn es aber so steht, dann gilt von all solchen Meßpriestern, die ihre Arbeit und ihren Lohn bloß beim Handel mit Messen finden, daß sie nicht nur ihre Amtspflicht unterlassen, sondern überhaupt kein rechtmäßiges Amt haben, das sie ausüben könnten. Denn es bietet sich ihnen gar keine Gelegenheit zur Unterweisung, und sie haben auch keine Gemeinde, die sie regieren könnten. Kurzum, es bleibt ihnen nichts außer dem Altar, um Christus darauf zu „opfern“ – das bedeutet aber, wie wir an anderer Stelle sehen werden, nicht etwa, Gott Opfer zu bringen, sondern den Teufeln!



IV,5,10

Ich berühre hier nicht die von außen hinzukommenden Gebrechen, sondern ausschließlich den inwendigen Schaden, der ihrer Gestaltung der Dinge von der Wurzel her anhaftet. Ich will noch ein Wörtlein zufügen, das in ihren Ohren übel klingen wird; aber weil es wahr ist, darum muß man es aussprechen: Alle Kanoniker, Dekane, Kaplane, Pröpste und all jene Leute, die sich von müßigen Priesterämtern ernähren, sind (mit den oben genannten Meßpriestern) auf eine Linie zu stellen! Denn was für einen Dienst können sie der Kirche leisten? Sie haben doch die Predigt des Wortes, die Sorge für die kirchliche Zucht und die Verwaltung der Sakramente als gar zu unbequeme Belastungen von sich abgeschoben! Was ist ihnen also übriggeblieben, auf Grund dessen sie sich rühmen könnten, sie seien wahre Presbyter? Selbstverständlich das Singen und das Gepränge der Zeremonien. Aber was hat das mit der Sache zu tun? Wenn sie sich auf die Gewohnheit, die Übung und den zwingenden Einfluß der langen Zeit berufen, so verweise ich demgegenüber auf Christi Bestimmung (des Amtes), in der er uns die wahren Presbyter beschrieben und damit gezeigt hat, was die haben müssen, die als solche angesehen werden wollen. Wenn sie nun aber ein so hartes Gesetz nicht zu tragen vermögen, daß sie sich der Regel Christi unterwerfen, so sollen sie wenigstens zulassen, daß diese Sache auf Grund der Autorität der ursprünglichen Kirche abgemacht wird. Aber sie werden keineswegs besser daran sein, wenn über ihren Zustand nach den alten Kirchensatzungen geurteilt wird. Die Leute, die (heutzutage) zu Kanonikern entartet sind, sollten eigentlich Presbyter sein, so wie es einst die waren, die mit dem Bischof gemeinsam die Kirche leiteten und gleichsam im Hirtenamt seine Amtsgenossen waren. Jene sogenannten „Würdenträger in den Kapiteln“ (dignitates capitulares) haben überhaupt mit der wahren Regierung der Kirche nichts zu tun, noch viel weniger die Kaplanschaften und der sonstige Bodensatz solcher Titel. Wofür sollen wir sie deshalb alle miteinander halten? Auf jeden Fall schließt sie das Wort Christi und auch der Brauch der Alten Kirche von der Ehre des Presbyteramtes aus. Trotzdem behaupten sie, sie seien Presbyter. Aber man muß ihnen die Maske vom Gesicht reißen; dann werden wir finden, daß ihr ganzer Beruf mit jenem Amt der Presbyter, das uns die Apostel beschreiben und das in der ursprünglichen Kirche gefordert wurde, rein nichts zu tun hat und weit von ihm entfernt ist. Alle solchen Rangstufen – mit was für Titeln sie auch ausgezeichnet sein mögen – sind also neue Fündlein, die jedenfalls weder auf Gottes Stiftung, noch auf die Ordnung der Alten Kirche gestützt sind, und deshalb dürfen sie in der Ordnung des geistlichen Regiments, das die Kirche als von dem Mund des Herrn selber geheiligt empfangen hat, keinen Platz einnehmen. Oder – wenn sie lieber wollen, daß ich ungeschliffener und gröber rede -: da die Kapläne, Kanoniker, Dekane, Pröpste und dergleichen faule Bäuche nicht einmal mit dem kleinsten Finger irgendein Stücklein von jener Amtspflicht anrühren, die von den Presbytern notwendig verlangt wird, so ist es nicht zu ertragen, daß sie sich fälschlich solche Ehre anmaßen und dadurch Christi heilige Stiftung entweihen.



IV,5,11

Jetzt sind noch die Bischöfe und die Pfarrherren übrig. Ach, wenn sie sich doch anstrengten, bei ihrer Amtspflicht zu bleiben! Denn wir würden ihnen gern zugeben, daß sie ein frommes und herrliches Amt haben- wenn sie es nur ausübten! Aber wenn sie die ihnen anvertrauten Kirchen verlassen, die Sorge um sie auf andere abwälzen und trotzdem für „Hirten“ gehalten werden wollen, so tun sie gerade so, als ob das Amt eines Hirten darin bestände, nichts zu tun. Wenn sich ein Wucherer, der nie einen Fuß vor die Stadt gesetzt hätte, für einen Bauern oder Weingärtner ausgäbe, oder wenn sich ein Kriegsknecht, der fortgesetzt auf dem Schlachtfeld oder im Lager lebte, aber nie ein Gericht oder Bücher zu sehen bekommen hätte, für einen Rechtsgelehrten verkaufen wollte – wer wollte dann solche unsinnigen Nichtsnutzigkeiten ertragen? Aber diese Leute tun noch etwas wesentlich Widersinnigeres, indem sie als rechtmäßige Hirten der Kirche erscheinen und bezeichnet werden möchten und es doch nicht (einmal) sein wollen. Denn wie wenige sind unter ihnen, die auch nur zum Schein die Regierung ihrer Kirche führen! Die meisten verzehren ihr Leben lang die Einkünfte von Kirchen, die sie nicht einmal zum Zweck der Aufsichtsführung je besuchen. Andere kommen im Jahre einmal selber hin oder schicken ihren Verwalter, damit nichts an der Pacht in Verlust gerät. Als diese Verderbnis zuerst aufkam, da machten sich die, die diese Art von Müßiggang genießen wollten, noch durch (besondere) Privilegien frei; jetzt aber ist es ein seltenes Beispiel, wenn jemand in seiner Kirche wohnt. Sie sehen nämlich in den Kirchen nichts anderes als Landhäuser, deren Leitung sie ihren Vikaren gleich Verwaltern oder Pächtern übertragen. Aber das ist auch selbst dem natürlichen Empfinden zuwider, daß einer der Hirte einer Herde ist, der nie ein Schaf aus ihr zu sehen bekommen hat.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,5,12

Schon zur Zeit Gregors (I.) sind offenbar gewisse Keime des Übelstandes vorhanden gewesen, daß die Vorsteher der Kirchen in der Unterweisung recht nachlässig zu sein begannen; denn an einer Stelle führt er darüber ernste Klage. „Die Welt“, sagt er, „ist voll von Priestern, und doch findet man selten einen Arbeiter in der Ernte; denn wir übernehmen zwar das priesterliche Amt, aber das Werk, das zu diesem Amt gehört, das richten wir nicht aus“ (Predigten über die Evangelien I,17,3). Ebenso: „Weil sie das Herzblut der Liebe nicht haben, darum wollen sie als Herren angesehen werden; aber daß sie Vater sind, das erkennen sie überhaupt nicht; den Platz der Niedrigkeit verwandeln sie in den Stolz der Herrschaft“ (Ebenda). Oder ebenso: „Aber wir, ihr Hirten, was tun wir, wenn wir den Lohn empfangen, aber keine Werkleute sind? … Wir sind auf Dinge verfallen, die uns nichts angehen. Wir übernehmen das eine, aber wir tun etwas anderes. Wir verlassen den Dienst der Predigt, und wie ich sehe, werden wir zu unserer Strafe Bischöfe genannt, wir, die wir allein den Titel der Ehre, nicht aber den der Tugend führen“ (Ebenda). Wenn Gregor solch harte Worte gegen Leute gebraucht, die in ihrem Amte bloß weniger eifrig und fleißig waren – was würde er dann wohl, frage ich, sagen, wenn er sähe, daß unter den Bischöfen fast keiner oder jedenfalls nur selten einer, unter den übrigen kaum einer unter hundert je eine Kanzel besteigt? Denn man ist dermaßen von Sinnen geraten, daß es allgemein als eine Sache gilt, die unter der Würde eines Bischofs ist, wenn einer eine Predigt an das Volk hält. Zur Zeit des Bernhard (von Clairvaux) waren die Dinge bereits wesentlich schlimmer in Verfall geraten (als zu Gregors Zeiten); aber wir sehen auch, mit was für bitteren Vorwürfen er gegen den ganzen Stand losfährt; und doch ist anzunehmen, daß dieser damals nicht wenig besser in Ordnung war, als er es heute ist.



IV,5,13

Wenn jemand die ganze Gestalt des Kirchenregiments, wie sie heutzutage unter dem Papsttum besteht, gehörig erwägt und untersucht, so wird er finden, daß es keine Räuberhöhle gibt, in der die Räuber willkürlicher ohne Gesetz und Maß wüteten. Auf jeden Fall ist dort alles der Einsetzung Christi dermaßen unähnlich, ja fremd, man ist von den alten Einrichtungen und Sitten der Kirche dermaßen abgefallen, man lebt in solchem Widerspruch gegen Natur und Vernunft, daß man Christus gar keine größere Unehre antun kann, als indem man seinen Namen als Vorwand zur Verteidigung solch ordnungswidrigen Regiments benutzt. Wir sind – so sagt man – die Pfeiler der Kirche, die Obersten in der Religion, wir sind die Stellvertreter Christi, die Häupter der Gläubigen; denn die apostolische Vollmacht ist durch die Aufeinanderfolge (der Bischöfe) auf uns gekommen. Immerzu brüsten sie sich mit solchen Nichtsnutzigkeiten – als ob sie zu Klötzen sprächen! Jedesmal aber, wenn sie darauf pochen, so frage ich sie wiederum, was sie denn mit den Aposteln gemeinsam hätten. Denn es handelt sich hier nicht um eine erbliche Würde, die man einem im Schlafe übertragen könnte, sondern um das Predigtamt, dem sie so sehr aus dem Wege gehen. Und ähnlich: wenn wir erklären, ihr Regiment sei die Tyrannei des Antichrists, so wenden sie immerzu ein, es sei jene verehrungswürdige „Hierarchie“, die so oft von großen und heiligen Männern gepriesen worden sei. Als ob die heiligen Väter, wenn sie die kirchliche Hierarchie oder das geistliche Regiment, wie es ihnen von den Aposteln überliefert war, hoch rühmten, im Traum an dieses mißgestaltete und von Verwüstung erfüllte Chaos gedacht hätten, wo die Bischöfe entweder zuallermeist ungebildete Esel sind, die nicht einmal die ersten und bekanntesten Grundelemente des Glaubens kennen, oder auch Kinder, die eben frisch von der Säugamme kommen, wo, wenn es einige gibt, die etwas gelehrter sind – was jedoch selten der Fall ist -, diese das Bischofsamt für nichts anderes halten als für einen Titel von Prunk und Gepränge, wo die Vorsteher der Kirchen ebensowenig an das Weiden ihrer Herde denken wie der Schuster ans Ackerbauen, und wo alles in einer mehr als babylonischen Verwirrung so durcheinandergebracht ist, daß von der Einrichtung der Väter keine unversehrte Spur mehr zum Vorschein kommt.



IV,5,14

Wie sieht es nun aus, wenn wir jetzt auf den Lebenswandel zu sprechen kommen? Wo ist da wohl jenes „Licht der Welt“, das Christus fordert, wo ist das „Salz der Erde“ (Matth. 5,14.13)? Wo ist wohl jene Heiligkeit, die gleichsam als beständige Lebensregel dienen könnte? Kein Stand unter den Menschen ist heutzutage berüchtigter wegen seiner Ausschweifungen, seiner Verweichlichung, seiner Vergnügungen, kurz jeder Art von Begierden, aus keinem Stand kommen geschicktere und erfahrenere Meister in allerlei Falschheit, Betrug, Verrat und Treulosigkeit, nirgendwo findet man soviel Getriebenheit und Verwegenheit, Schaden zu tun! Ich schweige noch von der Aufgeblasenheit und dem Hochmut, der Raubgier und der Wildheit. Ich schweige von der ungebundenen Willkür in allen Stücken der Lebensführung. Die Welt ist es dermaßen müde, sich dergleichen gefallen zu lassen, daß ich nicht befürchten muß, den Anschein zu erwecken, als ob ich etwas gar zu sehr übertriebe. Ich sage nur eins, was sie selber nicht werden leugnen können: wenn man auf Grund der alten Kirchensatzungen ein Urteil über ihren Lebenswandel sprechen sollte, so wäre unter den Bischöfen beinahe nicht ein einziger, unter den Vorstehern der Pfarreien nicht einer unter hundert, der nicht in den Bann getan oder wenigstens seines Amtes entsetzt werden müßte. Es hat den Anschein, als ob ich etwas Unglaubliches ausspräche, so sehr ist die alte Zucht, die eine schärfere Untersuchung über den Lebenswandel des Klerus vorzunehmen gebot, in Abgang geraten; aber die Verhältnisse sind tatsächlich so! Jetzt sollen die, die unter der Fahne und Leitung des römischen Stuhles Kriegsdienst tun, ruhig hingehen und sich des Priesterstandes rühmen, der bei ihnen vorhanden ist. Jedenfalls stammt der, den sie haben, offenbar weder von Christus noch von seinen Aposteln, noch von den Vätern, noch von der Alten Kirche.



IV,5,15

Jetzt sollen die Diakonen hervortreten, dazu auch jene hochheilige Austeilung der kirchlichen Güter, die sie üben: Allerdings setzen sie ihre Diakonen keineswegs mehr zu diesem Behuf ein; denn sie tragen ihnen nichts anderes auf, als daß sie Altardienst verrichten, das Evangelium verlesen und singen und wer weiß was sonst für Possen treiben. Keine Rede von Almosen, keine Rede von der Fürsorge für die Armen, keine Rede von der ganzen Amtsaufgabe, die sie einstmals innehatten! Ich rede hier von der eigentlichen Einrichtung (des Diakonenamtes); denn wenn wir auf das blicken, was sie verrichten, dann haben sie tatsächlich kein Amt, sondern es handelt sich nur um eine Stufe zur Presbyterwürde. In einem einzigen Stück legen die, die in der Messe als Diakonen wirken, einen leeren Schein der alten Einrichtung an den Tag: sie nehmen nämlich vor der Konsekration die Opfergaben in Empfang. Die alte Gewohnheit bestand darin, daß sich die Gläubigen vor dem gemeinschaftlichen Genuß des heiligen Abendmahls gegenseitig küßten und ihre Almosen am Altar opferten; so gaben sie zunächst durch jenes Merkzeichen (den Kuß) und dann auch durch Wohltun selbst ihre Liebe zu erkennen. Der Diakon, der ja der Verwalter für die Armen war, nahm das, was gegeben wurde, in Empfang, um es zu verteilen. Heutzutage aber kommt den Armen von jenen Almosen ebensowenig zugute, als wenn sie (alle) ins Meer geworfen würden. Mit solchem lügenhaften „Diakonat“ verspottet man also die Kirche. Auf jeden Fall haben die Papisten darin nichts, was mit der apostolischen Stiftung oder auch mit dem, was die Alten beobachtet haben, eine Ähnlichkeit hätte. Die Austeilung der Güter selbst aber haben sie anderswohin verbracht und so eingerichtet, daß man sich nichts Ordnungswidrigeres vorstellen kann. Wie nämlich die Räuber, nachdem sie den Menschen den Hals herumgedreht haben, die Beute unter sich verteilen, so machen sie es auch: nachdem das Licht des Wortes Gottes ausgelöscht und die Kirche gleichsam erwürgt ist, sind sie auf die Meinung geraten, daß alles, was man zu heiligem Gebrauch geweiht hat, dem Raub und der Ausplünderung preisgegeben sei. Deshalb haben sie es verteilt, und dann hat sich jeder errafft, soviel er vermochte.



IV,5,16

Hier sind alle jene alten Grundsätze, die wir dargelegt haben, nicht allein durcheinandergebracht, sondern ausgetilgt und zunichte gemacht. Das beste Stück (aus den Kirchengütern) haben die Bischöfe und die städtischen Presbyter (Stadtpriester), die, durch diese Beute reich geworden, in Kanoniker verwandelt worden sind, plündernd untereinander verteilt. Daß die Verteilung trotzdem unter Tumult vor sich gegangen ist, wird daran offenbar, daß sie bis auf den heutigen Tag über die (gegenseitigen) Grenzen miteinander im Streite liegen. Wie dem auch sei – durch diese Abmachung ist dafür gesorgt, daß von allen Gütern der Kirche nicht ein einziger Pfennig an die Armen gelangt, denen sie doch wenigstens zur Hälfte zukamen. Denn die Kirchensatzungen sprechen ihnen ausdrücklich den vierten Teil (des Kirchenvermögens) zu, und ein weiteres viertel weisen sie den Bischöfen zu dem Zweck zu, daß sie es zur Gastfreiheit und zu anderen Pflichten der Wohltätigkeit ausgeben. Ich schweige davon, was die Kleriker mit ihrem Anteil machen und zu welchem Gebrauch sie ihn verwenden sollten; denn ich habe bereits zur Genüge dargetan, daß auch der Rest, der für die Kirchen, Gebäude und andere Ausgaben bestimmt ist, in der Not den Armen zur Verfügung stehen muß. Ich frage nur: wenn diese Papisten auch nur einen einzigen Funken Gottesfurcht im Herzen hätten – würden sie dann das Bewußtsein ertragen können, daß alles, was sie an Nahrung und Kleidung wenden, aus Diebstahl, ja aus Tempelraub herrührt? Aber weil sich diese Leute von Gottes Gericht gar wenig rühren lassen, so sollten sie doch wenigstens bedenken, daß es Menschen sind, mit Empfinden und Vernunft begabt, denen sie weismachen wollen, sie hätten in ihrer Kirche so herrliche und wohlgeordnete Stände, wie sie es rühmend zu behaupten pflegen. Sie sollen mir doch nur kurz antworten, ob denn die Diakonie wirklich die willkürliche Freiheit zum Stehlen und Rauben ist. Wenn sie das leugnen, dann müssen sie auch notgedrungen eingestehen, daß sie keinerlei Diakonie mehr haben; denn bei ihnen ist die ganze Verwaltung der Kirchengüter offenkundig zu einer heiligtumsschänderischen Ausraubung geworden!



IV,5,17

Aber hier wenden sie nun eine ganz feine Deckfarbe an: sie sagen nämlich, durch diese Prachtentfaltung werde die Würde der Kirche in sehr geziemender Weise aufrechterhalten. Sie haben auch in ihrer Sekte gewisse Leute, die dermaßen unverschämt sind, daß sie offen zu rühmen wagen, jene Weissagungen, mit denen die alten Propheten die Herrlichkeit des Reiches Christi beschreiben, gingen erst dadurch in Erfüllung, daß am Priesterstande solch königliche Pracht sichtbar sei. Gott hat doch, so sagen sie, seiner Kirche verheißen: „Könige werden kommen und vor dir anbeten und dir Gaben zutragen“ (Ps. 72,10f.; nicht Luthertext), er hat doch verheißen: „Mache dich auf, mache dich auf, Zion! Zieh deine Stärke an, schmücke dich herrlich, Jerusalem! … Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen. Alle Herden in Kedar sollen zu dir versammelt werden …” (Jes. 52,1; 60,6f.)! Diese Weissagungen, so meinen sie, sind doch nicht umsonst geschehen! Wenn ich nun diese Frechheit ausführlich widerlegen wollte, so müßte ich fürchten, ich könnte albern erscheinen. Deshalb habe ich keine Lust, ohne Grund Worte zu verlieren. Ich frage aber doch: wenn nun irgendein Jude solche Zeugnisse mißbrauchen würde, was würden sie ihm dann für eine Erklärung geben? Sie würden selbstverständlich seinen Stumpfsinn tadeln, weil er das, was geistlich über Christi geistliches Reich gesagt ist, auf Fleisch und Welt bezöge. Denn wir wissen, daß uns die Propheten unter dem Bilde irdischer Dinge Gottes himmlische Herrlichkeit abgezeichnet haben, die in der Kirche leuchten soll. Denn an jenen Segnungen, die die Worte der Propheten zum Ausdruck bringen, hat die Kirche niemals weniger Überfluß gehabt als unter den Aposteln, und doch geben alle Leute zu, daß damals die Kraft des Reiches Christi in höchster Blüte stand! Was haben nun jene Aussagen der Propheten für einen Sinn? Doch diesen: alles, was je kostbar, erhaben und herrlich ist, das muß dem Herrn unterworfen werden. Was da aber ausdrücklich von den Königen zu lesen steht, nämlich daß sie Christus ihre Gewalt unterstellen, ihm ihre Kronen zu Füßen werfen und der Kirche ihre Reichtümer weihen werden – wann soll das wohl, so wird man (mit mir) sagen, wahrhaftiger und völliger in Erfüllung gegangen sein als damals, als Theodosius den Purpur von sich warf, die kaiserlichen Machtzeichen hinter sich ließ und sich wie irgendein Mensch aus dem Volke vor Gott und der Kirche zu feierlicher Buße unterwarf? Wann soll es vollständiger erfüllt worden sein als damals, als er selbst und andere fromme Fürsten seinesgleichen ihren Eifer und ihre Sorge an die Erhaltung der reinen Lehre in der Kirche und an die Unterstützung und Schirmung der rechtgesinnten Lehrer wandten? Wie rein gar nicht aber dazumal die Priester in überflüssigem Besitz schwelgten, das gibt ein einziges Wort der Synode von Aquileja, deren Vorsitz Ambrosius führte, genugsam zu erkennen: „An den Dienern des Herrn ist Armut glorreich“. Sicherlich besaßen damals die Bischöfe einiges Vermögen, mit dessen Hilfe sie der Kirche einen sichtbaren Glanz hätten geben können, wenn sie gemeint hätten, dergleichen sei der wahre Zierat der Kirche. Aber da sie wußten, daß der Amtspflicht der Hirten nichts mehr zuwider ist, als durch die Genüsse der Tafel, die Pracht der Gewänder, die Größe der Dienerschaft und die Großartigkeit der Paläste Glanz zu entfalten und Hoffart zu treiben, so befleißigten sie sich und huldigten sie der Demut und Bescheidenheit, ja, der Armut selbst, die Christus unter seinen Dienern geheiligt hat.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,5,18

Aber um nicht zu weitschweifig zu werden, wollen wir wiederum in einer kurzen Summe zusammenfassen, wie weit die heutzutage geübte Austeilung oder (vielmehr) Verschwendung der Kirchengüter von der wahren Diakonie entfernt ist, wie sie uns das Wort Gottes ans Herz legt und wie sie auch die Alte Kirche gewahrt hat. Was man auf die Ausschmückung der Kirchengebäude verwendet, das ist, so behaupte ich, falsch angewandt, wofern nicht das Maß gehalten wird, das die Natur der Heiligtümer vorschreibt und das uns auch die Apostel und andere heilige Väter durch Unterweisung wie durch ihr eigenes Vorbild vorgezeichnet haben. Aber was bekommt man davon heutzutage in den Kirchen zu sehen? Alles, was – ich sage nicht: nach jener ursprünglichen Schlichtheit, sondern – überhaupt nach irgendeinem anständigen Mittelmaß geartet ist, das wird verächtlich beiseitegeschoben. Allgemein findet nur das Billigung, was nach Üppigkeit und nach der Verderbnis der Zeit schmeckt. Unterdessen ist man so weit davon entfernt, die gehörige Fürsorge für die lebendigen Tempel walten zu lassen, daß man lieber viele tausend Arme am Hunger zugrunde gehen lassen würde, als auch nur den geringsten Kelch oder das geringste Krüglein zu zerbrechen, um ihren Mangel zu beheben. Um nicht von mir aus etwas allzu Hartes auszusprechen, möchte ich nur, der fromme Leser würde einmal folgendes bedenken: wenn der oben genannte Bischof Exuperius von Toulouse, wenn Acatius, wenn Ambrosius oder irgendeiner ihresgleichen heute von den Toten auferstehen sollte – was sollte er wohl sagen? Diese Männer würden es wahrscheinlich nicht gutheißen, daß man bei solcher Not der Armen die Güter einem anderen Zweck zuführte, als ob sie (zu ihrem eigentlichen Zweck) überflüssig wären! Ich will noch davon schweigen, daß die Verwendungsarten, denen man sie dienen läßt, selbst dann in vieler Hinsicht schädlich, aber in keiner Weise nutzbringend wären, wenn es keine Armen gäbe. Aber ich lasse die Menschen beiseite. Diese Güter sind doch Christus geheiligt, und deshalb müssen sie auch nach seinem Urteil verteilt werden. Vergebens werden die Papisten aber so tun, als ob sie den Teil für Christus aufgewandt hätten, den sie ohne seinen Befehl verschwendet haben. Allerdings – um die Wahrheit zu sagen -: durch diese Ausgaben (nämlich für die Kirchengebäude) geht von den ordentlichen Einkünften der Kirche nicht sehr viel verloren. Denn die Bistümer mögen noch so reich, die Abteien noch so fett, die Pfarrpfründen schließlich mögen noch so zahlreich, noch so glänzend sein, so reichen sie doch alle nicht hin, um der Gefräßigkeit der Priester zu genügen. Es ist vielmehr so: sie wollen sich selbst schonen, und deshalb bringen sie das Volk durch Aberglauben dazu, daß es die Mittel, die eigentlich den Armen zugute kommen müßten, auf die Erbauung von Kirchengebäuden, die Errichtung von Standbildern, den Kauf von Gefäßen und den Erwerb kostbarer Gewänder verwendet. Auf diese Weise werden die täglichen Almosen von diesem Abgrund verschlungen.



IV,5,19

Was soll ich nun von den Einkünften, die sie aus Grundstücken und Besitztümern empfangen, anders sagen, als was ich bereits dargelegt habe und was auch vor aller Augen ist? Wir sehen ja, mit was für einer Treue die Leute, die man Bischöfe und Äbte nennt, den größten Teil davon verwalten. Was ist es für ein Wahnwitz, hier kirchliche Ordnung zu suchen? Ist es etwa schicklich, daß die, deren Leben ein einzigartiges Vorbild der Genügsamkeit, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit und Demut sein sollte, in der Zahl ihrer Dienerschaft, im Glanz ihrer Häuser und im Prunk ihrer Gewänder und Mähler mit dem Wohlleben der Fürsten wetteifern? Gottes ewige und unverletzliche Weisung verbietet ihnen doch, nach schnödem Gewinn zu trachten, und verlangt von ihnen, daß sie mit schlichter Nahrung zufrieden sind (Tit. 1,7); wie sehr steht aber dann auch dies zu ihrer Amtspflicht im Widerspruch, daß sie nicht allein auf Dörfer und Burgen die Hand legen, sondern sich auch auf die ausgedehntesten Fürstentümer losstürzen und schließlich ganze Reiche mit Beschlag belegen? Wenn sie das Wort Gottes verachten, was wollen sie dann (wenigstens) auf jene Verordnungen der Synoden antworten, in denen festgesetzt wird, der Bischof solle nicht weit von der Kirche sein Häuslein haben, sein Tisch und Hausrat solle schlicht sein? Was wollen sie zu jenem Ausspruch der Synode von Aquileja sagen, in welchem gerühmt wird, an den Priestern des Herrn sei Armut etwas Glorreiches? Denn die Weisung, die einst Hieronymus dem Nepotian erteilte, es sollten zu seinem Tisch die Armen und die Fremdlinge und mit ihnen Christus als Tischgast Zugang haben, die werden sie wahrscheinlich als gar zu streng verwerfen! Aber was er gleich anfügt, das werden sie sich schämen zu leugnen, nämlich: der Ruhm eines Bischofs sei es, für den Besitz der Armen zu sorgen, eine Schande für alle Priester aber, wenn sie nach eigenen Reichtümern trachteten. Dies aber können sie nicht annehmen, ohne sich allesamt zur Schmach zu verurteilen. Aber es ist nicht erforderlich, sie hier härter zu verfolgen, weil ich keine andere Absicht hatte als zu beweisen, daß bei ihnen schon seit langem der rechtmäßige Stand der Diakonen verschwunden ist. Das wollte ich zeigen, damit sie sich dieses Titels nicht weiterhin zum Preis ihrer Kirche hochmütig rühmten. Und ich glaube, daß ich das genugsam vollbracht habe.



Sechstes Kapitel: Von der Obergewalt des römischen Stuhles



IV,6,1

Bisher haben wir diejenigen Rangstufen in der Kirche behandelt, die bereits bei der Regierung der Alten Kirche bestanden haben, hernach aber mit der Zeit verderbt und dann mehr und mehr verfälscht worden sind und heute in der päpstlichen Kirche nur noch ihren Namen beibehalten haben, in Wirklichkeit aber nichts anderes als Masken darstellen. Diese Erörterung hatte den Zweck, daß der fromme Leser auf Grund des Vergleiches ein Urteil darüber gewinnen sollte, was die Römischen eigentlich für eine Kirche haben, um derentwillen sie uns der Kirchenspaltung (schisma) beschuldigen, weil wir uns ja von ihr geschieden haben. Das Haupt aber und die Spitze der ganzen Stufenordnung, nämlich die Obergewalt (den „Primat“) des römischen Stuhls, von der aus sie zu beweisen bestrebt sind, daß allein bei ihnen die katholische Kirche sei, haben wir dabei nicht berührt. Denn diese Obergewalt hat ihren Ursprung weder aus der Einsetzung Christi noch aus der Gepflogenheit der Alten Kirche genommen – im Gegensatz zu den oben genannten Ämtern, die, wie wir gezeigt haben, von der alten Zeit ausgegangen sind, freilich so, daß sie durch die Verderbnis der Zeiten ganz und gar entartet sind, ja, eine völlig neue Gestalt angenommen haben. Und trotzdem suchen die Römischen der Welt einzureden, das vornehmste und nahezu einzige Band der kirchlichen Einheit sei dann gegeben, wenn wir dem römischen Stuhle anhingen und im Gehorsam gegen ihn verharrten. Die Stütze, sage ich, auf die sie vor allem bauen, wenn sie uns die Kirche absprechen und sie sich selber zueignen wollen, besteht in der Behauptung, sie besäßen eben das Haupt, von dem die Einheit der Kirche abhinge und ohne das sie notwendig zerspringen und zerbrechen müßte. Sie meinen das nämlich so: die Kirche sei gewissermaßen ein unvollständiger, verstümmelter Leib, wenn sie nicht dem römischen Stuhl, gleichsam als ihrem Haupte, unterworfen sei. Wenn sie also über ihre „Hierarchie“ Erörterungen anstellen, so nehmen sie ihren Ausgangspunkt stets bei dem Grundsatz: Der Bischof von Rom ist gleichsam der Statthalter Christi, der das Haupt der Kirche ist; als solcher hat er an Christi Statt die Führung der gesamten Kirche, und die Kirche ist nur dann recht eingerichtet, wenn der römische (Bischofs-) Stuhl über alle anderen die Obergewalt innehat. Deshalb müssen wir auch nachprüfen, wie es hierum steht, damit wir nichts übergehen, was zum rechten Regiment der Kirche gehört..



IV,6,2

Die gestellte Frage soll also sein, ob es zur wahren Gestalt der von ihnen so genannten „Hierarchie“ oder der kirchlichen Leitung erforderlich ist, daß ein (Bischofs-) Sitz unter den anderen an Würde und Macht den Vorrang hat, so daß er also das Haupt des ganzen Leibes wäre. Wir unterwerfen aber die Kirche doch gar zu unbilligen Gesetzen, wenn wir ihr solche Notwendigkeit ohne das Wort Gottes auferlegen. Wollen also unsere Widersacher das, was sie verlangen, auch beweisen, so müssen sie zunächst zeigen, daß diese Ordnung von Christus eingesetzt sei. Zu diesem Zweck führen sie aus dem Gesetz den Hohenpriester an, ebenso auch das oberste Gericht, das Gott in Jerusalem eingesetzt hatte. Aber darauf ist leicht zu antworten, und zwar auf vielfältige Weise, sofern sich die Widersacher an einer einzigen Antwort nicht genügen lassen. Zunächst: es gibt keinen zwingenden Grund, das, was in einem Volke von Nutzen war, auf die ganze Welt auszudehnen. Ja, es wird doch wohl etwas wesentlich anderes sein, ob es sich um ein einziges Volk oder um die ganze Welt handelt! Die Juden waren doch ringsum von Götzendienern umgeben, und damit sie nun nicht durch eine Vielartigkeit von Religionen auseinandergezogen wurden, so hat Gott den Sitz seiner Verehrung mitten im Schoß des Landes aufgerichtet; dort hat er auch einen einzigen Vorsteher eingesetzt, auf den sie alle ihren Blick richten sollten, um dadurch besser in der Einheit erhalten zu werden. Jetzt aber ist doch die wahre Religion über die ganze Welt verbreitet, und wer sieht da nicht, daß es völlig widersinnig wäre, wenn man die Regierung des Ostens und des Westens einem einzigen Menschen übergäbe? Das wäre genau so, als wenn jemand die Behauptung aufstellte, die ganze Welt müsse von einem einzigen Amtmann regiert werden, und zwar, weil eben ein einziges Gebiet nicht mehrere Amtmänner hätte! Aber es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb jene (oben genannte) Tatsache nicht als Beispiel genommen werden darf. Jedermann weiß doch, daß jener Hohepriester ein Vorbild auf Christus gewesen ist. Nun ist aber „das Priestertum verändert“, also „muß auch das Gesetz verändert werden“ (Hebr. 7,12). Auf wen ist nun aber das Priestertum übertragen worden? Doch ganz gewiß nicht auf den Papst, wie dieser unverschämt zu rühmen wagt, wenn er diese Aussage auf sich bezieht, sondern auf Christus, der das Amt ohne jeglichen Statthalter oder Nachfolger ausübt und demgemäß auch die Ehre keinem anderen überläßt. Denn dieses (Hohe-) Priesteramt besteht nicht nur in der Lehre, sondern in der Versöhnung Gottes, die Christus durch seinen Tod vollbracht hat, und in jener Fürsprache, die er jetzt bei dem Vater übt.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,6,3

Es geht also nicht an, daß sie uns an jenes Beispiel, das doch, wie wir sehen, zeitlich gewesen ist, festbinden, als ob es ein fortwährendes Gesetz sei. Aus dem Neuen Testament haben sie nur eine Tatsache, um sie zur Bekräftigung ihrer Meinung vorzubringen: nämlich, daß nur zu einem Apostel gesagt wurde: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde“ (Matth. 16,18), und ebenso: „Petrus, hast du mich lieb? … Weide meine Schafe“ (Joh. 21,15-17; nicht ganz Luthertext). Sollen aber nun solche Beweise tragfest sein, so müssen die Papisten vor allem zeigen, daß der, dem die Weisung zuteil wird, er solle Christi Herde weiden, damit die Macht über alle Kirchen anvertraut erhält; ferner müssen sie nachweisen, daß „Binden“ und „Lösen“ nichts anderes bedeutet, als die Führung der ganzen Welt innezuhaben. Wie nun aber Petrus vom Herrn jenen Auftrag empfing, so ermahnt er wiederum alle anderen Presbyter, die Kirche zu weiden (1. Petr. 5,2). Daraus läßt sich die Folgerung ziehen, daß dem Petrus entweder durch jenes Wort des Herrn gar nichts gegeben worden ist, das er vor anderen voraus gehabt hätte, oder aber daß Petrus das Recht, das er empfangen hatte, mit den anderen in gleichem Maße geteilt hat. Wir haben aber, damit wir nicht umsonst streiten, an anderer Stelle aus dem Munde Christi eine klare Auslegung, (die uns zeigt,) was „Binden“ und „Lösen“ bedeutet; es bedeutet nämlich, die Sünden zu „behalten“ und zu „erlassen“ (Joh. 20,23). Wie aber solches „Binden“ und „Lösen“ geschieht, das zeigt uns die ganze Schrift immer wieder; besonders klar aber gibt es uns Paulus zu verstehen, indem er erklärt, die Diener des Evangeliums hätten den Auftrag, die Menschen mit Gott zu versöhnen, und zugleich hätten sie die Vollmacht, gegen die, welche solche Wohltat verschmähten, Strafe zu üben (2. Kor. 5,18; 10,6).



IV,6,4

Wie unwürdig nun die Papisten jene Stellen verdrehen, die das „Binden“ und „Lösen“ erwähnen, das habe ich bereits an anderer Stelle gestreift, und es wird erst recht bald hernach ausführlicher zu entfalten sein. Jetzt ist es nur erforderlich, daß wir zusehen, was sie aus jener berühmten Antwort Christi an Petrus herausholen. Christus hat dem Petrus „des Himmelreichs Schlüssel“ verheißen, er hat ihm zugesagt, was er auf Erden binden werde, das solle auch im Himmel gebunden sein (Matth. 16,19). Wenn nun über den Ausdruck „Schlüssel“ und über die Art des „Bindens“ unter uns Einstimmigkeit herrschte, so würde jeder Streit sofort aufhören. Denn auch der Papst würde gerne die den Aposteln beigelegte Aufgabe fahrenlassen; denn sie ist voll Arbeit und Mühsal und würde ihm sein Wohlleben austreiben, ohne ihm irgendwelchen Gewinn zu bringen. Da uns nun die Himmel durch die Lehre des Evangeliums aufgetan werden, so wird diese in einem treffenden Vergleich mit dem Namen „Schlüssel“ ausgezeichnet. Dann werden aber die Menschen auf keine andere Weise „gebunden“ und „gelöst“ als dadurch, daß die einen im Glauben mit Gott versöhnt, die anderen aber durch ihren Unglauben nur noch tiefer verstrickt werden. Wenn sich nun der Papst nur dies herausnähme, so würde nach meiner Ansicht niemand dasein, der ihm das neiden oder deswegen mit ihm Streit anfangen wollte. Tatsächlich aber sagt dem Papst diese Nachfolgerschaft, die doch mühselig und keineswegs einträglich ist, durchaus nicht zu, und deshalb entsteht nun der Ausgangspunkt des Streites (zwischen ihm und uns) eben an der Frage, was denn Christus dem Petrus verheißen habe. Ich ziehe aus dem Tatbestand selbst die Folgerung, daß mit dieser Verheißung ausschließlich die Würde des apostolischen Amtes bezeichnet wird, die sich von der Last dieses Amtes nicht abtrennen läßt. Denn wenn man jene Bestimmung (der Begriffe „Binden“ und „Lösen“) annimmt, die ich oben aufgestellt habe – und die kann man nur aus Unverschämtheit verwerfen -, dann wird hier dem Petrus nichts gegeben, das nicht auch seinen Amtsgenossen gemeinsam gewesen ist; denn sonst würde nicht nur den Personen Unrecht zugefügt, sondern es würde auch die Majestät der Lehre selbst ans Hinken geraten. Dagegen erheben nun die Papisten Einspruch. Aber ich bitte dich, was soll es ihnen helfen, an diesen Felsen anzustoßen? Denn sie werden es nicht ändern können, daß die Apostel, wie ihnen allen die Predigt des gleichen Evangeliums aufgetragen war, so auch gemeinsam mit der Vollmacht zum Binden und Lösen ausgerüstet waren. Die Papisten sagen: „Als Christus dem Petrus die Verheißung gab, er wolle ihm die Schlüssel geben, da hat er ihn doch zum Oberhaupt der ganzen Kirche eingesetzt.“ Aber was er damals dem einen Apostel verheißen hat, das hat er an anderer Stelle allen andern zugleich übertragen und gleichsam in die Hand gegeben (Matth. 18,18; Joh. 20,23)! Wenn nun damit allen eben das Recht zugestanden worden ist, das einem verheißen war, worin soll dann der Vorrang dieses einen bestehen? „Seine Sonderstellung“, sagen sie, „bestand darin, daß er dieses Recht sowohl gemeinsam (mit den anderen) erhielt als auch für sich besonders, während es den anderen nur gemeinsam gegeben wurde.“ Was wollen sie aber anfangen, wenn ich jetzt mit Cyprian und Augustin antworte, Christus habe das nicht etwa getan, um einen Menschen den anderen vorzuziehen, sondern um auf diese Weise die Einheit der Kirche hochzuhalten? Cyprian sagt nämlich so: in der Person eines einzigen Menschen habe der Herr allen die Schlüssel gegeben, um die Einheit aller aufzuzeigen; denn die anderen seien ja eben das gleiche gewesen, was auch Petrus war, mit gleichem Anteil an Ehre und Macht ausgestattet; Christus aber habe bei einem den Anfang gemacht, um damit zu zeigen, daß seine Kirche eine sei (von der Einheit der katholischen Kirche 4). Augustin aber erklärt: „Wenn in Petrus nicht das Geheimnis der Kirche wäre, so würde der Herr nicht zu ihm sagen: ‚Dir werde ich die Schlüssel geben’; denn wenn das zu Petrus (allein) gesagt ist, dann hat die Kirche die Schlüssel nicht; wenn aber die Kirche die Schlüssel hat, dann bezeichnete Petrus, als er die Schlüssel empfing, die ganze Kirche“ (Predigten zum Johannesevangelium 50, 12). Und an anderer Stelle sagt er: „Es waren doch alle (von Christus) gefragt, aber Petrus allein antwortete: ‚Du bist Christus …’; da wurde zu ihm gesagt: ‚Ich will dir die Schlüssel geben …’ – als ob er die Gewalt, zu binden und zu lösen, allein empfangen hätte; weil er jene Antwort aber allein für die anderen gegeben hatte und demgemäß auch diesen Auftrag mit den anderen zusammen und gleichsam als einer, der die Einheit selbst in seiner Person darstellte, empfangen hat, darum wird er allein für alle genannt, weil ja zwischen allen die Einheit besteht“ (Predigten zum Johannesevangelium 11,5).



IV,6,5

Ja, sagt man, aber es steht doch irgendwo zu lesen, daß das Wort: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde“ (Matth. 16,18), (je) zu einem anderen gesagt worden ist! Als ob Christus hier von Petrus etwas anderes aussagte als Paulus und auch Petrus selber von allen Christen! Paulus nämlich erklärt Christus für den vornehmsten Eckstein, auf den alle erbaut werden sollen, die zu einem Tempel erwachsen, der dem Herrn heilig ist (Eph. 2,20-22). Petrus aber gebietet uns, „lebendige Steine“ zu sein, um als solche, auf jenen „auserwählten und köstlichen“ Stein gegründet, durch dieses Band und diese Zusammengefügtheit mit unserem Gott und untereinander verbunden zu sein (1. Petr. 2,5ff.). Ja, sagen sie, aber Petrus steht trotzdem vor allen, weil er in besonderer Weise den Namen (Fels, Stein) innehat. Ganz sicher gestehe ich dem Petrus gern die Ehre zu, daß er im Gebäu der Kirche unter den ersten seinen Platz hat oder – wenn sie auch das verlangen – unter allen Gläubigen der erste ist. Aber ich werde nicht zulassen, daß sie daraus ableiten, er habe über die anderen eine Obergewalt. Was soll das auch für ein Schlußverfahren sein, wenn man sagt: er übertraf die anderen an Glut des Eifers, an Unterweisung und Geistesgröße – also hat er auch Macht über sie? Als ob man nicht (dann auch) mit besserem Schein folgern könnte: Andreas steht nach dem Rang vor Petrus, weil er ihm zeitlich (in der Jüngerschaft) vorangegangen ist und ihn zu Christus hingeführt hat (Joh. 1,40.42)! Aber das lasse ich beiseite. Petrus möge sicherlich den ersten Platz haben. Aber es besteht doch ein großer Unterschied zwischen rangmäßiger Ehre und – Gewalt. Wir sehen, wie die Apostel dem Petrus durchweg die Aufgabe erteilt haben, in der Versammlung das Wort zu führen und gleichsam mit Berichten, Ermahnen und Ermuntern voranzugehen. Von einer (besonderen) Gewalt dagegen (die Petrus gehabt hätte) lesen wir nirgendwo ein Wort.



IV,5,6

Doch sind wir mit dieser Erörterung noch nicht beschäftigt. Für den Augenblick möchte ich nur dies feststellen: wenn unsere Gegner allein aus dem Namen des Petrus (der mit „Fels“ in Zusammenhang gebracht ist) dessen Herrschaft über die gesamte Kirche aufrichten wollen, so ist das eine gar zu oberflächliche Beweisführung. Denn jene alten Albernheiten, mit denen sie anfangs den Menschen etwas vorzumachen versuchten, sind keiner Widerlegung, ja, auch keiner Erwähnung wert. Sie sagten da, auf Petrus sei die Kirche gegründet, weil es doch hieße: „Auf diesen Felsen …” So haben aber, wird man sagen, einige von den (Kirchen-) Vätern geredet! Gewiß, aber hier erhebt doch die ganze Schrift Einspruch, und wozu will man unter diesen Umständen die Autorität dieser Kirchenväter gegen Gott vorschützen? Ja, wozu streiten wir denn um den Sinn dieser Worte, als ob er dunkel oder zweideutig wäre, wo doch gar nichts Klareres und Gewisseres hätte gesagt werden können? Petrus hatte in seinem und der Brüder Namen bekannt, daß Christus der Sohn Gottes sei (Matth. 16,16). Auf diesen Felsen baut Christus seine Kirche, weil er, wie Paulus sagt, das einige Fundament ist, außer dem kein anderes gelegt werden kann (1. Kor. 3,11). Ich verwerfe auch hier die Autorität der Väter nicht etwa deshalb, weil mir Zeugnisse von ihrer Seite zur Bestätigung meiner Behauptung abgingen, wenn ich sie heranzuziehen Lust hätte; nein, ich will, wie ich bereits ausführte, den Lesern nicht durch Streiten über eine so klare Sache unnütz lästig fallen, vor allem, da diese Angelegenheit von unseren Männern bereits vor langer Zeit mit ausreichender Gründlichkeit behandelt und entfaltet worden ist.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,6,7

Und doch kann tatsächlich niemand diese Frage besser lösen als die Heilige Schrift selber, wenn wir alle Stellen zueinanderbringen, an denen sie lehrt, was für ein Amt und was für eine Macht Petrus unter den Aposteln besessen, wie er sich verhalten hat und wie er auch von ihnen aufgenommen worden ist. Man gehe alle vorhandenen Berichte durch, so wird man nichts anderes finden, als daß er einer aus der Zahl der Zwölfe war, den anderen gleichgestellt, ihr Mitgenosse, aber nicht ihr Herr. Er bringt zwar in ihrem Rat vor, was je zu tun ist, und er ermahnt sie, was geschehen müsse; aber er hört zugleich auch auf die anderen, und er gibt ihnen nicht nur die Möglichkeit, ihre Meinung auszusprechen, sondern überläßt ihnen die Entscheidung; wo sie etwas festgesetzt haben, da folgt er und gehorcht (Apg. 15,5ff.). Als er an die Hirten schreibt, da gibt er seine Weisungen nicht auf Grund einer Befehlsgewalt, als ob er über ihnen stünde, sondern er behandelt sie als seine Amtsgenossen und ermahnt sie freundschaftlich, wie es unter Gleichgestellten zu geschehen pflegt (1. Petr. 5,1ff). Er wurde angeschuldigt, weil er zu Heiden eingegangen war; das geschah zwar, ohne daß er solchen Vorwurf verdient hätte, aber trotzdem antwortete er und reinigte er sich (Apg. 11,3ff.). Die Amtsgenossen beauftragten ihn, mit Johannes nach Samaria zu gehen – und er weigert sich nicht (Apg. 8,14). Indem die Apostel ihn aussenden, machen sie deutlich, daß sie ihn durchaus nicht für ihren Vorgesetzten halten; indem er selbst gehorcht und die ihm aufgetragene Sendung übernimmt, gibt er zu, daß er mit ihnen in Gemeinschaft steht, aber keine Herrschaft über sie ausübt. Selbst wenn alle diese Berichte nicht vorhanden wären, so könnte uns doch allein der Brief an die Galater mit Leichtigkeit jeden Zweifel nehmen. Da behauptet Paulus fast zwei Kapitel hindurch nichts anderes, als daß er hinsichtlich der Würde des Apostelamtes dem Petrus gleichgestellt sei. Von da aus erinnert er daran, daß er zu Petrus gekommen sei, nicht etwa, um seine Unterworfenheit zu zeigen, sondern allein, um allen ihre Übereinstimmung in der Lehre bezeugt sein zu lassen. Er berichtet weiter, daß auch Petrus selbst nichts derartiges von ihm verlangt, sondern ihm „die rechte Hand“ (zum Zeichen) der Gemeinschaft gegeben hat, damit sie gemeinsam im Weinberg des Herrn arbeiteten. Er erklärt, daß ihm keine geringere Gnade unter den Heiden zuteil geworden sei als dem Petrus unter den Juden (Gal. 1,18; 2,8). Schließlich erzählt er, wie Petrus, als er nicht ganz treulich gehandelt hatte, von ihm zurechtgewiesen worden ist und dieser Zurechtweisung auch Gehorsam geleistet hat (Gal. 2,11-14). All dies macht offenbar, daß entweder zwischen Paulus und Petrus Gleichheit herrschte, oder daß jedenfalls Petrus den anderen gegenüber nicht mehr Macht besessen hat als diese ihm gegenüber. Dies aber behandelt Paulus, wie ich bereits sagte, mit voller Absicht: es sollte ihm keiner den Petrus oder den Johannes im Apostelamt vorziehen, weil diese eben seine Amtsgenossen, nicht aber seine Herren waren.



IV,6,8

Aber ich will ihnen einmal mit Bezug auf Petrus zugeben, was sie gern haben möchten; ich will also anerkennen, er sei wirklich der Oberste unter den Aposteln gewesen und habe an Würde einen Vorrang vor den übrigen gehabt. Selbst wenn ich das tue, so besteht doch keine Ursache, aus einem einzigartigen Beispiel eine allgemeine Regel zu machen und das, was einmal geschehen ist, auf ewige Zeiten zu beziehen: denn das ist eine völlig andere Sache. Unter den Aposteln war (das will ich einmal zugeben) einer der oberste, weil sie eben wenige an Zahl waren. Wenn nun über zwölf Menschen ein einziger Mann gesetzt war – ergibt sich daraus etwa, daß auch über hunderttausend Menschen ein einziger Mann gesetzt werden muß? Daß die Zwölf einen Mann unter sich gehabt hatten, der sie alle regieren sollte, das wäre nicht verwunderlich. Denn die Natur bringt es mit sich und das Wesen der Menschen erfordert es, daß in jedem Kreise, auch dann, wenn alle an Macht gleich sind, doch einer gleichsam als Leiter wirkt, auf den die anderen blicken sollen. Es gibt keinen Rat ohne Bürgermeister, kein Gericht ohne Vorsitzenden oder Untersuchungführenden, kein Kollegium ohne Vorsteher, keine Genossenschaft ohne Meister. So läge nichts Widersinniges darin, wenn wir zugäben, daß die Apostel dem Petrus eine derartige Obergewalt (über ihren Kreis) übertragen hätten. Aber was unter wenigen gilt, das läßt sich nicht gleich auf den gesamten Erdkreis beziehen, zu dessen Regierung ein einzelner Mensch allein nicht ausreicht. Aber, sagen sie, nicht weniger gilt in der Natur im allgemeinen wie auch in den einzelnen Teilen auch dies, daß ein oberstes Haupt über allen steht. Und für diese Behauptung entnehmen sie, wenn es Gott gefällt, den Beweis bei den Kranichen und Bienen, die sich auch allezeit ein Oberhaupt wählen und nicht mehrere. Allerdings lasse ich die von ihnen vorgebrachten Beispiele gelten. Aber strömen etwa aus der ganzen Welt die Bienen herbei, um sich einen einzigen König (!) zu wählen? Nein, die einzelnen Könige sind mit ihren eigenen Bienenkörben zufrieden! Ebenso hat auch unter den Kranichen jeder einzelne Schwarm seinen eigenen König. Was können (also) die Papisten aus diesen Beispielen anders gewinnen, als daß jeder einzelnen Kirche ihr besonderer Bischof zugeteilt sein muß? Dann verweisen sie uns auf Beispiele aus dem bürgerlichen Leben, sie ziehen das Wort aus Homer heran: „Vielherrschaft tut nicht gut“ (Ilias II,204), dazu auch das, was man im gleichen Sinne zur Empfehlung der Monarchie bei weltlichen Schriftstellern zu lesen bekommt. Die Erwiderung ist leicht zu geben: wenn Homers Ulysses oder andere Leute die Monarchie preisen, so geschieht das nämlich nicht in dem Sinne, als ob ein Mensch mit seinem Befehl die ganze Welt regieren sollte, sondern sie wollen zeigen, daß ein Reich nicht zwei Könige fassen kann und daß, wie einmal jemand gesagt hat, die Macht keinen Mitgenossen zu ertragen vermag (Lukan, Pharsalia I,92f.).



IV,6,9

Aber wir wollen es einmal so gelten lassen, wie sie es wollen, wir wollen einmal zugeben, es sei gut und nützlich, wenn die ganze Welt unter (einer) Monarchie stünde – es wäre allerdings höchst widersinnig; aber es möge einmal so sein! Selbst dann aber werde ich deswegen nicht zugeben, daß das gleiche auch für die Leitung der Kirche Geltung hätte. Denn die Kirche hat Christus zu ihrem einzigen Haupte, unter dessen Herrschaft wir alle miteinander verbunden sind, und zwar nach der Ordnung und der Gestalt der Regierung, die er selbst vorgeschrieben hat. Die Papisten fügen also Christus sehr großes Unrecht zu, wenn sie verlangen, ein einziger Mensch müsse die gesamte Kirche regieren, und wenn sie dabei den Vorwand benutzen, die Kirche könne eben ein solches Haupt nicht entbehren. Denn Christus ist das Haupt, „von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hanget durch alle Gelenke, dadurch eins dem anderen Handreichung tut nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße und macht, daß der ganze Leib wächst …” (Eph. 4,15f.). Sieht man, wie der Apostel allen Menschen ohne jede Ausnahme in dem Leibe ihren Platz zuweist, die Ehre und den Namen des Hauptes aber Christus allein vorbehält? Sieht man, wie er allen einzelnen Gliedern ein bestimmtes Maß, eine festgesetzte und begrenzte Aufgabe zuerteilt, damit die Vollkommenheit der Gnade wie auch die höchste Regierungsgewalt bei Christus allein liege? Es ist mir auch nicht unbekannt, was für eine Ausflucht die Papisten suchen, wenn man ihnen dies vorhält; sie sagen nämlich: Christus wird im eigentlichen Sinne das einige Haupt genannt, weil er allein kraft eigener Autorität und in seinem eigenen Namen regiert; aber das hindert nicht, daß es unter ihm noch ein zweites, „dienstbares Haupt“ gibt – so drücken sie sich aus! -, das auf Erden seine Vertretung führt. Aber mit dieser Ausflucht werden sie nichts zuwege bringen, wenn sie nicht zuvor gezeigt haben, daß Christus dieses Amt verordnet hat. Der Apostel nämlich lehrt, die ganze „Handreichung“ sei über die Glieder hin verstreut, die Kraft aber ströme von jenem einen himmlischen Haupte her (Eph. 4,16). Oder wenn sie etwas Deutlicheres hören wollen: da die Schrift bezeugt, daß Christus das Haupt ist, und da sie ihm allein diese Ehre zuschreibt, so darf diese nur dann auf einen anderen übertragen werden, wenn Christus selber ihn zu seinem Statthalter gemacht hat. Dies aber steht nicht nur nirgendwo zu lesen, sondern man kann es auf Grund von vielen Stellen reichlich widerlegen (Eph. 1,22; 4,15; 5,23; Kol. 1,18; 2,10).



IV,6,10

Paulus malt uns einige Male ein lebendiges Bild der Kirche vor Augen. Von dem einen (menschlichen) Haupte dagegen liest man dort nichts. Nein, es läßt sich vielmehr aus seiner Beschreibung die Folgerung ziehen, daß dies „eine Haupt“ mit Christi Einsetzung nichts zu tun hat. Christus hat uns durch seine Himmelfahrt seine sichtbare Gegenwart entzogen; dennoch ist er „aufgefahren …, auf daß er alles erfüllte“ (Eph. 4,10). Die Kirche hat ihn also auch jetzt noch gegenwärtig und wird ihn allezeit gegenwärtig haben. Indem nun Paulus die Art und Weise schildern will, in der sich Christus zeigt, verweist er uns auf die Ämter, deren sich Christus bedient. „In uns allen“, sagt er, „ist der Herr, nach dem Maß der Gnade, das er jedem einzelnen Gliede hat zuteil werden lassen. Darum hat er einige zu Aposteln eingesetzt, andere aber zu Hirten, andere zu Evangelisten, andere zu Lehrern …” (Eph. 4,7.11, ungenau). Weshalb sagt Paulus nicht, Christus habe einen Menschen über alle gesetzt, der seine Vertretung führen sollte? Denn die Stelle (die ja immerzu von der Einheit redet) erforderte das in höchstem Maße, und es hätte unter keinen Umständen ausgelassen werden dürfen, wenn es wahr wäre. Er sagt: „Christus ist bei uns“. Wieso? Durch das Dienstamt der Menschen, die Christus zur Leitung der Kirche eingesetzt hat! Weshalb sagt er nicht lieber: durch das „dienstbare Haupt“, dem er seine Stellvertretung aufgetragen hat? Er spricht ausdrücklich von Einheit: aber das ist Einheit in Gott und im Glauben an Christus. Den Menschen schreibt er nichts zu als einen gemeinsamen Dienst und dazu jedem einzelnen sein besonderes „Maß“ (Vers 16). Er hatte doch von dem „einen Leib“, dem „einen Geist“, von der einen „Hoffnung der Berufung“ gesprochen, er hatte gesagt: „ein Gott, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph. 4,4-6, ungenau) – weshalb fügt er in diesem Lobpreis der Einheit nicht auch gleich zu, es gebe auch einen obersten Bischof, der die Kirche in der Einheit erhalten solle? Es hätte gar nichts Passenderes gesagt werden können – vorausgesetzt nur, daß die Wirklichkeit sich so verhielt! Man möge diese Stelle eindringlich erwägen: es besteht kein Zweifel, daß Paulus hier durchaus das heilige, geistliche Regiment der Kirche hat darstellen wollen, das die Späteren dann als „Hierarchie“ bezeichnet haben. Dagegen hat er nicht nur keine Monarchie unter den Dienern (der Kirche) aufgerichtet, sondern er hat gezeigt, daß es keine gibt. Es besteht auch kein Zweifel, daß er die Art der Verbundenheit hat zum Ausdruck bringen wollen, in der die Gläubigen mit Christus, ihrem Haupte, zusammenhängen. Da erwähnt er nun nicht nur kein „dienstbares Haupt“, sondern er schreibt jedem einzelnen Gliede ein besonderes „Werk“ zu (Vers 16), nach dem Maße der Gnade, die jedem einzelnen zugeteilt ist. Es besteht auch kein Anlaß, daß sie über die Vergleichung der himmlischen mit der irdischen „Hierarchie“ scharfsinnig philosophieren; denn es ist nicht gefahrlos, in Bezug auf die himmlische über das Maß hinaus klug sein zu wollen, und bei der Aufrichtung der irdischen soll man keinem anderen Vorbild folgen als dem, das der Herr selber in seinem Worte umschrieben hat.



IV,6,11

Ich will ihnen aber auch dies andere einmal durchgehen lassen, was sie allerdings bei vernünftigen Menschen nie und nimmer werden durchsetzen können, nämlich daß in der Person des Petrus für die Kirche eine Obergewalt aufgerichtet worden sei, und zwar so, daß sie durch fortwährende Aufeinanderfolge stets erhalten bleiben würde. Woraus wollen sie dann aber beweisen, daß der Sitz (dieser Obergewalt) in Rom aufgerichtet sei, so daß also jeder, der Bischof dieser Stadt wäre, auch die Herrschaft über die ganze Welt hätte? Mit welchem Recht binden sie diese Würde an einen Ort, obwohl sie doch ohne Erwähnung eines Ortes gegeben worden ist? Petrus, sagen sie, hat doch in Rom gelebt und ist dort gestorben! Wie ist es aber mit Christus selbst? Hat er nicht, solange er lebte, das Bischofsamt in Jerusalem geführt und hat er nicht durch sein Sterben das Priesteramt erfüllt? Der Oberste der Hirten, der höchste Bischof, das Haupt der Kirche vermochte dem Ort (seines Wirkens) keine Ehre zu erwerben – und Petrus, der ihm doch bei weitem nachsteht, hat es vermocht? Sind das nicht mehr als kindische Albernheiten? Christus – so sagt man – hat die Ehre der Obergewalt dem Petrus übertragen, Petrus aber hatte seinen Sitz in Rom, also hat er dort den Sitz dieser Obergewalt aufgerichtet. Auf diese Weise hätten denn wohl die Israeliten vorzeiten den Sitz der Obergewalt in der Wüste aufrichten müssen, wo Mose als höchster Lehrer und Oberster der Propheten sein Amt verrichtet hatte und gestorben war (Deut. 34,5)!
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,6,7

Und doch kann tatsächlich niemand diese Frage besser lösen als die Heilige Schrift selber, wenn wir alle Stellen zueinanderbringen, an denen sie lehrt, was für ein Amt und was für eine Macht Petrus unter den Aposteln besessen, wie er sich verhalten hat und wie er auch von ihnen aufgenommen worden ist. Man gehe alle vorhandenen Berichte durch, so wird man nichts anderes finden, als daß er einer aus der Zahl der Zwölfe war, den anderen gleichgestellt, ihr Mitgenosse, aber nicht ihr Herr. Er bringt zwar in ihrem Rat vor, was je zu tun ist, und er ermahnt sie, was geschehen müsse; aber er hört zugleich auch auf die anderen, und er gibt ihnen nicht nur die Möglichkeit, ihre Meinung auszusprechen, sondern überläßt ihnen die Entscheidung; wo sie etwas festgesetzt haben, da folgt er und gehorcht (Apg. 15,5ff.). Als er an die Hirten schreibt, da gibt er seine Weisungen nicht auf Grund einer Befehlsgewalt, als ob er über ihnen stünde, sondern er behandelt sie als seine Amtsgenossen und ermahnt sie freundschaftlich, wie es unter Gleichgestellten zu geschehen pflegt (1. Petr. 5,1ff). Er wurde angeschuldigt, weil er zu Heiden eingegangen war; das geschah zwar, ohne daß er solchen Vorwurf verdient hätte, aber trotzdem antwortete er und reinigte er sich (Apg. 11,3ff.). Die Amtsgenossen beauftragten ihn, mit Johannes nach Samaria zu gehen – und er weigert sich nicht (Apg. 8,14). Indem die Apostel ihn aussenden, machen sie deutlich, daß sie ihn durchaus nicht für ihren Vorgesetzten halten; indem er selbst gehorcht und die ihm aufgetragene Sendung übernimmt, gibt er zu, daß er mit ihnen in Gemeinschaft steht, aber keine Herrschaft über sie ausübt. Selbst wenn alle diese Berichte nicht vorhanden wären, so könnte uns doch allein der Brief an die Galater mit Leichtigkeit jeden Zweifel nehmen. Da behauptet Paulus fast zwei Kapitel hindurch nichts anderes, als daß er hinsichtlich der Würde des Apostelamtes dem Petrus gleichgestellt sei. Von da aus erinnert er daran, daß er zu Petrus gekommen sei, nicht etwa, um seine Unterworfenheit zu zeigen, sondern allein, um allen ihre Übereinstimmung in der Lehre bezeugt sein zu lassen. Er berichtet weiter, daß auch Petrus selbst nichts derartiges von ihm verlangt, sondern ihm „die rechte Hand“ (zum Zeichen) der Gemeinschaft gegeben hat, damit sie gemeinsam im Weinberg des Herrn arbeiteten. Er erklärt, daß ihm keine geringere Gnade unter den Heiden zuteil geworden sei als dem Petrus unter den Juden (Gal. 1,18; 2,8). Schließlich erzählt er, wie Petrus, als er nicht ganz treulich gehandelt hatte, von ihm zurechtgewiesen worden ist und dieser Zurechtweisung auch Gehorsam geleistet hat (Gal. 2,11-14). All dies macht offenbar, daß entweder zwischen Paulus und Petrus Gleichheit herrschte, oder daß jedenfalls Petrus den anderen gegenüber nicht mehr Macht besessen hat als diese ihm gegenüber. Dies aber behandelt Paulus, wie ich bereits sagte, mit voller Absicht: es sollte ihm keiner den Petrus oder den Johannes im Apostelamt vorziehen, weil diese eben seine Amtsgenossen, nicht aber seine Herren waren.



IV,6,8

Aber ich will ihnen einmal mit Bezug auf Petrus zugeben, was sie gern haben möchten; ich will also anerkennen, er sei wirklich der Oberste unter den Aposteln gewesen und habe an Würde einen Vorrang vor den übrigen gehabt. Selbst wenn ich das tue, so besteht doch keine Ursache, aus einem einzigartigen Beispiel eine allgemeine Regel zu machen und das, was einmal geschehen ist, auf ewige Zeiten zu beziehen: denn das ist eine völlig andere Sache. Unter den Aposteln war (das will ich einmal zugeben) einer der oberste, weil sie eben wenige an Zahl waren. Wenn nun über zwölf Menschen ein einziger Mann gesetzt war – ergibt sich daraus etwa, daß auch über hunderttausend Menschen ein einziger Mann gesetzt werden muß? Daß die Zwölf einen Mann unter sich gehabt hatten, der sie alle regieren sollte, das wäre nicht verwunderlich. Denn die Natur bringt es mit sich und das Wesen der Menschen erfordert es, daß in jedem Kreise, auch dann, wenn alle an Macht gleich sind, doch einer gleichsam als Leiter wirkt, auf den die anderen blicken sollen. Es gibt keinen Rat ohne Bürgermeister, kein Gericht ohne Vorsitzenden oder Untersuchungführenden, kein Kollegium ohne Vorsteher, keine Genossenschaft ohne Meister. So läge nichts Widersinniges darin, wenn wir zugäben, daß die Apostel dem Petrus eine derartige Obergewalt (über ihren Kreis) übertragen hätten. Aber was unter wenigen gilt, das läßt sich nicht gleich auf den gesamten Erdkreis beziehen, zu dessen Regierung ein einzelner Mensch allein nicht ausreicht. Aber, sagen sie, nicht weniger gilt in der Natur im allgemeinen wie auch in den einzelnen Teilen auch dies, daß ein oberstes Haupt über allen steht. Und für diese Behauptung entnehmen sie, wenn es Gott gefällt, den Beweis bei den Kranichen und Bienen, die sich auch allezeit ein Oberhaupt wählen und nicht mehrere. Allerdings lasse ich die von ihnen vorgebrachten Beispiele gelten. Aber strömen etwa aus der ganzen Welt die Bienen herbei, um sich einen einzigen König (!) zu wählen? Nein, die einzelnen Könige sind mit ihren eigenen Bienenkörben zufrieden! Ebenso hat auch unter den Kranichen jeder einzelne Schwarm seinen eigenen König. Was können (also) die Papisten aus diesen Beispielen anders gewinnen, als daß jeder einzelnen Kirche ihr besonderer Bischof zugeteilt sein muß? Dann verweisen sie uns auf Beispiele aus dem bürgerlichen Leben, sie ziehen das Wort aus Homer heran: „Vielherrschaft tut nicht gut“ (Ilias II,204), dazu auch das, was man im gleichen Sinne zur Empfehlung der Monarchie bei weltlichen Schriftstellern zu lesen bekommt. Die Erwiderung ist leicht zu geben: wenn Homers Ulysses oder andere Leute die Monarchie preisen, so geschieht das nämlich nicht in dem Sinne, als ob ein Mensch mit seinem Befehl die ganze Welt regieren sollte, sondern sie wollen zeigen, daß ein Reich nicht zwei Könige fassen kann und daß, wie einmal jemand gesagt hat, die Macht keinen Mitgenossen zu ertragen vermag (Lukan, Pharsalia I,92f.).



IV,6,9

Aber wir wollen es einmal so gelten lassen, wie sie es wollen, wir wollen einmal zugeben, es sei gut und nützlich, wenn die ganze Welt unter (einer) Monarchie stünde – es wäre allerdings höchst widersinnig; aber es möge einmal so sein! Selbst dann aber werde ich deswegen nicht zugeben, daß das gleiche auch für die Leitung der Kirche Geltung hätte. Denn die Kirche hat Christus zu ihrem einzigen Haupte, unter dessen Herrschaft wir alle miteinander verbunden sind, und zwar nach der Ordnung und der Gestalt der Regierung, die er selbst vorgeschrieben hat. Die Papisten fügen also Christus sehr großes Unrecht zu, wenn sie verlangen, ein einziger Mensch müsse die gesamte Kirche regieren, und wenn sie dabei den Vorwand benutzen, die Kirche könne eben ein solches Haupt nicht entbehren. Denn Christus ist das Haupt, „von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hanget durch alle Gelenke, dadurch eins dem anderen Handreichung tut nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße und macht, daß der ganze Leib wächst …” (Eph. 4,15f.). Sieht man, wie der Apostel allen Menschen ohne jede Ausnahme in dem Leibe ihren Platz zuweist, die Ehre und den Namen des Hauptes aber Christus allein vorbehält? Sieht man, wie er allen einzelnen Gliedern ein bestimmtes Maß, eine festgesetzte und begrenzte Aufgabe zuerteilt, damit die Vollkommenheit der Gnade wie auch die höchste Regierungsgewalt bei Christus allein liege? Es ist mir auch nicht unbekannt, was für eine Ausflucht die Papisten suchen, wenn man ihnen dies vorhält; sie sagen nämlich: Christus wird im eigentlichen Sinne das einige Haupt genannt, weil er allein kraft eigener Autorität und in seinem eigenen Namen regiert; aber das hindert nicht, daß es unter ihm noch ein zweites, „dienstbares Haupt“ gibt – so drücken sie sich aus! -, das auf Erden seine Vertretung führt. Aber mit dieser Ausflucht werden sie nichts zuwege bringen, wenn sie nicht zuvor gezeigt haben, daß Christus dieses Amt verordnet hat. Der Apostel nämlich lehrt, die ganze „Handreichung“ sei über die Glieder hin verstreut, die Kraft aber ströme von jenem einen himmlischen Haupte her (Eph. 4,16). Oder wenn sie etwas Deutlicheres hören wollen: da die Schrift bezeugt, daß Christus das Haupt ist, und da sie ihm allein diese Ehre zuschreibt, so darf diese nur dann auf einen anderen übertragen werden, wenn Christus selber ihn zu seinem Statthalter gemacht hat. Dies aber steht nicht nur nirgendwo zu lesen, sondern man kann es auf Grund von vielen Stellen reichlich widerlegen (Eph. 1,22; 4,15; 5,23; Kol. 1,18; 2,10).



IV,6,10

Paulus malt uns einige Male ein lebendiges Bild der Kirche vor Augen. Von dem einen (menschlichen) Haupte dagegen liest man dort nichts. Nein, es läßt sich vielmehr aus seiner Beschreibung die Folgerung ziehen, daß dies „eine Haupt“ mit Christi Einsetzung nichts zu tun hat. Christus hat uns durch seine Himmelfahrt seine sichtbare Gegenwart entzogen; dennoch ist er „aufgefahren …, auf daß er alles erfüllte“ (Eph. 4,10). Die Kirche hat ihn also auch jetzt noch gegenwärtig und wird ihn allezeit gegenwärtig haben. Indem nun Paulus die Art und Weise schildern will, in der sich Christus zeigt, verweist er uns auf die Ämter, deren sich Christus bedient. „In uns allen“, sagt er, „ist der Herr, nach dem Maß der Gnade, das er jedem einzelnen Gliede hat zuteil werden lassen. Darum hat er einige zu Aposteln eingesetzt, andere aber zu Hirten, andere zu Evangelisten, andere zu Lehrern …” (Eph. 4,7.11, ungenau). Weshalb sagt Paulus nicht, Christus habe einen Menschen über alle gesetzt, der seine Vertretung führen sollte? Denn die Stelle (die ja immerzu von der Einheit redet) erforderte das in höchstem Maße, und es hätte unter keinen Umständen ausgelassen werden dürfen, wenn es wahr wäre. Er sagt: „Christus ist bei uns“. Wieso? Durch das Dienstamt der Menschen, die Christus zur Leitung der Kirche eingesetzt hat! Weshalb sagt er nicht lieber: durch das „dienstbare Haupt“, dem er seine Stellvertretung aufgetragen hat? Er spricht ausdrücklich von Einheit: aber das ist Einheit in Gott und im Glauben an Christus. Den Menschen schreibt er nichts zu als einen gemeinsamen Dienst und dazu jedem einzelnen sein besonderes „Maß“ (Vers 16). Er hatte doch von dem „einen Leib“, dem „einen Geist“, von der einen „Hoffnung der Berufung“ gesprochen, er hatte gesagt: „ein Gott, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph. 4,4-6, ungenau) – weshalb fügt er in diesem Lobpreis der Einheit nicht auch gleich zu, es gebe auch einen obersten Bischof, der die Kirche in der Einheit erhalten solle? Es hätte gar nichts Passenderes gesagt werden können – vorausgesetzt nur, daß die Wirklichkeit sich so verhielt! Man möge diese Stelle eindringlich erwägen: es besteht kein Zweifel, daß Paulus hier durchaus das heilige, geistliche Regiment der Kirche hat darstellen wollen, das die Späteren dann als „Hierarchie“ bezeichnet haben. Dagegen hat er nicht nur keine Monarchie unter den Dienern (der Kirche) aufgerichtet, sondern er hat gezeigt, daß es keine gibt. Es besteht auch kein Zweifel, daß er die Art der Verbundenheit hat zum Ausdruck bringen wollen, in der die Gläubigen mit Christus, ihrem Haupte, zusammenhängen. Da erwähnt er nun nicht nur kein „dienstbares Haupt“, sondern er schreibt jedem einzelnen Gliede ein besonderes „Werk“ zu (Vers 16), nach dem Maße der Gnade, die jedem einzelnen zugeteilt ist. Es besteht auch kein Anlaß, daß sie über die Vergleichung der himmlischen mit der irdischen „Hierarchie“ scharfsinnig philosophieren; denn es ist nicht gefahrlos, in Bezug auf die himmlische über das Maß hinaus klug sein zu wollen, und bei der Aufrichtung der irdischen soll man keinem anderen Vorbild folgen als dem, das der Herr selber in seinem Worte umschrieben hat.



IV,6,11

Ich will ihnen aber auch dies andere einmal durchgehen lassen, was sie allerdings bei vernünftigen Menschen nie und nimmer werden durchsetzen können, nämlich daß in der Person des Petrus für die Kirche eine Obergewalt aufgerichtet worden sei, und zwar so, daß sie durch fortwährende Aufeinanderfolge stets erhalten bleiben würde. Woraus wollen sie dann aber beweisen, daß der Sitz (dieser Obergewalt) in Rom aufgerichtet sei, so daß also jeder, der Bischof dieser Stadt wäre, auch die Herrschaft über die ganze Welt hätte? Mit welchem Recht binden sie diese Würde an einen Ort, obwohl sie doch ohne Erwähnung eines Ortes gegeben worden ist? Petrus, sagen sie, hat doch in Rom gelebt und ist dort gestorben! Wie ist es aber mit Christus selbst? Hat er nicht, solange er lebte, das Bischofsamt in Jerusalem geführt und hat er nicht durch sein Sterben das Priesteramt erfüllt? Der Oberste der Hirten, der höchste Bischof, das Haupt der Kirche vermochte dem Ort (seines Wirkens) keine Ehre zu erwerben – und Petrus, der ihm doch bei weitem nachsteht, hat es vermocht? Sind das nicht mehr als kindische Albernheiten? Christus – so sagt man – hat die Ehre der Obergewalt dem Petrus übertragen, Petrus aber hatte seinen Sitz in Rom, also hat er dort den Sitz dieser Obergewalt aufgerichtet. Auf diese Weise hätten denn wohl die Israeliten vorzeiten den Sitz der Obergewalt in der Wüste aufrichten müssen, wo Mose als höchster Lehrer und Oberster der Propheten sein Amt verrichtet hatte und gestorben war (Deut. 34,5)!
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,6,12

Wir wollen aber zusehen, wie trefflich die Papisten ihren Beweis führen. Petrus, sagen sie, hatte unter den Aposteln die führende Stellung, deshalb muß die Kirche, in der er seinen Sitz hatte, dieses Vorrecht haben. Wo hatte Petrus aber zuerst seinen Sitz? In Antiochia, sagen sie. Also erhebt die Kirche zu Antiochia mit Recht den Anspruch auf die Obergewalt für sich! Sie geben zu, daß sie einst die erste gewesen ist. Dann aber sei, so behaupten sie, Petrus von dort weggezogen, und er habe die Ehre, die er mit sich brachte, nach Rom überführt. Es ist unter dem Namen des Papstes Marcellus ein Schreiben an die Presbyter von Antiochia erhalten, in dem er sich folgendermaßen ausspricht: „Der Sitz des Petrus befand sich anfangs bei euch; nachher ist er auf Weisung des Herrn nach hier übertragen worden. So hat die Kirche zu Antiochia, die einst die erste war, dem römischen Stuhl den Platz geräumt“ (Decretum Gratiani II,24,1,15). Aber durch was für ein Offenbarungswort hat der gute Mann gewußt, daß der Herr es so geboten habe? Denn wenn diese Sache rechtmäßig entschieden werden soll, so müssen die Papisten antworten, ob dieses Vorrecht nach ihrem Willen persönlich, sachlich oder aber teils persönlich, teils sachlich (mixtum) ist. Denn eins von diesen dreien muß es notwendig sein. Wenn sie nun sagen, es sei ein persönliches Vorrecht, so hat es also mit dem Ort nichts zu tun. Sagen sie aber, es sei sachlicher Art, so kann es dem Orte, sobald es ihm einmal gegeben ist, wegen des Todes oder Wegzugs der Person nicht genommen werden. Es bleibt also übrig, daß sie behaupten, es sei teils persönlicher, teils sachlicher Art; in diesem Falle aber darf sich die Betrachtung nicht einfach dem Ort zuwenden, sofern mit diesem nicht zugleich die Person in Beziehung steht. Sie mögen sich auswählen, was sie wollen – ich werde jedenfalls gleich entgegnen und mit Leichtigkeit beweisen, daß sich Rom ohne jeglichen Grund die Obergewalt anmaßt.



IV,6,13

Es möge aber einmal so sein! Geben wir zu, die Obergewalt wäre, wie sie schwatzen, von Antiochia nach Rom übertragen worden. Weshalb hat dann aber Antiochia nicht den zweiten Platz behalten? Denn wenn Rom deshalb die erste Stelle einnimmt, weil Petrus dort bis zum Schluß seines Lebens seinen Sitz hatte, wem soll man dann eher die zweite geben als der Stadt, in der er seinen ersten Sitz gehabt hatte? Wie ist es denn gekommen, daß Alexandria den Vorrang vor Antiochia gewann? Wie reimt sich das, daß die Kirche eines (gewöhnlichen) Jüngers (Markus) dem Sitz des Petrus vorangeht? Wenn jeder Kirche eine Ehre gemäß der Würde ihres Begründers zukommt, was sollen wir dann auch von den anderen Kirchen sagen? Paulus nennt drei Männer, die als Säulen angesehen wurden, nämlich Jakobus, Petrus und Johannes (Gal. 2,9). Wenn nun der römische Bischofssitz dem Petrus zu Ehren den ersten Platz zugewiesen bekommt, verdienen dann nicht die Bischofssitze von Ephesus und Jerusalem, wo Johannes und Jakobus wirkten, den zweiten und dritten? Tatsächlich aber hatte unter den Patriarchaten Jerusalem früher den letzten Platz, und Ephesus konnte sich nicht einmal in der äußersten Ecke festsetzen! Auch andere Kirchen sind übergangen worden: sowohl alle, die Paulus gegründet hatte, als auch solche, in denen andere Apostel als Vorsteher gewirkt hatten. Der Sitz des Markus aber (Alexandria), der nur einer von den Jüngern war, ist zu Ehren gekommen. Die Papisten müssen nun entweder zugeben, daß diese Ordnung unangebracht war, oder aber sie müssen uns zugestehen, daß es gar keine fortdauernde Regel ist, daß jeder einzelnen Kirche der Ehrenrang zukommt, den ihr Begründer besessen hat.



IV,6,14

Allerdings sehe ich nicht, wieweit das, was sie von dem Amtsaufenthalt des Petrus in der Kirche zu Rom berichten, Glauben finden muß. Auf jeden Fall läßt sich das, was bei Eusebius steht, nämlich Petrus habe die Kirche dort fünfundzwanzig Jahre lang geleitet, mit Leichtigkeit widerlegen. Denn wie sich aus dem ersten und zweiten Kapitel des Briefs an die Galater mit Sicherheit ergibt, ist Petrus noch etwa zwanzig Jahre nach Christi Tod in Jerusalem gewesen (Gal. 1,18; 2,1ff.); dann ist er nach Antiochia gekommen (Gal. 2,11), und wie lange er dort gewesen ist, ist ungewiß. Gregor zählt sieben Jahre, Eusebius aber fünfundzwanzig. Aber man wird finden, daß der Zeitraum zwischen Christi Tod und dem Ende der Regierung des Nero, unter dem Petrus, wie man berichtet, getötet worden ist, bloß siebenunddreißig Jahre beträgt. Das Leiden des Herrn nämlich fällt in die Regierung des Tiberius, und zwar in deren achtzehntes Jahr. Wenn man nun (von den erwähnten siebenunddreißig Jahren) zwanzig Jahre abzieht, die Petrus nach dem Zeugnis des Paulus in Jerusalem verbracht hat, so bleiben höchstens siebzehn übrig. Diese muß man nun auf jene zwiefache Wirksamkeit als Bischof (in Antiochia und in Rom) verteilen. Hat sich Petrus lange in Antiochia aufgehalten, so hat er in Rom nicht verweilen können, es sei denn für ganz kurze Zeit. Eben dies läßt sich noch klarer zeigen. Paulus hat den Brief an die Römer von einer Reise aus geschrieben, als er nach Jerusalem zog (Röm. 15,25); dort wurde er gefangengenommen und dann später nach Rom geführt. Es ist also wahrscheinlich, daß dieser Brief vier Jahre vor seiner Ankunft in Rom geschrieben worden ist. In diesem Brief findet sich noch keine Erwähnung des Petrus, und eine solche hätte nicht unterbleiben können, wenn Petrus diese Kirche (damals) geleitet hätte. Ja, selbst am Ende (des Briefes), wo Paulus eine lange Liste von Frommen aufzählt, die er zu grüßen gebietet, eine Liste nämlich, in der er alle ihm bekannten Leute zusammenfaßt (Röm. 16,3-16), schweigt er von Petrus noch vollständig. Bei Menschen mit einigermaßen gesundem Urteil bedarf es hier auch keines langen und scharfsinnigen Beweises; denn der Sachverhalt selbst und der ganze Inhalt des Briefes bezeugt laut, daß Paulus den Petrus nicht hätte übergehen dürfen, wenn dieser in Rom gewesen wäre.



IV,6,15

Dann wurde Paulus gefangen nach Rom gebracht (Apg. 28,16). Lukas berichtet, daß er von den Brüdern empfangen worden ist (Apg. 28,15f.). Von Petrus kein Wort! Paulus schreibt von Rom aus an viele Kirchen. In einigen Briefen schreibt er im Namen einiger Männer Grüße. Aber er läßt nicht mit einem einzigen Wort erkennen, daß Petrus damals in Rom gewesen sei. Wer, das möchte ich doch wissen, sollte wohl glauben, Paulus hätte schweigen können, wenn Petrus dort gewesen wäre? Ja, im Brief an die Philipper sagt er zunächst, er habe niemanden, der das Werk des Herrn so treu besorge wie Timotheus, und dann klagt er: „Sie suchen alle das Ihre …” (Phil. 2,19-21). Und in einem Brief an den nämlichen Timotheus ist die Klage noch schwerer: „In meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle“ (2. Tim. 4,16). Wo war nun damals Petrus? Denn wenn man sagt, er sei in Rom gewesen, was brennt ihm Paulus dann für einen schlimmen Makel auf, als ob er das Evangelium schmählich verlassen hätte? Denn er redet von Gläubigen, weil er ja zufügt: „Gott wolle es ihnen nicht zurechnen“ (2. Tim. 4,16; nicht Luthertext). Wie lange hat also Petrus diesen Bischofssitz innegehabt und zu welcher Zeit? Ja, sagt man wohl, es ist doch die feste Überzeugung der Schriftsteller, daß er diese Kirche bis zu seinem Tode regiert hat! Aber unter den Schriftstellern selbst besteht keine Einhelligkeit darüber, wer sein Nachfolger gewesen sein soll: die einen nennen Linus, die anderen Clemens. Auch erzählen sie viele widersinnige Märlein über ein Streitgespräch, das zwischen Petrus und Simon, dem Zauberer, stattgefunden habe. Auch verhehlt Augustin bei einer Erörterung über abergläubische Anschauungen nicht, daß in Rom auf Grund einer unüberlegt aufgenommenen Ansicht die Sitte aufgekommen sei, an dem Tage, an dem Petrus über Simon, den Zauberer, die Siegespalme davongetragen habe, nicht zu fasten (Brief 36). Kurzum, die Geschehnisse der damaligen Zeit sind durch die Vielfältigkeit der Meinungen dermaßen verwickelt, daß wir, wo wir etwas geschrieben finden, nicht gleich alles unüberlegt glauben dürfen. Und doch bestreite ich wegen dieser Einstimmigkeit der Schriftsteller nicht, daß Petrus in Rom gestorben ist; daß er aber dort Bischof gewesen sei, vor allem gar lange Zeit hindurch, davon kann man mich nicht überzeugen. Ich kümmere mich auch nicht sehr darum, weil Paulus bezeugt, daß sich das Apostelamt des Petrus in besonderer Weise auf die Juden, seines aber auf uns (Heiden) bezieht. Damit also jene Bundesgenossenschaft, die sie (Petrus und Paulus Gal. 2,9) miteinander abgeschlossen haben, bei uns in Kraft steht, ja, damit die Anordnung des Heiligen Geistes unter uns als beständig gilt, gebührt es sich, daß wir mehr auf das Apostelamt des Paulus als auf das des Petrus schauen. Denn der Heilige Geist hat die Aufgaben unter sie dergestalt verteilt, daß er den Petrus für die Juden, den Paulus aber für uns bestimmte. Deshalb sollen sich nun die Römischen ihre Obergewalt anderswo suchen als im Worte Gottes; denn da kann man sie keineswegs begründet finden.



IV,6,16

Jetzt wollen wir zur Alten Kirche kommen, damit auch deutlich wird, daß unsere Widersacher mit ihrer Zustimmung nicht weniger unbegründet und fälschlich prahlen als mit dem Zeugnis des Wortes Gottes. Die Römischen rühmen nun ihren Grundartikel, nach welchem die Einheit der Kirche nur dann erhalten werden kann, wenn es auf Erden ein oberstes Haupt gibt, dem dann alle Glieder gehorchen sollen; eben deshalb hat, so behaupten sie weiter, der Herr dem Petrus und danach auch kraft des Rechtes der Aufeinanderfolge dem römischen Stuhl die Obergewalt gegeben, damit sie bei ihm bis zum Ende verbleibt. Und nun versichern sie, das sei von Anfang an stets so gehalten worden! Da sie nun aber viele Zeugnisse übel verdrehen, so will ich zunächst vorweg sagen: ich leugne nicht, daß die Alten der römischen Kirche allenthalben große Würde beilegen und in Ehrfurcht von ihr reden. Ich meine, daß dies vor allem aus drei Gründen geschieht.

(1) Jene Meinung, die auf wer weiß welche Weise zur Geltung gekommen ist, nämlich diese Kirche sei durch den Dienst des Petrus begründet und aufgerichtet worden, besaß in höchstem Maße die Kraft, ihr Gunst und Ansehen zu verschaffen. Deshalb wurde die Kirche zu Rom im Westen auch zu ihrer Ehrung als „apostolischer Stuhl“ bezeichnet.

(2) Zweitens war ja Rom die Hauptstadt des Reiches, und aus diesem Grunde konnte man annehmen, daß dort Männer waren, die sich durch Gelehrsamkeit, Verstand, Erfahrung und Geübtheit in vielen Sachen mehr auszeichneten, als das irgendwo sonst der Fall war. Deshalb trug man dieser Tatsache verdientermaßen Rechnung, damit es nicht den Anschein hatte, als schätze man den hohen Rang der Stadt und auch andere, viel herrlichere Gaben Gottes gering.

(3) Dazu kam auch das dritte. Während die Kirchen des Ostens und Griechenlands, auch die afrikanische Kirche, in vielen Meinungsstreitigkeiten untereinander im Aufruhr waren, war die Kirche zu Rom friedlicher und weniger aufgewühlt gewesen. So kam es, daß fromme und heilige Bischöfe, die man von ihren Sitzen vertrieben hatte, nach Rom ihre Zuflucht nahmen, als ob es gleichsam eine Freistatt oder ein Hafen wäre. Denn die Menschen im Westen sind weniger scharfen und schnellen Geistes als die Asiaten und Afrikaner, und dementsprechend trachten sie auch weniger nach Neuerungen. Es trug also zur Stärkung des Ansehens der Kirche zu Rom sehr wesentlich bei, daß sie in jenen unklaren Zeiten nicht so ruhelos gewesen ist wie die übrigen, und daß sie an der einmal überlieferten Lehre zäher festgehalten hat als alle anderen. Das werden wir bald noch besser auseinandersetzen. Aus diesen drei Ursachen, sage ich, genoß die Kirche in Rom eine ungewöhnliche Ehre und wurde sie in vielen herrlichen Zeugnissen der Alten gepriesen.
Simon W.

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IV,6,17

Wenn aber unsere Gegner auf Grund dieser Tatsachen der Kirche zu Rom die Obergewalt und die höchste Macht über die anderen Kirchen verschaffen wollen, dann handeln sie, wie ich bereits sagte, völlig verkehrt. Damit das klarer herauskommt, will ich zunächst kurz zeigen, was denn die Alten über die Einheit gedacht haben, auf die die Papisten solchen Nachdruck legen. Hieronymus zählt in einem Brief an Nepotian zunächst viele Beispiele solcher Einheit auf, und dann kommt er schließlich auf die kirchliche Hierarchie zu sprechen. Da sagt er: „Jeder einzelne Bischof einer Kirche, auch jeder Archipresbyter, jeder Archidiakon und überhaupt jeder kirchliche Rang stützt sich auf seine Regenten“ (Der Brief ist an Rusticus gerichtet, Brief 125). Hier redet ein Presbyter der Kirche zu Rom; er preist die Einheit im kirchlichen Stande – weshalb aber erwähnt er nicht, alle Kirchen seien untereinander durch das eine Haupt wie durch ein Band verbunden? Es gab doch nichts, was zu der eben von ihm behandelten Sache besser hätte dienen können! Auch läßt sich nicht sagen, diese Übergehung (des angeblichen menschlichen Oberhaupts der Kirche) sei aus Vergeßlichkeit geschehen; denn Hieronymus hätte nichts lieber getan (als dies) – wenn die Sache es gelitten hätte! Er sah also ohne jeden Zweifel, daß die wahre Art der Einheit die ist, die Cyprian so trefflich beschreibt, wenn er sagt: „Es ist ein Bischofsamt, von dem jeder einzelne (Bischof) ein Stück vollkömmlich innehat, und es ist eine Kirche, die sich mit wachsender Fruchtbarkeit in ihrer Vielheit zu größerer Weite ausbreitet. Die Strahlen der Sonne sind viele, und das Licht ist doch eins, viele Äste hat der Baum, aber einen einzigen Stamm, der auf fester Wurzel gegründet ist; von einer einzigen Quelle fließen sehr viele Bäche her, und mag auch bei dem Reichtum der überströmenden Wassermenge der Eindruck einer verstreuten Vielheit entstehen, so bleibt doch im Ursprung die Einheit erhalten. Genau so breitet auch die Kirche, von dem Lichte des Herrn durchflossen, ihre Strahlen über den ganzen Erdkreis aus, und doch ist es ein Licht, das sich da allenthalben ergießt, und die Einheit ihres Leibes wird nicht zerteilt; sie streckt ihre Äste über den ganzen Erdkreis hin, sie strömt überfließende Bäche aus, und doch ist es ein Haupt und ein Brunnquell …” (Von der Einheit der katholischen Kirche 5). Und dann heißt es weiter: „Die Braut Christi kann man nicht zum Ehebruch verführen: sie kennt das eine Haus, und sie hütet die Heiligkeit der einen Kammer in züchtiger Scham” (Von der Einheit der katholischen Kirche 6). Da sieht man, wie er allein Christi Bischofsamt für allgemeinwirksam erklärt, weil es die ganze Kirche unter sich erfaßt, und wie er es ausspricht, daß jeder einzelne, der unter diesem Haupte ein Bischofsamt ausrichtet, ein Stück davon vollkömmlich innehat. Wo bleibt die Obergewalt des römischen Stuhls, wenn bei Christus allein sein Bischofsamt unverkürzt verbleibt und jeder einzelne einen Teil davon vollkömmIich innehat? Diese Ausführungen haben den Zweck, daß der Leser im Vorbeigehen einsieht: jener Hauptgrundsatz von der Einheit des irdischen Hauptes in der Hierarchie, den die Römischen für ausgemacht und unzweifelhaft ansehen, ist den Alten ganz und gar unbekannt gewesen.



Siebentes Kapitel: Vom Beginn und vom Wachstum des römischen Papsttums, bis es zu seiner heutigen Hoheit emporgestiegen ist, durch welche die Freiheit der Kirche unterdrückt und zugleich alles rechte Maß umgestürzt worden ist


IV,7,1

Was das Alter der Obergewalt des römischen Stuhls betrifft, so besitzt man zu seiner Bekräftigung nichts Älteres als jenen Beschluß des Konzils von Nicäa (325), kraft dessen dem Bischof von Rom der erste Platz unter den Patriarchen eingeräumt und ihm zugleich die Weisung erteilt wird, die in der Nachbarschaft der Stadt gelegenen Kirchen zu versorgen. Wenn nun das Konzil zwischen ihm und den anderen Patriarchen dergestalt teilt, daß es jedem sein Gebiet zuweist, so setzt es ihn wahrhaftig nicht zum Haupt über alle ein, sondern macht ihn zu einem der Vornehmsten. Bei dem Konzil waren im Namen des Julius, der dazumal die Kirche zu Rom regierte, Vitus und Vincentius zugegen; diesen hat man den vierten Platz zugewiesen. Ich möchte doch wissen, ob man die Abgesandten des Julius auf den vierten Platz verwiesen hätte, wenn er selbst damals als Haupt der Kirche anerkannt gewesen wäre! Hätte dann auch wohl Athanasius den Vorsitz bei dem Konzil geführt, wo doch gerade darin die Gestalt der hierarchischen Ordnung besonders leuchtend hervortreten soll? Auf der Synode von Ephesus (431) hat Coelestinus, der damals römischer Bischof war, offenkundig einen versteckten Kunstgriff angewandt, um für die Würde seines Stuhles zu sorgen. Denn obwohl er seine Leute dorthin sandte, trug er dem Cyrill von Alexandria, der auch ohnedies den Vorsitz führen sollte, seine „Vertretung“ auf. Wozu sollte solch ein Auftrag anders dienen als dazu, daß auf irgendeine Weise sein Name an dem ersten Platz haften sollte? Denn seine Abgesandten hatten an untergeordneter Stelle ihren Sitz, man fragte sie um ihre Meinung wie andere auch, und sie unterschrieben nach ihrem eigenen Rang; unterdessen aber verband der Patriarch von Alexandria den Namen des römischen Bischofs mit seinem eigenen! Was soll ich von dem zweiten Konzil zu Ephesus (449) sagen? Da waren zwar die Abgesandten Leos (I.) zugegen, aber trotzdem führte der Patriarch Dioskur von Alexandria gleichsam auf Grund seines eigenen Rechtes den Vorsitz. Die Papisten werden freilich einwenden, dies Konzil habe doch den heiligen Mann Flavian verdammt, den Eutyches dagegen freigesprochen und seine Unfrömmigkeit gebilligt, und deshalb sei es eben nicht rechtgläubig gewesen. Ja, aber als die Synode zusammentrat und als die Bischöfe die Sitze unter sich verteilten, da saßen jedenfalls die Abgesandten der Kirche von Rom unter den anderen, nicht anders als in einem heiligen und rechtmäßigen Konzil! Trotzdem stritten die römischen Gesandten nicht um den ersten Platz, sondern überließen ihn jemand anders, und das hätten sie nie und nimmer getan, wenn sie geglaubt hätten, dieser Platz käme ihnen mit Recht zu. Denn die Bischöfe von Rom haben sich nie geschämt, um ihrer Ehre willen die größten Streitigkeiten zu entfesseln und allein aus diesem Grunde die Kirche oftmals mit vielen und gefährlichen Kämpfen zu beunruhigen und zu verwirren. Nein, Leo sah eben ein, daß es ein allzu unverschämtes Verlangen sein würde, wenn er für seine Abgesandten den ersten Platz beanspruchte, und deshalb sah er davon ab.



IV,7,2

Dann folgte das Konzil zu Chalcedon (451). Auf diesem haben die Abgesandten der Kirche zu Rom mit Zustimmung des Kaisers den ersten Platz eingenommen. Aber Leo selbst gibt zu, daß dies ein außergewöhnliches Vorrecht war; denn als er es von dem Kaiser Marcian und der Kaiserin Pulcheria erbittet, da behauptet er nicht, es komme ihm zu, sondern er braucht nur den Vorwand, die Bischöfe des Ostens, die auf dem Konzil zu Ephesus (449) den Vorsitz geführt hatten, hätten damals alles durcheinandergebracht und ihre Macht übel mißbraucht. Da es also eines ernstgesinnten Leiters bedurfte und da es nicht wahrscheinlich war, daß die, die einmal so leichtfertig und aufrührerisch gewesen waren, zu dieser Aufgabe geeignet sein würden, so bat Leo, man möge ihm wegen der Fehlerhaftigkeit und mangelnden Eignung der anderen die Aufgabe der Leitung übertragen. Wenn er das kraft eines besonderen Vorrechts und außerhalb der Ordnung erbittet, so beruht es jedenfalls nicht auf einem allgemeinen Gesetz. Wenn er nun den einen Vorwand braucht, es sei ein neuer Vorsitzender erforderlich, weil sich die vorigen übel verhalten hätten, so geht daraus klar hervor, daß es weder vorher so gemacht worden ist noch auf die Dauer so sein muß, sondern ausschließlich im Blick auf die gegenwärtige Gefahr geschieht. Der römische Bischof hat also auf dem Konzil zu Chalcedon den ersten Platz nicht etwa deshalb, weil dieser seinem Stuhl zukäme, sondern weil es der Synode an einem ernsten und geschickten Leiter fehlt, indem sich eben die, denen der Vorsitz gebührte, durch ihre Zügellosigkeit und Willkür von diesem Platz ausschließen. Was ich sage, das hat dann ein Nachfolger Leos (I.) tatsächlich bestätigt. Denn als er zu der lange Zeit später abgehaltenen fünften Synode zu Konstantinopel (553) seine Abgesandten schickte, da stritt er nicht um den ersten Platz, sondern ließ es mit Leichtigkeit hingehen, daß der Patriarch Mennas von Konstantinopel den Vorsitz führte. Ebenso sehen wir auch, daß auf dem Konzil zu Karthago (418), an dem Augustin teilnahm, nicht die Abgesandten des römischen Stuhls den Vorsitz geführt haben, sondern der örtliche Erzbischof Aurelius, und das, obwohl der Streit gerade um die Autorität des römischen Oberpriesters ging. Ja, es ist sogar in Italien selbst ein allgemeines Konzil abgehalten worden, an dem der Bischof von Rom nicht teilgenommen hat, nämlich das Konzil zu Aquileja (381). Den Vorsitz führte dabei Ambrosius, der damals beim Kaiser in sehr hohem Ansehen stand. Der römische Bischof wurde dort gar nicht erwähnt. So ist es damals vermöge der Würde des Ambrosius dahin gekommen, daß der Bischofsstuhl von Mailand in höherem Glänze stand als der von Rom.



IV,7,3

Was nun den Titel „Obergewalt“ und andere hoffärtige Bezeichnungen anbelangt, deren sich der Papst heutzutage großmächtig rühmt, so ist nicht schwer ein Urteil darüber zu gewinnen, wann und auf welche Weise sie aufgekommen sind. Cyprian erwähnt oft den (Bischof) Cornelius (von Rom); aber er verwendet zu seiner Bezeichnung keine anderen Namen als „Bruder“, „ Mitbischof” oder „Amtsgenosse“. Wenn er aber an Stephanus, den Nachfolger des Cornelius, schreibt, so behandelt er ihn nicht nur als ihm selber und anderen gleichgestellt, sondern fährt auch recht scharf gegen ihn los und wirft ihm bald Anmaßung, bald Unwissenheit vor (Brief 72,3 und 75,3). Aus der Zeit nach Cyprian wissen wir, was hierüber die ganze afrikanische Kirche für eine Meinung hatte. Denn ein Konzil zu Karthago (397) verbot es, daß jemand als „Oberster der Priester“ oder als „erster Bischof“ bezeichnet wurde, und erlaubte nur die Benennung „Bischof des ersten Stuhls“. Wenn jemand ältere Urkunden durchblättert, so wird er finden, daß sich der Bischof von Rom damals mit der allgemeinen Anrede „Bruder“ zufriedengegeben hat. Auf jeden Fall waren, solange die wahre und reine Gestalt der Kirche dauerte, all jene hoffärtigen Namen, mit denen der römische Stuhl hernach übermütig zu werden begann, gänzlich unerhört; was „der oberste Bischof“ und das „einige Haupt der Kirche auf Erden“ sei, das wußte man nicht. Wenn der Bischof von Rom es gewagt hätte, sich dergleichen anzumaßen, so waren da immerhin beherzte Männer, um seine Torheit alsbald zurückzuweisen. Hieronymus war ein Presbyter der Kirche zu Rom, und er war deshalb nicht knauserig damit, die Würde seiner Kirche zu rühmen, soweit es die Sache und die Zeitverhältnisse zuließen. Trotzdem sehen wir, wie er auch diese seine Kirche in die Ordnung hineinstellt. „Wenn man nach dem Ansehen fragt“, sagt er, „so ist der Erdkreis größer als eine Stadt. Was hältst du mir die Gewohnheit einer einzigen Stadt vor? Wozu berufst du dich auf eine geringe Zahl, von der die Hoffart ausgegangen ist, gegenüber den Gesetzen der Kirche? Wo auch immer ein Bischof gewesen ist, sei es zu Rom oder zu Eugubium, zu Konstantinopel oder zu Rhegium – er hat das gleiche Verdienst und das gleiche Priesteramt! Die Macht der Reichtümer oder auch die Niedrigkeit der Armut macht einen Bischof nicht höher und nicht geringer“ (Brief 146, an Euangelus bzw. Euagrius).
Simon W.

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IV,7,4

Über den Titel „Allgemeiner Bischof“ (universalis episcopus) ist erst zur Zeit Gregors (I.) ein Streit entstanden. Den Anlaß dazu bot die Ehrsucht des Johannes von Konstantinopel. Denn dieser wollte sich, was niemand anders je vorher versucht hatte, zum Allgemeinbischof machen. In diesem Streit gibt nun Gregor nicht als Grund an, das Recht, das Johannes für sich begehrte, werde ihm damit entrissen; nein, er erhebt wacker Einspruch und erklärt, das sei eine unheilige, ja frevlerische Bezeichnung, ja, sie sei ein Vorbote des Antichrists. „Es fällt ja die ganze Kirche aus ihrem Stand heraus“, sagt er, „wenn der fällt, der sich Allgemeinbischof nennen läßt“ (Brief V,37). Und an anderer Stelle sagt er: „Es ist ein sehr trauriges Ding, wenn man geduldig ertragen soll, daß unser Bruder und Mitbischof unter Verachtung aller allein Bischof heißen soll. Aber was tritt in dieser seiner Hoffart anders zutage, als daß die Seiten des Antichrists bereits nahe sind? Denn er macht es doch dem nach, der die Gemeinschaft der Engel verachtete und versuchte, zum Gipfel der Alleinherrschaft emporzusteigen“ (Brief V,39). An anderer Stelle schreibt er an Eulogius von Alexandria und Anastasius von Antiochia: „Keiner meiner Vorgänger hat je diese unheilige Bezeichnung anwenden wollen; denn es ist doch so: wenn einer ‚allgemeiner Patriarch’ heißt, so wird den anderen damit der Name ‚Patriarch’ abgesprochen. Aber es sei ferne von einem christlichen Sinn, daß sich jemand etwas anmaßen wollte, wodurch er der Ehre seiner Brüder auch nur zum geringsten Teil Abbruch tun könnte“ (Brief V,41). (Oder anderwärts:) „In diesen verruchten Namen einzuwilligen, das heißt nichts anderes, als den Glauben zugrunde zu richten“ (Brief V,45). „Es ist etwas anderes“, sagt er, „was wir zu tun haben, um die Einheit des Glaubens zu wahren – und etwas anderes, was wir unternehmen sollen, um die Hoffart zu dämpfen. Ich sage aber frei heraus, daß jeder, der sich ‚allgemeiner Priester’ nennt oder begehrt, so genannt zu werden, in seiner Hoffart ein Vorläufer des Antichrists ist, weil er sich durch sein hochmütiges Verhalten über die anderen stellt“ (Brief VII,30). Ebenso schreibt er, wiederum an Anastasius von Alexandria: „Ich habe gesagt, daß er mit uns keinen Frieden haben kann, wofern er nicht die Hoffart jener abergläubischen und hochmütigen Bezeichnung fahrenläßt, die der erste Abtrünnige erfunden hat. Auch ist es doch – um von dem Unrecht zu schweigen, das damit eurer Ehre angetan wird – so: wenn einer ‚allgemeiner Bischof’ heißt, so bricht die gesamte Kirche zusammen, sobald dieser ‚Allgemeinbischof’ fällt“ (Brief VII,24). Er schreibt dann auch, man habe diese Ehre auf dem Konzil zu Chalcedon dem Leo angetragen. Aber das hat keinen Schein von Wahrheit. Denn man liest in den Verhandlungen jener Synode nichts dergleichen. Auch bekämpft Leo selbst in vielen Briefen den dort zu Ehren des Stuhls von Konstantinopel gefaßten Beschluß, und er hätte dabei ohne Zweifel dies Beweisstück, das doch von allen das überzeugungskräftigste gewesen wäre, nicht ausgelassen, wenn es wahr gewesen wäre, daß er solche Würde angeboten bekommen und abgelehnt hätte. Auch war Leo doch im übrigen mehr als genug auf Ehre versessen, und er hätte deshalb nicht gerne etwas ausgelassen, das ihm zum Lobe gereicht hätte. Gregor war also im Irrtum, wenn er meinte, jener Titel sei dem römischen Stuhl von der Synode zu Chalcedon angetragen worden (Brief V,37; V,41). Dabei will ich noch davon schweigen, daß es lächerlich ist, wenn er bezeugt, dieser Titel sei von der heiligen Synode ausgegangen, und wenn er doch zugleich von ihm sagt, er sei verbrecherisch, unheilig, ruchlos, hoffärtig und frevlerisch, ja, vom Teufel erdacht und von einem Herold des Antichrists an die Öffentlichkeit gebracht (Brief IX,156). Und doch fügt er an, sein Vorgänger Leo habe diesen Titel abgelehnt, damit nicht, indem einem etwas für sich allein gegeben werde, sämtliche Priester der ihnen gebührenden Ehre beraubt würden (Brief V,37). An anderer Stelle heißt es: „Niemand hat je mit einer solchen Bezeichnung angeredet werden wollen, niemand hat diesen unüberlegten Namen an sich gebracht, damit er sich nicht im biblischen Rang den Ruhm einer einzigartigen Sonderstellung aneignete und dadurch den Eindruck erweckte, als habe er diesen Ruhm allen seinen Brüdern entzogen“ (Brief V,44).



IV,7,5

Ich komme nun zu der Rechtsprechungsgewalt, die der römische Bischof ohne Widerspruch über alle Kirchen zu haben behauptet. Ich weiß, was für große Streitigkeiten darüber in alter Zeit stattgefunden haben; denn es hat nie eine Zeit gegeben, in der nicht der römische Stuhl die Herrschaft über die anderen Kirchen erstrebt hätte. Es wird auch an dieser Stelle nicht unangebracht sein, wenn wir untersuchen, auf welche Weise er damals allmählich zu einer gewissen Macht emporgestiegen ist. Ich rede noch nicht von der heutigen, unbegrenzten Herrschaft, die er sich vor noch nicht so sehr langer Zeit angeeignet hat; denn das wollen wir bis auf die dazu vorgesehene Stelle verschieben. Hier aber ist es vonnöten, daß ich mit wenigen Worten zeige, wie und auf welche Weise er sich einst erhoben hat, um sich einiges Recht über andere Kirchen herauszunehmen. Als die Kirchen des Ostens unter den Kaisern Konstantius und Konstans, den Söhnen Konstantins des Großen, durch die arianischen Streitigkeiten zerspalten und verwirrt waren und Athanasius, der daselbst der vornehmste Verteidiger des orthodoxen Glaubens war, von seinem Bischofsstuhl vertrieben war, da sah sich Athanasius durch solche Not gezwungen, nach Rom zu kommen, um vermöge der Autorität des römischen Stuhles sowohl die Wut seiner Feinde einigermaßen zu dämpfen, als auch die im Kampfe stehenden Frommen zu stärken. Er wurde von dem damaligen Bischof Julius ehrenvoll empfangen und erreichte es, daß die Kirchen des Westens die Verteidigung seiner Sache in die Hand nahmen. Da also die Gläubigen fremder Hilfe sehr bedurften und da sie weiter sahen, daß in der Kirche von Rom für sie ein sehr guter Schutz lag, so übertrugen sie ihr gern soviel Autorität, wie sie nur konnten. Das war aber alles nichts anderes, als daß die Gemeinschaft mit der Kirche zu Rom hochgeschätzt wurde und es andererseits als schimpflich galt, von ihr mit dem Bann belegt zu werden. Späterhin haben auch selbst die Bösen und Gottlosen dieser Autorität viel Zuwachs verschafft: um nämlich den rechtmäßigen Gerichten zu entgehen, begaben sie sich nach Rom als zu einem Freiplatz. Wenn also irgendein Presbyter von seinem Bischof oder irgendein Bischof von seiner Provinzialsynode verurteilt worden war, so beriefen sie sich sogleich auf Rom. Und die Bischöfe von Rom nahmen diese Berufungen begieriger an, als es billig war, und zwar, weil es eine Art außergewöhnlicher Macht zu sein schien, sich auf diese Weise weit und breit in die Dinge einzumischen. Als z.B. Eutyches durch Flavian von Konstantinopel verurteilt worden war, beklagte er sich bei Leo, es sei ihm Unrecht geschehen. Dieser zögerte keinen Augenblick und übernahm den Schutz dieser üblen Sache ebenso unüberlegt wie plötzlich; er fuhr gegen Flavian heftig los, als ob er ohne Untersuchung des Falles einen unschuldigen Menschen verurteilt hätte – und mit dieser seiner Ehrsucht brachte er es dahin, daß sich die Unfrömmigkeit des Eutyches eine Zeitlang verstärkte! In Afrika ist das offenbar öfters vorgekommen; sobald nämlich irgendein Schwätzer im ordentlichen Gericht unterlegen war, begab er sich schleunigst nach Rom und belastete die Seinigen mit vielen Schmähungen; der römische Stuhl aber war stets bereit, sich ins Mittel zu legen! Diese Unverschämtheit zwang die Bischöfe von Afrika zu dem Erlaß, es dürfe bei Strafe des Bannes keiner jenseits des Meeres (eben in Rom) eine Berufung vorbringen.



IV,7,6

Wie das aber nun auch gewesen sein mag – wir wollen untersuchen, was für ein Recht oder was für eine Macht der römische Stuhl dazumal besessen hat. Die Kirchengewalt besteht nun in vier Hauptstücken: sie umfaßt (1) die Ordination der Bischöfe, (3) die Ausschreibung von Konzilien, (4) das Anhören von Berufungen oder die „Jurisdiktion“ und (2) die Vermahnungen im Sinne der Kirchenzucht oder die „Zensuren“.

(1) Alle alten Synoden gebieten, die Bischöfe sollten von dem zuständigen Bischof der Hauptstadt (dem Metropoliten) ordiniert werden; eine Herbeirufung des Bischofs, von Rom ordnen sie nirgends an, außer in dessen eigenem Patriarchat. Allmählich aber kam die Sitte auf, daß sämtliche Bischöfe Italiens nach Rom kamen, um ihre Weihe nachzusuchen, mit Ausnahme der Metropoliten, die sich in diese Knechtschaft nicht hineinzwingen ließen. Sollte ein Metropolit ordiniert werden, so sandte der Bischof von Rom vielmehr einen von seinen Presbytern dorthin, der bloß zugegen sein, nicht aber die Leitung haben sollte. Ein Beispiel dafür haben wir bei Gregor (I.) in der Weihe des Konstantius von Mailand vor uns, nach dem Tode des Laurentius (Brief III,29). Ich glaube allerdings nicht, daß dies Verfahren sehr alt gewesen ist. Es war vielmehr so: im Anfang schickten sie hin und her Abgesandte, und zwar zur Ehrung und aus Wohlwollen: diese sollten Zeugen der Ordination sein, um die gegenseitige Gemeinschaft zu bekunden; später hat man dann begonnen, das, was freiwillig war, als notwendig anzusehen. Wie dem auch sein mag – es steht jedenfalls fest, daß der Bischof von Rom die Vollmacht zur Ordination einstmals allein im Gebiet seines Patriarchats besessen hat, das heißt in den der Stadt benachbarten Kirchen, wie die Satzung des Konzils von Nicäa sagt. Mit der Ordination war die Aussendung des Synodalsendschreibens verbunden. Auch hierin hatte der Bischof von Rom keine höhere Stellung als die anderen. Die Patriarchen pflegten gleich nach ihrer Weihe in einem feierlichen Schreiben ihren Glauben zu verbürgen, um dadurch zu bezeugen, daß sie den (Beschlüssen der) heiligen und rechtgläubigen Synoden zustimmten. So sprachen sie sich, nachdem sie von ihrem Glauben Rechenschaft abgelegt hatten, gegenseitig ihre Anerkennung aus. Wenn nun der Bischof von Rom dieses Bekenntnis von den anderen empfangen, selbst aber nicht abgelegt hätte, dann wäre er damit als übergeordnet anerkannt worden. Aber tatsächlich mußte er es ebensogut abgeben, wie er es von den anderen erforderte, er mußte also dem gemeinsamen Gesetz unterworfen sein, und das war sicherlich ein Zeichen von Gemeinschaft, nicht aber von Herrschaft. Ein Beispiel dafür findet sich in dem Briefe Gregors an Anastasius (Brief I,25), in einem anderen an Cyriacus von Konstantinopel (VII,5) und anderwärts in einem Schreiben an alle Patriarchen zugleich (I,24).
Simon W.

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IV,7,7

(2) Dann folgen die Vermahnungen oder „Zensuren“. Diese haben die Bischöfe von Rom einst gegen andere geübt, aber genau so auch ihrerseits erdulden müssen. So hat Irenäus den (Bischof) Viktor (von Rom) scharf zurechtgewiesen, weil er um einer völlig unbedeutenden Sache willen die Kirche unüberlegt mit gefährlicher Spaltung verwirrte. Und Viktor erhob keinen Widerspruch, sondern gehorchte! Bei den heiligen Bischöfen war dazumal die Freiheit gebräuchlich, daß sie gegenüber dem Bischof von Rom mit Ermahnen und Strafen das Bruderrecht übten, wenn er sich einmal versündigte. Dieser gemahnte dann wiederum auch seinerseits die anderen an ihre Amtspflicht, wenn die Sache es erforderte; und wenn ein Fehler vorlag, so tadelte er ihn. So fordert Cyprian den Stephanus (von Rom) auf, er solle die Bischöfe von Gallien ermahnen; aber er entlehnt nun den Grund dazu nicht etwa dessen größerer Vollmacht, sondern dem allgemeinen Recht, das die Priester untereinander haben. Ich möchte doch wissen: hätte Cyprian, wenn Stephanus dazumal ein Führungsrecht über Gallien gehabt hätte, nicht sagen müssen: „Züchtige sie, denn es sind deine Leute“? Tatsächlich aber redet er ganz anders: „Diese brüderliche Gemeinschaft“, sagt er, „mit der wir untereinander verbunden sind, erfordert es, daß wir uns gegenseitig ermahnen“ (Brief 68). Und wir sehen auch, mit was für bitteren Worten dieser sonst so mildgesinnte Mann gegen Stephanus selber losfährt, wo er meint, daß dieser gar zu übermütig wird (Brief 74). So tritt also auch in diesem Stück noch nicht zutage, daß der Bischof von Rom irgendeine Rechtsprechungsgewalt gegen die besessen hätte, die nicht zu seinem Gebiet gehörten.



IV,7,8

(3) Was nun die Einberufung von Synoden betrifft, so hatte jeder Metropolit die Amtsaufgabe, zu festgesetzten Zeiten die Provinzialsynode zu versammeln. Darin hatte der Bischof von Rom keinerlei Recht. Ein allgemeines Konzil aber auszuschreiben, das vermochte allein der Kaiser. Wenn dies nämlich irgendeiner von den Bischöfen versucht hätte, so hätten nicht nur die, die außerhalb seines Bereiches waren, seinem Ruf den Gehorsam verweigert, sondern es wäre auch sofort ein Aufruhr entstanden. Deshalb ließ der Kaiser allen gleichermaßen die Botschaft zukommen, sie sollten anwesend sein. Zwar berichtet (der Kirchengeschichtsschreiber) Sokrates, (der Bischof) Julius (von Rom) habe sich bei den Bischöfen des Ostens beschwert, weil sie ihn nicht zu der Synode von Antiochia gerufen hätten, obwohl es doch nach den Kirchensatzungen verboten sei, ohne Mitwissen des Bischofs von Rom etwas zu beschließen (Historia tripartita IV,9). Aber wer sieht nicht, daß man hier an solche Beschlüsse denken muß, die die gesamte Kirche binden? Es ist nun aber keineswegs verwunderlich, wenn man dem Alter und der Bedeutung der Stadt wie auch der Würde ihres Bischofssitzes soviel Ehre antut, daß man in Abwesenheit des Bischofs von Rom keinen allgemeinen Beschluß über die Gottesverehrung faßt, vorausgesetzt daß er es nicht ablehnt, zugegen zu sein. Aber was hat das mit einer Herrschaft über die ganze Kirche zu tun? Denn wir leugnen ja gar nicht, daß der Bischof von Rom einer von den vornehmsten gewesen ist; wir wollen aber nicht annehmen, was die Römischen heutzutage behaupten, nämlich, daß er eine Herrschaft über alle innegehabt hätte.



IV,7,9

(4) Jetzt ist noch die vierte Art von (kirchenregimentlicher) Macht übrig, die in den Berufungen (bei kirchlichen Prozessen) besteht. Es steht fest, daß bei dem, auf dessen Richterstuhl man sich beruft, die oberste Herrschaft liegt, viele haben sich nun, und zwar oft, auf den Bischof von Rom berufen, auch hat er selber versucht, die Untersuchung der Fälle an sich zu ziehen; aber er wurde stets ausgelacht, wenn er seine Grenzen überschritt. Ich will nichts vom Osten oder von Griechenland sagen, nein, es steht fest, daß auch die Bischöfe von Gallien tapfer widerstanden haben, wenn es den Eindruck machte, als wollte er sich eine Herrschaft über sie anmaßen. In Afrika ist über diese Sache lange Zeit hindurch gestritten worden. Als nämlich auf dem Konzil zu Mileve, an dem Augustin teilnahm, die Leute mit dem Bann belegt worden waren, die „jenseits des Meeres“ eine Berufung vorbrachten, da versuchte der Bischof von Rom zu erreichen, daß dieser Beschluß rückgängig gemacht würde. Er schickte Abgesandte, die darlegen sollten, daß ihm auf dem Konzil zu Nicäa dieses Vorrecht gegeben worden sei. Diese Abgesandten legten Akten des Konzils zu Nicäa vor, die sie aus dem Archiv ihrer Kirche entnommen hatten. Die Afrikaner leisteten Widerstand und erklärten, man dürfe dem Bischof von Rom in eigener Sache keinen Glauben schenken und sie würden deshalb Boten nach Konstantinopel und in andere Städte Griechenlands schicken, wo man weniger verdächtige Exemplare (dieser Konzilsakten) hätte. Dabei brachte man klar in Erfahrung, daß darin nichts von der Art geschrieben stand, wie es die Römischen vorgeschoben hatten! So ist jener Beschluß, der dem Bischof von Rom das oberste Untersuchungsrecht abgesprochen hatte, in Geltung geblieben. In dieser Sache kam die schandbare Unverschämtheit des Bischofs von Rom selber zum Vorschein. Denn er hatte in betrügerischer Weise die (Beschlüsse der) Synode von Sardika (347) für die von Nicäa eingeschoben und wurde nun schimpflich bei offenem Betrug ertappt. Aber noch größer und schamloser war die Nichtsnutzigkeit derer, die den Akten des Konzils einen gefälschten Brief zufügten, in dem ich weiß nicht was für ein Bischof von Karthago die Anmaßung seines Vorgängers Aurelius verdammt, weil dieser es gewagt habe, sich dem Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl zu entziehen, sich selbst und seine Kirche unterwirft und demütig um Verzeihung bittet! Das sind also die herrlichen Urkunden der alten Zeit, auf die die Majestät des römischen Stuhls gegründet ist; (sie kommen zustande,) indem sie unter dem Vorwande ganz alter Herkunft dermaßen kindisch lügen, daß es selbst Blinde tastend merken können! „Aurelius“, so sagt dieser „Bischof von Karthago“, „hat sich, von teuflischer Vermessenheit und Widerspenstigkeit übermütig gemacht, gegen Christus und den heiligen Petrus empört, und deshalb muß er mit dem Anathema verdammt werden.“ Was hat denn Augustin getan? Was haben denn die vielen Väter getan, die an dem Konzil von Mileve teilgenommen haben? Aber wozu ist es nötig, mit vielen Worten dieses törichte Schriftstück zu widerlegen, das nicht einmal die Römischen selbst ohne große Scham anschauen können, wenn sie noch einiges Ehrgefühl haben? Ebenso (wie die oben genannten Betrüger) macht es Gratian, ob nun aus Bosheit oder aus Unwissenheit, das weiß ich nicht: er berichtet zunächst von jenem Beschluß, nach dem alle, die „jenseits des Meeres“ Berufung einlegen, der kirchlichen Gemeinschaft verlustig gehen sollen – und dann fügt er die Ausnahme hinzu: „Sofern sie sich nicht etwa auf den römischen Stuhl berufen“ (Decretum Gratiani II,2,6,35)! Was soll man nun mit solchen wilden Tieren anfangen, denen der gesunde Menschenverstand dermaßen abgeht, daß sie von einem Gesetz eben gerade das eine ausnehmen, dessentwegen, wie jedermann weiß, dies Gesetz aufgestellt worden ist? Denn wenn das Konzil die Berufungen „jenseits des Meeres“ verurteilt, so richtet sich sein Verbot doch nur dagegen, daß sich jemand auf Rom beruft. Und hier nimmt der gute Ausleger gerade Rom von dem allgemeinen Gesetz aus!



IV,7,10

Aber – wir wollen diese Frage einmal zu Ende bringen -: wie die Rechtsprechungsgewalt des Bischofs von Rom einst geartet war, das wird eine Geschichte offen an den Tag bringen. Der Bischof Caecilian von Karthago war von Donatus von Casae Nigrae angeklagt worden. Der Angeklagte war ohne Verhör und Prozesse verurteilt worden. Denn er wußte, daß die Bischöfe gegen ihn eine Verschwörung gemacht hatten, und wollte deshalb nicht (vor ihrem Gericht) erscheinen. Daraufhin kam die Sache an den Kaiser Konstantin. Dieser wollte, daß die Angelegenheit durch ein kirchliches Urteil erledigt würde, und deshalb übertrug er die Untersuchung dem Bischof Melciades von Rom, dem er als Amtsgenossen einige Bischöfe aus Italien, Gallien und Spanien zur Seite stellte (Augustin, Brief 43 und 88 und Kleiner Bericht über eine Zusammenkunft mit den Donatisten,12). Wenn es nun zur gewöhnlichen Rechtsprechungsgewalt des römischen Stuhls gehörte, Berufungen in kirchlichen Rechtsfällen zu untersuchen – weshalb duldete es dann der Bischof von Rom, daß ihm nach der Entscheidung des Kaisers andere Bischöfe zur Seite gestellt wurden, ja, weshalb übernahm er das Urteil mehr auf Befehl des Kaisers als auf Grund seiner Amtsaufgabe? Aber wir wollen hören, was sich nachher zutrug. Caecilian siegte in diesem Verfahren, und Donatus von Casae Nigrae fiel mit seiner verleumderischen Anklage durch. Er legte Berufung ein. Da übertrug Konstantin das Berufungsurteil dem Bischof von Arles, und dieser nahm den Richterstuhl ein, um nach dem Bischof von Rom das ihm richtig erscheinende Urteil zu fällen! Wenn nun der römische Stuhl die höchste (richterliche) Gewalt hat, so daß eine Berufung nicht weiter eintreten kann – weshalb duldet es dann Melciades, daß ihm eine so auffallende Schmach zugefügt wird, daß man ihm den Bischof von Arles vorzieht? Und wer ist der Kaiser, der das tut? Doch Konstantin, von dem die Römischen rühmen, er habe nicht nur all seinen Eifer, sondern beinahe alle Macht seines Reiches daran gewandt, die Würde ihres Stuhls zu vergrößern! Wir sehen also schon, wie weit damals der Bischof von Rom in jeder Hinsicht von jener obersten Herrschaft entfernt war, die ihm nach seiner Versicherung von Christus über alle Kirchen gegeben ist und von der er lügnerisch behauptet, er habe sie zu allen Zeiten mit Einwilligung der ganzen Welt innegehabt.



IV,7,11

Ich weiß wohl, wieviel Briefe, wieviel Reskripte und Edikte es gibt, in denen die Päpste dem römischen Stuhl alles nur Denkbare beilegen und es zuversichtlich für ihn in Anspruch nehmen. Aber alle, die auch nur den mindesten Verstand oder die geringsten Kenntnisse haben, wissen auch dies, daß die meisten von diesen Urkunden dermaßen abgeschmackt sind, daß man bei der ersten Kostprobe mit Leichtigkeit herausfinden kann, aus was für einer Werkstatt sie stammen. Denn welcher vernünftige und nüchterne Mensch wird meinen, daß jene berühmte Auslegung wirklich von Anaklet herrührt, die sich unter dem Namen des Anaklet bei Gratian findet, jene Auslegung nämlich, die besagt, „Kephas“ bedeute „Haupt“; (Decretum Gratiani I,22,2). Sehr viele törichte Dinge dieser Art, die Gratian ohne Urteil zusammengepackt hat, mißbrauchen die Römischen heutzutage gegen uns zur Verteidigung ihres Stuhls, und solch dummes Zeug, mit dem sie einst in der Finsternis unerfahrene Leute zu Narren gehalten haben, wollen sie noch heute bei solch hellem Licht an den Mann bringen! Aber ich will an die Widerlegung solcher Dinge, die sich wegen ihrer gar zu großen Abgeschmacktheit selber deutlich widerlegen, nicht viel Mühe verwenden. Ich gebe zu, daß auch echte Briefe früherer Päpste vorliegen, in denen sie die Bedeutung ihres Stuhls mit großmächtigen Lobsprüchen anpreisen; von dieser Art sind einige Briefe Leos (I.). Denn so gebildet und redegewandt dieser Mann war, so sehr war er auch über die Maßen auf Ruhm und Herrschaft versessen; die Frage ist aber, ob damals, während er sich so erhob, die Kirchen seinem Zeugnis Glauben beigemessen haben. Es ist jedoch offenkundig, daß sich viele über seine Ehrsucht geärgert und auch seiner Begehrlichkeit Widerstand entgegengesetzt haben. An einer Stelle trägt er dem Bischof von Thessalonich seine Stellvertretung für Griechenland und andere, benachbarte Gebiete auf (Brief 14,1), an einer anderen dem Bischof von Arles oder irgend jemand anders für Gallien (Brief 10,9). Ebenso setzt er den Bischof Hormisdas von Hispalis zu seinem Statthalter für Spanien ein (Brief 15,17). Aber überall macht er die Einschränkung, er gebe derartige Aufträge nach der Ordnung, daß die althergebrachten Vorrechte des Metropoliten unverkürzt und uneingeschränkt bestehen blieben. Leo selber aber erklärt, eines von diesen Vorrechten bestehe darin, daß man bei jedem vorfallenden Zweifel über eine Sache an erster Stelle den Metropoliten zu befragen habe. Diese Statthalterschaften vollzogen sich also unter der Bedingung, daß kein Bischof in seiner ordentlichen Rechtsprechung, kein Metropolit in der Verhandlung der Berufungssachen und auch keine Provinzialsynode in der Ordnung der Kirchen behindert werden sollte. Was hieß das aber anders, als sich jeder Rechtsprechung zu enthalten und sich dagegen nur, soweit es das Gesetz und das Wesen der kirchlichen Gemeinschaft mit sich bringt, ins Mittel zu legen, um Mißhelligkeiten zu schlichten?
Simon W.

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IV,7,12

Zur Zeit Gregors war dieser alte Zustand bereits wesentlich verändert. Denn das Reich war erschüttert und zerrissen, Gallien und Spanien hatten hintereinander viele Niederlagen erlitten und lagen am Boden, Illyrien war verwüstet, Italien war geplagt und Afrika durch andauernde Nöte nahezu zugrunde gerichtet. Damit nun bei solcher Zerrüttung der bürgerlichen Verhältnisse wenigstens die Reinheit des Glaubens erhalten blieb oder jedenfalls nicht gänzlich unterging, schlossen sich von allen Seiten alle Bischöfe enger an den Bischof von Rom an. Dadurch ist es zustande gekommen, daß nicht allein die Würde, sondern auch die Macht dieses Stuhls gewaltig anwuchs. Allerdings bekümmere ich mich nicht so sehr darum, auf welche Art und Weise es dazu gekommen ist. Jedenfalls steht es fest, daß diese Macht damals größer gewesen ist als in den vorausgehenden Jahrhunderten. Und doch fehlte noch viel daran, daß es jene ungebundene Herrschaft gewesen wäre, so daß also einer nach seiner Willkür über die anderen hätte regieren können. Aber der römische Stuhl genoß eine solche Ehrerbietung, daß er die Bösen und Widerspenstigen, die von ihren Amtsgenossen nicht bei ihrer Pflicht gehalten werden konnten, mit seiner Autorität zu dämpfen und zurückzudrängen vermochte. Jedenfalls bezeugt Gregor wiederholt mit Nachdruck, er wahre den anderen ihre Rechte nicht minder getreulich, als er selbst seine Rechte von ihnen fordere (Brief III,29). „Niemandem“, sagt er, „nehme ich, von der Ehrsucht angestachelt, was sein Recht ist, sondern ich bin bestrebt, meine Brüder in jeder Hinsicht zu ehren“ (Brief II,52). In seinen Schriften findet sich kein Wort, in dem er die Bedeutung seiner Obergewalt mit mehr Hochmut rühmte, als folgendes: „Ich weiß nicht, welcher Bischof dem apostolischen Stuhl nicht unterworfen wäre, wofern er schuldig befunden wird.“ Trotzdem setzt er unmittelbar darauf hinzu: „Wo keine Schuld ist, die es (anders) erforderte, da sind alle nach der Art der Demut einander gleichgestellt“ (Brief IX,27). Er schreibt sich also das Recht zu, die zu strafen, die gefehlt haben; tun aber alle ihre Pflicht, so macht er sich den anderen gleich. Zudem sprach er sich zwar selbst dieses Recht zu, und die da wollten, willigten darin ein; andere aber, denen das nicht paßte, durften ungestraft Widerspruch erheben, und das haben bekanntermaßen auch manche getan. Außerdem spricht er ja an dieser Stelle von dem Oberbischof von Byzanz: dieser war von der Provinzialsynode verurteilt worden und hatte das ganze Urteil verworfen. Diese Widerspenstigkeit des Mannes hatten seine Amtsgenossen dem Kaiser gemeldet. Der Kaiser hatte den Willen, Gregor sollte in dieser Sache eine Entscheidung fällen. Wir sehen also, daß er nichts unternimmt, um die gewöhnliche Rechtsprechung zu verletzen, und daß er auch eben das, was er tut, um anderen behilflich zu sein, ausschließlich auf Geheiß des Kaisers tut.



IV,7,13

Die ganze Gewalt des Bischofs von Rom bestand also damals darin, sich widerspenstigen und ungezähmten Köpfen entgegenzustellen, wo irgendein außerordentliches Mittel erforderlich war, und das geschah, um den anderen Bischöfen zu helfen, nicht aber, um sie zu behindern. Daher nimmt sich Gregor den anderen gegenüber keineswegs mehr heraus, als er an anderer Stelle allen sich selbst gegenüber zugesteht, indem er bekennt, er sei bereit, sich von allen bestrafen, von allen bessern zu lassen (Brief II,50). So gibt er an anderer Stelle dem Bischof von Aquileja zwar die Weisung, nach Rom zu kommen, um sich wegen einer Glaubensstreitigkeit zu verantworten, die zwischen ihm und anderen entstanden war; aber er gibt diesen Befehl nicht auf Grund seiner eigenen Vollmacht, sondern weil es ihm der Kaiser aufgetragen hat. Auch kündigt er nicht an, daß er allein Richter sein werde, sondern er verspricht, die Synode zu versammeln, von der die ganze Angelegenheit beurteilt werden solle (Brief I,16). So bestand also noch ein solches Maßhalten, daß die Gewalt des römischen Stuhls ihre bestimmten Grenzen hatte, über die sie nicht hinausgehen durfte, und daß der Bischof von Rom selber nicht in höherem Maße über den anderen stand, als er ihnen zugleich unterstellt war. Aber obgleich es so war, kommt doch deutlich zutage, wie sehr dieser Zustand dem Gregor mißfallen hat; denn er klagt zuweilen, daß er unter dem Schein des Bischofsamtes wieder zur Welt zurückgeführt worden sei, er klagt, er sei mehr in irdische Sorgen verwickelt, als er je im Laienstande an sie geknechtet gewesen sei, er werde in seinem Ehrenrang von einem Gewirr weltlicher Geschäfte erdrückt (Brief I,5). An anderer Stelle sagt er: „Mich drücken derartige Lasten von Geschäften darnieder, daß mein Herz sich zu höheren Dingen gar nicht mehr erheben kann. Viele Sachen rütteln mich gleich Wogen, und nach jener (früheren) Muße der Ruhe werde ich dermaßen von den Stürmen eines wirren Lebens gequält, daß ich mit Recht sagen kann: ‚Ich bin gekommen in die Tiefe des Meeres, und der Sturm hat mich versinken lassen’„ (Jona 2,4; kein genaues Zitat; Brief I,7; I,25). Hieraus kann man entnehmen, was er wohl gesagt hätte, wenn er in unseren Zeiten gelebt hätte. Wenn er auch das Hirtenamt nicht voll erfüllte, so verrichtete er es doch. Der Führung einer bürgerlichen Herrschaft enthielt er sich, und er bekannte, daß er zusammen mit den anderen dem Kaiser Untertan sei. In die Sorge für andere Kirchen drängte er sich nicht ein, wofern ihn nicht die Not dazu zwang. Und doch hat er den Eindruck, in einem Irrgarten zu sein, weil er nicht einfach ganz für die Übung seiner Amtspflicht als Bischof frei sein kann.



IV,7,14

Zu dieser Zeit kämpfte der Bischof von Konstantinopel mit dem von Rom um die Obergewalt, wie bereits dargelegt wurde. Denn nachdem die Residenz des Reiches in Konstantinopel aufgerichtet war, schien es die Majestät des Kaiserreichs zu fordern, daß auch die Kirche daselbst den zweiten Ehrenplatz nach der von Rom innehätte. Und sicherlich hatte im Anfang nichts mehr Bedeutung für die Übertragung einer Obergewalt an Rom gehabt, als die Tatsache, daß sich dort eben damals das Haupt des Reiches befand. Bei Gratian ist ein Schreiben unter dem Namen des Papstes Lucius vorhanden, in dem dieser erklärt, die Städte, in denen Metropoliten und Oberbischöfe die Leitung haben sollten, seien ausschließlich nach der Art der bürgerlichen Regierung bestimmt, die dort zuvor bestanden hätte (Decretum Gratiani I,80,1). Auch findet sich ein anderes, ähnliches Schreiben unter dem Namen des Papstes Clemens, in dem dieser sagt, in den Städten, die einst die obersten Priester gehabt hätten, habe man auch die Patriarchen eingesetzt (Decretum Gratiani I,80,2). Obgleich das nun ohne eigentlichen Inhalt ist, so ist es doch dem wahren Tatbestand entnommen. Denn es steht fest, daß man die Gebiete, um möglichst wenig Veränderungen eintreten zu lassen, auf Grund des damals vorhandenen Standes der Dinge verteilt hat, und daß die Oberbischöfe und Metropoliten in den Städten ihren Sitz bekommen haben, die vor den übrigen an Ehren und Macht den Vorrang besaßen. Deshalb wurde auf dem Konzil zu Turin (401) der Beschluß gefaßt, die Städte, die in den einzelnen Provinzen in der bürgerlichen Regierung an erster Stelle stünden, sollten auch die ersten Bischofssitze sein; wenn es aber vorkäme, daß die Ehre der bürgerlichen Regierung von einer Stadt auf eine andere übertragen würde, so sollte auch das Recht einer (kirchlichen) Hauptstadt mit auf sie übergehen (Kap. 1). Als nun aber der Bischof Innozenz von Rom sah, wie die alte Würde der Stadt, seitdem der Sitz des Reiches nach Konstantinopel verlegt war, in Abgang kam, da fürchtete er für seinen Stuhl und erließ ein gegenteiliges Gesetz: in diesem erklärt er, es sei nicht notwendig, daß jeweils mit einer Änderung der kaiserlichen Hauptstädte auch die kirchlichen gewechselt würden. Aber die Autorität der Synode ist verdientermaßen der Ansicht eines einzigen Mannes vorzuziehen. Außerdem muß uns Innozenz selbst verdächtig sein (denn er spricht) in eigener Sache. Wie das nun aber auch sein mag: er zeigt trotz allem durch seine Vorsichtsmaßregel, daß es von Anfang an so eingerichtet gewesen ist, daß die (kirchlichen) Hauptstädte nach der äußeren Ordnung des Reiches eingerichtet wurden.



IV,7,15

Auf Grund dieses alten Brauchs hat man auf der ersten Synode zu Konstantinopel (381) festgesetzt, der Bischof dieser Stadt solle hinsichtlich seiner Ehrenvorrechte gleich auf den Bischof von Rom folgen, und zwar weil Konstantinopel das neue Rom sei (Socrates, Kirchengeschichte V, 8, Historia tripartita IX,13, Decretum Gratiani I,22,3). Lange Zeit später jedoch, als man in Chalcedon einen ähnlichen Beschluß gefaßt hatte, erhob Leo heftigen Widerspruch. Und er erlaubte es sich nicht nur, das, was sechshundert Bischöfe oder mehr beschlossen hatten, für nichts zu achten, sondern er griff sie auch mit heftigen Vorwürfen an, weil sie die Ehre, die sie der Kirche zu Konstantinopel beizulegen gewagt hätten, anderen Bischofssitzen entzogen hätten. Ich möchte nun wissen: was anders konnte diesen Mann dazu reizen, den Erdkreis wegen einer so unerheblichen Angelegenheit in Erschütterung zu versetzen, als reine Ehrsucht? Er erklärte: was die Synode von Nicäa einmal festgesetzt habe, das müsse auch unverletzt bleiben. Als ob der christliche Glaube aufs Spiel gesetzt würde, wenn eine Kirche der anderen vorgezogen wird! Oder als ob man in Nicäa die Patriarchate zu einem anderen Zweck festgelegt hätte als um der äußeren Ordnung willen! Wir wissen aber, daß die äußere Ordnung je mit wechselnder Zeit vielfältige Veränderungen durchmacht, ja erfordert. Es war daher ein nichtiger Vorwand, wenn Leo erklärte, man dürfe die Ehre, die kraft der Autorität des Konzils von Nicäa dem Bischofssitz von Alexandria gegeben worden sei, nicht auf den von Konstantinopel übertragen. Denn der gesunde Menschenverstand sagt einem, daß dieser Beschluß von solcher Art war, daß er je nach den Erfordernissen der Zeit auch wieder aufgehoben werden konnte. Wie kommt es auch, daß von Bischöfen des Ostens niemand Widerspruch erhob, obwohl diese doch der Fall am meisten anging? Es war doch jedenfalls Proterius anwesend, den man an Stelle des Dioskur zum Patriarchen von Alexandria gemacht hatte, auch andere Patriarchen waren zugegen, deren Ehre (durch solchen Beschluß) gemindert wurde. Diese hätten die Aufgabe gehabt, Einspruch zu erheben, nicht aber Leo, der an seinem Platz ohne jede Einbuße blieb! Während diese aber alle schweigen, ja zustimmen, widersetzt sich allein der Bischof von Rom. Hier ist auch das Urteil, was ihn denn dazu bewogen haben mag, schnell bei der Hand: er sah eben voraus, was dann auch nicht lange nachher eintrat, nämlich daß sich mit dem Abnehmen der Ehre des alten Rom Konstantinopel mit dem zweiten Platz nicht zufriedengeben und mit Rom um die Obergewalt kämpfen würde. Trotzdem hat es Leo mit seinem Einspruch nicht zuwege gebracht, daß der Beschluß des Konzils etwa nicht in Geltung gekommen wäre. Deshalb haben seine Nachfolger, da sie einsahen, daß sie machtlos waren, von jener Halsstarrigkeit friedlich Abstand genommen; sie haben es nämlich geduldet, daß der Bischof von Konstantinopel als zweiter Patriarch galt.
Simon W.

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IV,7,16

Kurze Zeit nachher jedoch ist Johannes, der zur Zeit Gregors (I.) die Kirche zu Konstantinopel regierte, soweit gegangen, daß er sich als Patriarchen für die ganze Kirche (universalis Patriarchus) bezeichnete. Dagegen hat sich Gregor, um in so ausgezeichneter Sache nicht die Verteidigung seines Stuhls zu unterlassen, standhaft gewehrt. Und sicherlich war auch die Hoffart wie die Unsinnigkeit des Johannes, der die Grenzen seines Bistums den Grenzen des Reiches gleich machen wollte, untragbar. Trotzdem macht Gregor auf das, was er dem anderen verweigert, nicht etwa selber Anspruch, sondern er verabscheut diesen Namen („Gesamtpatriarch“) als frevlerisch, gottlos und ruchlos – von wem er schließlich auch gebraucht werden möge. Ja, er fährt gar an einer Stelle gegen den Bischof Eulogius von Alexandria los, der ihn mit einem derartigen Titel geehrt hatte. „Seht“, sagt er, „Ihr habt in der Vorrede des Briefes, den Ihr an mich gerichtet habt, trotz meines Verbots ein Wort schreiben lassen, das eine hoffärtige Bezeichnung bedeutet: Ihr habt mich nämlich „Papst der Gesamtkirche” (Papa universalis) genannt. Dies, bitte ich, möge Eure Heiligkeit in Zukunft nicht mehr tun; denn Euch wird entzogen, was einem anderen über das begründete Maß hinaus gegeben wird. Ich betrachte das, von dem ich sehe, daß dadurch die Ehre meiner Brüder gemindert wird, nicht als Ehre. Denn meine Ehre ist die Ehre der gesamten Kirche und der ungeschmälerte Rechtsstand meiner Brüder. Wenn mich aber Eure Heiligkeit den ‚Papst der Gesamtkirche’ nennt, so erklärt sie damit, sie sei das, was ich nach ihrem Geständnis für die Gesamtheit sei, ihrerseits nicht“ (Brief VIII,29). Die Sache Gregors war zwar gut und ehrenhaft, aber Johannes, dem die Gunst des Kaisers Mauritius zu Hilfe kam, konnte von seinem Vorhaben nicht abgebracht werden. Auch sein Nachfolger Cyriacus hat sich in dieser Sache niemals erweichen lassen.



IV,7,17

Dann trat Phocas nach Ermordung des Mauritius an dessen Stelle. Er war den Römern freundlicher gesinnt – ich weiß nicht, aus was für einem Grunde, ja doch: weil er in Rom ohne Streit gekrönt worden war. Dieser Phocas hat dann endlich Bonifatius dem Dritten zugestanden, was Gregor keineswegs verlangt hatte, nämlich daß Rom das Haupt aller Kirchen sein sollte. Auf diese Weise wurde der Streit geschlichtet.



Trotzdem hätte auch diese Gunstbezeigung des Kaisers dem römischen Stuhl nicht so sehr viel genützt, wenn nicht noch anderes hinzugekommen wäre. Denn Griechenland und ganz Asien sind kurz nachher von der Gemeinschaft mit ihm losgerissen worden. Und Frankreich erwies dem Papst seine Ehrerbietung dergestalt, daß es nur soweit Gehorsam leistete, als es ihm paßte. Es ist in der Tat erst zur Knechtschaft (unter Rom) gebracht worden, als Pipin die Königsgewalt an sich gerissen hatte. Denn der römische Bischof Zacharias hatte ihm zu Treulosigkeit und Räuberei Beihilfe geleistet, so daß er nach Vertreibung des rechtmäßigen Königs das Reich an sich riß, als ob es zur Plünderung preisgegeben wäre. Dafür erhielt Zacharias die Belohnung, daß der römische Stuhl über die französischen Kirchen die Rechtsprechungsgewalt haben sollte. Wie Räuber die gemeinsame Beute untereinander aufzuteilen pflegen, so machten auch diese guten Leute miteinander einen Vergleich: die irdische, bürgerliche Herrschaft sollte nach Beraubung des wahren Königs an Pipin fallen, Zacharias aber sollte das Haupt aller Bischöfe werden und die geistliche Gewalt haben!



Diese war nun im Anfang ungefestigt, wie es mit neuen Sachen so zuzugehen pflegt; darauf aber wurde sie durch die Autorität Karls gestärkt – und zwar aus fast gleicher Ursache. Denn auch Karl war dem römischen Papst verpflichtet, weil er durch seine Bemühungen zur Kaiserwürde gelangt war.



Obgleich nun anzunehmen ist, daß die Kirchen allenthalben schon zuvor sehr verunstaltet waren, steht es doch fest, daß erst damals die alte Gestalt der Kirche in Frankreich und Deutschland gänzlich in Vergessenheit geraten ist. In den Archiven des obersten Gerichtshofs zu Paris sind noch kurze Aufzeichnungen aus jenen Zeiten vorhanden, die, wo es sich um kirchliche Dinge handelt, Verträge in Erwähnung bringen, die Pipin oder auch Karl mit dem römischen Papst abgeschlossen haben. Aus diesen ergibt sich der Schluß, daß damals die Änderung des alten Zustandes erfolgt ist.



IV,7,18

Von dieser Zeit an, als die Verhältnisse allenthalben tagtäglich schlechter wurden, ist dann auch die Tyrannei des römischen Stuhls allmählich zu Kraft und zu größerem Umfang gekommen, und zwar teils durch die Unwissenheit, teils durch die Lässigkeit der Bischöfe. Denn während sich ein einziger alles herausnahm und ohne Maß mehr und mehr fortfuhr, sich gegen Recht und Billigkeit zu erheben, haben sich die Bischöfe nicht mit dem schuldigen Eifer angestrengt, seine Willkür in Schranken zu halten, und wenn sie auch nicht ohne den Willen dazu gewesen wären, so hätte es ihnen dennoch an rechter Unterweisung und Erfahrung gefehlt, so daß sie keineswegs geeignet waren, eine so wichtige Sache anzufassen. So sehen wir, von welcher Art und von was für einer Scheußlichkeit zur Zeit Bernhards (von Clairvaux) die Entweihung alles Heiligen und die Zerstörung der gesamten kirchlichen Ordnung zu Rom gewesen ist. Er klagt, aus der ganzen Welt strömten ehrgierige, habsüchtige Leute, Menschen, die Simonie, Tempelschändung, Hurerei, Blutschande trieben, und andere Ungeheuer dieser Art nach Rom zusammen, um dort durch apostolische Autorität kirchliche Ehren zu erlangen oder zu behalten; Betrug, Hintergehung und Gewalttaten, klagt er, hätten überhandgenommen (Von der Betrachtung an Papst Eugen III.,I,4f.). Er erklärt, die damals übliche Art der Rechtsprechung sei abscheulich und sie sei nicht nur für die Kirche, sondern auch für das (weltliche) Gericht unziemlich (Ebenda I,10,13). Er ruft aus, die Kirche sei voll ehrgieriger Leute, und es sei keiner da, der vor der Begehung von Schandtaten mehr Abscheu hätte als Räuber in ihrer Höhle, wenn sie die den Reisenden abgenommene Beute verteilten (Ebenda). „Wenige“, sagt er, „schauen auf den Mund des Gesetzgebers; alle aber sehen auf seine Hände. Das geschieht aber auch nicht ohne Grund. Denn alle päpstlichen Geschäfte geschehen eben durch die Hände“ (Ebenda IV,2,4). „Was soll das heißen“ (schreibt er an den Papst), „daß die Leute, die zu dir sagen: ‚Prachtvoll, herrlich!’ – durch Raubgut erkauft werden, das man den Kirchen abnimmt? Der Lebensunterhalt der Armen wird auf den Gassen der Reichen ausgestreut. Das Silber glänzt im Schmutz. Man eilt von allen Seiten herzu – aber nicht der Ärmere, sondern der Stärkere nimmt es auf oder auch der, der gerade am schnellsten vorausläuft! Doch kommt diese Festsetzung oder besser: diese tödliche Zersetzung (mos iste, vel potius mors ista) nicht von dir her – ach, möchte sie bei dir enden! Mitten in alledem schreitest du als ‚Hirte’ einher, mit vielem und kostbarem Zierat umgeben. Wenn ich es zu sagen wagen dürfte – das ist doch eher eine Weide für Teufel als für Schafe. So hat denn wohl auch Petrus getan, so auch Paulus Spott getrieben?“ (Ebenda IV,2,5). „Dein Hof ist gewohnt, mehr gute Leute in sich aufzunehmen – als Leute gut zu machen. Denn die Bösen werden an ihm nicht besser, die Guten aber schlechter!“ (Ebenda IV,4,11). Die Mißbräuche bei den Berufungsverfahren, die er dann berichtet, wird kein frommer Mensch ohne großen Abscheu lesen können (Ebenda III,2,6ff.). Endlich redet er von jener zügellosen Begehrlichkeit des römischen Stuhls in der Anmaßung der Rechtsprechungsgewalt und kommt dabei zu dem Schluß: „Ich spreche das Murren und die gemeinsame Klage der Kirchen aus. Sie rufen laut, daß sie verstümmelt und ihrer Gliedmaßen beraubt werden. Und es gibt gar keine mehr oder nur noch wenige, die diesen Schlag nicht schmerzlich empfinden oder nicht (wenigstens) fürchten. Fragst du, was für einen Schlag? Daß man die Äbte ihren Bischöfen (hinsichtlich der Gerichtsgewalt und anderer Rechte) entzieht und die Bischöfe den Erzbischöfen …! Es wäre ein Wunder, wenn man das entschuldigen könnte. Indem ihr so handelt, beweist ihr zwar, daß ihr volle Macht habt – aber nicht volle Gerechtigkeit. Ihr tut es, weil ihr es könnt; aber ob ihr es auch dürft, das ist die Frage. Ihr seid doch dazu gesetzt, jedem seine Ehre und seinen Rang zu erhalten, nicht aber, sie ihm zu mißgönnen“ (Ebenda III,4,14). Dies wenige wollte ich doch aus vielem heraus berichten, und zwar, damit die Leser einerseits sehen, was für einen schweren Fall die Kirche damals getan hatte, und auch andererseits erkennen, wie sehr diese Not alle Frommen in Trauer und Seufzen versetzt hat.



IV,7,19

Wenn wir nun aber dem Bischof von Rom heutzutage auch die hervorragende Stellung und die große Macht in der Rechtsprechung zugeben würden, die dieser Stuhl in den mittleren Zeiten (der Entwicklung), wie z.B. zu Zeiten Leos oder Gregors besessen hat – was würde das dem gegenwärtigen Papsttum nützen? Ich rede noch nicht von der irdischen Herrschaft, auch nicht von der bürgerlichen Gewalt; darüber werden wir nachher noch an geeigneter Stelle unsere Betrachtungen anstellen. Nein, was hat das geistliche Regiment selbst, das sie rühmen, mit den Verhältnissen jener Zeiten Ähnliches? Denn den Papst beschreibt man nicht anders als so: er ist das oberste Haupt der Kirche auf Erden und der Allgemeinbischof des ganzen Erdkreises. Wenn aber die Päpste selbst über ihre Autorität sprechen, so erklären sie in großer Hoffart, bei ihnen liege die Vollmacht zum Befehlen, für die anderen bestehe die Notwendigkeit zu gehorchen; auf diese Weise seien alle ihre Anordnungen so anzusehen, als wenn sie gleichsam durch die göttliche Stimme des Petrus bekräftigt seien. Die Provinzialsynoden – so heißt es weiter – hätten, da sie ohne Gegenwart des Papstes stattfänden, keine Kraft. Die Päpste erklären weiter, sie könnten für jede beliebige Kirche Kleriker ordinieren und die, welche anderswo ordiniert wären, vor ihren Stuhl rufen. Zahllose Aussagen dieser Art finden sich in dem Sammelwerk des Gratian; ich zähle sie nicht auf, um dem Leser nicht gar zu beschwerlich zu fallen. Der Hauptinhalt läuft aber darauf hinaus: bei dem Bischof von Rom allein liegt die oberste Entscheidung über alle kirchlichen Angelegenheiten, ob es nun darum geht, Lehren zu beurteilen und festzustellen, Gesetze zu erlassen, die Zucht zu regeln oder die Rechtsprechung zu üben. Langwierig und überflüssig wäre es auch, die Vorrechte aufzuzählen, die sie sich mit den von ihnen so genannten „Reservationen“ (dem Papste vorbehaltene Rechte) herausnehmen. Das unerträglichste von allem ist aber dies: sie lassen auf Erden kein Gericht bestehen, das ihre Willkür in Schranken halten oder zügeln könnte, wenn sie eine derart unermeßliche Gewalt mißbrauchen. „Niemandem“, sagen sie, „soll es gestattet sein, sich dem Urteil dieses Stuhles zu widersetzen, und zwar um der Obergewalt der Kirche zu Rom willen“ (Decretum Gratiani II,17,4,30). Oder ebenso: „Dieser Richter (der Papst) soll weder vom Kaiser noch von den Königen, noch von irgendwelchem Klerus, noch vom Volke gerichtet werden“ (Decretum Gratiani II,9,3,13). Es ist schon mehr als herrisch genug, wenn sich ein einziger Mensch als Richter über alle einsetzt, dagegen nicht bereit ist, sich dem Urteil eines anderen zu fügen. Aber was soll man erst sagen, wenn er seine Tyrannei gegen das Volk Gottes ausübt, wenn er Christi Reich zerstreut und verwüstet, wenn er die ganze Kirche in Verwirrung bringt, wenn er das Hirtenamt in Räuberei verwandelt? Ja, selbst für den Fall, daß der Papst der verruchteste unter allen Menschen wäre, bestreitet er, daß er gezwungen sei, Rechenschaft zu geben! Denn es sind Aussprüche von Päpsten, wenn es heißt: „Die Angelegenheiten anderer Menschen hat Gott durch Menschen erledigen lassen wollen, den Bischof dieses Stuhls aber hat Gott ohne richterliche Untersuchung (durch Menschen) seinem eigenen Urteil vorbehalten“ (Decretum Gratiani II,9,3,14). Oder ebenso: „Die Taten unserer Untertanen werden von uns gerichtet, die unseren aber von Gott allein“ (Decretum Gratiani II,9,3,15).
Simon W.

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IV,7,20

Damit nun dergleichen Verordnungen mehr Gewicht haben, so hat man fälschlicherweise die Namen alter Bischöfe (von Rom) untergeschoben, als ob die Dinge bereits von Anfang an so geregelt gewesen wären. Und dabei ist es doch mehr als gewiß, daß alles, was man dem Bischof von Rom mehr zumißt, als ihm nach unserem Bericht die alten Konzilien gegeben haben, neu und erst vor kurzer Zeit zusammengezimmert ist. Ja, man ist in seiner Unverschämtheit so weit gegangen, daß man ein Schreiben unter dem Namen des Patriarchen Anastasius von Konstantinopel herausgebracht hat, worin dieser bezeugt, es sei durch die alten Regeln festgelegt worden, daß auch in den entferntesten Provinzen nichts geschehen dürfte, das nicht zuvor an den römischen Stuhl berichtet worden sei (Decretum Gratiani II,9,3,12). Abgesehen davon, daß dies nun ganz sicher völlig erlogen ist, möchte ich doch fragen: wer wollte es glaubhaft finden, daß ein derartiger Lobpreis des römischen Stuhls ausgerechnet von dem ausgegangen wäre, der sein Widersacher war und mit ihm eifersüchtig um Ehre und Würde kämpfte? Aber diese Antichristen mußten eben notwendig zu einer derartigen Unsinnigkeit und Verblendung fortgerissen werden, daß ihre Nichtsnutzigkeit allen Menschen mit gesundem Verstand offenkundig ist, die nur ihre Augen aufmachen wollen. Die Verordnungsschreiben, die Gregor IX. gesammelt hat, dazu auch die „Clementinen“ und die „Extravagantes Martini“ lassen noch deutlicher und mit volleren Backen diese furchtbare Unbändigkeit und diese geradezu zu barbarischen Königen passende Tyrannei allenthalben an den Tag treten. Aber das sind die Offenbarungsworte, nach denen die Römischen ihr Papsttum beurteilt wissen wollen! Daraus sind dann auch die herrlichen Grundsätze entstanden, die heutzutage im Papsttum allenthalben die Geltung von Offenbarungsworten haben, so etwa: der Papst könne nicht irren, der Papst sei den Konzilien übergeordnet, der Papst sei der allgemeine Bischof aller Kirchen und das oberste Haupt der Kirche auf Erden. Ich schweige von noch widersinnigeren Ungereimtheiten, die törichte Kirchenrechtsgelehrte in ihren Schulen ausplaudern – und doch stimmen diesen die römischen Theologen nicht nur zu, sondern sie bezeugen ihren Beifall, um ihrem Abgott zu schmeicheln!



VI,7,21

Ich will nicht nach schärfstem Recht mit ihnen umgehen. Gegen eine derart große Überheblichkeit könnte irgendein anderer einen Ausspruch des Cyprian setzen, den dieser gegenüber den Bischöfen anwandte, deren Konzil er leitete: „Niemand unter uns nennt sich einen ‚Bischof der Bischöfe’ oder zwingt seine Amtsgenossen mit tyrannischem Druck in die Notwendigkeit hinein, ihm Gehorsam zu leisten.“ Er (jener „andere“) könnte auch einwerfen, was man einige Zeit danach in Karthago beschlossen hat: niemand solle sich als Obersten der Priester oder als Ersten Bischof bezeichnen. Er könnte aus den Geschichtsbüchern viele Zeugnisse, aus den (Akten der) Synoden Kirchensatzungen und aus den Büchern der Alten viele Aussagen sammeln, in denen der Bischof von Rom zur Ordnung gezwungen wird. Ich aber sehe davon ab, um nicht den Eindruck zu erwecken, als setzte ich ihnen gar zu scharf zu. Es sollen mir aber die besten Beschützer des römischen Stuhls antworten, wie sie die Stirn haben wollen, die Verteidigung des Titels „Allgemeinbischof” (Bischof der Gesamtkirche) zu wagen, wo sie doch sehen, daß dieser Titel von Gregor (I.) so oft mit feierlichem Fluch verdammt wird. Wenn das Zeugnis Gregors in Kraft sein soll, so erklären sie damit, daß sie ihren Bischof zum „Allgemeinbischof“ machen, zugleich, daß er der Antichrist ist!
Auch der Name „Haupt“ (der Kirche) war keineswegs gebräuchlicher. Denn Gregor sagt an einer Stelle so: „Petrus war das vornehmste Glied am Leibe (Christi); Johannes, Andreas und Jakobus waren die Häupter besonderer Gemeinden. Alle aber sind unter dem einen Haupte Glieder der Kirche; ja, die Heiligen vor der Zeit des Gesetzes, die Heiligen unter dem Gesetz, die Heiligen in der Gnade – sie alle machen den Leib des Herrn vollständig und sind in die Reihe der Glieder gestellt, und keiner von ihnen hat je gewollt, daß man ihn als ‚allgemein’ bezeichnete“ (Brief V,44). Daß sich aber der Bischof von Rom die Macht zum Befehlen anmaßt, das ist gar wenig in Übereinstimmung mit einer Aussage, die Gregor an anderer Stelle macht. Als nämlich der Bischof Eulogius von Alexandria erklärte, er habe von Gregor einen „Befehl“ empfangen, da antwortete dieser in folgender Weise: „Dieses Wort ‚Befehl’, bitte ich, laßt mir nicht zu Gehör kommen; denn ich weiß, wer ich bin und wer ihr seid: ihr seid nach eurer Stellung meine Brüder, nach eurem Wandel meine Väter; ich habe also nicht befohlen, sondern ich habe mich bemüht zu zeigen, was mir nützlich erschienen ist“ (Brief VIII,29). Daß der Papst seine Rechtsprechungsgewalt so grenzenlos ausdehnt, darin tut er nicht nur den übrigen Bischöfen, sondern auch jeder einzelnen Kirche schweres, fürchterliches Unrecht an; denn er reißt die Kirchen dermaßen auseinander und verstümmelt sie so, daß er aus ihren Bruchstücken seinen Stuhl erbaut. Daß er sich ferner jedem Urteil entzieht und in tyrannischer Art dergestalt herrschen will, daß er die Willkür, die er selbst allein übt, als Gesetz ansieht, das ist jedenfalls zu unwürdig und von der kirchlichen Handlungsweise zu verschieden, als daß man es irgendwie ertragen könnte. Denn es steht nicht nur zum Empfinden der Frömmigkeit, sondern auch zu dem der Menschlichkeit in klaffendem Widerspruch.



IV,7,22

Um aber nicht genötigt zu sein, das einzelne durchzugehen und zu untersuchen, so wende ich mich abermals an die, die heutzutage als die besten und getreuesten Anwälte des römischen Stuhls gelten wollen, und frage sie, ob sie sich denn nicht schämen, den gegenwärtigen Zustand des Papsttums zu verteidigen; denn es steht fest, daß er hundertmal verderbter ist, als er es in den Zeiten Gregors oder Bernhards war, und doch hat selbst jener Zustand damals diesen heiligen Männern so sehr mißfallen. Gregor klagt immer wieder, er werde durch fremde Geschäfte über die Maßen hin und hergezerrt, unter dem Schein des Bischofsamtes sei er zur Welt zurückgeführt worden, und er müsse jetzt in seinem Amt so vielen Erdensorgen dienstbar sein, daß er sich nicht erinnern könne, in seinem früheren Laienstande je unter so viele geknechtet gewesen zu sein, er werde vom Gewirr weltlicher Geschäfte dermaßen erdrückt, daß sein Herz sich nicht zu den himmlischen zu erheben vermöchte, die vielen Wellen der Rechtssachen zerrütteten ihn, und die ungestümen Stürme des Lebens brächten ihn in Anfechtung, so daß er mit Recht sagen könnte: „Ich bin gekommen in die Tiefe des Meeres …” (Brief I,5; 1,7; 1,25; 1,24). Sicherlich konnte er mitten in solch irdischen Geschäften das Volk in Predigten unterweisen, ja, insonderheit ermahnen, sicherlich konnte er die, bei denen es sein mußte, noch strafen, die Kirche ordnen, den Amtsgenossen einen Rat geben und sie an ihre Pflicht mahnen; überdies blieb ihm auch noch einige Zeit zum Schreiben – und trotzdem beklagt er seine Not, weil er in die tiefste Tiefe des Meeres versunken sei. Wenn die Verwaltungsarbeit zu jener Zeit ein „Meer“ war, was wird man dann von dem gegenwärtigen Papsttum sagen müssen? Denn was haben sie noch Ähnliches miteinander? Hier gibt es keine Predigten, kein Sorgen für die Zucht, keinen Eifer um die Kirchen, keine geistliche Amtsaufgabe – kurz, hier ist nichts als die Welt. Und trotzdem preist man diesen Irrgarten, als ob sich nichts Geordneteres und Wohlbestellteres finden ließe! Was für Klagen aber schüttet Bernhard aus, was für Seufzer läßt er vernehmen, indem er die Gebrechen seiner Zeit anschaut! Was würde er tun, wenn er unser Zeitalter ansähe, das da „eisern“ ist oder allenfalls gar noch schlimmer als Eisen? Was ist es da für eine Unverschämtheit, wenn man das, was alle Heiligen jederzeit einstimmig verworfen haben, halsstarrig als etwas Heiliges und Göttliches verteidigt, ja, nicht nur dies, sondern gar noch ihr Zeugnis zur Verteidigung eines Papsttums mißbraucht, das ihnen doch unzweifelhaft gänzlich unbekannt gewesen ist! Allerdings gebe ich bezüglich der Zeit Bernhards zu, daß damals die Verderbnis aller Dinge so groß gewesen ist, daß diese Zeit von der unseren nicht sehr verschieden war. Aller Scham aber entbehren solche Leute, die aus jener mittleren Zeit, nämlich der des Leo, des Gregor und ähnlicher Männer, irgendeinen Vorwand nehmen wollen. Denn diese Leute machen es genau so, wie wenn jemand zur Bestätigung der Alleinherrschaft der (römischen) Kaiser den alten Zustand des römischen Reiches loben wollte, das heißt: den Lobpreis der Freiheit dazu entlehnte, die Tyrannei zu zieren.



IV,7,23

Zum Schluß: selbst wenn man den Römischen alles dies schenken mag, so entsteht für sie doch abermals ein ganz neuer Streit, wenn wir leugnen, daß sich in Rom eine Kirche befinde, bei der solche Wohltaten ihren Platz haben könnten, und wenn wir ferner leugnen, daß es (dort) einen Bischof gibt, der solche Würdenvorrechte besäße. Nehmen wir einmal an, alle jene (vorigen) Behauptungen wären wahr – wir haben sie ihnen allerdings bereits aus der Hand geschlagen! -, nehmen wir also an, Petrus sei wirklich durch Christi Wort zum Haupt der gesamten Kirche eingesetzt worden, er habe die ihm übertragene Ehre dem römischen Stuhl übergeben, dies sei durch die Autorität der Alten Kirche festgelegt und durch lange Übung bestätigt, dem Bischof von Rom sei die oberste Gewalt alle Zeit einmütig von allen zuerkannt worden, er sei Richter über alle Rechtssachen wie auch über alle Menschen, selbst dagegen dem Gericht keines Menschen unterworfen gewesen. Ja, die Römischen können noch mehr haben, wenn sie wollen – ich antworte jedenfalls mit dem einen Wort, daß all dies keinen Wert hat, wenn es in Rom keine Kirche und keinen Bischof gibt. Das müssen sie mir doch notwendig zugeben, daß etwas, das selbst keine Kirche ist, nicht die Mutter der Kirchen sein kann, und daß einer, der selbst kein Bischof ist, nicht der Oberste der Bischöfe sein kann. Wollen sie nun zu Rom den „apostolischen“ Stuhl haben? Dann müssen sie mir (dort auch) das wahre, rechtmäßige Apostelamt vorweisen! Wollen sie dort den obersten Bischof haben? Dann müssen sie mir auch einen Bischof vorweisen! Wie aber nun? Wo werden sie uns irgendeine erkennbare Gestalt der Kirche zeigen? Dem Namen nach tun sie das freilich, und sie führen die Kirche stets im Munde. Nun wird aber die Kirche sicherlich an ihren bestimmten Merkzeichen erkannt, und „Bistum“ ist der Name eines Amtes. Ich rede hier nicht vom Volke, sondern von dem Kirchenregiment selbst, das in der Kirche beständig zu sehen sein soll. Wo ist nun zu Rom das Amt nach der Art, wie es Christi Stiftung erfordert? Wir wollen uns an das erinnern, was oben von der Amtspflicht der Presbyter und Bischöfe gesagt wurde. Wenn wir das Amt der Kardinäle nach dieser Richtschnur messen, so müssen wir zugeben, daß sie nichts weniger sind als Presbyter. Und was der Bischof selber irgendwie Bischöfliches an sich haben soll, das möchte ich wohl wissen. Das erste Hauptstück beim Bischofsamt besteht darin, das Volk mit Gottes Wort zu unterweisen, das zweite, das diesem unmittelbar folgt, die Sakramente zu verwalten, und das dritte besteht darin, zu ermahnen und zu ermuntern, dazu auch die zu strafen, die sich vergehen, und das Volk in heiliger Zucht zu halten. Was von alledem tut der Bischof zu Rom? Ja, was gibt er wenigstens vor zu tun? Man soll mir also sagen, in welchem Sinne man einen Menschen für einen Bischof gehalten wissen will, der kein Stück seiner Amtspflicht auch nur mit dem kleinsten Finger, wenn auch gar nur zum Schein anrührt.
Simon W.

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