Reformierte Charismatiker ?!?

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Vito
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Reformierte Charismatiker ?!?

Beitrag von Vito »

Hallo an alle,

in den letzten Monaten treibt mich die Frage um, wie wir mit den charismatisch orientierten Charismatikern umgehen sollten. Einerseits freue ich mich sehr, dass man auch in manchen charismatischen und pfingstlichen Kreisen jetzt vermehrt nach biblischer Lehre - insbesondere über die Souveränität Gottes in der Errettung von Menschen - fragt. Ich freue mich natürlich über eine gute Predigt von C. J. Mahaney, John Piper (der auch Geistesgaben wie Prophetie kräftig befürwortet und als Fuller-Absolvent keinerlei Berührungsängste mit Vineyard-Gemeinden hat), oder Randy Alcorn. Aber ich frage mich, was in ein paar Jahren aus uns geworden sein wird, wenn wir den eingeschlagenen Weg weiterverfolgen, Bücher von Piper, Alcorn und ähnlichen in konservativ-reformatorischen Verlagen zu haben. Was sollen wir von einer Entwicklung wie der Konferenz "Together for the Gospel" halten, bei der zum ersten Mal Bibellehrer wie John MacArthur, die bekannt sind für Bücher wie "Charismatic Chaos" und eine "cessationistische" Linie (Cessationism = Aufhören von Zungenrede, Prophetie und Zeichen und Wundern) neben John Piper, C.J. Mahaney & Co. predigten. Als überzeugter Cessationist, der aber seine charismatischen Geschwister auch liebt, bin ich hier wirklich etwas ratlos: Sollen wir John MacArthur hierin folgen oder haben wir es jetzt schleichend mit der "vierten Welle" der charismatischen Bewegung zu tun?

LG, Christoph

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H.W.Deppe
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Beitrag von H.W.Deppe »

Hallo Vito,
interessantes Thema. Du bist hier wohl besser informiert als ich, daher wäre es hilfreich, wenn du hier ruhig noch mehr Hintergrundinfos bringst. John Piper kam mir etwas unkritisch gegenüber manchen Dingen vor, aber dass er der char. Bewegung so nahe stehen soll, war mir nicht klar. Hast du Links etc., wo er sich über seinen Nicht-Cessassionismus äußert?

Alcorns erfolgreiches Buch über den Himmel enthält ja wohl ziemlich viel unbiblische Phantasie. CLV bringt jetzt auch ein Buch von ihm raus. Ein weiterer "reformierter Charismatiker" ist Wayne Grudem, dessen systematische Theologie demnächst bei einem deutschen reformierten Verlag erscheinen soll. In Deutschland lässt sich die Gemeinde "Arche" in Hamburg wohl zu den bekanntesten Zentren "reformierter Charismatiker" zählen.

Von der Konferenz hatte ich bisher nicht gehört, war gerade auf http://www.togetherforthegospel.org/, kann mich aber nicht so schnell durchlesen. Von Mark Dever hatte ich bisher Gutes gehört. Meinst du, wird diese Konferenz besonders einflussreich sein? Und warum bedenklich? Zu sehr in Southern-Baptist-Richtung? Worin siehst du die Gefahr "John MacArthur zu folgen"? (Alles aufrichtige Fragen, du hast meinen Informations-Hunger geweckt)

Du fragst, was "in ein paar Jahren aus uns geworden sein wird". Wenn du mit "uns" die bibeltreuen Reformierten im dt. Raum meinst, ist ein Vergleich mit der US-Situation denke ich nicht sinnvoll. Hier sind wir eine kleine zerstreute Herde, dort drüben gibt es alles und alles ist möglich. Du hast Recht, man wird immer mehr aufpassen müssen, wohin der Zug geht. Aber hier in unserem Raum tun sich gerade ein paar Dinge (Wartburg Verein, Verax Institut etc.), die gerade nicht in die charismatische oder ökumenische oder neo-evangelikale Richtung führen, sondern zum reformatorischen Grundanliegen "zurück zur Schrift".

Herzlichst,
Werner
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Vito
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Gesundes und Ungesundes

Beitrag von Vito »

Hallo, lieber Werner,

also einen Link habe ich schon, aber es handelt sich um einen Vortrag in mp3-Form, keinen Artikel: http://www.archive.org/details/MenOfWho ... sNotWorthy
Dort lädtst Du Dir den Vortrag über Lloyd-Jones herunter. Er spricht zwar darin über Lloyd-Jones, für mich war es aber eine weitaus größere Offenbarung über John Piper selbst als über den Doctor. Übrigens ist die ganze Vortragsreihe äußerst empfehlenswert. Wenn man John Pipers Schwachstellen übersieht (genau wie die Calvins, von wegen Säuglingstaufe u. ä.), kann man von seinen Predigten sehr viel profitieren. Die Reihe über „Prayer and Fasting“ ist z.B. auch recht profitabel, wenn man bei seinen positiven Zitaten von Richard Foster die Zähne zusammenbeißt und bei der Solidaritätsbekundung mit Bill Bright schnell weiterspult ;^)
Bitte versteh mich nicht falsch, ich habe eine sehr hohe Meinung sowohl von John Piper, Mark Dever als auch von einigen der eher charismatischen Calvinisten. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich aus John Pipers und C.J. Mahaneys Predigten das Evangelium der Gnade und Barmherzigkeit Gottes um einiges deutlicher heraushöre als von einigen bekenntnistreuen Reformierten, die mir scheinen, als hätten sie ihren Schwerpunkt auf das Gesetz und auf die herzlose Bekanntmachung theologischer Richtigkeiten verlegt, während ich bei diesen Brüdern eine wirkliche Herzensfrömmigkeit finde, die aus Christus lebt, Gottes Barmherzigkeit betont und in die Beine und Hände geht.
Ja, ich glaube, diese Konferenz wird einflussreich sein, erstens wegen der hohen Erwartungen, die damit verbunden waren und - wenn man den einschlägigen Blogs glaubt - auch erfüllt wurden, zweitens ist sie aber, glaube ich, nur eine von mehreren Bemühungen von cessationistischer und non-cessationistischer Seite in den USA, im "calvinistischen Lager" zusammenzurücken. Wenn Du z.B. auf www.resolved.org schaust, siehst Du, dass John MacArthurs Grace Church auch C.J. Mahaney als Redner eingeladen hatte zu einer Jugendkonferenz. Das alles sind - zumindest von seiten Grace Church und Co. - meines Erachtens Veränderungen in der Policy. Wenn Du möchtest, geh auf http://www.tms.edu/audio.asp?ministry_i ... mit=Submit . Dort findest Du Seminarvorträge von 2004 am Master´s Seminary, in denen eine klare Stellung bezogen wird zum Thema Non-Cessationism. Ob das jetzt noch so aktiv gepredigt wird (geglaubt wird es sicher noch), vermag ich nicht zu sagen. Es macht mich nur etwas nachdenklich, da auch in meiner Brust zwei Herzen schlagen: Ich sehe das Verderben, das durch die charismatische Bewegung in konservativen Gemeinden angerichtet wurde, auch das Unheil, das angerichtet werden kann, wenn wir von unserer cessationistischen Linie selbst abweichen, aber ich sehe auch liebe Brüder in Christus andererseits bei den Charismatikern und Pfingstlern, die verstärkt nach biblischer Lehre fragen und in der Bibel forschen und die uns zum Teil eine ganze Menge zu sagen haben, das wir wieder neu hören müssten. Oder die sich um Themen kümmern, die von den ständig mit "anderen Dingen" beschäftigten Reformierten in Deutschland vernachlässigt wurden, wie z.B. biblische Seelsorge. Wenn man sich über Bekenntnisfragen und Eschatologie zoffen muss, dann hat man unter Umständen eben keine Zeit mehr für solche "Nebensächlichkeiten" wie biblisches Arbeiten an Bulimikern oder Fragen wie z.B. "Wie helfe ich einem Teenager, von der Selbstbefriedigung loszukommen?" Entgegen dem, was man rückschließen könnte, wenn man die heutigen „Neo-Puritaner“ beobachtet, haben sich die alten Puritaner sehr wohl unter Einsatz ihrer eigenen Heime, Freizeit und sonstigen Resourcen um die seelisch Kaputten, die Angefochtenen, usw. gekümmert. Schaust Du auf www.biblische-seelsorge.net, so wirst Du im Impressum entdecken, dass im deutschen Sprachraum die gute, biblische Nouthetic-Counselling-Linie (Jay Adams und Co) hauptsächlich von den charismatisch-calvinistischen Brüdern angestoßen wird. Warum wohl? Wo bleiben die „experiental Calvinists“ bei den klassisch Reformierten in Deutschland?
Wie gesagt, ich tue mich manchmal auch etwas schwer, das Evangelium so leicht zu entdecken in Predigten mancher konservativen Bekenntnisreformierten, stattdessen dauernd nur Imperative (die sicher auch wichtig sind, aber eben nicht allein), kalten Intellektualismus (bestimmt genausoschlimm wie das Gegenteil, den Anti-Intellektualismus) und dauernde Verweise auf die Bekenntnisse, zu denen Nicht-Reformierte ohnehin keinerlei Bezug haben. Darum kann ich schon einen Punkt darin sehen, wie John MacArthur, Rick Holland, Mark Dever und wie sie alle heißen, mit den Non-Cessationists etwas näher zusammenzurücken. Darum ist es für mich keine rhetorische Frage, ob wir darin MacArthur folgen sollen oder nicht, sondern eine echte.
Doch, ja, ich sehe den Unterschied zwischen unseren transatlantischen Freunden im Land der unbegrenzten (auch „reformierten“) Möglichkeiten und unserem Land mit seinem lehrlosen pietistisch-charismatisch-neoevangelikalen Einheitsbrei. Aber trotz unserer geringen Zahl bringen auch wir tollen Reformierten es auf die Reihe, alle möglichen und unmöglichen exotischen Sonderformen unserer großen Bewegung auch in Deutschland heranzuzüchten. Wir haben Hypercalvinisten, Rekonstruktionisten, ansatzweise vielleicht auch schon Patriachalisten, und ich würde fast darauf wetten, dass es, wenn es irgendeinem Calvinisten mit dem bisher Bekannten zu langweilig wird, er die New Perspective on Paul nach Deutschland importieren wird. Vor solchen unerwünschten Sonderlehren können wir nur durch Gottes Gnade bewahrt werden und wenn wir unsere Verantwortung wirklich wahr nehmen, einerseits klar und biblisch zu lehren (wie es uns Leute wie John MacArthur, Stuart Olyott & Co beispielhaft vormachen) und andererseits nicht unser Herz vernachlässigen, indem wir ihm täglich das Evangelium selbst predigen (noch bevor der erste Fuß aus dem Bett ist) und uns um eine sehr lebendige Beziehung zum Herrn mühen. In letzterem Bereich mögen wir unter Umständen eine Menge von solchen lernen können, die uns in Sachen Geistesgaben, Anbetungsmusik und ähnlichen Themen zu Recht nicht gerade nahe stehen.

Und sicher, als „optimistischer Amillennialist“ sehe ich auch die positiven Entwicklungen, die Du mit Verax, 3L und ähnlichen aufzeigst, mit viel Freude. Doch wir müssen trotzdem aufpassen, dass sich das „Ihr liefet gut...“ nicht doch zu bald auf uns anwenden lässt. Unseren alten Adams ist nicht zu trauen.

Brüderlicher Gruß,
Christoph

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H.W.Deppe
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Beitrag von H.W.Deppe »

Hallo Christoph,
vielen Dank wiederum für die interessanten und hilfreichen Infos. Durch die angegebenen Materialien muss ich mich erst durcharbeiten. Du scheinst ja gut informiert zu sein über die reformierte "Szene". Wäre nett, wenn du uns hier weiterhin auf dem Laufenden hälst. Deine Sicht und dein Anliegen kann ich voll und ganz teilen. Sicher ist ein Nicht-Cessationist nicht unbedingt gleich ein Charismatiker, aber aufpassen sollten wir da schon - und noch mehr aufpassen in den erwähnten anderen Bereichen.
Für heute nur eine Frage: Was sind eigentlich "Patriachalisten"?
herzlichen Gruß, Werner
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Vito
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Das Patriarchat lässt grüßen...

Beitrag von Vito »

Hallo lieber Werner,

es hat nichts in negativer Weise mit den Patriarchen des AT wie Abraham, Isaak und Jakob zu tun, soviel ist sicher, sondern es handelt sich um eine bestimmte Art von gesetzlicher Sonderlehre bezüglich der Rollen von Mann und Frau in der Ehe, über diverse andere Themen bezüglich dessen, was für Frauen in Ordnung ist zu tun oder nicht. Wenn Du Aufklärung ÜBER diese Richtung haben willst, geh einfach auf www.patriarchy.org oder in Form von Vorträgen auf http://www.sermonaudio.com/search.asp?s ... Patriarchy Pastor Pete Hurst, der diese Vorträge gehalten hat, hatte in seiner eigenen Gemeinde wegen dieser Richtung eine Spaltung.
So schnell kann es gehen: Noch vor ca. drei Wochen habe ich in einer Bibelstunde oder Sonntagspredigt erwähnt, dass wir Reformierte in Europa uns mit der "New Perspective on Paul" (auch: Aubernism, Hypercovenantalism oder Federal Vision) noch nicht so schrecklich auseinandersetzen müssen, da es noch im weit entfernten Amerika ist und den Weg zu uns noch nicht geschafft hat. Heute erfahre ich auf einem Spaziergang von einer reformierten Gemeinde in Frankreich, dass sie dieser Irrlehre schon ganz klar zum Opfer gefallen ist. Wir sind - Reformiert, konservativ-evangelikal oder gar reformiert, doch genau ein solches religionspathologisches Freiluftmuseum wie es die USA in weitaus größerem Stil sind. Wir haben von allen Kuriositäten unsere Miniaturen - und jetzt dann auch von den Hypercovenantalists - und warum? Weil einige Reformierte bestimmt mal wieder keine sinnvollere Beschäftigung hatten, als sich mit irgend einem Irrlehrenmüll zu befassen. Es ist wie Spurgeon es so treffend sagte: "Satan´s always work for idle hands." Und "idle hands" gibt es, so scheints.
Liebe Grüße,
Christoph

Gast

Beitrag von Gast »

Hallo Christoph,

diese "Lehre" gibt es auch bereits in Deutschland - in Köln gibt es sogar eine Gemeinde.

Vito
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Welche??

Beitrag von Vito »

Hi Janand,

meinst Du die mit den Patriarchen oder diese "Katholisch-Reformierten"?

LG,
Christoph

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Pilger Andreas
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Beitrag von Pilger Andreas »

Hallo Christoph,

und was ist diese "New Perspective on Paul"?

Gruß
Andreas

Robert
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Beitrag von Robert »

Schade, daß diese Einträge für nicht eingeweihte Personen nicht zu verstehen sind.
Lieber Vito, kannst Du bitte ganz kurz( auch lang) erklären , um was es geht?Gruß Robert.(die Links auf Englisch sind nicht für alle hilreich.)

Vito
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Beitrag von Vito »

Hi Robert,

also, jetzt wirklich in Kürze, weil ich eigentlich keine Zeit habe. Wenn Du nähere Infos möchtest, schau bei http://www.theopedia.com rein. Das ist eine Art bibeltreues (zumindest in der Grundausrichtung) Wikipedia für alle Arten von theologischen Begriffen und Erscheinungen. Da gibt es sehr hilfreiche Artikel vor allem auch über die aktuellen Strömungen der New Perspective on Paul und auch über die Emerging Church (von der hatten wir es hier noch nicht).
Also in Kürze: Bei der New Perspective on Paul handelt es sich um ein Sammelsurium an Lehren, das einer breiten Öffentlichkeit durch eine Konferenz der Auburn Avenue Presbyterian Church vor einigen Jahren (und seitdem ständig) zugänglich gemacht wurde. Hauptvertreter dieser Richtung sind N.T. Wright (Bischof von Durham, Anglikanische Kirche), Douglas Wilson (Autor, Pastor einer presbyterianischen Gemeinde), Steven Wilkins, Steve Schlissel und andere, davon einige recht bekannte Vertreter reformierter Theologie. Im Wesentlichen gehen diese Leute davon aus, dass die Reformation und der Protestantismus eine falsche (old) Perspektive von Paulus´ Theologie der Rechtfertigung und eine falsche Sicht von Paulus' Auseinandersetzung mit den Pharisäern/Judaisten. Klassische Sicht: Paulus vertrat die Aneignung des Heils allein durch Gnade und in Christus. Pharisäer/Judaisten vertraten die Sicht, dass man zumindest teilweise durch eigene Werke das Heil erlangt. NPP-Sichtweise: Der eigentliche Streit des Paulus mit den Pharisäern/Judaisten wäre nicht über Gnade oder Werke gewesen, denn der jüdische Glaube zur Zeit des Apostels sei ein Glaube an die Gnade gewesen. Sondern: Das einzige Problem bei den Pharisäern sei gewesen, dass sie Christus als Messias abgelehnt hätten, sonst alles OK.
So weit so schlecht, das klingt erst einmal alles nach einem reinen Theologenstreit, der die Glaubenspraxis nicht besonders berührt, ist es aber nicht. Denn als Konsequenz verbiegt diese Sicht in der Folge die Lehre, von der Luther sagte, dass sie der Artikel des Glaubens sei, mit der die Kirche steht oder fällt: die Rechtfertigungslehre. Anstelle von stellvertretendem Sühneopfer, das allein durch Glauben, ohne Zutun der Werke dem Sünder angeeignet wird tritt der schwammige Begriff des Glaubens und der Rechtfertigung durch die "Bundestreue". Man wird gerettet sozusagen durch seine eigene Bundestreue.
Als Rattenschwanz hintendran folgt manchmal die Aufgabe der Prinzipien "sola scriptura" (allein die Schrift) und die Annäherung an den Katholizismus (zu beobachten bei Andrew Sandlin, John Armstrong, u.a.) und das Judentum (zu beobachten bei Steve Schlissel).
Eine gute Zusammenfassung dieses ganzen Lehrkomplexes findest Du bei Phil R. Johnson, Direktor von Grace to You:
http://swordandtrowel.org/philarticles.htm
Dass Phil eine so gesunde, biblische Ausrichtung hat, schreibe ich mit der Tatsache zu, dass er ein sehr praktischer Vers-für-Vers-Ausleger ist, der zutiefst im normalen Gemeindealltag verwurzelt ist. Mein persönliches Urteil über diese ganzen NPP-Auswüchse ist auch, dass es eine Sache ist, die wiederum hauptsächlich (wahrscheinlich nicht nur) Leute betrifft, die wenig bis nicht im praktischen Gemeindedienst zu Hause sind, sondern nur in ihrem theologisch-akademischen Elfenbeinturm hocken und nach den höheren Weihen, sozusagen der höheren "Gnosis" der Theologie suchen, die sie über das gewöhnliche Volk der normalen "Tulpenzüchter" (TULIP = Akronym für die fünf Punkte des Calvinismus) hinaus hervorhebt. Sozusagen eine Religion für Stuhlwärmer. Wie Ted Donnelly es einmal auf den Punkt brachte: "Du bekommst eben keinen Doktortitel dafür, dass Du schreibst: ´Ich denke, Calvin hatte recht.'" Seine Vorträge über das Thema der Rechtfertigung allein aus Glauben sind übrigens allerwärmstens zu empfehlen: http://www.vor.org/mebane/sermons/index.cgi?series=65

So, jetzt ist die Mittagspause vorbei, ich muss aufhören.

LG,
Christoph

Vito
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Die Sache mit dem Englisch...

Beitrag von Vito »

Hallo Robert nochmal,

ja, das verstehe ich gut, dass die Links in Englisch nicht jedem zugänglich sind. Aber doch einigen...
Ich selbst hatte auch nur sehr schlechten Englischunterricht - und das nur bis zur zehnten Klasse. Meine einzige Motivation, mich wieder ins Englisch einzuarbeiten, war, dass die besten christlichen Bücher und Kommentare nur in dieser Sprache existieren und ich sonst von einer ganzen Schatzkammer gesunder Theologie einfach abgeschnitten wäre. Da habe ich einfach angefangen mit einem ganz einfachen Buch darüber, wie man Mormonen evangelisiert. Ich habe es gelesen und Bauklötzchen gestaunt, wie gut ich trotz meinem rudimentären Englisch verstanden habe. Predigten in einem guten, klaren Englisch, beispielsweise von Stuart Olyott oder Peter Masters (alle kostenlos online erhältlich) waren ebenfalls eine große Hilfe. Leider ist die Faustregel (mit einigen Ausnahmen) nun einmal: Christliche Literatur, die in Deutschland geschrieben ist, ist zu einem überragenden Anteil entweder bibelkritisch, dispensationalistisch oder pietistisch. So bringt es uns, genau wie irgendwelchen Bergstämmen in Papua-Neuguinea (wir sind nicht besser) einen entscheidenden Vorteil, wenn wir eine Sprache lernen, in der es viel mehr gutes Material gibt. Also ran an die (englischen) Buletten!! Es lohnt sich!

LG,
Christoph

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H.W.Deppe
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Beitrag von H.W.Deppe »

Zur Abwehr der "New Perspektive on Paul" wurde deutschsprachig übrigens bereits vorgesorgt: das Buch "Es ist nicht alles Gold, was glänzt" (Hrsg. John MacArthur) enthält ein aufklärendes Kapitel darüber, übrigens von eben dem Phil Johnson. Kann heruntergeladen werden unter http://clv.dyndns.info/pdf/255979.pdf (Kapitel 4 = S. 71). Manchmal werden die hilfreichen Quellen der Engelsprache eben doch übersetzt ;-)

Gruß, Werner
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Robert
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Beitrag von Robert »

Vielen Dank für die Erklärung.Selbst bei bestem Willen wird es immer schwieriger in allen solchen Fragen auf dem Laufenden zu bleiben.Gruß Robert.

Gast

Beitrag von Gast »

Hallo Robert,

ich glaube, man tut sich auch nicht unbedingt einen Gefallen, in allen Fragen der Apologetik up-to-date sein zu müssen. Es sei denn, man ist in einer Leitungsfunktion und wird mit diesen Dingen konfrontiert.
Persönlich denke ich, es steht uns gut an, beim guten Hirten und seinem Wort zu bleiben und seine Stimme zu hören, dann werden wir auch fremde Stimmen erkennen und beurteilen können.
Man kommt auch leicht in Gefahr, sich beim brüderlichen Austausch mehrheitlich über die "Strömungen" usw. zu unterhalten, anstatt über das, was man mit dem HERRn erlebt hat. Und das ist doch das, was letztlich zählt.
Gruß,M.

Vito
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Zustimmung und...

Beitrag von Vito »

Lieber Mephiboschet,

sicher hast Du sehr recht mit Deiner Aussage, dass man nicht gut daran tut, jedes apologetische Thema erschöpfend kennen zu wollen, jede neue Strömung kennen zu wollen, am besten noch bevor sie bei uns in Deutschland gelandet ist. Ich möchte dem noch etwas hinzufügen und zwar bezüglich der Motive unserer Beschäftigung mit Irr- und Sonderlehren. Diese Beschäftigung bibeltreuer (und meinetwegen reformierter) Christen kann teilweise morbide Züge annehmen. Das kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen, sogar noch aus der Zeit vor meiner Bekehrung. Zunächst einmal positiv: Wenn wir uns mit diesen Dingen beschäftigen, sollte es unsere Sorge um das Evangelium sein, die dahinter steht. Aber diese krankhafte "Informationssucht" ist manchmal ein Symptom für einen Rückgang im geistlichen Leben. Octavius Winslow sagt in seinem Buch über geistlichen Verfall im Leben des Christen, dass Gläubige im Prozess des geistlichen Rückfalls oftmals schärfer zwischen guter und schlechter Lehre, unterscheiden als welche, die sich im Aufschwung befinden. Apologetik, aber auch systematische Theologie kann zu einer Kompensation für echte Geistlichkeit und echte Gemeinschaft mit dem Herrn werden. Und das ist sehr gefährlich.
Ich weiß nicht, was Du genau meinst mit "was man mit dem Herrn erlebt hat". Wenn Du damit einen Wort-zentrierten geistlichen Austauch meinst, wo es beispielsweise darum geht, wo Gott uns gezeigt hat, wie wir das Evangelium auf jeden Lebensbereich anwenden, stimme ich zu. Wenn es allerdings dabei nur um den Austausch von geistlich-seelischen Erfahrungen jedweder Art geht oder den Bericht darüber, wie dieser oder jener Bibelvers (oder gar "Losungswort") irgendeine Saite in unserer frommen Seele angeschlagen hat, dann kann ich die Wichtigkeit davon nicht so recht erkennen. Es ist das Wort und seine Anwendung in unserem Leben, das hilft, nicht geistliche Erfahrungen, die nicht dem Wort (in seinem Kontext korrekt ausgelegt) direkt entspringen. Glaube mir, ich habe beides erlebt und praktiziert und kann bezeugen, dass die erstgenannte Art des Austausches die geistlich profitablere ist.

Liebe Grüße,
Christoph

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