Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps103

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15. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras. Er lebt vom Grase und lebt wie das Gras. Das Brotkorn ist nur veredeltes Gras, und der Mensch, der sich davon nährt, nimmt an dessen Natur teil. Das Gras keimt, wächst, blüht. fällt unter der Sichel, verdorrt und wird vom Felde weggenommen: lies diesen Satz noch einmal, du wirst in ihm die Geschichte des Menschen wiederfinden. Durchlebt er die volle dem Menschenleben gesetzte kleine Zeit, so wird er am Ende niedergemäht; viel wahrscheinlicher aber ist, dass er hinwelkt, noch ehe er zur Reife kommt, oder, lange bevor er seine Zeit erfüllt hat, plötzlich weggerissen wird von seiner Stätte. Er blüht wie eine Blume auf dem Felde. Er hat seine Schönheit und Anmut gerade wie die Wiesen, wenn sie mit Butterblumen übersät sind; aber ach wie kurz ist diese Herrlichkeit! Kaum ist sie aufgeblüht, so ist’s um sie geschehen, es ist nur ein Aufleuchten von Lieblichkeit, so schnell vergehend, wie es gekommen. Der Mensch ist nicht einmal den Pflanzen im Gewächshaus oder auch nur im geschützten Gartenbeete zu vergleichen; er wächst wie die Feldblume am besten in der Freiheit auf, aber gleich den unbeschützten Kindern Floras, die unsere Matten schmücken, bedrohen auch ihn tausend Gefahren mit einem schnellen Ende. Das bunte Bild, welches eine große Versammlung bietet, erinnert uns stets an eine in vielen Farben prangende Wiese; und der Vergleich wird erschreckend wahr, wenn wir daran denken, dass genauso wie das Gras verwelkt und seine schöne Gestalt verdirbt auch die Menschenkinder, auf die wir niederschauen, und alle ihre sichtbare Schönheit und Herrlichkeit vergehen. Also geht’s auch mit allem, das vom Fleische kommt, auch mit seinen größten Vorzügen und natürlichen Tugenden, denn "was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch" (Joh. 3,6) und darum auch nur wie Gras, das verwelkt, wenn nur ein Windhauch aus der Wüste es trifft. Wohl denen, die als von oben her Geborene einen unvergänglichen Samen in sich haben, der da lebt und bleibt ewiglich.

16. Wenn der Wind darüber geht, so ist sie7 nimmer da. Nur ein wenig Wind ist nötig, es bedarf nicht einmal der Sense, ein Hauch vollbringt das Werk, so hinfällig ist die Blume. Und welch einer kleinen Menge giftiger Gase bedarf es, ein tödliches Fieber zu erzeugen, dem keine Menschenkunst Einhalt tun kann! Es bedarf nicht des Schwerts noch einer Kugel, ein Hauch verpesteter Luft ist viel tödlicher und verfehlt nicht, den gesundesten, eisenfesten Menschen niederzustrecken. Und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Dieselbe Blume blüht nicht wieder. Sie mag eine Nachfolgerin haben, sie selbst aber ist nicht mehr; ihr Kelch und ihre Blätter sind zerstreut in alle Winde, und ihr Wohlgeruch wird niemals wieder die Abendluft durchduften. Und der Mensch - auch er stirbt, und weg ist er, weg aus dem trauten Heim, weg von den Stätten, wo er lebte, wirkte, sich vergnügte, und hinweg, um niemals wiederzukehren. Soweit diese Welt in Betracht kommt, ist’s, als wäre er nie gewesen; die Sonne steigt empor und nieder, der Mond nimmt zu und ab, Sommer und Winter machen ihre Runde, die Ströme fließen und alles läuft in seinen alten Bahnen, als misste niemand ihn: solch eine unbedeutende Rolle spielt er im Kreislauf der Natur. Vielleicht sucht ihn ein Freund mit schmerzlichem Vermissen. Doch wenn das Grabgeläut verklungen, die Trauermonde hingeschwunden sind, wie wenig wird dann, außer einem Hügel Erde und vielleicht einem bröckelnden Stein darauf, von unserem ganzen Dasein auf diesem geschäftigen Schauplatz übrig sein! Gewiss, es gibt dauerhaftere Erinnerungen, ja es gibt ein Dasein andrer Art, das mit der Ewigkeit vermählt ist; aber diese gehören nicht unserem Fleische an, das nur Gras ist, sondern einem höheren Leben, in welchem wir zu inniger Wesensgemeinschaft mit dem Ewigen gelangen.

17. Die Gnade aber des Herrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten. Seliges Aber! Wie gewaltig ist der Gegensatz zwischen der welkenden Blume und dem ewigen Gott! Und wie wunderbar, dass seine Gnade unsere Hinfälligkeit mit seiner Ewigkeit verkettet, so dass auch wir unsterblich werden! Von Ewigkeit an hat Gott die Seinen als Gegenstände seiner Huld betrachtet und sie als solche dazu erwählt, an seiner heiligenden Gnade Anteil zu haben; die Lehre von der ewigen Erwählung ist denen köstlich, welche Licht haben von Gott, sie zu erkennen, und Liebe zu Gott, sie sich anzueignen. Sie bietet Stoff zu tiefem Sinnen und hoher Wonne. Die Worte "zu Ewigkeit" sind ebenso kostbar. Jehovah wandelt sich nicht, seine Gnade ist ebenso ohne Ende, wie sie ohne Anfang ist. Die ihn fürchten, werden nie die Entdeckung machen, dass ihre Sünden oder ihre Bedürfnisse die mächtigen Tiefen seiner Gnade erschöpft haben. Die große Frage ist, ob wir ihn fürchten. Geht unser Blick in kindlicher Ehrfurcht himmelwärts, so wendet sich auch der Blick der väterlichen Liebe niemals von uns und wird es nie tun, in Zeit und Ewigkeit. Und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind. Die Huld gegen die, mit welchen der HERR einen Bund macht, wird durch seine Gerechtigkeit verbürgt; eben weil er gerecht ist, nimmt er nie eine Verheißung zurück oder lässt es an ihrer Erfüllung gebrechen. Unsre gläubigen Söhne werden samt ihren Nachkommen das Wort des HERRN allezeit gleich zuverlässig finden; ihnen wird er seine Gnade erweisen und sie segnen wie er uns gesegnet hat. So wollen wir denn auch im Blick auf unsre Nachkommen dem HERRN singen. Die Vergangenheit heischt unseren Lobpreis, und die Zukunft ladet dazu ein. Lasst uns für unsre Kinder und Kindeskinder beten und flehen, aber auch für das ihnen verheißene Heil danken. Wenn Abraham sich im Blick auf seinen Samen freute, so dürfen das alle gottseligen Eltern tun, denn "an der Väter Statt sollen die Söhne sein" (Ps. 45,17), und der letzte Psalm hat uns in seinem Schlussverse gesagt: Die Kinder deiner Knechte werden bleiben, und ihr Same wird vor dir gedeihen. (Ps. 102,29.)

18. Den Kindern der Gerechten wird jedoch die Gnade des HERRN nicht bedingungslos zugesagt. Dieser Vers vollendet die Aussage des vorhergehenden, indem er hinzufügt Bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun. Die Eltern müssen gehorsam sein und desgleichen die Kinder. Es wird uns hier geboten, dem Bunde treu zu bleiben, und wer davon abweicht, indem er irgendetwas anderes zu seiner Zuflucht nimmt als das vollbrachte Werk des Herrn Jesu, der ist nicht unter denen, die dieser Vorschrift gehorchen; diejenigen, mit welchen der Bund wirklich geschlossen ist, stehen fest zu ihm und wollen nicht, nachdem sie im Geist angefangen haben, im Fleisch vollenden. Die wahrhaft Frommen halten die Gebote des HERRN wohl in Acht - sie gedenken an sie; ihr Umgehen mit Gottes Wort ist durchaus praktischer Art: dass sie danach tun; und endlich wählen und reißen sie nicht Einzelnes heraus, sondern sind der Ordnungen des HERRN als solcher eingedenk, ohne nach Belieben oder Bequemlichkeit ein Stück über das andere zu stellen. Gebe Gott, dass unsre Nachkommen ein nachdenkendes, achtsames und gehorsames Geschlecht seien, eifrig bestrebt, den Willen des HERRN zu erkennen, und allezeit bereit, ihn völlig zu erfüllen; dann wird seine Gnade sie mit edlem Reichtum und wahrer Ehre krönen von Kind zu Kindeskind.
Auch dieser achtzehnte Vers ruft zum Lobe Gottes; denn wer könnte wünschen, dass der HERR solchen freundlich sei, die auf seine Gebote nicht achten wollen? Das hieße ja das Laster ermutigen. Aus der unvorsichtigen Weise, wie etliche Prediger die Bundesgnade und -treue verkündigen, könnte man entnehmen, dass Gott ein gewisses Teil Menschen zu segnen gesonnen sei, wie immer sie leben, wie immer sie seine Gebote vernachlässigen mögen. Aber das Wort lehrt uns nicht so. Der Gnadenbund ruht nicht auf dem Tun des Menschen, aber er ist heilig. Wohl ist er eitel Gnade vom Ersten bis zum Letzten, aber es liegt ihm sehr ferne, Gelegenheit machen zu wollen zur Sünde; im Gegenteil, eine seiner größten Verheißungen ist: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben. (Jer. 31,33.) Sein großes Ziel ist, Gott ein Volk zu heiligen, das da fleißig wäre zu guten Werken (Tit. 2,14), und alle seine Gaben und Wirkungen zielen darauf hin. Der Glaube hält den Bund, indem er allein auf Jesum aufschaut, während er zugleich mit eifrigem Gehorsam der Befehle des HERRN eingedenk bleibt, um sie auszuführen.

19. Der HERR hat seinen Stuhl im Himmel bereitet. Aufs Neue bricht der Sänger in Lobpreis Gottes aus, indem er die schrankenlose Macht und glorreiche Hoheit Jehovahs bewundert. Des HERRN Thron ist aufgerichtet und steht fest, unerschütterlich und himmelhoch erhaben über alle Throne und Gewalten. Der Ewige sitzt nicht auf wackligem Erdenthron und fragt niemand um Erlaubnis, König sein zu dürfen. In seiner Herrschaft gibt es keine Aufregung, keine Unordnung, keine Verwirrung, kein hin und her Ratschlagen und Probieren, keine Überraschungen, mit denen zu rechnen, keine unerwarteten Ereignisse, die abzuwenden wären - alles ist wohl vorbereitet und bestimmt, und zwar von Ihm selbst. Er ist kein Lehenskönig, dem ein anderer den Thron aufgerichtet hat; er ist Selbstherrscher, sein Reich ist sein ureigenes Werk und wird durch seine ihm innewohnende Macht erhalten. Diese Hoheit ohnegleichen ist die Gewähr unserer Sicherheit, der Pfeiler, an welchen sich unser Vertrauen sicher lehnen kann.
Und sein Reich herrscht über alles. Über das ganze Weltall streckt er sein Zepter aus. Er herrscht jetzt allüberall, hat es stets getan und wird es stets tun. Uns mag die Welt von Unordnung zerrissen, ja eine große Anarchie zu sein scheinen, aber er bringt aus Verwirrung Ordnung hervor. Die kämpfenden Elemente marschieren unter seiner Fahne, auch wenn sie im wildesten Sturm daherfahren. Alle und alles, ob groß oder klein, ob geistbelebt oder Materie, ob willig oder unwillig, ob wild oder mild, alles steht unter seiner Macht und muss seinem Willen dienen. Sein Reich ist das wahre Weltreich, er der einzige Machthaber, der König aller Könige und Herr aller Herren. Eine klare Anschauung von seiner allezeit tätigen und überall den Sieg davontragenden Vorsehung ist eine der köstlichsten geistlichen Gaben; wer sie hat, kann nicht anders als den HERRN von ganzem Herzen preisen.
So hat denn der gottbegnadete Sänger die mannigfaltigen Eigenschaften des HERRN, wie sie sich in dem Gebiete der Natur, der Gnade und der Vorsehung zu schauen geben, besungen, und nun sammelt er alle seine Kräfte zu einem letzten anbetenden Lobpreis, zu welchem er alle Kreatur einladet sich zu vereinigen, weil alle des großen Königs Untertanen sind.


Fußnote
7. Schade, dass im Deutschen nicht wie im Hebräischen Blume und Mensch gleichen Geschlechts sind; dann fiele die Frage, ob sie oder er, ihre oder seine Stätte zu übersetzen, dahin; denn tatsächlich geht V. 16 doch auf beide, Blume und Mensch, wie denn von den Parallelstellen der beiden Vershälften die erste (Jes. 40,7) von der Blume, die andere (Hiob 7,10) vom Menschen redet.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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20.
Lobet den Herrn, ihr seine Engel,
ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet,
dass man höre auf die Stimme seines Worts!
21.
Lobet den HERRN, alle seine Heerscharen,
seine Diener, die ihr seinen Willen tut!
22.
Lobet den HERRN, alle seine Werke,
an allen Orten seiner Herrschaft!
Lobe den HERRN, meine Seele!


20. Lobet den HERRN, ihr seine Engel, ihr starken Helden. Die Aufgabe, Gott zu loben, wächst dem Psalmisten gleichsam unter der Hand; darum ruft er die erstgeborenen Söhne des Lichtes zu Hilfe. Sie können es ja am besten; leben sie doch dem im Himmel aufgerichteten Throne (V. 19) so viel näher als wir, denen das Auffahren noch bevorsteht, und sehen daher auch so viel klarer die Herrlichkeit, die wir anbeten möchten. Ihnen ist gegeben eine über die unsre hocherhabene Kraft des Verstandes, und wie sie Helden des Geistes sind, so ist auch ihre Stimme gleich einer mächtigen Posaune und ihre Kraft gewaltig; ihre Wonne aber ist es, ihre reichen Gaben in heiligem Dienst für Ihn zu gebrauchen. So mögen sie denn nun alle ihre Kraft in den feierlichen Lobgesang legen, den wir zum dritten Himmel empor senden möchten. Ihm, von welchem alle Heldenkraft der Engel kommt, sei diese ganz geweiht. Sie sind ja seine Engel; darum sind sie nicht säumig, sein Lob zu künden. Die ihr seinen Befehl ausrichtet, indem sie hören auf die Stimme d. i. den Laut seines Worts. (Grundt). Uns ist befohlen seinen Willen zu tun; aber ach, wir kommen darin zu kurz. Mögen denn jene jungfräulich reinen Geister, deren Seligkeit es ist, nie ein Gebot übertreten zu haben, dem HERRN den Ruhm ihrer Heiligkeit darbringen. Sie horchen auf neue Befehle und beweisen ihren Gehorsam ebenso sehr durch ihr ehrfurchtsvolles Lauschen wie durch eifriges Tun, und sie geben uns damit ein Vorbild, wie der Wille des Höchsten allezeit geschehen sollte; aber mögen sie auch für diese ihre hohe Vortrefflichkeit keine Ehre nehmen, sondern alle Ihm geben, der sie zu dem gemacht und darin bewahrt hat, was sie sind. Ach, dass wir sie das Lob Gottes könnten singen hören, wie einst die Hirten auf Bethlehems Fluren in jener größten aller Geburtsnächte, da so süße Musik ihnen an Herz und Ohr drang, wie Menschen sie nie hervorgebracht! Unsre Herzen begrüßen schon sehnend die Stunde, da wir der Engel Harfen werden rauschen hören und ihr Lob das Preisen Gottes der Schöpfung verkünden wird.

21. Lobet den HERRN, alle seine Heerscharen, welcher Klasse der Geschöpfe ihr auch angehören möget, denn ihr steht alle in seinem Dienst und er ist der Feldherr über alle eure Scharen. Die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer, und was im Meer geht, sie alle mögen sich vereinigen, ihren Schöpfer nach ihren besten Kräften zu preisen. Seine Diener, die ihr seinen Willen tut. In welcher Weise ihr ihm auch dienen möget, lobsingt ihm, während ihr dient. Der Psalmsänger möchte, dass jeder Diener in dem großen Palast des Weltenherrschers sich mit ihm vereinige, so dass alle zugleich das Lob des HERRN verkündigen.8

22. Lobet den HERRN, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Wir haben in den drei Versen 20-22 einen Dreiklang des Lobes für den dreimal preiswürdigen Gott, und jede der drei Lobpreisungen enthält eine Erweiterung gegenüber der vorhergehenden. Diese letzte ist die umfassendste von allen; denn könnte es eine weiter gefasste Einladung geben als an alles an allen Orten? Sieh, wie der endliche Mensch unendlichen Lobpreis zu wecken vermag! Wie gering ist der Mensch, und doch kann er, indem er mit seinen Fingern die Tasten der großen Orgel des Weltalls berührt, das Universum zu Donnerrauschen der Anbetung wecken. Der erlöste Mensch ist die Stimme der stummen Natur, der Priester in dem Tempel der Schöpfung, der Vorsänger bei dem Gottesdienst des Weltalls. O dass schon alle Geschöpfe des HERRN auf Erden von der Eitelkeit frei wären, der sie unterworfen sind, und bereits gebracht zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes! Diese Zeit eilt aber herbei und wird ganz sicherlich kommen; dann werden alle Werke des HERRN ihn wahrhaftig loben. Die unveränderliche Verheißung reift heran, die gewisse Gnade ist auf dem Wege. Eilt, ihr schnellbeschwingten Stunden!
Lobe den HERRN, meine Seele. Der Psalmist schließt mit der Anfangsnote, dem Grundton des ganzen Psalms. Er kann sich nicht damit begnügen, andere zum Lob aufzurufen, ohne selber mitzuwirken; noch auch mag er, weil andre kräftiger und prächtiger singen können, still beiseite stehen. Nein, meine Seele, komm zu dir selbst und komm zu deinem Gott, und lass die kleine Welt in dir Takt und Ton halten mit den Schöpfungssphären, die des Ewigen Ehre rühmen. O unendlich preiswürdiger HERR, begnade uns mit dem höchsten Segen, dass wir immer und allezeit ganz davon in Anspruch genommen seien, dich zu preisen!


Erläuterungen und Kernworte


Zum ganzen Psalm. Ein Lobpsalm, aus welchem dem Leser nicht weniger als aus Ps. 23 der Friede einer versöhnten Seele entgegentönt. Solche Psalmen zeigen, dass der evangelische Geist des Neuen Testamentes auch schon in den Zeiten des Alten Bundes, wenn auch nur in einzelnen Weihestunden, über die Knechte Gottes kam. Prof. A. Tholuck 1843.

Wie oft haben die Christen in Schottland diesen Psalm bei dem Mahl des Herrn gesungen! Er ist dadurch in unserem Lande besonders wohl bekannt. - Ein Vorfall aus den Tagen des Reformators John Knox († 1572) ist der Erwähnung wert. Elisabeth Adamson, eine Frau, die dessen Predigten beiwohnte, weil "er den Born der göttlichen Gnade voller eröffnete als andere", ward beim Anhören dieses Psalms zu Christo und damit zum Frieden geführt, und zwar nach solch furchtbaren Seelenkämpfen, dass sie mit Beziehung auf peinigende körperliche Schmerzen sagte: "Tausend Jahre solcher Pein, und diese noch zehnfach verschärft, sind nicht gleich zu achten einer Viertelstunde meiner Seelenpein." Vor ihrem Heimgange begehrte sie noch einmal diesen Psalm zu hören, indem sie sagte. "Als ich ihn zum ersten Mal zu hören bekam, da schmeckte meine geängstete Seele zum ersten Mal die Gnade Gottes, die mir nun köstlicher ist, als wenn mir alle Königreiche der Welt zu besitzen gegeben wären." Andrew A. Bonar 1859.

Es ist bemerkenswert, dass in all den zweiundzwanzig Versen keine Bitte vorkommt. In dem ganzen Psalm wird auch nicht ein einziges Wort des Flehens an den Höchsten gerichtet. Gebet, und zwar inbrünstiges, herzinniges Gebet war ohne Zweifel vorher von dem Psalmisten emporgesandt worden und hatte Erhörung gefunden; unzählbare Segnungen waren von oben her über ihn ausgeschüttet worden. Darum bricht nun eine überströmende Dankbarkeit aus dem Herzen des glückseligen Empfängers hervor. Er rührt jede Saite seiner Harfe und seines Herzens zugleich, und seinen Lippen entquillt gleichsam unwillkürlich eine Melodie von süßesten Klängen, die lauter Lob enthalten. John Stevenson 1856.

Es ist bedenklich (d. i. des Nachdenkens wert), wie auf die im nächstvorhergehenden Psalm so beweglich ausgeschütteten Klagen des Elenden nun in diesem Psalm so ein herrliches Lobopfer des Begnadigten folgt, besonders wenn man noch etwas näher bemerkt, wie manches, das im vorigen Psalm als ein schmerzlicher Pfeil des Allmächtigen klagweise ist angezogen worden, nun als eine zum Heil angeschlagene Kur gerühmt wird. Dort heißt es zum Exempel: Meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand, meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras. Hingegen in diesem Psalm: Der dein Leben vom Verderben erlöset und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit; der deinen Mund fröhlich machet und du wieder jung wirst wie ein Adler usw. So war auch der Trost aus Gott im 102. Psalm daher genommen: Du aber, HERR, bleibest wie du bist, und hier im Psalm heißt es: Die Gnade aber des HERRN währet von Ewigkeit zu Ewigkeit usw. Dass man also wohl sagen mag: Sünde und Tod fühlen und darunter um Gnade und Versöhnung ringen, und nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten, ist die Sache des 102. Psalms; Sünde und Tod fühlen und darüber Versöhnung und den Geist, der da lebendig macht, empfangen haben und also seinen Gott loben und sich im Glauben und Geduld an alle Heiligen Gottes anschließen, ist die Sache des 103. Psalms. Karl H. Rieger † 1791.

Der Psalm ist eine schöne, von gerührtem Dankgefühl getragene Ausführung des (hier dem nationalen Teil der Betrachtung V. 8 vorangestellten) Textes: "Barmherzig und gnädig ist Jehovah, langmütig und von großer Gnade" aus 2. Mose 34,6, der die andre Seite seines im Grundgesetz 2. Mose 20,5.6 angezeigten Verhaltens gegen die Sünde (die erste ist sein Zorn dagegen) ausdrückt. Prof. Herm. Hupfeld 1862.


V. 1. Lobe den HERRN, meine Seele. Wie gut reimt sich das - denn welche Beschäftigung könnte wohl meiner Seele angemessener sein, als den HERRN zu loben, und wiederum, wer wäre wohl besser geeignet für solch Werk, als meine Seele? Mein Leib, das weiß Gott, ist zu grob und schwerfällig für solch ein erhabenes Werk. Nein, meine Seele, du musst es tun, bist du doch eben dazu geschaffen! Aber ach, auch du bist irdisch geworden, hast zum mindesten einen großen Teil deiner Fähigkeiten verloren. Ja, wenn den HERRN loben nichts mehr wäre als HERR, HERR sagen, gleich jenen, die da riefen: Des HERRN Tempel, des HERRN Tempel (Jer. 7,4), dann wäre meine Zunge allein dazu imstande, und ich würde sonst niemand damit zu bemühen brauchen. Aber den HERRN benedeien, das ist ein hohes Werk; darum, wenn du, meine Seele, daran gehst, so lass alle die Kräfte meines Herzens, Willens, Verstandes, Gedächtnisses, kurz alles, was in mir ist, dir dabei helfen. Richard Baker † 1645.

Was in mir ist. Dein Gewissen preise den HERRN durch unwandelbare Treue. Deine Urteilskraft preise ihn durch Entscheidungen, die mit seinem Worte übereinstimmen. Dein Denkvermögen preise ihn durch reines, heiliges Sinnen. Deine Neigungen mögen ihn preisen, indem du liebst, was er liebt. All dein Trachten preise ihn, indem du nur seine Ehre suchst. Dein Gedächtnis preise ihn, indem du nicht vergissest, was er dir Gutes getan. Mögen deine Gedanken ihn preisen, indem du seinen Vortrefflichkeiten nachdenkst. Deine Hoffnung preise ihn, indem du dich sehnest und ausschaust nach der Herrlichkeit, die noch soll geoffenbart werden. Jeder deiner Sinne preise ihn durch treue Untergebenheit, jedes deiner Worte durch seine Wahrhaftigkeit, jede deiner Taten durch ihre Redlichkeit und Unsträflichkeit. John Stevenson 1856.

Es ist ein großer Unterschied zwischen dem bloßen Hersagen eines Dankgebets oder Aussprechen dankender Worte und dem wirklichen Danken. Letzteres setzt voraus, dass alle Saiten unseres inneren Menschen zum Danken gestimmt sind, so dass das Dankgebet aus mächtigem innerem Trieb hervorgeht. Es äußert sich dann auch gerne so, wie das hier gebrauchte Wort des Grundtextes (die Knie beugen, preisen, segnen) besagt, nämlich in einer Ehrerbietung, die sich in der äußern Haltung abspiegelt, jedenfalls sich mit einer nachlässigen Haltung nicht verträgt, welche die heilige Majestät Gottes verletzt. Was es heißt, den heiligen Namen Gottes zu segnen, verstehen wir am besten, wenn wir gegen einen Menschen so dankbar gestimmt sind, dass wir sagen möchten: Ich segne den Namen dieses Menschen. Das setzt voraus, dass der betreffende Mensch uns große Wohltaten erwiesen. Ebenso setzt die Dankbarkeit gegen Gott Wohltaten Gottes voraus. Der allgemeine Undank gegen Gott beruht darauf, dass wir seine vielen Wohltaten nicht beachten oder derselben rasch wieder vergessen. Gottes "Vollführungen" (wörtl.) sind lauter Wohltaten. - G. T. 1881.

Segne den HERRN. (Wörtl.) In dem Sinne, wie wir von Gott, dem alleinigen Quell von Leben und Glückseligkeit, sagen, dass Er seine Geschöpfe segne, kann freilich kein Geschöpf ihn segnen. Denn erstens macht seine unendliche Vollkommenheit es ihm unmöglich, eine noch höhere Vortrefflichkeit oder Glückseligkeit zu empfangen, und sodann, wenn wir auch den Fall setzen wollten, dass dieser unermessliche Ozean des Guten noch vermehrt werden könnte, so ist es doch klar, dass wir, die wir unser Dasein selbst und alles, was wir sind und haben, von ihm empfangen, in keinem Fall dazu beitragen könnten. Gott segnen heißt denn: mit inbrünstiger Liebe in Demut jene göttlichen Vortrefflichkeiten anerkennen, die ihn zum besten und erhabensten Wesen, zum einzig Anbetungswürdigen machen, heißt, allen den glorreichen Eigenschaften huldigen, die sein Wesen zieren und sich so sichtbarlich in seinen Werken und Wegen offenbaren. Gott segnen heißt: jede ziemliche Gelegenheit ergreifen, um unsere Verehrung und Wertschätzung seiner Erhabenheit und Vollkommenheit zu bekennen und es allen um uns her, so laut wir können, zu bezeugen, wie gütig und gnädig sein Walten gegen die Menschenkinder ist, und wie unbegrenzt wir für alles, was wir genießen, ihm zu Dank verpflichtet sind, in dem wir leben, weben und sind. Vor allem soll aber auch der Einfluss, den diese Ehrfurcht vor Gott und dankbare Liebe zu ihm auf unser Leben haben, ein Preis Gottes sein. William Dunlop † 1720.

Fußnote
8. An die englische Übersetzung "ye ministers of his" knüpft Spurgeon noch folgende Bemerkung an: Uns ist es Gewohnheit geworden, dem Worte einen gegen den ursprünglichen sehr beschränkten Sinn beizulegen, so dass wir dabei nur an die denken, welche am Wort und an der Lehre dienen. Doch würde kein wahrer minister verbi divini diese Ehrenbezeichnung seines Amtes geändert zu sehen wünschen sind; sind wir doch vor allen andern Menschen verbunden, dem HERRN zu dienen, und ist doch unser innigstes Verlangen, dass wir den glorreichen HERRN noch mehr als alle andern dienenden Geister und Mächte verherrlichen könnten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 1. Meine Seele. Gott sieht vornehmlich auf die Seele. Er, der Beste, will auch mit dem Besten bedient sein. Bringen wir ihm in den gottesdienstlichen Übungen die Seele dar, so geben wir ihm die Blume, den Rahm, das Feinste, Edelste; durch eine heilige Art Scheidekunst ziehen wir das Geistige aus und weihen es ihm. Eine von heiliger Begeisterung durchglühte Seele ist der Würzwein, welchen die Braut Christo darbietet. (Hohelied 8,2.) Thomas Watson 1660.

Lobe seinen heiligen Namen. Die Heiligkeit ist die Herrlichkeit des Namens Gottes, d. i. seines geoffenbarten Wesens. Die Reinheit Gottes ist das, was alle seine Vollkommenheiten so schön und preiswürdig macht. Seine Ewigkeit, sein Wissen, seine Macht ohne seine Gerechtigkeit, Güte und Wahrhaftigkeit könnten uns wohl erschrecken und verwirren, aber nicht Liebe zu Gott in uns entzünden oder uns zu innigem Lobe anreizen. Nun aber unbegrenzte Macht, unfehlbare Weisheit und ewige Herrschaft mit unwandelbarer Liebe, unverbrüchlicher Wahrhaftigkeit und unermesslicher Güte gepaart sind und sein Name somit ein heiliger Name ist, nun sind die göttlichen Vollkommenheiten wahrhaft liebenswert und geeignete Gegenstände unserer Hoffnung, unseres Vertrauens und unserer inbrünstigsten Lobgesänge. Wie fein ist also gerade hier die Hinweisung des Psalmisten auf die Heiligkeit Gottes! Und überdies gibt es in der Tat nichts, was die Herrlichkeit der Gnade und erlösenden Liebe Gottes gegen eine Seele mehr in ihrer Erhabenheit zeigen könnte, als gerade die Betrachtung der göttlichen Heiligkeit. Denn wenn die Augen deines Schöpfers nicht reiner als Menschenaugen wären, wenn sein Hass der Sünde und seine Liebe zur Gerechtigkeit nicht größer wären als des vornehmsten Engels, so wäre sein Vergeben der Sünde und seine Geduld gegen die Übertreter nicht eine solch wunderbare Herablassung. Ist aber sein Name so unendlich heilig, dass selbst die Himmel nicht rein sind vor ihm (Hiob 15,15), und ist die geringste Missetat seiner Seele ein Gräuel, etwas, dass er hasst mit vollkommenem Hass, dann müssen wahrlich seine Gnade und Liebe unvergleichlich größer sein, als wir denken können. William Dunlop † 1720.

V. 1.2. Ein Brunnen ist selten so voll, dass beim ersten Pumpen Wasser fließt. So ist auch unser Herz, auch wenn wir im Verkehr mit der Welt vorsichtig sind, (noch viel mehr aber, wenn wir darin etwas zu viel tun), meist nicht so geistlich gestimmt, dass es sich frei in Gottes Herz ergießt, ohne dass es erst gleichsam gehoben werden müsste. Ja, oft stehen die Wasser der Gnade so tief, dass sie sich nicht so einfach heraufholen lassen, sondern, gerade wie bei tiefen Brunnen erst Wasser in die Pumpe gegossen werden muss, so erst Beweggründe in die Seele eingelassen werden müssen, ehe die Gemütsbewegungen steigen. Daher diese Selbstgespräche, welche wir Männer Gottes mit ihrem Herzen führen sehen, um dieses in eine zum Verkehr mit Gott geeignete Stimmung zu bringen. William Gurnall † 1679.

V. 1-5. Die Dankbarkeit des Psalmisten zeigt vier beachtenswerte Eigenschaften. Sie ist erstens persönlich: Lobe den HERRN, meine Seele. Die gleiche Selbstaufforderung kehrt hernach wieder, nachdem er V. 20-22 andere zu demselben Werke aufgerufen hat. Unsere Frömmigkeit muss auch auf den Nächsten Einfluss zu üben suchen, muss einen sozialen Zug haben; aber so wenig sie demnach daheim enden darf, muss sie doch ebenda, im eignen Herzen, anfangen, und einer Frömmigkeit, die nicht vor allem persönlich ist, sondern in den Beziehungen zu den Mitmenschen aufgeht, wird es stets an Feuer, Kraft, Einfluss, Ausdauer und gemeiniglich auch an Erfolg fehlen. Sodann ist die Dankbarkeit des Psalmisten inbrünstig: Und alles, was in mir ist, lobe seinen heiligen Namen - alle meine Gedanken, meine Gefühle, meine Vernunft, mein Wille, mein Gedächtnis, mein Gewissen, meine Neigungen, meine Triebe; die ganze Leidenschaftlichkeit meiner Seele gehe in dieser einen Passion auf. Drittens ist sie vernunftgemäß, begründet in den Tatsachen seines bisherigen Lebens. Darum: "vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat." Nichts kann uns gehörig erregen und beeinflussen, wenn es unserer Erinnerung entschwunden ist. "Aus den Augen, aus dem Sinn", und was uns aus dem Sinn ist, das spielt auch als Beweggrund zum Handeln keine Rolle mehr bei uns. Si oblivisceris, tacebis: wenn du vergissest, wirst du schweigen. Woher kam die Undankbarkeit bei dem Volke Israel in der alten Zeit? Sie hatten ein so schlechtes Gedächtnis. Deinen Fels, der dich gezeugt hat, hast du aus der Acht gelassen, und hast vergessen Gottes, der dich gemacht hat. (5. Mose 32,18) Ein Ochse kennet seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennet’s nicht, und mein Volk vernimmt’s nicht. (Jes. 1,3; siehe ferner 5. Mose 6,12; 8,11.14) Darum sollte es uns anliegen, der empfangenen Gnadenerweisungen nicht nur zu gedenken, sondern sie auch zu zählen. So sehen wir denn auch drittens, wie der Psalmist die Wohltaten eine nach der andern einzeln auszählt: Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen usw. Wir empfangen bei dem Beschauen einer Landschaft stärkere Eindrücke, wenn wir bestimmte Punkte ins Auge fassen, als wenn wir nur einen allgemeinen Überblick nehmen. David war ein Dichter von Gottes Gnaden und verstand das Wesen der Dichtkunst wohl. Die Poesie aber unterscheidet sich von der Philosophie wesentlich. Diese sucht von den besonderen Tatsachen und Beispielen sich zum Allgemeinen zu erheben, um die allgemeinen Grundsätze und Regeln festzustellen; jene hingegen strebt stets von der Allgemeinheit zur Besonderung, und viel von ihrer Schönheit und Kraft liegt gerade in diesem Betrachten der Einzelheiten. William Jay 1849.

V. 3. Der dir alle deine Sünde vergibt. Der Psalmist redet in Beziehung auf diese Lebensfrage eine sehr volle Sprache: Alle deine Sünden, nicht etliche oder viele. Das würde niemals genügen. Wenn auch nur die kleinste Sünde in Gedanken, Worten oder Werken unvergeben bliebe, so wären wir geradeso schlimm daran, geradeso fern von Gott, geradeso ungeschickt zum Himmel, geradeso der Hölle ausgesetzt, als wenn die ganze Last unserer Sünden noch auf uns läge. Auch sagt er nicht: Der dir alle vor der Bekehrung begangenen Sünden vergibt. Von einem solchen Begriff weiß die Schrift nichts. Wenn Gott vergibt, so vergibt er, wie es seiner Vollkommenheit entspricht. Quelle, Mittel, Macht und Maß der Vergebung sind göttlich. Wenn Gott die Sünden eines Menschen tilgt, so tut er es nach dem Maße, in welchem Christus jene Sünden getragen hat. Nun hat aber Christus nicht etliche oder viele von den Sünden des Gläubigen getragen, sondern alle; so vergibt Gott denn auch alle. Wie sich die von Christo dargebrachte Sühne auf jegliche Sünde des an Christum Glaubenden erstreckt, liege sie in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, so auch dem entsprechend die göttliche Vergebung. 1. Joh. 1,7. Things New and Old 1858.

Der ... vergibt und heilet. In einem der Gefängnisse eines gewissen Landes war ein Mann, der Hochverrat begangen hatte; dieses Verbrechens wegen war er zur Zeit vor Gericht gestellt und nach erwiesener Schuld zum Tode verurteilt worden. Aber noch mehr; der Mann litt auch an einem inneren Übel, das sich allgemein als tödlich erweist. Können wir da nicht in Wahrheit sagen, dieser Mensch sei zwiefach dem Tode verfallen, einmal nach den Gesetzen seines Landes, und sodann infolge der unheilbaren Krankheit, welche an ihm zehrt? Wenn nun der König jenes Landes auch willens gewesen wäre, diesem Gefangenen das Leben zu schenken, hätte er es können? Wohl vermochte er die Strafe des Gesetzes von ihm abzuwenden, ihm freie Vergebung zu schenken und somit ihm das Leben wiederzugeben, sofern es dem gerechten Spruch des Gesetzes verfallen war; aber wenn er ihm nicht einen Arzt senden konnte, der ihn von seiner Krankheit zu heilen vermochte, so musste der Mann ja doch an dieser sterben, und die Begnadigung konnte ihm nur für etliche Wochen oder Monate ein elendes Dasein verlängern. Und wenn die Krankheit des Mannes nicht nur eine tödliche war, sondern auch eine ansteckende Seuche, eine infektiöse Krankheit, die sich durch seinen Atem auszubreiten drohte, und eine kontagiöse, die sich durch Berühren des Körpers oder der Kleider des Kranken übertragen musste, so dass es für andere gefährlich war, in die Nähe des Betreffenden zu kommen, so war der Mensch, wiewohl ihm volle Verzeihung zuteil geworden war, doch nur für das Seuchenhaus ein geeigneter Bewohner und konnte demnach keine Freiheit erlangen, nimmer zu den Wohnungen der Gesunden Zutritt erlangen - es sei denn, dass er geheilt, gänzlich und völlig geheilt worden wäre. Brüder, ihr habt solchen Fall schon erlebt; ihr sitzt vielleicht in diesem Augenblick ganz nahe bei jemand, der in solchem Falle ist, und vielleicht befindet ihr euch selbst in genau der gleichen Lage! Vielleicht, sage ich? Vielmehr muss ich sagen: du bist in diesem Fall, es sei denn, dass du wirklich und wahrhaftig ein Christ, ein an Christum Jesum gläubig Gewordener bist. W. Weldon Champneys 1842.

Alle deine Gebrechen. Unser Körper erfährt die traurigen Folgen von Adams Übertretung; aber die Seele ist ebenso vielen Gebrechen unterworfen. Was ist Stolz anders als eine Art Wahnsinn? Was Zorn als eine Art Seelenfieber, was Habsucht als eine Art Wassersucht, was Fleischeslust als ein Aussatz, was Faulheit als eine Lähmung? Vielleicht gibt es für alle körperlichen Krankheiten ähnliche geistliche. Bischof George Horne † 1792.

Siehe, meine Seele, wie alle deine Sinne krank sind. Dein Auge sieht wohl den Splitter in deines Bruders Auge, aber des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr. Und was deinen Geruch betrifft, dünkt dich der Gewinn nicht gut zu riechen, woher er auch komme? Dein Ohr erfreut sich mehr an weltlichem und unnützem Gerede als an Gesprächen über ernste, heilige Dinge. Und wenn ich dich, meine Seele, in so viel Teile zergliederte, wie der Anatom den menschlichen Körper, und die Krankheiten und die Gebrechen eines jeden Teiles untersuchte, würde ich nicht gerechte Ursache haben auszurufen: O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Sündenleibe? Wer wird mich heilen von allen diesen Gebrechen? Aus beide Fragen kommt hier die Antwort, so dass wir zwiefache Ursache haben, den HERRN zu preisen. Richard Baker † 1645.

Unser Verstand ist so schlecht, dass er seine eigene Schlechtigkeit nicht versteht. Unser Wille, der der König unserer Seele sein sollte, ist Knecht der Sünde geworden. Unser Gedächtnis ist einer Müllgrube gleich geworden, gut nur für Stroh oder um wertlose Nichtigkeiten aufzuspeichern. Unser Gewissen ist so unzuverlässig, dass es uns, infolge von Irrtümern in unserem sittlichen Denken, das eine Mal verklagt, wenn wir schuldlos sind, dann wieder uns freispricht, wenn wir schuldig sind. Unsere Neigungen und Triebe sind sämtlich missleitet und außer Ordnung. Wir lieben, was wir hassen sollten, und hassen, was wir lieben sollten; wir fürchten, was nicht zu fürchten ist, und fürchten uns nicht vor solchem, was wir mit ganzer Furcht fürchten müssten. Alle unsere Neigungen wenden sich entweder falschen Gegenständen zu oder werden, auch wo sie sich an und für sich erlaubten Dingen zukehren, zu Leidenschaften. Sind wir nicht voller Gebrechen? Thomas Fuller † 1661
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte


V. 4. Der dein Leben vom Verderben erlöst. Von seiner Jugend an hatte über dem Psalmisten die Vorsehung schützend gewaltet. Wie oft war er nur bei einem Haar entkommen, wie viele wunderbare Errettungen hatte er erlebt! Das eine Mal drohte der Rachen des Löwen, dann wieder die Tatze des Bären, es mit ihm ein Ende zu machen; vor allem aber war es die grausame Feindschaft der Menschen, die ihn wieder und wieder in die äußerste Gefahr brachte. Derselbe Gott, der ihn von dem Schwerte Goliaths errettete, schützte sein Leben auch vor dem Wurfspieß des umnachteten Saul. Der allmächtige Freund, der sein Haupt in so mancher Schlacht geschützt hatte, errettete ihn das eine Mal von den Fürsten der Philister, das andere Mal aus der Hand der verräterischen Bürger von Kegila, und bewahrte ihm dann wieder Leben und Thron bei der aller Natur Hohn sprechenden Empörung seines eigenen Sohnes. Wohl mochte demnach der Psalmist seine Seele und alles, was in ihm, anfeuern, mit inbrünstigster Dankbarkeit den HERRN zu segnen, der durch so viele merkwürdige Errettungen sein Leben vom Verderben erlöst hatte. John Stevenson 1856.

Von der Grube. (Wörtl.) Dies Wort schließt Tod, Grab und Hades in sich. Das Targum gibt es mit "von der Gehenna" (der Hölle der Verdammten) wieder. J. J. St. Perowne 1864.

V. 5. Mit Gutem sättigt. (Wörtl.) Gott vermag die Seele also zu sättigen, dass sozusagen jede Ritze und Spalte derselben mit geistlicher Freude erfüllt ist. Thomas Fuller † 1661.

Merke, womit der HERR dich sättigen will. Nicht mit glitzerndem Schein, nicht mit vielen Dingen, nicht mit allem, warum du bittest, sondern mit Gutem. Alle deine Notdurft soll völlig gestillt werden, und alles soll sich als gute Gabe erweisen. Gut und Gott gehören zusammen: alle seine Segnungen sind seiner Natur teilhaftig, sind heilige Segnungen, heilige Gnadengaben. Alles, was wahrhaft sättigt, muss Gottes Art in sich haben; nichts anderes wird jemals das Bedürfnis der Seele stillen. Unser Herz ist zu Gott geschaffen, darum kann nur Gott ihm genügen. Frederick Whitfield 1874.

Und du wieder jung wirst wie ein Adler. Es ist eine alte Sage, dass der Adler seine Jugend erneuern könne, wenn er sehr alt ist, und darauf wird hier dichterisch hingewiesen. Aber diese alte Meinung ist ohne Zweifel in Wahrheit auf die außerordentliche Lebensdauer dieses edlen Tieres gegründet, sowie auf das Vermögen, welches er mit andern Vögeln gemein hat, sein Gefieder in gewisser Zeitfolge zu erneuern und durch diese Mauserung seine Stärke und Tatkraft zu erhöhen.9 Hugh Macmillan 1871.

Wie der Adler: so dass du dem Adler gleich wirst an Kraft. Denn davon, dass der Adler sich im Alter wieder verjünge, weiß die Schrift nichts. Dass in Jes. 40,31, worauf man sich gewöhnlich beruft, nichts derart enthalten ist, dort vielmehr nur der kräftige Flug des Adlers in Betracht kommt (sie steigen auf mit Flügeln wie der Adler, laufen und werden nicht matt, gehen und werden nicht müde), zeigt schon der Parallelismus von fliegen, laufen, gehen. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

Und du wieder jung wirst. So kühn es klingen mag, sagen wir doch nicht zu viel, wenn wir von ewiger Jugend sprechen als dem herrlichen Vorrecht, das ein frommer Knecht des HERRN, aber auch nur er, genießt. Alles, was uns mit Recht an der Jugend so einnimmt und fesselt, das sehen wir in höherer Weise da, wo das geistliche Leben sich ungestört in der Gemeinschaft mit Gott entwickelt. Zieht dich die Unschuld der Jugend an? Im natürlichen Leben ist sie nur zu oft täuschender Schein; im Leben des Wiedergeborenen aber kehrt sie in gewissem Maße wieder, wenn das Herz durch die Macht des Heiligen Geistes gereinigt und das Leben in Gleichförmigkeit mit dem Leben Christi erneuert wird. Dünkt uns die Ergötzung der Jugend alle andre Freude hienieden zu übertreffen? Es mag so sein; aber wie schnell wird diese Freude von den Sorgen der späteren Jahre verdrängt, während eine der Sorgen ledige Freude selbst in trüben Zeiten in dem Herzen wohnen kann, über welches der Friede Gottes durch den Glauben gekommen ist. Hältst du die Kraft der Jugend für etwas Beneidenswertes? Ach, ein Tag nach dem andern bestätigt die Wahrheit der Worte, dass Knaben müde und matt werden und Jünglinge fallen; dagegen fühlt der Christ sich oft, wenn seine natürliche Kraft längst den Gipfel überschritten hat, durch eine Kraft aus der Höhe über alle körperliche und seelische Schwäche hinausgehoben, und was keine Kraft der Muskeln und Nerven zustande gebracht hätte, das wird erreicht durch die Macht unbedingten Glaubens. Sogar die so schöne Entwicklung, welche die Jugendzeit uns zeigt, suchen wir nicht vergeblich bei einem Manne, der, sich der göttlichen Führung ganz vertrauend, vergisst, was dahinten ist, und sich ausstreckt nach dem, das da vorne ist, von Licht zu Licht, von Kraft zu Kraft, von Seligkeit zu Seligkeit, von Freude zu Freude geht. Und wie könnte, endlich, die Hoffnung, welche das jugendliche Herz so freudig schlagen macht, dem gereiften Christen fehlen? Den schönsten Teil seines Lebens sieht der sinnliche Mensch bald hinter sich, der geistliche Mensch stets vor sich; und gleich dem Adler kann der Letztere immer wieder aus dem niederen Dunstkreis, der ihn umgibt, sich in die reine, klare Himmelsluft aufschwingen, wo sich ihm bereits von ferne im Bilde, vielmehr in unaussprechlicher Wirklichkeit eine alle irdische Freude überstrahlende Wonne zeigt!

Ewige Jugend: sie kann noch viel mehr, als David sie genoss, jetzt jedes Christen Teil sein - aber auch nur des wahren Christen. Wo nicht Glaube und Hoffnung im Herzen wohnen, da muss auch der festeste Entschluss, allezeit oder doch so lange wie möglich jung zu bleiben, vor dem ersten großen Sturm des Lebens weichen. Doch woher mag es kommen, dass unser geistliches Leben, auch wenn uns Glaube und Hoffnung keine Fremdlinge sind, häufig so wenig dem des Adlers gleicht und wir dagegen unser Bild so oft viel eher in der "Rohrdommel in der Wüste" oder dem "einsamen Vogel an dem Dach" finden, auf welche Ps. 102,7 f. hinweist? Kommt es vielleicht daher, dass wir uns zu wenig mit den guten Dingen sättigen lassen, von welchen David eben zuvor gesprochen, das will sagen, dass wir uns so wenig nähren an den besten Gaben, die Gott uns zu schenken hat, an seinem Wort, seinem Geiste, seiner Gnade? Nur durch diese erlangen wir jene dauernde Neugeburt, von welcher der Adler das Sinnbild und eine unvergängliche Jugendfrische die unschätzbar köstliche Frucht ist. Die ihr jung an Jahren seid, suchet doch diese unsterbliche Jugend mehr denn alle Freuden des Lebensmorgens! Sucht sie wieder zu erlangen, die ihr im mittleren Alter stehet, indem ihr mit dem in Lebensgemeinschaft tretet, der auch in euch alles neu macht! Hütet sie wohl, ihr bejahrten Freunde Gottes und seines Christus, als eure schönste Krone hier auf Erden und das Angeld eurer ewigen Wonne im Himmel. Und du, lieber Christ, der du gedrückt dasitzest, bedenke: der Adler lässt seine Flügel nur hängen, um danach mit desto kräftigerem Fluge aufzufahren. Prof. J. J. van Osterzee 1874.

V. 6. Indem der Psalmist nun von seinen persönlich erfahrenen Segnungen zu allgemeiner Betrachtung der Gnade Gottes übergeht, hebt er vor allem eine viel umfassende Wahrheit hervor, die Gottes Herrlichkeit so hell erstrahlen lässt: Gottes Mitgefühl mit den Leidenden und Unterdrückten und sein rasches und wirksames Eintreten zu ihrem Besten. Wer sollte ihn nicht dafür preisen, dass er sich so leutselig und so göttlich groß und herrlich um die kümmert, die von gottlosen Unterdrückern bitteres Unrecht leiden? Henry Cowles 1872.

V. 7. Wie das Kundtun der Wege gemeint ist, erhellt aus V. 8. Der Dichter denkt an Moses Bitte "Lass mich deinen Weg wissen" 2. Mose 33,13, welche Jahve dadurch erfüllte, dass er vor dem in der Felsspalte Stehenden vorüberzog und sich unter Ausrufung seiner Eigenschaften dem Nachblickenden zu schauen gab. Die Wege Jahves sind also hier nicht die vom Menschen vorschriftsmäßig zu wandelnden (Ps. 25,4), sondern die von Ihm selbst auf seinem heilsgeschichtlichen Gange (67,3) eingehaltenen. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Den Kindern Israel machte er seine Taten kund - er erzeigte seine Gerichte an Pharao und seine Heilsgerechtigkeit in den Wohltaten, die Israel erfuhr; aber er machte ihnen nicht, wie dem Mose, seine Wege kund, die Beweggründe und Ordnungen seines Waltens. Sie sahen nur die Ereignisse, nicht die Gründe derselben wie Mose. Richard Baker † 1645.


V. 8. Wahrlich, keine der vier hier genannten Eigenschaften Gottes könnten wir missen. Wäre unser Gott nicht barmherzig, so könnten wir nicht auf Vergebung hoffen; und wenn er nicht noch mehr als barmherzig wäre, so könnten wir auch auf nichts mehr als Vergebung hoffen. Dass er aber auch gnädig ist, das gibt uns die Aussicht darauf, Geschenke, Gaben von ihm zu empfangen, und zwar nicht nach dem Maße unserer Würdigkeit, sondern nach dem Maß seiner göttlichen Würde. Wiederum, wenn er nicht langsam zum Zorn (wörtl.) wäre, so könnten wir keine Geduld und Nachsicht erwarten. Ist er aber überdies von großer Güte, reich an erbarmender Liebe, so dürfen wir gewiss sein, dass er sich an uns als der rechte barmherzige Samariter erweisen, dass er nicht nur unsere Wunden verbinden, sondern auch fernerhin unsere Pflege übernehmen wird. Richard Baker † 1645.

Reich oder groß an Gnade. (Wörtl.) Das ist wahrer Reichtum. Hier können wir lernen, was echte Größe ist. Bischof George Horne † 1792.

Aus dem Vollen ist gut schöpfen. Was wir unheilige, gottlose Kreaturen brauchen, vergebende und erneuernde Gnade, das ist in Gott vorhanden wie Wasser im Ozean. Siehe z. B. Ps. 86,5; 130,7; Jes. 55,7. John Goodwin † 1665.

V. 9. Er wird nicht immer hadern usw. Sicherlich ist es Gott ebenso unerfreulich, wenn er uns schelten und strafen muss, wie es uns ist, gescholten und gestraft zu werden; und er findet so wenig Gefallen am Zürnen, dass er sich so schnell wie möglich dessen entledigt. Er kommt nicht so langsam dazu wie ein weichlicher, gegen das Böse unempfindlicher Mensch; aber so bald wie nur möglich steht er davon ab, denn der Zorn ist ein Riegel der Gnade und das Hadern ein Hindernis für die Erweisungen seines Erbarmens, und nichts geht so gegen Gottes innerstes Wesen, als wenn seine Gnade gehemmt ist und sein Erbarmen sich zurückhalten muss. So können wir denn gewiss sein, dass er selbst nie der Gnade etwas in den Weg legen oder freiwillig sein Erbarmen verschließen wird. Richard Baker † 1645.

V. 10. Könnten wir nicht, bei solchem Verhalten unsererseits, erwarten, dass Gott uns die Segnungen seiner Vorsehung entzogen und die Mitteilung seines Geistes vorenthalten haben würde? Wäre es ungerecht, wenn er uns die Gnadenmittel hätte nutzlos finden lassen, es zugegeben hätte, dass sich unsere Versuchungen vervielfachten, und uns in den Zustand unwiederbringlichen Abfalls hätte versinken lassen und dann, wenn unser Herz schließlich der so natürlichen Verzweiflung verfallen wäre, uns nur zugerufen hätte: Es ist deiner Bosheit Schuld, dass du so gestäupt wirst, und deines Ungehorsams, dass du so gestraft wirst; also musst du innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den HERRN, deinen Gott, verlassen und ihn nicht fürchten, spricht der Herr, HERR Zebaoth? (Jer. 2,19.) B. W. Noel † 1873.

Warum handelt Gott nicht mit uns nach unseren Sünden? Ist’s nicht deshalb, weil er mit einem andern gehandelt hat nach unseren Sünden, mit einem andern, den er schlug, und warum anders denn um unserer Sünden willen? O Wunder der Gnade, dass Gott, nachdem er ihm vergolten hat nach unseren Sünden, nun uns vergilt nach seinen Verdiensten! Richard Baker † 1645.


Fußnote
9. Wir hätten viele Seiten mit Fabeln der Rabbinen und Kirchenväter über den Adler füllen können; aber sie sind zu abgeschmackt zum Wiederholen. Wir hoffen daher, der geneigte Leser werde das Übergehen derselben entschuldigen, wenn nicht vielmehr billigen. C. H. Spurgeon.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 11. Unser Sinnen kann keine Vergleichung ausdenken, die zu groß wäre, die überschwengliche Gnade des HERRN gegen die Seinen auszudrücken. David Dickson † 1662.

V. 12. So ferne der Morgen ist vom Abend. Wie Rabbi Kimchi († um 1235) bemerkt, ist dieser Ausdruck gewählt, weil diese beiden Weltgegenden, Ost und West, voneinander am fernsten abstehen und bekannt und bewohnt sind. Daher kommt es ja auch, dass die Geographen in dieser Richtung die Längengrade messen, wie in der Richtung von Nord nach Süd die Breitengrade. Henry Hammond † 1660.

V. 13. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt. Ein Pastor, der in einem amerikanischen Hafen unter den Seeleuten wirkte, besuchte einen Matrosen, der dem Tode nahe schien. Er sprach mit dem Mann herzlich über seinen Seelenzustand und bat ihn, doch Jesum als seinen Heiland zu ergreifen. Mit einem Fluch forderte der Kranke ihn auf, sich wegzumachen. Der Prediger sagte ihm, es sei seine Pflicht, ihn treulich zu warnen, denn wenn er unbußfertig sterbe, so werde er ewig verloren gehen. Der Seemann war finster und schweigsam und tat, als schliefe er ein. Der Diener am Wort wiederholte seinen Besuch mehr als einmal, aber mit gleich schlechtem Erfolg. Einmal jedoch verfiel er, da er vermutete, dass der Seemann ein Schotte sei, auf den Gedanken, den uns vorliegenden 12. Vers dieses Psalms in der alten metrischen Übersetzung, wie sie in den Kirchen Schottlands gesungen wurde, herzusagen; und siehe, Zähren traten dem wettergebräunten Manne in die Augen beim Hören dieser Worte. Der Prediger fragte ihn, ob er nicht eine fromme Mutter gehabt habe. Da stürzten ihm die Tränen hervor. Ach ja, seine Mutter habe ihn in längst vergangenen Tagen diese Worte gelehrt und für ihn zu Gott gefleht. Seither sei er in aller Welt umhergeworfen worden; aber diese Erinnerung an den Glauben und die Liebe seiner Mutter habe sein Herz getroffen. Nun konnte der Knecht des Herrn eingehend mit ihm reden, und die Ansprache an sein Herz und Gewissen ward durch den Geist Gottes gesegnet. Das Leben wurde ihm wiedergeschenkt, und sein Wandel bestätigte die Echtheit seiner Bekehrung. C. H. Spurgeon 1874.

Wie ein Vater. Der Prophet sagt nicht: Wie der Mensch sich des Menschen, oder, wie sich der Reiche des Armen, der Starke des Schwachen, der Freie des Gefangenen erbarmet, sondern er führt das Erbarmen an, das ein Vater gegen seinen Sohn fühlt, welches das allerstärkste Mitleid ist. Auch das für Erbarmen gebrauchte Wort ist damit im Einklang. Ein Beispiel solches Erbarmens haben wir in 1. Könige 3 an der Frau, deren mütterliches Herz also über ihren Sohn entbrannte, dass sie ihn lieber dem andern Weibe lassen wollte, als dass er getötet werde; sodann an dem Vater des verlorenen Sohnes Lk. 15. Wolfgang Musculus † 1563.

Ein Vater erbarmt sich über sein Kind, das an Wissen schwach ist, und unterweist es; er ist betrübt, wenn es unartig ist, und hat Geduld mit ihm; er hat Mitleid mit ihm, wenn es krank ist und tröstet es; ist es gefallen, so hilft er ihm wieder auf; hat es sich vergangen und beugt es sich, so vergibt er ihm; ist ihm Unrecht geschehen, so tritt er für es ein. Also erbarmt sich der HERR über die, so ihn fürchten. Matthew Henry † 1714.

So, und noch zehntausendmal mehr. Denn er ist der Gott aller Gnade, der Vater der Barmherzigkeit, der Vater aller Väter, wie etliche die Stelle Eph. 3,15 deuten. John Trapp † 1669.

Das Sprichwort sagt wohl, es sei besser, Neider als Mitleider zu haben; aber in diesem Fall ist’s jedenfalls nicht so, sondern es ist wahrlich ein köstlicher Ding, von Gott bemitleidet als von Menschen beneidet zu werden. R. Baker † 1645.

Die Furcht Gottes ist die Ehrerbietung vor Gott, welche dich dazu führt, deinen Willen dem seinen unterzuordnen, dich ernstlich beflissen macht, ihm zu gefallen, dich mit Reue erfüllt im Blick auf frühere Widerspenstigkeit, mit Wonne, dass sein Angesicht dir jetzt freundlich leuchtet, mit seliger Entzückung über den Reichtum seiner Liebe, die du erfährst, und mit froher Hoffnung auf die Gemeinschaft seiner Herrlichkeit. George Bowen 1873.

V. 13.14. Ein Vater, der den Namen verdient, setzt sein Kind nicht aus, weil es schwächlich und siech ist, sondern ist umso zärtlicher und nachsichtiger gegen das Kind, weil seine Gebrechlichkeit der Hilfe bedarf. Als der Sohn der Sunamitin über sein Haupt klagte, nahm sie ihn auf ihren Schoß. Wenn das kranke Kindlein seine Augen auf die Mutter richtet, unfähig ihr zu sagen, was ihm fehlt, wo es Schmerz fühlt und was es wünscht, so verdoppelt das ihr Mitleid. So bestimmt es den HERRN zu erbarmungsreicher Milde gegen uns, dass er die Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit unserer Natur kennt; er gedenket daran, dass unsere Seele mit einem lahmen Werkzeug arbeiten muss, und verlangt vom Staubgeborenen nicht, was er von den mit einem geistlichen Leibe begabten Engeln erwartet. Einem Knaben wird befohlen, eine Nachschrift zu fertigen; er tut sein Bestes, dennoch sticht sie von dem Vorbild sehr ab. Aber der Vater tadelt ihn nicht, sondern ermutigt ihn. Oder er gibt ihm Armbrust und Pfeile in die Hand und fordert ihn auf, nach dem Ziele zu schießen. Der Knabe strengt alle seine Kraft an und drückt fröhlich ab; aber ach, der Pfeil erreicht bei weitem nicht das Mal. Dennoch empfängt der Sohn Lob, der Vater ist wohl zufrieden. Versuchung bedrängt uns, böse Lust setzt uns zu, irdische Geschäfte zerstreuen uns, vielfältig ist unsre Schwachheit; aber all unsre Mangelhaftigkeit und unser vieles Fehlen übertrifft nicht unseres Vaters Willigkeit, uns zu vergeben und zurechtzuhelfen. "Ich will ihrer schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient." (Mal. 3,17.) Thomas Adams 1614.

V. 14. Er kennet, was für ein Gemächte wir sind usw.: er kennt unsre Natur, weiß die Art, wie, und aus welchem Stoffe wir gebildet sind. Adam Clarke † 1832.

Unser Gott macht’s nicht wie ein Quacksalber, der von der Natur des Menschen nichts versteht und darum nur ein Rezept für alle hat, ob sie stark oder schwach, jung oder alt sind, sondern er behandelt den Menschen wie ein weiser Arzt, der sich seinen Patienten erst gründlich besieht und danach die Arznei verschreibt. Menschen und Teufel sind nur Gottes Apotheker; unsere Gesundheit liegt nicht in ihrer Hand, sondern sie geben uns nur, was der himmlische Arzt uns verschreibt. Bileam hätte Balaks Lohn gern genug gehabt; doch konnte er nicht ein Haar breit über Gottes Auftrag hinangehen. William Gurnall † 1679.

Er gedenkt daran, dass wir Staub sind. Der Stoff, aus welchem der Mensch gebildet ward, war zwar nicht böse, machte ihn aber doch schwächer im Widerstand gegen die Sünde, als die höheren Wesen es sind. Wenn das so war, als der Mensch noch keine Sünde in sich hatte, wie viel mehr jetzt, da die meisten Menschen nichts als Sünde und selbst die besten deren so viel in sich haben! Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, sagt Christus. Die verderbte Natur kann nur verderbte Handlungen erzeugen. Joseph Caryl † 1673.

Nie kann ich eine jener spiralförmigen Staubsäulen sehen, die, wie eine Nachahmung des Wüsten-Samum im Kleinen, an einem windigen Tage durch die Straßen fliegen, ohne dass mir dabei der Gedanke kommt: Sieh da, ein Bild vom Menschenleben! Von einem Hauch bewegter Staub! Beachte, wie die scheinbare "Säule" nur ein Zustand, ein tätiger Zustand der Staubteilchen ist und wie diese Teilchen in ständigem Wechsel sind. Die ganze Erscheinung hängt lediglich von der unaufhörlichen Bewegung ab. Der schwere Sand schwebt auf der unmessbar feinen Luft, solange er an ihrer Bewegung teilhat; sobald diese aufhört, fällt er zu Boden. So bekommen die schwerfälligen Erdklöße des Feldes (1. Mose 2,7), von Kraft aufgehoben, Flügel und schwirren durchs Leben, nehmen eine Weile teil an des Lebens raschem Lauf, fallen aber, sobald diese Kraft erschöpft ist, zurück in ihren früheren Zustand. Eine Staubwolke, eine kreisende Drehung, von außer ihr liegenden Kräften getragen, und verschwindend, so wie diese Kräfte sich ihr entziehen: das ist unser Leben. James Hinton 1871.

O heilige Gottesgüte, die unsre Seele erquickt, aber uns auch tief beschämt! Werde von dieser Huld und Güte gerührt, wollen wir unserem eigenen Herzen sagen; du zürnest mit deinen Brüdern, weil du nicht daran gedenkst, dass sie Staub sind, wie du selbst bist - und Er, der Alleinhohe, Erhabene, den die Himmel nicht fassen und vor dem die Himmel nicht rein sind, er gedenkt daran und hat Geduld und erbarmt sich! Wie anders, wie strenge und scharf könnte er mit dir handeln, wenn er, der Sündlichkeit und Sterblichkeit deiner Menschennatur vergessend, mit dir handeln wollte, als ob du einer Engelnatur teilhaftig wärest. - Soll aber dies Wissen, was für ein Gemächt wir sind, dies Bedenken, dass wir ein wunderbares Gewebe von Bedürfnis und Mangel, von Schwachheit und Eingeschränktheit sind, uns zur Milde des Urteils über andere stimmen und zur Geduld und Nachsicht bei den Unterlassungen, Übereilungen, Verkehrtheiten und Fehlern anderer bewegen, so müssen wir es in Betreff unserer selbst tief gefühlt und tief erkannt haben. Andere ansehen und behandeln mit einem Gefühle, das nicht ohne Mitleid ist, als schwache Staubgebilde, denen Fehlen und Sündigen natürlich ist, und von sich selbst ein Gefühl nähren, als wäre man aus edlerem Stoffe gebildet und über die allgemeine Schwachheit der Menschen erhaben, das ist so wenig möglich, als man wahre Demut haben und doch in sich selbst stolz sein, oder Liebe üben kann, indes man von Selbstsucht und Eigennutz beseelt ist. Darum hält uns der Psalmist auch noch länger dabei fest und sagt: Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras usw. Gottfried Menken 1823.

V. 15. Ein Mensch. Die Unbedeutenheit des Menschen wird noch besonders durch das hier gebrauchte Wort (enosch) angezeigt, das ihn als Sterblichen, als Schwachen, Hinfälligen bezeichnet. R. B. Girdlestone 1871.

Der Mensch, so sagt auch Hiob (14,2), geht auf wie eine Blume und fällt ab. Er wird in die Welt gesetzt als das schönste und edelste von Gottes Werken, geschaffen nach dem Bilde seines Schöpfers in Anbetracht der Vernunft und der hervorragenden Fähigkeiten seines Geistes. Er geht auf herrlich wie die Blume des Feldes; wie sie die übrige Pflanzenwelt an Schönheit übertrifft, so er die animalische Welt in der Herrlichkeit und Vortrefflichkeit seiner Natur. Die Sommerblume erreicht, wenn nicht ein Unfall ihr Leben vorzeitig beendet, sehr bald die Zeit ihrer Vollendung - sie darf für etliche Augenblicke prangen und wird mit den Wurzeln ausgerissen mitten in dem stolzesten und glänzendsten Abschnitt ihres Daseins, oder wenn sie so glücklich ist, der Gewalt zu entgehen, so welkt sie doch unfehlbar in wenigen Tagen dahin und stirbt. Gleicherweise der Mensch; wiewohl seine Entwicklung langsamer und seine Lebensdauer länger ist, so sind doch die Perioden seines Wachstums und seines Verfalls nahezu die gleichen. Wenn er den Gefahren entgeht, welche seine zarteren Jahre bedrohen, ist er bald zu der vollen Reife und Kraft des Lebens entwickelt; und wenn er das Glück hat, dann nicht durch einen Unfall oder durch seine eigene Torheit oder Unmäßigkeit aus dem Leben gejagt zu werden, so verfällt er naturgemäß von selbst, schnell kommt für ihn das Zeitmaß, über welches hinaus zu leben er nicht geschaffen ward. Es geht mit ihm wie mit den Blumen oder Früchten, die wohl vor der Zeit der Reife gepflückt werden können, die man aber nicht über die Periode hinaus wachsen machen kann, in welcher sie von selbst zu welken und abzusterben bestimmt sind. Wenn diese Zeit gekommen ist, kann keine Kunst des Gärtners die Blume, keine Geschicklichkeit des Arztes den Menschen erhalten. Lawrence Sterne † 1768.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 16. Wenn der Wind darüber geht usw. Es wäre nicht so verwunderlich, wenn gesagt wäre, dass ein Unwetter, ein Orkan, ein Wirbelsturm ihn hinwegführe. Aber der Dichter will mehr als das sagen, nämlich dass schon ein leiser Wind, ein Lufthauch genüge. Henry Cowles 1872.

Es ist bekannt, dass ein heißer Wind im Morgenlande alsbald alles Grün zerstört. Darüber braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn, wie Russel († 1805) sagt, der Wind manchmal einen Grad und eine Art der Hitze mit sich bringt, die wie aus einem Ofen zu kommen scheint und selbst Metall in den Häusern, wie die Türschlösser, fast so stark angreift, als ob es der Sonnenglut unmittelbar ausgesetzt worden wäre. Benedikt Maillet († 1738) schildert, wie hunderte von Gliedern einer Karawane an Ort und Stelle ersticken an dem Feuer und dem Staub, aus welchen der tödliche Wind, der zu Zeiten in der Wüste herrscht, zusammengesetzt zu sein scheint. Und ein anderer, John Chardin († 1713), berichtet, dieser Wind mache einen starken, zischenden Lärm und erscheine rot und feurig und töte durch Ersticken, besonders wenn er über Tag wehe. Richard Mant † 1849.

Und seine Stätte kennt ihn nicht mehr. (Siehe d. 7. Anm. S. 260.) Ist der Mensch erst zu Staub geworden, so werden seine Überreste von jedem Winde umhergeblasen von Ort zu Ort; und was weiß die Stätte, wenn Staub darauf fällt, ob es der Staub eines Fürsten oder eines Bauern, überhaupt eines Menschen oder eines Tieres ist? Und ist der Mensch nicht in der Tat sehr jämmerlich daran, wenn Zeit und Raum, diese besten Gehilfen des Lebens, beide ihn im Stich lassen? Denn was für Hilfe kann er von der Zeit haben, wenn seine Tage nur wie Gras sind, und was für Hilfe vom Raum, wenn seine Stätte ihn verleugnet, ihn nicht mehr kennen will? Richard Baker † 1645.

Wie zum Erstaunen klein ist die Zahl der Sterblichen, die einst auf Erden lebten, von denen jetzt noch ein geringes, mattes Andenken unter den lebenden Sterblichen vorhanden ist, wenn sie verglichen wird mit der unermesslichen, undenklichen Menge aller derer, die von Anbeginn hienieden gelebt haben, und von denen kein einziger weiß, dass sie gelebt haben, von denen kein Name, kein Wort, kein Zeichen, kein Stein, kein Sandhügel - nicht die mindeste Spur des Dagewesenseins übrig ist, so wenig wie von Millionen Grashalmen und Blumen, die in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der Vergangenheit in diesem oder jenem Weltteile geblüht haben, und von denen man nicht sagen kann: "Hier standen diese Grashalme, hier blühten diese Blumen!" Gottfried Menken 1823.

V. 17. Die Gnade aber des HERRN währet von Ewigkeit zu Ewigkeit usw. Kein menschliches Wohlwollen bleibt beständig gleich; die Erfahrung lehrt uns sogar, dass solche, die heute gütig sind, sich morgen in Wüteriche verwandelt haben mögen, wie wir Beispiele davon an dem Leben Neros und mancher anderen Herrscher haben. Damit wir denn nicht etwa argwöhnen, die Güte Gottes sei ähnlicher Art, wird uns zu unfassbar großem Troste gesagt, dass sie nimmer aufhören wird, sondern auf ewig bereitet ist für alle, die Gott fürchten und ihm dienen. Wolfgang Musculus † 1563.

Von Ewigkeit in der Erwählung, zu Ewigkeit in der Verherrlichung; das eine ohne Anfang, das andre ohne Ende. Bernhard v. Clairvaux † 1153.

Wenn aber die Gnade Gottes ewig währet, so müssen auch, da das Tote und das, was nicht da ist, kein Gegenstand derselben sein kann, diejenigen, die ihrer teilhaftig sind, ewig bleiben; weil es sonst gar nicht möglich wäre, dass die göttliche Gnade sich als eine ewig währende offenbaren und erweisen könnte. "Gottes Gnade währt von Ewigkeit zu Ewigkeit!" kann doch nach allem Menschengefühl und Menschenverstand nicht heißen sollen: sie dauert nur so lange, wie der Staub dauert; ihre Tage sind wie die des Grases; sie währt, solange die Blume blüht, die der Wind verweht. Das wäre das unwürdigste Spiel mit unwahren Worten; das wäre an dieser Stelle ein höllisches Spottlied über dem Grabe des Menschen, dass er vergeblich nach Unsterblichkeit gedürstet habe. Nein, gewisser, bestimmter, befriedigender brauchte es dem frommen Israeliten des Alten Testamentes nicht gesagt zu werden, dass ein Leben nach diesem Leben sei. Gottfried Menken 1823.

V. 18. Dass sie danach tun. Wir haben der Gebote zu gedenken, um sie auszuüben; müßige Betrachtung ist nicht der Zweck, zu welchem sie kundgemacht sind. Stephen Charnock † 1680.

V. 19. Der HERR hat seinen Stuhl im Himmel bereitet. Diese Worte zeigen an: 1) die Eigentümlichkeit der Herrschermacht Gottes. Er hat sich selbst den Thron bereitet und niemand anders für ihn. Seine Macht ist ein Ausfluss seiner Natur, er hat sie nicht von irgendjemand durch Geburt oder Bevollmächtigung erhalten. Er selbst ist die alleinige Ursache seines Königtums; daher ist auch seine Macht unbegrenzt, so unendlich wie seine Natur. Niemand kann ihm Gesetze geben. So wenig er seiner Seligkeit Eintrag tun lässt, so wenig wird er sich auch seine Macht verkürzen lassen. 2) Seine Bereitschaft, diese Macht zur rechten Stunde auszuüben. Er kommt nie in Verlegenheit, was tun. Er braucht nicht auf einen Auftrag oder auf Anweisungen von irgendjemand zu warten. Er hat alles in Bereitschaft, um seinem Volke zu helfen; er hat Belohnungen und Strafen, edle Schätze sind für die Guten, aber auch Geißel und Axt für die Gottlosen stets bereit. 3) Weise Ausübung der Herrschaft. Gute Vorbereitung weist auf Klugheit hin. Gottes Weltregierung ist nicht hastig und hitzig. Der Fürst auf dem Throne und der Richter auf dem Richterstuhl behandeln die Sachen mit der größten Vorsicht, oder man setzt das wenigstens bei ihnen voraus. 4) Wohlfahrt und Beständigkeit seiner Herrschaft. Sie ist wohl befestigt, nicht wankend; sein ist ein unbewegliches Reich. Alles Sträuben und Sturm Laufen von Menschen und Teufeln kann seinen Thron nicht stürzen, nicht einmal erschüttern. Seine Macht ist hoch erhaben über alle Empörung, er kann nicht abgesetzt, seine Macht nicht gebunden werden. Wie er selbst, so bleibt auch seine Herrschaft ewig. Und wie sein Rat besteht, so auch seine Macht. Er tut und wird tun alles, was ihm gefällt. (Jes. 46,10.) Stephen Charnock † 1680.

Dass des HERRN Thron im Himmel ist, bezeichnet 1) die Herrlichkeit seines Reichs. Die Himmel sind die prächtigsten und lieblichsten Teile der Schöpfung; Gottes Majestät ist dort am sichtbarsten, seine Herrlichkeit offenbart sich an ihnen am glänzendsten. (Ps. 19,2) Auch ist sein Zepter dort ungeteilt anerkannt; keiner der Engel, die dort vor ihm stehen, bestreitet seine Herrschaft, wie es auf Erden geschieht von den Empörern, die sich wider ihn waffnen. 2) Die Hoheit seiner Herrschaft. Die Himmel sind der erhabenste Teil der Schöpfung und der einzige seiner würdige Palast. 3) Die Ausschließlichkeit seiner Herrschaft. Er regiert in den Himmeln allein. Die Menschen, die auf seinem Fußschemel, der Erde, wohnen, regiert er durch ihresgleichen; im Himmel aber überträgt er seine Gewalt keinem Geschöpf, sondern übt selbst unmittelbar die Herrschaft über die seligen Geister aus. 4) Die Ausdehnung seines Reichs. Die Erde ist im Vergleich zu den Himmeln nur ein Stäubchen. Was ist unser Land auf einer Weltkarte anders denn ein Fleckchen, das du mit dem Finger bedecken kannst; noch viel unbedeutender aber muss die ganze Erde sein im Vergleich zu der ausgedehnten Welt der Himmel. Du kannst die vielen Millionen Teilchen, aus denen die Erde besteht, nicht ermessen; und wenn diese alle zusammen nur ein Punkt sind im Vergleich mit dem Ort, wo der Thron Gottes steht, wie weit muss sein Reich sein! Dort herrscht er über die Engel, die starken Helden, über die Heerscharen, die seinen Willen tun, im Vergleich zu welchen alle Menschen der Welt und die Macht der größten Gewalthaber nicht mehr ist als die Kraft einer Ameise oder einer Fliege. Und daraus, dass sein Thron im Himmel ist, ergibt sich, dass alles, was unter dem Himmel ist, zu seiner Herrschaft gehört; die niederen Dinge der Erde müssen ihm unterworfen sein, und sein Einfluss muss sich auf alles hienieden erstrecken, da der Himmel die Ursache aller Bewegung in der Welt ist. (vergl. Hos. 2,23 f.). 5) Die Leichtigkeit, mit der er die Weltregierung handhabt. Da sein Thron so hoch steht, sieht er naturgemäß alles, was hienieden geschieht. Die Höhe des Beobachtungsstandpunktes hilft ja zu klarem Überschauen alles dessen, was darunter ist. Der HERR schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob jemand klug sei usw. Ps. 14,2. Er schaut vom Himmel, nicht als ob seine Gegenwart auf den Himmel beschränkt wäre, sondern er schaut majestätisch und als der Gewalt hat hernieder. 6) Die Beständigkeit seiner Regierung. Die Himmel sind unvergänglich, sein Thron ist dort in Unvergänglichkeit aufgerichtet. Der Thron Gottes überlebt die Auflösung der Welt. Nach Stephen Charnock † 1680.

Sein Reich herrschet über alles. Als Melanchthon um den Stand der Kirche zu seiner Zeit sehr bekümmert war, sagte Luther: Monendus est Philippus ut desinat esse rector mundi: Philippus stehe doch davon ab, Lenker der Welt zu sein. David Clarkson † l686.

V. 20. Ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet. Die höchste Vortrefflichkeit der Engel, die Hauptursache ihrer Kraft und ihrer Überlegenheit über die Menschen ist, dass sie Gottes Befehl ausrichten, auf die Stimme seines Wortes hörend. Denn das ist die einzige immer fließende Quelle dauernder Kraft und Macht. Wer den Willen Gottes treulich und gehorsam tut, hat Gott für sich; und was mag dann wider ihn sein? Einen solchen stärkt auch die Arbeit selbst; sie ist ihm, was die Flut dem Schiff, die es vorwärts trägt; ist es doch Gottes Werk, das er treibt. Wer dagegen wider den Willen Gottes angeht, der hat Gott wider sich; und was kann dann für ihn sein? Mag auch ein Mensch das Meer zurückdrängen? Kann er den Sonnenball ergreifen und aus seiner Bahn schleppen? Wenn er das vermag, dann mag er auch hoffen, stark zu sein, wenn er wider Gottes Willen ankämpft. - Daraus mögen wir auch ersehen, wie falsch der Grundsatz ist, welcher im Munde derer, die sich auf ihre Meisterschaft in der Weisheit dieser Welt viel zugute tun, so gewöhnlich ist: dass Macht Recht sei - ein Lebensgrundsatz, welcher die Wahrheit geradezu verkehrt und mit welchem sich der Fürst der Finsternis stets gegen den Herrn des Himmels auflehnt. Das wahre Grundgesetz, welches als goldene Regel des Handelns in den Ratskammern der Könige und auf den Wänden der Rathäuser geschrieben stehen sollte, das Grundgesetz, welches das Geheimnis der Kraft der Engel und in der Tat aller wahren Kraft enthüllt, mag in die gleichen Worte gefasst werden, wenn wir nur ihre Ordnung umkehren: Recht ist Macht. Julius Charles Hare 1849.

Die Engel lauschen aufmerksam auf die göttlichen Befehle; sie schauen auf Gott als ihren General, und so wie er seinen Befehl ergehen lässt, stellen sie ihre Kraft ihm zur Verfügung und gehen willig ans Werk. So wie er sagt: Geh, schlage Herodes wegen seiner Überhebung, Bileam wegen seiner Habsucht, David wegen seiner Ruhmsucht, Sanherib wegen seiner Lästerung, Sodom wegen seiner Unreinigkeit, so gehen sie alsbald. William Greenhill † 1677.

Die Engel sind achtsame Wesen; sie warten auf Gelegenheiten, und wenn diese kommen, lassen sie sich dieselben nicht entschlüpfen. Sie schlafen noch schlummern nicht, sondern horchen beständig, was der HERR sagen, was für Gelegenheit zum Wirken und Dienen sich ihnen bieten möge. Als Christus geboren ward, erschien ihrer eine Menge und feierte seine Geburt. Lk. 2,13. Und als er von Judas und seiner Schar gefangen genommen ward, und Petrus das Schwert zog, um seinen Meister zu verteidigen, erwiderte dieser: "Es ist jetzt nicht an der Zeit, den Vater um Hilfe zu bitten, denn ich muss sterben, die Schrift muss erfüllt werden; aber wenn ich bäte, so würde der Vater die Engel aufbieten, mir beizustehen, und sie würden alsbald kommen, ganze Legionen von ihnen, ja alle die Engel im Himmel." Lasst uns von den Engeln lernen, auf Gelegenheiten aufzupassen und sie zu ergreifen. Wie wichtig sind oft kleine Augenblicke für den Dienst des Meisters. William Greenhill † 1677.

V. 21. Alle seine Heerscharen. Sonne, Mond und Sterne tun den Willen des HERRN unbewusst, die Engel bewusst und mit der Kraft der Liebe, die ihrer Natur eingeprägt ist. Beide miteinander bilden die Heerscharen des HERRN. A. R. Fausset 1866.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps103

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Erläuterungen und Kernworte


V. 22. Lobe den HERRN, meine Seele, das ist, lass deine Lebensaufgabe die der Seraphim sein und beginne schon jetzt das Leben des Himmels. Aber warum soll ich ihn loben? Kann mein Lobpreis ihm denn von irgendwelchem Vorteil sein? Nein, so wenig wie der Lobgesang aller Himmelsheere. Es ist unendliche Herablassung von Gott, auf das Lob selbst seiner erhabensten Geschöpfe zu hören.
Ich will den HERRN loben, weil kein Werk meiner Seele reichere Segnungen eintragen wird als dieses. Die bewundernde, anbetende Betrachtung der Vollkommenheiten Gottes ist in Wahrheit die Zueignung derselben; das Herz kann nicht an Gott seine Wonne haben, ohne Gott ähnlich zu werden. Ich will den HERRN lobpreisen, weil dies auf Erden das besondere Vorrecht des Menschen ist. Will der Mensch irgendwelche Wesen finden, die sich mit ihm darin vereinigen, so muss er zum Himmel emporsteigen. Ich will den HERRN loben, weil die Erde mir überall Stoff dazu bietet. Der Sand, das Meer, die Blumen, die Schmetterlinge, Tiere, Vögel, Felder, Wälder, Berge, Felsen, Wolken, Winde, Blitz und Donner, Strom und Bächlein, Sonne, Mond und Sterne - alle warten auf mich, dass ich als ihr Dolmetsch das Lob Gottes singe. Doch vor allem die neue Kreatur.
Ich will des HERRN Lob singen, weil von ihm, durch ihn und zu ihm alles das ist, was mir zu Leben, Gesundheit, Wohlbefinden, Erkenntnis, Würde, Sicherheit, Fortschritt, Macht und Nützlichkeit dient. Tausende seiner Diener auf Erden, im Meer und am Himmel sind mit dem Hervorbringen und Zurüsten eines jeden Bissens Speise, mit dem ich mich stärke, beschäftigt. Der Odem, den ich zu lieblichem Lobpreis umgestalten soll und kann, kommt nicht aus meiner Brust und geht nicht aus meinem Munde ohne eine erstaunliche Erweisung der Herablassung, Güte, Weisheit, Macht und Gegenwart dessen, den ich lobpreisen soll. Ist es nicht schändlich, Wohltaten über Wohltaten hinzunehmen, ohne auch nur den Namen des Gebers zu erwähnen und seine Güte anzuerkennen? Wer die Anwartschaft auf den Himmel in Anspruch nimmt, der lobe den HERRN. Dort ist kein Raum für solche, die diese Kunst nicht gelernt haben. Wie aber soll ich ihn loben? Nicht mit feinen Worten. Kein Dichtertalent ist dazu nötig. Wenn dein Lob nur wahrer Herzensanbetung Ausdruck gibt, so wird es angenehm sein. Lobe den HERRN, soweit du ihn kennst, so wird er dir mehr von seiner Herrlichkeit zu erkennen geben. George Bowen 1873.

V. 19-22. Der Himmel ist im Gegensatz zur Erde der unwandelbare Bereich über dem Entstehen und Vergehen hienieden. Beim Himmel der Herrlichkeit muss sich der Psalmist der Engel erinnern. Seine Aufforderung derselben zum Lobpreise Jahves hat nur in Ps. 29; 148 ihresgleichen; sie geschieht aus dem Bewusstsein der irdischen Gemeinde heraus, dass sie mit den Engeln Gottes in lebendiger, geistesgleicher Gemeinschaft steht und dass sie eine Hoheit besitzt, welche alles Geschaffene, selbst die zu ihrem Dienst (91,11) verordneten Engel überragt. Dieser mit Heldenkraft ohnegleichen ausgerüstetes Leben geht ganz - ein Vorbild für die Sterblichen - in gehorsamer Ausführung des Wortes Gottes auf. Den Ruf seines Wortes vernehmend bringen sie es auch sofort in Ausführung. Die Heere sind, wie die Beifügung "seine Diener" zeigt, die um die Engel höheren Ranges gescharten himmlischen Geistwesen (vergl. Lk. 2,13), die zahllosen dienstbaren Geister Ps. 104,4; Dan. 7,10; Hebr. 1,14; denn es gibt eine himmlische Hierarchie. Von den Erzengeln kommt der Verfasser auf die Myriaden der himmlischen Heerscharen und von da auf alle Kreaturen, dass sie, wo immer in Jahves weitem Reich sie sich befinden, in den anzustimmenden Lobgesang einstimmen, und von da zurück auf seine Seele, die er bescheiden unter die an dritter Stelle genannten Kreaturen begreift. Dem dreifachen "Lobet" entspricht nun (V. 1.2.22) ein dreifaches "Lobe, meine Seele", und indem der Dichter so zu seiner Seele zurückkehrt, kehrt auch sein Psalm in sich selbst zurück und gewinnt die Gestalt eines zusammenlaufenden Kreises. - Nach dem Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Homiletische Winke


V. 1.
1) Den HERRN selber sollen wir loben. Wir können es versäumen, ihn zu preisen, während wir seine Gaben, sein Wort, seine Werke und Wege rühmen. 2) Jeder selbst: meine Seele, nicht nur die Familie durch den Vater, die Gemeinde durch ihren Pfarrer oder den Kirchenchor, sondern wir persönlich. 3) Auf eine geistliche Weise: meine Seele; nicht nur mit der Orgel, der Stimme, Opfergaben, christlichen Werken usw. 4) Mit ganzer Hingebung, mit allen Fasern unseres Herzens: was in mir ist. 5) Mit ganzer Entschlossenheit: David ermahnt und ermuntert sich selbst. William Jackson 1874.
Wir finden hier: 1) Selbstgespräch: meine Seele. Viele reden mit andern mehr als genug, aber nie mit sich selbst. Sie sind sich selber fremd, kommen nie zu stillem Selbstgespräch, lassen sich ihre eigene Seele nicht angelegen sein, sind, wenn alleine, stumpf und missmutig. 2) Selbstermahnung: Lobe den HERRN, meine Seele; ihn, deinen Schöpfer, Wohltäter, Erlöser. 3) Selbstermunterung: Was in mir ist - jede Fähigkeit meines denkenden, sittlichen und geistlichen Wesens, jede Saite meiner Harfe sei in Schwingung. Auch von den Kräften der Seele gilt, es werde "keine zur andern sagen müssen: Erkenne den HERRN, sondern sie sollen mich alle kennen, von der kleinsten bis zur größten" (Vergl. Jer. 31,34.) George Rogers 1874.
V. 1a. 22c.
Persönliche Anbetung Gottes das A und O wahrer Frömmigkeit. C. A. Davis 1874.
V. 2.
Forsche nach den Ursachen, warum wir so leicht des HERRN Wohltaten vergessen, zeige die bösen Folgen und rate die wirksamen Heilmittel an.
V. 3.
1) Die Vergebung ist in Gottes Wesen begründet (vergl. Ps. 130,4), gerade wie das Strafen. 2) Die Vergebung kommt von Gott. Niemand kann Sünden vergeben, denn allein Gott, und niemand als er kann uns der geschehenen Vergebung gewiss machen. 3) Die Vergebung ist dem Wesen Gottes entsprechend, also eine völlige, freie usw. ewige Vergebung: alle deine Sünden. George Rogers 1874.
Und heilet alle deine Gebrechen. 1) Warum wird die Sünde ein Gebrechen genannt? Weil sie a) die sittliche Schönheit des Geschöpfes zerstört, b) Schmerz verursacht, c) am Erfüllen der Pflichten hindert, d) zum Tode führt. 2) Die Mannigfaltigkeit der Sündengebrechen, welchen wir unterworfen sind. Mk. 7,21-23; Gal. 5,19-21 usw. 3) Die Heilmittel, durch welche Gott diese Gebrechen heilt: a) Seine vergebende Gnade auf Grund der Erlösung auf Golgatha; b) die heilende Kraft seiner Gnade; c) die Gnadenmittel; 4) die Auferweckung des Leibes. Aus The Study 1873.
Die Gebrechen unserer sündigen Natur, unser großer Arzt, die völlige Genesung, welche er in uns zustande bringt, und die Folgen dieser geistlichen Gesundheit.
V. 3-5.
Sechs Segnungen der Gnade. I) Dreierlei Fluch hinweggenommen: 1) die Schuld getilgt, V. 3a; 2) die Gebrechen geheilt, V. 3b; 3) das Verderben abgewandt, V. 4a. II) Drei Segnungen geschenkt: 1) Zierden, die uns wahrhaft schmücken, V. 4b; 2) Freuden, die die Seele sättigen, V. 5a; 3) ein Leben, dessen Kraft sich stets verjüngt, V. 5b. - Oder: l) Vergebung, 2) Heilung, 3) Erlösung, 4) Krönung, 5) Sättigung, 6) Verjüngung. W. Durban 1874.
V. 4a.
Die Erlösung vom Verderben, wie David sie erfahren in 1) seinem Hirtenleben, 2) seinem Kriegerleben, 3) seinem Leben in der Verfolgung, 4) seinem königlichen, 5) seinem geistlichen Leben. William Jackson 1874.
Was ist erlöst und wovon? Wer ist erlöst und durch wen?
V. 5.
1) Ein seltener Zustand: zufrieden (gesättigt). 2) Ein seltenes Gut: wirklich Gutes. 3) Eine seltene Wirkung: erneuerte Jugendkraft.
V. 7.
1) Gott will, dass die Menschen ihn kennen. 2) Er offenbart sich selbst, und er allein. 3) Es gibt Stufen der Offenbarung. 4) Wir dürfen um vermehrte Erkenntnis Gottes bitten.
V. 8.
1) Die Liebe Gottes gegen die Sünder a) als Erbarmen, b) als Huld. 2) Ihre Zurückhaltung des Zornes gegenüber den Reizungen unserer Sünde. Selbst die Gnade kann sich in Zorn verwandeln, und wie schrecklich muss solcher Zorn sein! 3) Ihr Reichtum an Vergebung, den Gott allein ermessen kann.
V. 9.
1) Was Gott den Seinen zwar tut: mit ihnen hadern, züchtigend einschreiten, a) durch äußere Strafen, b) durch innere Züchtigungen. 2) Was er hingegen nicht tut: a) er hadert nicht immerdar mit ihnen in diesem Leben, b) er wird niemals hernach mit ihnen hadern. George Rogers 1874.
V. 10.
Man lege dar, wie schrecklich es wäre, wenn Gott nach unseren Sünden mit uns handelte, zeige die Gründe auf, warum dies bis jetzt nicht geschehen, weise darauf hin, dass es doch noch zur schrecklichen Tatsache werden könnte, und mahne die Schuldigen, Gnade zu suchen, solange es Zeit ist.
V. 11-13.
Die Höhe, Länge und Tiefe göttlicher Liebe.
V. 12.
1) Die enge Verbindung zwischen dem Menschen und seinen Sünden: a) gesetzlich, b) tatsächlich, c) erfahrungsmäßig, d) (an und für sich betrachtet) ewig. 2) Die Trennung beider: a) Durch wen bewirkt? Er. b) Wie? Dadurch, dass sein eigener Sohn zwischen den Sünder und dessen Sünden trat. 3) Die Wiedervereinigung verhindert. "So fern usw." Wenn Ost und West zusammentreffen, dann und nicht eher wird die Wiedervereinigung stattfinden. Wie die beiden Enden einer geraden Linie sich niemals treffen können und nicht verlängert werden können, ohne noch weiter voneinander abzustehen, so werden auch der Sünder, der Vergebung erlangt hat, und seine Sünde sich nie wieder begegnen. George Rogers 1874.
V. 13.14.
1) Über wen der HERR sich erbarmt: über die, so ihn fürchten. 2) Wie er sich erbarmt: wie sich ein Vater über Kinder erbarmt. 3) Warum er sich erbarmt: denn er kennt, was für ein Gemächte wir sind. Er hat Grund, es zu wissen, denn er selbst hat uns gebildet, und da er den Menschen aus Staub gemacht hat, gedenket er daran, dass wir Staub sind. Matthew Henry † 1714.
V. 14.
1) Des Menschen Naturbeschaffenheit; 2) Gottes Gedenken an dieselbe. Oder: des Menschen Hinfälligkeit und Gottes Barmherzigkeit.
V. 15.
Des Menschen Erdenlaufbahn. Sein Lebensanfang, sein Wachstum, seine Herrlichkeit, sein Vergehen und schnelles Vergessenwerden.
V. 15-18.
1) Was der Mensch an sich ist: a) Was in diesem Leben: sein Leben gleicht dem des Grases, seine Herrlichkeit des Grases Blume. b) Was hernach? Hinweggefegt durch einen schneidenden Wind, durch einen Hauch des göttlichen Zornes - nicht mehr gekannt auf Erden, gekannt nur noch am Ort des ewigen Verderbens. 2) Was die Gnade Gottes für ihn tut: a) Sie macht einen Gnadenbund zu seinem Besten von Ewigkeit. b) Sie macht einen Friedensbund mit ihm für dieses Leben. c) Sie macht einen Verheißungsbund für ihn für die kommende Ewigkeit. 3) Wer ist der Gegenstand dieser Gnade? a) Die Gott fürchten. b) Die in den Fußstapfen frommer Väter wandeln. c) Die ihren Bundespflichten treu sind. George Rogers 1874.
V. 18.
Der Bund, inwiefern wir ihn zu halten haben, in welcher Gesinnung er gehalten werden soll; und was der praktische Erweis davon ist, dass wir ihn halten.
V. 19.
1) Die Beschaffenheit des Thrones Gottes. 2) Der Umfang dieses Reiches. 3) Der Charakter des Herrschers. 4) Die sich daraus ergebende Freude der Untertanen: Lobet den HERRN.
V. 20.
Der Dienst der Engel, lehrreich für uns. 1) Ihre Kraft ist groß. Als Diener Gottes sollten auch wir auf unsre eigne geistliche Gesundheit und Kraft bedacht sein. 2) Ihr Gehorsam ist ausübender, werktätiger Art - sie sind nicht Theoretiker. 3) Sie sind, während sie am Wirken sind, aufmerksam, begierig, mehr zu lernen, und in steter Gemeinschaft mit Gott, der persönlich mit ihnen redet. 4) Sie tun alles in dem Geist freudigen Lobpreises.
V. 20.21.
1) Der Gegenstand des Lobes: der HERR. Aller Lobpreis der Geschöpfe hat in ihm seinen Mittelpunkt. 2) Der vielstimmige Chor: a) die Engel, b) die Scharen der Erlösten, c) die Diener des HERRN, d) die ganze Schöpfung. 3) Meine Mitwirkung. So mächtig der Chor sein mag, ist doch meine Stimme notwendig zu seiner Vollständigkeit. Dies ist der Schlusston im Akkord: Lobe den HERRN, meine Seele. George Rogers 1874.
V. 21.
Wer sind Gottes Diener? Was ist ihr Geschäft? Seinen Willen zu tun. Und was ist ihre Wonne? Den HERRN zu loben.
V. 22.
l) Der Chor. 2) Das Echo. W. Durban 1874.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 104 (Auslegung & Kommentar)



Überschrift



Allgemeine Bemerkungen. Die gottbegeisterte Muse nimmt hier einen so hohen und weiten Flug wie sonst selten. Der Psalm verleiht den mannigfaltigen Stimmen der Natur Ausdruck und singt gar lieblich von der Erschaffung wie auch von der Erhaltung und Regierung der Welt. Das Gedicht enthält einen vollständigen Kosmos1: Land und Meer, Wolken und Sonnenlicht, Pflanzen und Tiere, Licht und Finsternis, Leben und Tod, sie alle werden uns als Beweise der Gegenwart oder Einwohnung des Schöpfers in der Welt vorgeführt. Die Anlehnung an den mosaischen Bericht von dem Sechstagewerk ist deutlich erkennbar, und wenn die Krone des Ganzen, die Erschaffung des Menschen, nicht erwähnt wird, so erklärt sich das aus der Tatsache, dass der Mensch selbst es ja ist, der hier Gottes Werke und Walten besingt. Manche Ausleger finden sogar Hindeutungen auf die Ruhe Gottes am siebenten Tage in V. 31. Der Psalm ist eine Genesis, in Poesie gesetzt. Doch nicht nur der gegenwärtige Zustand der Erde wird besungen, sondern es wird auch unser Sehnen auf jene heilige Vollendungszeit gerichtet, in der sich unseren Blicken eine neue Erde zeigen wird, auf welcher Gerechtigkeit wohnt und von welcher die Sünder vertilgt sein werden, V. 35. Die ganze Betrachtung ist von glühendem Lobpreis Gottes durchweht, und man fühlt es Vers um Vers dem Dichter ab, dass er von der Wirklichkeit Gottes als eines persönlichen Wesens, dem ebenso sehr Liebe und Vertrauen wie Anbetung gebührt, tief durchdrungen ist.
Über den Verfasser vernehmen wir im Urtexte nichts; doch weist die Septuaginta den Psalm dem David zu, und nach unserer persönlichen Meinung dünken uns allerdings Geist und Stil Davids deutlich erkennbar zu sein. Sollte der Psalm aber je einem andern zuzuschreiben sein, so muss es ein auffallend ähnlicher Geist gewesen sein, und wir könnten dann an den weisen Sohn Davids, an Salomo, den Dichter-Prediger denken, mit dessen naturgeschichtlichen Bemerkungen in den Sprüchen einige der Vers eine überraschende Ähnlichkeit haben. Wer auch immer der menschliche Schreiber gewesen sein mag, die unvergleichliche Herrlichkeit und Vollkommenheit des eigentlichen Urhebers, nämlich des Heiligen Geistes, ist jedem geistlichen Sinne erkennbar.

Einteilung


Nachdem der heilige Sänger zuerst die Preiswürdigkeit des HERRN gerühmt hat, singt er von dem Lichte und der Himmelsfeste, welche die Werke des ersten und zweiten Tages waren (V. 1-6). Mit leichtem Übergang beschreibt er dann, wie die Wasser sich vom festen Lande schieden, Regen, Bäche und Ströme sich bildeten und grüne Gewächse aufsprossten, was der dritte Tag brachte (V. 7-18). Sodann erregt die Bestellung der Sonne und des Mondes zu Hütern des Tages und der Nacht die Bewunderung des Dichters (V. 19-23): er besingt das Werk des vierten Tages. Nachdem der Psalmist bereits auf mancherlei Arten von lebendigen Geschöpfen angespielt hat, geht er (in V. 24-30) dazu über, von dem Leben zu singen, mit dem es dem HERRN gefiel, Luft, Meer und Land zu erfüllen. Diese Formen des Daseins waren das besondere Werk des fünften und sechsten Tages. Die Schlussverse (V. 31-35) können wir als Betrachtung, Loblied und Gebet für den Sabbat ansehen. Das Ganze liegt vor uns wie ein Rundgemälde des Weltalls, betrachtet vom Standpunkt des Glaubens mit dem Auge der Anbetung. Möge uns die Gnade werden, dem HERRN gebührend Ehre darzubringen, während wir der Rundschau folgen.

Auslegung


1.
Lobe den HERRN, meine Seele!
HERR, mein Gott, du bist sehr herrlich;
du bist schön und prächtig geschmückt.
2.
Licht ist dein Kleid, das du anhast;
du breitest aus den Himmel wie einen Teppich;
3.
du wölbest es oben mit Wasser;
du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen
und gehst auf den Fittichen des Windes;
4.
der du machst deine Engel zu Winden
und deine Diener zu Feuerflammen;
5.
der du das Erdreich gegründet hast auf seinen Boden,
dass es bleibt immer und ewiglich.
6.
Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide,
und Wasser standen über den Bergen.



1. Lobe den HERRN, meine Seele! Der Psalm beginnt und endet wie der 103., und er könnte es gar nicht besser machen: wenn das Vorbild vollkommen ist, verdient es, nachgeahmt zu werden. Aufrichtiges Lob Gottes beginnt daheim, im eignen Herzen. Es wäre verlorene Mühe, andere zum Preise des HERRN aufzufordern, wenn wir selbst in Undankbarkeit schwiegen. Wir haben es oft nötig, unser Innerstes zu erwecken und anzuspornen; denn wir sind sehr geneigt, träge zu sein, und ist dies der Fall, wenn es das Lob Gottes gilt, so haben wir wahrlich Ursache, uns zu schämen. Wenn wir den HERRN preisen, so wollen wir es doch von Herzen tun! Unser Bestes bleibt immer noch weit zurück hinter dem, was er verdient; lasset uns ihn nicht verunehren durch halbherzige Anbetung. HERR, mein Gott, du bist sehr herrlich, oder wörtl.: sehr groß. Beachten wir in diesem Ausruf die Verschmelzung von Kühnheit des Glaubens mit heiliger Scheu. Mein Gott, sagt der Psalmist zu dem unendlichen Jehovah, und gleichzeitig sinkt er, von der Größe Gottes überwältigt, in den Staub und ruft in äußerstem Staunen: Du bist sehr groß. Groß war Gott am Sinai, und doch eröffnet er sein Gesetz mit den Worten: Ich, Jehovah, bin dein Gott; seine Größe ist kein Grund, warum der Glaube sich ihn nicht ganz zueignen sollte. Das feierliche Bekenntnis der Größe Jehovahs, das wir hier finden, wäre am Ende des Psalms sehr am Platze gewesen, denn es ist das natürliche Ergebnis aus dem Überblick über das Weltall; dass es schon am Anfang steht, zeigt uns, dass der ganze Psalm von dem Dichter wohl überdacht und im Geiste geordnet wurde, ehe er ihn in Worte fasste. Nur so können wir es uns erklären, dass die Gemütsbewegung der Betrachtung vorläuft. Man beachte auch, dass sich die hier ausgedrückte Bewunderung nicht auf die Schöpfung und ihre Größe bezieht, sondern auf Jehovah selbst. Es heißt nicht: "Das Weltall ist sehr herrlich", sondern: "Du bist sehr herrlich". Viele bleiben bei dem Geschöpf stehen und werden so in ihrem Innern zu Götzendienern; zum Schöpfer selbst vordringen ist der wahren Weisheit Art. Du bist schön und prächtig geschmückt, wörtl.: Du kleidest dich mit Ehre und Majestät. Dich selbst können wir nicht sehen, aber deine Werke, die man deine Gewänder nennen kann, sind voller Schönheit und voller Wunder, die deine Ehre verkünden. Die Kleider verhüllen den Menschen und dienen doch zugleich dazu, zu zeigen, was er ist; so ist es auch mit den Werken Gottes. Der HERR wird in ihnen erschaut als der höchsten Ehre würdig wegen seiner Bildnerkunst, seiner Güte und Kraft, und sie erweisen sein Majestäts -Recht, denn er hat alle Dinge mit selbstherrlicher Macht gestaltet ganz nach seinem Willen und ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Wahrhaftig, der Mensch muss blind sein, der nicht sieht, dass die Natur das Werk eines Königs ist. Es sind dem Kolossalgemälde der Natur so feierliche Züge von Gottes Ernst aufgeprägt, so markige Striche derjenigen göttlichen Eigenschaften, die uns durch ihre Strenge erschauern machen, so scharfe Linien alles überwältigender Macht und tiefe Schatten unerforschlicher Geheimnisse, dass das Bild der Schöpfung dadurch zu einem Rätsel wird, das nimmer zu lösen ist, man gebe denn zu, dass derjenige, welcher es entwarf, von seinem Tun nicht Rechenschaft gibt, sondern alles nach dem Wohlgefallen seines Willens macht. Doch offenbart sich seine Majestät immerdar so, dass sein ganzes Wesen dadurch verherrlicht wird; er tut, was er will, aber er will stets nur das, was dreimal heilig ist wie er selbst. Eben die Gewänder des unsichtbaren Geistes zeigen uns dies, und unsere Sache ist es nun, es mit demütiger Anbetung anzuerkennen.

2. Der sich in Licht hüllt wie in einen Mantel (wörtl.), indem er das Licht um sich legt wie ein Herrscher den königlichen Purpur. Ein erhabener Gedanke; aber er lässt uns innewerden, wie völlig die ewige Wesensherrlichkeit des HERRN außerhalb des Bereiches unserer Vorstellungskraft liegt. Wenn selbst das Licht nur sein Gewand und seine Hülle ist, was muss dann der flammende Glanz seines innersten Wesens sein! Wir sind von Staunen hingenommen und wagen es nicht, in dies Geheimnis hineinzuspähen, damit wir nicht an seiner unerträglichen Strahlenpracht erblinden. Der den Himmel ausspannt wie ein Zelttuch (wörtl.), um darin zu wohnen. Das Licht wurde am ersten, das Himmelszelt am zweiten Tage erschaffen, so dass sie in diesem Vers passend aufeinander folgen. Morgenländische Fürsten legen ihre Prunkgewänder an und sitzen dann mit Gepränge in Prachtzelten; unter diesem Bilde ist hier vom HERRN gesprochen. Aber wie hoch über alle sinnliche Vorstellung muss das Bild erhoben werden, da das Gewand dieses Königs das Lichtelement ist, dem Sonne und Mond ihren Glanz verdanken, und die Zeltdecke der azurblaue, mit Sternen als mit Edelsteinen besäte Himmel. Diese Bildersprache ist ein starker Beweis für die Wahrheit, mit welcher der Psalmist sein Lied begann: HERR, mein Gott, du bist sehr groß!

3. Der in Wasser seine Gemächer droben bälkt. (Wörtl.) Seine himmlischen Hallen sind aus den Wassern über dem Firmament (Ps. 148,4) erbaut. Die oberen Räume des großen Hauses Gottes, die geheimnisvollen Stockwerke, so hoch droben, dass sie sich unseren Blicken völlig entziehen, die Prachtgemächer, in denen er wohnt, sind auf die Fluten gegründet, die den oberen Ozean bilden. Dem, was in sich keinen Halt hat, verleiht er Festigkeit; er braucht dazu keine Tragbalken und Sparren, denn seine eigne Kraft ist’s, die seinen Palast in den Fugen hält. Natürlich dürfen wir nicht nach dem Buchstaben auslegen, wo die Sprache so hochdichterisch ist; das wäre einfach albern. Der dichte Wolken zu seinem Wagen macht. (Wörtl.) Solcherweise macht er seine königliche Rundreise, wenn er sein verborgenes Gezelt verlässt. Schwarze Donnerwolken sind seines Zorns Gefährt, und der Wagen seiner Gnade träufelt Segen nieder, während er die Himmelsbahn entlang läuft. Der auf den Fittichen des Windes wandelt. Auf seinem Wolkenwagen, an den die Winde als geflügelte Rosse geschirrt sind, eilt der große König daher, sei es zum Heil, sei es zum Gericht. So wird die Vorstellung von einem König im Bilde durchgeführt: vor uns stehen sein himmelhohes Schloss, seine Wagen und seine Renner. Aber welch ein Schloss, dessen Gebälk von Kristall und dessen Fundament fest gewordener Dampf ist! Und was ist das für ein Prunkwagen, der aus den fliehenden Wolken gebildet ist, mit deren schimmernden Farben Salomo in all seiner Pracht nicht wetteifern konnte! Und was für ein göttlich erhabener Zug, bei welchem Geisterschwingen und des Windes Hauch den Thronwagen vorwärts bewegen! Ja, HERR, mein Gott, du bist sehr groß!

4. Der seine Engel zu Winden macht oder zu Geistern, denn das Wort bedeutet beides. Die Engel sind reine Geistwesen, obschon sie sichtbare Gestalt annehmen dürfen, wenn Gott sie uns schauen lassen will. Gott ist ein Geist und wird an seinem königlichen Hofe von Geistern bedient. Die Engel sind den Winden gleich in der geheimnisvollen, unsichtbaren und doch unwiderstehlich gewaltigen Art ihres Wirkens. Andere übersetzen: Er macht zu seinen Boten Winde, und zweifellos sind oft die Winde selbst die Engel oder Boten Gottes. Gott, der seine Engel zu Winden macht, kann auch Winde (und Feuer) zu seinen Engeln machen. Wie Delitzsch sagt, gibt er Wind (und Feuer, V. 5) für den Zweck seiner durch die Engel vermittelten Wirksamkeit in der Welt zu Stoffen ihrer Erscheinung und gleichsam "Selbstverleibung". Er kann sie sich also zu besonderen Sendungen dienstbar machen, und sie sind in der Tat beständig seine Werkzeuge in dem großen Haushalt der Natur. Seine Diener zu Feuerflammen. Auch hier haben wir die Wahl zwischen zwei Auffassungen: Gott verleiht seinen Dienern Schnelligkeit, Gewalt und Furchtbarkeit, wie sie das Feuer hat, oder aber: er macht das lodernde Feuer, jenes zerstörende Element, zu seinen Dienern, die mit Flammenschwertern seine Botschaft ausrichten. Der Hebräerbrief bezieht (Kap. 1,7) die Stelle auf die Engel, und es dünkt uns ganz passend, dass diese hier in Verbindung mit dem Licht und dem Himmel und unmittelbar nach dem Gewand und dem Schloss des großen Königs genannt werden. Musste nicht das Gefolge des Herrn der Heerscharen so gut wie sein Wagen erwähnt werden? Die Beschreibung des Universums würde eine Lücke aufweisen, wenn nicht auch der Engel gedacht wäre, und hier ist der geeignetste Ort sie einzuführen. Wenn wir an die außerordentlichen Kräfte denken, die den Engelwesen anvertraut sind, und an die geheimnisvolle Herrlichkeit der Seraphim und der vier Lebewesen (Hes. 1; Off. 4), so leitet uns das an, daraus auf die Herrlichkeit des Herrn zu schließen, dem sie dienen, und wieder rufen wir mit dem Psalmisten: HERR, mein Gott, du bist sehr groß!


Fußnote
1. Kosmos = das Weltall als wohlgeordnetes Ganzes, dann eine Beschreibung des Weltalls, nach Alex. von Humboldt’s bekanntem so genannten Werke.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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5. Der die Erde auf ihre Grundfeste gegründet hat. (Wörtl.) So wird der Beginn der Schöpfung beschrieben, fast mit den gleichen Worten, die der HERR selbst Hiob 38,4.6 gebraucht: "Wo warst du, da ich die Erde gründete? Worauf stehen ihre Füße versenkt, oder wer hat ihr einen Eckstein gelegt?" Und die Worte finden sich noch dazu in demselben Zusammenhang, denn der HERR fährt dort fort: "Da mich die Morgensterne miteinander lobten, und jauchzten alle Kinder Gottes." - Dass sie immer und ewiglich nicht wankt. (Wörtl.) Natürlich ist die Sprache hier dichterisch; doch handelt es sich nichtsdestoweniger um eine wunderbare Tatsache: die Erde ist so in den Weltraum gesetzt, dass sie ihre Stelle behauptet, als wäre sie wirklich irgendwo befestigt. Die verschiedenen Bewegungen unseres Planeten gehen so geräuschlos und gleichmäßig vonstatten, dass für unser Empfinden alles so fest steht und in zuverlässiger Ordnung ist, als wäre die Vorstellung der Alten, dass die Erde auf Pfeilern ruhe, buchstäblich wahr. Mit welcher Genauigkeit hat doch der große Werkmeister unsere Erdkugel ins Gleichgewicht gebracht! Welche Kraft muss jene Hand besitzen, die gemacht hat, dass ein so ungeheurer Körper seine Bahn kennt und sich so sanft darin bewegt! Welcher Maschinenbauer vermag ein Kunstgetriebe so zu verfertigen und zu sichern, dass auch kein Teil desselben je sich reibt oder knarrt oder in Unordnung gerät? Doch unserer großen Welt ist bei ihren verwickelten Bewegungen noch nie etwas Derartiges zugestoßen. "HERR, mein Gott, du bist sehr groß!"

6. Mit der (Wasser-)Tiefe decktest du sie wie mit einem Kleide. Die neugeborene Erde wurde in Windeln von Wasser gehüllt. In den ersten Zeiten, ehe der Mensch da war, beherrschten die stolzen Fluten die ganze Erde. Und Wasser standen über den Bergen, kein trockenes Land war sichtbar, Dampf wie von einem brodelnden Geiser bedeckte alles. Die Erforscher des Erdkörpers geben uns davon Bericht als von einer neuen Entdeckung; aber schon lange vorher hat es der Heilige Geist geoffenbart. Dieser Abschnitt zeigt uns den Schöpfer, wie er sein Werk beginnt und den Grund legt für zukünftige Ordnung und Schönheit. Wenn wir uns das hier Geschilderte mit Ehrfurcht vergegenwärtigen, wird unsre Seele voll Anbetung werden; es mit fleischlichem Sinn grob buchstäblich aufzufassen, wäre geradezu lästerlich.

7.
Aber von deinem Schelten flohen sie,
von deinem Donner fuhren sie dahin.
8.
Die Berge gingen hoch hervor, und die Täler setzten sich herunter
zum Ort, den du ihnen gegründet hast.
9.
Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht,
und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken.
10.
Du lässest Brunnen quellen in den Gründen,
dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen,
11.
dass alle Tiere auf dem Felde trinken
und das Wild seinen Durst lösche.
12.
An denselben sitzen die Vögel des Himmels
und singen unter den Zweigen.
13.
Du feuchtest die Berge von oben her;
du machst das Land voll Früchte, die du schaffst;
14.
du lässest Gras wachsen für das Vieh
und Saat zu Nutz den Menschen,
dass du Brot aus der Erde bringest,
15.
und dass der Wein erfreue des Menschen Herz,
dass seine Gestalt schön werde vom Öl
und das Brot des Menschen Herz stärke;
16.
dass die Bäume des HERRN voll Safts stehen,
die Zedern Libanons, die er gepflanzt hat.
17.
Daselbst nisten die Vögel,
und die Reiher wohnen auf den Tannen.
18.
Die hohen Berge sind der Gemsen Zuflucht
und die Steinklüfte der Kaninchen.




7. Aber da das Wasser und die Dämpfe alles bedeckten, brauchte der HERR nur zu sprechen, so verschwanden sie sofort. Gerade als hätten sie die Fähigkeit vernünftigen Handelns, schossen die Wogen in die ihnen angewiesenen Tiefen und überließen das Land sich selbst. Da erhoben die Berge ihre Häupter, hoch stiegen die Länder aus der Flut empor, und schließlich waren Festländer und Inseln, Abhänge und Ebenen da und bildeten die bewohnbare Erde. Die Stimme des HERRN bewirkte diese erstaunlichen Ereignisse. Ist nicht sein Wort jedem Erfordernis gewachsen, mächtig genug, die größten Wunder zu wirken? Durch dasselbe Wort werden auch die Wogen der Trübsal in ihre Schranken gewiesen, die tobenden Fluten der Sünde überwältigt werden; der Tag kommt, da auf den Donnerruf Jehovahs all die stolzen Gewässer des Bösen schnell und für immer hinweg fliehen werden. "HERR, mein Gott, du bist sehr groß!"

8. Die bezwungenen Wasser sind hinfort gehorsam. Sie steigen hinauf zu den Bergeshöhen,2 indem sie als Wolken selbst die Spitzen der Alpen erklettern. Sie kommen herunter in die Täler zum Ort, den du ihnen gegründet hast. Sie sind ebenso bereit, im Regen, in Quell- und Gießbächen herabzuströmen, wie sie vordem in Nebeln aufzusteigen strebten. Der Gehorsam der mächtigen Wasser gegen die Gesetze ihres Schöpfers ist höchst bemerkenswert; die schwellende Flut, die tosende Stromschnelle, der gewaltige Sturzbach, sie sind nur andere Formen desselben Elementes, das als zarter Tau auf dem Grashälmchen perlt, und in jenen massiveren Formen ist es den von seinem Schöpfer ihm anerschaffenen Gesetzen gleichermaßen gehorsam. Auch nicht ein einziges Teilchen Meerschaum bricht je aus der Reihe oder verletzt den Befehl des Herrn über Land und Meer, noch lehnen sich der mächtige Niagara und die schauerlich gewaltige Springflut gegen seine Herrschaft auf. Es ist sehr schön, in Gebirgsgegenden zu betrachten, wie Gott die Versorgung der Erde mit Wasser so wohl geordnet hat; wie die Nebel aufsteigen und sich zu Flocken und Wolken vereinigen, wie das reine Nass herabtropft, wie munter die kleinen Bächlein an den Felsen hinunter rinnen, um die Flüsse zu erreichen, und mit welch unaufhaltsamem Drang diese ihrem Bestimmungsorte, dem großen Weltmeer, zustreben.

9. Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht, und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken. Diese Grenze ist einst überschritten worden, aber das wird nie wieder geschehen. Die Sintflut wurde herbeigeführt durch zeitweilige Aufhebung der göttlichen Verordnung, welche die Fluten im Zaum hielt; sie wussten noch wohl von ihrer einstigen Oberherrschaft über die Erde und rissen sie schleunigst wieder an sich. Aber jetzt verhindert die Bundesverheißung für immer eine Wiederkehr dieses wilden Faschingstanzes der Wasser; oder sollten wir diese Empörung der Wogen nicht eher ein ungestümes Aufwallen der Entrüstung nennen, womit die Fluten die gekränkte Ehre ihres Königs rächen wollten, den die Menschen beleidigt hatten? Jehovahs Wort hält den Ozean in Schranken, und er braucht nur einen schmalen Sandgürtel, um ihn in seinen festgesetzten Grenzen zu halten; diese augenscheinlich so schwache Wehr erfüllt vollkommen ihren Zweck, denn das Weltmeer ist dem Gebot seines Schöpfers gehorsam wie ein kleines Kind. Zerstörung schlummert in der Tiefe des Ozeans, und unsere Sünden könnten wohl sie wecken; aber stark sind die Bande, mit welchen die Bundesgnade ihn gefesselt hat, so dass er sich nicht wieder auf die schuldigen Menschenkinder stürzen kann.

10. Du lässest Brunnen quellen in den Gründen, dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen. Dies ist ein besonders lieblicher Teil der Anordnungen, die Gott hinsichtlich der unterworfenen Wasser getroffen hat: sie finden Öffnungen, durch die sie dort ins Freie gelangen, wo ihr Vorhandensein im höchsten Grade wohltätig wirkt. An den Abhängen der Berge finden sich Einsenkungen, in denen die Bächlein herabplätschern, deren Ursprung oft ein sprudelnder Quell ist, der tief aus dem Erdinnern hervorbricht. Gott lässt diese Quellen fließen, gerade wie ein Gärtner Wasserläufe anlegt und ihnen mit seinem Fuße die Richtung gibt. Sind die Wasser in der Tiefe eingesperrt, so ist es der HERR, der ihnen die Fesseln angelegt hat, und tummeln sie sich in Freiheit, so ist wieder Er es, der sie losgelassen.

11. Dass alle Tiere auf dem Felde trinken. Wer würde ihnen auch Wasser geben, wenn es der HERR nicht täte? Sie sind seine Herde, darum führt er sie zur Tränke. Kein einziges vergisst er. Und das Wild (Grundtext die Wildesel) seinen Durst lösche. Der gute Herr gibt ihnen mehr als genug. Sie kennen ihres Herrn Krippe. Obgleich die Wildesel Zaum und Gebiss nicht leiden und der Mensch sie als völlig ungelehrig bezeichnet, so lassen sie sich vom HERRN doch lehren und wissen viel besser als der Mensch, wo das kristallklare, kühle Nass fließt, von dem sie trinken müssen, wenn sie nicht sterben sollen. Sie sind nur Esel, und noch dazu wilde, doch sorgt unser himmlischer Vater für sie. Wird er es nicht auch für uns tun? - Hier sehen wir auch, dass nichts umsonst gemacht ist. Wird durch das Bächlein im weltverlorenen Tale auch keines Menschen Lippe befeuchtet, so gibt es da doch andere Geschöpfe, die der Erquickung bedürfen und ihren Durst löschen an dem frischen Quell. Ist das nichts? Muss alles für den Menschen da sein oder sonst eine Verschwendung heißen? Was anders als unser Eigendünkel und unsre Selbstsucht könnte uns auf solche Gedanken bringen? Es ist nicht wahr, dass Blumen, deren Pracht kein Menschenauge sieht, ihren Duft nutzlos ausströmen, denn das Bienlein findet sie und noch andere beschwingte Gäste leben von ihrem köstlichen Saft. Der Mensch ist nur eines der vielen Geschöpfe, die der himmlische Vater speist und tränkt.


12. An denselben sitzen (oder wohnen) die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. Wie erquickend sind diese Worte! Welch liebliche Erinnerungen wecken sie in uns von plätschernden Wasserfällen und verschlungenem Gezweig, wo das Rauschen des sprudelnden Wassers gleichsam den Grundbass bildet und die süßen, klangvollen Stimmen der gefiederten Sänger die höheren und heller klingenden Töne der Harmonie erschallen lassen. Ihr lieben Vöglein, singt nur, singt! Was könntet ihr Besseres tun, und wer kann es besser als ihr? Da aber auch wir von dem Strome Gottes trinken und von den Früchten des Lebensbaumes essen, so steht es auch uns wohl an, zu "singen unter den Zweigen." Wo ihr wohnt, ihr Vögelein, da singt ihr; sollen nicht auch wir uns freuen in dem HERRN, der unsre Zuflucht, unsere Wohnung und Ruhestatt ist von Geschlecht zu Geschlecht? Ihr trillert eure Liedchen, während ihr von Ast zu Ast fliegt; ebenso wollen wir es machen, während wir durch die Zeit zur Ewigkeit eilen. Es schickt sich nicht, dass wir, die Paradiesesvögel, uns von denen der Erde übertreffen lassen.

13. Du feuchtest die Berge von oben her, wörtl.: aus deinen Obergemächern. Da die Gipfel der Berge zu hoch sind, um durch Flüsse und Bäche bewässert zu werden, tränkt sie der HERR selbst aus jenen Wassern über dem Firmament, die der Dichter schon in einem früheren Vers als die oberen Gemächer des Himmels bezeichnet hatte. Die Wolken bleiben an den Bergkuppen hangen und beströmen die Abhänge mit befruchtendem Regen. Wohin keines Menschen Arm gelangen kann, dahin reicht Gottes Hand; ein Herz, das niemand sonst zu rühren vermag, kann er doch mit seiner Gnade erweichen und befruchten; und wo alle irdischen Mittel des Trostes und der Erquickung fehlen, da kann er alles, was wir bedürfen, aus seinen unerschöpflichen Vorratskammern liefern! An der Frucht deiner Werke sättigt sich die Erde. (Wörtl.) Die Folge des göttlichen Wirkens ist Fülle allüberall; das Erdreich wird von Regen und Tau gesättigt, die Saat keimt, die Tiere trinken und die Vögel singen - nichts bleibt unversorgt. So ist es auch in der geistlichen Schöpfung; er gibt Gnade je mehr und mehr, er erfüllt die Seinen mit Gutem, dass sie bekennen müssen: Aus seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.

14. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen. Gras wächst so wohl wie edlere Pflanzen, denn das Vieh braucht Nahrung so gut wie der Mensch. Gott bestimmt auch dem geringsten Geschöpf sein Teil und sorgt, dass es es vorfindet. Gottes Macht offenbart sich ebenso wirklich und ebenso würdig in der Versorgung der Tierwelt wie in der Ernährung des Menschen. Beobachte nur ein Grashälmchen mit frommem Auge, so wirst du Gott darin am Werke sehen. Die edleren Pflanzen sind für den Menschen, und er muss den Boden bebauen, wenn sie ihm wachsen sollen; und doch ist es Gott, der sie im Garten sprossen lässt, derselbe Gott, der auch das Gras wachsen lässt in den nicht umfriedeten, von keiner Menschenhand berührten Triften der Wüste. Der Mensch vergisst das und spricht wohl von seinen Erzeugnissen; aber in Wahrheit würde er ohne Gott ganz vergeblich pflügen und säen. Der HERR ist’s, der jedes grüne Hälmchen sprossen und jede Ähre reifen macht; gib nur mit offenen Augen Acht, so wirst du den HERRN durchs Kornfeld wandeln sehen. Dass du Brot aus der Erde bringest. Beides, das Gras für das Vieh und das Getreide für den Menschen, ist Nahrung, die aus der Erde kommt, und sie zeigen uns einen Wunderrat Gottes, nach welchem der Staub unter unseren Füßen, der eher geeignet scheint, uns darin zu begraben als zur Erhaltung des Lebens zu dienen, tatsächlich in Lebenskraft für uns umgewandelt wird. Je mehr wir hierüber nachdenken, desto wunderbarer wird es uns erscheinen. Wie groß ist der Gott, der aus dem Todesstaub das sprossen lässt, was das Leben erhält, und aus dem verfluchten Erdboden die Segnungen des Korns, Weins und Öles hervorbringt!


Fußnote
2. So die engl. Übers. Wahrscheinlich ist aber V. 8a ein Zwischensatz: - Berge stiegen empor, es senkten sich Täler -, und wird erst in V. 8b der durch diese Parenthese unterbrochene Satz von V. 7 wieder aufgenommen: zum Ort, den du ihnen gegründet hast. Nur in diesem Schlussteil des Verses wären nach dieser Auffassung die Wasser wieder Subjekt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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15. Und dass der Wein erfreue des Menschen Herz. Mit Hilfe befruchtender Regenschauer bringt die Erde nicht nur die notwendigen Lebensbedürfnisse hervor, sondern auch gar manches, was streng genommen zum Überfluss gehört; das, was zu festlicher Freude dient, so gut wie das, was zum einfachen Mahl nötig ist. Wäre doch der Mensch weise genug, den rechten Gebrauch zu machen von der die Lebensgeister weckenden und erheiternden Frucht der Rebe! Aber ach, wie oft macht er sie sich gar schlecht zunutze und erniedrigt sich selbst dadurch! Den Schaden muss er selber tragen; wer sogar Segnungen sich zum Fluche macht, hat sein Elend verdient. Dass seine Gestalt schön werde vom Öl. Die Morgenländer gebrauchen das Öl mehr als wir und sind in dieser Hinsicht wahrscheinlich weiser. Sie haben eine Vorliebe für Salbungen mit wohlriechenden Ölen und betrachten das Glänzen des Angesichtes als ein hervorragendes Zeichen festlicher Freude. Gott verdient Dank und Preis für alle Erzeugnisse des Bodens; wir bekämen kein einziges, ließe er sie nicht wachsen. Und das Brot des Menschen Herz stärke. Man hat mehr Mut, wenn man sich satt gegessen hat; schon manches niedergeschlagene Gemüt ist durch ein gutes, kräftiges Mahl erquickt und neu belebt worden. Wir sollten Gott eben sowohl für ein starkes Herz wie für Kraft des Leibes preisen, wenn wir sie besitzen, da sie beide Gaben seiner Güte sind.

16. Die Bewässerung der Berge bringt nicht nur das Gras der Weidetriften und die von Menschen angebauten Gewächse hervor, sondern auch jene vornehmsten Arten des Pflanzenreiches, die nicht in den Bereich menschlicher Pflege fallen: die Bäume des HERRN, die größten, edelsten und königlichsten der Bäume, zugleich die, welche keinem Menschen gehören und von Menschenhand unberührt sind. Dass die Bäume des HERRN voll Saftes stehen, wörtlich: sich sättigen, so dass sie, wie die Zedern, voll Harzes werden, von Leben strotzen und das ganze Jahr grün sind. Die Zedern Libanons, die er gepflanzt hat. Sie wachsen, wo niemand je daran gedacht hat sie zu pflanzen, wo sie Jahrhunderte hindurch von keinem Sterblichen wahrgenommen wurden, und wo sie heute viel zu riesenhaft sind, als dass Menschenhand sie beschneiden könnte. Was würde unser Psalmdichter wohl zu etlichen der Bäume des Yosemitetales (in Kalifornien) gesagt haben? Wahrlich, die sind würdig, Bäume des HERRN genannt zu werden, wegen ihres turmhohen Wuchses und ungeheuren Umfangs. Da sehen wir die Macht und Allgenugsamkeit der göttlichen Fürsorge. Wenn Bäume, um die sich kein Mensch kümmert, doch so voll Saftes sind, so können wir des gewiss sein, dass Gottes Kinder, die durch den Glauben vom HERRN allein ihre Lebenskräfte ziehen, ebenso wohl werden erhalten bleiben. Da wir durch die Gnade gepflanzt sind und alles der Fürsorge unseres himmlischen Vaters verdanken, können wir dem Sturme Trotz bieten und der Furcht vor Dürre lachen; denn keinem, der auf den HERRN traut, wird es je an Wasser des Lebens mangeln.

17. Daselbst nisten die Vögel; der Storch, dessen Haus Zypressen sind. (Grundtext) Diesen Bäumen Gottes gebricht nicht nur nichts, sie gewähren vielmehr andern Geschöpfen noch Obdach; große und kleine Vögel bauen in ihren Zweigen ihre Nester. So bestreben sich diese Mächtigen, das, was sie von dem großen Herrn aller empfangen haben, wieder den schwächeren Geschöpfen zugute kommen zu lassen. Wie doch in dieser herrlichen Schöpfung eins ins andere greift, ein Glied das andere nach sich zieht! Der Regen bewässert die Bäume, und diese werden den Vögeln zum freundlichen Heim; so helfen die Gewitterwolken des Sperlings Haus bauen, und der herabströmende Regen erhält den lebendigen Pfeiler, auf dem des Storches Nest ruht. Beachten wir auch, wie alles seinen Zweck und Nutzen hat - das Geäst der Bäume bietet den Vöglein ein Heim, und wie allem Lebendigen die ihm nötige Bequemlichkeit zuteil wird - der Storch findet ein Haus in den Zypressen. Sein Nest wird ein Haus genannt, weil dieser Vogel gewisse häusliche Tugenden und Mutterliebe zeigt, wodurch seine Brut einer Familie vergleichbar wird. Ohne Zweifel hatte dieser alte Schriftsteller Storchennester auf Zypressen gesehen. Gewöhnlich bauen diese Vögel ja auf Häusern und Ruinen; man hat aber Zeugnisse dafür, dass sie in Waldgegenden auch mit hohen Bäumen fürlieb nehmen. - Ist der Leser je durch einen mächtigen Hochwald gegangen und hat er das Ehrfurchtsgefühl empfunden, das in dem erhabenen Dome der Natur das Herz überkommt? Dann wird er sich auch erinnern, wie ihm jedes Vöglein heilig vorkam, weil es inmitten solch geweihter Einsamkeit wohnte. Wer von Gott nichts sehen und hören kann, außer in gotischen Prachtbauten und bei dem Brausen der Orgel und den Stimmen von Sängern in Chorhemden,3 der ist freilich nicht imstande, jene Gefühle nachzuempfinden, mit denen der einfache, unverdorbene Sinn die Stimme Gottes hört, der unter den Bäumen wandelt.

18. Die hohen Berge sind der Gemsen (oder Steinböcke) Zuflucht und die Steinklüfte der Kaninchen (Grundt: Klippdachse). Allerorten wimmelt’s von Leben. Wir nennen unsere Städte volkreich; aber sind die Wälder und die hohen Hügel nicht noch dichter bevölkert mit Leben aller Art? Wir sprechen von unbewohnbaren Gegenden; aber wo sind sie? Der Steinbock springt, behend wie unsere Gemse, von Fels zu Fels, und der Klippdachs, ein dem Murmeltier unserer Alpen ähnliches Tier, hat seinen Bau unter dem Boden. Einem Geschöpf dient die Höhe der Berge zum Schutz, und einem andern die Höhlungen der Felsen. So ist die ganze Erde voll fröhlichen Lebens, jede Stätte hat ihren ihr angemessenen Bewohner, nichts ist leer und ungenützt. Seht, wie Steinböcke und Murmeltierchen, Störche und Sperlinge jeder in seinem Teil einen Vers zu dem Psalm der Natur beitragen; haben wir nicht auch unser Loblied dem HERRN zu singen? Ob wir an Bedeutung auch nur eine niedere Stufe einnehmen, lasst uns doch unsere Stelle ausfüllen und so den HERRN ehren, der uns zu einem bestimmten Zweck erschaffen hat.



19.
Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen;
die Sonne weiß ihren Niedergang.
20.
Du machst Finsternis, dass es Nacht wird;
da regen sich alle wilden Tiere;
21.
die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub
und ihre Speise suchen von Gott.
22.
Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon
und legen sich in ihre Höhlen.
23.
So geht dann der Mensch aus an seine Arbeit
und an sein Ackerwerk bis an den Abend.




19. Nun ist die den großen Lichtern zugewiesene Herrscherstellung das Thema des Lobpreises. Der Mond wird zuerst erwähnt, weil bei den Juden der bürgerliche Tag mit dem Abend begann. Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen. Nach dem Zunehmen und Abnehmen des Mondes wird das Jahr in Monate und Wochen geteilt, und dadurch wurde die genaue Feststellung der heiligen Zeiten ermöglicht. So ist die Leuchte der Nacht zu des Menschen Dienst bereitet, und dadurch, dass sich nach ihr, wie es bei den Israeliten üblich war, der Kreis der heiligen Versammlungen richtete, trat sie in Beziehung zu dem Edelsten, das der Mensch hat. Lasst uns die Bewegungen des Mondes nie als das unvermeidliche Ergebnis unbeseelter, unpersönlicher Naturgesetze betrachten, sondern als eine Einrichtung unseres Bundesgottes. Die Sonne weiß ihren Niedergang. In feiner dichterischer Bildersprache wird die Sonne hier dargestellt, als wisse sie, wann es Zeit ist, unseren Blicken zu entschwinden und unter den Horizont zu sinken. Sie tändelt nie unterwegs oder steht stille, als wäre sie unentschlossen, wann sie untergehen solle; obwohl sich die für ihren Untergang bestimmte Zeit fortwährend ändert, hält sie sie doch immer auf die Sekunde ein. Wir müssen des Morgens geweckt werden, sie steht alle Tage ohne Ausnahme pünktlich auf; und während gar manche auf die Uhr sehen müssen, um zu wissen, wann es Zeit ist zum Schlafengehen, zieht sie, die doch keinen Chronometer befragen kann, sich am westlichen Himmel genau in dem Augenblick, da die bestimmte Zeit gekommen ist, zurück. Für all das sollte der Mensch den Herrn der Sonne und des Mondes preisen, der diese großen Lichtträger uns zu Zeitmessern gesetzt hat und dadurch unsere Welt in Ordnung hält und uns vor alles zerrüttender Verwirrung bewahrt.

20. Du machst Finsternis, dass es Nacht wird. Er schließt uns die Fensterladen und richtet so unser Schlafzimmer her, damit wir schlummern können. Gäbe es keine Finsternis, wir würden danach sehnlich verlangen; müsste es uns doch viel schwerer fallen, Ruhe zu finden, wenn der ermüdende Tag nie in die stille Nacht versänke. Wir wollen Gottes Walten auch in dem Verbergen der Sonne erkennen und uns vor Dunkelheit, sei es in der Natur, sei es in den Führungen der Vorsehung, nie fürchten, denn der HERR macht sie beide. Da regen sich alle wilden Tiere. Nun beginnt für den Löwen der Tag, die Zeit, sich sein Wildbret zu erjagen. Warum sollten auch die wilden Tiere nicht ebenso gut wie der Mensch ihre Stunde haben? Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen; soll ihnen nicht auch ihr tägliches Brot zuteilwerden? Die Finsternis ist besser geeignet für die Bestien als für den Menschen, und diejenigen Menschen haben sehr tierische Art, die die Finsternis mehr lieben denn das Licht. Wenn die Düsternis der Unwissenheit über einem Volke liegt, dann nehmen aller Art Aberglauben, Grausamkeit und Laster überhand; das Evangelium aber befreit, wie der Sonnenaufgang, die Welt bald von den offenbaren Verheerungen dieser Ungeheuer, und sie suchen ihrer Art entsprechendere Wohnstätten. Wir mögen hieran den Wert wahren Lichtes ermessen; denn wir können uns darauf verlassen: wo Nacht ist, da gibt es auch wilde Tiere, die zu morden und zu verschlingen bereit sind.

21. Die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub und ihre Speise suchen von Gott. So verdolmetscht der Dichter ihr Gebrüll. Wem gilt dasselbe? Doch sicher nicht ihrer Beute, denn der schreckliche Ton dient vielmehr dazu, diese von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen und in die Flucht zu treiben. Die Raubtiere drücken mit ihrem Gebrüll in der ihnen eigenen Weise ihr Verlangen nach Speise aus, und dies Kundtun des Verlangens ist eine Art Gebet. Darauf ruht der Gedanke des Dichters, dass die wilden Tiere sich an ihren Schöpfer um Speise wenden. Jedoch weder beim Löwen noch beim Menschen tut’s das Suchen im Gebet allein; es muss das Suchen des eigenen Mühens dazukommen, und die Löwen wissen das gut genug. Um was sie in der ihnen eigenen Sprache gebeten haben, das gehen sie dann suchen; und darin sind sie viel klüger als gar manche Menschen, welche Gebete darbringen, die nicht halb so inbrünstig sind wie die der jungen Löwen, und dann die Mittel vernachlässigen, durch deren Anwendung sie den Gegenstand ihrer Bitten erlangen könnten. Nicht unter den Löwen sind die lügnerischen Beter zu finden, die wohl viel frommen Lärm machen, aber nie im Ernst suchen.
Wie tröstlich ist der Gedanke, dass der Geist das Brüllen des Löwen übersetzt und darin das Suchen der Speise von Gott findet! Dürfen wir nicht hoffen, dass unsere armseligen, gebrochenen Hilferufe und Seufzer, die wir in unseren Kummernächten selbst ein Heulen (Ps. 22,2; 32,3) nannten (das wir sonst doch nur von Tieren aussagen), von ihm auch wohl verstanden werden? Augenscheinlich achtet er mehr auf den Sinn als auf den Wohlklang unserer Gebete und gibt ihnen die beste Deutung.


Fußnote
3. Nach der Sitte der englischen Hochkirche.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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22. Wenn aber die Sonne aufgeht. Auf jeden Abend folgt ein Morgen, der Anbruch eines neuen Tages. Hätten wir es nicht schon so oft erlebt, wir würden das Wiederaufgehen der Sonne für das größte Wunder und die staunenswerteste Wohltat halten. Heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen. So sind sie dem Menschen aus dem Wege, und er trifft sie selten, es sei denn, er gehe darauf aus. Die Krieger des Waldes ziehen sich zurück, wenn die Morgentrommel sich hören lässt, und finden in den Schlupfwinkeln ihrer Höhlen das Dunkel, das ihnen zum Schlummern angenehm ist. Da legen sie sich hin und verdauen die genossene Speise, denn Gott hat auch ihnen ihr Teil an Ruhe und zufriedenem Wohlsein beschieden: Einen hat es gegeben, der in dieser Hinsicht ärmer daran war als selbst die Löwen und die Füchse, denn er hatte nicht, da er sein Haupt hinlege; für alle war gesorgt, nur nicht für den fleischgewordenen Versorger aller. Hochgelobter Herr, du hast dich unter die Lebensverhältnisse der wilden Tiere erniedrigt, um die noch unter das Tier gesunkenen Menschen zu heben!

Es ist überraschend, aus der Schilderung unseres Psalms zu ersehen, wie der HERR die wildesten Tiere müheloser beherrscht als der Hirt seine Schafe. Beim Einbruch der Dunkelheit trennen sie sich voneinander, und ein jedes von ihnen geht aus, um die Aufgabe der Barmherzigkeit zu erfüllen, die Leiden der schwachen und abgelebten unter den pflanzenfressenden Tieren zu endigen. Die jüngeren von diesen entkommen ihnen auf ihren flinken Beinen leicht, und die Übung tut ihnen gut. Meist werden nur diejenigen erhascht und getötet, für welche ein noch längeres Leben nur ein lang hingezogenes Leiden wäre. Insofern sind die Löwen Boten der Barmherzigkeit und werden von Gott ebenso ausgesandt wie der Jagdhund vom Menschen. Aber diese gewaltigen Jäger dürfen nicht allezeit auf der Fährte sein; sie müssen in ihre Höhlen zurückgesandt sein, wenn der Mensch auf der Bildfläche erscheint. Wer wird aber diese wilde Meute sammeln und einsperren, wer sie an die Kette legen und unschädlich machen? Die Sonne besorgt es. Sie ist der größte Löwenbändiger. Scheu wie Lämmer ziehen sie sich zurück und halten sich in ihren Schlupfwinkeln wie Gefangene, bis die wiederkehrende Dunkelheit sie aufs Neue hinausschweifen lässt. Durch welch schlichte und doch majestätische Mittel werden die göttlichen Zwecke erreicht! In derselben Weise sind die Dämonen unserem Herrn Jesu untertan; durch die bloße Verbreitung des vom Evangelium ausstrahlenden Lichtes werden sie, diese brüllenden Löwen der Hölle, aus der Welt vertrieben. Da braucht’s keine besonderen Wunder oder Anwendung von Gewaltmitteln; die Sonne der Gerechtigkeit geht auf - und alsbald verkriechen sich der Teufel und die falschen Götter, der Aberglaube und die Irrtümer der Menschen, alle miteinander, in die dunkeln Örter der Erde zu den Maulwürfen und Fledermäusen.

23. So geht dann der Mensch aus. Jetzt ist er an der Reihe, und der Sonnenaufgang hat alles für ihn bereit gemacht. Er verlässt sein warmes Bett und die Annehmlichkeiten seines Heims, um sein täglich Brot zu erwerben; diese Arbeit ist gut für ihn, sie hält ihn von vielem Unnützen ab und übt und bildet seine Fähigkeiten. An sein Werk und an seine Arbeit (wörtl.) bis an den Abend. Er geht aus nicht zu Spiel und Sport, sondern zum Wirken, nicht zum Zeitvertreib, sondern zu ernster Arbeit - wenigstens ist dies das Los des größten Teils der Menschheit. Wir sind geschaffen um zu wirken; darum ist Arbeit unsere Pflicht, und wir sollten nie darüber murren, dass es so eingerichtet ist. Immerhin sollte die Arbeitszeit nicht zu lang sein. Wenn die Arbeit so lange dauert, wie es im Durchschnitt Tag ist, so ist das sicher alles, was einer von seinen Mitmenschen verlangen kann. Und doch gibt es arme Geschöpfe, die so schlecht bezahlt werden, dass sie in zwölf Stunden nicht genug verdienen können, um sich den Hunger vom Leibe zu halten. Schmach über die, welche hilflosen Frauen und Kindern solche Lasten aufzulegen sich erdreisten! Auch Nachtarbeit sollte so viel wie möglich vermieden werden. Es sind zwölf Stunden, darinnen der Mensch arbeiten soll; die Nacht ist zum Ausruhen und Schlafen bestimmt.

Auch die Nacht hat also, so gut wie der Tag, ihren besonderen Lobgesang. Er ist sanfter und gedämpfter, aber darum nicht weniger wirkungsvoll. Der Mond gießt sein Licht über ein feierliches Schweigen der Andacht im Hochwald, durch den der Nachtwind leise seine "Lieder ohne Worte" haucht. Alle Augenblicke lassen sich bald hier bald da Töne hören, die, so schlicht sie uns am hellen Tage vorkämen, im Schatten der Nacht zauberhaft und Schauer einflößend rauschen, als machte die Nähe von geheimnisvoll Unbekanntem das Herz erbeben und als fühlten wir mehr denn sonst je die Gegenwart des Allerhabenen. Die Einbildungskraft wird erregt; der Unglaube empfindet die Stille und Feierlichkeit unheimlich, der Glaube hingegen blickt auf zum Sternenzelt über ihm und schaut himmlische Dinge umso klarer beim Fehlen des Sonnenlichtes, und die Anbetung neigt sich vor dem erhabenen Unsichtbaren. Geisterwesen halten die Nachtwache, und schon mancher Wanderer hat den Schauer ihrer Nähe in der Einsamkeit der von der Nacht bedeckten Natur empfunden. Auch Gott selbst ist überall draußen die ganze Nacht, und die Herrlichkeit, mit der er sich verhüllt, ist unserem Gefühl oft noch größer als die, in der er sich offenbart. Lobe den HERRN, meine Seele!

24.
HERR, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,und die Erde ist voll deiner Güter.
25.
Das Meer, das so groß und weit ist,
da wimmelt’s ohne Zahl,beide, große und kleine Tiere.
26.
Daselbst gehen die Schiffe.
da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie drinnen spielen.
27.
Es wartet alles auf dich,
dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit.
28.
Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie;
wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt.
29.
Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;
du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sieund werden wieder zu Staub.
30.
Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen,
und erneuerst die Gestalt der Erde.



24. HERR, wie sind deiner Werke so viel! (Grundtext) Sie sind nicht nur zahlreich, sondern auch mannigfaltig. Mineralien, Pflanzen, Tiere - welche Menge von Gebilden tritt bei diesen drei Namen vor unseren Geist. Nicht ihrer zwei, selbst von der nämlichen Art, sind einander genau gleich, und die Arten sind zahlreicher, als dass die Wissenschaft sie zählen könnte. Werke oben in den Himmeln und unten auf Erden; Werke, die Jahrtausende bestehen, Werke, die in einem Jahr zu ihrer Vollendung gelangen und wieder verschwinden, Werke, die mit all ihrer Schönheit nicht einen ganzen Tag durchleben; Werke in den Werken, und in diesen wiederum Werke - wer kann auch nur den tausendsten Teil aufzählen? Gott ist der erhabene Werkmeister, der sie wirkt und so mannigfaltig anordnet. Unsere Sache ist es, seine Werke zu erforschen, denn sie sind groß; wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran. (Ps. 111,2) - Das Reich der Gnade enthält so mannigfache und so große Werke wie das der Natur; aber nur die Auserwählten des Herrn nehmen sie wahr. Du hast sie alle weise geordnet oder wörtl. gemacht. Es sind alles seine Werke, gewirkt durch seine Kraft, und sie alle verkündigen seine Weisheit. Es war Weisheit, dass er sie schuf - keines könnte entbehrt werden; jedes Glied in der Kette der Natur ist von wesentlicher Bedeutung, die wilden Tiere so gut wie die Menschen, die Giftpflanzen ebenso wohl wie die wohlriechenden Kräuter. Und sie sind weise geordnet - jedes passt an seinen Platz, füllt ihn aus und findet in Erfüllung seiner Aufgabe sein Glück. Das All der Schöpfung, als ein Ganzes betrachtet, ist ein Kunstwerk voller Weisheit, und mag es auch mit Geheimnissen und Rätseln durchwoben und von Schrecknissen umschattet sein, es wirkt doch alles zum Guten zusammen und entspricht als ein vollständiges, harmonisches Meisterstück dem Endzweck des erhabenen Werkmeisters. Und die Erde ist voll deiner Güter. Sie ist nicht ein Armenhaus, sondern ein königliches Schloss; nicht eine kahle Ruine, sondern ein wohl gefülltes Vorratshaus. Der Schöpfer hat seinen Geschöpfen nicht eine Wohnstätte angewiesen, wo der Tisch ungedeckt und die Speisekammer leer ist; er hat die Erde mit Speise erfüllt, und nicht mit dem Notwendigen nur, sondern mit Schätzen aller Art, mit Leckerbissen und mannigfachen Genüssen, mit allerlei Schönheiten und Kostbarkeiten. Die Eingeweide der Erde bergen Minen von Edelmetallen und anderen Schätzen, und ihre Oberfläche trägt Ernten von reicher Fülle. Alle diese Güter gehören dem HERRN; wir sollten sie von Rechts wegen nicht unsere oder der Nationen, sondern des HERRN Reichtümer nennen: "Deine Güter". Nicht unter einem Himmelsstrich nur sind diese Güter zu finden, sondern in allen Landen; selbst das Eismeer hat seine Schätze, welche zu gewinnen Menschen viele Beschwerden erdulden, und die glühende Sonne des Äquators reift Erzeugnisse, welche den Speisen der ganzen Menschheit zur Würze dienen. Ist sein Haus hier unten schon so voller Güter, was muss erst sein Haus droben bergen, wo die Mauern von Jaspis erglänzen, die Paläste von lauterem Gold?

25. Da ist das Meer, groß und weit nach allen (wörtl.: beiden) Seiten. (Grundtext) Um ein Beispiel von der unermesslichen Zahl und Mannigfaltigkeit der Werke Jehovahs zu geben, weist der Psalmdichter auf das Meer hin. Sieh da, sagt er, den Ozean, nach rechts und links erstreckt er sich weithin und umschlingt so viele Länder, und auch er wimmelt von Leben und birgt in seinen Tiefen unberechenbare Schätze. Die Heiden sahen das Meer als ein besonderes Herrschaftsgebiet an, das sie unter Neptuns Zepter glaubten; wir aber wissen aufs allergewisseste, dass Jehovah über die Wogen gebietet. Da wimmelt’s ohne Zahl, beide, große und kleine Tiere. Die Zahl der winzigen Formen tierischen Lebens geht in der Tat über alle Berechnung; wenn eine einzige phosphoreszierende Welle Millionen von Infusorien birgt und um ein Stücklein Fels am Meeresgrund sich ganze Heere mikroskopischer Wesen sammeln, so vergeht uns jeder Gedanke daran, unsere Arithmetik da in Anwendung zu bringen. Das Meer scheint in vielen Gegenden lauter Leben zu sein, als wäre jeder Tropfen eine ganze Welt. Doch sind diese winzigen Geschöpfchen nicht die einzigen Bewohner des Meeres; es hat auch riesige Säugetiere, welche an Größe die des Festlandes übertreffen, und ein ungeheures Heer großer Fische, die durch die Wogen ziehen und sich in den Höhlen des Meeresgrundes verbergen, wie der Tiger im Dickicht lauert oder der Löwe die Ebene durchstreift. Wahrlich, HERR, du machst die See so reich an Werken deiner Hand wie das Festland.

26. Daselbst gehen die Schiffe, so dass der Ozean nicht durchaus von Menschen verlassen ist. Er ist im Gegenteil eine Hauptstraße der Völker und dient eher zur Verbindung als zur Trennung entfernter Länder. Da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie drinnen spielen. Der gewaltige Wal macht das Weltmeer zu seinem Tummelplatz und belustigt sich da, wie Gott es für ihn bestimmt hat. Der Gedanke an dies erstaunliche Geschöpf bewegt den Psalmisten zur Anbetung des mächtigen Schöpfers, der es erschaffen und für die ihm angewiesene Stätte so zubereitet hat, dass es sich da seines Daseins freut. Die alten Karten zeigen gewöhnlich ein Schiff und dazu einen Walfisch auf das Meer gemalt, woraus wir sehen, dass es höchst natürlich und zugleich poetisch ist, beide mit der Erwähnung des Ozeans zu verbinden.

27. Es wartet alles auf dich. Der Blick des Dichters geht nun wieder zu der Gesamtheit der lebenden Wesen über. Sie alle umringen dich, wie die Hühner die Tür der ländlichen Küche zur Fütterungszeit, und sehen erwartungsvoll zu dir auf. Menschen und Murmeltiere, Adler und Ameisen, Walfische und winzige Fischlein, sie alle vertrauen auf deine Fürsorge. Dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit, d. i. wann sie ihrer bedürfen und sie für sie bereitet ist. Gott hat für alles eine bestimmte Zeit; er füttert seine Geschöpfe nicht nach Willkür und Laune, sondern gibt ihnen ihr täglich Brot, und zwar in einer ihrem Bedürfnis entsprechenden Menge. Mehr sollte auch unser keiner erwarten; wenn selbst die unvernünftige Kreatur zufrieden ist mit dem, was sie zum Leben braucht, sollten wir nicht begehrlicher sein.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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28. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie. Gott gibt es, aber sie müssen es auflesen, und sie sind froh, dass er gibt, denn sonst wäre ihr Bemühen zu sammeln umsonst. Wir vergessen oft, dass die Tiere und Vögel bei ihrem freien Leben ebenso um ihr Brot arbeiten müssen wie wir; dabei bleibt es aber bei ihnen wie bei uns wahr, dass unser himmlischer Vater alle nährt. Wenn wir die Küchlein die Körner aufpicken sehen, welche die Hausfrau aus ihrer Schürze schüttelt, haben wir ein passendes Bild vor uns von der Art, wie Gott allem, was da lebt, das darreicht, was sie bedürfen: er gibt, und sie sammeln. Wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt. Hier schauen wir die göttliche Freigebigkeit, die mit ihrer offenen Hand bedürftige Geschöpfe versorgt, bis sie genug haben; wir sehen aber auch die göttliche Allmacht, die eine ganze Welt ernährt durch einfaches Öffnen der Hand. Was wollten wir machen, wenn diese Hand geschlossen bliebe? Gott brauchte nicht einen Schlag zu führen, das bloße Schließen seiner Hand würde den Hungertod herbeiführen. Lasst uns die offene Hand des Herrn preisen, dessen Vorsehung und Gnade uns mit zeitlichem und ewigem Gut sättigt.

29. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie. So abhängig sind alle lebendigen Wesen von Gottes Freundlichkeit und Güte, dass schon ein finsterer Blick des Allmächtigen sie mit Schrecken erfüllt, mit Angst durchbebt. So ist’s in der natürlichen Welt, und sicher nicht weniger in der geistlichen: wenn der HERR sein Angesicht verhüllt, geraten seine Heiligen in Zittern und Bestürzung. Du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Der Hauch unseres Atems scheint eine gar geringfügige Sache zu sein und die Luft eine ungreifbare Substanz von höchster Unbedeutenheit; aber werden sie uns nur einmal entzogen, so verliert der Körper alsbald alles Leben und zerfällt wieder zu Erde, davon er genommen ist. Alle irdischen Lebewesen stehen unter diesem Gesetz, und selbst die Meerbewohner sind davon nicht ausgenommen. So völlig hängt die ganze Natur von dem Willen des Ewigen ab! Beachten wir, dass nach unserem Vers das Sterben durch eine Tat Gottes verursacht wird: "Du nimmst weg ihren Odem". Wir sind unsterblich, bis er uns sterben heißt, und das gilt auch von den kleinen Sperlingen, deren keiner zur Erde fällt ohne unseren Vater. (Mt. 10,2)

30. Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und erneuerst die Gestalt der Erde. Das Entziehen ihres Odems bringt sie um, und durch des Ewigen Lebensodem wird ein neues Geschlecht geschaffen. Die Werke des HERRN sind von majestätischer Einfachheit und werden mit souveräner Leichtigkeit ausgeführt - eines Hauches nur bedarf es zur Schöpfung, und das Einziehen desselben bedeutet den Untergang. Wir wollen nicht übersehen, dass das Hebräische für Odem und Geist nur ein Wort hat. Übersetzen wir danach (mit der engl. Bibel): Du sendest aus deinen Geist, so werden sie geschaffen, so ist der Satz ebenfalls sehr lehrreich; denn wir sehen dann, wie der Geist Gottes in der Natur ebenso die Leben schaffende Kraft ist wie im Reich der Gnade. Bei der Sintflut wurde die Welt fast alles Lebendigen beraubt, aber wie bald füllte Gottes Allvermögen die öden Stätten wieder mit wimmelndem Leben! Im Winter fällt die Erde in einen tiefen Schlaf, in welchem sie alt und abgelebt aussieht; aber wie geschwind weckt der HERR sie wieder auf durch den Ruf des Lenzes und lässt sie aufs Neue die Schönheit ihrer Jugend anlegen. Du, o HERR, tust alles; Ehre sei deinem Namen!

31.
Die Ehre des HERRN ist ewig;
der HERR hat Wohlgefallen an seinen Werken.
32.
Er schaut die Erde an, so bebt sie;
er rührt die Berge an, so rauchen sie.
33.
Ich will dem HERRN singen mein Leben lang
und meinen Gott loben, solange ich bin.
34.
Meine Rede müsse ihm wohlgefallen.
Ich freue mich des HERRN.
35.
Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden,
und die Gottlosen nicht mehr sein.Lobe den HERRN, meine Seele! Hallelujah!



31. Die Ehre des HERRN ist ewig.4 Seine Werke mögen vergehen, nicht aber seine Herrlichkeit. Schon allein wegen dessen, was er bereits getan hat, verdient der HERR es, unaufhörlich gepriesen zu werden. Sein Wesen und Charakter bürgen dafür, dass er herrlich und ruhmwürdig sein würde, auch wenn alle seine Geschöpfe nicht mehr da wären. Der HERR hat Wohlgefallen an seinen Werken. Er freute sich dessen, was er gemacht hatte, als er ruhte am siebenten Tage und sah, dass alles sehr gut war; und in einem gewissen Grad tut er das noch da in der Natur, wo Schönheit und Reinheit den Fall überdauerten, und er wird sich freuen, und zwar viel vollkommener, wenn die Erde erneuert und der Schlange Spur ganz aus ihr vertilgt sein wird. Dieser Vers ist in frohester Begeisterung geschrieben. Des Dichters Herz ist freudig gehoben durch die Betrachtung der Werke des HERRN, und er fühlt, dass der Schöpfer selbst unaussprechliche Wonne empfunden haben muss in der Betätigung von soviel Weisheit, Güte und Macht.

32. Er schaut die Erde an, so bebt sie. Der HERR, der so gnadenvoll seine Macht in Taten und Werken der Güte geoffenbart hat, hätte uns auch, wenn es ihn gut gedeucht hätte, mit Schrecken des Verderbens zu Boden schmettern können; denn schon bei einem Blick seines Auges bebt die Erde vor Furcht in ihren Grundfesten. Er rührt die Berge an, so rauchen sie. Der Sinai war ganz in Rauch gehüllt, als der HERR auf ihn herabkam. Er rührte nur daran, aber das genügte, um den Berg in Flammen zu setzen. Auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. (Hebr. 12,29) Wehe denen, die seinen Zornblick herausfordern; sie werden verderben bei der Berührung seiner Hand. Wenn die Sünder nicht ganz unempfindlich wären, müsste ein Blick aus Gottes Auge sie zittern machen, und ihre Herzen würden, wenn Gottes Hand sie mit Trübsal anrührt, vor Schmerz der Buße brennen. Alles, was existiert, zeigt Spuren von Vernunft - nur nicht des Menschen fühlloses Herz!

33. Ich will dem HERRN singen mein Leben lang. Unaufhörlich will der Psalmist und wollen wir - und wir fügen hinzu hier und dort drüben - Gott preisen, denn mit diesem Gegenstand kommt man nie zu Ende, und er bleibt immer frisch und neu. Die Vöglein sangen Gottes Lob, ehe die Menschen geschaffen waren; aber die erlösten Menschen werden seinen Ruhm besingen, wenn die Vögel längst nicht mehr sind. Jehovah, der ewig lebt und uns das Leben gibt, soll ewiglich in den Liedern beseligter Menschen gepriesen und erhoben werden. Und meinen Gott loben, solange ich bin. Ein Entschluss, der sowohl den Sänger selbst glücklich macht, als auch zu Gottes Verherrlichung dient. Beachte die liebliche Bezeichnung: meinen Gott. Wir singen nie besser, als wenn wir uns bewusst sind, dass wir an dem Herrlichen, davon wir singen, selber Anteil haben und mit dem Gott, dem unser Lob erschallt, aufs engste verbunden sind.

34. Hier übersetzt die englische Bibel, indem sie die Wörter anders verbindet: Mein Sinnen über ihn wird lieblich sein - lieblich sowohl für ihn als für mich selbst. Mir wird es eine Wonne sein, so seine Werke zu überschauen und dabei an ihn selber zu denken, und er wird die Töne meines Lobgesangs gnädigst annehmen. Sinnende Betrachtung ist die Seele der Religion. Sie ist der Lebensbaum in der Mitte des Gartens der Frömmigkeit, und gar erfrischend ist seine Frucht der Seele, die davon isst. Und wie sie dem Menschen wohl tut, so ist sie auch dem HERRN angenehm. Wie das Fett der Opfer des HERRN Teil war, so gebühren unsre besten Betrachtungen ihm, dem Allerhöchsten, und sind ihm ein süßer Geruch. Darum sollten wir zu unserem eigenen Heil wie zur Ehre des HERRN uns viel mit stillem Sinnen beschäftigen, und dieses sollte vor allem bei ihm selbst verweilen, sollte Sinnen über ihn sein. Wo wir es daran fehlen lassen, geht uns viel von Lebensgemeinschaft mit dem HERRN und viel Herzensfreude verloren. - Nach dem Grundtext ist, fast mit Luther, zu übersetzen: Mein Sinnen (oder Dichten) müsse ihm wohlgefallen. Dies Gebetswort kann sich ebenso wohl auf den Psalm beziehen, zu dessen Schluss der Sänger nun eilt, wie auf den soeben kundgetanen Entschluss, dem HERRN zu singen sein Leben lang. Ich (meinesteils) freue mich des HERRN. Dem gläubig sinnenden Geiste bringt jeder Gedanke an Gott und über Gott eine Fülle von Freude. Jede einzelne der göttlichen Eigenschaften ist ein sprudelnder Quell der Wonne, seit wir in Christo Jesu mit Gott versöhnt sind.

35. Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden, und die Gottlosen nicht mehr sein. Sie sind der einzige Makel, der die Schöpfung entstellt. Fast hat der Dichter Recht, der sagt: "Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Ja heiliger Entrüstung möchte der Psalmist die Welt säubern von Wesen, die so niederträchtig sind, dass sie ihren gnädigen Schöpfer nicht lieben, und so blind, dass sie sich gegen ihren Wohltäter auflehnen. Was er erbittet, ist nur, was jeder gerecht denkende Mensch als das Ende der Weltgeschichte erwartet und begehrt; denn der Tag ist sehnlichst herbeizuwünschen, da in Gottes ganzem großem Reich nicht ein einziger Verräter und Empörer mehr übrig sein wird. Der Christ, der sein eigen Herz und Gottes Gnade noch tiefer kennen gelernt hat als der Sänger des Alten Bundes, wird seine Sehnsucht nach jenem Tage in der Bitte äußern, dass Gottes Gnade die Sünder zu Gotteskindern umwandle und die Gottlosen für die Wahrheit gewinne. Lobe den HERRN, meine Seele! Das ist der Schluss - was immer die Sünder tun mögen, stehe du, meine Seele, fest zu deinem Banner, sei deinem Beruf getreu! Ihr Schweigen darf dich nicht zum Schweigen bringen, muss vielmehr dich zu verdoppeltem Lobpreis anspornen, um das einzubringen, was sie versäumen. Doch du allein kannst das Werk nicht vollbringen; andere müssen dir dabei helfen. Ihr Heiligen des Höchsten, lobet den HERRN, lasst uns Ihm das Hallelujah singen ohne Ende. Himmlisches Wort! Mit ihm soll unser Psalm schließen, denn was könnte Höheres noch gesagt oder geschrieben werden? Hallelujah! Lobet den HERRN!


Fußnote
4. Die meisten Neueren fassen den Vers als Wunsch auf: Möge die Herrlichkeit (oder der Ruhm) des HERRN ewig währen; möge der HERR sich seiner Werke freuen. Wir halten aber an Luthers indikativischer Übersetzung fest. Auch nach Kautzsch (siehe Gesenius, Gramm. §167; 109) steht die Jussivform hier ohne Nebenbedeutung an Stelle des Impf. Vergl. auch z. B. Ps. 72,16.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


Zum ganzen Psalm. Dieser Psalm ist ein inspiriertes Oratorium der Schöpfung. Christ. Wordsworth 1868.

Der Psalm ist köstlich, lieblich und lehrreich; er lehrt uns die gesundeste Naturbetrachtung, diejenige nämlich, welche mit dem einen Auge die Werke Gottes, mit dem andern Gott selbst, ihren Schöpfer und Erhalter, bewundert. Th. Sanchez † 1610.

Es ist ein charakteristisches Zeichen der Naturpoesie der Hebräer, dass, als Reflex des Monotheismus, sie stets das Ganze des Weltalls in seiner Einheit umfasst, sowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt seltener bei dem einzelnen der Erscheinung, sondern erfreut sich der Anschauung großer Massen. Die Natur wird nicht geschildert als ein für sich Bestehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräischen Sänger erscheint sie immer in Beziehung auf eine höher waltende geistige Macht. Die Natur ist ihm ein Geschaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnenwelt. Deshalb ist die lyrische Dichtung der Hebräer schon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernst, sie ist trübe und sehnsuchtsvoll, wenn sie die irdischen Zustände der Menschheit berührt. Bemerkenswert ist auch noch, dass diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung fast nie maßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken, gefällt sie sich in Gleichnissen, die, fast rhythmisch, immer dieselben wiederkehren.

Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des Alten Bundes eine treue Abspiegelung des Landes, in welchem das Volk sich bewegt in der Abwechslung von Öde, Fruchtbarkeit und libanesischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klimas in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen.


Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, dass in dem einzigen 104. Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: Der HERR, mit Licht umhüllt, hat den Himmel wie einen Teppich ausgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, dass er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Täler, zu den Orten, die ihnen beschieden: dass sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüste Vögel singen unter dem Laube hervor. Saftvoll stehen des Ewigen Bäume, Libanons Zedern, die der HERR selbst gepflanzt, dass sich das Federwild dort niste, und auf den Tannen sein Gehäus der Habicht baue. Es wird beschrieben das Weltmeer, in dem es wimmelt von Leben ohne Zahl. Da wandeln die Schiffe, und es regt sich das Ungeheuer, das du schufst, darin zu scherzen. Es wird die Saat der Felder durch Menschenarbeit bestellt, der fröhliche Weinbau und die Pflege der Ölgärten geschildert. Die Himmelskörper geben diesem Naturbilde seine Vollendung. Der HERR schuf den Mond, die Zeiten einzuteilen, die Sonne, die das Ziel kennt ihrer Bahn. Es wird Nacht, da schwärmt Gewild umher. Nach Raube brüllen junge Löwen und verlangen Speise von Gott. Erscheint die Sonne, so heben sie sich davon und lagern sich in ihre Höhlen: dann geht der Mensch zu seiner Arbeit, zu seinem Tagewerk bis Abend.


Man erstaunt, in einer lyrischen Dichtung von so geringem Umfange, mit wenigen großen Zügen das Universum, Himmel und Erde geschildert zu sehen. Dem bewegten Elementarleben der Natur ist hier des Menschen stilles, mühevolles Treiben vom Aufgang der Sonne bis zum Schluss des Tagewerk am Abend entgegengestellt. Dieser Kontrast, diese Allgemeinheit der Auffassung in der Wechselwirkung der Erscheinungen, dieser Rückblick auf die allgegenwärtige unsichtbare Macht, welche die Erde verjüngen oder in Staub zertrümmern kann, begründen das Feierliche einer minder lebenswarmen und gemütlichen als erhaben poetischen Dichtung. - Ähnliche Ansichten des Kosmos kehren mehrmals wieder (Ps. 65,7-14; 74,15-17), am vollendetsten vielleicht in dem Kapitel 37 des Buches Hiob - Kosmos von Alex. von Humboldt 1847.

Dieses Gemälde ist allerdings nur mit wenigen, großen Zügen gezeichnet; aber wie kraftvoll und erhaben sind diese! So, wenn es von Gott heißt, er hülle sich in Licht wie in ein Gewand und wandle auf den Fittichen des Windes. Oder von den Winden und Blitzen: sie sind seine Boten und Diener. "Haltet uns nicht auf", sagen sie gleichsam, "des Königs Befehl hat Eile." Und die Wasser? Der Dichter zeigt sie uns erst als die ganze Erde bedeckende Flut, und dann, wie sie jetzt in ihren Grenzen eingeschlossen sind, um nie wieder alles verheerend hervorzubrechen. Auch an die Quellbäche führt er uns hin, wie sie zwischen den Bergen hinfließen, die einsamen Geschöpfe der Wildnis tränken, dem Gezweige Nahrung geben, in welchem die Vöglein singen, dem Grase der Triften, auf denen das Vieh weidet, und den Gemüsepflanzen, dem Getreide, dem Ölbaum und dem Weinstock, die dem Menschen den Hunger stillen, sein Herz erheitern und sein Gesicht glänzen machen. Dann streift er mit kühnem Fluge allerlei Erhabenes in der Natur, die Bäume des HERRN auf dem Libanon, die voll Saftes stehen, die Zedern und Zypressen, mit den Störchen darauf, die hohen Gebirge mit den Steinböcken und die Felsen mit den Murmeltieren. Dann schwingt er sich zu den Himmelskörpern, zu Sonne und Mond empor, um bald darauf wieder hienieden zu schweben, in dem Dunkel der Nacht, das nicht vor Ihm, dem Allnahen, birgt. Da hört er die Tiere des Waldes hervorschlüpfen, um ihre Beute zu suchen, und vernimmt das Gebrüll des Löwen zu Gott um Speise, das auf den Fittichen der Mitternacht emporgetragen wird. Darauf sieht er die Schatten der Nacht und die wilden Tiere zugleich in wetteifernder Hast vor der Morgensonne fliehen und alsbald den Menschen im Licht der Sonne als den Strahlen der göttlichen Güte starken, ruhigen Mutes an seine Arbeit eilen, und ruft darob aus: HERR, wie sind deiner Werke so viel! Du hast sie alle weise geordnet! Nun schaut er auf den Ozean - auf die Schiffe, die dort ihre Bahn ziehen, und den Leviatan, der daselbst spielt, und sein Blick dringt dann in die Tiefe zu den unzähligen Geschöpfen, groß und klein, die das Wasser bedeckt.


Er sieht sodann, wie alle Wesen, welche Erde und Meer bevölkern, um den Tisch ihres göttlichen Herrn versammelt auf Speise warten, und nicht vergeblich - bis er sein Antlitz verbirgt und sie in Bestürzung geraten, sterben und in Chaos und Nacht verschwinden. Darauf erstrahlt vor dem Auge des Psalmisten die große Auferstehung der Natur und des Menschen. "Du entsendest deinen Odem, so werden sie geschaffen, und erneuerst die Gestalt der Erde." Aber eine noch erhabenere Wahrheit folgt und bildet den Gipfel des Psalms (eine Wahrheit, die v. Humboldt bei aller Bewunderung der Dichtung nicht wahrgenommen hat und die doch dem Ganzen eine christliche Färbung gibt): "Der HERR freut sich" oder (engl. Bibel) "wird sich freuen seiner Werke". Er, Gott, hat einen noch vollkommeneren Kosmos im Plan. Er wird die Sünder und die Sünde aus diesem ohne sie so schönen Weltall vertilgen; dann wenn der Mensch ganz seiner Wohnstätte würdig ist, wird Gott sowohl von der Erde als von ihrem Herrn, dem Menschen, mit noch größerem Nachdruck, als da er es zum ersten Mal sprach, und mit noch wärmerem und sanfterem Leuchten seines Vaterangesichtes sagen: Siehe, es ist alles sehr gut. Mit einem Aufruf zur Lobpreisung schließt der Psalmist diese fast seraphische Variation über die Werke der Schöpfung, die Herrlichkeit Gottes und die Zukunftshoffnungen des Menschen. Nicht nur die Einheit des Kosmos hat er darin dargestellt, sondern auch die mit dem Fortschritt des Menschen parallel laufende Entwicklung desselben - seine völlige Abhängigkeit von dem einen unendlichen Geist, der durch die Entwicklung des Ganzen laufende, gleichsam wachsende Zweck des Weltalls und seine schließliche Reinigung, wenn die Welt sich zu ihrer herrlichen Blüte, dem neuen Himmel und der neuen Erde, darinnen Gerechtigkeit wohnt, entfalten wird. Dies ist der eigentliche Schlussgedanke und die größte Schönheit des 104. Psalms. George Gilfillan † 1878.

Lob Gottes aus seinen Werken, mit anmutigen Schilderungen der Schöpfung und Natur wie der sie belebenden Geschöpfe. Es ist ein poetischer Kommentar der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1); und zwar nicht nur im Allgemeinen, hinsichtlich der Grundgedanken und Hauptteile, sondern ganz nach dem Leitfaden unsrer Schöpfungsgeschichte und ihrer Tagewerke. - Auf die eigentliche Schöpfungs-Geschichte ist nur in einigen Schöpfungswerken, besonders der Erde V. 5 ff., zurückgesehen (in historischen Zeiten); alles andere als fortgehende Tätigkeit Gottes und Gegenwart geschildert. Diese Anlage des Gemäldes auf solcher Grundlage - mit echt dichterischer Freiheit in Benutzung derselben, sowohl in der Übertragung auf die Gegenwart als in der Verknüpfung der einzelnen Teile - ist ein wahres Meisterstück, das schon Amyraldus († 1664) bewundert und allen Oden der Griechen und Lateiner vorzieht. Aber auch in der hebräischen Poesie ist weniges, was diesem Psalm an festem Umriss und Feinheit der Übergänge, wie andererseits an warmem Mitgefühl für die Natur und alle ihre Geschöpfe und an lieblichen Bildern gleichkäme. Prof. H. Hupfeld 1862.

Dieser Psalm ist in seiner ganzen Länge ein Lied der Natur, Anbetung Gottes in dem großen Tempel des Weltalls. Manche haben es in diesen neueren Zeiten für ein Zeichen hohen geistlichen Sinnes gehalten, die Natur nie zu beachten, und ich erinnere mich, mit Leidwesen die Äußerungen eines gottesfürchtigen Mannes gelesen zu haben, der, als er einen der berühmtesten Ströme der Welt hinuntersegelte, seine Augen schloss, damit die malerischen Schönheiten der Gegend seine Seele nicht von biblischen Gegenständen abziehen sollten! Dies mag von einigen als tief geistliche Gesinnung betrachtet werden; mich dünkt es nach Absurdität zu schmecken. Es mag Leute geben, die meinen, in der Gnade gewachsen zu sein, wenn sie es so weit gebracht haben; mir scheint eher, dass sie aus der gesunden Vernunft herauswachsen. Das Schöpfungswerk Gottes zu verachten, was ist dies anders, als in gewissem Maße Gott selbst verachten? Gering von Gott als Schöpfer denken ist ein Verbrechen. Niemand von uns würde es für eine große Ehre halten, wenn unsre Freunde unsere Werke der Bewunderung unwert oder für ihr Gemüt mehr schädlich als nützlich hielten. David sagt uns: Der HERR freut sich seiner Werke (V. 31). Wenn Er sich an dem freut, was er gemacht hat, sollen nicht die, welche Gemeinschaft mit ihm haben, sich auch an seinen Werken freuen? Verachte nicht das Werk, damit du nicht den Werkmeister verachtest. Das Mönchtum war das Bekenntnis einer Schwäche, die sich mit dem edlen Schein der Demut und dem Vorgeben höherer Heiligkeit zu bedecken suchte. Es kann nicht sein, dass die Natur an sich mich erniedrigt oder von Gott abzieht; ich sollte etwas Fehlerhaftes in mir selber argwöhnen, wenn ich finde, dass des Schöpfers Werke keine gute Wirkung auf meine Seele haben. Überdies seid gewiss, Brüder, dass der, welcher die Bibel schrieb, die zweite und klarste Offenbarung seines göttlichen Geistes, auch das erste Buch geschrieben, das Buch der Natur; und wer sind wir, dass wir den Wert des ersten herabsetzen sollten, weil wir das zweite schätzen? Gott hat nicht, wie die Menschen, geringere Erzeugnisse; alle seine Werke sind Meisterwerke. Es ist kein Streit zwischen der Natur und der Offenbarung, nur Toren meinen das. Für die Weisen erklärt und bestätigt die eine die andere. Wenn ich abends auf den Feldern gehe wie Isaak (1. Mose 24,63), sehe ich in der reifenden Ernte denselben Gott, von dem ich in dem Worte lese, dass er den Bund machte, Saat und Ernte sollten nicht aufhören. Wenn ich den mitternächtlichen Himmel betrachte, gedenke ich an ihn, der, wie er die Sterne bei Namen ruft, auch die zerbrochenen Herzen verbindet. Wer will, mag das Buch der Schöpfung vernachlässigen oder das der Offenbarung; ich werde meine Freude an beiden haben, so lange ich lebe. - Hauspostille, Predigten von C. H. Spurgeon 1871.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte


V. 1. Wie voll Ehrfurcht und heiliger Scheu beginnt der Psalmist seine Betrachtung mit dem Bekenntnis: HERR, mein Gott, du bist sehr groß! und es ist die Freude der Heiligen, dass der, welcher ihr Gott ist, ein großer Gott ist: die Erhabenheit des Fürsten ist der Stolz und die Freude aller seiner treuen Untertanen. Matthew Henry † 1714.

V. 1-4. Jede erschaffene, erlöste und wiedergeborene Seele ist verbunden, den HERRN, dem wir unsere Erschaffung, Erlösung und Heiligung verdanken, dafür zu preisen, dass Gott der Sohn, der im Anfang die Welten gemacht hat und dessen Gnade stets geschäftig ist, durch die Wirkungen des Heiligen Geistes sein Werk zum vollen Ziele zu führen, uns in seiner Herrlichkeit geoffenbart worden ist. Er hat sich als der ewige Hohepriester mit dem Schmuck seiner Majestät und Hoheit angetan, er hat sich in Licht gehüllt, wie der Priester in seine heiligen Kleider - seine Klarheit auf dem Berge der Verklärung war nur ein vorübergehender Schimmer von dem, was er jetzt ist, immer war und ewig sein wird. Er ist das wahrhaftige Licht; darum sind seine Engel Engel des Lichts, seine Kinder Kinder des Lichts, seine Lehre die Lehre des Lichts. Das Weltall ist sein Zelt; die Himmel, der sichtbare und der unsichtbare, die Vorhänge, welche sein Allerheiligsten verhüllen. Er hat die Balken und Grundfesten seines Allerheiligsten hoch droben gelegt, selbst über den Wassern, die über dem Firmament sind. Die Wolken und Winde des niederen Himmels sind sein Wagen, auf welchem er stand, als er vom Ölberg auffuhr, und auf welchem er sitzen wird, wenn er wiederkommt. Plain Comentary 1859.

V. 2. Der sich in Licht hüllt wie in ein Gewand. (Grundtext) Indem er das Licht, mit dem bekleidet er Gott darstellt, mit einem Gewand vergleicht, deutet er an, dass, obwohl Gott unsichtbar ist, doch seine Herrlichkeit sichtbar genug ist. In Betreff seines Wesens wohnt Gott unzweifelhaft in einem Lichte, da niemand zukommen kann (1. Tim. 6,16); aber da er die ganze Welt durch seinen Herrlichkeitsglanz erleuchtet, ist dieser das Gewand, in welchem er, der an sich verborgen ist, sich in einer uns sichtbaren Weise zeigt. Die Erkenntnis dieser Wahrheit ist von großer Wichtigkeit. Wenn Menschen es versuchen, die unendliche Höhe, in welcher Gott wohnt, zu erreichen, so müssen sie, ob sie auch über die Wolken flögen, doch mitten in ihrem Fluge erlahmen und umkommen. Wer ihn in seiner unverhüllten Majestät zu sehen begehrt, ist sicherlich sehr töricht. Damit wir uns seines Anblicks erfreuen können, muss er sich mit seinem Gewand angetan zeigen; das will sagen, wir müssen unsere Blicke auf das wunderschöne Weltgebäude richten, in welchem er von uns gesehen sein will, und dürfen nicht zu neugierig und vorwitzig in sein geheimes Wesen eindringen. Da nun aber Gott sich uns mit Licht bekleidet darstellt, können diejenigen, welche dafür Vorwände suchen, dass sie ohne seine Erkenntnis dahinleben, sich nicht zur Entschuldigung ihrer Trägheit darauf berufen, dass er in tiefem Dunkel verborgen sei. Wenn es sodann heißt, dass er die Himmel wie ein Zelttuch ausspanne, so ist damit nicht gemeint, dass Gott sich dahinter verberge, sondern dass durch sie seine Majestät und Herrlichkeit sich entfalte, indem sie gleichsam sein königlicher Pavillon sind. Jean Calvin † 1564.

Licht. Das erste, was Gott in den Tagwerken der Schöpfung erschaffen hat, war das sinnlich wahrnehmbare Licht, das letzte das Licht der Vernunft; und sein Sabbatwerk, das immer seither fortgeht, ist die Erleuchtung durch den Geist. Franz Baco v. Verulam † 1626.

Du breitest die Himmel aus wie einen Vorhang. Es ist in den östlichen Ländern im Sommer, besonders bei allen Gelegenheiten, wo eine große Gesellschaft empfangen werden soll, üblich, den Hof des Hauses mit einer Decke, welche an Stricken von der einen zu der andern Seite der einschließenden Mauern hängt und nach Belieben zusammengerollt oder auseinander gezogen werden kann, vor der Hitze zu schützen. Vielleicht weist das Bild des Psalmisten auf etwas Ähnliches hin. John Kitto † 1854.

Wie einen Teppich oder ein Zelttuch. Weil die Hebräer sich den Himmel als Tempel und Palast Gottes vorstellten, war der azurne Himmel zugleich der Fußteppich seiner und das Dach unserer Wohnung. Doch scheint mir, dass die Zeltbewohner stets das Bild des Himmelszeltes am liebsten gehabt haben. Sie stellen sich Gott vor, wie er es täglich ausspanne und es am äußersten Horizont an den Säulen des Himmels, den Bergen, befestige; es ist ihnen ein Zelt der Sicherheit, der Ruhe und väterlicher Gastfreundschaft, in welcher Gott mit seinen Geschöpfen lebt. - Nach Joh. Gottfried v. Herder † 1803.

V. 3. Der in Wasser seine Gemächer droben bälkt. (Grundtext) Wenn Balken nicht gediegen und stark sind, sind sie nicht einmal imstande, das Gewicht eines gewöhnlichen Hauses zu tragen. Wenn daher Gott die Wasser zur Grundlage seines himmlischen Palastes macht, wer müsste nicht über einem solchen Wunder erstaunen? Wenn wir unsere Schwerfälligkeit im Verstehen dabei in Anschlag bringen, sind solche absichtlich starken bildlichen Ausdrücke keineswegs überflüssig; denn selbst ihnen gelingt es nur mit Mühe, uns aufzuwecken und zu einiger Erkenntnis Gottes zu bringen. Jean Calvin † 1564.

Sein Obergemach - und in dieses pflegte der Morgenländer sich zurückzuziehen, wenn er die Einsamkeit suchte - ist in dem lichten Äther auf dem leichten Grunde der Regenwolken (Ps. 148,4) gebaut. Prof. August Tholuck 1856.

Der auf den Fittichen des Windes wandelt. In diesen Worten ist eine Feinheit, die ihresgleichen sucht; nicht: er fliegt oder rennt, sondern: er wandelt, und das auf den Fittichen des Windes, auf dem ungestümsten Element, das mit unglaublicher Geschwindigkeit einherfährt. Wir können kaum ein erhabeneres Gleichnis von Gott haben: in feierlicher, heiterer Ruhe wandelt er auf einem Element von unfassbarer Schnelligkeit und, wie es uns scheint, ganz unbezähmbarem Ungestüm! James Hervey † 1758.

V. 4. Der du machst deine Engel zu Winden, oder, wie einige es auffassen, wie Winde, denen sie vergleichbar sind an unsichtbarer und doch alles durchdringender (vergl. Apg. 12,6-10) und alle irdische Kraft weit überragender (Ps. 103,20) Kraft, sowie an Schnelligkeit im Gehorsam gegen die göttlichen Befehle (Ps. 103,20). D John Gill † 1771.

Wenn die Septuaginta in V. 3 den doppelten Akkusativ ObWkr: Mybi(f M$Ifha durch o(vtiqei`j ne/fh th`n e)pi/basin au)tou= übersetzen, so ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht V. 4 fortfahren sollten: Der da macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu brennendem Feuer. Ob dies einen Sinn, und zwar auch im Grundtext gibt, ist eben zu untersuchen. Wir möchten hier an die Seraphim (Jes. 6) erinnern, die einerseits flammende Gestalten, andererseits mit drei Flügelpaaren versehen waren. Da haben wir eine deutlich redende Symbolik. die schon das Targum erkannte. (Qui facit nuntios suos veloces sicut ventum, ministros suos fortes sicut ignem flammantem.) Die Flammengestalt zeugt von dem starken Feuereifer, den sie im Dienste Jehovahs an den Tag legen; die Flügel bezeichnen die Schnelligkeit. Bei den Theophanien (Gotteserscheinungen) sind Feuerschein und Sturm die begleitenden Momente; siehe 5. Mose 33,2; Ps. 50,3 (Feuer fraß um ihn her, und rings um ihn her stürmte es sehr). Ebenso wirken 1. Könige 19,11.12 Wind und Feuer zusammen als Vorboten der Ankunft Gottes. 2. Könige 2,11 wirken auch Feuer und Sturmwind zusammen, um Elia in den Himmel aufzunehmen; Ewald lässt hier die Cherube tätig sein. Thenius versteht unter Cherubim die vor Gottes Majestät anbetenden engelhaften, an Gottes Macht im Sturmgewitter erinnernden Hüter des in der Lade zu wahrenden Gesetzesschatzes. Die Engel nun, die in Feuer und Sturm sich kleiden, führen nach Ps. 103,20 ff. Gottes Wort und Wohlgefallen aus. Übrigens ist die Erwähnung der Engel in unserer Psalmstelle (104,4) ganz passend: Gott, der König des Alls, erscheint in den himmlischen Regionen nicht ohne seine Trabanten, von denen berichtet wird, in welcher Weise sie auf Erden wirken. Prof. Ed. Böhl 1878.

Er macht zu seinen Engeln (Boten) Winde, zu seinen Dienern flammend Feuer. In diesem Vers wird die herrliche Dienerschaft Gottes geschildert: Winde und flammend Feuer, wie es aus den Wolken (V. 3) herabfährt, Blitze, vergl. Ps. 105,32. Das: zu seinen Boten steht voran, wegen des Gegensatzes gegen den Wagen und die Obersäle Gottes V. 3. Durch diese Abweichung von der gewöhnlichen Anordnung ist die Erklärung hervorgerufen worden: Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen, gegen welche entscheidet, dass wir es hier nur mit der sichtbaren Herrlichkeit Gottes zu tun haben, in Anschluss an 1. Mose 1, das sich überall nur mit der materiellen Schöpfung Gottes beschäftigt; dass wir hier speziell bei dem zweiten Tagewerke stehen, auf das sich alles von der zweiten Hälfte von V. 2-5 bezieht; dass zu dem materiellen Gewande, Schlosse und Gefähr Gottes auch nur materielle Diener passen; endlich die Parallelstellen Ps. 105,32; 148,8: Preiset den HERRN, Feuer und Hagel, Schnee und Rauch, Sturmwind, der sein Wort tut. Das Zitat Hebr. 1,7 (nach den LXX) darf nicht zu dieser falschen Erklärung verleiten. Auch nach unserer Auffassung dient die Stelle dem Zweck des Verfassers des Hebräerbriefs. Denn eine Erniedrigung für die Boten Gottes im engeren Sinne, die schlechthin so genannten, liegt darin, dass die bloßen Naturkräfte ihnen beigesellt und mit ihrem Namen bezeichnet werden. Das noscitur ex socio (dass man am Genossen erkannt wird) gilt auch hier. Wer solche Genossen. hat, kann in keiner Weise dem Herrn der Herrlichkeit gleichgestellt werden. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

V. 5. Dass sie immer und ewiglich nicht wankt. (Wörtl.) Die Stabilität der Erde ist von Gott so gut wie ihr Dasein. Wohl sind viele Erdbeben an manchen Orten gewesen, aber der Erdkörper als ganzer ist nie auch nur um Haaresbreite von seiner Stätte bewegt worden seit Grundlegung der Welt. Der HERR kann die Erde zittern und beben machen, er kann sie bewegen, wann und wie er will; aber er wird sie nicht aus ihrer Stelle im Weltall rücken, solange die ihr bestimmte Zeit dauert. Joseph Caryl † 1673.

Die naturwissenschaftliche Weise, diese Wahrheit darzulegen, mag aus folgender Probe ersehen werden:
Wie kommt es doch, dass wir, wiewohl wir durch die Umdrehung der Erde mit ungeheurer Schnelligkeit fortbewegt werden, selber unsre Bewegung nicht wahrnehmen? Es kommt daher, dass das Ganze, die Erde samt Dunstkreis und Wolken. an der Bewegung teil hat. Diese Schnelligkeit, mit welcher alle auf dem Erdball befindlichen Körper bewegt werden, würde die Ursache der schrecklichsten, alles erfassenden Katastrophe werden, die sich nur denken lässt, wenn die Umdrehung der Erde durch irgendeinen Zufall plötzlich zum Stillstand käme. Ein solches Ereignis würde der Vorläufer der völligen Vernichtung aller organischen Wesen sein. Aber die Beständigkeit der Naturgesetze erlaubt uns, über eine solche Katastrophe ohne Furcht, dass sie eintreten könnte, nachzudenken. Es ist bewiesen, dass die Lage der Umdrehungspole der Erde unveränderlich ist. Man hat auch gefragt, ob die Schnelligkeit der Umdrehung der Erde oder, was auf dasselbe hinauskommt, die Länge des siderischen Tages und des von ihm abgeleiteten Sonnentages sich im Laufe der geschichtlichen Zeit verändert habe. Laplace hat darauf geantwortet, und seine Beweisführung zeigt, dass sie während der letzten zwei Jahrtausende sich nicht um den hundertsten Teil einer Sekunde geändert hat. Amédée Guillemin 1866.


V. 7. Aber von deinem Schelten flohen sie. Bei diesen Worten kommt uns in den Sinn, wie bei Virgil Neptun die Winde strenge schilt, weil sie sich erdreisten, ohne seine Erlaubnis Himmel und Erde zu erschüttern und solch gewaltige Wogen zu erregen; dann beruhigt er, schneller als das Wort gesprochen ist, die hochgehende See, zerstreut die Ansammlung der Wolken und bringt die Sonne wieder. Joh. Lorinus † 1634.

Aber von deinem Schelten flohen sie usw.: wie ein Diener, wenn sein Herr ihn mit strengen Blicken misst und mit gebietender, scheltender Stimme anredet, eilends von ihm geht, um zu tun, was sein Herr geboten. Mit solch gewaltiger Macht sandte Gott die Wasser der Sintflut hinweg, als sie die Erde bis zu den Spitzen der Berge bedeckten; er schalt das Schilfmeer, und es ward zu trockenem Land; er trieb die Wasser des Jordan zurück, dass die Israeliten hinübergehen konnten. So bedräuete auch Christus das galiläische Meer, als seine Jünger Not litten von den Wellen. Und mit gleicher Leichtigkeit treibt er die Fluten der Sünde und Finsternis von den Menschen hinweg bei ihrer Bekehrung, schilt den Satan und errettet uns aus seinen Versuchungen, wenn sie wie Fluten über uns kommen, und gebietet den Wassern der Trübsal, die uns zu überwältigen drohen, dass sie weichen. Diese alle sind seine Diener; sie kommen, wenn er ihnen zu kommen befiehlt, und gehen, wenn er es sie heißt. John Gill † 1771.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 7.8.Gott sprach: Nun sammelt euch ihr Wasser all
In einem Raum, und zeuget festes Land!
Im Nu erschienen ungeheure Berge
Und reckten ihre breiten kahlen Nacken
Zum Wolkenreich, die Gipfel stießen hoch
Am Himmel an; so hoch Gebirge sich
Erhob, so tief versank der hohle Boden
Als Bett der Wasser; dahin fluten sie
In froher Hast, wie Tropfen sich im Staube
Zusammenballen. Einige stiegen auf
Als Mauern von Kristall, als schlanke Säulen,
Denn Eile hatte das Gebot des HERRN
Den Fluten aufgedrungen; wie ein Heer
(Du hörtest ja von Heeren) auf den Ruf
Der Kriegstrompeten sich zur Fahne sammelt,
So eilt der Wasser Schwall in Wogen an,
Und Well’ auf Welle, wo sie Wege fanden.
Von Klippen stürzten rasend sie herab,
Auf ober’m Pfade glitten sie gemach.
Kein Fels und Berg bot ihnen Widerstand,
Die Wasser fanden drunter ihre Bahn.
Und schossen teils in Schlangenwindung fort,
Teils gruben Furchen sie in feuchten Schlamm,
Denn Gott ließ noch des Bodens Grund nicht trocknen,
Der innerhalb der Ufer, wo die Ströme
Fortfluten und die nassen Pfade ziehn.
Und Erde nannte Gott das trockne Land,
Und den Behälter aller Wasser: Meer!
Und sah, dass gut es war. -
Verlorenes Paradies VII, John Milton † 1674.

V. 9. Du hast eine Grenze gesetzt usw. Das Meer hat ja zu unserer Zeit große Striche Landes überschwemmt und den Flamländern und ihren Nachbarn großen Schaden zugefügt.5 Durch solche Ereignisse werden wir gewarnt, was die Folgen davon sein würden, wenn die Beschränkung, welche der See durch Gottes Hand auferlegt ist, hinweggenommen würde. Warum anders sind nicht wir alle miteinander von ihr verschlungen worden, als weil Gott das ungestüme Element durch sein Wort im Zaume hielt? Kurz, wiewohl es die natürliche Neigung des Wassers ist, die Erde zu bedecken, wird das doch nicht geschehen, weil Gott durch sein Wort ein entgegen wirkendes Gesetz aufgerichtet hat; und da seine Wahrheit ewig ist, muss das Gesetz festbleiben. Jean Calvin † 1564.

Manche Herrscher haben große Macht am Meer und auf dem Meere gehabt; aber nie hat es einen Fürsten gegeben, der über das Meer irgendwelche Macht besessen hätte. Das ist ein Edelstein, der keiner andern Krone als der des Himmels gehört. Joseph Caryl † 1673.

Wenn die große Flutwoge des Ozeans, die sich rings um die Erde erhebt, nur einige wenige Fuß höher schwellen dürfte, würde sie unzählige Städte und Länder verwüsten. Aber mit welcher Genauigkeit hat Gott die Grenzen der Flut festgesetzt! Sieh dort jenen Strauch, jene Blume auf dem grünen Rande der Klippen; oder merke dir diese Kiesel hier am Ufer, du magst Sommerfäden als Zeichen darauf legen - und siehe, das unermessliche, ungestüme, unzähmbare Element wird es verstehen, mit seinem spritzenden Schaum eine Linie von Feuchtigkeit genau bis an den Rand oder bis zu dem Punkte, den du angemerkt hast, zu zeichnen und dann seine Kräfte zurückzuziehen, ohne auch nur einen Zoll oder eine Hand breit über die bestimmte Grenze zu gehen. Und wie wunderbar ist es, dieses genaue Maßhalten, diese haarscharfe Beschränkung eben an der Bewegung der See zu beobachten, jener geheimnisvollen Macht, die sich in unmessbare Tiefen des Raumes gestürzt hat und solch himmelhohe Wogen auftürmt! einer Macht, so ungeheuer und unheilschwanger, so unwiderstehlich und doch wiederum wie fein und zart in ihrem Walten, mit welch peinlicher Genauigkeit bemessen und ausgeübt! George B. Cheever 1852.

V. 10. Du lässest Brunnen quellen in den Gründen. Je mehr Demut, je mehr Gnade: wo in den Tälern tiefe Stellen sind, da sammelt sich das Wasser. Martin Luther † 1546.

V. 10. 13. 14. Du, Du, Du.
Von Ihm zeugt alles hier: von dunkeln Föhren,
Die hoch am Berge spenden ihren Schatten,
Vom Waldstrom, den entzückt wir rauschen hören
In tiefer Schlucht, bis zu den Blumenmatten,
Zum Rebengang, der führt nach dem Gestad,
Wo andachtsvoll das Wasser Ihm sich naht
Und seine Füße küsst.
Frei nach Byron † 1824.

V. 11. Und die Wildesel ihren Durst löschen. Wiewohl die Esel sonst so stumpfe, dumme Geschöpfe sind, sagt man von den wilden Eseln, dass sie von der Vorsehung mit einem besonders scharfen Witterungsvermögen ausgerüstet sind, in den dürren, sandigen Einöden den Weg zum Wasser zu finden, und dass es für den vom Durst geplagten Wanderer keinen besseren Führer gibt, als wenn er den Herden der wilden Esel folgen kann, die zu den Flüssen hinabgehen. Thomas Fenton 1732.

Als der Abend herankam, sahen wir nahe einem kleinen Fluss eine Gruppe, die sich wie eine Anzahl abgesessener Araber, mit ihren Pferden bei ihnen, ausnahm. Da wir dem wachsamen Auge der Beduinen nicht entgangen sein konnten, machten wir uns auf eine feindliche Begegnung mit ihnen gefasst. Vorsichtig näherten wir uns und waren sehr erstaunt, wahrzunehmen, dass die Rosse noch immer ohne Reiter waren. Als wir noch näher hinzukamen, galoppierten sie gegen die Wüste hin - es war eine Herde wilder Esel. Henry Austin Layard geb. 1817.

V. 12. Und singen unter den Zweigen. Nie werde ich meinen ersten Ritt von Riha nach Ain Sultan vergessen. Unser Weg führte uns mitten durch die vom Wasser hervorgerufene Oase. Es mag sein, dass der Gegensatz zu der dürren Wüste, die wir am vorhergehenden Tage durchquert hatten, die Freude an dem gegenwärtigen Genuss erhöhte; sicher ist jedenfalls, dass unsere Empfindungen das Echo des Ausrufs Josephus’ waren: "Eine paradiesische Gegend!" Das eine Mal wurde ich an unsre berühmten heimischen Baumgruppen und Wälder erinnert, dann wieder an einen vernachlässigten südlichen Obstgarten mit üppigst darin wucherndem Unterwuchs. Große Dornbüsche und allerlei Waldsträucher waren überall auf der Ebene verstreut. An manchen Stellen war der Boden mit Blumen wie mit einem Teppich bedeckt, und jedes Gebüsch schien lebendig von dem lebhaften Gezwitscher unzähliger Vögel. Ich sage Gezwitscher, denn ich glaube nicht, dass ich jemals während der ganzen Zeit meines Aufenthalts in Syrien einen Vogel eigentlich singen gehört habe. Coleridge († 1834) spricht von der fröhlichen Nachtigall, die ihre entzückenden Töne im lebhaften, schnellen Schlage häufe und überstürze. Der Gesang meiner kleinen syrischen Freunde dagegen bestand nur aus einer Reihe munterer Zwitscherlaute. Andere Reisende haben in diesem Stück mehr Glück gehabt. Bonar (1859) weiß vom Kuckucksruf zu berichten, Dr. Robinson (geb. 1794) von der Nachtigall. Lord Lindsay (geb. 1812) erzählt von einem herrlichen Abend, den er am Jordan verbracht habe, da der Fluss munter dahinrauschte und die Nachtigall von den Bäumen ihr Lied sang. Kanonikus Tristram (1864) sagt bei der Beschreibung der Gegend bei Tell-el-Kadi, der bulbul und die Nachtigall hätten in den Zweigen oben ein Wettsingen gehalten, das selbst den Lärm des Gießbachs unten übertönt habe, und er meint, auch an unserer Psalmstelle seien vielleicht diese beiden Singvögel gemeint, welche die Bäume am Jordanufer bevölkern und in allen bewaldeten Tälern zahlreich sind und im zeitigen Frühling die Luft mit dem herrlichen Wohlklang ihres Gesanges erfüllen. Angesichts dieser Berichte von Ohrenzeugen scheint es merkwürdig, dass die Bibel, die doch so vieles aus der Natur schildert oder anführt, den Gesang der Vögel nur Ps. 104 und Pred. 12,4 (nach einigen auch Hohelied 2,12) erwähnt. J. W. Bardsley 1876.

Die Musik der Vögel war der erste Lobgesang, der von der neu geschaffenen Erde aus dem HERRN dargebracht wurde, ehe der Mensch gebildet ward. John Wesley † 1791.

Wie bieten doch Amsel und Drossel mit ihren melodischen Stimmen dem freudenreichen Frühling das Willkommen und lassen immer wieder in gewissen Monaten so herrliche Liedchen hören, dass keine menschliche Kunst und keines unserer Musikinstrumente sich mit ihnen messen kann. Und gar die Nachtigall, welch weit schallende und doch süße, zarte Musik bringt sie aus dem winzigen Instrument ihrer Kehle hervor, dass es die Menschenkinder dabei dünkt, Wunder hörten nicht auf. Wer um Mitternacht, wenn sonst alles schläft, Gelegenheit hat, wie ich so oft, ihre hellen Melodien, die süßen Triller, das so natürliche Heben und Senken der Töne, das Anschwellen und Wiederanschwellen ihrer Stimme zu belauschen, der mag sich wohl der Erde entrückt glauben und ausrufen: HERR, was für Musik musst du doch erst für die Heiligen im Himmel bereit haben, wenn du schlechten Menschen auf Erden schon solche Musik gewährst! Isaak Walton † 1683.


V. 14. Du lässest Gras wachsen. Sicherlich sollte es den Menschen demütig machen, zu wissen, dass alle Menschenmacht, miteinander vereinigt, nichts, nicht einmal Gras wachsen machen kann. William Swan Plumer 1867.

Dass du Brot aus der Erde bringest. Die Israeliten pflegten am Passahfest und vor dem Brechen des Brotes zu sprechen: "Gelobt seist du, HERR unser Gott, du König der Welt, der du unser Brot aus der Erde hervorgebracht hast," und bei jeder wiederkehrenden Ernte sollten unsere Herzen von Dank erfüllt sein, sooft wir wieder die kostbare Gabe des Brotes empfangen. Es ist das unentbehrlichste und notwendigste Nahrungsmittel, dessen wir nie überdrüssig werden, während andere Speise, je süßer sie ist, desto leichter uns übersättigt. Jedermann, Kind und Greis, Bettler und König, isst gerne Brot. Wir erinnern uns des Unglücklichen, der auf eine verlassene Insel geworfen war, wo er vor Hunger verschmachtete, und der bei dem Anblick eines Klumpens Goldes ausrief: "Ach, nur Gold!" Er würde mit tausend Freuden für ein Stück Brot diese ihm ganz unnütze Sache hingegeben haben, die nach dem Sinn der meisten Menschen über alles kostbar ist. O lasst uns nie gegen Gott uns versündigen, indem wir das Brot geringschätzen. Lasst uns den HERRN loben, wenn wir die Garben sammeln, und mit Danken die Scheune betreten, welche sie uns verwahrt, und lasst uns unsere Dankbarkeit auch darin beweisen, dass wir unser Brot dem Hungrigen brechen und dem Durstigen geben von dem, was Gott uns beschert. Lasst uns nie zu Tische sitzen, ohne Gott zu bitten, dass er die Gaben segne, welche wir von seiner gütigen Hand empfangen, und niemals Brot essen, ohne an unseren Herrn Christus zu denken, der sich das lebendige Brot nennt, das vom Himmel gekommen ist, um der Welt das Leben zu geben. Und vor allem, mögen wir nie zu des Herrn Tisch gehen, ohne in den Sinnbildern des Brotes und Weines seinen Leib und sein Blut zu genießen, durch welche wir Kraft für unser geistliches Leben erhalten. Ja, HERR, du sättigst beide, Leib und Seele, mit Brot von der Erde und Brot vom Himmel. Preis sei deinem heiligen Namen, unser Herz und Mund soll deines Lobes voll sein in Zeit und Ewigkeit. Friedr. Arndt 1851.

V. 15. Als du aus deiner Mutter Leibe genommen wardst, in welch stattlich Schloss setzte er dich doch! Du fandest diese Welt für deinen Aufenthalt wohl zubereitet und mit allem ausgerüstet, wie die Israeliten das gelobte Land; ein festes Haus, das du nicht gebaut hattest, Bäume, die du nicht gepflanzt, ja einen mit funkelnden Sternen besetzten Prachthimmel als einen Baldachin über dir ausgebreitet. Gott zündet dir ein helles Licht an, die Sonne, dabei zu arbeiten, bis du müde bist (V. 23), und dann geht es aus ohne dein Zutun, denn die Sonne weiß ihren Niedergang (V. 19); dann zieht er einen Vorhang über die halbe Welt, dass die Menschen zur Ruhe gehen mögen: Du machst Finsternis, dass es Nacht wird (V. 20). Und dieses Haus der Welt ist so merkwürdig entworfen, dass jedem Zimmer desselben, jedem noch so armen Dorf Wasser zugeleitet wird, dass der Mensch sich daran laben kann. (V. 10 f.) Auf den Fußboden dieses Hauses trittst du, und er bringt Speise für dich hervor (V. 14), Brot zur Stärkung, Wein, dein Herz zu erfreuen, und Öl, dass deine Gestalt davon glänze (V. 15), welche drei Dinge hier genannt sind für alles, was zu Kraft, Freude und Zierde dient. Thomas Goodwin † 1679.

Ein wahrer Christ soll der Kreaturen Gottes gebrauchen zu Erkenntnis, Lob und Preis Gottes, auf dass in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Christum Jesum, unseren Herrn. Wie uns aber die Kreaturen zu Gott führen, merke also: Gott tut gleich als ein liebreicher Vater, der ein Kind zu sich ruft und gewöhnt mit süßen Worten. Will’s dann nicht bald kommen, so wirft er ihm einen Apfel oder Birne zu, oder einen schönen bunten Rock, wie Israel seinem Sohn Joseph; nicht aber darum, dass das Kind den Apfel oder das schöne Kleid soll so lieb haben, dass es an der Gabe hangen und kleben bleibe, sondern es soll an der Liebe des Vaters hangen und des Gebers. Also lässt’s unser lieber Vater im Himmel dabei nicht bleiben, dass er uns mit so holdseligen und freundlichen Worten durch die Propheten und Apostel zu sich ruft, sondern gibt und wirft uns auch noch viel guter Gaben zu, viel fruchtbare Zeiten vom Himmel, und erfüllt unsere Herzen mit Speise und Freude (Apg. 14,17), welches eitel Hände und Boten Gottes sind, die uns sollen zu Gott führen und uns seine Liebe bezeugen und einbilden, auf dass wir den Geber selbst in den Kreaturen und Gaben empfangen sollen. Johann Arnd † 1621.


Fußnote
5. Gemeint ist wohl die Überschwemmung infolge Deichbruchs in den Niederlanden im Jahre 1530, bei welcher 400.000 Menschen umgekommen sein sollen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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