Charles Finney und der
amerikanische evangelikale Pragmatismus
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Von John MacArthur Jr[1]
Charles Finney wurde 1792 in Connecticut geboren, verbrachte
aber die meiste Zeit seiner Kindheit in Oneida, New York. Seine
Eltern waren keine Christen, und er wuchs in ziemlicher Unkenntnis
der christlichen Lehre auf. Er erinnert sich an keinerlei Predigt
oder Evangeliumsverkündigung in jener Gegend New Yorks
(die er eine Wüste nannte) obwohl die
Geschichte zumindest von einer starken evangelikalen Gemeinde
in diesem Stadtteil zu berichten weiß.|[2]
Von der Religion seiner Kinderzeit sagte er später, sie
sei von einer Art gewesen, die nicht dazu angetan war,
meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.[3]
Er beschreibt den einzigen Prediger, an den er sich aus seiner
Jugend erinnert, wie folgt:
Ich saß auf der Empore und beobachtete, dass er sein
Manuskript in der Mitte der Bibel liegen hatte. Seine Finger
steckten an den Stellen, wo er die Bibelverse finden konnte,
die er während der Predigt zitieren wollte. Daher musste
er die Bibel mit beiden Händen halten, was jegliches Gestikulieren
mit seinen Händen unmöglich machte. Im Fortgang der
Predigt pflegte er nun eine Schriftstelle nach der anderen vorzulesen,
wodurch ebenfalls ein Finger nach dem anderen befreit wurde,
bis schließlich alle Finger beider Hände herausgelesen
waren. Damit hatte er dann auch bald das Ende der Predigt erreicht.
Sein Vortrag war im Ganzen leidenschaftslos und monoton, und
obwohl die Leute seinen Lesungen sehr aufmerksam und ehrerbietig
lauschten, muss ich bekennen, dass sie mir wenig Ähnlichkeit
mit einer Predigt zu haben schienen.[4]
Finney charakterisierte das, was der Pastor zu sagen hatte,
als eine trockene Lehrdiskussion und fügte
hinzu: Und diese Predigt war in der Tat genauso gut wie
Predigten, die ich andernorts hörte; aber man möge
beurteilen, ob solche Predigt dazu angetan ist, einen jungen
Menschen zu unterweisen oder zu interessieren, der von Religion
nichts wusste, noch sich darüber Gedanken machte.[5]
Finney entschied sich, Jura zu studieren und machte sein Praktikum
in Adams, New York, wo er sich zum erstenmal aktiv mit einer
Gemeinde auseinandersetzen musste. Der örtliche Presbyterpastor,
George W. Gale, ein junger Mann, der nur zwei Jahre älter
war als Finney, gewann Interesse an dem Jurastudenten. Gale
machte ihn zum Chordirigenten in der Gemeinde und begann, ihn
in seinem Anwaltsbüro zu besuchen, um über geistliche
Dinge zu sprechen.
Finney notierte Bibelstellen in seinem Juralehrbuch, bis er
um eine Bibel bat und anfing, sie zu studieren. Aber wieder,
so sagt Finney, sei die Predigt ein Hindernis für ihn gewesen.
Gale schien der Ansicht zu sein, seine Hörer seien
Theologen, bei denen er all die großen und fundamentalen
Lehren des Evangeliums voraussetzen konnte. Ich muss aber sagen,
dass ich eher verwirrt als erbaut von seinen Predigten war.[6]
Finney setzte den jungen Pastor während ihrer Unterhaltungen
im Anwaltsbüro mit lehrmäßigen Fragen unter
Druck: Was meinte er mit Buße? War sie nur das Gefühl,
dass einem die Sünden leid taten? War sie im Grunde eine
passive Herzenshaltung oder enthielt sie ein willensmäßiges
Element? Wenn sie eine Sinnesänderung war, in welcher Hinsicht
war sie es dann?[7]
und so weiter. Man gewinnt aus der Natur der Finneyschen
Fragen den Eindruck, dass Gales Predigten gar nicht so völlig
abgehoben waren, wie Finney sie später geschildert hat.
Vielmehr zeigt sich ganz deutlich, dass Gales Dienst begann,
den gewünschten Effekt zu erzielen.
Finneys dramatische Bekehrung
Während seiner Zeit in Adams bekehrte sich Finney auf
spektakuläre Weise. Seltsamerweise kam Finney trotz seiner
dramatischen, überwältigenden und revolutionären
Bekehrung niemals zu der Erkenntnis, dass eine Bekehrung einzig
das Werk Gottes ist. So wie Finney die Geschichte erzählt,
wird ganz deutlich, dass er glaubte, sein Wille sei der bestimmende
Faktor bei seiner Errettung gewesen: An einem Sabbathabend
im Herbst 1821 nahm ich mir vor, die Frage der Rettung meiner
Seele auf der Stelle zu regeln, um mit Gott Frieden zu schließen.[8]
Offensichtlich unter starkem inneren Zwang stehend ging Finney
in den Wald, wo er versprach, Gott sein Herz zu geben
oder bei dem Versuch dazu zu sterben.[9]
Finney wurde dort im Wald errettet. Zunächst erschien
es wie eine normale Bekehrung. Finney selbst wusste nicht recht,
was geschehen war; aber er hielt sich zu dem Herrn. Sein Herz
war wunderbar still und friedevoll. Das überwältigende
Gefühl der eigenen Sünde, das er gespürt hatte,
war völlig verschwunden. Er fragte sich sogar, ob er vielleicht
den mahnenden Heiligen Geist ganz und gar wegvergrämt
hätte.[10]
Aber später am Abend hatte er in seinem Anwaltsbüro
ein Erlebnis, das er als mächtige Taufe des Heiligen
Geistes beschrieb. Der Heilige Geist kam auf mich
herab, in einer Weise, die durch Leib und Seele hindurchzugehen
schien. Ich hatte den Eindruck, als wenn eine elektrische Welle
immerfort durch mich hindurchfloss.[11]
Trotz all dieser Erfahrungen war Finneys Geist an jenem Abend
so verwirrt, dass er Jahre später schrieb: Obwohl
ich diese Taufe empfangen hatte ... ging ich ins Bett, ohne
sicher zu sein, Frieden mit Gott zu haben.[12]
Finneys Zweifel waren plötzlich und auf geheimnisvolle
Weise am nächsten Morgen gewichen, und später am selben
Tag entschied er, Gott wolle, dass er predige, und zwar sofort.
Nachdem ich diese Taufe des Geistes empfangen hatte, war
ich sehr willig, das Evangelium zu predigen. Nein, ich entdeckte,
dass ich unwillig zu irgend etwas anderem war. Ich hatte kein
Bedürfnis mehr, als Jurist zu arbeiten ... Mein ganzes
Herz war mit Jesus erfüllt und mit Seinem Heil, und die
Welt erschien mir bedeutungslos.[13]
Berufen zum Predigen?
Es war, wie ich meine, ein großes Unglück, dass
Finney sofort nach seiner Bekehrung ein Predigeramt übernehmen
wollte. Ohne jeglichen soliden christlichen Einfluss in seiner
frühen Kindheit, wusste er beinahe nichts von der Bibel
und deren Aussagen. Finney hatte wohl ein brillantes Gedächtnis
und konnte in theologischen Debatten seinen Standpunkt vertreten
auch gegen einen wohltrainierten Mann wie Gale. Seine
juristischen Studien hatten Finney logisches Denken gelehrt,
ihn aber auch mit einer Riesenmenge falscher Voraussetzungen
erfüllt. Finneys Haltung zu Gerechtigkeit, Schuld, Gericht,
Übertretung, Vergebung, Verantwortlichkeit, Souveränität
und vielen, vielen anderen Begriffen stammte aus seinem Jurastudium
und nicht aus der Schrift.
Wo immer Finney predigte, reagierten die Menschen enthusiastisch.
Augenblicklich schienen seinen Aufrufen Zeichen von Erweckung
zu folgen. Mit seinem Ruf verbreitete sich auch sein Einfluss.
Finney forderte die konventionelle Lehre mutig heraus und förderte
in überzeugender Weise sein ziemlich neuartiges Lehrgebäude.
Er begann zu predigen, wo immer er ein Auditorium fand. Und
es dauerte nicht lange, bis er mit den etablierten Kirchen zusammenstieß.
Hier war ein junger Mann, erst zwei Jahre Pastor, erst
vier Jahre ein Christ, ohne traditionelle Bildung und ohne Predigterfahrung
außer der eines Missionars, der plötzlich zum Schlag
gegen die Kirchen ausholte. Er war von Natur extravagant in
seinen Behauptungen, anmaßend und rau in seinem Verhalten,
der es vorzog, mit der Egge über die Gefühle der Menschen
herzufahren, anstatt ihre Herzen mit sanftem Lockruf zu schmelzen.[14]
Dazu muss angemerkt werden, dass, als Finney auftrat, viele
Gemeinden von wahrer Orthodoxie zu kaltem Hyperkalvinismus
abgedriftet waren. Hyperkalvinismus ist der Glaube, die Einladung
zum Evangelium gelte nur den Erwählten. Hyperkalvinisten
glauben nicht, das Evangelium solle vorurteilsfrei verkündet
und das Heil allen frei angeboten werden. Im Grunde widersetzen
sie sich dem eigentlichen Wesen des Evangeliums. Viele Gemeinden
hatten sich in Finneys Tagen durch hyperkalvinistische Tendenzen
selbst mattgesetzt. Finneys eigener Pastor, George Gale, scheint
hyperkalvinistisch gedacht zu haben. Finney beschreibt Gales
Predigten so: Er schien niemals zu erwarten oder auch
nur die Absicht zu haben, jemand durch irgendeine seiner Predigten
zur Bekehrung zu bringen.[15]
Finney schloss, dass der Glaube seines Pastors an die menschliche
Verlorenheit und an die göttliche Souveränität
mit Evangelisation unvereinbar war. Er schrieb: Tatsache
ist, diese Lehren waren für ihn eine vollkommene Zwangsjacke.
Wenn er Buße gepredigt hatte, so konnte er sich nicht
hinsetzen, bevor er sicher war, den Leuten den Eindruck vermittelt
zu haben, dass sie nicht Buße tun konnten. Wenn er sie
zum Glauben aufrief, so musste er sicherstellen, dass alle begriffen
hatten: Ohne Veränderung ihres Wesens durch den Heiligen
Geist konnten sie überhaupt nicht glauben. Und so war seine
Orthodoxie eine unentrinnbare Fußfalle sowohl für
ihn selbst, wie auch für seine Hörer.[16]
Finneys Aversion gegen die Orthodoxie
Finney unterschied nicht zwischen kalvinistischer Orthodoxie
und Hyperkalvinismus.[17]
Demzufolge zerstörte er die orthodoxe Lehre und verwarf
den Kalvinismus samt und sonders. Er studierte die Lehre nur
oberflächlich und installierte ein eigenes theologisches
System, das seinem Sinn für Logik entgegenkam. So wandte
er die juristischen Erkenntnisse des neunzehnten Jahrhunderts,
wie sie in Amerika galten, auf alle biblischen Lehren an. Ich
habe über diesen Gegenstand (die Versöhnung) nirgends
außer in meiner Bibel gelesen, schrieb er, und
was ich dort darüber fand, habe ich so ausgelegt, wie ich
es bei einer gleichen oder ähnlichen Passage in einem Gesetzbuch
auch getan hätte.[18]
Er schloss, dass Gottes Gerechtigkeit fordere, dass auch Seine
Gnade gleicherweise allen gelte. Er folgerte, dass Gott gerechterweise
unmöglich der ganzen Menschheit Adams Ungehorsam zurechnen
könne. Seiner Meinung nach würde ein gerechter Gott
niemals die Menschen verdammen, weil sie von Natur Sünder
sind: Die Bibel beschreibt die Sünde als Gesetzesübertretung.
Welches Gesetz haben wir übertreten, indem wir diese (sündige)
Natur ererbten? Welches Gesetz verlangt von uns, eine andere
als die uns eigene Natur zu haben? Gibt es einen Grund, weswegen
wir den ewigen Zorn Gottes verdienen, weil wir Adams sündige
Natur ererbt haben?[19]
So ließ Finney die klare Lehre der Bibel (Römer 5,16-19)
zugunsten menschlicher Überlegungen fallen.
Schlimmer noch: Finney leugnete, dass der heilige Gott die
Sünden der Menschen Christus zuschreiben und Christi Gerechtigkeit
den Glaubenden zuerkennen würde. Er schloss, diese Lehren
klar im dritten, vierten und fünften Römerkapitel
gelehrt seien eine theologische Fiktion.[20]
Damit allerdings leugnete er das Herzstück evangelikaler
Theologie.
Unglücklicherweise überdeckte Finneys früher
Erfolg bei seinen Predigten die ernsten Mängel seiner Theologie.
Finney selbst gab zu, dass das Presbyterium bei seiner kirchlichen
Prüfung für das Predigtamt alle Fragen vermied,
die selbstverständlich den Widerspruch meiner Ansichten
zu ihren offenbart hätten.[21]
Dieses Gremium war offensichtlich durch Finneys wachsende Popularität
als Erweckungsprediger eingeschüchtert worden. Einer der
Prüfer fragte trotzdem, ob Finney das Westminster-Glaubensbekenntnis
anerkenne. Später bekannte Finney, er habe dieses Bekenntnis
bis dahin nie gelesen. Doch antwortete er dem Presbyterium in
einer Weise, der sie eine Bestätigung ihrer Lehrauffassung
entnahmen. Ich entgegnete ihnen, ich sähe das Bekenntnis
soweit ich es verstanden hätte als Lehrgrundlage
an.[22]
Später, nachdem Finney das Bekenntnis gelesen hatte, entdeckte
er zu seinem Schrecken, dass es zu vielem, was er glaubte, im
Widerspruch stand. Sobald ich die eindeutigen Lehren dieses
Glaubensbekenntnisses kennengelernt hatte, ... versäumte
ich keine Gelegenheit, meine anderslautenden Auffassungen kundzutun,
schrieb er.[23]
Bei der Ablehnung hyperkalvinistischer Tendenzen geriet er
völlig ins gegenteilige Extrem. In der Religion gibt
es nichts, was über die üblichen Kräfte der Natur
hinausgeht, meinte er.[24]
Eine Erweckung ist weder ein Wunder noch hängt sie
irgendwie von einem Wunder ab. Sie ist einzig das philosophische
Ergebnis der rechten Anwendung der dazu nötigen Mittel
so wie jeder andere Effekt durch die Anwendung der geeigneten
Mittel hervorgerufen werden kann ... Eine Erweckung ist ein
genauso natürliches Ergebnis des Gebrauchs geeigneter Mittel,
wie eine Ernte auf den Einsatz der dazu nötigen Mittel
folgt.[25]
Der Erfolg rechtfertigt die Mittel?
Finney war der erste einflussreiche Evangelist, der meinte,
der Erfolg rechtfertige die Mittel: Der Erfolg irgendeiner
Maßnahme zur Förderung einer Erweckung demonstriert
deren Weisheit ... Folgt die Segnung offensichtlich bei der
Einführung der Maßnahme, so ist unwiderlegbar bewiesen,
dass die Maßnahme klug war. Zu behaupten, eine solche
Maßnahme richte mehr Schaden als Nutzen an, ist lästerlich.
Gott kennt sie ja, und Seine Absicht ist es, die größtmögliche
Menge an Gutem daraus hervorgehen zu lassen.[26]
Finneys Einfluss auf die evangelikale Bewegung in Amerika
war grundlegender Art. Er war der erste, der Bekehrte aufforderte,
bei Evangelisationsversammlungen nach vorne zu kommen,
um dadurch anzuzeigen, sie hätten Christus angenommen.
Er war einer der ersten, die den Begriff Erweckung
für Evangelisationsfeldzüge gebrauchte. Finney war
es, der die Nachversammlungen für Heilsverlangende einführte.
Er drückte auch dem amerikanischen Predigtstil seinen Stempel
auf, indem er junge Prediger ermutigte, zu improvisieren, Anekdoten
zu erzählen und mehr im Unterhaltungston als streng lehrmäßig
zu sprechen, wie es bis dahin die Prediger taten. All diese
Ideen heute bei Evangelisationen gang und gäbe
gehörten zu den neuen Maßnahmen, die
Finney einführte.
Natürlich waren nicht alle Neuerungen Finneys falsch.
Er forderte, dass Prediger direkt, klar, zwingend, ernst und
angreifend bei ihren Botschaften waren. Er riet ihnen, über
Sünder nicht in der dritten Person zu reden, sondern sie
mit du anzureden, um ihre Gewissen direkter zu erreichen.
Er drang auf eine sofortige Bekehrung im Gegensatz zu der damals
vorherrschenden Meinung, nach der man Sündern riet, auf
Gott zu warten, bis Er ihnen Buße und Glauben schenke.
Entsprechend der Schrift und der Predigt Jesu rief Finney die
Sünder zu Buße und Glauben auf und nicht dazu,
untätig darauf zu hoffen, dass Gott sie bekehre.
Finneys Dienst konzentrierte sich auf den Westen des Staates
New York. Selbst zu Finneys Lebzeiten war diese Gegend als das
ausgebrannte Gebiet[27]
bekannt, weil wiederholte Wellen religiösen Feuereifers
jedes wahre Verlangen nach dem Evangelium ausgetilgt hatten.
In seiner Frühzeit schien Finney allerdings in der Lage
gewesen zu sein, die Flammen immer wieder neu entfachen zu können.
Mit der Zeit aber machten die Erregung und die Glut der vermeintlichen
Erweckung einem umso härteren Unglauben und
weitverbreitetem Agnostizismus Platz. Das ausgebrannte
Gebiet wurde weiter versengt und wurde verhärteter
als je zuvor. Tatsächlich hat jener Teil unseres Landes
nie wieder eine weitere Erweckung erfahren.
Einer, der mit Finney bei den Erweckungen zusammenarbeitete,
schrieb 1834 an ihn:
Lass uns die Felder besehen, wo Du und andere und auch ich
selbst an der Erweckung gearbeitet haben, und wie es jetzt um
ihren moralischen Stand bestellt ist! Wie sah es dort nach weniger
als drei Monaten, nachdem wir sie verlassen hatten, aus? Ich
habe die Felder wieder und wieder besucht und im Geist geseufzt,
als ich den traurigen, erkalteten, fleischlichen, selbstzufriedenen
Zustand erblickte, in den die Gemeinden gefallen waren
gefallen, schon sehr bald, nachdem wir von ihnen gegangen waren.[28]
B.B. Warfield schrieb:
Es gibt kein kraftvolles Zeugnis mehr ... außer dem
von Asa Mahan (Finneys langjährigem Freund und Mitarbeiter),
der uns kurz gesagt berichtete, dass alle, die
von diesen Erweckungen berührt wurden, im Nachhinein einem
traurigen Abfall erlegen sind: Die Leute sind wie eine erkaltete
Kohle, die nicht wieder zum Glühen gebracht werden kann;
die Pastoren waren all ihrer geistlichen Kraft beraubt; und
die Evangelisten? Er sagt: Unter allen und ich
kannte sie fast alle persönlich weiß ich von
keinem, Bruder Finney und Vater Nash ausgenommen, der nicht
nach wenigen Jahren seine Salbung verloren hat und für
das Amt eines Evangelisten ebenso untauglich war wie für
das eines Pastors.
So sind die großen Erweckungen des Westens
zu einem Desaster geworden ... Immer wieder, wenn er plante,
eine der Gemeinden zu besuchen, wurden ihm Delegationen entgegengeschickt
oder andere Mittel angewendet, um das zu verhindern, weil man
abwenden wollte, was man für eine Anfechtung hielt.[29]
Selbst noch eine Generation später, bemerkt
Warfield, scheuen diese gebrannten Kinder das Feuer.[30]
Ein enttäuschendes Ende
Finney wurde entmutigt, als seine Methoden fehlschlugen. Er
wurde Pastor der Broadway Tabernacle Congregational Church in
New-York-City und später Präsident des Oberlin-Colleges
in Ohio. Er verwandte all seine Energie auf die Fortentwicklung
seiner perfektionistischen Lehren und auf die Arbeit im College.
Später schrieb Finney im Rückblick auf seine Zeit
als Evangelist: Ich war oft das Instrument, durch das
Christen sehr stark überführt wurden und in einen
zeitweiligen Zustand von Buße und Glauben gerieten ...
(Aber) weil ich versäumte, darauf zu dringen, dass sie
Christus so gut kennen lernten, dass sie bei Ihm blieben, pflegten
sie natürlich alsbald in ihren früheren Status zurückzufallen.[31]
Im Bewusstsein des Versagens seiner evangelistischen Methoden
schloss Finney immer noch der gleiche Pragmatist -, perfektionistische
Lehren seien der wahre Schlüssel zu erfolgreichem
Dienst. Im Rückblick meinte er, ihm wäre Erfolg beschieden
gewesen, wenn er eine starke, aber auf Furcht begründete
perfektionistische Botschaft gebracht hätte. Hätte
er lange genug gelebt, so würde er erfahren haben, dass
auf Perfektionismus gegründeter Samen größeren
geistlichen Schaden hervorbringt als ein flaches Evangelium.
Ein Zeitgenosse Finneys sagte:
Während zehn Jahren wurde berichtet, jährlich hätten
sich Hunderte, vielleicht sogar Tausende, tiefgreifend bekehrt.
Jetzt muss aber zugegeben werden, dass sich (bei Finney) nur
verhältnismäßig wenige richtig bekehrt haben.
Es wird sogar von ihm selbst erklärt, der größte
Teil von ihnen sind eine Schande für die Religion.
Als Ergebnis dieses Abfalls sind große, schreckliche und
unzählige praktische Übel in viele Gemeinden eingedrungen.[32]
So bezieht sich Finneys fortdauernder und weitreichender Einfluss
leider nicht auf zahllose gerettete Seelen oder vom Evangelium
erreichte Sünder. Solche Effekte waren, wie es scheint,
beinahe nur sehr oberflächlich und verschwanden oft, sobald
Finney die Stadt verließ. Finneys bare Gesetzlichkeit
ist es, die einen so verheerenden Einfluss auf die amerikanische
evangelikale Theologie und die Methodologie der Evangelisation
gewonnen hat. In der Kirche unserer Generation gärt noch
heute der von Finney hineingetragene Sauerteig, und der moderne
evangelikale Pragmatismus ist der Beweis dafür.
[1] Dieser Artikel
ist ein Anhang aus dem Buch Wenn Salz kraftlos wird
von John MacArthur, Bielefeld: CLV 1996. Das Buch kostet 8,50
Euro und kann bei Betanien (info@betanien.de)
bestellt werden.
[2] B.B. Warfield,
Perfectionism, 2 Bände (New York: Oxford, 1932),
Band 2, S. 10.
[3] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 78.
[4] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 6.
[5] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 6, 7.
[6] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 7.
[7] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 8.
[8] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 12 (Hervorhebung vom Autor).
[9] Charles G.
Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell, ohne
Jahresangabe), S. 16.
[10] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 17.
[11] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 20.
[12] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 22.
[13] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 25, 26.
[14] B.B. Warfield,
Perfectionism, 2 Bände (New York: Oxford, 1932),
Band 2, S. 21.
[15] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 59.
[16] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 59, 60.
[17] Finney
schrieb: Ich habe überall entdeckt, dass sich der
Hyper-Kalvinismus als ein großer Stolperstein sowohl für
die Kirche als auch für die Welt erwiesen hat. Eine in
sich selbst sündige Natur, eine totale Unfähigkeit,
Christus anzunehmen und Gott zu gehorchen, Verdammnis zu ewigem
Tode wegen der Sünde Adams und wegen der sündigen
Natur und ähnliche und sich daraus ergebende Dogmen dieser
speziellen Schule wurden zum Stolperstein für Gläubige
und zum Ruin für Sünder (S. 368-369). Aber die von
Finney aufgezählten Lehren sind nicht hyper-kalvinistisch
sie sind einfach kalvinistische Orthodoxie und
in den meisten Fällen reine biblische Lehre. Finney wirft
sie alle über Bord und lehnt somit das Herzstück biblischer
Theologie ab.
Die eigenartige, von Finney erfundene Theologie ist voller
Probleme besonders im Gebiet der Heiligung. Finney entwickelte
eine radikale Form des Perfektionismus, die darauf viele fanatische
Ideen unter seinen Nachfolgern entstehen ließ. B.B. Warfield
verfasste in seinem zweibändigen Werk Perfectionism
eine sorgfältige, aber vernichtende Kritik der Finneyschen
Theologie. (Band 2, S. 1-215).
Was Finney nicht genügend beachtet hatte, war die Tatsache,
dass die beständigsten Erweckungen des achtzehnten Jahrhunderts
in Amerika einschließlich der Großen Erweckung
alle durch kalvinistische Lehren hervorgebracht worden
waren. Jonathan Edwards, George Whitefield, David Brainerd und
die frühen Baptisten waren alle strenge Kalvinisten, doch
eiferten sie für eine agressive Ausbreitung des Evangeliums.
Leider war Finney allzu schnell bereit, dieses Erbe beiseite
zu werfen und sein eigenes theologisches Gebräu zu verbreiten.
Der pragmatische Ansatz, mit dem Finneys System steht oder fällt,
hat sich bis zum heutigen Tag erhalten, selbst bei solchen Christen,
die Finneys lehrmäßigen Neuerungen ablehnend gegenüberstehen.
[18] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 42.
[19] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 339.
[20] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 56-58.
[21] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 51.
[22] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 51.
[23] Charles
G. Finney: An Autobiography (Old Tappan: N. J. Revell,
ohne Jahresangabe), S. 59.
[24] Revivals
of Religion (Old Tappan: N. J. Revell, ohne Jahresangabe),
S. 4.
[25] Revivals
of Religion (Old Tappan: N. J. Revell, ohne Jahresangabe),
S. 5.
[26] Revivals
of Religion (Old Tappan: N. J. Revell, ohne Jahresangabe),
S. 211 (Im Original hervorgehoben).
[27] Seltersamerweise
hat Finney selbst diesen Ausdruck mitgeprägt. In seinen
Memoiren spricht er von diesem Gebiet als von dem verbrannten
Distrikt, wegen des Widerstands, der seinen eigenen Erweckungsbemühungen
entgegenschlug. Charles G. Finney: An Autobiography (Old
Tappan: N. J. Revell, ohne Jahresangabe), S. 778.
Eine faszinierende weltliche Analyse dieser Region und seiner
historischen Erweckung wurde von Whitney R. Cross verfaßt,
The Burned-Over District: The Social and Interlectual History
of Tenthusiastic Religion in Western New York, 1800-1850
(New York: Harper Torchbooks, 1950).
[28] Zitiert
in B.B. Warfield, Perfectionism, 2 Bände (New York:
Oxford, 1932), Band 2, S. 26.
[29] Zitiert
in B.B. Warfield, Perfectionism, 2 Bände (New York:
Oxford, 1932), Band 2, S. 26, 27.
[30] Zitiert
in B.B. Warfield, Perfectionism, 2 Bände (New York:
Oxford, 1932), Band 2, S. 28.
[31] Zitiert
in B.B. Warfield, Perfectionism, 2 Bände (New York:
Oxford, 1932), Band 2, S. 24.
[32] Zitiert
in B.B. Warfield, Perfectionism, 2 Bände (New York:
Oxford, 1932), Band 2, S. 23.
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