Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps53

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Erläuterungen und Kernworte

Vergleichung von Ps. 53 mit Ps. 14. Der eine (14) ist jahvistisch, der andere (53), wie alle Psalmen des 2. Buchs, elohimisch, und zwar ist er das besonders streng. In Ps. 14 steht der Gottesname Jahve viermal, ist also vorherrschend; an den drei Stellen, wo Elohim steht, ist dieses Wort offenbar mit Bedacht gewählt. Ps. 53 dagegen braucht ausnahmslos (siebenmal) Elohim. Die übrigen Unterschiede sind in den ersten vier Versen (14,1-4 = 53,2-5) von wenig Bedeutung. In 2b ist das wirkungsvolle Asyndeton durch eingefügtes w: (und) aufgelöst und lwe(f (Frevel) für hlfyli(A (Handeln) gesetzt. V. 4a steht OlIkIu (ein jeder von dem Ganzen) für lkIoha (die Gesamtheit) und das gleichbedeutende, aber seltenere gsf für rsf (abweichen). In V. 5 fehlt das "alle" vor "Übeltäter". V. 7 steht "Hilfe " in der Mehrzahl statt der Einzahl. Alle diese Unterschiede sind geringfügig, sie ändern den Sinn nicht. Der 6. Vers enthält in dem ersten Gliede den Zusatz: "wo kein Schrecken war"; im weiteren Text aber ist der Vers gegen die entsprechenden Vers 5.6 des 14. Psalms so stark verändert, dass dadurch die ganze Richtung des Psalms eine andere wird. Während in Ps. 14 die Gottlosigkeit innerhalb Israels beklagt wird (aber in so allgemeinen Ausdrücken, dass Paulus ganz berechtigt war, im Römerbrief die Aussagen des Psalms auf die Menschheit im ganzen anzuwenden), hat es der 53. Psalm ganz offenbar in V. 5.6 mit auswärtigen Feinden Israels zu tun, welche das Volk Gottes belagerten, und er sieht auf eine bestimmte geschichtliche Gerichtskatastrophe zurück, durch welche Gott diese Feinde mit Schrecken geschlagen und vernichtet hatte. Es tritt einem lebhaft die Errettung Jerusalems von dem es belagernden assyrischen Heere (Jes. 36 f.) ins Gedächtnis. Eine genaue Vergleichung (nach Bäthgen) von V. 6b u. c (5b u. 6) zeigt eine so frappante Ähnlichkeit der Buchstaben, dass der Gedanke, die Änderungen im 53. Ps. seien das Ergebnis eines Versuchs, eine verblichene Handschrift des Ps. 14 wiederherzustellen, höchst natürlich erscheint; aber der Inhalt lässt doch wieder daran zweifeln und eine zielbewusste Änderung für wahrscheinlicher halten. Delitzsch verweist darauf, dass solche Abwandlung mittelst Buchstabenwechsels auch sonst, besonders bei Jeremia, vorkommt. - James Millard

Gott zeigt uns in diesem Psalme:
1) die Tatsächlichkeit der Sünde. Gott ist ihr Zeuge. Er schaut vom Himmel und sieht alle Sünde der Menschen in Gesinnung und Wandel. Sie ist vor ihm in ihrer ganzen Nacktheit offenbar.
2) Die Sündlichkeit der Sünde: nichts taugend - ohne etwas Gutes - abgefallen von Gott.
3) Die Torheit der Sünde, V. 2.5.
4) Die Schmutzigkeit der Sünde: ein Gräuel V. 2, allesamt verdorben V. 4.
5) Die Quelle der Sünde. Woher kommt es, dass die Menschen so schlecht sind? Daher, dass keine Furcht Gottes vor ihren Augen ist. Sie sprechen in ihren Herzen: Es gibt keinen Gott, der uns zur Verantwortung ziehen könnte, keinen, vor dem wir uns scheuen müssten. Die schlechte Lebensart der Menschen fließt aus ihren schlechten Grundsätzen.

6) Die Frucht der Sünde. Siehe, zu welchem Grad von Roheit die Sünde schließlich die Menschen bringt! Wie unmenschlich sind sie gegen ihre Brüder! Sie verzehren sie, wie sie Brot essen, als ob sie blutgierige Raubtiere geworden wären. Sieh zugleich, wie sie Gott verachten: nicht nur rufen sie ihn nicht an, sondern sie lästern ihn und höhnen seine Allwissenheit.
7) Die Furcht und Schmach, welche die Sünde begleiten, V. 6. Da fürchten sie sich, sie, die Gott zu ihrem Feind gemacht haben; ihr eigenes schuldbeladenes Gewissen erfüllt sie mit Schrecken und Entsetzen. Eben das gibt der Jungfrau, der Tochter Zion, die Kraft, sie zuschanden zu machen, dass Gott sie verschmäht.
8) Den Glauben der Heiligen und ihre Hoffnung und Stärke gegenüber diesem großen Übel, V. 7. Sie warten auf eine mächtige Hilfe, eine große Erlösung, eine Erlösung von der Sünde und den Sündern. Ach, dass sie eilend käme, denn sie wird herrliche, fröhliche Zeiten bringen. Es gab im alten Bunde solche, die nach dieser Erlösung ausschauten, auf sie hofften und warteten und um sie beteten. Es gab auch Zeiten, wo sie Heils- und Erlösungstaten erfuhren, die alle vorbildlich auf den ewigen Sieg der Gemeinde Gottes hinwiesen. Matthew Henry † 1714.

V. 2. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott. In ihrem Herzen sprechen sie so, und eben das, was sie so heimlich denken und wünschen, ist der geheime Wunsch jedes unbekehrten Herzens. Wenn die Menschen Gott mit ihren Pfeilen erreichen könnten, so wäre ihm in einem Augenblick das Herz millionenfach durchbohrt. Als Gott im Fleische erschien, da war er ganz Lieblichkeit (Hohelied 5,16), er tat nicht eine einzige Sünde, er zog umher und tat wohl, und doch nahmen sie ihn und hängten ihn ans Fluchholz; sie spotteten sein und spien ihn an. Genau so würden es die Menschen heute Gott wieder machen. Das mag uns erstens zeigen, wie furchtbar die Verderbnis unseres Herzens ist. Ich wage zu behaupten, dass nicht ein unbekehrter Mensch hier gegenwärtig sei, der auch nur im entferntesten einen Begriff habe von der ungeheuerlichen Gottlosigkeit, die jetzt in seinem Innern ist. Wartet, bis ihr in der Hölle seid, da wird sie ungezügelt ausbrechen. Aber lasst mich’s euch sagen: Ihr habt ein Herz in euch, das Gott töten würde, wenn es könnte. Zweitens aber mögen wir daraus die wunderbare Liebe Christi ersehen. Er ist für uns gestorben, da wir noch Feinde waren. Robert Murray MacCheyne † 1843.

Kein Gott. Damit wollen sie wohl nicht das Dasein eines Gottes, sondern die göttliche Vorsehung leugnen. Daniel Creßwell † 1844.

Kein Gott. Dies gibt das Targum so wieder: Es gibt keine göttliche Weltregierung. In der Tat wird dies die Meinung sein. Eine abstrakte Gottesleugnung ist dem Altertum fremd. 10,4 wurde derselbe Ausdruck erläutert: "Gott sucht nicht heim", und die, welche Jer. 5,12 als Leugner Jahves auftreten, schwören trotzdem V. 2 bei seinem Namen. Endlich heißt es Ps. 14,2 Ende (53,3) von den Toren nur, dass sie nicht nach Gott fragen. Prof. Friedrich Baethgen 1892.

Es ist zu beachten, dass die Schrift sagt: "Der Tor spricht in seinem Herzen", und nicht: "denkt in seinem Herzen"; das will sagen: Es ist das nicht sowohl ein fertiges Urteil seines Verstandes, sondern er möchte sich gern diesen Glauben beibringen. Er sieht, es fromme nicht für ihn, dass es einen Gott gebe; darum sucht er sich mit allen Mitteln zu überreden, dass es in der Tat keinen gebe, und gibt sich alle Mühe, dies sich selbst als feststehenden Satz zu beweisen und zu bekräftigen; aber bei alledem brennt der Funke des uns anerschaffenen Lichtes, das den Menschen zur Anerkennung einer Gottheit drängt, noch immer in ihm, und er müht sich vergeblich ab, diesen Funken völlig auszulöschen. So kommt es also aus der Verderbnis seines Herzens und Willens und nicht aus der natürlichen Denktätigkeit seines Gehirns und Begriffvermögens her, dass er sich diese Meinung bildet - wie der Komiker sagt: "Da geschah’s, dass mein Verstand meiner Meinung ward", als wären sein Verstand und sein Sinn zwei verschiedene Dinge. Darum ist es so, dass der Gottesleugner vielmehr es sich sagt und seinem Herzen einzureden sucht als wirklich denkt oder glaubt, es sei kein Gott. Franeis Bacon, Lord Verulam, † 1626.

V. 3. Der nach Gott frage. Wiewohl Gott alles erfüllt, muss man doch nach ihm suchen und forschen, wegen der Dunkelheit, die unseren Verstand infolge unserer angeborenen Sündhaftigkeit umhüllt. Denn Fleisch und Sinne und der Hang zum Irdischen hindern uns ihn zu erkennen, trotz seiner Allgegenwart. Pietro Martire Vermigli † 1562.

V. 3.4. Das Böse der Menschen wird hier stufenweise bezeichnet. Es heißt zuvörderst, dass sie nicht klug seien, weil die wahre Erkenntnis göttlicher Dinge auch der Grund des wahren Verhaltens gegen Gott ist; weiter, dass sie nach Gott nicht fragen, weil nur derjenige um ihn sich kümmert, der ihn mit heller und sicherer Einsicht als das höchste Gut erkannt hat; weiter, dass sie von ihm abgewichen seien, indem ja daraus, dass der Mensch um ihn sich nicht kümmert, auch hervorgeht, dass er von ihm entfremdet wird und seine Wege verlässt; endlich, dass sie allesamt untüchtig sind, da die rechte Kraft und Tüchtigkeit des Menschen zu edeln Dingen aus keiner andern Quelle als aus der Gemeinschaft mit Gott geschöpft werden kann. Prof. August Tholuck 1843.

V. 5. Mein Volk. David mag die Gottesfürchtigen sein Volk nennen wegen der innigen Liebe, die er für sie hegte, und der Treue, mit der sie sich in allen seinen Trübsalen zu ihm hielten. Benjamin Boothroyd † 1836.

Homiletische Winke

Man vergleiche die Winke zu Ps. 14.
V. 2. Der Tor, betrachtet von innen und außen. 1) Die Torheit der Gottesleugnung. Wer sagt, es sei kein Gott, ist ein Tor, denn a) es gibt keinen vernünftigen Grund für diese Behauptung, b) es spricht vielmehr alles dagegen. 2) Der Sitz der gottesleugnerischen Gesinnung ist im Herzen. Die Leugnung Gottes hat ihren Grund in der sittlichen Beschaffenheit des Menschen, nicht in seiner Vernunft; sie ist die Sprache des Willens, nicht des Verstandes. 3) Ursachen der Gottesleugnung: a) Liebe zum Bösen, b) Hass gegen das Gute. George Rogers 1872.
V. 3. 1) Gott hat die Menschenwelt nicht sich selber überlassen. 2) Er nimmt eingehend Kenntnis von einem jeden Menschen und all seinem Tun. 3) Das einzige, was Gott an einem Menschen schätzt, ist, wenn er nach ihm fragt, d. h. sich um ihn kümmert, ihn ehrt und Gemeinschaft mit ihm sucht.
V. 5c. Gott rufen sie nicht an. Es ist Sünde, Gott nicht anzurufen.
I. Was heißt Gott anrufen? Dreierlei gehört dazu: 1) sich Gott nahen, 2) zu ihm sprechen, und zwar 3) betend.
II. Wie sollen wir Gott anrufen? 1) Mit Ehrerbietung, indem wir erwägen a) Gottes Heiligkeit und Erhabenheit, b) unsre Sündlichkeit und Schwachheit (1. Mose 18,27); 2) mit Verständnis a) dessen, was wir erbitten, b) von wem wir es erbitten; 3) mit Ergebung; 4) im Glauben (Mk. 11,24; Jak. 1,6); 5) aufrichtig (Jak. 4,3); 6) ohne Unterlass, a) so dass wir beständig in der Gebetsstimmung sind, b) so dass wir jeden Anlass benutzen, unser Herz im Gebet vor Gott auszuschütten.
III. Warum ist es also Sünde, Gott nicht anzurufen? 1) Er hat es befohlen (Jes. 55,6; 1. Tim. 2,8). 2) Das Gebet ist eins der Hauptstücke der Verehrung, die wir Gott schuldig sind.
IV. Wer ist dieser Sünde schuldig? 1) Alle, die irgendwo anders als bei dem wahren Gott Hilfe suchen; 2) alle, die das einsame oder gemeinsame Gebet vernachlässigen; 3) alle, die beten, aber nicht recht beten. William Beveridge † 1708.
V. 6. 1) Sich selber sind die Verfolger der Heiligen die eigenen Quälgeister infolge ihrer grundlosen Befürchtungen. 2) Untereinander sind sie zwar jetzt einig, doch werden hernach ihre Gebeine verstreut sein. 3) Vor denen, gegen die sie wüten, werden sie zuschanden. 4) Vor Gott sind sie verschmäht, verworfen. George Rogers 1872.
V. 7. 1) Es gibt ein Heil, eine Erlösung für Israel. 2) Dies Heil kommt aus Zion, dem Thronsitz Jehovas. 3) Dort ist es vorhanden, auch wenn Israel von Zion verbannt ist. 4) Die Freude wird nach der zeitweiligen Entbehrung desto größer sein. George Rogers 1872.

Fußnoten

1. Der Leser wird gebeten, beim Betrachten dieses Psalms auch die Auslegung des vierzehnten zu Rat zu ziehen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps54

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PSALM 54 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Eine Unterweisung. Wir müssen in unseren Liedern geistliche Unterweisung suchen und bieten. Gesang, der nicht erbaut, zerstreut. Davids. So fruchtbar David als Dichter war, so gehaltvoll sind seine Lieder. Dass sich sein Leben so wechselvoll gestaltete, diente nicht nur ihm selber zur Erziehung, sondern hat auch der Gemeinde des HERRN großen Nutzen gebracht; denn gerade seinen mannigfaltigen Erfahrungen verdanken wir diese Psalmen, welche heute noch so frisch und köstlich sind wie zur Zeit, da sie niedergeschrieben wurden. Vorzusingen auf Saitenspiel. Musik auf Saiteninstrumenten sollte den Gesang dieses Psalms begleiten. Abwechslung zu bieten, sowohl in unseren Melodien als in allem, was den Kirchengesang betrifft, muss unser eifriges Bestreben sein. Einförmigkeit ist oft der Tod des Gemeindegesangs. Unsere Gesänge müssen mannigfaltig sein wie die Wege der Vorsehung, welche sie zum Gegenstand haben. Da die von Siph kamen und sprachen zu Saul: David hat sich bei uns verborgen. Um in der Gunst Sauls zu steigen, machten sich diese Leute einer groben Verletzung des heiligen Gastrechts schuldig. Sie kümmerten sich nicht darum, ob unschuldig Blut vergossen würde, wenn sie nur den Beifall des gottlosen Fürsten ernteten. Friedlich kam David in ihre Gegend und hoffte dort von seinen vielen Irrfahrten ein wenig ausruhen zu können; sie aber spähten seine einsame Wohnstätte aus und verrieten ihn. David jedoch wendet sich betend zu Gott, und sein Glaube ist so stark, dass er sich bald in heitere Gemütsruhe hineinsingt.

Einteilung

Von V. 3-5, wo das Sela uns eine Pause setzt, fleht der Psalmist zu Gott um Hilfe. Im übrigen Teil des Psalms hat er jeden Zweifel überwunden und singt ein fröhliches Triumphlied. Die Kraft des Glaubens macht aller Niedergeschlagenheit ein Ende und gibt das Gefühl vollkommener Sicherheit inmitten der drohendsten Gefahren.

Auslegung

3. Hilf mir, Gott, durch deinen Namen
und schaffe mir Recht durch deine Gewalt.
4. Gott, erhöre mein Gebet,
vernimm die Rede meines Mundes.
5. Denn Stolze setzen sich wider mich,
und Trotzige stehen mir nach meiner Seele
und haben Gott nicht vor Augen. Sela.



3. Hilf mir, Gott. Du bist ja mein einziger Helfer; rings um mich her sind meine Feinde und ihre dienstbereiten Helfer. Kein Obdach wird mir mehr gewährt, in jedem Versteck werde ich aufgespürt, eine Landschaft nach der andern stößt mich aus. Aber du, Gott, bist meine Zuflucht; du wirst mich erretten von allen meinen Feinden. Durch deinen Namen, durch deine göttliche Größe und Herrlichkeit. Lass alle deine hehren Eigenschaften, alle Vollkommenheiten, welche dein Name in sich befasst, zu meinen Gunsten wirksam werden. Oder bist du es nicht deiner Ehre schuldig mich, deinen Gesalbten, zu verteidigen? Und schaffe mir Recht durch deine Gewalt. Schaffe du mir Recht, da es sonst niemand will und vermag. Du kannst mir in wirksamer Weise zu meinem Recht verhelfen und durch deine Allmacht das mir zugefügte Unrecht wieder gutmachen. - In einer schlechten Sache dürfen wir es nicht wagen, Gott zur Hilfe aufzurufen; wenn wir uns aber des bewusst sind, dass wir unsere Sache ohne Furcht vor Gottes Richterstuhl bringen können, so dürfen wir sie getrost seiner mächtigen Hand überlassen.

4. Gott, erhöre mein Gebet. Das Gebet ist von jeher die Schutzwehr der Heiligen gewesen. Solange uns Gottes Ohr offen ist, vermag uns kein Elend gefangen zu halten. Alle anderen Waffen mögen versagen, aber beten in allen Anliegen ist zu allen Zeiten nütze. Dies Geschütz kann uns kein Feind vernageln. Vernimm die Rede meines Mundes. Lautes Beten ist dem Beter hilfreich; wir halten unser Gemüt in stärkerer Spannung, wenn wir Herz und Zunge zum Gebet gebrauchen. Aber was für Wert hätte auch das lauteste Beten, wenn Gott es nicht vernehmen wollte? Schenkt uns Gott kein Gehör, so ist’s ganz einerlei, ob wir Unsinn schwatzen oder die treffendsten Gründe vorbringen. Als Davids Lage gefährlich wurde, tat es ein bloß gewohnheitsmäßiges Beten nicht; er musste entweder mit seinem Flehen durchdringen oder seinen Widersachern zur Beute werden.

5. Denn Fremde1 (Barbaren) setzen sich wider mich. Unter Sauls Helfern mögen manche Ausländer gewesen sein, wie denn auch jener Verräter Doeg (Ps. 52, 2) ein Edomiter war. Doch scheinen hier die Siphiter gemeint zu sein. Diese waren Stammesgenossen Davids; dennoch hielten sie sich gegen ihn wie Glieder eines fremden Volkes, zeigten sich als Feinde, benahmen sich wie Barbaren. Etliche übersetzen: Abtrünnige, von Gott Entfremdete; und das waren sie, wie es auch der Schluss des Verses ausspricht. Wer es mit Saul wider David hielt in dieser Zeit, da der König zu allem, was recht und heilig war, in Gegensatz getreten war, der bewies damit, dass er selber gottlos gesinnt war und wider Gott stritt. Sollte Gott es zulassen, dass solche, die ihm fremd und feindlich waren, sein Kind quälten? Und Trotzige, wörtl.: Gewalttätige, stehen mir nach meiner Seele. Saul, dieser gewalttätige Tyrann und Verfolger, hatte sein Wesen vielen eingepflanzt. Könige prägen ja gewöhnlich ihr Bild auf die Münzen des Landes. Saul wies den Weg und andere folgten ihm getreulich; er und sie trachteten David nach dem Leben. Grausam und ungestüm waren sie in ihrer Bosheit; halbe Maßregeln konnten ihnen nicht genügen, ihr Entschluss war, David gänzlich vom Erdboden zu vertilgen. Und haben Gott nicht vor Augen. Um Recht und Gerechtigkeit kümmerten sie sich so wenig, als ob sie einen Gott nicht kennten; jedenfalls fragten sie nichts nach ihm. Wenn sie Gott vor Augen gehabt hätten, so wäre es ihnen unmöglich gewesen, den Unschuldigen seinen Feinden zu verraten, dass er wie ein Reh, das doch niemand etwas zuleide tut, gejagt und niedergeschossen werde. David empfand, dass der Feindseligkeit, mit der man ihn verfolgte, gottfeindliche und gottesleugnerische Gesinnung zugrunde lag. Gottselige Menschen werden um Gottes willen gehasst, und sie tun wohl daran, sich im Gebet darauf zu berufen. Sela. Es ist, als sagte er: Genug davon, lasst uns einen Augenblick innehalten! Er ist außer Atem vor Entrüstung. Die starke Empfindung des Unrechts, das er leidet, macht es ihm zum Bedürfnis eine Pause zu machen. Es mag gut sein, die allgemeine Bemerkung anzufügen, dass mehr solcher Pausen unserer Andacht in der Regel förderlich sein würden. Wir sind gewöhnlich zu sehr in Eile; übten wir mehr heiliges Nachdenken, so würde das unsere Worte dem bestimmten Fall angemessener und unsere Gemütsbewegungen stärker und feuriger machen.

6. Siehe, Gott stehet mir bei,
der Herr erhält meine Seele.
7. Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen.
Verstöre sie durch deine Treue!
8. So will ich dir ein Freudenopfer tun
und deinem Namen, HERR, danken, dass er so tröstlich ist.
9. Denn du errettest mich aus aller meiner Not,
dass mein Auge an meinen Feinden Lust siehet.


6. Siehe, Gott stehet mir bei. Da er ringsum von Feinden umgeben ist, blickt er hilfesuchend nach Verteidigern aus - da nimmt er den wahr, dessen Hilfe besser ist denn aller Menschen; und da er diesen seinen göttlichen Vorkämpfer erkennt, ruft er überwältigt aus: "Siehe!" Und ist das nicht fürwahr Anlass zu heiligem Frohlocken, dass der große Gott uns, sein Volk, verteidigt? Was hat die Zahl, was die Wut unserer Feinde zu bedeuten, wenn Er den Schild seiner Allmacht erhebt, uns damit zu schützen, und sein gewaltiges Schwert zieht, um unsere Feinde damit zu vernichten? Wenig kümmert uns der Widersacher Trutz, wenn wir Gottes Schutz auf unserer Seite haben. Der Herr erhält meine Seele. Der Allherr der Welt, der über alles gebietet, ist selber der Erhalter meines Lebens. Das war ein besserer Verteidiger als selbst die drei vornehmsten Kämpen Davids, ja als alle die Helden, welche den Sohn Isais zu ihrem Anführer gewählt hatten. Der Psalmist ist voller Zuversicht; er ist so durchdrungen von dem Bewusstsein, mit seinem Herzen auf Gottes Seite zu stehen, dass er ganz sicher ist, Gott auch auf seiner Seite zu haben. Im dritten Vers hatte er um Errettung gebeten, hier dankt er für seine bisherige Erhaltung. Während wir eine Gnade erflehen, die uns fehlt, dürfen wir der andern nicht vergessen, deren wir uns schon erfreuen

7. Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen, oder (nach dem geschriebenen Text): Zurückfallen wird das Böse auf meine Feinde. Um Böses mühten sie sich; damit soll ihnen auch vergolten werden. Es ist ja unmöglich, dass Schlechtigkeit ungestraft bleibe. Nachsicht gegen die Verfolger der Frommen wäre Grausamkeit gegen die letzteren. Es ist so in Gottes heiligem Rat bestimmt und wird sich immer wieder zeigen, dass die Pfeile der Bosheit auf die zurückfahren, welche sie schleudern. Verstöre sie durch deine Treue! Das ist nichts anderes als das Amen zu dem gewissen Urteil des gerechten Richters. Lass sich die Wahrheit und den Ernst deiner Drohungen also erweisen, dass alle Zweifel und trotzigen Reden der Sünder verstummen müssen. Dein Richterspruch ist gerecht; lass ihn sich erfüllen. Nicht persönliche Rachsucht kommt in dieser Bitte zum Ausdruck; sie ist der ernste Ausspruch eines Kriegers, der für eine gute Sache kämpft, eines gröblich beleidigten Leiters des Volks, den Gott zum Monarchen bestimmt hat, eines Mannes, der in Moses Schule die göttliche Regel gut gelernt hat: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

8. So will ich dir mit Freuden Opfer bringen. (Grundtext) Aus eigenem Antrieb und mit willigem Gemüte will ich dir Opfer darbringen. David ist seiner Rettung so gewiss, dass er innerlich das Gelobte schon bereithält. Sein dankerfülltes Herz möchte die Altäre Gottes mit freudig dargebrachten Opfern füllen. Je mehr wir empfangen, desto mehr sollten wir wieder geben. Der freiwillige Liebestrieb ist es hauptsächlich, der unsere Gaben bei Gott angenehm macht: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Und deinem Namen, HERR, danken. Da selbst eine Menge Opfer seine freudigen Gefühle noch nicht genügend ausdrücken, so will er auch mit Worten seinen Dank abstatten. Den Namen, den er in seinem Flehen (V. 3) angerufen hatte, will er jetzt mit Lobpreisen verherrlichen. Deinen Namen, Jehova! Dies ist ja der erhabene Name des geoffenbarten Gottes Israels, ein Name, der die erhebendsten Gefühle wachruft und so zu einem Gott wirklich wohlgefälligen Lob befähigt. Niemand kann den HERRN so von Herzen preisen, als diejenigen, welche in Zeiten der Anfechtung erfahren haben, wie köstlich sein Name ist. Der Psalmist fügt hinzu: dass er so tröstlich (wörtl.: gut) ist. Ja, Gottes Name ist gut; darum ist es auch gut, ihn zu loben. (Ps. 92,2.) Wir sind nie so heilig und nie so selig wie dann, wenn unser Herz sich in Anbetung ergießt. Hatte David in V. 5 seine Feinde als solche beschrieben, die Gott nicht vor Augen haben, so bezeugt er hier, dass er ganz andern Sinnes sei als jene; denn er nehme sich vor, in seinen Opfern und Lobliedern beständig Gottes zu gedenken.

9. Denn er (Grundtext) errettet mich aus aller meiner Not. Bisher war ihm noch immer Rettung zuteil geworden, und auch für die gegenwärtige Gefahr weiß er im Glauben die Hilfe nahe. Davids Leben war voller Gefahren, denen er oft nur um Haaresbreite entging; dennoch ward ihm nie ein Haar gekrümmt. Der Rückblick auf die vielen und großen Errettungen, die er schon erfahren hat, treibt ihn an, Gott zu loben; darum erscheint ihm die Gnade, welche er gerade jetzt begehrt, als ein Glied in der Kette der Liebesbeweise, die er bereits empfangen hat. Unser Bundesgott hat sich selbst anheischig gemacht, uns aus aller Not zu erretten; so lasst uns denn jetzt schon ihm einen Triumphgesang anstimmen, dem treuen Erhalter aller, die ihr Vertrauen auf ihn setzen. Bis hierher haben sich seine Verheißungen an uns als wahr erprobt; er ändert sich nicht, so wird er denn auch in alle Zukunft, mag diese jetzt auch noch sehr dunkel vor uns liegen, geradeso unser Schutz und Schirm sein. Er wird sich stark erweisen in der Unterstützung derer, die von ganzem Herzen an ihm sind. (2. Chr. 16,9 Grundtext) Dass mein Auge an meinen Feinden Lust siehet. David wusste, dass er noch einmal ebenso mit Triumph auf seine hochmütigen Feinde werde blicken können, wie sie jetzt mit Verachtung auf ihn niederschauten. Und ihn verlangte danach aus Gerechtigkeitsgefühl, nicht aus persönlichem Groll. Seine gerechte Seele frohlockte bei dem Gedanken, dass die Bosheit seiner Feinde, zu der er keinerlei Anlass gegeben hatte, gerechte Vergeltung erfahren werde. Wenn wir von unseren Herzen alle persönliche Feindschaft so völlig fernhalten, wie David in diesem Psalm, dann können wir, ebenso wie er, in der Gewissheit heilige Beruhigung und Freude finden, dass die göttliche Gerechtigkeit den Gerechten retten und den Boshaften stürzen wird.
Zum Schluss lasst uns die Überzeugung mitnehmen, dass wir, sollten wir auch so verlassen sein wie dieser Gottesmann, doch gleichwie er im Gebet zu Gott unsre Zuflucht nehmen und eben solches Gottvertrauen beweisen dürfen; tun wir das, so werden wir bald gleich freudig Gott lobsingen können.

Fußnoten
1. So der masoret. Text und auch Luther 1524. Das Wort geht in die allgemeinere Bedeutung sich barbarisch benehmender Feinde über, bes. in Verbindung mit dem folgenden Wort "Gewalttätige", Jes. 25,2 f. usw. Später folgte Luther der Lesart Mydiz" Übermütige, Stolze, die sich auch im Targum und einigen hebr. Handschriften findet und von Olshausen und Kautzsch bevorzugt wird, aber aus der Parallelstelle 86,14 hier eingedrungen zu sein scheint.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

Von der Überschrift lerne man: 1) Auf besondere Bedrängnisse und besondere Erfahrungen der göttlichen Hilfe müssen wir auch besonders achthaben, wie David hier. 2) Die Mächtigen finden leichter willige Helfer in einer schlechten Sache als die Gottseligen in einer guten: Sauls Grausamkeit hat an den Siphitern dienstbereite Bundesgenossen, während David wenig treue Freunde findet. 3) Die Gottlosen sind gleich dabei, einem einen schlechten Dienst zu erweisen, ja froh, Gelegenheit dazu zu finden. "Hält sich nicht David bei uns verborgen?" (wörtl.) sagen sie, als ob sie damit eine gute, segenbringende Kunde verbreiteten. David Dickson † 1662.

Zum ganzen Psalm. Die (anglikanische) Kirche hat einen klaren Blick bewiesen, als sie unter andern Psalmen auch diesen für die Passionszeit zur Erinnerung an das Leiden Jesu bestimmte. In der Tat kann man denselben sehr leicht als Weissagung auf Christus auffassen. Es braucht wenig mehr als den ersten Hinweis, um alles mit dem Leben und den Empfindungen des Messias in Übereinstimmung zu finden. W. Hill Tucker 1840.

In V. 3-5 betet David zu Gott um Hilfe gegen seine Feinde, die nach ihm fahnden. So hatte er es immer im Brauch, dass er in jeder Not, bei jedem Streit zuerst mit Gott um seinen Segen und Beistand rang. Er durfte seine Hand nicht einmal gegen die Feinde Gottes aufheben, ehe er sie in demütigem Flehen zu dem Gott seiner Stärke aufgehoben hatte, der dann "seine Hände streiten und seine Fäuste kriegen lehrte" (Ps. 144,1). Hat er aber das getan, dann bricht sein Mut hervor wie ein Blitz, und er hegt keinen Zweifel mehr, dass er Tausende schlagen könne. So wird er V. 6.7 sein eigener Prophet, indem er sich selbst den Sieg verheißen darf. Denn wer kann dem widerstehen, dem der Allmächtige Beistand leistet? Oder wer könnte einem General noch eine Schlacht liefern, der die Scharen seiner Feinde zuvor schon durch Gebet überwunden und niedergeworfen hat, dem der Sieg zugesichert ist, noch ehe er seine Rüstung anzieht? In den letzten Versen kehrt David sodann zum Anfang zurück, indem er dankbar Gottes Güte und Hilfe preist und sich für so viele Wohltaten aufs Neue zu hingebendem Dienst verpflichtet. J. Dolben 1665.

V. 3. Schaffe mir Recht durch deine Gewalt. Saul war entschlossen, einen Rechtsstreit mit David nicht nach dem Recht, sondern mit roher Gewalt, durch seinen Wurfspieß und seine Kriegsscharen, zu entscheiden. David wusste wohl, dass er sich darin nicht mit ihm messen könne; deshalb sucht er bei dem Schutz, dessen Macht er als unendlich höher kennt und von dem er überzeugt ist, dass er ihn verteidigen wolle und könne. Samuel Chandler † 1766.

V. 5. Stehen mir nach meiner Seele. Das heißt zunächst: nach meinem Leben. Wenn es aber in ihrer Macht läge, würden sie auch meine Seele zerstören - wie die Römischen Johann Hus dem Teufel übergaben. John Trapp 1662.

V. 6. Gott ist den Seinen innerlich gegenwärtig, wenn es die Gottlosen am allerwenigsten glauben. Martin Luther † 1546.

Reinhard Bakius, Superintendent in Magdeburg, wurde bei der Zerstörung Magdeburgs durch Tilly mit den Seinen ins Gefängnis geworfen. Später schreibt er darüber: "Oftmals habe ich im Gefängnis geseufzt: ,Hier sind wir nun, erbarme dich unser, du gütiger Gott, richte mich nach deiner Gerechtigkeit.´ Und es ist geschehen. Die Feinde selbst machte Gott uns barmherzig und entriss uns aus ihren Händen, mich und alle die Meinen." Genauer teilt er darüber Folgendes mit: "Am 10. Mai 1631 bei der Zerstörung Magdeburgs, wie viele wollten da mich und die Meinen aufhängen, verbrennen, morden! Aber der HERR erweckte einen Mailänder, einen Geheimschreiber aus der Begleitung Tillys, Johann Stephan Bossius, der nahm sich meiner an wie Obadja der Propheten (1. Könige 18,4), wie Ebedmelech, der Mohr, des Jeremia (Jer. 38,7 f.), und lief und kam und fragte und brachte Silber und Gold und half mir und den Meinen und errettete mein Leben; aber er hätte es nicht gekonnt, wenn nicht Gott selbst sein Wagnis wunderbar unterstützt hätte. Daher sag ich: Siehe, Gott stehet mir bei, und der HERR war mit denen, welche meine Seele erhielten." (R. Bakius, Kommentar zum Psalter, 1664.)

Man übersetze nicht (ähnlich wie Bakius in dem vorstehenden Absatz) scheinbar wörtlich: Der Herr ist unter denen, die usw. Das b: ist das sogen. b: esentiae, bezeichnet also die Eigenschaft, in der sich der Herr betätigt. Eigentlich: Der Herr fällt in die Kategorie solcher, die meine Seele stützen (mein bedrohtes Leben erhalten). An andere Helfer ist aber dabei nicht gedacht; "der Herr füllt diese Kategorie allein aus" (Delitzsch). Also: Der Herr ist ein solcher, der usw. - James Millard

V. 6.7. Er ist der Hilfe Gottes für sich und seine Freunde so gewiss wie der Rache über seine Feinde. Lerne daraus: 1) Dem brünstigen Gebet wird bald Antwort zuteil; ja manchmal überraschend schnell, ehe der Mensch noch zu reden aufgehört hat, wie es hier David erfährt: Siehe, Gott ist mein Helfer. 2) Der Glaube ist mit einem scharfen Gesicht begabt, das durch alle Wolken dringt; wenn Gott ihm das Licht seines Geistes entgegenhält, so kann er ihn in einem Augenblick finden als eine gegenwärtige Hilfe in den größten Nöten. 3) Größer als die Schmerzen erlittener Trübsal ist die Freude, welche das Bewusstsein der Nähe Gottes verleiht. Der Trost, Gott zum Helfer zu haben, war für David größer als die Kränkung, welche die Lieblosigkeit seiner Freunde und die Bosheit seiner Feinde ihm bereitet hatten. David Dickson † 1662.

V. 8. Und deinem Namen, HERR, danken, dass er so tröstlich ist. Gottes Name ist eitel Liebe, Gnade, Trost, Hilfe, Freude, Friede, Leben, Heil und Seligkeit. Darum wenn dich dein Elend betrübt, so gedenke an Gottes Namen und Verheißung (2. Mose 34,6); denn es hat ja der liebe Gott noch allewege seiner Kirche geholfen und sie wunderlich errettet. Johann Arnd † 1621

Homiletische Winke

V. 3. Gottes Macht und Ehre fordern die Errettung der Glaubenden: 1) Ihr Untergang wäre eine Entehrung beider. 2) Ihre Errettung stellt beide in ein herrliches Licht. 3) Beide sind unveränderlich, deshalb haben wir jederzeit und in jeder Lage festen Boden unter den Füßen, wenn wir sie anrufen.
V. 4. Worauf es beim Beten hauptsächlich ankommt: dass Gott unser Gebet hört. 1) Was bedeutet das? 2) Wie können wir wissen, ob Gott unser Gebet hört? 3) Was sollen wir tun, wenn es zweifelhaft ist? 4) Was schulden wir ihm, wenn er uns erhört hat?
V. 5. Neue schwere Prüfungen. 1) Doch sind sie nicht in jeder Hinsicht neu: a) nicht für Gott; b) nicht in der Geschichte des Volkes Gottes; c) nicht für die Vorkehrungen der Gnade, worin sie schon vorgesehen sind. 2) Inwiefern sind sie aber neu? a) Gott kann sich in ihnen in neuer Weise offenbaren. b) Sie machen uns vergessene Verheißungen aufs Neue teuer. c) Sie haben neue Gnadenerweisungen im Gefolge. d) Sie bringen neue Loblieder hervor. e) Sie bewirken völligere Hingabe.
V. 5c. Sie haben Gott nicht vor Augen: das ist die Wurzel der Sünde. Wenn sie der Allgegenwart und Allmacht Gottes eingedenk geblieben wären, so hätten sie es nicht gewagt, Gott also zu missachten; wenn sie seine Liebe geschmeckt hätten, es nicht gewollt; wenn sie seiner Natur teilhaft geworden wären, es nicht gekonnt.
V. 6. Gott stehet mir bei. Das mag uns wohl zum Staunen bringen (Siehe): 1) über seine unverdiente Gnade, dass er es mit mir hält; 2) über seine gnadenreiche Macht, denn wer kann ihm widerstehen? 3) über seine tatkräftige Hilfe, denn er "erhält meine Seele".
V. 8. Wir sollten Gott unsere Opfer freiwillig, freigebig, freudig, fortwährend und frei von unlauteren Beweggründen darbringen.
V. 9a. Er hat mich errettet aus aller meiner Not. (Wörtl.) Der Ausruf eines Bußfertigen, der eben Vergebung erlangt hat, der Freudenruf eines aus der Not erlösten Frommen, der Lobgesang des gereiften Christen, das Jubellied des verklärten Gläubigen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 55 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Vorzusingen auf Saitenspiel. Gleich dem vorhergehenden ein auf Saiteninstrumenten zu begleitendes Lied. Der Ton ist sehr wechselnd, teils wehmütig klagend, teils heftig zürnend, teils vertrauensvoll hoffend. Es bedurfte der vorzüglichsten Sorgfalt des Musikmeisters, wenn die Musik die in dem Psalm wogenden Empfindungen wirklich zum Ausdruck bringen sollte. Eine Unterweisung Davids. David, der so viel geprüfte und so reich begnadigte, so heftig verfolgte, aber auch so herrlich errettete und erhöhte Knecht Gottes, ward gerade durch die mannigfaltigen Erfahrungen seines Lebens befähigt, solch wertvolle Vers wie diese zu schreiben, in denen wir, zu reicher Unterweisung, nicht nur die Leiden der gewöhnlichen Zionspilger, sondern auch die unsers erhabenen Vorläufers, des Herrn selber, abgebildet finden.

Inhalt

Mit Gewissheit lassen sich Zeit und Anlass dieses Psalms nicht angeben. Am wahrscheinlichsten stammt er aus der Zeit, da Absalom und Ahitophel ihre traurige Rolle spielten. Uns, die wir im Lichte der Erfüllung die typische Bedeutung der Leiden des ersten David erkennen, ist es, als sähen wir den andern David und den andern Ahitophel, Judas samt den Hohenpriestern und Ältesten, auf dem farbenreichen Gemälde dieses Psalms erscheinen.

Einteilung

V. 2-9 legt der Psalmist seine Lage im Allgemeinen vor Gott dar. V. 10-12 schildert er seine Feinde, aus denen er V. 13-15 einen sonderlichen, den Verräter, herausgreift. V. 16 ruft er Verderben auf die verstockten Boshaften herab. Von V. 17-20 stärkt er sich an Gebet und Glaubenstrost. V. 21. 22 fällt sein Blick wieder auf den treubrüchigen Freund. Er schließt mit einem zum Glauben ermunternden Wort der Mahnung an sich selbst und alle Gerechten, V. 23, und mit einer Anzeige der Gerichte, welche über die Gottlosen und Falschen kommen werden, V. 24. Das allerletzte Wort aber ist ein Bekenntnis seines unwandelbaren Gottvertrauens.

Auslegung

2. Gott, höre mein Gebet
und verbirg dich nicht vor meinem Flehen.
3. Merke auf mich und erhöre mich, wie ich so kläglich zage und heule,
4. dass der Feind so schreiet und der Gottlose dränget;
denn sie wollen mir eine Tücke beweisen
und sind mir heftig gram.
5. Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe,
und des Todes Furcht ist auf mich gefallen.
6. Furcht und Zittern ist mich ankommen, und Grauen hat mich überfallen.
7. Ich sprach: O hätte ich Flügel wie Tauben,
dass ich flöge und etwo bliebe!
8. Siehe, so wollte ich ferne wegfliehen
und in der Wüste bleiben. Sela.
9. Ich wollte eilen, dass ich entrönne
vor dem Sturmwind und Wetter.


2. Gott, höre mein Gebet. Wir sind an die Tatsache zu sehr gewöhnt, sonst würden wir darob staunen, bei allen Heiligen fort und fort dasselbe wahrzunehmen, dass sie in der Not zum Gebet ihre Zuflucht nehmen. Vom erstgeborenen Bruder bis zu dem allergeringsten Glied des heiligen Stammes sind alle in der Kunst des Betens wohlbewandert. Es ist ihnen so natürlich, in der Stunde der Not zum Gnadenthron zu eilen, wie den Küchlein, zu der Henne zu fliehen, wenn ihnen Gefahr droht. Aber man achte recht darauf, dass den Gottesmännern nie das Gebet an sich als frommes Werk genug ist; sie begehren eine Audienz bei Gott, sie erwarten eine Antwort vom Gnadenstuhl, und nichts Geringeres kann sie zufriedenstellen. Verbirg dich nicht vor meinem Flehen. Verschließ nicht dein Ohr und halte deine Hand nicht zurück. Wenn jemand seinen in Not befindlichen Nächsten absichtlich übersah, sagte man wohl, er verberge sich vor ihm. Der Psalmdichter bittet, der HERR wolle nicht so an ihm handeln. In der schrecklichen Stunde, da Jesus unsere Sünde am Kreuz trug, da verbarg sich sein Vater vor ihm, und das war das Entsetzlichste in den Qualen, welche der Davidssohn durchzumachen hatte. Wohl mögen wir flehen, von dem Jammer verschont zu bleiben, den es uns bringen würde, wenn Gott sich weigerte, unser Flehen zu hören.

3. Merke auf mich und erhöre mich. Zum dritten Mal bringt David die gleiche Bitte vor. Es ist ihm Ernst, tiefer, bitterer Ernst. Er fühlt, es sei aus mit ihm, wenn Gott nicht höre. Er fleht zu seinem Gott, er möge auf seine Worte horchen und ihm antworten. Ich irre in meinem Kummer umher und muss stöhnen. (Grundtext) Er sann und grübelte; aber sein Kummer ward dadurch nur größer. Ruhelos ward er von seinen Gedanken umhergetrieben, und seine Klage machte sich in dumpfen Schmerzenslauten Luft. Er musste seufzen und stöhnen. Welch ein Trost, dass wir auch in solcher Gemütsverfassung zu Gott Zuflucht nehmen und unsere umherschweifenden, irren Gedanken vor ihn bringen dürfen, damit er in unser verstörtes Gemüt Sammlung und Klarheit bringe, und dass wir unsere Seufzer vor ihm ausschütten dürfen, damit er sie in Gebete umsetze. Ob wir unseren Herzenskummer auch nur in Lauten ausdrücken können, die ein Stöhnen und Jammern genannt werden müssen, er lauscht so achtsam auf unsre Klage, dass er uns ganz versteht, und wir werden es oft erfahren, dass er Herzensbegehren erfüllt, die in verständlichen Worten auszudrücken uns unmöglich gewesen wäre. Unaussprechliche Seufzer sind Gebete, die Gott nicht zurückweisen kann. Unser Heiland selber brachte in den Tagen seines Fleisches starkes Geschrei und Tränen dar und ward erhöret.

4. Dass der Feind so schreiet. Konnte David nur dumpfe Schmerzenslaute von sich geben, so war die Stimme des Widersachers hingegen laut genug; der Feind hatte einen Redestrom, wo sein armes Opfer keine Worte finden, nur jammern konnte. Verleumdern gehen die Worte selten aus. Weder David noch unser Heiland noch irgendeiner der Heiligen Gottes haben den Angriffen giftiger Zungen entgehen können, und dies Übel war stets Ursache der heftigsten Seelenqualen. Und der Gottlose dränget. Die Ungerechten bedrängen und bedrücken die Gerechten; gleich einer unerträglichen Last1 drücken sie sie nieder und - bringen sie auf die Knie vor dem HERRN. Es ist eine alte Geschichte, die sich bis zu dem Ende der gegenwärtigen Weltzeit immer wiederholen wird, dass der Weibessame unter den Schmerzen der Fersenstiche leiden muss, die ihm die Schlangenbrut beibringt. Denn sie wollen mir eine Tücke beweisen, wörtl.: stürzen (oder wälzen) Unheil auf mich. Sie suchen mich mit lügenhaften Anschuldigungen zu erdrücken und mit Unglück zu zermalmen. Und sind mir heftig gram. Sie befeindeten den frommen David mit ingrimmigem Zorn und schnaubender Wut. Tödlicher Hass herrschte in ihrem Innern. Wir brauchen nicht auszuführen, wie treffend sich dies alles auf Jesus beziehen lässt.

5. Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe. Sein Herz wand sich (wörtl.) in seinem Innern vor Schmerzen wie ein armer zertretener Wurm; er war geistig in solchen Wehen, wie ein in den Geburtsschmerzen sich windendes Weib es dem Leibe nach ist. Er war in der Tiefe seiner Seele verwundet; und wer kann solche Wunden ertragen? Wenn David, wie wir annehmen, diesen Psalm verfasst hat, als er von seinem eignen Sohne, seinem Lieblingskinde, angefeindet und schimpflich aus seiner Residenz vertrieben wurde, hatte er Grund genug, solche Ausdrücke zu brauchen. Und des Todes Furcht (Schrecken, wie sie der drohende Tod erregt) sind auf mich gefallen. (Grundtext) Er fühlte sich wie einer, der unversehens von dem König der Schrecken überwältigt wird und auf den sich plötzlich die ewige Nacht senkt. Innen und außen war er angefochten. Er gab sich verloren. Im Innersten seines Wesens war er von Entsetzen erfasst. Gedenken wir unseres Erlösers, wie dort im Garten "seine Seele sehr betrübt war bis zum Tod", so haben wir das Gegenstück zu den Seelenleiden des Psalmdichters. Hast du, lieber Leser, solch düstern Pfad noch nie betreten, so magst du dich bald damit vertraut machen müssen; dann siehe zu, dass du genau auf die Fußspuren achtest, welche dein Herr in diesem schlammigen Teil des Weges nach der himmlischen Stadt zurückgelassen hat.

6. Furcht und Zittern ist mich ankommen. Wie Einbrecher drangen diese Räuber des Seelenfriedens in sein Inneres ein. Unwiderstehlich wie eine Ohnmacht fühlte der bedrängte Beter höchste Angst über sich kommen. Seine Furcht war so groß, dass er am ganzen Leibe zitterte. "Was wird das Nächste sein, das mich befällt? Und wie bald mag das Schlimmste kommen!" Das hinterlistige heimliche Geflüster der Verleumdung verursacht edeln Seelen oft größere Bangigkeit als offener Widerstand. Einem erklärten Feind können wir kühn entgegentreten; aber feige, tückische Verschwörungen machen uns verwirrt und ratlos. Und Grauen hat mich überfallen. Entsetzen bedeckte ihn, es überlief ihn kalter Schauder am ganzen Leibe. Wie Jona in der Tiefe des Meeres, so versank David in den Tiefen des Schreckens. Er war alles Mannesmuts beraubt, ganz verwirrt, in einem schrecklichen Zustand der Ungewissheit und der Todesahnungen.

7. Da sprach ich (Grundtext): O hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich flöge und etwo bliebe! Konnte er nicht der Gefahr trotzen wie ein Adler, so wollte er entfliehen wie eine Taube. Schnell und unbemerkt, auf geräuschlosen und doch starken, nimmer müden Schwingen möchte er den Stätten der Verleumdung und Gottlosigkeit enteilen. Seine Friedensliebe presste ihm diesen Seufzer aus. So hat auch hernach der zartbesaitete Jeremia sich in eine ferne Wüste gewünscht (Jer. 9,1), ähnlich wie der englische Dichter William Cowper († 1800) singt:

O um ein Hüttlein fern in ödem Land,
In grenzenlosem Schatten tief versteckt,
Wo Kunde von Bedrückung und Betrug
Mich nimmermehr erreichte für und für!

Wir alle sind nur zu geneigt, solch vergeblichen Wunsch zu äußern - denn vergeblich ist er allerdings; weder Tauben- noch Adlerschwingen könnten uns dem Kummer unseres zitternden Herzens entführen. Herzensnagen weiß nichts von Ort und Raum. Überdies wäre es feig, den Kampf zu fliehen, welchen Gott uns durchfechten heißt. Wir handeln klüger, indem wir der Gefahr mutig ins Auge schauen, denn im Rücken haben wir keinen Panzer. Wer die Verleumdung überflügeln wollte, müsste auch noch schneller reisen als mit Taubenflügeln; doch ruhig sein kann, wer, statt zu fliehen, seine Sache Gott befiehlt. Auch jene Taube der ersten Welt fand nicht, da ihr Fuß ruhen konnte, bis sie wieder zur Arche flog; und wir können bei allen Sorgen und Kümmernissen Ruhe finden in Jesus. Wir brauchen nicht ängstlich hin und her zu flattern; es wird alles noch recht werden, wenn wir ihm trauen.

8. Siehe, so wollte ich ferne wegfliehen. Doch als David wirklich in der Ferne weilen musste, sehnte er sich schmerzlich danach, wieder in Jerusalem sein zu dürfen; und wie schwer war es ihm einst gewesen, als er vor Sauls Wut hatte wie ein Rebhuhn über die Berge fliehen müssen! So dünkt uns, wenn es uns übel geht, das Vergangene oder Zukünftige stets besser als das Gegenwärtige. Gottes Ruf wird uns einst noch weit genug fliegen heißen, und es könnte sein, dass wir dann nur mit Widerstreben von hinnen gingen; wir brauchen uns nicht törichten Gedanken an ein vorzeitiges Verlassen der Erde hinzugeben. Und in der Wüste bleiben. Als er einst in der Wüste hatte bleiben müssen, war ihm diese gar kein so begehrenswerter Aufenthaltsort gewesen; jetzt aber, wo er nicht da ist, wollte er sie gern zu seinem bleibenden Ruheplatz wählen. Wäre er verurteilt worden seinen Wunsch zu erhalten, so würde er sicherlich bald mit Robinson Crusoe ausgerufen haben:

O Einsamkeit, wo sind die Reize hin,
Damit dich schmückt so gern des Dichters Wort?
Will lieber mitten durch Gefahren ziehn,
Als einsam herrschen hier an diesem grausen Ort!

Unser Heiland hegte keine müßigen Wünsche; doch stärkte er sich oft in der Einsamkeit und weilte gern in mitternächtlicher Stille auf einsamer Bergeshöhe oder in dem tiefen Schatten der Ölbäume von Gethsemane (Joh. 18,2). Es ist viel, viel besser, sich tatsächlich je und dann in einsame Stille zurückzuziehen und in ihr neue Kraft für den Kampf zu suchen, als sich sentimental nach einem vom Getöse der Welt abgeschiedenen Leben zu sehnen. Freilich ist es natürlich, dass wir uns, wenn alle Welt uns unrecht tut, aus der menschlichen Gesellschaft herauswünschen; allein die Natur muss der Gnade weichen, und wir sollen das Widersprechen der Sünder wider uns erdulden und in unserm Mut nicht matt werden und ablassen (Hebr. 12,3). Sela. Nach solcher Gedankenflucht tut eine Rast Not. Wenn wir zu schnelle Schritte machen und fruchtlosen Wünschen zu freien Lauf gewähren, ist’s wichtig, einmal halt! zu rufen und eine Weile still zu bleiben, bis sich wieder nüchternere Gedanken einstellen.

9. Ich wollte eilen, dass ich entrönne. Er versuchte innezuhalten, konnte es aber nicht, wie ein im vollen Laufe zurückgerissenes Pferd noch etliche Schritte weitergleitet. David sagt, er würde keinen Augenblick verlieren, nicht einmal um seinen Freunden Lebewohl zu sagen, sondern sich alsbald auf und davon machen; teils weil er fürchtete, es möchte für die Flucht zu spät werden, teils weil er meinte, das Toben seiner Feinde nicht länger ertragen zu können. Vor dem Sturmwind und Wetter. Ein heftiges Unwetter war im Anzuge und tobte schon um ihn, und gleich einer Taube wollte er die Sturmwolken überfliegen und in einer stilleren Region Zuflucht suchen. Schneller als die Windsbraut2 wollte er eilen, um der Regenflut und den flammenden Blitzen zu entgehen. Ach, armes Herze, solche Flügel sind dir nicht gegeben; du musst hier aushalten und das Unwetter über dich ergehen lassen. Aber sei gutes Muts, es wird nicht lang mehr währen, so wirst du deine Schwingen zu kühnerem Flug ausbreiten; der Himmel wird dich aufnehmen, und dort unter den Paradiesesvögeln wirst du armes Täublein all deinen Kummer in lauter Seligkeit verwandelt sehen.

Fußnoten
1. Vergl. die folgende Verszeile sowie Ps. 66,11 das Wort hqf(fWm, drückende Last, vom gleichen Stamme.

2. So übersetzen einige, indem sie das Nmi vergleichend auffassen. Doch wird die Sprache dadurch zu stark übertreibend. Natürlich darf man nicht mit Spurgeon beide Auffassungen zusammennehmen, sondern muss sich für eine entscheiden.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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10. Mache ihre Zunge uneins, HERR, und lass sie untergehen;
denn ich sehe Frevel und Hader in der Stadt.
11. Solches gehet Tag und Nacht um und um auf ihren Mauern,
und Mühe und Arbeit ist drinnen.
12. Schadentun regiert drinnen,
Lügen und Trügen lässt nicht von ihrer Gasse.


10. Lass sie untergehen, Herr.3 Vernichte meine Feinde; lass sie, wie einst die Rotte Korah (4. Mose 16,32), vom Verderben verschlungen werden. Wie sie mich, deinen Gesalbten, freventlich zu vernichten suchen, so lass sie selber dem Vertilgungsgericht anheimfallen. Wie könnten wir erwarten, dass der so schändlich behandelte König ein anderes Gebet als eben dieses gegen die aufrührerische Rotte Absaloms und die listigen Ratschläge Ahitophels vor Gott bringen werde? Mache ihre Zunge uneins. Lass eine babylonische Verwirrung über sie kommen, dass ihr Kriegsrat zunichte werde. Mache sie uneins, dass ihre Pläne sich entgegenarbeiten und einer dem andern zum Verderben helfe. Zerstreue die Meute, dass der gehetzte Hirsch entrinne. Die Entzweiungen der Lügenmächte sind die Hoffnung der Wahrheit. Denn ich sehe Frevel (Gewalttat) und Hader in der Stadt. Die aufrührerischen Elemente im Volk und ihre ruchlosen Leiter schmiedeten voll wütenden Hasses Ränke gegen den König. Ihre Leidenschaft gebar unzählige wahnwitzige Anschläge. Die Anarchie (Gesetz- und Zuchtlosigkeit) gärte unter ihnen, und der König hoffte, es werde nun bald so weit kommen, dass derselbe Geist der Auflehnung wider alle Zucht und Ordnung, der ihn vom Thron zu stürzen suchte, die Feinde entzweien und ohnmächtig machen werde. Die Revolution verschlingt ihre eigenen Kinder. Menschen, die durch Frevel und Gewalttat zu Macht kommen, müssen früher oder später entdecken, dass eben das, was ihre Stärke ist, ihnen den Untergang bringt. Absalom und Ahitophel können wohl den Pöbel aufwiegeln; aber sie können ihn nicht eben so leicht regieren, und es gelingt ihnen nicht, ihre schändliche Politik in solch feste Bahnen zu lenken, dass sie selber gute Freunde bleiben. Davids Gebet ward erhört. Die Empörer wurden bald in ihrem Rate uneins, und Ahitophel sowohl als Absalom wurden vernichtet: beide wurden ihre eignen Henker, der eine freiwillig, der andre unfreiwillig.

11. Tag und Nacht gehen sie um (wörtl.: umkreisen sie sie4 auf ihren Mauern. (Grundtext) Die heilige Stadt war ein Räubernest der Gottlosigkeit geworden. Überall sah sich David mit seinen Getreuen von Laurern umgeben, die auf jeden seiner Schritte achthatten, die Stadt an allen Ecken und Enden bewachten und jede Gelegenheit, Unheil zu verüben, erspähten. Ihr heilloser Eifer im Bösen ließ sie auch des Nachts nicht ruhen, und ihre Frechheit war so groß, dass sie selbst am hellen Tage ihre verräterischen Pläne betrieben. Ohne Zweifel nahm David schon einige Zeit, ehe er aus Jerusalem floh, mit Schrecken wahr, dass ein verborgenes Feuer glomm, welches Absalom schürte und anfachte, und das dann, als David die Stadt verließ, in heller Flamme aufloderte. Und Unheil und Jammer (Grundtext) ist drinnen. Unglückliche Stadt, die ihre ärgsten Feinde zu Wächtern auf den Höhen hat und drinnen erfüllt ist von den Gärstoffen der Revolution, die doch nichts als Unheil und Jammer erzeugen können. Unglücklicher König, der sehen muss, wie Unheil, das er nicht abwenden kann, die Stadt verwüstet, für welche sein Herz so treu schlägt. Noch ein anderer König hat dieselbe empörerische Stadt ob des Jammers, den er über sie kommen sah, mit seinen Tränen benetzt.

12. Verderben ist in ihr. (Grundtext) Die Stadt war durch und durch verderbt. An den hohen Stellen reichten sich Verbrechen und Unheil die Hand. Die Ruchlosen hatten gute Tage, denn sie konnten tun, was sie gelüstete. Der Abschaum des Volkes schwamm oben auf, Schurken hatten das Heft in Händen, Gerechtigkeit ward nicht geübt, die Bevölkerung verfiel gänzlich der Entsittlichung, und wie Ordnung und Zucht, so verschwanden naturgemäß auch Sicherheit und Wohlstand. Und Bedrückung und Betrug weichen nicht von ihrem Markt. (Grundtext) Der Markt bei dem Tor war der Ort, wo das Volk zu Handel und Unterhaltung zusammenströmte, aber auch der Ort, wo Gericht gehalten wurde. An beides mag hier gedacht sein. Wo das Volk zusammenlief, da waren auch listige Zungen geschäftig, es mit aufrührerischen Worten zu bereden. Schlaue Demagogen führten das Volk an der Nase herum. Der edle König wurde auf alle Arten verlästert und geschmäht. Der Gerichtshof war eine Burg des Trugs, und in den Volksversammlungen führte Treulosigkeit den Vorsitz. Ach du armes Jerusalem, dass du also an Sünde und Schande verkauft bist! Die Tugend muss fliehen, das Laster sitzt auf dem Thron. Die feierlichen Gottesdienste sind aufgehoben, die Priester sind geflohen, der König verbannt, und Banden von rohen Schurken machen sich in den Straßen breit, sonnen sich auf den Wällen und besudeln mit ihren Lästerungen das Heiligtum. Wahrlich, schon die Vorboten solcher Gräuel waren Anlass genug zu dem Gram, der sich in diesen Versen so klagend ausspricht.

13. Wenn mich doch mein Feind schändete, wollte ich’s leiden;
und wenn mein Hasser wider mich pochte,
wollte ich mich vor ihm verbergen.
14. Du aber bist mein Geselle,
mein Freund und mein Verwandter,
15. die wir freundlich miteinander waren unter uns;
wir wandelten im Hause Gottes unter der Menge.


13. Der Psalmdichter hat V. 3 seinen Gemütszustand offenbar sehr treffend geschildert, indem er sagte, er schweife oder irre in seinem Kummer umher; denn in dem Psalm selbst zeigt sich, wie seine Gedanken sich bald diesem, bald jenem Teil seiner Leiden zuwenden. Er wandert gleichsam in einem Labyrinth von Herzeleid umher, wendet sich bald hierhin, bald dorthin, nur selten einen Augenblick stillstehend, und geht, ohne einen deutlichen Wink zu geben zu einem anderen Teil über. Jetzt wenden sich seine Gedanken von der Stadt, in der der Aufruhr gärt, zu dem falschherzigen Ratgeber Ahitophel von Gilo. Wenn mich doch mein Feind schändete, wollte ich’s leiden. Nächst dem, dass sein eigener Sohn ihm nach Krone und Leben trachtete, war Davids größtes Herzeleid dies, dass der Mann, der ihm am heftigsten zu schaden suchte, nicht ein offener Feind, sondern ein vermeintlicher Freund war. Dieser ging ins andere Lager über und suchte die Echtheit seines Treubruchs damit zu erweisen, dass er seinen alten Freund mit Lästerreden schändete. Es gibt keine ärgeren Feinde als falsche Freunde. Schmähungen von solchen, mit denen wir uns innig verbunden glaubten und denen wir Vertrauen geschenkt hatten, kränken uns tiefer als andere; und solch ehemalige Vertraute sind in der Regel mit unseren besonderen Schwachheiten so bekannt, dass sie vortrefflich wissen, wie sie uns an der empfindlichsten Stelle treffen können und wie sie reden müssen, um uns den größten Schaden zuzufügen. Die Verleumdungen und Beschimpfungen eines erklärten Widersachers sind selten so gemein und feig wie die eines Verräters, und da ihnen der schärfste Stachel, die Undankbarkeit und Treulosigkeit, fehlt, sind sie weniger schwer zu ertragen. Wir können von einem Simei schweigend hinnehmen, was uns von einem Ahitophel unerträglich ist. Und wenn mein Hasser wider mich pochte, wollte ich mich vor ihm verbergen. Gegen offene Gegner können wir uns decken; aber wer will sich vor einem verräterischen Freunde schützen? Wenn unsere Feinde groß tun wider uns, so machen wir uns stark zu festem Widerstand; aber wenn solche uns höhnen, die uns Liebe heuchelten, wo sollen wir hin? Unser treuer Heiland musste die Tücke und Treulosigkeit eines hochbevorzugten Jüngers in der schlimmsten Weise erfahren; wir wollen uns nicht wundern, wenn auch wir den Pfad betreten müssen, auf dem wir die blutigen Spuren seiner Füße sehen.

14. Du aber. Er sieht den Verräter, als stände er leibhaftig vor ihm. Er sucht ihn heraus aus der Schar der Feinde, er weist mit dem Finger auf ihn und beschuldigt ihn ins Angesicht. Du aber. Et tu, Brute! Du Ahitophel, du hier? Judas, verrätst du des Menschen Sohn? Ein Mensch meinesgleichen (Grundtext), zu dem ich mich stets gestellt habe, als wäre er mit mir gleichen Standes, den ich nie als Untergebenen, sondern als trauten Freund behandelt habe. Mein Freund und mein Vertrauter (Grundtext), mein Genosse, zu dem ich in den innigsten Beziehungen stand, und der mich kannte, wie ich ihn, denn unsere Herzen hatten sich gegenseitig erschlossen. Nicht ein Fremder, mit dem man sich gelegentlich unterhält, sondern ein naher, teurer Freund, den ich der engsten Gemeinschaft gewürdigt habe. Das ist teuflische Bosheit, wenn ein solcher sich als Verräter erweist. Für solche Schurkerei gibt es keine Entschuldigung. Das Verhältnis des Judas zu dem Herrn Jesus war dem des Ahitophel zu David sehr ähnlich. Auch ihn behandelte der Herr als einen Menschen seinesgleichen. Ja, "welche herzdurchbohrende Bedeutung," sagt Delitzsch, "gewinnt dieses Wort erst im Munde des andern David, welcher, obwohl Gottes Sohn und König ohnegleichen, doch zu seinen Jüngern und unter ihnen zu jenem Ischarioten als der Menschensohn in das menschlich trauteste Verhältnis trat." Der Herr machte ihn zu seinem Genossen und pflog mit ihm als dem Schatzmeister ohne Zweifel oft Beratung. Judas wusste den Ort, wo Jesus so oft einsame Stunden des Gebets verbrachte oder sich mit seinen Jüngern zu trauter Gemeinschaft versammelte (Joh. 18,2), ja er war vertraut mit allen Schritten seines Meisters, und doch verriet er ihn seinen erbarmungslosen Feinden. Mit wieviel Recht hätte der Herr auch auf Judas mit dem Finger weisen und ihm sagen können: Und du - -! Aber der sanftmütige Dulder warnte den Verräter in zarterer Weise, und wenn Judas nicht zwiefach ein Kind der Hölle gewesen wäre, so hätte er sicherlich seine verabscheuenswürdige Absicht aufgegeben.

15. Die wir miteinander trautesten Umgang (süße Vertraulichkeit) pflogen. (Grundtext) Ihre Besprechungen und Beratungen waren nicht von der gewöhnlichen Art, wie sie häufig zwischen Männern, die im öffentlichen Leben stehen, gepflogen werden, wobei die Herzen einander fern bleiben können, sondern ihr Umgang war äußerst vertraut gewesen. Der Verräter hatte die innigste Liebe und das vollste Vertrauen genossen. Beiden hatte ihre traute Gemeinschaft gar oft zu Trost und Ermunterung gereicht. Es waren Geheimnisse nicht gewöhnlicher Art zwischen ihnen. Das Herz hatte sich dem Herzen ausgeschüttet; wenigstens war dies von Davids Seite geschehen. Sosehr die Zuneigung des Mannes, der sich jetzt in seiner wahren Gestalt zeigte, reine Verstellung gewesen sein mochte, der betrogene Freund hatte ihn nicht kalt behandelt, noch seine innersten Gedanken vor ihm zurückgehalten. Schmach über den Elenden, der solche Vertraulichkeit heucheln und das geschenkte Vertrauen so missbrauchen konnte! Im Hause Gottes wandelten unter der Menge. David hatte sich nicht gescheut, sich auch öffentlich unter der im Heiligtum wogenden Menge als seinen Freund zu zeigen. Wie daheim, so waren sie auch beim Gottesdienst unzertrennliche Gefährten gewesen, und die gemeinsame Gottesverehrung hatte ihrer Freundschaft eine besondere Weihe gegeben. Miteinander hatten sie sich über göttliche Dinge unterhalten und sich an der Herrlichkeit der Gottesdienste geweidet. Wenn irgendwelche Bande als unverletzlich geachtet werden sollten, dann gewiss diejenigen, welche durch die religiöse Gemeinschaft geknüpft werden. In der Hintergehung ist ein Maß von verabscheuenswürdiger Gottlosigkeit, das die Gemeinschaft des Bekenntnisses tief entwürdigt. Soll selbst der Altar Gottes mit Heuchelei besudelt werden? Sollen die Zusammenkünfte im Hause des HERRN durch Verräterei entweiht werden? Alles dies war bei Ahitophel tatsächlich der Fall, und in gewissem Maße passen Davids Worte auch auf Judas. Seine Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus beruhte auf dem Grunde des Glaubens; sie waren miteinander verbunden in dem heiligsten Werk, er war mit dem herrlichsten Auftrag ausgesandt worden. Dass er mit Jesus ging und wirkte, um dabei seinen eigenen schändlichen Zwecken zu dienen, stempelte ihn zum Erstgebornen der Hölle. Es wäre ihm wahrlich besser gewesen, er wäre nie geboren worden! (Mt. 26,24) Mögen sich alle, deren Bekenntnis zu Jesus Heuchelei ist, durch des Judas Ende warnen lassen; denn gleich Ahitophel machte er seiner Gnadenzeit mit eigner Hand ein Ende und ging an seinen Ort (Apg. 1,25). Er erwarb sich, entsetzlich genug, die erste Stelle in dem Kalender der denkwürdigen Missetäter. Dass er von der Zwölfen einem verraten ward, gehörte sicherlich zu den schwersten der Leiden, welche unserm Erlöser das Herz brachen, und manche seiner Nachfolger haben, wie sein Vorgänger David, einen ähnlich bitteren Trank schlürfen müssen. Noch immer gibt es Nattern von der Schlangenbrut, welche ihr Gift in die Hand spritzen, die sie liebkost, und um etliche Silberlinge die verkaufen, denen sie die Stellung verdanken, welche es ihnen möglich macht, so schändlichen Verrat zu üben.

Fußnoten
3. Die erste Verszeile lautet wörtl. (Verschlinge, d. h.) Vernichte, Herr! Zerteile ihre Zunge (=Sprache). Als Objekt des ersten Zeitworts sind die Feinde zu denken. Da die Vernichtung dieser eben durch Entzweiung ihres Rats geschehen soll, hat Luther die Sätze umgestellt. - Weil das "Zerteile ihre Zunge" an die babylonische Sprachverwirrung erinnert (vergl. glekIe 1. Mose 10,25 ?), vermuten Del. und Bäthg., dass: (lb pi. hier (vergl. Jes. 19,3) gleich llb verwirren (1. Mose 11,9) zu nehmen sei. Dann haben beide Verben das gleiche Objekt: Verwirre, Herr, zerteile ihre Zunge!

4. Subj. sind entweder die Frevler, also die Anhänger Absaloms (so Hupf., Delitzsch u. a.) oder Frevel und Hader aus V. 10, personifiziert gedacht. So Luther nach den alten Übers. und den Rabbin., sowie manche neuere Ausleger.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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16. Der Tod übereile sie,
und müssen lebendig in die Hölle fahren;
denn es ist eitel Bosheit unter ihrem Haufen.


So hätte und hat Jesus nicht gebetet; wohl aber finden wir es natürlich, dass David, der raue Kriegsmann, da er für seine Treue Verrat und Tücke erfuhr, die ihresgleichen suchen, der Qual und Entrüstung seiner Seele in solchen Worten Luft machte. Der Krieger begehrt als solcher die Vernichtung seiner Feinde, denn zu dem Ende kämpft er. Vom Standpunkt des Gesetzes und der Gerechtigkeit aus war Davids Wunsch berechtigt; er führte einen gerechten Verteidigungskampf gegen Menschen, die aller Treue und Gerechtigkeit Hohn sprachen. Lasst uns also die schrecklichen Verwünschungen als Worte aus dem Munde eines Kriegshelden lesen. Der Tod übereile sie.5 Verräter wie diese sind des Todes würdig; es ist keine Möglichkeit, mit ihnen zusammen zu leben, jede ihrer Fußspuren entweiht die Erde. Erschießt man Spione, wieviel mehr solch niederträchtige Schurken! Wie sie mich, ihren König und Wohltäter, mit List ins Verderben zu stürzen suchen, so berücke der Tod sie, sie unversehens überfallend. Und müssen lebendig in die Hölle (die Unterwelt) fahren. Wie die Rotte Korah verschlinge sie die Erde lebendig. In der Blüte des Lebens lass sie zur Unterwelt hinabsinken, lass sie plötzlich den Genuss des Lebens mit den Schrecken des Todes vertauschen! Diese Verwünschungen gehen zwar nicht aus dem Geist des Evangeliums, aber dennoch aus dem Geist des Glaubens hervor, und insofern tragen sie weissagenden Charakter an sich. David war des gewiss, dass Gott die Widersacher seines Gesalbten verstören und aus dem Lande der Lebendigen tilgen werde. Denn Bosheit ist in ihren Wohnungen, in ihren Herzen. (Grundtext) Sie sind zu schlecht, als dass Nachsicht gegen sie walten dürfte; denn ihre Häuser sind Lasterhöhlen und ihre Herzen sprudeln nichts als Bosheit aus. Sie zerrütten das Gemeinwesen, sie sind eine gefährliche Pestilenz, sind Hochverräter und Volksverführer, die gleicherweise nach göttlichem und menschlichem Recht dem Tode verfallen sind. Gott hat das Urteil vollzogen. Ahitophel sowohl als Judas legten Hand an ihr Leben; dem Absalom ward die Eiche zum Galgen, sein wallendes Haar zum Henkerstrick, und des aufrührerischen Volks fiel eine große Zahl im Walde Ephraim. Noch gibt es eine Gerechtigkeit; die Liebe selbst fordert solches. Mit denen, die sich wider Gott empören, als Empörern Mitleid zu haben, ist keine Tugend; wir bitten für sie als für arme, ins ewige Verderben rennende Geschöpfe, aber wir verabscheuen sie als Feinde Gottes. Wir haben es in unseren Tagen weit mehr nötig, vor jener versteckten Ungerechtigkeit, welche das Böse schont und Bestrafung für Unbarmherzigkeit achtet, auf der Hut zu sein, als vor der Rauheit und Härte früherer Jahrhunderte. Wir halten uns so fern von der Szylla, dass die Charybdis uns in ihren Strudel zieht.

17. Ich aber will zu Gott rufen,
und der HERR wird mir helfen.
18. Des Abends, Morgens und Mittags will ich klagen und heulen,
so wird er meine Stimme hören.
19. Er erlöset meine Seele von denen, die an mich wollen,
und schaffet ihr Ruhe;
denn ihrer sind viel wider mich.
20. Gott wird hören und sie demütigen,
der allewege bleibt. Sela.
Denn sie werden nicht anders
und fürchten Gott nicht.



17. Ich (aber) will zu Gott rufen. Der Psalmist wollte nicht die listigen Anschläge seiner Feinde durch Gegenlist zu vereiteln suchen oder ihre Gewaltstreiche nachahmen, sondern im geraden Gegensatz zu ihrem gottlosen Gebaren wollte er unablässig bei seinem Gott Zuflucht und Hilfe suchen. So hat Jesus gehandelt, und für die Gläubigen ist es stets die höchste Klugheit gewesen dasselbe zu tun. Wie dies verschiedene Verhalten den Gegensatz der Charaktere veranschaulicht, so weissagt es auch das entgegengesetzte Geschick: die Gerechten werden zu dem Gott auffahren, der in den Kämpfen der Erde ihre Zuflucht war; die Gottlosen aber werden ins Verderben hinabsinken. Und der HERR wird mir helfen. Jehova wird mein Begehren erfüllen und sich in meiner Errettung verherrlichen. Der Psalmdichter ist seiner Sache ganz gewiss. Er weiß, dass er anhalten wird am Gebet und ist ebenso sehr davon überzeugt, dass er erhört werden wird. Der Bundesname ist die Gewähr der Bundesverheißung.

18. Des Abends, Morgens und Mittags will ich klagen und heulen (oder stöhnen) - nicht vor Menschen, sondern vor Gott. Gottlob, im Himmel gibt es einen Dolmetsch, der sich auf das Übersetzen unserer Seufzer und Klagelaute versteht. Er, der das Mutterherz geschaffen hat, weiß besser noch als eine Mutter die jedem Fremden unverständlichen Klagetöne seines Kindes zu deuten. Die Israeliten rechneten bekanntlich den Tag vom Abend an. Anfang, Mitte und Ende des Tages sollen David auf den Knien finden. Er meint damit, dass er den ganzen Tag ohne Unterlass seinen Kummer und seine Klage vor Gott ausschütten wolle. Seine Feinde waren Tag und Nacht nicht müßig (V. 11); so will er denn ihrer unermüdlichen Geschäftigkeit im Bösen unablässiges Gebet entgegensetzen. So wird er meine Stimme hören. Er ist der guten Zuversicht, dass er mit dieser Waffe den Sieg erringen wird. Er gibt keinem Zweifel Raum, ob er auch werde erhört werden; er spricht, als hätte er schon die Antwort. Wenn unser Fenster gegen den Himmel offen steht, ist auch des Himmels Fenster uns aufgetan. Ein freimütiges Herz findet bei Gott eine freigebige Hand.


19. Er erlöset meine Seele von denen, die an mich wollen6, und schaffet ihr Ruhe. Der Glaube gibt uns einen helleren Blick als das schärfste Fernrohr; er sieht die Bergeshöhen der göttlichen Friedensgedanken, die noch vom dichten Nebel der Zukunft verschleiert sind. (Im Grundtext steht das Perf. der Gewissheit.) Mitten in der Drangsal atmet David schon die freie Luft der kommenden Erlösung. In der tiefsten Schmach weiß er, dass Jehova die Sache seines Gesalbten zum Recht ausführen wird. Frieden wird der HERR ihm geben, Frieden nach außen, Frieden auch in dem jetzt so beunruhigten Herzen. Denn ihrer sind viel wider mich. Die Menge seiner Feinde, die Größe der Not bestärken den Beter in seinem Glauben, dass die Hilfe nicht fern sei; denn wo die Not am größten, da ist Gottes Hilfe am nächsten.

20. Gott wird hören und sie demütigen.7 Sie machen ebensoviel Lärm wie ich, und Gott wird es hören. Die Stimme der Verleumdung, der Bosheit und der Überhebung wird nicht nur von denen vernommen, die durch sie verletzt werden. Sie dringt in den Himmel und beleidigt Gottes Ohr; sie schreit nach Rache, und Rache soll ihr zuteil werden. Gott hört die Seinen und erlöst sie; Gott hört die Gottlosen und demütigt ihr Ungestüm. Ihre unbarmherzigen Hohnreden, ihre niederträchtigen Tücken, ihre feigen Beleidigungen, ihre frechen Lästerungen kommen dem ewigen Richter zu Ohren und werden ihnen von ihm vergolten werden. Er, der von alters her thronet. (Grundtext) Von Uranfang her sitzt Jehova als Richter auf dem Thron; alle Gebete der Heiligen und alle Ruchlosigkeiten der Sünder sind vor seinem Richtstuhl, und er wird dazu sehen, dass beiden Gerechtigkeit widerfahre. Sela. Der Sänger hält inne, ob der Gegenwart des Ewigen von heiliger Scheu ergriffen. Sie, bei denen kein Wechsel ist (Grundtext wörtl.8, und die Gott nicht fürchten. Die ehrfurchtsvollen Empfindungen, von denen er erfüllt ist, erinnern David an den schrecklichen Gegensatz, an die freche Gottvergessenheit seiner Feinde. Er fühlt, dass seine Trübsale ihn näher zu Gott getrieben haben, und er erkennt, dass gerade ihr durch keinen Wechsel unterbrochenes irdisches Gedeihen sie dazu gebracht hat, in solcher Geringschätzung des Allerhöchsten dahinzuleben. Es ist eine für alle Verständigen offenkundige Tatsache, dass lang andauernde Zeiten der Ruhe und des Genusses auf sittlich haltlose Menschen höchst verderblich wirken. Wenn Trübsale sie auch nicht bekehren, so entwickelt sich doch beim Fehlen der Trübsal ihr natürliches Verderben ganz besonders üppig. Stehende Wasser werden faul. Die Sommerwärme brütet viele schädliche Insekten aus. Wer keine Trübsal hat, hat nicht selten auch keinen Gott. Es ist ein mächtiger Erweis der Verderbnis des Menschen, dass er die Güte Gottes in Nahrung für seine Sünde umwandelt. Der HERR bewahre uns davor!

21. Sie legen ihre Hände an seine Friedsamen
und entheiligen seinen Bund.
22. Ihr Mund ist glätter denn Butter,
und haben doch Krieg im Sinn;
ihre Worte sind gelinder denn Öl
und sind doch bloße Schwerter.


21. Er legte Hand an die, die in Frieden mit ihm lebten, entweihte seinen Bund. (Grundtext) Der Psalmist kann das treulose Verhalten des Verräters nicht aus dem Sinn bekommen und geht abermals dazu über es zu schildern. Ruchlos erhebt jener seine Hand wider die, welche ihm einst die Hand zum Freundschaftsbunde gereicht hatten; grausam zerreißt er die zartesten Bande und sucht auf die boshafteste Weise die zu verderben, welche seine Beteuerungen arglos geglaubt haben. Den heiligsten Freundschaftsbund hat er entweiht, er achtet keines Eides und Versprechens.

22. Glatt sind die Butterworte seines Mundes. (Grundtext) Mit Leckerbissen lockt er die Beute in die Falle. Er spart die Butter nicht an dem Braten, den er sich zurichtet. Erst spickt er ihn mit Schmeicheleien, dann klopft er ihn mürbe mit dem Hammer der Bosheit und brät ihn auf dem Feuer des Hasses. Hüte dich vor einem Menschen, der zu viel Honig auf der Zunge hat. Wo sich ein so verlockender Köder darbietet, vermutet man mit Recht eine Falle. Glatte, süße, sanfte Worte sind da am reichlichsten, wo Wahrheit und Treue rar sind. Und Krieg sein Herz. (Grundtext) Butter bringt er dar in herrlicher Schale, aber im Busen verbirgt er Zeltpflock und Schmiedehammer, um damit die Schläfe seines Gastes zu durchbohren (Richter 5,25 f.). Und das tut er dem, der mit ihm im innigsten Freundschafsbunde steht! Ein Ungetüm ist solch ein Mensch, dessen Lippen das Widerspiel seines Herzens sind, und wehe dem Armen, der ihm in die Hände läuft. Seine (Grundtext) Worte sind gelinder denn Öl. Weichere, fließendere, glattere Reden als die seinen kann es nicht geben; es lässt sich kein Haken daran finden, kein Misston fällt ins Ohr, sie gehen glatt ein wie das feinste Öl - und sind doch bloße Schwerter, gezückt zum Kampf. Schmach über dich, du Elender, der du deine Beute leckst und liebkosest, während du im Begriff bist, sie zu verzehren; du Feiger, der du dem Unschuldigen Fallen stellst, als wäre er ein Raubtier. Wahrlich, du selber bist eine Bestie.

23. Wirf dein Anliegen auf den HERRN;
der wird dich versorgen
und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen.

Wirf dein Anliegen, oder die Last, welche dir aufliegt, auf den HERRN. Seine Weisheit legt dir die Bürde auf; deine Weisheit ist es, sie auf ihn zu legen. Er gibt dir dein Teil an Leiden; nimm es hin mit freudiger Ergebung, und dann bring es ihm wieder zurück in fester Zuversicht. Der wird dich versorgen, wird dich aufrechterhalten (wörtl.), dir Tag um Tag die Kraft geben, die du bedarfst, um die dir beschiedene Mühsal und Not zu tragen. Und wird den Gerechten nicht ewiglich (oder: ewiglich nicht) wanken lassen. (Grundtext) Der Gerechte mag schwanken wie die Zweige eines Baumes im Sturme; aber nie und nimmer wird er hinstürzen wie ein entwurzelter Baum, der fällt, um nie wieder aufzustehen. Wer auf dem ewigen Felsen seinen Stand nimmt, der steht sicher. Viel sind derer, welche die Gläubigen stürzen und verstören möchten; aber Gott hat das noch nie zugelassen und wird es nie zulassen. Wie Säulen von Granit stehen die Gottesfürchtigen unbeweglich, zum Ruhm des großen Baumeisters, der sie zu seinem Tempel aufgerichtet hat.

24. Aber, Gott, Du wirst sie hinunterstoßen in die tiefe Grube;
die Blutgierigen und Falschen werden ihr Leben nicht zur
Hälfte bringen.
Ich aber hoffe auf dich.


Den Gottlosen hingegen steht ein schrecklicher Sturz unabwendbar bevor. Mögen sie steigen, so hoch sie wollen, die tiefe Grube gähnt unter ihnen, und Gott selbst wird sie hinabstoßen. Die Blutgierigen und Falschen, sie, die sich mit der zwiefachen Sünde der Grausamkeit und Hinterlist beladen haben, werden ihr Leben nicht zur Hälfte bringen, sei es, dass sie in den Kämpfen, die sie heraufbeschwören, hingerafft werden, sei es, dass sie der Verdruss über das Misslingen ihrer heimtückischen Pläne tötet. Ihrer Gesinnung und Absicht nach waren sie Mörder anderer, in Wirklichkeit werden sie ihre eigenen Mörder. Niemand zweifle daran, dass Tugend das Leben verlängert und jedes Laster es kürzt. Ich aber hoffe (traue) auf dich. Ein weiser Entschluss als guter Schluss des Ganzen. Und ob alle Menschen Lügner waren, dem HERRN darfst du trauen. HERR, stärke uns den Glauben!

Fußnoten
5. Nach dem Keri, mit prägnanter Konstruktion: Der Tod berücke sie, sie überfallend = überfalle sie hinterrücks. Das Ketiv lautet: Verwüstungen über sie.

6. Besser: dass sie nicht an mich können. Andere fassen -brfq: (das dann kerab zu lesen ist) als Substantiv auf (vergl. V. 22): vom Krieg wider mich, als Gegensatz zu MOl$fbI:.

7. Der Text des ganzen Verses ist dunkel. Mg"(Ayaw: lässt der Form sowie der Stellung neben (ma$:yi nach kaum eine andere Übersetzung zu als: er wird ihnen antworten, d. h. sie erhören, was kaum der Sinn sein kann. Die LXX, welchen Luther folgt, lasen wohl Mdeqe b$"y OmgI"(aywi (Del. u. Bäthg.)

8. Dies ist allerdings eine ziemlich wörtl. Übersetzung, deren Sinn aber verschieden gedeutet werden kann. Spurgeon deutet das Wort mit Aben-Ezra, Calvin u. a. nach Hiob 14,14 auf Wechsel des Geschickes, während Luther es von der Sinnesänderung versteht ("sie werden nicht anders"), was vorzuziehen ist.

9. Diese Auffassung, welche von Hitzig verteidigt wird, liegt allerdings sprachlich näher, vergl. z. B. 1. Könige 1,8; trotzdem findet sich in unserer Stelle kein Anhalt für dieselbe, da doch irgendwie im Zusammenhang angedeutet sein müsste, dass die Engel als Subjekt zu Wyhf gedacht seien.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Unser Psalm stammt wohl ebenso wie Ps. 11 aus dem Anfange der absalomischen Verfolgungszeit und ist vielleicht nur etwas später als Ps. 11 anzusetzen. In letzterem wies David den Rat seiner Freunde zu schleuniger Flucht unter Hinweis auf sein Gottvertrauen noch energisch zurück. Jetzt aber wandelt ihn selbst ein Augenblick des Verzagens an. So steht es um das arme menschliche Herz. Gott lässt auch die tapfersten seiner Gläubigen zuweilen wanken, um ihnen zu Gemüt zu führen, dass auch der Glaube nicht auf eigenem Verdienst beruhe, sondern als eine Gabe von oben zu betrachten ist. Lic. Dr. H. V. Andreä 1885.

V. 2. Verbirg dich nicht vor meinem Flehen. Eine bildliche Redeweise, hergenommen von dem Verhalten eines Königs, der es einem Missetäter weigert sein Angesicht zu sehen (2. Samuel 14,24), oder eines Feindes, der sich vor dem irregehenden Ochsen seines Nächsten "verbirgt", d. h. ihn nicht sehen will, ihm seine Hilfe entzieht (5. Mose 22,1.3.4, vergl. Jes. 58,7), oder eines falschen Freundes, oder aber eines unwirschen Menschen, der sich in der Voraussicht, um Hilfe angesprochen zu werden, von einem armen, hilfsbedürftigen Menschen nicht sehen lassen will, sondern ihm zu entgehen sucht. Martin Geier † 1681.

V. 2 ff. In großen Nöten scheint es so, als wenn sich Gott vor uns verberge; aber unser lieber Gott kann sich vor unserm Gebet nicht verbergen, das Gebet findet ihn doch und dringt hin durch die Wolken. Aber wir sehen hier, dass die Heiligen Gottes nicht allezeit haben auf Rosen gegangen und in Freuden gelebt, sondern Weinen und Heulen ist ihr täglich Brot gewesen. Johann Arnd 1621.

V. 3. Weder Gebet noch Tränen eines tiefbetrübten Beters können verloren sein. David schöpft gerade aus seiner großen Traurigkeit Hoffnung, dass Gott auf ihn merken und ihn erhöben werde. David Dickson † 1662.

Ich irre in meinem Kummer umher. (Grundtext) Das hier gebrauchte Wort bedeutet die sinnende, grübelnde (nicht schreiende) Klage, gleich Kummer, wie Wort gleich Gedanke, vergl. Ps. 64,2. Prof. Fr. W. Schultz 1888.

V. 5. Wenn uns wohl ist, so erscheint sich jeder als ein unbesiegbarer Kriegsheld; aber wenn es an den ernsten Kampf geht, da wird unsere Schwäche offenbar. Jean Calvin † 1564.

Und des Todes Furcht ist auf mich gefallen. Dass David, der doch so herrliche Beweise der Liebe und Gunst Gottes empfangen hatte, von Todesfurcht befallen ward, ist so wenig ein Ausnahmefall, dass es vielmehr einen Gemütszustand abbildet, dem viele der trefflichsten Christen häufig unterworfen sind. Nicht wenige, deren Glaube auf dem rechten Grunde, nämlich Christus Jesus, steht und deren Wandel mit ihrem Bekenntnis übereinstimmt, werden doch fast beständig von Angst vor dem Tode gequält. Es wird anziehend und nützlich sein, zu untersuchen, was für Ursachen doch eigentlich dieser Furcht zugrund liegen mögen, welche Schwermut und Verzagtheit großzieht und unsere Glückseligkeit hindert und zerstört. - Es sind wohl nur wenige durch die Knechtschaft der Sünde so verhärtet oder für alle Mahnungen so ganz unempfindlich, dass sie ihrer Auflösung ohne irgendwelches Gefühl des Schreckens und der Bangigkeit entgegensehen. Es ist etwas so eigentümlich Schauriges in dem Gedanken an diesen unbekannten Wechsel und den darauf folgenden außer aller Erfahrung liegenden Zustand, dass die abgehärtetsten Kriegshelden zugegeben haben, der Gedanke an den Tod erfasse sie mit Entsetzen. Eine der ersten Ursachen der Todesfurcht ist das Schuldbewusstsein. Auch der gefühlloseste Mensch ist sich gewisser Dinge bewusst, die er weder sich noch andern gern gesteht, und wenn jemand auch noch so selbstgerecht ist, so fühlt er sich doch so manches Bösen schuldig, ob er es auch mit aller Kunst zu verbergen sucht. Solange der Christ nur auf sich, auf seine Beschaffenheit und seine Neigungen sieht, muss er sich elend fühlen; aber wenn er auf seinen großen Bürgen Christus Jesus schaut, wird sich sein düsterer Ausblick bald in Freude wandeln. Anhänglichkeit an die Welt ist eine zweite Ursache der Scheu vor dem Tode. Eine dritte ist der natürliche Selbsterhaltungstrieb. Dass unser Leib, den der Hochmut so gern herausstutzt und die Weichlichkeit so gern verzärtelt, dem dunkeln Grabe übergeben werden und sogar eine Speise der Würmer werden soll, ist für den Eigendünkel des Menschen höchst demütigend. Überdies empört sich die Natur gegen den Gedanken der Auflösung; das Verlangen, unser Leben zu erhalten, ist uns offenbar angeboren. Viertens ist es dem Teufel oft gestattet, das Gewissen zu schrecken und damit die Angst vor dem Tode zu verstärken. Unglaube ist eine fünfte Ursache. Wäre unser Glaube mehr in Übung, so würden wir besser befähigt sein, mit gewisser Hoffnung der Unsterblichkeit über das düstere Grab hinaus und hinauf zu blicken. Unsre Todesfurcht mag endlich auch darin einen Grund haben, dass wir bei uns eine Vollkommenheit suchen, die wir da niemals entdecken werden. - Lasst uns aber auf die Gründe sehen, welche geeignet sind, uns von der Todesangst zu befreien. Es mag notwendig sein, vorauszuschicken, dass der Trost des Evangeliums nur den wahren Christen gehört; denn die Gottlosen haben gerechte Ursache, vor dem Herannahen des Todes zu zittern. Wer sich aber im Bewusstsein seiner Unwürdigkeit unter das göttliche Gericht, das in dem Tode liegt, gebeugt hat und zu Christus seine Zuflucht genommen hat, um bei ihm Vergebung und Errettung zu finden, der hat keinen Grund, weder die Schmerzen noch die Folgen des Todes zu fürchten. Denn die Pein des Gewissens, der Stachel des Todes, ist hinweggenommen. Der Tod ist mithin (zweitens) für den Gläubigen nicht mehr ein Feind, sondern ein Freund. Statt dass er uns mit ewigem Jammer schreckte, ladet er uns vielmehr zu ewiger Glückseligkeit. Drittens: Unsere ewige Geborgenheit ruht auf dem Eid, dem Vorsatz und den Verheißungen Gottes. Ein viertes, das wohl geeignet ist, uns die Todesfurcht zu benehmen, ist die Betrachtung der Vorteile, welche er uns bringt; desgleichen der Segnungen, welche uns unsere Auferweckung durch Christus bringen wird. - Auszug einer Predigt von John Grove 1802.

V. 6. Furcht und Zittern ist mich ankommen usw. Bist du etwa in solch bemitleidenswerter Gemütsverfassung, so merke, dass es einem David auch so ergangen ist. Es steht nicht unbedingt im Widerspruch mit der Gottseligkeit, dass unser Herz in Zeiten der Gefahr von Furcht erschüttert wird. Die natürlichen Affekte (Gemütserregungen) werden durch die Bekehrung nicht aufgehoben, wohl aber geläutert und gemildert. David Dickson † 1662.

V. 1-6. Wie natürlich ist diese ganze Schilderung! Er ist in Verwirrung, er grübelt und klagt, er seufzt und stöhnt, sein Herz windet sich in seinem Leibe, und er erwartet nichts anders als den Tod; das versetzt ihn in große Furcht, er zittert, Schauder bedeckt ihn, wie ein Alp liegt auf ihm das Vorgefühl nahen und unausweichlichen Untergangs, so dass er ganz von Schrecken überwältigt wird. Niemand hat ein blutendes Herz so treffend beschrieben wie David. Adam Clarke † 1832.

V. 7 f. O, hätte ich Flügel wie Tauben usw. Manche der wunderlichsten Predigten sind über diesen Text gehalten worden, der bei den alten Gottesgelehrten ganz sonderlich beliebt war. Sie durchforschten Plinius und Aldrovandus, um die ungeheuerlichsten Fabeleien über die Tauben, ihre Augen, ihre Leber, ihren Kropf und sogar ihren Mist zu sammeln, und fanden dann in allem und jedem ein Sinnbild des Christen. Griffith Williams (1636) ergeht sich des langen und breiten darüber, dass David nicht die Flügel einer Heuschrecke begehrt habe, um von Halm zu Halm zu hüpfen, wie die unbeständigen Menschen, die in der Religion wohl Sprünge machen, aber nicht dem vorgesteckten Ziele mit Ausdauer zulaufen; auch nicht Flügel, wie der Strauß sie hat, der, wiewohl er ein Vogel ist, am Erdboden bleibt, gleich den Heuchlern, die sich nie zu himmlischen Dingen aufschwingen; auch nicht Flügel eines Adlers oder eines Pfauen oder eines Käfers oder einer Krähe oder eines Geiers oder einer Fledermaus. Und nachdem er die Ähnlichkeit des Gläubigen mit einer Taube in wer weiß wie vielen Stücken aufgezeigt hat, verweist er uns zum Überfluss für weitere Vergleichungspunkte noch auf den Kardinal Hugo von St. Cyr († 1263) und viele andere Schriftsteller. Unserer Ansicht nach würde es nicht zur Erbauung dienen, diese Blätter mit solchen Abgeschmacktheiten und Unwahrheiten zu beladen. Das eine Sätzlein von Bischof Simon Patrick († 1707) wiegt sie alle auf: "Er hatte mehr den Wunsch als die Hoffnung zu entfliehen." Er sah kein Entrinnen, es wäre denn auf irgendeine unglaubliche oder unmögliche Weise. C. H. Spurgeon 1872.

Als die alten Gallier den Wein Italiens gekostet hatten, fragten sie, wo solche Trauben wüchsen, und ruhten nicht, bis sie dahin gelangten. So möget auch ihr mit David rufen: O, hätte ich Flügel wie Tauben usw. Der Gläubige ist bereit, alles, was die Welt ihm bieten kann, zu verlieren und die Erde zu verlassen, um das zu genießen, was Gottes Gnade ihm in der Herrlichkeit bereitet hat. (Man vergl. "In die Ferne möcht’ ich ziehen" V. 2 und "Lasst mich gehn" V. 3) William Secker 1660.

Erst ist der Seel’ die Mutter Erde lieb;
Sie klammert an die Welt sich, die ihr lacht.
Am Boden flattert sie, folgt nicht dem Trieb,
Der leis in ihren Schwingen ist erwacht.

Doch unterm weiten Himmel find’t sie nichts,
Das ihr das tiefste Sehnen stillen kann;
Sie mag nicht ruhn im Strahl des ird’schen Lichts,
Sie trifft hienieden keine Heimat an.



Dann - wie ein Bienlein, das sich hätt’ verirrt
Zu Unkrautsblüten, farbenreich, doch leer -
Von Kelch zu Kelch sie rastlos kostend schwirrt,
Fliegt dann enttäuscht davon und kehrt nicht mehr.

So, wenn die Seele, suchend wahre Ruh,
Wie Noahs Taube sich umsonst müht ab,
Dann eilt sie aufwärts, ihrem Ursprung zu,
Und flieht zu Ihm, der ihr die Schwingen gab!

Nach Sir John Davies † 1626.

Ich vermute, David habe hier an die Turteltaube gedacht. Ihre tiefen, klagenden Töne kann man zu gewissen Jahreszeiten den ganzen Tag in den Olivenhainen und den einsamen, schattenreichen Tälern des Gebirges hören; am meisten hat ihr Girren aber mein Gemüt in den großen Gärten um Damaskus bewegt - es klang so gedämpft, so herzbewegend kläglich aus dem Gebüsch bei dem sanften Säuseln der Luft und dem leisen Gemurmel der Bächlein, welche die blütenreichen Baumanger hinabrieselten. Diese zierlichen Tierchen lassen sich durchaus nicht zähmen. Sperrt man sie in einen Käfig, so härmen sie sich zu Tode; sobald man sie in Freiheit setzt, fliehen sie auf ihre Berge (Ps. 11,1). Namentlich findet man diese scheuen Vögel auch in den Wüsten, wo sie den Jägern möglichst fern sind, vor denen sie ganz besonders auf der Hut sind. W. M. Thomson 1859.

V. 10. Mache ihre Zunge uneins, Herr! Das geschah, als das Zeugnis der beiden falschen Zeugen nicht übereinstimmte, ferner in den widersprechenden Aussagen der Grabeshüter. Michael Ayguanus 1416.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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V. 13. Wollte ich’s leiden. Es ist beachtenswert, dass unser Herr und Heiland, während er die anderen unsagbar schweren Kämpfe und Leiden seiner Passion mit vollkommenem, bewundernswertem Schweigen ertrug, in diesem einen Stück dem Kummer seines Herzens Luft machte, indem er es vor den Jüngern unter tiefer Erschütterung seines Geistes aussprach, dass einer unter ihnen ihn verraten würde (Joh. 13,21), und dem Verräter selber hernach das Donnerwort zurief: Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuss? Fra Thomé de Jesu † 1582.

V. 15. Die wir freundlich miteinander waren unter uns, buchstäblich: unsere vertrauliche Beratung oder unser Geheimnis süß machten. Eine feine Redeweise, die entweder ausdrücken soll, welches Vergnügen sie gegenseitig an ihrer Freundschaft gehabt hatten, oder, dass sie einander in der traulichsten Weise ihre Geheimnisse mitgeteilt hatten. Henry Hammond † 1660.

V. 16. Die unbußfertigen Sünder fahren in gewissem Sinn alle lebendig zur Hölle; denn sie werden ein klares Bewusstsein ihres Jammers haben und müssen weiterleben, um für und für ihr Elend zu empfinden. Dies Gebet Davids ist eine Weissagung des gänzlichen, endgültigen und ewigen Verderbens aller derer, welche im Geheimen oder öffentlich dem Gesalbten des HERRN widerstanden und sich wider ihn empört haben. Matthew Henry † 1714.

Alle Menschen, welche in Gleichgültigkeit und offenbaren oder geheimen Sünden dahinleben, häufen sich selbst einen Schatz des Zornes auf den Tag der Vergeltung auf; aber ein plötzliches Gericht kommt über die Heuchler, die ihr Bekenntnis zu Christus durch Falschheit und Verrat an der Wahrheit mit Füßen treten, wie auch Paulus das Anathema ausgesprochen hat über alle, die das Evangelium Christi verfälschen würden. (Gal. 1,8 f.) So kündigt auch dieser Psalm das schreckliche Gericht Jehovas über die Verräter an, ein Gericht, das jenem ähnlich sein wird, das einst über Dathan und Abiram erging, und durch seine Plötzlichkeit und Offenkundigkeit zugleich die Schuld der Missetäter vor aller Welt enthüllen und den Zorn des Allmächtigen wider solche kundtun wird. R. H. Ryland 1853.

V. 18. Der Brauch der Israeliten, drei öffentliche Gebetszeiten zu haben, ist bereits Ps. 55,18 angedeutet. Vergl. Dan. 6,11. Wenn das (nach der Meinung mancher) ein Zug der äußerlichen Frömmigkeit eines Daniel sein soll, so kann dies eben nur solchen anstößig werden, die es im Interesse der Frömmigkeit finden, überhaupt keine geregelten Gebetszeiten zu haben. Prof. Gustav Öhler † 1872.

Wenn unser gebrechlicher Körper dreimal des Tages der Erquickung durch Nahrung bedarf - wer, der seine eigne Schwachheit kennt, wird dann sagen, dass wir nicht ebenso oft der besonderen Erfrischung für unseren schwachen Geist bedürften? William Swan Plumer 1867.

Ich kann es von jemand, der es gering achtet und vernachlässigt, die Zeiten besonderen Gebetsumgangs mit Gott einzuhalten, ebenso wenig glauben, dass er häufig und mit brünstigem Geist auf augenblicklichen Antrieb zu Gott flehe, als ich es von solchen, die den von Gott eingesetzten Ruhetag nicht beobachten, glauben kann, dass bei ihnen jeder Tag der Woche zum Sabbat werde. William Gurnall † 1679.

Die drei Hauptzeiten des Tages werden genannt, nicht sowohl, um damit besondere Gebetszeiten zu bezeichnen, sondern als dichterischer Ausdruck für: den ganzen Tag, allezeit, ohne Unterlass. J. J. Stewart Perowne 1864.

V. 19b. Das Denn gibt den Grund an, warum Gott eingreift: weil es bei Gott allgemeiner Grundsatz ist, den Seinen zu helfen, wenn ihre Not hoch gestiegen ist. A. R. Fausset 1866.

Denn zu vielen (= in Menge) sind sie ydimIf(i. Dies kann man, da M(i sehr häufig bei den Zeitwörtern des Streitens und Kämpfens steht und auch ähnliche Verbindungen wie an unserer Stelle vorkommen (vergl. Ps. 94,16; Hiob 10,17 f.), von den Feinden verstehen, die in großer Zahl gegen ihn seien. Aben-Ezra aber denkt an die Engel, die in großer Zahl bei David, um ihn9 her seien, ihm zum Beistand, vergl. Ps. 34,8; 2. Könige 6,16 f; 2. Chr. 32,7. Henry Ainsworth † 1622.

V. 20. Der Sitzende der Urzeit (wörtl.) - der von Urzeit her thront. Das Sitzen ist dem Richter und Könige eigentümlich, vergl. Ps. 29,10. Die Taten, durch die Gott schon von der Urzeit her sich als den gerechten König und Richter gezeigt - Gerichte, wie z. B. über die Frevler im Lande Sinear, V. 10, die Rotte Korah, V. 10.16, die Städte der Jordansaue, V. 16 - verbürgen sein bevorstehendes Einschreiten. Er, der schon so lange thront, muss auch jetzt als König und Richter sich zeigen; er kann nicht so spät noch ein anderer werden. Das Sela steht keineswegs "ganz unpassend", sondern es weist hin auf den tiefen Gehalt der wenigen Worte, die reiche Fülle des Trostes, die sie darbieten, und ladet das Gemüt ein, bei ihnen stille zu stehen. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.

Sie haben keine Wechsel. (Buchstäblich) Sie, nämlich diejenigen, welche Gott demütigen wird, also die gottlosen Feinde des Psalmdichters. Was bedeutet aber das Wort Wechsel hier? Viele verstehen es von einer sittlichen Änderung, von Sinnesänderung = meta/noia; aber das Wort kommt nie in solcher Bedeutung vor. Es bedeutet vielmehr Wechsel im Sinn von Aufeinanderfolge, wie z. B. Ablösung der Krieger in der Wache, Ablösung in der Arbeit, Wechsel der Kleider u. dergl. Daher würde man bei Festhalten der sittlichen Bedeutung diese eher so auszudrücken haben: Sie haben keine Ablösung, keine Ruhepause in ihrem bösen Treiben, sondern fahren darin unablässig, mit nimmer ermüdender Ausdauer, fort. Calvin und andere [so auch Spurgeon] verstehen das Wort von Glückswechsel, aber diese Bedeutung ist unbelegbar. J. J. Stewart Perowne 1864.

Omlf tOpylixA Ny)" r$e)A. Ansprechend ist die Beziehung dieser Worte auf das vorausgehende Subjekt, nämlich Gott, also auf die Unwandelbarkeit Gottes. (Kimchi.) Dass wÆmlf auch für den Singular Ol stehen könne, wird in der neueren Zeit ja entschieden bejaht. Man kann dann in unserer Stelle die Grundstelle zu Jak. 1,17 finden: "Bei welchem ist keine Veränderung." Der gewiegte Kenner des klassischen Hebräisch, Salkinson, übersetzt in seinem hebräischen Neuen Testament dort im Jakobus denn auch offenbar nach unserer Psalmstelle: Ny)" r$e)A Ol tOpylixA. Nur unterbricht das Sela, das sonst erklärbar ist, bei dieser Deutung der ihm folgenden Worte sehr störend den Zusammenhang, und auch der Schlusssatz "und sie fürchten Gott nicht" steht dann losgerissen da. - James Millard

V. 22. Butter. An den meisten Stellen, wo das Wort vorkommt, hat man an die Dickmilch, das im ganzen Orient so beliebte Erfrischungsmittel, zu denken. So hier eigentlich: Dickmilchspeisen.
Glatt sind die Butterworte seines Mundes. Von der Art sind die fromme Sprache der Heuchler, die Mildtätigkeit bigotter Fanatiker, die verführerischen Reden von Irrlehrern, die Versprechungen der Welt, die verlockenden Reize des Fleisches, sowie die Versuchungen des Satans, wenn dieser es angebracht findet, als Engel des Lichts zu erscheinen. Bischof George Horne † 1792.

Als ich wieder vor den Richter kam, fand ich dort einen Herrn Foster von Bedford [in welcher Stadt Bunyan wohnte und wirkte]. Er kam aus einem anderen Zimmer, und als er mich beim Licht der Kerze (denn es war dunkle Nacht, als ich ankam) erkannte, rief er: Was, Sie hier, John Bunyan? Er sagte das mit solch scheinbarer Freundlichkeit, als ob er mir hätte um den Hals fallen und mich küssen wollen [also ein rechter Judas (Spurgeon)]. Das brachte mich ein wenig zum Erstaunen, dass jemand, der mit mir so wenig bekannt war und stets ein heftiger Gegner der Sache Gottes gewesen war, sich gegen mich so freundlich und liebenswürdig zeigte; aber als ich hernach sah, was er tat, kamen mir die Worte in den Sinn: Ihre Worte sind gelinder denn Öl und sind doch bloße Schwerter, sowie jene andern: Hütet euch aber vor den Menschen usw. (Mt. 10,17.) John Bunyan † 1688.

V. 24. Die Blutgierigen und Falschen usw. Ein gottloser Mensch wird entweder vorzeitig hingerafft, sei es durch seine eigenen, das Leben verkürzenden Sünden (Spr. 10,27) oder durch besondere Strafgerichte, so dass er nicht halb so lange lebt, als er nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur leben könnte, oder jedenfalls lebt er nicht halb, nicht ein Zehntel, nicht ein Hundertstel so lang, als er leben möchte und zur Ausführung seiner vielen Anschläge nötig hätte. Darum ist er beim Sterben, es mag kommen wann immer, voller Schrecken, Not und Bestürzung, denn der Tod kommt ihm stets zur unrechten Zeit. Er hat nie Gottes Gnadenzeit beachtet, so wird denn Gott auch nicht auf seine Wünsche betreffs der Lebenszeit achten. Joseph Caryl † 1673.

Homiletische Winke

V. 2b. 1) Ein Übel, das man wohl fürchten mag. Verbirg dich nicht, indem du a) in dringender Not lange zu helfen zögerst, b) überhaupt dich weigerst, auf das Flehen (des Sünders) zu hören. 2) Ursachen, die dies Übel herbeiführen können. Sie mögen a) im Beter, b) im Inhalt des Gebets, c) in der Art und Weise des Betens liegen. 3) Übel, die diesem folgen müssen. 4) Heilmittel wider dies Übel. Es gäbe kein Heilmittel. Wenn das Übel anhielte (d. h. Gott nicht hören wollte); aber Durchforschung des eigenen Herzens, aufrichtige Sinnesänderung, Anhalten am Gebet, Berufung auf den Namen Jesu werden zu seiner Hinwegnahme führen.
V. 3b. Wann ist Klagen erlaubt? Wenn es 1) nicht wider Gott, sondern vor Gott geschieht; 2) vor allem über uns selbst, sodann 3) über die Welt als ungerecht und widergöttlich; 4) stets mit heiliger Betrübnis und nicht in selbstsüchtigem Ärger.
V. 5. Die Schrecken des Todes. (Siehe den Auszug aus Grove über Ursachen und Heilmittel der Todesfurcht.)
V. 7 f. Einsamkeit. 1) Ihre vermeintlichen Vorzüge. 2) Ihre großen Versuchungen. 3) Die Segnungen, die sie uns zuzeiten bei rechter Benutzung bringen kann.
V. 9. Ein vorzeitiges Enteilen aus der Trübsal würde 1) Auflehnung wider Gott und 2) feigen Mangel an Glauben beweisen; 3) uns um höchst nützliche Erfahrungen bringen und 4) in andere, schlimmere Trübsale stürzen; 5) uns hindern Gott zu verherrlichen; 6) unsere Ähnlichkeit mit Christus und die Leidensgemeinschaft mit den Seinen vermindern; endlich 7) uns den Himmel weniger begehrenswert machen.
V. 10. Die babylonische Verwirrung der Irrlehren. 1) Im Wesen der Irrlehren begründet, denn es gibt nur eine Wahrheit, und nur die Wahrheit ist in sich selbst eins. 2) Unvermeidlich, denn die Beweggründe der Irrlehrer sind, weil selbstsüchtig, einander entgegen. 3) Durch die Vorsehung geordnet, denn so schwächen sie einander. 4) Gerichtlichen Charakters, denn so quälen sie einander.
V. 11a. Die Emsigkeit der Bosheit.
V. 11b. Die Teufelszwillinge: Unheil und Jammer.
V. 15. Verbindungen auf religiöser Grundlage: 1) Sie stehen auf gutem Grunde; 2) sind nützlich (Rat), 3) lieblich (süß), 4) dienen zu gegenseitiger Stärkung und Begeisterung (miteinander im Hause Gottes), 5) sollten heilig gehalten werden, 6) bedürfen aber sorgfältiger Überwachung.
V. 17. Der Gegensatz. 1) Ein Gottesmensch tut andern nicht Unrecht wie sie ihm. 2) Er ruft Gott an, sie aber tun das nicht. 3) Gott hört die Seinen, hingegen nicht die Gottlosen. 4) Auch am Ende wird Gott anders handeln an den Seinen als an jenen.
V. 18. 1) David will inbrünstig beten ("klagen und heulen"); 2) oft - jeden Tag, dreimal des Tages, d. h. 3) ohne Unterlass.
V. 19. Unsere Kämpfe, unser Helfer, unsere Erfahrungen der Errettung, unser Lobpreis.
V. 20. Die ewige Herrschaft Gottes: der Schrecken derer, die in der Gottlosigkeit beharren.
V. 22. Die Worte des Heuchlers. 1) Sie fließen ihm in Fülle aus dem Munde. 2) Sie kommen nur aus dem Munde. 3) Sie sind sehr glatt. 4) Sie verdecken die Gedanken, statt sie zu offenbaren. 5) Sie schneiden und töten. 6) Sie töten aber auch den Heuchler selber.
V. 23. Kein Gläubiger, dem Gott nicht eine Bürde auferlegt. Doch nicht dazu wird sie ihm auferlegt, dass er sie in eigener Kraft trage - sie würde ihn erdrücken - sondern dass er sie auf den HERRN wälze. Doch legt der HERR sie ihm wieder auf, damit er sie trage, aber aufrecht erhalten vom HERRN, also in der Kraft des HERRN.
V. 23b. Wer sind die Gerechten? Was ist damit gemeint, dass sie wanken? Wessen Zulassung ist dazu nötig, dass dies geschehe? Wird er es zulassen? Nicht ewig - ewig nicht. Warum nicht?
V. 24. Man beleuchte mit dem Schlusswort "Ich aber hoffe auf dich" den ganzen Psalm

Fußnote
9. Diese Auffassung, welche von Hitzig verteidigt wird, liegt allerdings sprachlich näher, vergl. z. B. 1. Könige 1,8; trotzdem findet sich in unserer Stelle kein Anhalt für dieselbe, da doch irgendwie im Zusammenhang angedeutet sein müsste, dass die Engel als Subjekt zu Wyhf gedacht seien.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps56

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PSALM 56 (Auslegung & Kommentar)




Überschrift

Dies ist das zweite "güldene Kleinod Davids", das mit dem ersten (Ps. 16, wo man die Vorbemerkungen vergleiche) am Schlusse Ähnlichkeit hat, denn beide enden im Licht des göttlichen Angesichts. Auch unser Psalm birgt in sich ein goldenes Geheimnis, das Leben des Glaubens. Von der stummen Taube unter den Fremden. Das ist wohl der Anfang der Weise, nach welcher der Psalm von dem Vorsteher der heiligen Sängerchöre in Musik gesetzt werden sollte. Doch hat man die Worte von alters her auch als symbolische Bezeichnung des Dichters in seiner damaligen Lage, da ihn die Philister griffen zu Gath, aufgefasst. Man vergl. die Erzählung 1. Samuel 21,11-16 und den auf den gleichen Anlass zurückgeführten Ps. 34.

Einteilung

In V. 2.3 gibt der Psalmist seiner Klage, in V. 4.5 seinem Gottvertrauen Ausdruck. V. 6.7 kehrt er zur Klage zurück, fleht aber mit fester Zuversicht in V. 8-10 und schließt im Ton freudigen Rühmens und Dankens V. 11-14.

Auslegung

2. Gott sei mir gnädig, denn Menschen schnauben wider mich;
täglich streiten sie und ängsten mich.
3. Meine Feinde schnauben täglich;
denn viele streiten wider mich stolziglich.


2. Gott, sei mir gnädig. In meinem großen Jammer wende ich mich an dich, mein Gott. Bei Menschen finde ich kein Erbarmen; drum sei du mir zwiefach barmherzig. Hat deine Gerechtigkeit meine Feinde auf mich losgelassen, so lege dein Erbarmen sie wieder fest. Sie sind ja doch an deiner Kette und können keinen Schritt weitergehen als du ihnen zulassest. Es ist köstlich zu sehen, wie das zarte Taubengemüt des Psalmisten in der Stunde der Gefahr an Gottes Herzen Bergung sucht. Denn Menschen schnauben wider mich. Sie sind doch nur Menschen, ohnmächtige, hinfällige Menschen (vergl. im Grundtext enosh), die wider dich, den starken Gott (Elohim), nichts vermögen und es nicht wagen sollten, deinen Auserwählten anzutasten; aber gleich einem Ungetüm lechzen sie nach meinem Blut, sie stellen mir begierig nach, wörtl.1: sie schnappen nach mir, möchten mich nicht nur verwunden, sondern ganz und gar verschlingen. Wenn die Gottlosen in ihrer Wut gegen uns das Maul aufsperren, sollte uns das veranlassen, unseren Mund weit aufzutun zum Gebet. Wir dürfen die Unbarmherzigkeit und Grausamkeit der Menschen vor Gott als Grund für sein Eingreifen geltend machen. Täglich streiten sie und ängsten mich, Grundtext: Immerfort bedrängen mich Krieger. Die Feinde lassen mir keine Ruhe, und so ungerecht ihr Kampf ist, scheint er ihnen doch gelingen zu sollen, denn meine Bedrängnis wird immer größer. David bringt die Klage gegen seine Widersacher am rechten Ort vor. Wenn wir schon gegen Menschen bei Gott Hilfe suchen können, wieviel mehr gegen den Erzfeind unserer Seele, den Teufel. Wir bitten den HERRN, uns unsere Schuld zu vergeben, was der Bitte Davids "Gott sei mir gnädig" entspricht, und dann flehen wir: "Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen." Je heftiger der Satan uns anficht, desto stärker rufen wir um Errettung.

3. Meine Feinde schnauben täglich. Ihre Gier nach Blut lässt nie nach. Sie gönnen weder sich noch mir einen Rasttag und geben keinen noch so kurzen Waffenstillstand. Es sind ihrer viele, aber ein Geist beherrscht sie. Was ich auch tue, nichts kann sie erweichen und besänftigen. Sie werden nie zufrieden sein, bis sie mich ganz verschlungen haben. Die Wehrwölfe2 der Ammenmärchen finden wir leibhaftig in den Feinden der Kirche, denn diese möchten in der Tat nichts lieber als die Gläubigen zermalmen und verzehren. Denn viele streiten wider mich. Die Sünder leben gern in Herden. Diese Wölfe fallen selten einzeln über uns her, sondern rotten sich in Rudeln zusammen. Die große Zahl unserer Feinde ist ein kräftiger Grund, das Dazwischentreten unseres einzigen Verteidigers zu erflehen. Dieser eine aber ist mächtiger als die ganze Rotte der Verfolger zusammen. Die Feinde der Gottseligen sind auch darin den Wölfen ähnlich, dass sie scharfe Augen haben. Sie sind stets auf der Lauer, wie denn das mit "Feinde" übersetzte Wort des Grundtextes sie nach der Erklärung mancher eigentlich als Späher oder Auflaurer bezeichnet.3 Das letzte Wort des Verses, welches Luther mit vielen Auslegern stolziglich übersetzt, heißt zunächst: in der Höhe. Der Dichter meint damit wohl, dass seine Feinde sich in hoher Stellung befinden. Sein größter Feind, Saul, griff ihn vom Thron aus an, mit all der Gewalt, über welche er in dieser seiner königlichen Stellung verfügte. In solchem Fall ist der Trost nahe zur Hand: Gott hilft uns von einem noch höheren Orte aus, als unsere Feinde je einnehmen können.

4. Wenn ich mich fürchte,
so hoffe ich auf dich.
5. Ich will Gottes Wort rühmen;
auf Gott will ich hoffen und mich nicht fürchten;
was sollte mir Fleisch tun?


4. Wenn ich mich fürchte. David war kein Prahler, er gab nicht vor, dass er sich nie fürchte; auch war er kein stumpfer Stoiker, der keine Angst kennt, weil er überhaupt kein Gefühl mehr hat. Seine Klugheit bewahrte ihn vor der törichten Sorglosigkeit unwissender Menschen; er merkte, in welch furchtbarer Gefahr er schwebte und fürchtete sich. Wir sind Menschen und sind als solche manchem schweren Schlage ausgesetzt, wir sind schwache Menschen und daher unvermögend dem Schicksal zu trotzen, wir sind sündige Menschen und verdienen Züchtigungen, und dies alles mag uns wohl ängstlich machen. Aber der Seelenzustand des Psalmisten war ein eigentümliches Gemisch anscheinend unvereinbarer Stimmungen: er fürchtete sich zwar, aber die Furcht nahm nicht den ganzen Raum seiner Seele ein, denn er fügt hinzu: so hoffe (oder: traue) ich auf dich. Es ist also möglich, dass Furcht und Glaube zu gleicher Zeit das Gemüt erfüllen. Wir sind sonderbare Geschöpfe, und unsere Erfahrungen im geistlichen Leben sind noch sonderbarer. Wir befinden uns oft im Zwielicht, wo sowohl Licht als Dunkel vorhanden sind und es schwierig ist zu sagen, welches von beiden vorherrsche. Das ist aber eine segensreiche Furcht, die uns dazu drängt, desto fester auf Gott zu trauen. Die fleischliche Furcht treibt uns von Gott weg; wenn aber der Geist Gottes in uns wirken kann, treibt uns die Furcht zu Gott hin. Hier haben wir ein sehr einfaches, aber wohlerprobtes Rezept gegen die so verbreitete Krankheit der Menschenfurcht: Nimm eine gute Dosis Gottvertrauen ein, so wirst du von jenem schleichenden Übel geheilt. Merke aber: Auf Gottes Schutz trauen, wenn keinerlei Anlass zur Furcht da ist, das kann man doch nur zur Not noch Glauben nennen; aber sich auf den HERRN verlassen, wenn uns ringsum nichts als Schrecken und Angst anstarren, das ist der in allem weit überwindende Glaube der Auserwählten Gottes. Dieser Ausspruch des Psalmisten ist keine leere Rede; David hat seinen Glauben im Leben bewährt. So lasst es uns auch machen. Ob unsere Furcht durch Dinge in uns oder außer uns veranlasst sei, ob sie von Vergangenem oder Gegenwärtigem oder Zukünftigem, von leiblichen oder geistigen Ursachen, von Menschen oder vom Teufel herrühre, lasst uns Glauben halten, so werden wir bald neuen Mut in unseren Adern fühlen.

5. Ich will Gottes Wort rühmen, oder nach der gewöhnlichen Auffassung des Grundtextes, vergl. Jes. 26,13: Durch Gott, d. i.: dank der Hilfe Gottes, werde ich rühmen sein Wort. Vom Glauben kommt’s zum Loben. Wer vertrauen kann, wird auch bald jubeln können. Der Psalmist ist des gewiss, dass er durch Gott, durch Gottes hilfreiches Eingreifen, des HERRN Wort in Erfüllung gehen sehen und also Anlass haben werde, die Treue der göttlichen Zusagen zu rühmen. Gottes erfüllte Verheißungen sind ein köstlicher Gegenstand des Rühmens. Und selbst ehe die Erfüllung da ist dürfen und sollen wir die Zuverlässigkeit des göttlichen Wortes preisen; was wir schon davon erlebt haben, gibt uns Grund genug dazu. Auf Gott habe ich mein Vertrauen gesetzt. (Grundtext) Nicht mit halbem, sondern mit völligem Glauben sollen wir uns auf Gott stützen und auf ihn allein. Und fürchte mich nicht. Sahen wir zuerst Furcht und Glauben in der Seele des Psalmisten, so nehmen wir hier wahr, wie der Glaube die Furcht vertreibt und das Feld allein behauptet, so dass nun der Sänger triumphierend ausruft: Was sollte mir Fleisch tun? Ja, was in der Tat? Nichts kann mir wirklich schaden; alle Anschläge der Bosheit werden mir schließlich nur zum Besten dienen. Die Menschen sind Fleisch, und Fleisch ist wie Gras; in deinem Namen, HERR, biete ich all dem Wüten der ohnmächtigen Kreatur Trotz. Erst hatten wir zwei Vers voller Klage, nun finden wir zwei voll Vertrauens. Es ist gut, zum Sauren das entsprechende Teil Süßigkeit zu fügen; dann gewinnt das Herbe Wohlgeschmack.

6. Täglich fechten sie meine Worte an;
all ihre Gedanken sind, dass sie mir übel tun.
7. Sie halten zuhauf und lauern
und haben Acht auf meine Fersen, wie sie meine Seele erhaschen.


6. Täglich (Grundtext: den ganzen Tag, d. i. immerfort) fechten sie meine Worte an.4 Das ist so Sitte bei den Gottlosen. Sie spannen unsere Worte auf die Folter und zwingen Deutungen heraus, die man billigerweise nicht darin suchen sollte. In dieser Weise entstellte man ja auch die Worte des Heilands über den Tempel seines Leibes, und unzählige von den Anklagen, die man je und je gegen die Knechte des HERRN geschleudert hat, beruhen auf gleicher absichtlicher Verdrehung. Leute, die dies zu ihrem täglichen Geschäft machen, erlangen darin eine große Kunstfertigkeit. Der Wolf kann in den Worten des Lammes stets einen Grund finden es zu verschlingen. Man kann sogar aus Gebeten Gotteslästerungen machen, wenn man sie das Unterste zu oberst gekehrt liest. All ihre Gedanken sind, dass sie mir übel tun. Auch nicht ein Zug des Wohlwollens oder doch des Mitleids mischte sich in ihre Gedanken über David. Ob sie ihn als König, als Dichter, als Menschen, als Vater, als Kriegsmann oder als Dulder ansahen, es war immer dasselbe, sie sahen durch ihre gefärbte Brille und konnten nicht einen edeln Gedanken gegen ihn fassen. Ihr ceterum censeo war: "Hinweg mit diesem", und Tag und Nacht sannen sie darüber, wie sie ihm Böses zufügen und ihn gänzlich vernichten könnten.

7. Sie halten zuhauf, sie rotten sich zusammen. Feuerbrände brennen desto stärker, wenn sie zusammengehäuft werden. Die Bösewichter fürchten sich, dem Biedern zu begegnen, bis sie ihn mit gewaltiger Übermacht erdrücken können. Heraus ihr Feiglinge, Mann für Mann dem Recken entgegen! Nein, ihr wartet, bis ihr wie eine Räuberbande zuhauf versammelt seid, und auch dann wollt ihr ihn nicht in offenem Kampfe, sondern hinterrücks anfallen. Mut kennt ihr nicht! Sie lauern. Im Hinterhalt warten sie auf den günstigsten Augenblick. Böse Menschen sind stets Memmen. Wer seinem Gegner nicht auf offener Straße zu begegnen wagt, brandmarkt sich selber als Schurken. Auch noch zu unseren Zeiten ist es etwas Alltägliches, dass der gute Ruf ehrlicher Leute mit heimlichen Schlichen und teuflischen Ränken angegriffen wird; das sind die ehrlosen Waffen, mit welchen vermummte Feinde im Dunkeln ihr Werk tun. Sie haben Acht auf meine Fersen, wie der Jäger auf die Spuren des Wildes. Boshafte Menschen beweisen sich oft wunderbar scharfsichtig im Aufspüren wirklicher oder nur angedichteter Fehler der Gerechten. Nicht alle Spione und Spitzel stehen im Sold irdischer Regierungen; nicht wenige von ihnen werden ihren Lohn in glühendroter Münze von dem zu bekommen haben, der listiger ist als alle Tiere auf dem Felde. Wie sie meine Seele erhaschen, Grundtext: wie sie denn auf meine Seele (mein Leben, nämlich es zu vertilgen,) harren. Ihr Verlangen und Hoffen, dem ihr Vorgehen entsprach, ging auf nichts Geringeres, als ihm das Leben zu nehmen. Nur sein zeitliches und ewiges Verderben konnte ihre Gier sättigen. - David war kein Tor, er sah, dass er Feinde hatte, dass ihrer viele waren und dass sie an List und Bosheit gleich zu fürchten waren. Er erkannte, in welcher Gefahr er schwebte, und zeigte darin seine Klugheit, dass er seine ganze Not vor dem HERRN ausbreitete und sich unter göttlichen Schutz stellte.

Fußnoten
1. Alle Alten übersetzen allerdings hier V. 2.3 sowie 57,4 zermalmen; ebenso Bäthgen, Kautzsch u. a., indem sie P)a$f mit persönl. Akkusativobjekt gleich PW$ zermalmen nehmen. Andere halten auf Grund von Amos 8,4; Hes. 36,3 die Bedeutung nachstellen fest.

2. Menschen, die Wolfsgestalt angenommen haben.

3. Wenn man nämlich mit Delitzsch u. a. MyrirAO$ hier wie 5,9 f. als verkürztes part. pol. von rW$ umhergehen, lauern auffasst. Die meisten halten es jedoch für eine Nebenform zu MyrirAOc part. kal von rracf bedrängen, befeinden.

4. Andere übersetzen: Täglich schädigen sie meine Sache.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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8. Sollten sie mit ihrer Bosheit entrinnen?
Gott, stoße solche Leute ohne alle Gnade hinunter!
9. Zähle die Wege meiner Flucht,
fasse meine Tränen in deinen Krug. Ohne Zweifel, du zählest sie.
10. Dann werden sich meine Feinde müssen zurückkehren;
wenn ich rufe, so werde ich inne, dass du mein Gott bist.


8. Sollten sie mit ihrer Bosheit entrinnen? Sie sprechen: Ja, es soll uns gelingen. Aber kannst du, HERR, das zulassen? Sie verleumden den Redlichen, um sich selber zu schützen, und suchen ihn zu stürzen, um sich selber zu erheben; sollten sie sich mit solcher Schändlichkeit der rächenden Gerechtigkeit entziehen können? Bis jetzt haben sie es gar geschickt gemacht; aber wird ihrem schnöden Spiel nicht ein Ende gemacht werden? Gott, stoße solche Leute5 ohne alle Gnade hinunter! Hinab mit ihnen vom Tarpejischen Felsen! Wenn Menschen uns hinabzustürzen suchen, so ist es nur natürlich und nicht unstatthaft, zu bitten, dass ihnen die Ausführung ihrer niederträchtigen Anschläge unmöglich gemacht werde. Was Gott so oft schon getan hat, das dürfen wir getrost auch in unserm Fall erbitten. Davids Bitte geht freilich weiter. Dass sich aber solch schreckliches Gericht an den Feinden des Volkes Gottes vollziehen wird, haben wir schon im vorigen Psalm 55,24 gelesen.

9. Du zählest mein Flüchtigsein, mein Flüchtlingsleben. (Grundtext) Bei dir wird keiner der Tage (Targum) meiner Verbannung vergessen, und du kennst auch alle Wege (Luther) meiner Flucht, alle meine Irrfahrten. Jeder Fußtritt, welchen der Flüchtling machte, da er von seinen Feinden so hart verfolgt wurde, ward von Gott nicht nur beobachtet, sondern auch des Zählens und Aufzeichnens (beides liegt in dem Wort des Grundtextes) wert befunden. Nach langen Irrfahrten der Trübsal sind wir vielleicht so verwirrt, dass wir selber kaum mehr wissen, wo wir überall gewesen oder nicht gewesen sind; aber unser allwissender und so zärtlich besorgter himmlischer Vater erinnert sich auch des Kleinsten. Er zählt es alles so genau wie Menschen ihr Gold; denn in seinen Augen ist die Prüfung unseres Glaubens überaus kostbar. Das ist Davids Trost: das Du ist betont. Fasse meine Tränen in deinen Krug. Hiermit sind nicht die kleinen Tränenkrüglein gemeint, welche von den alten Römern6 bei Beileidsbesuchen oder Beerdigungen gebraucht wurden, sondern es ist ein derberes Bild, das David hier anwendet: nach dem Grundtext redet er von einem Schlauch, dem im Morgenlande üblichen Gefäß zum Aufbewahren oder Fortschaffen größerer Mengen von Milch, Wein, Wasser und dergl. Der Ärmste hatte solche Mengen von Tränen geweint, dass es gleichsam eines großen Lederschlauchs bedurfte sie zu fassen. David ist der guten Zuversicht, dass der HERR es der Mühe wert halten werde, seine Tränen aufzufangen und aufzubewahren, etwa wie Menschen den köstlichen Saft der Trauben, und er hofft, das Gefäß, in das sie gesammelt werden, werde ein ganz besonderes sein: dein Schlauch, nicht irgendein beliebiger. Ohne Zweifel, du zählest sie, oder: Stehen sie nicht in deinem Buche7 verzeichnet? Ja gewiss, dort sind sie angemerkt; aber lass nicht nur dies Verzeichnis meiner Leiden, sondern die Leiden selbst als lebendige Tatsachen vor dir gegenwärtig sein, denn diese bewegen das Herz stärker als tote Zahlen und Buchstaben eines Registers, so genau dieses auch sei. Wie herablassend ist der HERR doch, wie genau kennt er uns und alle Umstände unseres Lebens, wie großmütig ist er in seinen Schätzungen, wie liebevoll achtet er auf uns!

10. Dann werden sich meine Feinde müssen zurückkehren, wenn ich rufe.8 Nicht immer ist der Erfolg unserer Gebete augenblicklich sichtbar; aber sie wirken dennoch kräftig. Es gibt Zeiten, wo wir mit den Heiligen, deren die Welt nicht wert war, im Elend gehen müssen in den Wüsten, auf den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde (Hebr. 11,38) und uns nur des getrösten können, dass der HERR jeden unserer Schritte kennt und unsere Tränen zählt; aber diese Zeiten sind die Vorbereitung auf andere, in denen wir die Erhörung unserer Gebete mit Händen greifen können und die Feinde fliehen müssen, sowie unser Ruf um Hilfe zu Gott emporsteigt. Der HERR treibt uns durch seinen Geist zum Beten, wir schreien zu ihm in der Angst unsers Herzens, er hört, er greift ein, und der Feind wird zurückgeschlagen - alles in einem Augenblick. Welch unbezwingliche Artillerie, die die Schlacht zur Entscheidung bringt, sobald ihr Donner erschallt! Welch ein Gott, der auf jeden Schrei seiner Kinder lauscht und sie in einem Nu von den mächtigsten Widersachern errettet! Das weiß ich, dass Gott für mich ist. (Grundtext) Das ist eine der unwandelbaren Grundfesten der Gläubigen. Mögen jetzt auch noch meine Feinde mich drängen und mich scheinbar zum Spielball ihrer Gelüste machen können, das weiß ich dennoch, dies eine ist mir unumstößlich gewiss, dass Gott mir beisteht. Ja, das wissen wir, dass Gott für uns ist, und darum auch, dass niemand wider uns sein kann, der es wert wäre, auch nur einen Augenblick von uns gefürchtet zu werden. Was sollten wir uns denn nach anderen Helfern umsehen, da Gott auf unserer Seite ist, dieser mächtige Bundesgenosse, der bei uns ist, sobald wir das verordnete Signal geben, mit welchem wir beides, unsere Not und unser Vertrauen auf ihn, anzeigen?

11. Ich will rühmen Gottes Wort,
ich will rühmen des HERRN Wort.
12. Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht;
was können mir die Menschen tun?
13. Ich habe dir, Gott, gelobt,
dass ich dir danken will.
14. Denn du hast meine Seele vom Tode errettet,
meine Füße vom Gleiten,dass ich wandeln mag vor Gott im Licht der Lebendigen.


11. Nachdrücklich wird in diesem und dem folgenden Vers der fünfte Vers wiederholt, und zwar, wie bei den meisten dieser Kehrverse in den Psalmen, mit kleinen Änderungen. Die Ausleger sind geteilter Meinung, wie man übersetzen müsse. Meint David: Durch Gott (dank der Erfahrung seiner Hilfe) werde ich das (göttliche) Wort preisen? Nun, dann will er uns zeigen, dass alles göttliche Empfinden in Gott seine Quelle hat. Oder haben wir zu übersetzen: Gott rühm’ ich, das Wort, so dass der Dichter etwa sagen wollte: Das, was mich, sowie ich Gottes gedenke, am meisten zum Lob stimmt, ist sein Verheißungswort und die Treue, womit er sich zu diesem hält? Ist diese Auffassung die richtige, dann lernen wir hieraus, wie sehr unser Herz an den Verheißungen hangen sollte. Es ist dem Psalmisten ein solcher Genuss, bei dem Lobe Gottes und seines Wortes zu verweilen, dass er den Gedanken sogar zweimal in diesem einen Vers ausspricht.

12. Auf Gott habe ich mein Vertrauen gesetzt. (Grundtext) Wir können nicht zu besorgt sein, ob unser Glaube auch echt sei, und nicht zu genau prüfen, ob er sich wohl einzig auf den HERRN gründe. Und fürchte mich nicht; was können mir die Menschen tun? "Das Wort, das Wort," sagt Tholuck, "steht vor seiner Seele, darauf tritt er, wie auf einen hohen Felsen, an dessen Fuß sich die Wellen brechen, und ruft kühn in alle Welt hinaus: Was können mir Menschen tun?" Er nennt seine Feinde nicht mehr Fleisch (V. 5): sie sind keine bloßen Fleischklumpen, sondern Menschen, welche die Vernunft, die Gott ihnen gegeben hat, schrecklich missbrauchen können. Aber ob sich auch die ganze Menschheit wider ihn erhöbe, so will er sich doch nicht vor ihnen grauen lassen, nun, da seine Zuversicht fest auf Gott gegründet ist. Er fürchtet sich nicht vor dem, was sie ihm anzutun drohen, denn das meiste davon werden sie nicht ausführen können; und selbst dem, was zu tun in ihrer Macht steht, bietet er mit heiliger Kühnheit Trotz.

13. Ich habe dir, Gott, gelobt, Grundtext: Mir liegt (als Pflicht) auf, d. h. ich schulde dir, Gott, was ich dir gelobt habe. Er ist sich dessen wohl bewusst, dass er die Gelübde, welche er in seiner Not abgelegt hat, Gott zu erfüllen schulde. Auch wir sollten solche Versprechungen nicht leichtsinnig behandeln. Freiwillig haben wir sie abgelegt, nun lasst sie uns auch freudig halten. Alle, die ein Bekenntnis ihres Glaubens an Christus als ihren Heiland abgelegt haben, sind durch ihr Gelübde gebunden, zwiefach aber solche, die sich in Stunden bitterster Not aufs Neue dem HERRN geweiht haben. Dieser so häufig geübte Brauch, in Zeiten der Trübsal feierliche Gelübde zu machen, ist nur dann zu empfehlen, wenn er durch die viel weniger allgemeine Gewohnheit ergänzt wird, das Gelobte zu halten, wenn die Not vorüber ist. David will nicht nur das tun, sondern zu den Gelübdeopfern auch noch freiwillige Opfer fügen: Ich will dir Dankopfer bezahlen. (Grundtext) Wie mit Herz und Mund, so sollen wir auch mit Dankesgaben freudig den Gott unseres Heils preisen. Schon David wusste, dass der Herr seiner Gaben nicht bedürfe und sie ohne Herzensdank gar nicht annehme; aber wir sehen, es war ihm nicht, wie leider manchen Christen, darum zu tun, so billig als möglich von seiner Dankesschuld loszukommen.

14. Schwerlich sind die beiden Schlussverse erst nach der Rettung hinzugefügt, sondern dass der Dichter hier redet, als hätte er schon die Hilfe erfahren, fließt aus seinem lebendigen Glauben, der das noch Zukünftige als schon geschehen schaut. Wir begegnen dieser Sprache so oft in den Psalmen, uns Kleingläubigen zur tiefen Beschämung. Mitten in der Not stimmt David das Loblied an. Denn du hast meine Seele, d. i. mein Leben, vom Tode errettet, ja auch meine Füße vom Sturz. (Grundtext) Es würde uns wenig frommen, unser Leben weiter zu fristen, wenn unsere Feinde uns zum Sturz bringen könnten. Lieber nicht mehr leben, als ehrlos leben und vor den Feinden hingestreckt liegen. David aber weiß sich durch Gottes Gnade zu Besserem erhalten: Dass ich wandeln mag vor Gott im Licht der Lebendigen (oder: des Lebens). So herrlich war Gottes Absicht bei seiner Rettungstat: David sollte wie ein Henoch, ein Noah und andere Heilige vor Gott wandeln und in der Huld und Nähe Gottes die Freude und das Glück seines Lebens finden. In der Freiheit der Erlösten zu wandeln, in heiligem Dienst vor Gott und in seliger Gemeinschaft mit ihm, in stetigem Fortschreiten in der Heiligung und in dem Licht des freundlich leuchtenden Angesichts unseres Gottes - das ist unser Beruf, das sei unser Streben! Wir sind in diesem kurzen Psalm mit David wahrlich hoch hinaufgeklommen: im Anfang war er mitten in dem Rachen seiner blutdürstigen Feinde - jetzt weilt er in dem Licht der Nähe Gottes. Den Pfad kann nur der Glaube finden und ersteigen.

Fußnoten
5. Grundtext: Stürze im Grimm (die) Völker nieder, Gott. Das Gericht ist Sache des Weltrichters, daher der allgemeine Ausdruck Völker, unter welchem alle Verfolger Davids und der Frommen überhaupt, Saul, die Philister usw., zusammengefasst sind.

6. Nach Thomson hat man sie übrigens auch in Palästina gefunden.

7. hrfp:si ist wahrscheinlich nicht abstractum, Zählung, sondern = rpes" Buch.

8. )rfq:)e MwÆybI: gehört nach den Akzenten zum ersten Versgliede. - z)f bezieht sich schwerlich auf "am Tage, da ich rufe", da dieses zu sehr nachschleppen würde. Es wird eher mit V. 9 in Beziehung stehen und mehr ein logisches als ein zeitliches Verhältnis ausdrücken, wie z. B. 40,8; Jer. 22,15: Daraufhin, demnach, infolge dessen, dass du mein Elend so vermerkst.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps56

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Erläuterungen und Kernworte

V. 2. Sei mir gnädig. Dies ist der zweite Psalm, der mit dem Miserere beginnt. Der 51. ist der erste, der 57. der dritte. C. H. Spurgeon.

Menschen. Der Dichter drückt sich hier wohl zu dem Zweck in so unbestimmter, allgemeiner Weise aus, um dadurch die Wahrheit hervorzuheben, dass die ganze Welt gegen ihn verbündet sei, dass er bei den Menschen keine Menschlichkeit mehr finde und darum der göttlichen Hilfe aufs dringendste bedürfe. Jean Calvin † 1564.

Täglich. Uns dämmert hienieden kein Morgen, an dem wir mit der Überzeugung uns von unserm Lager erheben und in das Weltgetriebe hinaustreten können, dass uns an dem Tage kein Feind anfechten werde. Ebenso wenig dürfen wir einen Abend erwarten, an dem wir uns mit der Gewissheit aus dem Gewühl der Welt zurückziehen könnten, dass uns nun in der einsamen Kammer nichts Böses nahen könne. Barton Bouchier 1855.

V. 3. Die mich von oben her angreifen (wörtl.) und als Habichte die Taube (V. 1) erhaschen wollen. Friedr. Chr. Oetinger 1775.

V. 4. Es scheinen zwar Furcht und Hoffnung entgegengesetzte Affekte zu sein, die nicht in demselben Herzen wohnen können; aber die Erfahrung zeigt, dass erst da wahrhaft die Hoffnung herrscht, wo die Furcht einen Teil des Herzens einnimmt. Wo das Gemüt ruhig ist, da hat die Hoffnung keine Stätte, sondern ist wie eingeschlummert. Sie zeigt ihre volle Kraft erst da, wo sie das durch Sorgen niedergeworfene Gemüt aufrichtet, das durch Bekümmernis beunruhigte beruhigt. Jean Calvin † 1564.

Fürchten. Ach, wer kennt keine Furcht? Aber was willst du denn machen, wenn du dich fürchtest? Ei, tu, was du früher getan hast: traue auf den HERRN, glaube allezeit, glaube jetzt. So macht es David hier. Es ist, als sagte er: Was soll ich doch tun? Ich will nur den alten bewährten Weg einschlagen, will mich auf Gottes Gnade und Verheißung werfen, will die Last, die mein Gemüt bedrückt, auf ihn wälzen (Ps. 55,23), will mich aufs Neue an ihn klammern und alles von ihm erwarten. So war David stets mit Schild und Schwert des Glaubens gewappnet und konnte darum diese Waffen gebrauchen, sooft Furcht und innere Anfechtungen auf ihn eindrangen. Elias Pledger † 1676.

V. 4.5. Der Herr Jesus selbst war in seinem Leiden nicht ohne Furcht (Hebr. 5,7). Desto größer aber ist die Geduld, die durchbricht und über dem Wort Gottes und Gebet hält. Die Furcht wird erst bös, wenn sie einem das Wort Gottes vernichtet. Aber wo man wie David gleich das Wort der Geduld ergreift und darüber hält: "Ich will Gottes Wort rühmen", da wird die Furcht überwunden, oder was davon übrigbleibt, fordert einem vielmehr der Weg der Geduld ab. Denn da muss man sich es gefallen lassen, dass die Hilfe Gottes nicht so eilend hereinbricht, sondern dass einem nur ein Wort Gottes zum Trost angeboten wird. Wie sich nun einer gegenüber dem Wort Gottes verhält, so hat er es zu genießen oder zu entgelten. Wer mit David Gottes Wort rühmet, mit dem Trost durch das Wort einstweilen vorlieb nimmt, der kann die Furcht überwinden und die Hilfe abwarten. Wer aber allen ungläubigen Ausflüchten gegen das Wort Gottes Gehör gibt und sich das Sitzen bei diesem oft in einem dunkeln Ort scheinenden Licht verdrießlich werden lässt, der bricht damit die Verbindung zwischen dem Herzen Gottes und seinem Herzen ab und wird in seines Herzens Dunkel gelassen. Karl H. Rieger † 1791.

V. 5. Ich will Gottes Wort rühmen. "Saul und die weltlichen Potentaten mögen ihr Kriegsheer, hunderttausend Mann, und ihre Munition rühmen, ich will Gottes Wort und Verheißung rühmen, die sind meine Kriegsmacht, meine Festung und mein Schutz. Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse, wir aber denken an den Namen des HERRN." Johann Arnd † 1621.

Der Grundtext besagt wohl: Durch den Beistand Gottes werde ich instand gesetzt sein, ihn für die Erfüllung seiner Zusagen zu preisen. Bischof Symon Patrick † 1707.

Fleisch: ist unsers HERRN Gottes Heu, Jes. 40,6. Wer kann es glauben, dass er, der Papst, der Türk, Fleisch sind und des HERRN Gras oder Heu? Ägypten ist ein Mensch und nicht Gott. Seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist, Jes. 31,3. Solches zeucht sich alles nach dem ersten Gebot. Martin Luther † 1546.

Fürchte die Menschen nicht, sie sind nur Fleisch. Du brauchst und sollst sie nicht fürchten. Wie, auch jenen Mächtigen nicht, auch diese vielen nicht, sie nicht, die die Schlüssel aller Kerker an ihrem Gurt haben, sie nicht, die töten oder lebendig behalten können? Nein, auch diese sollst du nicht fürchten. Nur gib acht, dass sie dir um Gerechtigkeit willen feind seien. Hüte dich, dass du auch nicht das geringste Kind zu deinem Feinde machest, indem du ihm Unrecht tust; Gott richtet das Böse auch an seinen Heiligen. Wenn sie Unrecht tun, so finden sie unter Gottes Flügeln keinen Schutz für ihre Sünde. Das war die Klage des Hieronymus, dass die Sünden der Christen den Barbaren, welche in die christlichen Länder eindrangen, zum Siege verhülfen: Nostris peccatis fortes sunt barbari. Aber wenn der Hass der Menschen dir auf Gottes Wegen entgegentritt und ihr Zorn sich an deiner Heiligkeit entzündet, dann brauchst du dich nicht zu fürchten, ob auch dein Leben die Beute ist, nach der sie jagen. Fleisch kann nur Fleisch verwunden; die Menschen können dich wohl töten, aber nicht dir schaden. Wie solltest du fürchten, dessen beraubt zu werden, was du bereits Christo übergeben hast? Der Feind kommt zu spät: du hast kein Leben mehr zu verlieren, weil du es bereits an Christus ausgeliefert hast; und selbst dein zeitliches Leben kann dir niemand ohne Gottes Zulassung nehmen. Alles, was du hast, ist versichert, und wiewohl Gott dir keine Freiheit von Leiden solcherart zugesagt hat, so hat er es doch übernommen, den Verlust auf seine Rechnung zu nehmen und dir hundertfältig zu vergelten, und das nicht erst in jener Welt. Also brauchst du dich nicht zu fürchten; aber du sollst dich auch nicht fürchten. Sieh, wie der Heiland uns in den sechs Versen Mt. 10,26-31 dreimal befiehlt, uns nicht vor den Menschen zu fürchten. Wenn dein Herz schon vor den Staubgeborenen zittert, was wirst du dann machen, wenn du es mit dem Satan zu tun hast, dessen kleiner Finger dicker ist als eines Menschen Lenden? Kämpfe, in denen wir es nur mit Menschen zu tun haben, sind vergleichbar den Fechtübungen mit stumpfen Waffen, womit sich die Krieger zum scharfen Gefecht vorbereiten. Wenn du nicht einmal einen Striemen an deinem Fleisch von den stumpfen Waffen eines Menschen ertragen kannst, was wirst du machen, wenn Satans Schwert dir in die Seite fährt? Gott rechnet es sich zur Unehre, wenn seine Kinder sich vor den erbärmlichen Menschen fürchten; darum werden wir ermahnt, uns vor ihrem Trotzen nicht zu fürchten und nicht zu erschrecken, sondern Gott, den HERRN, in unseren Herzen zu heiligen. (1. Petr. 3,14 f.; Jes. 8,12 f.) William Gurnall † 1679.

Ich mache mir weder aus Sichtbarem noch aus Unsichtbarem mehr etwas, wenn ich nur Christus gewinne. Mag der Scheiterhaufen oder das Kreuz mein Los sein, mag man wilde Tiere auf mich loslassen, mir alle Gebeine zerbrechen, die Glieder ausrenken, den ganzen Leib zermalmen, mögen alle Teufel mich martern, - es geschehe, wenn ich nur Christus gewinne. Ignatius von Antiochien, Märtyrer, † 115.

Menschenfurcht, dieser bluttrunkene, grimmige Götze, wie viele Seelen hat er verschlungen, wie viele in die Hölle hinabgestoßen! Seine Augen blicken voll Hasses auf die Jünger Christi, Spott lauert in seinen Blicken, Hohnlachen kollert in seinem Halse. Haut diesen Götzen um! Er ist es, der so viele unter euch davon abhält, des Gebets zu pflegen, im Kreise der Familie Andacht zu halten, zu eurem Seelsorger zu gehen, um ihm euer Herz auszuschütten, wie auch davon, Christus öffentlich zu bekennen. Ihr, die ihr Gottes Liebe und das Wirken seines Geistes an eurem Herzen erfahren habt, zertrümmert diesen Götzen! Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen? (Jes. 51,12) Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob! (Jes. 41,14) Robert Murray MacCheyne † 1843.

Der Glaube erstarkt im Kampfe zum Helden; ob er auch mit geringem Mute in den Kampf gezogen ist und im ersten Treffen gewankt hat, so wird er doch immer kühner und dringt immer gewaltiger auf den Gegner ein, bis dieser ihm endlich unter den Füßen liegt. Siehe V. 2-5 dieses Psalms. David Dickson † 1662.

V. 6. Sie martern meine Worte. (Grundtext) John Jewell † 1571, Bischof von Salisbury, einer der bedeutendsten englischen Theologen der Reformationszeit, brauchte bei seinem Sterben, das in Übereinstimmung mit seinem Leben sehr gottselig war, den Schlussvers des Te Deum: "Auf dich hoffen wir, lieber HERR; in Schanden lass uns nimmermehr", worauf die Päpstlichen, mit Unterdrückung des die Zuversicht des Glaubens ausdrückenden Vordersatzes, verbreiteten, der Hauptkämpfer der Ketzer habe in seinen allerletzten Worten gestanden, er sei zuschanden geworden. Francis Bacon von Verulam † 1626.

Mein Flüchtigsein zählst du. (Grundtext) Reinhard Bake zählt 14 Fluchtzeiten in Davids Leben. - James Millard

V. 9. Fasse meine Tränen in deinen Krug. Unter vielen anderen interessanten Sachen hatte Herr Abott in Kairo auch ein Lacrymatorium oder einen Tränenkrug, der in einem Grabe in Theben gefunden worden war. Diese Antiquität interessierte mich sehr. Es war in alten Zeiten Sitte, ein solches Tränenkrüglein mitzunehmen, wenn man einen Freund besuchen ging, der krank oder in großer Trübsal war. Wenn dann die Tränen dem Leidenden über die Wangen flossen, fing man sie in dem Krüglein auf, versiegelte dies und hob es als Erinnerung auf. Auf diese Sitte bezieht sich wohl auch David in Ps. 56,9. John Gadsby 1862.

Vergl. Paul Gerhardts Lieder: Ich singe dir mit Herz und Mund:
Du zählst, wie oft ein Christe wein’ und was sein Kummer sei;
Kein Zähr- und Tränlein ist so klein, du hebst und legst es bei.

Ferner: Gib dich zufrieden, besonders die Zeilen:
Er zählt den Lauf der heißen Tränen und fasst zuhauf all unser Sehnen.
Er hört die Seufzer deiner Seelen und des Herzens stilles Klagen, usw.

Es war eine kostbare Salbe, mit der die Sünderin in dem Hause des Pharisäers die Füße Jesu salbte; aber die Tränen, mit welchen sie sie netzte, waren für den Heiland noch von weit größerem Wert als die köstliche Salbe. Abraham Wright 1661.

Was für eine Rechnung wird das einst geben, wenn Gott alle Tränen unterdrückter Unschuld den Unterdrückern und Gewalttätigen vorhalten wird! Prof. August Tholuck 1843.

V. 10. Wenn ich rufe. Unseren geistlichen Feinden ist es noch viel grausiger, wenn der Gebetsruf einer gläubigen Seele zu Gott emportönt, als der Kriegslärm der Indianer dem von ihm überraschten feindlichen Stamme ist. Adam Clarke † 1832.

Es war viel, dass David auf sein Gebet hin von seinen Feinden befreit wurde (Ps. 18,4); da sehen wir die defensive Macht des Gebets. Aber mehr noch ist, dass das Gebet auch eine offensive Macht ist, dass es die Feinde zu Boden wirft und in die Flucht schlägt, wie wir es hier sehen: sie müssen sich zurückkehren. Jeremiah Dyke † 1620.

Das weiß ich. (Grundtext) Der Glaube fußt auf Felsengrund; er ist nicht ein der Fehlbarkeit unterworfenes Vermuten, sondern ein sicheres Wissen. David Dickson † 1662.

V. 14. Wandeln vor Gott, das heißt zunächst unter Gottes Augen, unter Gottes Fürsorge wandeln; sodann auch da wandeln, wo Gott gegenwärtig zu sein pflegt, wo er von seinem Volke angebetet wird und seine Segnungen triefen lässt, - im Gegensatz zu der gegenwärtigen Lage Davids, da er fern von dem Heiligtum weilen musste. Vergl. 1. Samuel 26,19 f. Wandeln im Licht der Lebendigen heißt im Allgemeinen: leben unter denen, die im Licht leben oder die das Licht im Lande der Lebendigen genießen, vergl. Ps. 27,13; Jes. 38,11; 53,8; Ps. 142,6, im Gegensatz zu den Toten, die in der Finsternis wohnen. Aber namentlich bedeutet es: in einem Zustand der Sicherheit und des Gedeihens leben, wovon das Licht ein bekanntes Bild ist. Hermann Venema † 1787.

Im Licht der Lebendigen wandeln heißt nichts anderes als das Sonnenlicht genießen und leben. Doch schafft der Beisatz "vor Gott " eine Unterscheidung. Die Gläubigen stehen auf der einen Seite, die ihr Leben stets in Beziehung zu Gott setzen; auf der anderen Seite sind die Gottlosen, die unstet und flüchtig umherirren, weil sie dem HERRN den Rücken kehren, wenn sie auch dem Blick seiner Augen nicht entgehen können. Jean Calvin † 1564.

Wir können den Sinn dieser Worte nicht auf das Licht des sterblichen Lebens beschränken. Davids Gelübde verbanden ihn zu einem Wandel im Lichte des geistlichen und ewigen Lebens, an dem er durch den Glauben teilhatte. W. Wilson 1860.

Homiletische Winke

V. 2-4. 1) Furcht kommt jeden an zu der einen oder andern Zeit. 2) Oft wendet man unpassende und unwirksame Mittel zur Vertreibung der Furcht an. 3) Hier aber wird uns die einzig richtige und unfehlbar wirksame Weise gezeigt. Robert Morrison † 1834.
V. 4. 1) Was heißt auf Gott trauen? a) Das Herz in Zucht nehmen, dass es sich nicht dem Verzagen preisgebe, nicht in der Furcht versinke; b) sich Gottes getrösten; c) von ihm Hilfe erwarten. 2) Worauf soll sich unser Gottvertrauen gründen? a) Auf Gottes Verheißungen, b) auf seine Vollkommenheiten: seine Macht, Weisheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Allgenügsamkeit. 3) Warum sollen wir in allen Ängsten auf Gott unser Vertrauen setzen? a) Weil niemand anders uns von unserer Furcht befreien kann, dagegen b) es keine Furcht gibt, von der uns Gott nicht befreien könnte, sei es, dass er das, was uns Furcht einflößt, hinwegräumt, oder aber uns die Furcht aus dem Herzen nimmt. Bischof William Beveridge † 1708.
1) Es gibt eine Furcht ohne Glauben. 2) Es gibt einen Glauben ohne Furcht. 3) Oft aber sind Furcht und Glaube miteinander im Herzen. George Rogers 1872.
V. 5a. 11. 1) Gott steht zu seinem Wort. (Dank der Hilfe Gottes werde ich sein Wort rühmen. Grundtext) 2) Darum lasst uns zu seinem Wort stehen, indem wir a) ihm unbedingt glauben, b) seine Zuverlässigkeit dankbar rühmen.
V. 5b. 12. Der Glaube an Gott das Heilmittel wider die Menschenfurcht.
V. 8. Es gibt wohl ein Entrinnen aus der Sünde, aber nicht ein Entrinnen vor Gottes Gerichten trotz der Sünde oder mittelst der Sünde. Die Barmherzigkeit Gottes sichert uns das erstere, die Gerechtigkeit Gottes verhindert das letztere. George Rogers 1872.
V. 9. Der Trost, dass Gott sich um alle Einzelheiten unsers Lebens in mitleidiger und helfender Liebe kümmert.
V. 10. 1) Die Tatsache, dass Gott für mich ist. (Grundtext) 2) Die Überzeugung von dieser Tatsache: Dies weiß ich. 3) Die rechte Anwendung dieser Überzeugung: Ich rufe. 4) Die Folgen dieser Anrufung: Meine Feinde müssen sich zurückkehren. George Rogers 1872.
V. 13. 1) Die Gelübde vergangener Tage. 2) Die Pflicht der Gegenwart, jene Gelübde zu bezahlen. 3) Neues Gelöbnis für die Zukunft.
V. 14. Die Sprache 1) der Dankbarkeit: Du hast usw.; 2) des Glaubens: dass ich wandeln mag; 3) der Hoffnung: vor Gott im Lichte der Lebendigen. George Rogers 1872.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps57

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PSALM 57 (Auslegung & Kommentar)




Überschrift

Ein gülden Kleinod Davids, vorzusingen; dass er nicht umkäme, Grundtext: Verderbe nicht. Diese Bitte ist so kräftig wie kurz und wohl geeignet, als Motto eines heiligen Gesanges zu dienen. David hatte in Bezug auf Saul gesagt: Verderbe ihn nicht (1. Samuel 26,9), als er ihn in seiner Gewalt hatte, und nun wendet er gern die gleichen Worte im Gebet vor Gott an. Wir dürfen aus der fünften Bitte des Vater Unsers gewiss schließen, dass der HERR unser schonen werde, wie wir unserer Feinde schonen. Wir begegnen dieser Überschrift "Verderbe nicht" in vier Psalmen, nämlich im Ps. 57; 58; 59; 75. In ihnen allen findet sich deutlich bezeugt die Verstörung der Gottlosen und die Erhaltung der Gerechten, des heiligen Samens, über welchen der göttliche Ratschluss lautet: Verderbe sie nicht (Jes. 65,8). Da er vor Saul floh in die Höhle. Dies Lied kommt aus dem Innern der Erde, und man merkt ihm, gleich dem Gebet, das Jona aus der Tiefe des Meeres zu Gott emporsandte, seinen Ursprung an. Der Dichter befindet sich zuerst in der Düsternis der Höhle; aber hernach tritt er ans Tageslicht und singt fröhlich in der frischen, freien Gottesluft, das Auge zum Himmel gerichtet und heitern Sinnes die Wolken betrachtend, die an der Feste dahinziehen.

Einteilung

Der verfolgte Knecht des HERRN stärkt sich im Gebet, V. 2-7; dann äußert sich die im Gebet gewonnene Glaubenszuversicht in der Selbstaufforderung, den HERRN zu preisen, V. 8-12.

Auslegung

2. Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig!
denn auf dich trauet meine Seele,
und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht,
bis dass das Unglück vorübergehe.
3. Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten,
zu Gott, der meines Jammers ein Ende macht.
4. Er sendet vom Himmel und hilft mir
von der Schmähung des, der wider mich schnaubet. Sela.
Gott sendet seine Güte und Treue.
5. Ich liege mit meiner Seele unter den Löwen;
die Menschenkinder sind Flammen,
ihre Zähne sind Spieße und Pfeile
und ihre Zungen scharfe Schwerter.
6. Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Ehre über alle Welt.
7. Sie stellen meinem Gange Netze
und drücken meine Seele nieder;
sie graben vor mir eine Grube
und fallen selbst drein. Sela.


2. Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig. Dringende Not fordert Wiederholung des flehenden Rufes, denn eben darin drückt sich die Dringlichkeit des Begehrens aus. Wenn nach dem alten Sprichwort zwiefach gibt, wer schnell gibt, so muss auch der, welcher schnell empfangen will, zwiefach bitten. Das erste, was der Dichter sich erfleht, ist, dass Gott ihm Gnade erweise, und er fühlt, dass er eine bessere Bitte nicht vorbringen könnte, darum wiederholt er sie. Gott ist der Gott aller Gnade und der Vater der Barmherzigkeit; so schickt es sich denn wohl, dass wir in der Drangsal bei dem Gnade suchen, der aller Gnade Urquell ist. Denn auf dich trauet meine Seele, wörtl.: bei dir hat meine Seele sich geborgen. Der Glaube macht seine ihm von Gott verliehenen Rechte mit Nachdruck geltend. Wie könnte der HERR seine Freundlichkeit einer Seele weigern, die vertrauensvoll bei ihm Zuflucht sucht? Unser Glaube ist kein Verdienst, mit dem wir uns Gottes Gunst erwürben; aber diese wird ihm aus freiem Liebestriebe stets zuteil, wenn er aufrichtig ist, wie es bei David der Fall war, der mit ganzer Seele auf Gott traute. So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht (Röm. 10,10). Und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich (und suche ich fort und fort, und so auch jetzt,) Zuflucht. Nicht in der Höhle nur (V. 1) wollte er sich bergen sondern in der Kluft des ewigen Felsen. Wie die Vöglein unter den Flügeln der Mutter ein geräumiges und sicheres Obdach finden, so wollte der arme Flüchtling sich unter den sicheren Schutz der göttlichen Macht begeben. Das Bild ist köstlich, so traulich und so sinnreich. Gebe Gott, dass wir alle seine Bedeutung aus Erfahrung verstehen! Wenn wir den Sonnenschein des Angesichts unsers Gottes nicht sehen können, ist es gar selig, unter dem Schatten seiner Flügel. niederzukauern. Bis dass das Unglück vorübergehe. David weiß sich in großer Gefahr, denn wie ein verheerender Sturmwind braust das Verderben daher und sucht ihn zu vernichten; aber ein Sturmwind geht vorüber, und bis dahin werden die Flügel des Allmächtigen das Gotteskind schirmen. Gottlob! Gefahr und Unglück sind Dinge der Zeit, unsere Sicherheit aber ist ewig. Wenn wir unter Gottes Schirm und Schatten sind, kann uns das vorüberziehende Wetter der Trübsal nicht schaden; der Habicht kreist in der Luft, aber das hat für die Küchlein nichts zu sagen, die wohlgeborgen unter der Henne nisteln.

3. Ich rufe zu Gott. Er fühlt sich ganz sicher; dennoch betet er, denn der Glaube ist nie stumm. Wir beten, weil wir glauben. Wir betätigen kraft des Glaubens den Geist der Kindschaft, durch welchen wir zu Gott als dem Vater rufen. Statt "Ich rufe" können wir auch, entsprechend dem "Ich will Zuflucht suchen" in V. 2b, übersetzen: Ich will zu Gott rufen. Diesen Entschluss, zu Gott zu rufen, mögen wir alle festhalten, bis wir durch die Perlentore eingehen; denn solange wir hienieden sind, werden wir stets Veranlassung haben, uns himmlischen Beistand zu erflehen. Zu Gott, dem Allerhöchsten. Vor Gott allein beugen wir unsere Knie. Die Größe und Erhabenheit seines Wesens und seiner Gesinnung ermutigen uns zum Gebet. Mögen unsere Feinde in noch so hoher Stellung sein, unser himmlischer Freund ist doch noch höher, denn er ist der Allerhöchste, und von seinem erhabenen Throne der Macht vermag er uns leicht die Hilfe zu senden, deren wir bedürfen. Zu Gott, der es für mich hinausführt. (Grundtext, vergl. Ps. 138,8) Der Psalmist hat triftigen Anlass zu beten, denn er sieht, dass Gott für ihn am Werk ist. Der Gläubige harrt, und Gott handelt. Der HERR hat unsre Sache in seine Hand genommen, und er wird seine Hand nicht zurückziehen, sondern seine Bundesverpflichtungen erfüllen. Was führt er denn zum Besten des auf ihn Trauenden hinaus? Die englische Bibel ergänzt: "alle Dinge" und trifft damit gewiss den Sinn des Grundtextes, der uns hinter dem Zeitwort gleichsam einen leeren Raum lässt, in den wir alles und jedes hineinschreiben können, das der HERR für uns zu tun angefangen hat. Was er unternimmt, das wird er auch hinausführen; darum ist jede Gnadentat der Vergangenheit eine Bürgschaft für die Zukunft und ebendaher auch ein trefflicher Grund am Gebet anzuhalten.

4. Er sendet vom Himmel und hilft mir. Wenn sich auf Erden keine geeigneten Werkzeuge finden, so muss der Himmel seine Engellegionen hergeben zum Entsatz der Heiligen. In Zeiten besonderer Not dürfen wir Gnadentaten sonderlicher Art erwarten, ähnlich wie die Israeliten in der Wüste ihr Brot jeden Morgen frisch aus dem Himmel bekamen. Gott wird zur Vernichtung unserer Feinde die himmlischen Batterien ihr Feuer eröffnen lassen und jene damit völlig in Verwirrung bringen. Wo immer der Kampf heißer als gewöhnlich entbrennt, da werden Hilfstruppen vom Hauptquartier kommen; denn der oberste Feldherr überblickt das ganze Schlachtfeld. Von der Schmähung des, der wider mich schnaubet, oder: nach mir schnappt, mir nach dem Leben trachtet.1 Zur rechten Stunde wird der HERR der Heerscharen eingreifen, um seine Knechte nicht nur vor dem Verschlungenwerden, sondern auch von den Schmähungen ihrer Feinde zu erretten. Sela. Solche Freundlichkeit mag uns wohl zu stillem Sinnen und fröhlichem Danken veranlassen. Gott sendet seine Güte und Treue. Um Gnade hatte er gebeten, und Gottes Treue gesellte sich zu seiner Gnade. So gibt Gott uns stets mehr, als wir bitten und erwarten. Seine glorreichen Vollkommenheiten sind gleich schnellbeschwingten Engeln, allezeit bereit, seinen Auserwählten zu Hilfe zu eilen.

5. Meine Seele ist mitten unter Löwen. (Grundtext) Er war ein rechter Daniel. Angebrüllt, gehetzt, verwundet war er und doch nicht ertötet. Der Ort, da er weilte, bot die größten Gefahren; dennoch gab ihm der Glaube ein solches Gefühl der Sicherheit, dass er sich dort zum Schlafe zu lagern entschlossen war, wie er gleich sagt. Die Höhle mag ihn an eine Löwengrube erinnert haben, und Saul und seine Häscher mit ihrem Lärm und ihrem Wutgeheul der Enttäuschung, dass sie David nicht erhascht hatten, waren dann die Löwen; doch fühlte er sich unter Gottes Schutz wohlgeborgen. Ich will mich lagern2 unter Flammen sprühenden. (Grundtext) Vielleicht hatten Saul und seine Leute bei ihrem Aufenthalt in der Höhle ein Feuer angezündet und wurde David dadurch an das noch heißer lodernde Feuer des Hasses erinnert, das in ihrem Busen brannte. Die Gläubigen sind oft gleich dem Dornbusch am Horeb mitten in Flammen und werden doch nie verzehret. Das ist ein herrlicher Triumph des Glaubens, wenn wir uns selbst unter Feuerbränden zum Schlafe niederlegen und Ruhe finden können, weil Gott unser Schutz ist. Unter Menschen, deren Zähne Spieße und Pfeile sind, deren Zunge ein scharfes Schwert ist. (Grundtext) Boshafte Menschen tragen eine ganze Waffenrüstung in ihrem Munde. Sie brauchen diesen nicht als harmlose Mühle zum Zerkleinern der ihrem Leibe nötigen Nahrung, sondern ihre Kiefer scheinen nur dazu da zu sein um Unheil anzurichten, als ob jeder ihrer Zähne ein Spieß oder Pfeil wäre. Sie scheinen gar keine Mahlzähne, sondern nur Spitzzähne zu haben - ihrer Raubtiernatur entsprechend. Was aber das unruhige Übel, die Zunge, betrifft, so ist sie bei den boshaften Menschen ein scharfes, zweischneidiges, Tod und Verderben bringendes Schwert. Der Ausdruck steigert sich, indem die Zunge nicht nur ein Schwert, sondern ein scharfes Schwert genannt wird, als sollte angedeutet werden, dass die Menschen, wenn sie uns auch gleich Raubtieren mit ihren Zähnen zerrissen, uns damit doch noch nicht so verwunden könnten, wie sie es mit ihrer Zunge tun. Keine Waffe ist so schrecklich wie die Zunge des Menschen, wenn sie auf des Teufels Wetzstein geschärft worden ist. Dennoch brauchen wir auch dies Schwert nicht zu fürchten, denn "eine jegliche Waffe, die wider dich zubereitet wird, der soll es nicht gelingen, und alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen." (Jes. 54,17.)

6. Erhebe dich, Gott, über den Himmel. Das ist der Kehrvers des Psalms. Manche übersetzen: Werde erhoben, Gott, über den Himmel.3 Ehe der Psalmdichter den bittenden Teil seines Psalms ganz schließt, schiebt er einen Vers des Preises ein. Herrlich ist dieser Lobpreis, kommt er doch aus der Höhle der Löwen und mitten aus den Flammen. Höher als die Himmel ist der Allerhöchste, und so hoch sollte auch sein Preis aufsteigen. Die Herrlichkeit Gottes hat sich in seinen Liebesgedanken über seine Auserwählten höher geoffenbart, als dass selbst die Cherubim und Seraphim ihr Lob gebührend ausdrücken könnten. Über die ganze Erde (breite sich) deine Ehre oder Herrlichkeit. (Grundtext) Wie droben in der Höhe, so werde auch hienieden deine Ehre allerwärts verkündigt. Wie die Luft alles umgibt, so umgürte der Lobpreis deines Namens die ganze Erde mit einer Zone des Gesangs.

7. Sie stellen meinem Gange Netze. Die Feinde der Frommen lassen sich keine Mühe verdrießen, sondern betreiben ihre ruchlosen Anschläge mit der kühlsten Berechnung. Wie man für jede Art Fische, Vögel oder Wildbret das geeignete Netz in besonderer Weise stellen muss, je nach der Natur und Lebensart der Beute, welche man fangen will, so passten diese gottlosen Widersacher Davids ihre Anschläge auch mit wohlüberlegter boshafter List den besonderen Lebensumständen und dem Charakter dessen an, den sie sich als Beute ersehen hatten. Was immer David tun und wohin immer er seine Schritte richten mochte, seine Feinde waren stets in Bereitschaft, ihn auf die eine oder andere Weise in einer Schlinge zu fangen. Und drücken4 meine Seele nieder. Er wurde niedergehalten wie ein Vogel im Netz; seine Feinde gaben sorgsam Acht, ihm keinerlei Trost, keinerlei Hoffnung zu lassen. Sie graben vor mir eine Grube und fallen selbst drein. Er vergleicht die Anschläge seiner Verfolger mit den Gruben, welche die Jäger zu graben pflegen um ihre Beute zu fangen. Man legte diese Fallgruben in den Gängen des Wildes an; so sagt David hier: sie graben sie vor mir, d. h. auf den Wegen, die ich gewöhnlich gehe oder nach ihrer Erwartung gehen werde. Nun aber freut er sich, dass sich ihre verderblichen Pläne durch Gottes Fügung wider sie selber gewendet haben. (Grundtext Perf.) Saul hetzte den David, aber statt dass Saul den David erhascht hätte, fing dieser vielmehr den Saul mehr denn einmal, so auch eben in der Höhle (V. 1), so dass er ihn auf der Stelle hätte töten können. Diese Erfahrung erfüllte David mit der frohen Gewissheit, dass Gott auch ferner alle Anschläge der Feinde unschädlich machen und ihnen selber zum Verderben gereichen lassen werde. Das Böse ist ein Strom, der eines Tages zu seiner Quelle zurückfließt. Sela. Wir setzen uns an den Rand der Grube und schauen mit Verwunderung die gerechte Vergeltung der Vorsehung.

Fußnoten
1. Über P)# vergl. man die Anmerkung zu Ps. 56,2. Moll will die Worte als eine die Situation erläuternde Parenthese auffassen: Es schmäht, der mich anschnaubt. Sela. Die meisten erklären sie als verbalen Umstandssatz: Während mein Verfolger lästert.

2. Die in der Auslegung befolgte Verseinteilung entspricht den masoret. Akzenten. - bk# heißt zunächst: sich (zur Ruhe) lagern. Diese Bedeutung legt es nahe, den Kohortativ in seiner eigentlichen Bedeutung zu nehmen, also hier einen Entschluss des Glaubens ausgedrückt zu finden. So Del., Moll u. a., auch Spurgeon. Andere übersetzen es mit liegen und erklären dann den Kohortativ entweder (wie 55,3) als Bezeichnung eines durch die äußere Lage abgenötigten Entschlusses (ich muss liegen) oder einfach als nachdrücklichere Form des Imperf. ohne besondere Bedeutung (ich liege). - My+hl übersetzen andere (Hupf., Moll): Auffresser, als Parallele zu Löwen.

3. hmfWr kann nach dem Sprachgebrauch dreierlei Sinn haben: 1) Erhebe dich (Luther), also als Aufforderung zum Einschreiten, wie Ps. 21,14, vergl. Jes. 30,10 parallel mit Mwq. 2) Erweise dich in deiner Erhabenheit. Diesen Sinn nehmen fast alle Ausleger hier an. 3) Werde erhoben = Preis dir. So Ps. 18,47. Hengstenberg und nach der englischen Bibel Spurgeon wollen es auch an unserer Stelle so verstehen. Der zweite Sinn liegt aber hier wohl am nächsten.

4. Luther setzt den Plural nach der LXX. Der Wechsel von Plur. und Sing. ist auffällig, findet aber in Bezug auf den Feind ja häufig in den Psalmen statt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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8. Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit,
dass ich singe und lobe.
9. Wache auf, meine Ehre,
wache auf, Psalter und Harfe;mit der Frühe will ich aufwachen.
10. Herr, ich will dir danken unter den Völkern;
ich will dir lobsingen unter den Leuten.
11. Denn deine Güte ist, soweit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.
12. Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Ehre über alle Welt.


8. Mein Herz ist fest (wörtl.), Gott. Man würde eher erwarten, dass er sagen werde, sein Herz sei beunruhigt, er flattere ängstlich hin und her; aber nein, sein Herz ist fest, er ist getrost und heiter, gesetzt und von festen Entschlüssen. Wenn die Achse fest ist, arbeitet das ganze Rad gut. Wenn der große Buganker hält, kann das Schiff nicht treiben. Mein Herz ist fest. Ich bin entschlossen, auf dich zu trauen, dir zu dienen, dich zu preisen. Zweimal versichert er dies, zur Ehre Gottes, der die Seele seiner Knechte tröstet. Lieber Leser, dann steht es gewisslich gut um dich, wenn dein einst unbeständiges Herz nun fest auf Gott und die Verkündigung seines Ruhmes gerichtet ist. Singen will ich und spielen. (Wörtl.) Mit meiner Stimme und mit Saitenspiel will ich dich verherrlichen, so gut ich’s vermag. Mit Herz und Mund will ich dir die Ehre geben, die dir gebührt. Der Satan soll mich nicht daran hindern, noch Saul noch die Philister. Ich will die Felsenhöhle von Musik erklingen lassen, und alle ihre Gänge sollen von fröhlichen Lobgesängen widerhallen. Gläubige Seele, fasse auch du den festen Entschluss, zu allen Zeiten den HERRN zu preisen!

9. Wache auf, meine Ehre. Mögen die edelsten Kräfte meiner Natur sich regen: der Verstand, der die Gedanken erzeugt, die gottbegeisterte Dichtkunst, die sie schmückt, die Zunge, die sie ausspricht - mögen sie miteinander ihr Bestes tun, jetzt, da des HERRN Lob erschallen soll. Wache auf, Psalter und Harfe. Mögen alle die Musikinstrumente, mit denen ich vertraut bin, harmonisch erklingen zu heiligem Preise. Mit der Frühe will ich aufwachen, Grundtext: Ich will das Morgenrot aufwecken. Wenn die Sonne noch in ihrer Kammer schläft, will ich schon mein frisches Lied ertönen lassen und mit ihm die Kreatur zum Preis des Schöpfers und Erhalters aufrufen. Nicht schläfrige Weisen und zum Gähnen langweilige Vers soll man von mir zu hören bekommen; ich will zu diesem heiligen Werk selber vollauf wach sein und mein bestes Können einsetzen, um mich und andere zum Preise des HERRN zu reizen. Wenn wir es noch so gut machen, bleiben wir doch weit hinter dem zurück, was der HERR verdient; darum lasst uns wenigstens des gewiss sein, dass das, was wir bringen, unser Bestes ist und, wenn es nun einmal mit Schwachheit behaftet sein muss, doch wenigstens nicht von Lässigkeit verunstaltet ist.

10. Herr (Adonai), ich will dir danken (dich preisen) unter den Völkern. Heiden sollen mein Lobpreisen vernehmen. Wir haben hier ein Beispiel davon, wie die wahrhaft fromme, im Mittelpunkt der Heilswahrheit wurzelnde Gesinnung die Zäune überspringt, welche die Bigotterie aufrichtet. Der Israelit gewöhnlichen Schlages hätte niemals gewünscht, dass die Heiden, diese Hunde, Jehovas Namen vernähmen, es wäre denn, um vor demselben zu zittern; der Psalmdichter aber, der die Unterweisung der göttlichen Gnade genossen hat, ist von echtem Missionsgeist erfüllt und möchte den Preis und Ruhm seines Gottes überallhin verbreiten. Ich will dir lobsingen (dich mit Saitenspiel preisen) unter den Leuten. Zu allen Nationen, so fern sie auch sein mögen, möchte ich durch Lied und Saitenspiel das Lob deines Namens dringen lassen. Es war ja Israels Mission, dereinst der Vermittler der Gotteserkenntnis für die Nationen zu werden. Wenn David diesen Beruf schon lebhaft in sich fühlte, so täuschte er sich darin nicht, wenn er diesen Beruf auch vornehmlich erst erfüllen sollte, nachdem er selber der Erde entrückt war. Reicher, als er es je hat ahnen können, ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen; denn seine Psalmen und Lobgesänge preisen in der Tat unter allen Nationen den HERRN.

11. Denn groß bis zum Himmel ist deine Gnade. (Grundtext) Gerade auf aus des Menschen Niedrigkeit zu des Himmels hehren Höhen reicht die Gnade. Die menschliche Vorstellungskraft reicht nicht hin, die Höhe des Himmels zu schätzen, und ebenso übersteigt der Reichtum der Gnade unsere höchsten Gedanken. Wie der Psalmist so am Eingang seiner Höhle sitzt und zum Firmament aufblickt, freut er sich, dass Gottes Güte weiter und höher ist als selbst das unermesslich hohe und weite Himmelsgewölbe. Und deine Treue bis an die Wolken. (Grundtext) In die Wolken setzt Gott das Siegel seiner Treue, den Regenbogen, der seinen Bund bekräftigt; in den Wolken birgt er Regen und Schnee, die ebenso seine Treue erweisen, indem sie uns Saat- und Erntezeit, Kälte und Hitze bringen. Die Schöpfung ist groß, der Schöpfer aber noch weit größer. Der Himmel kann ihn nicht fassen; hoch über Wolken und Sterne ragt seine ewige Güte.

12. Erhebe dich, oder: Werde erhoben, Gott, über den Himmel. (Siehe d. Anm. zu V. 6, S. 256.) Ein herrlicher Refrain. Nehmt ihn auf, ihr Engel und ihr vollendeten Gerechten, und stimmt mit ein, ihr Menschenkinder hienieden, indem ihr hinzufügt: Über die ganze Erde (breite sich) deine Herrlichkeit. (Grundtext) Im elften Vers hatte der erleuchtete Sänger davon geredet, dass Gottes Gnade bis zum Himmel reiche; hier aber steigt sein Lied über die Himmel empor. Der Lobpreis schwingt sich immer höher hinan und kennt keine Grenzen und Schranken.


Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Ein Lied, als David vor Saul in jene Höhle geflohen war, von der er auch Ps. 142 spricht und die, da sie schlechtweg die Höhle heißt, wohl keine andere ist als jene bekannte, worein er sich mit seinen sechshundert (1. Samuel 23,13) Leuten verborgen hatte, als Saul hineinkam und er den Zipfel von seinem Kleide schnitt (1. Samuel 24,4 ff.). Bis auf die höchsten Alpenhöhen, wo nur in den heißesten Sommermonaten das Vieh hingetrieben wurde, "bei den Schafhürden", war der König mit dreitausend Mann ihm nachgejagt, um in jedem Schlupfwinkel ihn aufzusuchen. Da war nun eine Höhle, in deren kühles Dunkel sich David mit seinen Leuten verborgen hatte. Solche Höhlen in Palästina und im Morgenlande sind zuweilen von Menschenhänden noch erweitert und so groß, dass sie Tausende fassen. In den ängstlichen Stunden, wo David hier abwarten wollte, bis das Verderben vorüber sei (V. 2), ist dies Klagelied gesungen, darin er sich erst allmählich ein festes Herz erringt (V. 8). Wie hat da sein Leben an einem Haar gehangen, wenn Saul oder einer von seinen Begleitern ihn wäre gewahr geworden! Prof. August Tholuck 1843.

Zum ganzen Psalm. So eng David in der Höhle eingeschränkt war, so erweitert war sein Herz. Er bat um Schutz und Gnade und war derselben auch gewiss, V. 2.3.4. Er bezeugt, wie sein Herz zum Singen und Loben jetzt geschickt sei, V. 8. Er redet seine Ehre, d. i. seine Zunge, und seine Psalter und Harfe auf eine poetische Weise selbst an, dass sie zum Lob Gottes aufwachen sollen. Früh, sagt er, will ich aufwachen, Gott zu loben, ehe ich noch etwas anderes zu besorgen bekomme. Er breitet sich mit seinem erfreuten Gemüt über Völker und Leute, Himmel, Wolken und die ganze Welt aus und bekam eine sehr große Aussicht in das Reich Gottes. Unter den Völkern verspricht er Gott noch zu danken und unter den Leuten ihm Lob zu singen, V. 10. Vom Himmel, sagt er, sende der HERR seine Güte und Treue, ihm und allen Auserwählten zu helfen, V. 4. Von der Güte des HERRN spricht er, dass sie so weit und breit wie der Himmel sei, und von der Wahrheit Gottes, dass sie sich offenbare, soweit die Wolken gehen, V. 11. Zweimal ruft er aus, V. 6. 12: Erhebe dich, Gott, über den Himmel, d. i. offenbare dich als den Allerhöchsten in dem ganzen Himmel, und deine Herrlichkeit (lass kund und hoch gerühmt werden) auf der ganzen Erde! David erkannte also die Verbindung, die zwischen dem Himmel und der Erde, zwischen dem Höchsten und Niedrigsten im Reich Gottes sei. Er war ein armes Würmlein auf der Erde, die Gottes Fußschemel ist; aber im Himmel, wo Gottes Thron ist, wurde seiner gedacht und ihm von da aus Güte und Treue zu Hilfe gesandt. Er war ein einzelner Mann und mit seinen Leuten eng eingeschlossen; er hoffte aber noch unter Völkern und Leuten zum Bekenntnis des Namens Gottes Raum zu gewinnen. Er musste bald da, bald dort hin fliehen; wo er aber den Himmel über sich ausgebreitet sah, da glaubte er im Genuss der Güte Gottes zu stehen, und wo er die Wolken über sich schweben sah, da hoffte er die Wahrheit der Verheißungen Gottes zu erfahren. Er wusste, dass der Himmel seine Bewohner wie die Erde ihre Bewohner habe; darum bat er um eine neue Erweisung der Hoheit und Herrlichkeit Gottes, sowohl bei jenen wie bei diesen, und weil der Geist Gottes diese Bitte in dem Herzen Davids gebildet hat, so ist sie ohne Zweifel geschehen. Vergleicht man nun den Saul, der draußen auf dem freien Feld mit einem trotzigen Grimm umherschweifte, mit dem in der Höhle betenden David: wie ungleich sind sie einander! Sauls Herz war finster, das Herz Davids heiter; Saul lief aufs Ungewisse, wohin ihn seine Begierden trieben, Davids Herz war auf einen Felsen gegründet und seiner Sache gewiss. Saul verfehlte zu seinem großen Verdruss allenthalben seinen Zweck, David harrte des HERRN und erreichte seinen Zweck überall mit Freuden. Saul fluchte vielleicht, David betete. Saul durchstrich die Wüste Engedi mit einem wilden Geschrei, David sang indessen liebliche Lieder. Wer sollte nicht mit David und allen Kindern und Knechten Gottes lieber Gemeinschaft haben als seinen Teil mit der argen Welt dahinnehmen? Prälat M. Fr. Roos 1773.

Der unleugbare (mehr rhetorische) Schwung des Psalms wird erreicht durch die häufige und wirkungsvolle Anwendung der Figur der Repetitio (der nachdrucksvollen Wiederholung einzelner Worte), welche in V. 2.4.8.9 als Anaphora (Wiederholung am Satzanfang), in V. 2b u. c und V. 9 außerdem als Polyptoton (dasselbe Wort in verschiedenen Flexionsformen) auftritt. Beachtenswert ist auch die Alliteration in V. 5c. d und V. 10, sowie das viermalige $ in V. 4a und die viermalige Verbindung einer Gutturalis mit folgendem l in V. 3. Lic. Hans Keßler 1899.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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V. 2. Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig. Das ist mir die eine Quelle aller meiner Erwartungen, der eine Born, in dem mir alle Verheißungen zufließen: Miserere mei, Deus, miserere mei. Bernhard von Clairvaux † 1153.

Seine Seele traute auf den HERRN: die Kraft dieser Ausdrucksweise wolle man nicht übersehen; denn es liegt darin, dass das Gottvertrauen, welches er an den Tag legte, ihm aus der Tiefe des Gemütes kam, dass es also nicht oberflächlicher Art war, sondern tief und stark gewurzelt. Er bezeugt dasselbe in bildlichem Ausdruck, wenn er im Folgenden die Überzeugung ausspricht, dass Gott ihn mit dem Schatten seiner Flügel decken werde. Jean Calvin † 1564.

Bis dass das Unglück vorübergehe. Er vergleicht seine Trübsal und das Unheil, welches seine Feinde anrichten, mit einem Unwetter, das kommt und geht. Wie wir in diesem Leben nicht immer Sonnenschein haben, so auch nicht immer Sturm und Regen. Athanasius sagte von Julian dem Abtrünnigen: Nubecula est, transibit, es ist nur eine kleine Wolke, die geht vorüber! Der Mensch ist zu Leiden und Mühsal geboren, und namentlich der Gerechte muss viel leiden, aber der HERR hilft ihm aus dem allen (Ps. 34,20). Wenn wir auf ihn unser Vertrauen setzen und alle unsere Sorge auf ihn werfen, so wird er es zur rechten Stunde geschehen lassen, da alle unsere Anfechtungen vorübergehen. Entweder wird er sie von uns nehmen oder uns aus ihnen herausnehmen, und dann werden wir klar erkennen, dass alle Leiden dieser Zeit der Herrlichkeit nicht wert sind, welche in dem zukünftigen Leben an uns geoffenbart werden soll. John Boys † 1643.

V. 3. Der (es) für mich hinausführt oder vollendet. (Grundtext) Das Targum übersetzt etwa: der ganz um mich ist, und deutet es: "Der der Spinne gebot, dass sie ihr Gewebe um mich mache und das Loch der Höhle verschließe," nach der jüdischen Sage, dass ein Spinnengewebe den Saul habe glauben lassen, dass niemand in der Höhle sei. Andrew A. Bonar 1859.

V. 4. Der wider mich schnaubet, eigentlich: nach mir schnappt, mich zu verschlingen begierig ist. Wenn ich euch in mein Haus führen wollte und sagte, ich hätte da einen ausgezeichnet fetten Menschen, den ihr mir solltet essen helfen, so könnte eure Entrüstung durch nichts besänftigt werden. Ihr würdet mich für verrückt erklären. Es gibt in ganz Neuyork keinen Menschen, der so gemein wäre, dass er dem nicht sagen würde, wieviel es geschlagen habe, der ihm im Ernst den Vorschlag machte, von einem Mitmenschen eine Mahlzeit zu halten, von ihm Koteletts zu schneiden und sie zu verspeisen. Aber was ist das anders als aus einem Mitmenschen ein Festmahl bereiten, wenn alle zusammensitzen, dem Nächsten das Beste, was er hat, seine Ehre, herausschneiden, sich seine zartesten Stellen aussuchen und die Nachbarn einladen, sich die Leckerbissen wohlschmecken zu lassen? Man nimmt einem Manne Ehre und guten Namen, brät die saftigen Bissen auf den Kohlen des Hasses, erfüllt das ganze Zimmer mit dem verlockenden Dufte, gibt dem Nachbarn ein Stück, beobachtet, wie es ihm schmeckt, und wünscht ihm gesegnete Mahlzeit. Ja, ihr seid Kannibalen - ihr verzehrt die Seelen, die feinsten Stücke eurer Mitmenschen. Es ist euch ein Hochgenuss, wenn ihr jemand ein Wort zuflüstern könnt, das eurem Nächsten oder seiner Frau oder Tochter an ihrem guten Rufe Abbruch tut. Es ist ein zu leckerer Bissen, als dass man ihn ungegessen lassen dürfte. So bringt ihr auf einer Schüssel, fein zugerichtet, das Zarteste und Beste, was an einem Menschen ist, seine Hoffnung für diese Welt und die zukünftige, ihr spießt es auf eure Gabel und könnt nicht umhin, davon zu kosten, und gebt auch euern Freunden davon. Ihr seid nicht besser als die Wilden, ihr verschlingt eines Menschen guten Namen und Ehre, und zwar mit Lust - und das sogar, wenn ihr nicht einmal wisst, ob die Beschuldigungen, die man gegen ihn vorbringt, wahr oder erlogen sind, ja wiewohl es in neunundneunzig aus hundert Fällen wahrscheinlich ist, dass sie nicht wahr sind. Henry Ward Beecher 1870.

Gott sendet seine Güte und Treue, nämlich zu meiner Rettung. Das heißt: Gott wird mich retten, um an mir seine Gnade zu offenbaren und die Zuverlässigkeit seiner Verheißungen zu erweisen. Der Leser wird erkennen, dass Gnade und Treue hier (vergl. Ps. 23,6; 43,3) dichterisch als Diener Gottes dargestellt werden, die vor ihm stehen, seiner Winke gewärtig, um sein Wohlgefallen zu erfüllen, und die von ihm als Werkzeuge zur Rettung der Seinen gebraucht werden. Samuel Chandler † 1766.

V. 5. Ihre Zähne, d. i. ihre Reden, so durch die Zähne gehen, sind Spieße und Pfeile, gleich den allerschärfesten Mordgewehren, die in der Nähe und Ferne verwunden und Schaden zufügen. Johann David Frisch 1719.

V. 7. Netze, Grube. Da die Alten keine Feuerwaffen hatten, waren sie viel geübter als wir in der Anwendung von Schlingen, Netzen und Fallgruben zum Fangen wilder Tiere. Nicht wenige biblische Bilder und Anspielungen setzen diesen Stand der Dinge voraus. W. M. Thomson 1859.

V. 8-12. werden in Psalm 108 mit einigen Abänderungen wiederholt. - James Millard

V. 8. Dass ich singe und lobe. Es ist wohl geeignet, die Gottlosen in Furcht und Schrecken zu setzen, dass sie es mit einem Volk zu tun haben, das singend und lobpreisend in die Schlacht zieht. Ja, die Gottesfürchtigen singen nie lauter, als wenn sie in den größten Trübsalen und Anfechtungen sind. Ob die Heiligen siegen oder unterliegen, sie singen immerzu. Gott sei dafür gepriesen. Mögen die Sünder davor erzittern, gegen Leute zu kämpfen, die solch übermenschliche Tapferkeit haben. William Swan Plumer 1867.

Sein aufrichtiges Gottvertrauen lässt den Christen singen, selbst wenn er sich hungrig auf sein Lager strecken muss. David war wahrlich nicht in der rosigsten Lage, als er sich in der Höhle befand; dennoch finden wir ihn kaum je fröhlicheren Muts. Sein Herz machte lieblichere Musik, als seine Harfe es je getan. William Gurnall † 1679.

V. 9. Wache auf, Psalter und Harfe. Eine Zither, sagt der Talmud mit Bezug auf diese Psalmstelle, hing über Davids Bett, und wenn Mitternacht kam, blies der Nordwind in die Saiten, dass sie von selber klangen; sogleich stand David auf und beschäftigte sich mit der Tora (dem Gesetz), bis die Säule des Morgenrots aufstieg. Die übrigen Könige, bemerkt Raschi, weckt die Morgenröte, ich aber, sagt David, will die Morgenröte aufwecken. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Ich will das Morgenrot aufwecken. (Grundtext) Es ist Goldes wert früh zu arbeiten, aber im höchsten Grad Goldes wert, frühe zu beten und mit dem HERRN zu reden, Gottes Wort zu lesen und darüber nachzudenken. In den Morgenstunden, wo die halbe Welt noch schläft und das Geräusch und der Lärm des menschlichen Verkehrs noch verstummt ist, wo wir selber noch nicht zerstreut sind, da ist Herz und Seele noch am nächsten bei Gott und am empfänglichsten für seine Stimme und für alle seine Einwirkungen. Vergl. Ps. 88,14; 119,148; Jes. 26,9; Ps. 5,4. Reinhard Zeller 1887.

Meine Ehre. Das ist nach der Ansicht der meisten (älteren) Ausleger die Seele, weil der Geist des Menschen seine Ehre ist, wodurch er so hoch über die Tiere erhaben ist, dass er nur ein wenig niedriger als die Engel, ja Gott selbst, dem Vater der Geister, verwandt ist. Andere verstehen darunter die dichterische und musikalische Fähigkeit, die Ehre des Künstlers gegenüber dem in der Kunst Unbewanderten. In der Kunst hatte David in der Tat die Ehre der Meisterschaft, wie Jubal die des Erfinders. Wieder andere meinen, es sei die Zunge gemeint. Die Sprache ist allerdings die Ehre des Menschen gegenüber der stummen Kreatur und des Weisen gegenüber dem Toren. Und wie die Zunge die Ehre des Menschen ist, so ist es die Ehre der Zunge, Gott die Ehre zu geben, ihn zu verherrlichen. Die Zunge ist in dem Leibe, diesem Tempel des heiligen Geistes, das, was die silbernen Trompeten im Tempel Salomos waren: sie soll den Lobpreis Gottes ertönen lassen und der Begeisterung unserer Seele Ausdruck geben. Psalter und Harfe. Alle meine musikalische Kunst will ich anwenden und der Ehre dessen weihen, der mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben hat. Er lehrt meine Finger erst den Bogen spannen zum Kampf und dann auf Psalter und Harfe das Triumphlied spielen. So ertönt denn laut, Psalter und Harfe, wetteifert mit dem obern Chor, der um den Thron Gottes geschart ist. Eure Weisen sind wohl geeignet, meine Sorgen zu dämpfen, meine Furcht zu beschwichtigen und die dumpfe, dunkle Höhle in ein Gotteshaus zu verwandeln. Benjamin Grosvenor † 1758.

V. 10. Unter den Völkern. Die jüdische Kirche war weder berufen noch geeignet, eine Missionsgesellschaft zu sein; aber sie ließ nie ab von dem Verlangen und der Hoffnung, dass die Heiden bekehrt werden möchten. Das zeigt sich z. B. in den Stellen, wo die Psalmdichter die Gewissheit ausdrücken, dass sie eines Tages alle Welt zu Zuhörern haben würden. Wie kühn ruft David aus: Ich will dir danken unter den Völkern usw. In demselben Geist ruft ein späterer Psalm die Kirche auf, ihre Stimme zu erheben, damit alle Nationen sie die großen Taten Gottes mögen preisen hören (Ps. 105,1). Wie oft wird überhaupt in den Psalmen der Völker gedacht. Und nicht nur mittelbar, wie in den angeführten Stellen, sondern auch ganz ausdrücklich wird die Bekehrung der Heiden in vielen herrlichen Psalmen vorausgesagt. Diese Weissagungen finden sich so zahlreich, und zwar in den Psalmen aller Zeiten von David an bis zu der Zeit nach dem Exil, dass daraus ersichtlich ist, dass der Heilige Geist während des ganzen langen Zeitraums der Psalmdichtung den Sängern Zions immer wieder neue Lieder in den Mund gelegt hat, in welchen sie die weltumfassenden Hoffnungen des Volkes Gottes zum Ausdruck brachten. William Binnie 1870.

V. 11. Ein unkindliches und undankbares Herz sieht mitten im Glücke nur einzelne Tropfen göttlicher Gnade; ein dankbares Herz wie Davids Herz sieht - und wenn es, von Verfolgern gejagt, in einer Höhle Dunkel seine Zither anschlägt - göttliche Gnade und göttliche Treue als ein großes Meer, das wogt und wallet von der Erde bis zu den Wolken und von den Wolken wieder bis zur Erde herab. Prof. August Tholuck 1843.

V. 12. O zeig erhaben dich über die Himmel hin, Elohim, über die ganze Erde deine Herrlichkeit. Himmel und Erde haben eine ineinandergreifende Geschichte, und das selige, herrliche Ende dieser ist der hier erflehte Sonnenaufgang der göttlichen Doxa (Herrlichkeit) über beide. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Homiletische Winke

V. 2a. Wiederholungen im Gebet. 1) Ihre Gefahren: Sie arten leicht in müßige Wiederholungen aus, verraten, wenn übermäßig angewendet, in peinlicher Weise den Gedanken, als ob Gott nicht zu hören willig wäre. 2) Ihr rechter Gebrauch: Sie erleichtern, gleich Tränen, die Seele, sind ein passender Ausdruck lebhafter Gemütsbewegungen und helfen den Vielen, die weniger schnell denken, in das allgemeine Gebet einstimmen. Richard Andrew Griffin 1870.
V. 2. 1) Es gibt mancherlei Unglück. (Krieg, Seuchen, Sünde - das größte Unglück -, Tod usw.) 2) Es gibt eine Zuflucht vor dem Unglück: bei Gott, zumal bei seiner Gnade. 3) Es gilt, sich an diesen Bergungsort zu retten a) im Glauben: Bei dir birgt sich meine Seele - unter dem Schatten deiner Flügel - b) mittels Gebets: Sei mir gnädig. 4) Es gilt, an diesem Bergungsort zu verharren: bis dass das Unglück vorübergehe. George Rogers 1872.
V. 2.5.7.8. Man beachte die verschiedenen Seelenzustände des gleichen Menschen zur gleichen Zeit: Meine Seele trauet auf dich - ist mitten unter Löwen - ist niedergebeugt - mein Herz ist fest, d. h. getrost.
V. 3. Gebet zu Gott, der (es alles) für mich hinausführt (Grundtext): alle seine Verheißungen, mein ganzes Heil, alles, was ich bedarf für Zeit und Ewigkeit. Darin erweist er seine Allmacht, Gnade, Zuverlässigkeit und Unwandelbarkeit; so werden wir denn dadurch verpflichtet, Glauben, Geduld und fröhliche Dankbarkeit zu beweisen.
Merkwürdige Begründungen. 1) Der Psalmist ruft aus den Tiefen des Elends zu Gott, weil Gott der Allerhöchste ist. Dieser Gedanke hätte ihn wohl durch die Furcht, Gott sei unnahbar, lähmen können; aber die Seele sieht mit dem durchs Leiden geschärften Auge durch das Bild und über dasselbe hinaus und freut sich der Wahrheit, dass der HERR, ob er wohl so hoch ist, doch auf das Niedrige siehet. 2) Er ruft zu Gott um Hilfe, weil Gott der seine Sache für ihn Hinausführende ist. (Grundtext Partiz.) Warum dann noch ihm mit Bitten anliegen? Gebet ist die Musik, welche Jehova, den "rechten Kriegsmann" (2. Mose 15,3), in die Schlacht geleitet. Richard Andrew Griffin 1870.
V. 4. Der Trost des Frommen in der Trübsal. 1) Es kann keine Not eintreten, für welche nicht vorgesorgt würde: Er sendet (oder wird senden). 2) Die mächtigsten Hilfsquellen stehen zu Gebot: vom Himmel. 3) Auch die ärgsten Feinde werden schließlich zuschanden gemacht werden: und hilft mir von der Schmähung des usw., und zwar 4) durch die heiligsten Mittel: Gnade und Wahrheit. Richard Andrew Griffin 1870.
V. 5. Meine Seele ist mitten unter Löwen. (Grundtext) Wie bin ich in diese Lage gekommen? Wenn um der Sache Gottes willen, so darf ich des gedenken: 1) dass mein Heiland in der gleichen Lage war (vergl. Mk. 1,13; Ps. 22,13.17.22); 2) dass ihr Brüllen das einzige ist, was sie tun können (sie sind gefesselt); 3) dass der Löwe aus Juda bei mir ist; 4) dass ich bald mitten unter den Engeln sein werde.
Unter Löwen. Predigt von C. H. Spurgeon, Schwert und Kelle II. S. 129. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 6. Gottes Verherrlichung das Ziel, welches Gott bei seinem Walten sowohl im Himmel als auf Erden, in der sündigen und den sündlosen Welten, im Auge hat; ebendies soll auch unseres Lebens Ziel sein.
V. 7a. 1) Wer sind die, welche unserm Gange Netze stellen? a) Solche, die uns zur Sünde verlocken. b) Solche, die ihre Grundsätze aus der Weltweisheit nehmen. c) Solche, die uns vom HERRN abziehen und an sich fesseln (priesterliche Anmaßung) oder in Aberglauben (abergläubische Übertreibungen des Sakramentsbegriffs) verstricken wollen. d) Solche, die uns von der Gemeinde des HERRN wegzulocken suchen. e) Solche, die antinomistische (gesetzesstürmerische) Grundsätze lehren. 2) Wie können wir ihnen entrinnen? a) Bleib ihnen aus dem Wege, b) halte dich an die von Gott verordneten Wege und c) traue Tag für Tag auf den HERRN.
V. 8. 1) Was ist fest? Mein Herz: Wille, Gewissen, Neigungen. Mein Herz hat einen festen Ankergrund gefunden, ist daher nicht jedem Wind preisgegeben. 2) Worauf ist es fest gerichtet? a) Auf Gott, b) auf sein Wort, c) auf sein Heil, d) auf seinen Himmel. 3) Worin muss sich diese Festigkeit zeigen? a) Im Verfolgen eines Lebenszwecks, b) in der Übereinstimmung des Tuns, c) im Beharren bis ans Ende.
V. 8-10. 1) Wer dankbar sein will, muss in seinem Herzen das Gedächtnis der göttlichen Gnadenerweisungen gleichsam aufspeichern. Mein Herz. 2) Danach muss er davon innerlich bewegt werden und den Entschluss fassen zu danken: ist bereit. 3) Er muss den Dank äußern: dass ich singe und lobe. 4) Er soll sich dazu aller ihm zu Gebot stehenden Mittel bedienen: singen und spielen (Grundtext) - meine Ehre (nach den meisten: die Zunge), Psalter und Harfe. 5) Er darf es nicht in schläfriger Weise tun: Wache auf - wache auf - ich will aufwachen. 6) Er soll es nicht aufschieben, sondern die erste Gelegenheit wahrnehmen: mit der Frühe. 7) Er soll es nicht nur in der Einsamkeit vor Gott tun, sondern öffentlich, zur Ausbreitung der Ehre Gottes: unter den Völkern - unter den Leuten (Nationen). William Nicholson † 1671.
V.10. Wer? Ich. Was? Will danken, lobsingen. Wem? Dir, Herr. Wo? Unter den Leuten. Warum?
V. 11. Die Gnade Gottes reicht bis zum Himmel: 1) Als eine Leiter, auf der wir von der Erde zum Himmel aufsteigen können. 2) Wie ein Regenbogen. Die Gnadenworte und -taten Gottes verbürgen dem Gläubigen die Verschonung vor dem Zorne Gottes. 3) Wie ein Berg. Dieses Berges Fuß ist auf der Erde, seine Spitze verliert sich in den Wolken. (Golgatha der höchste Berg, denn er reicht in den höchsten Himmel.) Wer mag die Herrlichkeit des Gipfels dieses Berges ermessen, da schon sein Fuß so von Herrlichkeit erstrahlt! Richard Andrew Griffin 1870.
Die wunderbare Größe der Gnade. 1) Die Gnade ist hoch wie der Himmel, sie überragt die größte Sünde und die höchsten Menschengedanken. 2) Sie ist weit wie der Himmel, umfasst alle Menschen aller Zeitalter, aller Länder, aller Klassen usw. 3) Weil alles, was Gottes ist, volles Ebenmaß hat, muss sie auch entsprechend tief sein: tief in ihrem Ewigkeitsgrund, tief an unergründlicher Weisheit.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps58

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PSALM 58 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dies ist der vierte Psalm, der überschrieben ist: Ein gülden Kleinod Davids, und der zweite, bei dem wir lesen: Verderbe nicht. Wenn wir die Bedeutung dieser Überschriften auch in den meisten Fällen nicht mehr sicher ermitteln können, so unterstützen sie doch wenigstens unser Gedächtnis. Vorzusingen. Wiewohl David in den meisten seiner Psalmen zunächst seine eigenen Umstände im Auge hatte, schrieb er doch nicht als Privatmann, sondern als inspirierter Gottesmann. Deshalb war auch dies Lied zur dauernden öffentlichen Verwendung im Tempelgottesdienst bestimmt.

Einteilung

Der Dichter klagt die gottlosen Widersacher an, V. 2-6, wünscht das Gericht über sie herbei, V. 7-9, und sieht es mit prophetischem Blick bereits ausgeführt, V. 10-12.

Auslegung

2. Seid ihr denn stumm, dass ihr nicht reden wollt, was recht ist,
und richten, was gleich ist, ihr Menschenkinder?
3. Ja, mutwillig tut ihr Unrecht im Lande
und gehet stracks durch, mit euren Händen zu freveln.
4. Die Gottlosen sind verkehret von Mutterschoß an,
die Lügner irren von Mutterleib an.
5. Ihr Wüten ist gleich wie das Wüten einer Schlange,
wie eine taube Otter, die ihr Ohr zustopft,
6. dass sie nicht höre die Stimme des Zauberers,
des Beschwörers, der wohl beschwören kann.


2. Redet ihr wirklich, was recht ist? Mit dieser Frage redet der so arg angefeindete und verleumdete Knecht des HERRN seinen Widersachern ins Gewissen. Der Grundtext enthält aber noch ein in diesem Zusammenhang schwer verständliches Wort, das von den älteren Auslegern ziemlich allgemein als Anrede an die Schar1 oder Rotte der Feinde Davids aufgefasst wurde. Die Gesinnungsgenossen und Anhänger Sauls waren in der Tat eine zahlreiche, in ihrem Hass gegen den Sohn Isais einige Rotte, und weil unter ihnen in der Verdammung des von dem Zorn des Königs Betroffenen solche Einstimmigkeit herrschte, waren sie sehr geneigt, es für eine ausgemachte Sache zu halten, dass ihr Urteilsspruch recht sein müsse. "Was alle Welt sagt, muss wahr sein," ist ein landläufiges lügnerisches Sprichwort, das sich auf die Anmaßung gründet, die sich da einstellt, wo man die große Masse und die Mächtigen auf seiner Seite hat. "Sind wir nicht alle übereingekommen, den Mann zu Tode zu hetzen? Wer darf es sich herausnehmen, anzudeuten, dass so viele angesehene und mächtige Leute irren könnten?" Dennoch legt der arme so verfolgte Mann die Axt an die Wurzel, indem er diejenigen, welche über ihn aburteilen, auffordert, die Frage zu beantworten, ob sie wirklich der Gerechtigkeit gemäß handelten oder nicht. Wahrlich, es wäre gut, wenn die Leute manchmal innehalten und diese Frage ernstlich und aufrichtig erwägen wollten. - Dem Grundtext eher entsprechend ist die Übersetzung: Ob ihr wirklich in Verstummung Gerechtigkeit redet? Es waren in der Umgebung Sauls wohl etliche, die sich zwar nicht tätlich an der Verfolgung Davids beteiligten, aber dennoch mitschuldig waren, indem sie stumm blieben, wenn das Opfer des Hasses und Neides des Königs verleumdet und geschmäht wurde. Diesen gilt demnach der Vorwurf unseres Verses. Es gibt Lagen, wo schweigen so viel ist wie zustimmen. Wer es unterlässt, das Recht zu verteidigen, macht sich des Unrechts schuldig. Richtet ihr, was gleich ist, ihr Menschenkinder? (Grundtext2 Auch ihr seid nur Menschen, ob ihr auch mit Gewalt bekleidet seid; eure Macht ist gering und von kurzer Dauer. Beides, das Amt, das ihr zum Besten eurer Mitmenschen verwalten sollt, und eure Naturverbindung mit den Menschen, verpflichtet euch zur Rechtschaffenheit und Billigkeit. Aber seid ihr des eingedenk gewesen? Habt ihr nicht vielmehr alle Gerechtigkeit beiseite gesetzt, da ihr den Gottseligen verurteiltet und euch zur Vernichtung des Unschuldigen zusammenschlosset? Aber seid nicht zu sicher, dass euch euer frevles Tun gelingen werde, denn ihr seid nur Menschenkinder, und es gibt einen Gott, der euer Urteil umstoßen wird.

3. Vielmehr bereitet3 ihr im Herzen Freveltaten. (Grundtext) Tief drinnen im Verborgenen eurer Herzen haltet ihr eine Probe ab von den Schurkenstreichen, die ihr auszuführen beabsichtigt; so könnt ihr dann, wenn die gelegene Stunde kommt, mit Anstand und Geschmack eure wohleinstudierte Rolle spielen. Euer Herz ist bei dem Werk, darum sind eure Hände ganz bereit. Ebendieselben Männer, die auf dem Richterstuhl saßen und sich über die Fehler, die sie selber dem Opfer ihrer Rachgier angedichtet hatten, so entrüstet stellten, verübten in ihren Herzen alle nur denkbaren Freveltaten. Im Lande wägt ihr Gewalttat eurer Hände dar. (Grundtext) Statt als gerechte Richter Gesetz und Recht sorgfältig zu prüfen, die Belastungs- und Entlastungsgründe gegeneinander abzuschätzen und die Sache genau auf der Waagschale der Gerechtigkeit zu wägen, wogen sie Ungerechtigkeit und Gewalttat statt des Rechtes dar, und das mit der größten Kaltblütigkeit, mit vorbedachter Bosheit. Man beachte, wie unser Vers diese Männer als solche beschreibt, die mit Herz und Hand sündigten. Sie verübten Frevel im Verborgenen ihres Herzens und in der vollen Öffentlichkeit, und es war in ihnen Tatkraft mit Bedachtsamkeit vereint. Da sehen wir, mit was für einem Geschlecht die Knechte des HERRN es zu tun haben! Solcherart waren die Feinde Jesu, ein Otterngezücht, ein böses und ehebrecherisches Geschlecht. Sie suchten ihn zu töten, weil er die Gerechtigkeit selber war; dennoch verhüllten sie diesen ihren Hass gegen seine Heiligkeit damit, dass sie ihn todeswürdiger Frevel beschuldigten.

4. Die Gottlosen sind abtrünnig (Grundtext) von Mutterschoß an. Es braucht uns nicht zu wundern, dass etliche Menschen den gerechten Weibessamen verfolgen, da sie alle von dem Samen der Schlange sind und zwischen diesem und dem Weibessamen ewige Feindschaft besteht. Kaum geboren und schon von Gott entfremdet und abtrünnig - welches Verderben enthüllt dieses Urteil! Verlassen wir so früh schon den rechten Pfad? Beginnen wir im nämlichen Augenblick Menschen und Sünder zu sein? Die Lügner irren von Mutterleib an. Wer Kinder beobachtet, kann es gewahr werden, wie früh schon sich bei ihnen der Lügengeist zeigt. Noch ehe sie sprechen können, üben sie kleine Täuschungskünste aus. Das ist besonders bei solchen der Fall, die sich im späteren Leben als Meister in der Kunst des Lügens und Verleumdens erweisen. Sie beginnen ihr böses Geschäft in früher Jugend; da ist’s kein Wunder, dass sie darin wohlgeübt werden. Wer früh am Morgen aufbricht, kommt bis zum Abend weit. Die Unaufrichtigkeit ist eines der sichersten Kennzeichen der gefallenen Natur, und die Allgemeinheit der Falschheit erweist demnach die Allgemeinheit der menschlichen Verderbnis.

5. Gift haben sie gleich dem Gift einer Schlange. (Grundtext) Gehört der Mensch zu den giftigen Reptilien? Jawohl, und sein Gift ist tödlich wie Schlangengift. Und zwar kann die Natter mit ihren Giftzähnen nur den Leib ihres Opfers töten, der unwiedergeborene Mensch aber trägt ein Gift auf der Zunge, das die Seele zerstört. Wie eine taube Otter, die ihr Ohr zustopft. Da der Dichter von den Schlangen redet, gedenkt er des, dass sich so viele dieser Tiere durch die Kunst der Beschwörer zähmen lassen, dass aber Menschen wie die, mit welchen er es zu tun hat, keine Kunst und Mühe zähmen oder bezwingen könne. Darum vergleicht er diese verstockten Frevler mit einer Schlange, die nicht wie andere ihres Geschlechts für die Musik des Zauberers empfänglich ist. Sie weigern sich, auf vernünftige Gründe zu hören, wie eine taube, d. i. eine nicht hören wollende Otter, die ihr Ohr vor den Zaubersprüchen verschließt, von denen sich andere ihresgleichen hinreißen lassen. Es ist, als habe der Mensch in seiner angeborenen Verderbnis alle bösen Eigenschaften der Schlange ohne ihre Vorzüge an sich. O Sünde, was hast du angerichtet!

6. Dass sie nicht höre die Stimme des Zauberers, des Beschwörers, der wohl beschwören kann. Menschen, die nichts von Gott und der Wahrheit wissen wollen, lassen sich nicht für das Gute gewinnen, weder durch die stärksten Vernunftgründe noch durch die herzbeweglichsten Worte mahnender und lockender Liebe. Wendet alle eure Kunst auf, ihr Verkündiger des göttlichen Worts! Müht euch aufs äußerste, den Vorurteilen der Gottlosen entgegenzukommen und eure Worte so anziehend wie möglich zu machen! Ihr werdet dennoch klagen müssen: Wer glaubt unserer Predigt? Eure Musik ist wohl süß; nicht an ihr, sondern an dem Ohr des Sünders liegt der Fehler, dass all euer Locken und Laden erfolglos ist, und nur Gottes Macht kann diese Taubheit des geistlichen Ohres hinwegtun. Wir rufen und rufen, und rufen ganz vergeblich, bis sich des HERRN Arm offenbart. Diese Taubheit ist zugleich des Sünders Schuld und seine große Gefahr. Er sollte hören, aber er will nicht, und weil er nicht hören will, kann er der höllischen Verdammnis nicht entfliehen.

Fußnoten
1. Engl. Bibel: O congregation, nach Kimchi, Calvin u. a., die von der Wurzelbedeutung binden (vergl. das piel mit figura etymol. 1. Mose 37,7 manipulos colligare) zu der Bedeutung manipulus, congregatio, conterva kommen, aber ganz willkürlich. Mle)"" kommt nur noch Ps. 56,1 vor, wo man es mit Verstummung übersetzt (oder aber Mli)"" Terebinthen Jes. 57,5 liest). Danach wäre der masoretische Text an unserer Stelle (als ironische Frage) zu deuten: Ob ihr wirklich in Verstummung Gerechtigkeit redet? oder: Wollt ihr wirklich mit Stillschweigen Recht sprechen? V. 5b legt diesen Sinn nahe. - Luther trennte die beiden ersten Worte von dem Folgenden. - Die meisten Neueren punktieren nach Houbigant Mli)"" (gleich Myli)"" wie 2. Mose 15,11) ihr Götter, unter denen Delitzsch und andere die das gottesbildliche obrigkeitliche Amt Führenden verstehen, vergl. Ps. 82,1. Andere: = Myliy)" = Starke, ihr Gewaltigen.

2. Die Meisten fassen jedoch das Wort "Menschenkinder" nicht als Vokativ, sondern als Objektsakkusativ auf: Richtet ihr die Menschenkinder richtig?

3. l(p wie Micha 2,1 fertig machen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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