Literatur: Die reformierte Kirchenzeitung 1851 ff.
Die reformierte Kirche hat in Deutschland den Ruhm, an längsten die Einflüsse des Unglaubens abgewehrt zu haben. Von ihrer Disziplin und Confession de foi beeinflusst haben noch am Ende des 18. Jahrhunderts die ref. Franzosen in Brandenburg die Predigt des väterlichen Glaubens gepflegt. Als die neue Zeit anbrach, waren es wieder reformierte Prediger, welche für ganze Landesteile zum Segen wurden, so der Prediger und Professor Krafft in Erlangen († 1845), „der Regenerator der protestantischen Kirche Bayerns“, die Pastoren Merle d’Aubigné in Hamburg, Geibel, der Vater des Dichters, in Lübeck, Mallet in Bremen, Palmié und Riquet in Stettin, G. D. Krummacher in Elberfeld, Fr. Adolf Krummacher, der Parabeldichter, Generalsuperintendent in Bernburg († 1845).103 Das Wuppertal mit seinem calvinistischen Gepräge hat den ganzen Osten Deutschlands durch die Vermittlung des Oberhofpredigers G. F. A. Strauß († 1863), des Schwiegersohnes der hochbegabten ref. Wilhelmine von der Heydt104, befruchtet. Fr. W. Krummachers in Redekunst und Phantasie glänzende Tätigkeit war nur darum so bedeutsam, weil sie das Gold der Erfahrung einfacher Weber und Bauern des Wuppertales in sich aufnahm. Als die Union eine Menge reformierter Gemeinen auflöste und auch in Rheinland und Westfalen die noch zu Recht gelassenen auf einen schwankenden Boden ihres Bekenntnisses und ihrer Verfassung stellte, bildete sich in Elberfeld am 30. März 1847 die freie niederländisch-reformierte Gemeine, als die einzige Erbin alter Rechte der ref. Kirche des bergischen Landes, unter der ausgezeichneten Leitung des Holländers Dr. th. Hermann Friedrich Kohlbrügge und der Ältesten Karl und Daniel von der Heydt und erreichte mit Korporationsrechten durch die Gnade des wohlwollenden Fr. Wilhelm IV. ausgestattet, eine seltene in Deutschland nie dagewesene Blüte, namentlich auch durch die aus ihrer heilbringenden Gemeinschaft hervorgehende Elberfelder Armenverwaltung eine Wohltat für alle Welt spendend. Als Kohlbrügge, in Holland von der lutherischen Kirche ausgestoßen, von der reformierten nicht aufgenommen, nach langen Jahren des Harrens auf seinen Gott, die Gemeine in Elberfeld 1847 übernommen hatte, begann für diese eine schöne Zeit. Er allein hat es vollbracht, was niemand vor ihm in Deutschland versucht hatte – und dies in der schwierigen, kaum zu bändigenden Elberfelder Bevölkerung eine freie Gemeine hinzustellen, die unter der Zucht des Wortes in Freiwilligkeit der Liebe und Selbstbesteuerung (in den ersten 12 Jahren hatte sie eine Summe von 111 500 Talern für ihre Bedürfnisse aufgebracht), in musterhafter Armenpflege, von Friedrich Wilhelm IV. freudig begrüßt, als eine Stadt auf dem Berge da lag, die jeder, der die still verborgene, nie von sich Lärm machende besuchte, mit tiefster Belehrung verließ. In ihrer Kirchenordnung, in ihrem Ältesten- und Diakonen-Dienst, in der gewaltigen, allein Gott verherrlichenden Predigt war sie das letzte herrliche Abendrot der ref. Kirche Deutschlands. Sie hat die ref. Kirche Hollands und Österreichs befruchtet, in Amerika und in der Schweiz Schüler empfangen und ist die bevorzugte Stätte gewesen, wo in diesem Jahrhundert unverkümmert und unverkürzt in voller Kraft und in der tiefsten Erkenntnis die Rechtfertigungslehre bezeugt worden ist. Als Kohlbrügge am 5. März 1875 starb, trugen den einsamen Mann doch eine große Zahl von Predigern aus Deutschland, Holland und der Schweiz zu Grabe. Kohlbrügge in der Abendmahlslehre calvinisch fühlte sich mehr von Luthers Exegese angezogen, die er oft noch durch einen unvergleichlichen psychologischen Feinsinn, der überall den Gegensatz des menschlichen Geistes gegen Gott und seine Gnade erkannte, zu vertiefen verstand. Es ist die Theologie des Glaubens und der Gnade mit dem Widerspiel der Sichtbarkeit. Besondere Ansichten hat K. nicht gehabt. Wenn er stark betont, dass Christus „im Fleische gekommen ist“, so will er nur damit sagen, dass Christus in dem Gebiete der Sünde und des Todes aufgetreten und in diesem Gebiete zur Sünde gemacht sei, er blieb aber dabei immer der Heilige Gottes und ganz unsträflichen Geistes. Der Heilige in der Gleichheit des Fleisches von Sünde, aber doch stets eben in dieser scheinbaren Unmöglichkeit der ohne Sünde Versuchte. Irvingitische Irrlehre liegt ihm ganz fern. Christum ins Fleisch ziehen ist tröstlich, sagt Luther. Seine Passionspredigten sind das bedeutendste, was je über diesen Gegenstand geschrieben ist. Als ihn Leo kennen lernte, sagte er:
Seine Bedeutung als Vater und Regent der Gemeine trat noch mehr ans Licht, als man die hohe Autorität nach seinem Tode entbehrte. Aber das, was früher die ref. Kirche des bergischen Landes geziert hatte, war doch noch einmal in dem Kreise der Gemeine zusammengefasst worden. Übrigens hat sich die Gemeine bis auf die Gegenwart mit etwa 1300 Mitgliedern erhalten. 1887 bestand sie 40 Jahre.Ich erwartete einen groben Holzschnitt und fand einen feinen Kupferstich. Der Mann muss nie ein unvorsichtiges Wort sprechen.
Kohlbrügge in seiner äußeren Erscheinung eine hohe ernste Gestalt mit durchdringendem Blick hat eine kleine ref. Schule gegründet, die unter der Mithilfe des Professors Joh. Wichelhaus in Halle sich ausbreitete. Johannes Wichelhaus wurde am 13. Januar 1819 in Mettmann geboren, wo sein Vater Pastor war. Seine Mutter war eine geb. v. d. Heydt aus Elberfeld. Er studierte in Bonn und Berlin. Als er sich 1840 in Bonn habilitieren wollte, legte man ihm eine Eidesformel vor, welche ihn auf die Symbole der Kirche verpflichtete. In großer Gewissensnot wehrte er diesen Zwang ab, der bald nachher bei zwei anderen Lizentiaten gar nicht erwähnt wurde. Man trieb Unionspolitik. In Halle gelang ihm dann die Promotion, doch auch hier nicht ohne große Schwierigkeit. Er hat dort ein einsames Privatdozenten-Leben geführt: von der Fakultät gehässig in die Ecke geschoben, obwohl der einzige Theologe, der in diesem Jahrhundert an der Universität Halle-Wittenberg die Lehre Luthers verkündete mit der Devise: Fleißiges Sprachstudium der biblischen Bücher, Autorität der hl. Schrift, wahre und bestimmte Fassung der Grundlehren nach den Bekenntnissen der Reformation. Endlich 1854 erfolgte, nachdem er sich würdig und glänzend gerechtfertigt, durch den Minister Raumer seine Ernennung zum außerordentlichen Professor. Er starb schon am 14. Febr. 1858 an dem Gegensatz einer Theologie, die den Namen der Gläubigkeit trug, ohne sie zu besitzen: ein verborgener Märtyrer, der in seinem Kommentar zur Leidensgeschichte, in seinen Vorlesungen zum N. T. und zur biblischen Dogmatik in weihevoller Weise die Wahrheiten der Reformation ausgesprochen hat, die in Halle keine Stätte fanden.105 Trotz aller Lutherstudien ist die Theologie Halles von Gesenius bis Beyschlag nur ein Protest gegen die Reformation, dabei ohne Einfluss in der jetzt sozialistisch regierten Stadt. Unserer Richtung gehören auch die vortrefflichen Commentare zu neun Briefen Pauli von Karl v. d. Heydt an. Er war in Elberfeld Kommerzienrat und lebte in seiner Muße dem sorgfältigen Studium des N. T. In Halle ist hier auch Georg von Polenz zu nennen, ein Nachkomme jenes preußischen Bischofs von Polenz, der Geschichtsschreiber des französischen Calvinismus in mühevoller Breite. Das Studium Calvins hatte ihn zum Calvinisten gemacht und er bekannte: Nicht ich habe Gott gesucht, sondern er hat mich gesucht. Vergeblich bemühte er sich in der großen Kirche eine kleine Gemeinschaft der Heiligen zu finden und konnte einem Amerikaner auf die Frage: Wo kommen die Christen in Halle zusammen? –nur antworten: Nirgends.
Man nennt noch andere ref. Theologen, wie den bienenfleißigen. viel und leicht schreibenden, in heftigem Kampf mit Vilmar in Hessen das gute Recht des ref. Bekenntnisses verteidigenden Heinrich Heppe († 1879), der wohl eine Menge reformierten Altertums kundig aufgrub, aber in seiner ganzen theologischen Richtung melanchthonisch-synergistisch war, weshalb er auch mehr Melanchthonisnius in der ref. Kirche Deutschlands fand, als der Wahrheit gemäß in ihr war. Es ist da auch eine große Täuschung untergelaufen. Der bedeutendste Melanchthonianer Christoph Pezel war entschieden Vertreter der Erwählung und der Heidelberger Katechismus ist von seinen eigenen Verfassern, Schülern Calvins, so erklärt und von der ref. Kirche bis in dieses Jahrhundert so aufgefasst worden, bis Unionsideen und Irrlehren ihn verfälschten. Auch im Genfer Katechismus findet sich das System der Prädestination nicht, ist er darum nicht calvinisch? Sind auch die Dordrechter Erklärung in Deutschland nicht rechtlich als Symbol angenommen, so galten sie doch auch hier als der vollgültige Ausdruck der ref. Lehre. Fast alle berühmten Dogmatiker im 16. und 17. S. lehren in ihrem Sinne. Seit 1654 stehen sie auch in dem Confessionum Syntagma, das in Marburg als Lehrnorm galt. Heppe hat viel unnötige Verwirrung angerichtet: auch er, ein moderner Theologe, der sich selbst in der Vergangenheit beweist. Tritt neben ihn August Ebrard in Erlangen als ref. Theologe, so verdient er diesen Namen gewiss wegen vieler mit leichtem Geschick in anregender Darstellung und zähem Fleiß, in reicher Vielseitigkeit bis zum begeisterten dichterischen Aufschwung hervorgebrachter Werke aus dem Gebiete der biblischen Apologetik und der vortrefflich gekannten Geschichte der ref. Kirche, aber nicht wegen seiner dogmatischen Stellung, die der Heppes ähnlich sich vergeblich mit dem Namen des „großen“ ref. Theologen Amyraut decken will, da dieser ja die Dordrechter Erklärung anerkannt hat. Amyraut war kein Synergist und Arminianer. In dem Kommentar von Ebrard zum Römerbrief waltet ein wilder Fanatismus gegen die freie Gnade. Heppe und Ebrard haben sich ihr Leben lang mit der ref. Lehre beschäftigt, aber den eigentlichen Herzschlag derselben: die freie Gnade, die grundlose Barmherzigkeit haben sie nicht verstanden. Beide stehen wie alle modernen Theologen mehr auf dem Standpunkt eines Pighius und Erasmus als eines Calvin und Luther. Sehr unnötig dabei ist aber die altreformierte Lehre gegen besseres Wissen zu fälschen. Man kann getrost unser Jahrhundert das der fortgesetzten theologischen Täuschung nennen. Die Prädestination ist die Grundanschauung nicht nur der ref. Dogmatik, sondern auch aller ref. Bekenntnisschriften. Die Conf. Helv. II bekennt mit der ganzen Kirche: „Der Glaube ist ein reines Geschenk Gottes, welches Gott allein aus seiner Gnade seinen Auserwählten nach seinem Maß und wann und wem und wie viel er selbst will, verleiht.“ Nur wer so lehrt, ist ref. Theologe. Weder a Lasco, noch Bullinger, der ja die Züricher Erklärung von 1561 unterzeichnet hat, noch irgend sonst jemand von Autorität hat wie Ebrard den freien Willen gelehrt. Auch die ref. Theologen beim Leipziger Gespräch bekennen die Electio ganz im Sinne Calvins, nur die Reprobatio fassen sie infralapsarisch. Die Verwirrungen Ebrards haben auch dem ref. Bunde geschadet, der neuerdings Calvinisten und Arminianer unter einer falschen Flagge segeln lässt. Die ref. Kirchenzeitung findet die Prädestination nicht im Heidelberger. Damit verlässt sie die Lehrtradition der ganzen ref. Kirche. Ebrard † 1888. Von ihm „Lebensführungen: In jungen Jahren“, 1888. Die Zeit von 1818 bis 1841. Vergl. Ref. Kirchenztg. in diesem Jahre. Der Schule Kohlbrügges reiht sich in seiner Stellung Karl Sudhof in Frankfurt a. M. († 1865) an, der dogmatisch und geschichtlich Vortreffliches geleistet und auch an dem Roman von Ebrard: „Einer ist Euer Meister“ wesentlich mitgearbeitet hat. Sein Buch: Fester Grund christlicher Lehre (1857) ist auch mit seinen Beilagen unentbehrlich. Gillet in Breslau († 1879), Dr. th. & ph. Karl Krafft und Geyser († 1878) in Elberfeld, Thelemann in Detmold, Cuno in Eddigehausen in Hannover, Dr. th. Emil Wilhelm Krummacher († 1886), Louis Bonnet in Frankfurt a. M. († 1892), Lic. th. F. W. Dilloo in Soldin († 1892), sind hier noch als gelehrte und eifrige Lehrer der ref. Kirche zu erwähnen. Der seit 1854 in Erlangen lehrende J. J. Herzog († 1882) hat mit Vorsicht und Gelehrsamkeit eine milde ref. Theologie vertreten, stets bemüht, in seiner Realencyklopädie ref. Erscheinungen zur Geltung kommen zu lassen. Eine der ausgezeichnetsten kirchengeschichtlichen Arbeiten hat K. B. Hundeshagen, in Bern, Heidelberg und Bonn Professor, († 1872) in seinen Beiträgen zur Kirchenverfassungsgeschichte (1864) geleistet; auch sein „deutscher Protestantismus“ erregte einmal (1849; 3. Auflage) die Teilnahme größerer Kreise. Riehm und Christlieb haben über ihn Mitteilungen gemacht (1873). Cuno hat mit vorzüglicher Kunde einen weiten Blick auf vergangene Herrlichkeit der ref. Kirche in dem Buche gegeben: Gedächtnissbuch deutscher Fürsten und Fürstinnen ref. Bekenntnisses, 1883 ff. Von ihm auch Franciscus Junius der Ältere, 1891. Man hat den großen Bremer Homileten Gottfried Menken106 († 1831) auch zu den ref. Theologen gerechnet, doch er verwirft die Genugtuungslehre und hat falsche Vorstellungen von der Heiligung, so dass einmal eine echt reformierte Frau des Wuppertals ihn mit dem ketzerischen Mystiker Collenbusch als Irrlehrer abwies. Wir erinnern hier auch an die ref. Göbel (Karl und Max). Von letzterem die Gesch. des christlichen Lebens in der rheinisch-westphälischen Kirche, 1859 ff.
Seit 1851 hatten wir eine Kirchenzeitung mit oft wertvollen Beiträgen, eine unentbehrliche Quelle: nach Daltons Betrachtung aus der Ferne: einsam dastehend, außerhalb des Hauses völlig unbekannt, wie tief im Walde verloren das baufällige Häuschen eines armen alten Forsthüters. Ritschl schrieb nach seiner Schablone eine Geschichte des Pietismus in der ref. Kirche und wusste nichts von der Kirchenzeitung. Etwas haben wir uns bei dieser Zurücksetzung doch in diesem Jahrhundert gewehrt. Wir erhielten unsere „Zentraldogmen“ dargestellt durch den Deterministen Schweizer, aber doch korrekt; unsere alten „Väter“ erschienen wieder auf dem Plane durch das Unternehmen von Hagenbach und anderen; wir feierten das Gedächtnis des Heidelberger Katechismus 1863 mit einem Predigtbuch und dem Lobe des Katechismus; wir erinnerten uns 1864 an Calvins Tod und er106 Sein Leben von Gildemeister, 1861. Über Bremer Verhältnisse in diesem Jahrhundert handelt S. Fr. Iken: Kirchliche Arbeiten in Br. in d. Jahrh., 1889. zählten von den Wohltaten der Réfugiés.107 Wir hatten auch zuweilen eine Konferenz und eine schwache Vertretung in den Konsistorien und im Oberkirchenrat (Snethlage); als in Frankfurt 1854 der abgefallene Sohn unserer Kirche F. W. Krummacher die ref. Kirche tadelte und ihr anriet, sich auf den apostolischen Amtsbegriff zu besinnen, da erhob sich am Schluss der redekundige, warmherzige Mallet aus Bremen, einer der wenigen treuen Lehrer unserer Kirche in diesem Jahrhundert, und zeichnete in seiner „den heiseren Löwen“ beschämenden Weise die ref. Kirche als eine arme, leidende, barmherzige, die nach einem reinen Herzen und nach Frieden trachte. Wir konnten kecklich rühmen, dass der brandenburgisch-preußische Staat eine Schöpfung Calvins sei108 aber was half es uns: Bei der in Worten brausenden Oktoberkonferenz in Berlin 1871 offenbarte Wangemann der Versammlung, dass alles, was jetzt in Deutschland gläubig sei, lutherisch wäre. Wir armen Reformierten hörten das mit dem Gefühl an, dass etwas Teures begraben werde, konnten aber mit dieser Allherrschaft des Luthertums uns nicht vereinen, wie gleich nachher gegenüber den Bedrängungen der Union Hofmann aus Erlangen seine Hoffnung darauf setzte, dass doch den Lutheranern der freie Himmel noch bliebe. Er selbst der seltsamste Vertreter des luth. Bekenntnisses. Die Rheinländer aber meinten, Wangemann kenne wohl nur Hinterpommern, wie einmal Scheibel nur Breslau kannte. Während die Kirche der Union sich die kirchlichen Verfassungsformen der ref. Kirche aneignete, sie mit fremden konsistorialen Einrichtungen verschmelzend, auch die calvinische Abendmahlslehre lieb gewann, bekämpfte sie doch überall die Prädestination, diesen heiligen, göttlichen Protest gegen alle den Menschen verherrlichende Systeme, die unser Jahrhundert erfüllen, in Schrift und Reformation tausendfach begründet, und in allen Zeiten religiöser Lebendigkeit behauptet, und tat nichts, ref. Besonderheiten zu pflegen. Versuchte sich einmal ein reformierter Theologe, es sei in Halle oder Göttingen, zu habilitieren, so wurde er mit Kränkung abgewiesen. Kritik und Unglauben ließ man üppig blühen. Dies bewirkte ein auffallendes Verschwinden ref. Kandidaten, die oft nur als ganz vereinzelte in großen Provinzen sich fanden, ließ die ref. Gemeinen verwaist dastehen und immer mehr abnehmen und erzwang zuletzt einen solchen Klageruf, wie er sich in der Schrift ausspricht: die Ursachen des Niederganges der ref. Kirche in Deutschland (1881). Die Union hatte für diesen Schmerz nur einige höhnische Bemerkungen, ohne Gefühl, dass sie da die Union kein Konfessionswechsel ist, namentlich den Boden der Berliner Domkirche mit Unrecht behaupte, denn mit welchem furchtbaren Ernst war diese einmal dem ref. Bekenntnis übergeben! Von Stöcker ist diese Gesetzlosigkeit als eine besondere Empfehlung der Union ausgeschrieben worden: sie färbe alles mild lutherisch. Die immer leerer werdende N. E. Kirchenzeitung hatte für alle ernsten ref. Bekenntnisse nur armseligen Spott. Ihr eigenes, ganz unevangelisches Bekenntnis, dass der Mensch die Gnade annehmen und verwerfen könne, illustrierten die Berliner kirchlichen Zustände. Als sich die Reformierten wieder im August 1884 in Marburg zu einem ref. Bunde aufrafften, nicht ohne die Teilnahme der großen Presbyterianischen Allianz des Auslandes, wurden sie von Kassel konsistorialisch angefahren, sich doch hübsch ruhig zu verhalten und der Redner des Tages konnte uns nur noch mit einem „Häuslein im Weinberg“ vergleichen, das aber große und wichtige Güter zu bewahren habe. Außer den bedeutenden Einflüssen von Kohlbrügge ist die Bildung einer synodalen Gemeinschaft in Hannover, die 1885 ihre erste ordentliche Gesamtsynode in Aurich unter dem geistigen Einflüsse des Generalsuperintendenten Bartels hielt, ein Lichtpunkt in der sonst vielfach dunklen und armen Gegenwart der ref. Kirche Deutschlands. Bartels sagte auf dieser Synode: „Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass auf den Landesuniversitäten sowohl außerhalb als innerhalb der Union das Bedürfnis der auf den Dienst an unseren Gemeinen sich vorbereitenden Studierten unberücksichtigt bleibt; was sich auf die reformierte Kirche und den Dienst in ihr bezieht, wird in der Regel ignoriert oder mit seltenen Ausnahmen schief und vorurteilsvoll behandelt“. Ein Ostfriese ruft auf einer synodalen Versammlung aus:
. Nicht zu verwundern, da einmal A. Knapp in Stuttgart mit Staunen den Heidelberger findet und in eine Versammlung der Frommen bringt.109 In Anhalt,110 das nur noch in Köthen reformiert ist, erstrebt man zugleich mit dem Katechismus Luthers eine liturgische Einheit, doch nicht ohne lebhaften Protest; neuerdings ist der luth. Katechismus nicht als Bekenntnis aber als Lehrbuch eingeführt. In Niederhessen haben die Vilmarschen Einfälle und Gewaltstreiche verwirrend gewirkt und man will dort, um den Zustand auf eine entsprechende Formel zu bringen, eine ref. Kirche mit lutherischem Bekenntnis haben, obwohl der Rechtsstand nach dem Gutachten der Marburger theol. Fakultät vom Jahre 1885 außer allem Zweifel ist; in dem neuen Hessischen Ev. Kirchengesangbuch befinden sich keine Psalmen mehr und von reformierten Zeugnissen aus dem Lande hört man wenig, die Fakultät tut nichts für dasselbe. In Westfalen und Rheinland drückt der Kandidatenmangel; in der französisch-ref. Kirche Brandenburgs sind die Enkel der Hugenotten diesen wenig ähnlich und wie die Erinnerung an die Aufhebung des Ediktes von Nantes (1885) mit ihren erschütternden Märtyrerzügen in die Gegenwart blickte war derselben dies Leiden etwas Fremdes;111 die anderen hie und da wie vereinsamte Fähnlein noch bemerkbaren ref. Gemeinen kämpfen mühsam um ihre Existenz. Machte uns der Minister auf diesen und jenen ref. Professor in Preußen aufmerksam, so sagten wir: er sei nicht echt in der Farbe. Lic. Tollin, der Schwärmer für Servet, gründete einen Hugenotten-Verein, der auch nur Geschichtsblätter bot und Bücher sammelte. Gleich nach Beginn seiner akademischen Tätigkeit stirbt der gelehrte ref. Usteri in Erlangen.112Ich habe auf der Universität nie etwas vom Heidelberger Katechismus gehört
In Halle ist ein ref. Seminar gebildet worden. Der Lehrstuhl in Erlangen ist mit A. Müller nach langem Warten besetzt worden. Der Gegensatz des Luthertums wird oft noch so stark betont, dass nach den Augustkonferenzen in Berlin die ref. Kirche nicht die rechte Gotteserkenntnis habe und eigentlich auf deutschem Boden gar nicht zu existieren sich erfrechen sollte113 aber man bedenkt nicht, dass der Niedergang des Calvinismus in Deutschland der Niedergang des Protestantismus ist, an dessen Tore Rom mit Hohn und Verachtung klopft. – Es war erhebend, als bei der Feier des 200jährigen Bestehens der französischen Kolonie in Berlin (gegenwärtig 4894 Seelen) der Magistrat der Stadt dieselbe mit den Worten dankbar begrüßte, dass nach ihrem Vorbilde der Verfassung sich die evangelische Landeskirche eingerichtet habe. Aber sonst sind wir weder reformiert noch lutherisch, sondern moderne Leute, die an die Stelle der Freiheit der Gnade die Freiheit des Menschen gesetzt haben. Unser scheinbarer Konfessionalismus ruft ein Altertum des Glaubens hervor, das uns und unseren Gemeinen als ein Anachronismus erscheinen muss. Still nach der prunkenden Lutherfeier ging der Tag Zwinglis (1. Januar 1884) über den deutschen Boden; Süddeutschland und Hessen verdanken ihm doch viel. In Straßburg ehrte ihn wenigstens Krauß mit einem guten Vortrag und in Tübingen, der Schreiber mit einem über Zwinglis Verdienste um die biblische Abendmahlslehre. Man scheint vergessen zu haben, dass Zwingli die große Entdeckung der symbolischen Form des Abendmahls gemacht hat. Wohltätig ist in der letzten Zeit die Arbeit eines ref. Schriftenvereins in Barmen, der manches gute Buch vor der Vergessenheit bewahrt. Sonst aber ist unsere Zeit nicht berufen, die ref. Kirche zu erneuern, oder wie man stolz sagt: wiederzuleben. Sie, die heilige Kirche der Märtyrer, hat eine Zeit lang auch Deutschland ihre reine Lehre und Zucht, ihr oft tränenreiches, leidendes Gesicht gezeigt, jetzt hat sie sich verhüllt und zurückgezogen: keine menschliche Hand wird ihre Decke heben und sie wiederbringen. Die wenigen reformierten Lehrer, die es in Deutschland noch gibt, stehen in enger Verbindung mit der deutsch-ref. Kirche von Amerika. Diese ist nach der Statistik von 1890 vereinigt unter einer Generalsynode, 8 Distriktssynoden und 56 Klassen; die Zahl ihrer Prediger beträgt 835, ihrer Gemeinen 1555, ihrer Glieder 200 498, noch nicht konfirmierte Glieder zählt sie 112 486; 59 008 Taufen wurden vollzogen; an der Feier des hl. Abendmahles beteiligten sich 155 118 Glieder; für wohltätige Zwecke wurden gesammelt Doll. 161 078, und für Unterhalt der Gemeinen die Summe von Doll. 874 053. Die Kirche hat drei theologische Seminare, von denen eines deutsch ist, und außerdem eine Anzahl Kollegien. Organ ist die ref. Kirchenzeitung in Cleveland. Redaktor Dr. th. L. Praikschatis. Man zählt 8 Millionen Reformierte auf dem Kontinent, 20 Millionen in der Welt. Vergl. Appendix bei Good, The Origin of the ref. Church in Germany, 1887.
103 F. A. Krummacher und seine Freunde von Möller. 1849. Unser Großvater. Ein Lebensbild von Maria Krummacher, 1890.
104 Über sie in den Frauenbriefen von A. Zahn. 1862. und in den Mittheilungen aus dem Leben desselben, 1885.
105 Mitteilungen aus seinem Leben habe ich in der zweiten Ausgabe seiner biblischen Dogmatik gegeben, 1884. Die Literatur Kohlbrügge betreffend findet man in dem Buche von mir: „Aus dem Leben eines ref. Pastors“. 2. Aufl. 1885. Nippold hat Kohlbrügge zu einem Neo-Coccejaner gemacht: ein Beweis, dass er nichts von ihm verstanden hat. Noch plumper und roher urteilt Ritschl aus unreinen Quellen.
106 Sein Leben von Gildemeister, 1861. Über Bremer Verhältnisse in diesem Jahrhundert handelt S. Fr. Iken: Kirchliche Arbeiten in Br. in d. Jahrh., 1889.
107 Vergl. die Schrift von mir: Die Zöglinge Calvins in Halle a. d. S. 1864.
108 Vergl. die Schrift von mir: Der Einfluss der ref. Kirche auf Preußens Größe, 1871.
109 Welche Mängel beeinträchtigen die theoretische und praktische Ausbildung der Diener der ref. Kirche auf deutschen Universitäten, von Stockmann, 1877.
110 Vergl. meine Schrift: Das gute Recht des ref. Bekenntnisses in Anhalt, 1866. A. Müller, Die ev. Landeskirche des Herzogtums Anhalt und d. luth. Katechismus, 1889. H. Dunker, Anhalts Bekenntnissstand, 1892 (Fälschung). Gerh. Heine, Die Katechismusfrage in Anhalt, 1890. Allihn, Alt oder Neu? 1892.
111 Schott, Die Aufhebung des Ediktes von Nantes, 1885. Muret, Gesch. der französischen Kolonie in Brandenburg Preußen, 1885.
112 Ein Lebensbild von ihm im Züricherischen Ev. Wochenblatt, 1890. Nr. 25 und 26.
113 Vergl. von mir: Sendschreiben an Herrn Professor Sohm, 1882.