Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon
Moderatoren: Der Pilgrim, Anton, Peter01
Psalm 119
73.
Deine Hand hat mich gemacht und bereitet;
unterweise mich, dass ich deine Gebote lerne.
74.
Die dich fürchten, sehen mich und freuen sich;
denn ich hoffe auf dein Wort.
75.
HERR, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind;
du hast mich treulich gedemütigt.
76.
Deine Gnade müsse mein Trost sein,
wie du deinem Knecht zugesagt hast.
77.
Lass mir deine Barmherzigkeit widerfahren, dass ich lebe;
denn ich habe Lust zu deinem Gesetz.
78.
Ach, dass die Stolzen müssten zu Schanden werden, die mich mit Lügen niederdrücken;
ich aber rede von deinen Befehlen.
79.
Ach dass sich müssten zu mir halten, die dich fürchten
und deine Zeugnisse kennen!
80.
Mein Herz bleibe rechtschaffen in deinen Rechten,
dass ich nicht zu Schanden werde.
Wir sind nun zu der zehnten Gruppe gelangt, in welcher jeder Vers mit einem Jod anfängt, dem ob seiner Kleinheit sprichwörtlich gewordenen Buchstaben des hebräischen Alphabetes (Mt. 5,18); aber darum handelt unser Abschnitt doch nicht von kleinen, unbedeutenden Dingen. Seine Grundgedanken sind die Erfahrungen des Gläubigen und der anziehende und bestimmende Einfluss, den solche Erfahrenheit auf andere ausübt. Der Psalmist ist im Leide; aber er hofft auf Befreiung und dass er als tröstendes Beispiel seinen Mitmenschen ein Segen werde. Da er andern zur Unterweisung dienen möchte, begehrt er selbst vor allem, belehrt zu werden (V. 73), und spricht die bestimmte Erwartung aus, dass er dann mit seinem Zeugnis gute Aufnahme finden werde (V. 74), und wiederholt sich das Zeugnis, das er ablegen will (V. 75). Er bittet, dass der HERR ihn noch reichere Erfahrungen seiner Gnade machen lasse (V. 76.77), dass die Stolzen beschämt werden (V. 78), die Gottesfürchtigen aber sich um ihn scharen mögen (V. 79), und zu guter Letzt bittet er noch einmal für sich selber, damit er völlig gerüstet sei und bleibe zu seinem Zeugendienst (V. 80). Das ist der flehentliche und doch hoffnungsfreudige Gebetsruf eines Mannes, der durch erbarmungslose Widersacher schwer bedrängt ist und sich darum Hilfe suchend an Gott als seinen einzigen Freund wendet.
73. Deine Hand hat mich gemacht und bereitet. Es kann uns sehr nützlich sein, jeweils an unsere Erschaffung zu denken; ist es doch so erfreulich, zu betrachten, wieviel Gottes Hände sich um uns gemüht haben, denn Gottes Hand rührt sich nie unabhängig von Gottes Gedanken. Es erweckt in uns Ehrfurcht, Dankbarkeit und Liebe gegen Gott, wenn wir uns ihn als unseren Schöpfer vor Augen halten, der alle Sorgfalt, Geschicklichkeit und Macht seiner Hände entfaltete, als er uns schuf und bildete. Er hat sich ganz persönlich um uns bekümmert, denn mit seinen Händen hat er uns gemacht. In zwiefacher Beziehung verdanken wir ihm alles, indem er sowohl den Stoff schuf als auch unseren Leib formte, uns ins Dasein rief und diesem Dasein seine ganze Ordnung und Einrichtung gab. In beidem offenbarte er seine Liebe und Weisheit; unser Sein und unser Wohlsein, dass wir überhaupt leben und dass wir so leben, wie uns beschieden ist, beides ist für uns Ursache zu freudigem Dank, festem Vertrauen und froher Erwartung.
Unterweise mich (gib mir Einsicht, mache mich verständig), dass ich deine Gebote lerne. Da du mich gemacht hast, so lehre mich nun auch. Hier ist das Gefäß, das du selber geformt hast; HERR, nun fülle es. Du hast mir so Seele wie Leib gegeben; gewähre mir nun auch deine Gnade, damit meine Seele deinen Willen erkenne und mein Leib sich mit ihr vereine als williges Werkzeug, deinen Willen zu vollbringen. Gerade mit dieser Begründung ist die Bitte von großer Kraft; wie könnte er das Werk seiner Hände fahren lassen? Ohne Einsicht in das göttliche Wort, die Offenbarung seines heiligen Willens, und ohne Gehorsam gegen seine Gebote verfehlen wir unsere Bestimmung; da wären wir unvollendete, nutzlose Gefäße. Aber eben darum dürfen wir mit gutem Grunde hoffen, dass der große Töpfer sein Werk vollenden und gleichsam die letzte Hand daran legen wird, indem er uns heilige Einsicht und heilige Handlungsweise verleiht. Wenn Gott uns nur im Rohen geschaffen, uns nicht auch ganz wunderbar kunstvoll gebildet und bereitet hätte, so würde diese Begründung lange nicht so beweiskräftig sein; aber eben aus der so überaus feinen, vollendeten Kunst, mit der der HERR den Leib des Menschen gebildet, dürfen wir den sicheren Schluss ziehen, dass er auch ganz bereit ist, die gleiche Mühe und Sorgfalt auf unsere Seele zu verwenden, bis sie völlig seinem Bilde ähnlich ist.
Ein Mensch ohne Einsicht, ohne Verstand ist ein armer Blödsinniger, das bloße Zerrbild eines Menschen; Verstand aber ohne Gnade ist vom Argen, eine traurige Verkehrung dessen, was die Vernunft eigentlich sein sollte. Deshalb beten wir, dass wir nicht ohne geistliches Verständnis, ohne gesunde Urteilskraft gelassen werden mögen. Darum hatte der Dichter schon V. 66 gefleht, und hier wiederholt er seine Bitte; denn ohne solche geistliche Einsicht ist kein wahres Erkennen und kein Halten der Gebote möglich. Narren können sündigen; aber nur wer von Gott selber gelehrt ist, kann heilig leben. Wir reden oft von begabten Leuten; die köstlichsten Gaben aber hat der empfangen, dem Gott ein geheiligtes Verständnis verliehen hat, mit dem er des HERRN Willen erkennen und richtig beurteilen kann. Es ist wohl zu beachten, dass des Psalmisten Bitte um Unterweisung nicht auf gelehrtes Wissen oder Befriedigung der Neugier geht; er begehrt ein erleuchtetes Urteil, damit er Gottes Gebote lerne und also gehorsam und heilig werde. Dies ist das beste Wissen.
Auf der hohen Schule, wo diese Wissenschaft gelehrt und gelernt wird, mag einer bis ins Alter bleiben und dennoch nach immer mehr Fähigkeit zum Lernen verlangen. Gottes Wille, im Worte geoffenbart, ist ungemein hoch, tief und weit, und gewährt daher auch dem starken, gereiften Geiste Raum genug zu unausgesetzter Beschäftigung. In der Tat hat kein Mensch von Natur einen Verstand, der fähig wäre, ein so weites Gebiet zu umfassen; darum die Bitte: Gib mir Verständnis. Darin liegt: Andere Dinge vermag ich wohl mit dem Verstande, den ich besitze, zu erfassen; dein Gesetz aber ist so rein, so vollkommen, so geistig und erhaben, dass mein geistiges Fassungsvermögen durchaus erst erweitert werden muss, ehe ich es darin zu etwas bringen kann. Und er wendet sich an seinen Schöpfer, dass der dies in ihm wirke; er fühlt, dass keine geringere Kraft als die, welche ihn geschaffen, ihm diese Weisheit, die zur Heiligkeit führt, zu verleihen vermag. Wir bedürfen einer Neuschöpfung, und wer vermöchte diese in uns zu wirken als der Schöpfer selbst? Er, der uns das Leben verliehen, muss uns auch die Gabe des Lernens schenken; er, der uns die Fähigkeit gab zu stehen, muss uns auch das Verstehen geben. Lasst uns alle die Bitte dieses Verses zu der unseren machen, ehe wir in dem Psalm einen Schritt weiter gehen; denn wir werden uns sogar in dieser Fülle von Bitten verirren, wenn wir uns nicht hindurch beten, nicht Gott um das rechte Verständnis derselben anflehen.
74. Die dich fürchten, sehen mich und freuen sich; denn ich hoffe auf dein Wort (oder: habe auf dein Wort geharrt). Wenn ein Gottesmann des HERRN Gnade an sich erfährt, so wird er auch für andere ein Segen, besonders wenn die Gnade ihn zu einem Mann von gutem Verständnis und heiliger Erkenntnis gemacht hat. Gottesfürchtige Leute werden sehr in ihrem Mut gestärkt und gefördert, wenn sie mit erfahrenen Gläubigen zusammenkommen. Ein Mann voll Hoffnung und Glaubensmut ist eine wahre Gottesgabe in Zeiten, wo die Gemeinde im Niedergang begriffen ist und der Glaube gefährdet erscheint. Wenn das Harren eines Gläubigen in Erfüllung geht, so werden seine Gesinnungsgenossen dadurch mit neuer Freudigkeit und Standhaftigkeit erfüllt und bekommen Mut, gleichfalls desto fester auf das Wort des HERRN zu harren. Es tut den Augen so wohl, einen Menschen zu sehen, der es freudig aus der Erfahrung bezeugt, dass der HERR treu ist. Es ist eine der größten Freuden der Gotteskinder, mit ihren mehr geförderten Brüdern Umgang zu pflegen.
Die rechte Gottesfurcht ist nicht eine minderwertige, herbe Frucht des Geistes, wie manche meinen; sie verträgt sich sehr wohl mit der Freude am HERRN. Denn wenn der Anblick eines Gesinnungsgenossen die Gottesfürchtigen schon froh macht, wie freudig müssen sie erst in der Gegenwart des HERRN selbst sein! Gottes Kinder kommen nicht nur zusammen, um einander die Lasten tragen zu helfen, sondern auch, dass einer des andern Freude teile, und manche begnadigte Menschen tragen in reichlichem Maße zu diesem Kapital gemeinschaftlicher Freude bei. Hoffnungsfreudige Menschen verbreiten überhaupt Freudigkeit um sich. Verzagte Gemüter hingegen stecken mit ihrer trüben Stimmung andere an, weshalb es auch nur wenige gibt, die sie gerne sehen, während Menschen, deren Hoffnung auf Gottes Wort gegründet ist, in ihrem Angesicht den Sonnenschein des göttlichen Friedens widerspiegeln und darum auch bei ihren Mitmenschen überall freudigen Willkomm finden. Es gibt freilich auch Christen, deren Gegenwart düstere Traurigkeit um sich verbreitet, so dass man sich gerne still aus ihrer Gesellschaft wegstiehlt; möchten wir nie selber dazu Anlass geben!
75. HERR, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind. Auch wer noch viel zu lernen begehrt, muss dankbar sein für das, was er schon als festen Wissensschatz empfangen hat, und willig sein, was er gelernt hat zur Ehre Gottes zu bezeugen. Der Psalmist war schwer heimgesucht worden, aber er hatte in aller Trübsal nicht aufgehört, auf Gott zu vertrauen, und nun bekennt er als gewonnene Überzeugung, dass seine Züchtigung gerecht und weise gewesen sei. Das war nicht nur so eine Meinung, die morgen bei anderer Stimmung über den Haufen geworfen werden konnte, sondern es war ihm das zur Gewissheit geworden, so dass er es ohne das geringste Bedenken aussprach. Gottes Kinder sind des gewiss, dass ihre Prüfungen und Züchtigungen recht und gut sind, auch wenn sie den Zweck derselben noch nicht einsehen. Und die Gottesfürchtigen wurden froh, da sie solche Worte aus Davids Munde hörten: Du hast mich treulich gedemütigt. Weil die Liebe einsah, dass Strenge nötig sei, darum wandte der HERR sie an. Also nicht etwa, weil Gott untreu gewesen, fand sich der Gläubige in schwerer Bedrängnis, sondern gerade aus dem entgegengesetzten Grunde; es war eben die Treue, mit der Gott an seinem Bunde hielt, die den Auserwählten unter die Zuchtrute brachte. Vielleicht bedurften andere damals gerade keiner beugenden Trübsal; für den Psalmisten aber war sie nötig, darum hielt der HERR mit diesem Segen nicht zurück. Unser himmlischer Vater ist kein Eli; er lässt seine Kinder nicht ungestraft sündigen, dafür ist seine Liebe zu groß. Der Mann, der das Bekenntnis dieses Verses ablegt, ist in der Schule der Gnade in gutem Fortschreiten begriffen und ganz dabei, die Gebote innerlich zu lernen. Beachten wir, wie dieser dritte Vers dem der vorigen Gruppe (V. 67) entspricht.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
76. Deine Gnade müsse mein Trost sein, wie du deinem Knecht zugesagt hast. Nachdem er die Gerechtigkeit des HERRN bezeugt hat, ruft er nunmehr seine Gnade an. Er bittet nicht, dass der Stab Wehe von seinem Rücken genommen werde, aber er fleht inständig um Trost unter der Züchtigung. Gottes Gerechtigkeit und Treue können uns keinen Trost gewähren, wenn wir nicht zugleich seine Gnade schmecken dürfen. Doch, Gott sei gelobt, dies ist uns in seinem Worte verheißen, so dass wir darauf rechnen dürfen. In dem Worte des Grundtextes (chesed, Liebe, Huld, Wohlwollen, Gnade) liegt alles das ausgedrückt, was wir in der Prüfung nötig haben; Gnade zur Vergebung unserer Sünden und Güte, die uns in unserer Betrübnis aufrecht erhält. Waltet sie über uns, so können wir auch in trüben Tagen getrost sein; ohne sie aber sind wir elend und unglücklich. Um Gnade lasst uns daher den HERRN bitten, den wir durch unsere Sünde betrübt haben, und auf das Wort seiner Gnade wollen wir uns berufen als unseren einzigen Rechtsgrund, auf den hin wir seinen gütigen Beistand erwarten dürfen. Gepriesen sei sein Name, trotz unserer Fehler sind und bleiben wir doch seine Knechte, und wir dienen einem barmherzig mitfühlenden Herrn. Man kann die zweite Vershälfte auch als Erinnerung an einen ganz besonderen Ausspruch des HERRN, eine bestimmte einzelne Verheißung auffassen. Können wir nicht auch solch eines teuerwerten Wortes, solch einer gewisslich wahren Zusage, uns gegeben, gedenken und sie zur Grundlage unserer Bitten machen? Der Ausdruck "nach deinem Worte" oder "wie du gesagt hast" kehrt sehr häufig in dem Psalm wieder. Es liegt darin sowohl das Warum als das Wie der Gnade. Unsere Gebete sind nach dem Herzen Gottes, wenn sie nach dem Worte Gottes sind.
77. Lass mir deine Barmherzigkeit widerfahren, dass ich lebe. So schwer war er bedrängt, dass ihm der Tod drohte, wenn ihm Gott nicht beistünde. Er bedurfte Barmherzigkeit, zartes helfendes Mitleid, denn er war wund und siech. Und nur solche milde Freundlichkeit konnte ihm helfen, die vom HERRN selbst kam. Auch musste sie zu ihm kommen, über ihn kommen (wie es wörtlich heißt), denn alles, was er tun konnte, war ein Seufzen der Sehnsucht. Wenn die Hilfe nicht bald kam, dann, das fühlte er, musste er sterben. Und doch hatte er noch eben erst (V. 74) gesagt: Ich hoffe auf dein Wort. Wie wahr ist es doch, dass die Hoffnung lebendig bleibt, selbst wenn ringsum nichts als Tod und Verderben zu sehen ist. Die Heiden hatten den Spruch: Dum spiro spero, solange ich lebe, hoffe ich; der Christ aber kann sagen: Dum exspiro spero auch im Sterben hoffe ich, hoffe noch auf Gnadenbeweise des HERRN. Kein rechtes Gotteskind kann ohne die Barmherzigkeit des HERRN leben; ihm bedeutet es Tod, wenn es unter Gottes Zorn steht. Das erst ist wahres Leben, wenn uns Gottes Gnade widerfährt. Dann ist es nicht mehr ein bloßes Dasein, wir sind lebendig, voll frischer Lebens- und Tatkraft. Wir wissen gar nicht, was eigentlich Leben heißt, solange wir Gott nicht kennen. Von manchen Menschen sagt man, sie seien "gestorben durch Gottes Heimsuchung"1; wir aber leben durch sie.
Denn ich habe Lust zu deinem Gesetz. O seliger Glaube! Der ist schon fortgeschritten im Glauben, wer Lust zum Gesetz hat, selbst wenn er um seiner Übertretungen willen gezüchtigt worden. Das beweist, dass die Züchtigung uns Nutzen gebracht hat. Und sicherlich ist das ein Umstand, den Gott zu unseren Gunsten gelten lässt, so Bitteres und Schmerzliches wir auch sonst durchmachen müssen; wenn wir trotz alledem am Gesetz des HERRN unsere Wonne haben, so kann er uns nicht sterben und verderben lassen, er muss und will auch uns einen Blick der Liebe gönnen und so unsere Herzen trösten.
78. Ach, dass die Stolzen müssten zu Schanden werden. Er bittet den HERRN, dass seine Strafgerichte doch nicht länger ihn treffen möchten, sondern seine herzlosen Feinde. Gott lässt es nicht geschehen, dass Menschenkinder, die ihre Hoffnung auf sein Wort setzen, zu Schanden werden. Diese Vergeltung hat er den hochmütigen Geistern vorbehalten. Sie sollen mit Schmach und Schande bedeckt werden, zur Verachtung werden, während die gedemütigten Kinder Gottes ihre Häupter emporheben sollen. Solche Schmach gebührt den Stolzen, denn es ist etwas Schmachvolles um den Stolz. Den Heiligen hingegen soll keine Schande anhaften, denn die Heiligkeit ist nichts, dessen man sich zu schämen hätte.
Die mich mit Lügen (Grundtext: ohne Ursache) niederdrücken. Ihre Bosheit war ganz mutwillig, er hatte sie durchaus nicht herausgefordert. Lügen hatten sie erdichtet, um eine Anklage gegen ihn zu schmieden; sie mussten gewaltsam seine Handlungen entstellen, bevor sie seinen guten Namen angreifen konnten. Der Psalmist empfand offenbar die Bosheit seiner Feinde besonders lebhaft. Das Bewusstsein seiner Unschuld ihnen gegenüber erzeugte in ihm ein brennendes Gefühl der erlittenen Ungerechtigkeit, und er rief den gerechten Herrn an, seine Sache aufzunehmen und seine lügnerischen Ankläger mit Schande zu bedecken. Wahrscheinlich bezeichnet er sie darum als die Stolzen oder Übermütigen, weil er wusste, dass der HERR stets an den Stolzen Gericht übt und die Sache der Unterdrückten verteidigt. Bald nennt er sie die Stolzen, bald die Gottlosen, stets aber meint er die nämlichen Leute; die beiden Wörter können miteinander vertauscht werden. Wer stolz ist, ist auf jeden Fall gottlos, und übermütige Verfolger sind die schlimmsten unter den Gottlosen.
Ich aber rede von deinen Befehlen, Grundtext: sinne über deine Befehle. Er überlässt die Stolzen der Hand Gottes und widmet sich ganz der Beschäftigung mit heiligen Dingen. Um den göttlichen Befehlen gehorsam sein zu können, müssen wir sie genau kennen, daher auch uns viel mit ihnen beschäftigen, darüber sinnen. Darum fühlte auch dieser verfolgte Heilige, dass die Betrachtung des Wortes Gottes seine wichtigste Beschäftigung sein müsse. Er wollte erforschen, welche Bedeutung die Befehle des Gesetzes Gottes für ihn selbst hatten; nicht um Vergeltung ging es ihm. Die Stolzen sind keines ernsthaften Gedankens wert. Das Schlimmste, was sie uns antun könnten, wäre, wenn sie uns von dem stillen Umgang mit Gott und seinem Worte abbrächten. Darum lasst uns ihre Pläne vereiteln, indem wir uns nur umso inniger und fester an Gott anschließen, je boshafter sie in ihren Anschlägen sind.
Wir sind den Stolzen auch in anderen Abschnitten des Psalms begegnet und werden wieder von ihnen hören. Sie waren offenbar eine Quelle vieler Widerwärtigkeiten für den Psalmisten; doch vermag er immer wieder sich darüber zu erheben.
79. Ach dass sich müssten zu mir halten (wörtl.: wenden), die dich fürchten und deine Zeugnisse kennen. Vielleicht waren durch die Zungen böswilliger Verleumdung einige der Gottesfürchtigen von dem Psalmisten abgewendet worden, und wahrscheinlich hatten die Fehltritte Davids bei noch mehreren schmerzliches Ärgernis erregt. Er bittet den HERRN, sich selbst zu ihm zu wenden und dann zu geben, dass auch die Seinen sich zu ihm halten. Wer im rechten Verhältnis zu Gott steht, der hat auch den dringenden Wunsch, in ein rechtes Verhältnis zu seinen Kindern zu kommen. David sehnte sich nach der Liebe und Teilnahme der Frommen aller Grade, von denen, die erst im Anfange des Gnadenlebens standen, bis zu den in der Gottseligkeit Gereiften - "die dich fürchten" und "die deine Zeugnisse kennen". Wir können die Liebe auch der Geringsten unter Gottes Heiligen nicht missen, und wenn wir ihre Wertschätzung verloren haben, so ist es unsere Aufgabe, den HERRN zu bitten, dass wir sie wiedererlangen mögen. David war das geistige Haupt der Frommen im Volke, und es tat ihm bitter weh, wahrzunehmen, dass solche, die Gott fürchteten, nicht mehr mit solcher Freude zu ihm aufblickten, wie es früher der Fall gewesen war. Aber er begehrte nicht im Trotze auf - wenn sie ohne ihn fertig werden könnten, so könne auch er ohne sie auskommen; vielmehr empfand er so tief den Wert ihrer Freundschaft, dass er es zu einem Gegenstand inbrünstigen Gebetes machte, der HERR möge doch ihre Herzen ihm wieder zuwenden. Leute, die dem HERRN lieb und wert sind und in seinem Worte wohl unterwiesen sind, die sollten auch in unseren Augen köstlich sein. Wir sollten alles daran setzen, mit ihnen in gutem Einvernehmen zu stehen.
Der Psalmdichter schildert die Heiligen, mit denen er gerne in trautem Verkehr sein möchte, als die Gott fürchten und die Gott kennen. Sie besitzen beides, Frömmigkeit und Kenntnisse, sie haben den Geist der wahren Religion und haben die rechte Lehre. Wir kennen Gläubige, deren Frömmigkeit ganz unbestreitbar ist, denen es aber an Erkenntnis in sehr bedauernswertem Maße mangelt; auf der anderen Seite kennen wir auch Leute, die ebenfalls als Christen angesehen sein wollen, aber nur Kopf und kein Herz zu besitzen scheinen. David ist einer, der Wärme der Frömmigkeit mit heller Erkenntnis verbunden wissen will. Wir haben weder für fromme Schwachköpfe noch für eiskalte Verstandesmenschen eine besondere Vorliebe. Wo Furcht Gottes und Erkenntnis Hand in Hand gehen, da machen sie den Menschen zu jedem guten Werke geschickt. Sind solche, die dies beides besitzen, meine liebsten Gefährten, dann darf ich hoffen, dass ich selber auch zu ihnen gehöre. Möchten doch immer solche Menschen sich zu mir halten, weil sie einen Gesinnungsgenossen in mir finden.
80. Mein Herz bleibe rechtschaffen in deinen Rechten, dass ich nicht zu Schanden werde.Das ist sogar noch wichtiger, als die Achtung guter Menschen zu genießen. Wenn das Herz rechtschaffen ist im Gehorsam des Wortes Gottes, dann ist alles in Ordnung oder kommt wenigstens in Ordnung. Werden wir hingegen vor Gott nicht rechtschaffen erfunden, dann ist unser frommer Name ein leerer Schall. Bloßes Bekennen hält nicht stand, und unverdiente Achtung schwindet wie eine plötzlich platzende Seifenblase; nur Aufrichtigkeit und Wahrheit bestehen am bösen Tage. Wer im Herzen richtig steht, hat kein Zuschandenwerden zu fürchten, weder jetzt noch später. Die Heuchler aber sollten jetzt sich schämen, und ein Tag wird kommen, da sie zu Schanden werden für immer und ewig. Ihre Herzen sind voll Moders, so wird auch ihr Name verwesen (Spr. 10,7).
Dieser achtzigste Vers ist eine Ergänzung zu dem Gebet des dreiundsiebenzigsten; dort begehrte er Unterweisung, um tüchtig in der Erkenntnis zu werden, hier geht er tiefer und bittet um ein rechtschaffenes Herz. Wer sein Naturverderben in trauriger Erfahrung kennen gelernt hat, dem wird es Bedürfnis, in die Tiefe zu dringen und den HERRN um Wahrheit im Innern anzuflehen. Das sei denn auch der Schluss der Betrachtung dieses Abschnittes, dass wir mit dem Psalmisten den HERRN anrufen: Mein Herz bleibe rechtschaffen in deinen Rechten!
Fußnote
1. "Died by the visitation of God", Formel in amtlichen Urkunden bei einem Todesfalle, wo die Todesursache unbekannt ist, oder bei gewaltsamem Tode, wenn der Täter nicht zu ermitteln ist. - E. R.
77. Lass mir deine Barmherzigkeit widerfahren, dass ich lebe. So schwer war er bedrängt, dass ihm der Tod drohte, wenn ihm Gott nicht beistünde. Er bedurfte Barmherzigkeit, zartes helfendes Mitleid, denn er war wund und siech. Und nur solche milde Freundlichkeit konnte ihm helfen, die vom HERRN selbst kam. Auch musste sie zu ihm kommen, über ihn kommen (wie es wörtlich heißt), denn alles, was er tun konnte, war ein Seufzen der Sehnsucht. Wenn die Hilfe nicht bald kam, dann, das fühlte er, musste er sterben. Und doch hatte er noch eben erst (V. 74) gesagt: Ich hoffe auf dein Wort. Wie wahr ist es doch, dass die Hoffnung lebendig bleibt, selbst wenn ringsum nichts als Tod und Verderben zu sehen ist. Die Heiden hatten den Spruch: Dum spiro spero, solange ich lebe, hoffe ich; der Christ aber kann sagen: Dum exspiro spero auch im Sterben hoffe ich, hoffe noch auf Gnadenbeweise des HERRN. Kein rechtes Gotteskind kann ohne die Barmherzigkeit des HERRN leben; ihm bedeutet es Tod, wenn es unter Gottes Zorn steht. Das erst ist wahres Leben, wenn uns Gottes Gnade widerfährt. Dann ist es nicht mehr ein bloßes Dasein, wir sind lebendig, voll frischer Lebens- und Tatkraft. Wir wissen gar nicht, was eigentlich Leben heißt, solange wir Gott nicht kennen. Von manchen Menschen sagt man, sie seien "gestorben durch Gottes Heimsuchung"1; wir aber leben durch sie.
Denn ich habe Lust zu deinem Gesetz. O seliger Glaube! Der ist schon fortgeschritten im Glauben, wer Lust zum Gesetz hat, selbst wenn er um seiner Übertretungen willen gezüchtigt worden. Das beweist, dass die Züchtigung uns Nutzen gebracht hat. Und sicherlich ist das ein Umstand, den Gott zu unseren Gunsten gelten lässt, so Bitteres und Schmerzliches wir auch sonst durchmachen müssen; wenn wir trotz alledem am Gesetz des HERRN unsere Wonne haben, so kann er uns nicht sterben und verderben lassen, er muss und will auch uns einen Blick der Liebe gönnen und so unsere Herzen trösten.
78. Ach, dass die Stolzen müssten zu Schanden werden. Er bittet den HERRN, dass seine Strafgerichte doch nicht länger ihn treffen möchten, sondern seine herzlosen Feinde. Gott lässt es nicht geschehen, dass Menschenkinder, die ihre Hoffnung auf sein Wort setzen, zu Schanden werden. Diese Vergeltung hat er den hochmütigen Geistern vorbehalten. Sie sollen mit Schmach und Schande bedeckt werden, zur Verachtung werden, während die gedemütigten Kinder Gottes ihre Häupter emporheben sollen. Solche Schmach gebührt den Stolzen, denn es ist etwas Schmachvolles um den Stolz. Den Heiligen hingegen soll keine Schande anhaften, denn die Heiligkeit ist nichts, dessen man sich zu schämen hätte.
Die mich mit Lügen (Grundtext: ohne Ursache) niederdrücken. Ihre Bosheit war ganz mutwillig, er hatte sie durchaus nicht herausgefordert. Lügen hatten sie erdichtet, um eine Anklage gegen ihn zu schmieden; sie mussten gewaltsam seine Handlungen entstellen, bevor sie seinen guten Namen angreifen konnten. Der Psalmist empfand offenbar die Bosheit seiner Feinde besonders lebhaft. Das Bewusstsein seiner Unschuld ihnen gegenüber erzeugte in ihm ein brennendes Gefühl der erlittenen Ungerechtigkeit, und er rief den gerechten Herrn an, seine Sache aufzunehmen und seine lügnerischen Ankläger mit Schande zu bedecken. Wahrscheinlich bezeichnet er sie darum als die Stolzen oder Übermütigen, weil er wusste, dass der HERR stets an den Stolzen Gericht übt und die Sache der Unterdrückten verteidigt. Bald nennt er sie die Stolzen, bald die Gottlosen, stets aber meint er die nämlichen Leute; die beiden Wörter können miteinander vertauscht werden. Wer stolz ist, ist auf jeden Fall gottlos, und übermütige Verfolger sind die schlimmsten unter den Gottlosen.
Ich aber rede von deinen Befehlen, Grundtext: sinne über deine Befehle. Er überlässt die Stolzen der Hand Gottes und widmet sich ganz der Beschäftigung mit heiligen Dingen. Um den göttlichen Befehlen gehorsam sein zu können, müssen wir sie genau kennen, daher auch uns viel mit ihnen beschäftigen, darüber sinnen. Darum fühlte auch dieser verfolgte Heilige, dass die Betrachtung des Wortes Gottes seine wichtigste Beschäftigung sein müsse. Er wollte erforschen, welche Bedeutung die Befehle des Gesetzes Gottes für ihn selbst hatten; nicht um Vergeltung ging es ihm. Die Stolzen sind keines ernsthaften Gedankens wert. Das Schlimmste, was sie uns antun könnten, wäre, wenn sie uns von dem stillen Umgang mit Gott und seinem Worte abbrächten. Darum lasst uns ihre Pläne vereiteln, indem wir uns nur umso inniger und fester an Gott anschließen, je boshafter sie in ihren Anschlägen sind.
Wir sind den Stolzen auch in anderen Abschnitten des Psalms begegnet und werden wieder von ihnen hören. Sie waren offenbar eine Quelle vieler Widerwärtigkeiten für den Psalmisten; doch vermag er immer wieder sich darüber zu erheben.
79. Ach dass sich müssten zu mir halten (wörtl.: wenden), die dich fürchten und deine Zeugnisse kennen. Vielleicht waren durch die Zungen böswilliger Verleumdung einige der Gottesfürchtigen von dem Psalmisten abgewendet worden, und wahrscheinlich hatten die Fehltritte Davids bei noch mehreren schmerzliches Ärgernis erregt. Er bittet den HERRN, sich selbst zu ihm zu wenden und dann zu geben, dass auch die Seinen sich zu ihm halten. Wer im rechten Verhältnis zu Gott steht, der hat auch den dringenden Wunsch, in ein rechtes Verhältnis zu seinen Kindern zu kommen. David sehnte sich nach der Liebe und Teilnahme der Frommen aller Grade, von denen, die erst im Anfange des Gnadenlebens standen, bis zu den in der Gottseligkeit Gereiften - "die dich fürchten" und "die deine Zeugnisse kennen". Wir können die Liebe auch der Geringsten unter Gottes Heiligen nicht missen, und wenn wir ihre Wertschätzung verloren haben, so ist es unsere Aufgabe, den HERRN zu bitten, dass wir sie wiedererlangen mögen. David war das geistige Haupt der Frommen im Volke, und es tat ihm bitter weh, wahrzunehmen, dass solche, die Gott fürchteten, nicht mehr mit solcher Freude zu ihm aufblickten, wie es früher der Fall gewesen war. Aber er begehrte nicht im Trotze auf - wenn sie ohne ihn fertig werden könnten, so könne auch er ohne sie auskommen; vielmehr empfand er so tief den Wert ihrer Freundschaft, dass er es zu einem Gegenstand inbrünstigen Gebetes machte, der HERR möge doch ihre Herzen ihm wieder zuwenden. Leute, die dem HERRN lieb und wert sind und in seinem Worte wohl unterwiesen sind, die sollten auch in unseren Augen köstlich sein. Wir sollten alles daran setzen, mit ihnen in gutem Einvernehmen zu stehen.
Der Psalmdichter schildert die Heiligen, mit denen er gerne in trautem Verkehr sein möchte, als die Gott fürchten und die Gott kennen. Sie besitzen beides, Frömmigkeit und Kenntnisse, sie haben den Geist der wahren Religion und haben die rechte Lehre. Wir kennen Gläubige, deren Frömmigkeit ganz unbestreitbar ist, denen es aber an Erkenntnis in sehr bedauernswertem Maße mangelt; auf der anderen Seite kennen wir auch Leute, die ebenfalls als Christen angesehen sein wollen, aber nur Kopf und kein Herz zu besitzen scheinen. David ist einer, der Wärme der Frömmigkeit mit heller Erkenntnis verbunden wissen will. Wir haben weder für fromme Schwachköpfe noch für eiskalte Verstandesmenschen eine besondere Vorliebe. Wo Furcht Gottes und Erkenntnis Hand in Hand gehen, da machen sie den Menschen zu jedem guten Werke geschickt. Sind solche, die dies beides besitzen, meine liebsten Gefährten, dann darf ich hoffen, dass ich selber auch zu ihnen gehöre. Möchten doch immer solche Menschen sich zu mir halten, weil sie einen Gesinnungsgenossen in mir finden.
80. Mein Herz bleibe rechtschaffen in deinen Rechten, dass ich nicht zu Schanden werde.Das ist sogar noch wichtiger, als die Achtung guter Menschen zu genießen. Wenn das Herz rechtschaffen ist im Gehorsam des Wortes Gottes, dann ist alles in Ordnung oder kommt wenigstens in Ordnung. Werden wir hingegen vor Gott nicht rechtschaffen erfunden, dann ist unser frommer Name ein leerer Schall. Bloßes Bekennen hält nicht stand, und unverdiente Achtung schwindet wie eine plötzlich platzende Seifenblase; nur Aufrichtigkeit und Wahrheit bestehen am bösen Tage. Wer im Herzen richtig steht, hat kein Zuschandenwerden zu fürchten, weder jetzt noch später. Die Heuchler aber sollten jetzt sich schämen, und ein Tag wird kommen, da sie zu Schanden werden für immer und ewig. Ihre Herzen sind voll Moders, so wird auch ihr Name verwesen (Spr. 10,7).
Dieser achtzigste Vers ist eine Ergänzung zu dem Gebet des dreiundsiebenzigsten; dort begehrte er Unterweisung, um tüchtig in der Erkenntnis zu werden, hier geht er tiefer und bittet um ein rechtschaffenes Herz. Wer sein Naturverderben in trauriger Erfahrung kennen gelernt hat, dem wird es Bedürfnis, in die Tiefe zu dringen und den HERRN um Wahrheit im Innern anzuflehen. Das sei denn auch der Schluss der Betrachtung dieses Abschnittes, dass wir mit dem Psalmisten den HERRN anrufen: Mein Herz bleibe rechtschaffen in deinen Rechten!
Fußnote
1. "Died by the visitation of God", Formel in amtlichen Urkunden bei einem Todesfalle, wo die Todesursache unbekannt ist, oder bei gewaltsamem Tode, wenn der Täter nicht zu ermitteln ist. - E. R.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 73-80. Das achtfache y (I): Gott demütigt, aber er erhöht auch wieder nach seinem Worte; um dieses bittet der Dichter, damit er ein Trostexempel sei für die Gottesfürchtigen zur Beschämung seiner Feinde. Es ist unmöglich, dass Gott den Menschen, der sein Geschöpf ist, verlassen und ihm das, was ihn wahrhaft glücklich macht, versagen sollte, nämlich Verständnis und Erkenntnis seines Wortes. Um diese geistliche Gabe bittet der Dichter (V. 73) und wünscht (V. 74), dass alle, die Gott fürchten, an ihm mit Freuden ein Beispiel sehen mögen, wie das Vertrauen zu Gottes Wort sich belohnt. Er weiß, dass Gottes Gerichte eitel Gerechtigkeit sind, d. i. normiert durch Gottes Heiligkeit, ihren Beweggrund, und der Menschen Heil, ihren Endzweck; er weiß, dass Gott ihn gedemütigt, es treu mit ihm meinend, denn gerade in der Leidensschule lernt man den Wert seines Wortes erst recht würdigen, bekommt man seine Kraft zu schmecken. Aber Trübsal, wenn auch versüßt durch Einblick in Gottes heilsame Absicht, bleibt doch immer bitter, daher die wohlberechtigte Bitte (V. 76), dass doch Gottes Gnade sich erweisen möge ihm zum Troste, gemäß der ihm, seinem Knechte, gewordenen Verheißung. In V. 79 ist wohl die Zukehr zum Zwecke des Lernens gemeint; ihre, der Gottesfürchtigen, Erkenntnis möge sich aus seiner Erfahrung bereichern. Sich selbst aber wünscht er (V. 80) vorbehaltloses, mangelloses, wankelloses Festhalten an Gottes Wort, denn nur so ist er vor schmählicher Enttäuschung sicher. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
73. Ich bin von deinen Händen gemacht und bereitet;
Lass mich einsichtig werden, dass ich deine Gebote lerne.
74. Indem, die dich fürchten, mich sehen, mögen sie sich freuen,
Denn ich hoffe auf dein Wort.
75. Ich weiß, HERR, dass deine Gerichte recht sind,
Und hast mich treulich gedemütigt.
76. In deiner Gnade müsse ich Trost finden,
Wie du deinem Knechte zugesagt hast.
77. Ich flehe, du wollest mir lassen deine Barmherzigkeit widerfahren, dass ich lebe;
Denn ich habe Lust zu deinem Gesetz.
78. In Schande müssen enden, die mich mit Lügen niederdrücken;
Ich aber sinne über deine Befehle.
79. Jene, die dich fürchten, müssen sich zu mir halten,
Und die deine Zeugnisse halten.
80. In deinen Rechten bleibe rechtschaffen mein Herz,
Dass ich nicht zu Schanden werde. - E. R.
V. 73. Deine Hand hat mich gemacht und bereitet; unterweise mich usw. Gottes Größe bildet kein Hindernis für seinen Verkehr mit uns, vielmehr macht seine Fähigkeit, sich zu der Kleinheit geschaffener Wesen herabzulassen, einen Teil seiner Größe aus. Das Geschaffene kann ja seiner Natur nach eben nicht anders als klein sein. Wie Gott stets nur Gott, so kann auch der Mensch stets nur Mensch sein, das Meer stets nur das Meer und der Tropfen immer der Tropfen. Die Größe Gottes umfasst unsere Kleinheit, wie der Himmel die Erde von allen Seiten umhüllt, wie die Luft alle Punkte der Erde; und das ist es, was seinen Verkehr mit uns zu einem so völligen und so seligen für uns macht, dass in seiner Hand ist die Seele alles des, das da lebt, und der Geist des Fleisches aller Menschen (Hiob 12,10). So nahe tritt der HERR den Werken seiner Hände, so innig wird er mit ihnen. In seinem Namen Schöpfer ist eben der Begriff des Nahe-, nicht des Ferneseins enthalten, und die einfache Tatsache, dass er uns geschaffen hat, gibt uns Gewähr dafür, dass er uns segnen und mit uns sein will. Den treuen Schöpfer nennt ihn der Apostel (1. Petr. 4,19), und diesen treuen Schöpfer rufen auch wir an: Das Werk deiner Hände wollest du nicht lassen (Ps. 138,8). Horatius Bonar 1875.
"Herr, siehe an die Wundenmale in deinen Händen und vergiss nicht das Werk deiner Hände" war das Gebet der Königin Elisabeth von England. John Trapp † 1669.
V. 74. Die dich fürchten, sehen mich und freuen sich. Wie erquickend, stärkend und tröstlich ist es doch für die Erben der göttlichen Verheißungen, sich zu sehen, miteinander zusammen zu kommen. Der bloße Anblick eines guten Menschen ist erfreulich; es gewährt Freude, mit solchen umzugehen, die es sich angelegen sein lassen, Gott zu gefallen, die eine heilige Scheu davor empfinden, ihn zu beleidigen. Wie fühlen sie mit, wenn einer von ihnen besonders begnadigt wird, "sie sehen mich und freuen sich", da mir etwas widerfahren ist, was meinen Hoffnungen entspricht. Sie schauen mich an als ein Denkmal, ein sichtbares Beispiel der Barmherzigkeit und Treue Gottes. Aber was war es doch für Gnade, die ihm widerfahren war? Nach dem Zusammenhange wird es als eine Gnade gerechnet, Gottes Geboten zu gehorchen; das war das Gebet des unmittelbar vorhergehenden Verses: Unterweisung, seine Gebote zu lernen. Nun werden sie sich freuen, meinen heiligen Wandel zu sehen, wie die Unterweisung bei mir gefruchtet hat zur Ehre Gottes. Hebräische Ausleger verstehen die Stelle so: denn dann werde ich im Stande sein, sie in diesen Rechten zu unterweisen, wenn sie mich, ihren König, im Gesetz Gottes forschen sehen. Es kann aber auch von jedem anderen Segen oder Gnadenbeweise, den Gott ihm nach seiner Hoffnung verliehen hat, verstanden werden; und ich möchte es so aufgefasst haben: sie freuen sich, zu sehen, wie er gehoben, getragen, gerettet wird durch seine Trübsal und Leiden. Sie freuen sich, wenn sie in mir ein deutliches Beispiel von der Frucht sehen, die aus der Hoffnung auf deine Gnade erwächst. Thomas Manton † 1677.
V. 75. HERR, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind. In meiner Jugend erschien meinen Augen der Baum der Wissenschaft ein herrlicher, stolzer Baum, aber wie irrig ist doch meine Ansicht in vieler Hinsicht gewesen. Gewiss, wer die Schriften des klassischen Altertums gelesen hat, wer in die mathematischen Wissenschaften eingedrungen ist, wer in Geschichte, in Sprachlehre bewandert ist, wer befähigt ist, schwierige Fragen zu lösen, der ist im Vergleich mit der ungebildeten Menge ein kenntnisreicher Mann. Aber was bedeutet dies alles im Vergleich mit dem Wissen in unserem Texte! Das ist ein Wissen, von dem nur wenige derer, die Gelehrte heißen, auch nur die geringste Kenntnis haben. Joh. Martin 1817.
Gottes Gerichte, das sind seine Ratschlüsse, seine Schickungen und Anordnungen ganz allgemein, nicht ausschließlich seine Heimsuchungen. Und der Psalmist meint hier ganz besonders die "Gerichte", die ihn selbst betroffen, alles was ihm widerfahren ist oder noch widerfahren wird. Er weiß nichts von Zufall, alles kommt von Gott, darum sieht er allem mit getroster Zuversicht entgegen in vollem Vertrauen auf Gottes Weisheit, Macht und Liebe. Ich weiß, dass deine Gerichte recht sind, ganz recht, in jedem Punkte, in jeder Hinsicht, sie könnten nicht besser sein. Und das ist seine feste Überzeugung. Ich weiß, sagt er, nicht, ich meine. Aber seine Worte zeigen, dass es sich hier um ein Glauben, noch nicht ein Schauen handelt; denn er sagt nicht: Ich sehe es. Wenn es auch vieles in deinen Schickungen gibt, was ich nicht verstehe, so bin ich doch völlig überzeugt, dass deine Gerichte recht sind. Und das gilt von allen, der Psalmist macht keine Einschränkungen. Recht sind nicht nur die Fügungen, die uns angenehm sind, oder deren Zweckmäßigkeit ganz augenfällig ist, sondern sein Glaube ist ein viel größerer, er weiß, dass alles, was ihm von Gott widerfährt, auch das Bittere, das Leiden, recht ist und darum ihm zum Besten dient. Und besonders von diesem letzteren spricht hier der Psalmist. Das zeigen die folgenden Worte: Und hast mich treulich gedemütigt. Der Psalmist spricht also nicht von freudigen, sondern von schmerzlichen Erfahrungen, nicht von Geschenken, sondern von Verlusten, von solchen versteckten Segnungen im Trauergewande, wie sie Gott so häufig seinen Kindern schickt. Alle diese Verluste, Enttäuschungen, Schmerzen, Krankheit, sind recht, ebenso recht wie die augenfälligen Gnadenbeweise, denn es sind Gottes Gerichte. Und treulich hast du mich gedemütigt, treu deinem Worte, treu deinen Gnadenabsichten, in treuer, nicht in schwacher Liebe. Franz Bourdillon 1881.
Und hast mich treulich gedemütigt. Gott ist nicht nur getreu trotz der Prüfungen, die er sendet, sondern weil er sie sendet. Das ist nicht das nämliche; in dem einen Falle wäre es eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, im anderen Falle aber gehört es unter die Regel selbst. Gott kann nicht treu sein, wenn er nicht alles das tut, was zu unserem Wohl, zu unserem ewigen Heile dient. Wie dahin die Sündenvergebung, die Heiligung, die ewige Herrlichkeit gehört, ebenso wohl auch die Maßregeln seiner Vorsehung, welche zu unserer Erziehung für den Himmel notwendig oder förderlich sind. Das Kreuz ist also nicht etwas Außerordentliches, der Gnade des Bundes eigentlich Fremdes, sondern vielmehr ein wesentlicher Teil derselben. Thomas Manton † 1677.
V. 73-80. Das achtfache y (I): Gott demütigt, aber er erhöht auch wieder nach seinem Worte; um dieses bittet der Dichter, damit er ein Trostexempel sei für die Gottesfürchtigen zur Beschämung seiner Feinde. Es ist unmöglich, dass Gott den Menschen, der sein Geschöpf ist, verlassen und ihm das, was ihn wahrhaft glücklich macht, versagen sollte, nämlich Verständnis und Erkenntnis seines Wortes. Um diese geistliche Gabe bittet der Dichter (V. 73) und wünscht (V. 74), dass alle, die Gott fürchten, an ihm mit Freuden ein Beispiel sehen mögen, wie das Vertrauen zu Gottes Wort sich belohnt. Er weiß, dass Gottes Gerichte eitel Gerechtigkeit sind, d. i. normiert durch Gottes Heiligkeit, ihren Beweggrund, und der Menschen Heil, ihren Endzweck; er weiß, dass Gott ihn gedemütigt, es treu mit ihm meinend, denn gerade in der Leidensschule lernt man den Wert seines Wortes erst recht würdigen, bekommt man seine Kraft zu schmecken. Aber Trübsal, wenn auch versüßt durch Einblick in Gottes heilsame Absicht, bleibt doch immer bitter, daher die wohlberechtigte Bitte (V. 76), dass doch Gottes Gnade sich erweisen möge ihm zum Troste, gemäß der ihm, seinem Knechte, gewordenen Verheißung. In V. 79 ist wohl die Zukehr zum Zwecke des Lernens gemeint; ihre, der Gottesfürchtigen, Erkenntnis möge sich aus seiner Erfahrung bereichern. Sich selbst aber wünscht er (V. 80) vorbehaltloses, mangelloses, wankelloses Festhalten an Gottes Wort, denn nur so ist er vor schmählicher Enttäuschung sicher. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
73. Ich bin von deinen Händen gemacht und bereitet;
Lass mich einsichtig werden, dass ich deine Gebote lerne.
74. Indem, die dich fürchten, mich sehen, mögen sie sich freuen,
Denn ich hoffe auf dein Wort.
75. Ich weiß, HERR, dass deine Gerichte recht sind,
Und hast mich treulich gedemütigt.
76. In deiner Gnade müsse ich Trost finden,
Wie du deinem Knechte zugesagt hast.
77. Ich flehe, du wollest mir lassen deine Barmherzigkeit widerfahren, dass ich lebe;
Denn ich habe Lust zu deinem Gesetz.
78. In Schande müssen enden, die mich mit Lügen niederdrücken;
Ich aber sinne über deine Befehle.
79. Jene, die dich fürchten, müssen sich zu mir halten,
Und die deine Zeugnisse halten.
80. In deinen Rechten bleibe rechtschaffen mein Herz,
Dass ich nicht zu Schanden werde. - E. R.
V. 73. Deine Hand hat mich gemacht und bereitet; unterweise mich usw. Gottes Größe bildet kein Hindernis für seinen Verkehr mit uns, vielmehr macht seine Fähigkeit, sich zu der Kleinheit geschaffener Wesen herabzulassen, einen Teil seiner Größe aus. Das Geschaffene kann ja seiner Natur nach eben nicht anders als klein sein. Wie Gott stets nur Gott, so kann auch der Mensch stets nur Mensch sein, das Meer stets nur das Meer und der Tropfen immer der Tropfen. Die Größe Gottes umfasst unsere Kleinheit, wie der Himmel die Erde von allen Seiten umhüllt, wie die Luft alle Punkte der Erde; und das ist es, was seinen Verkehr mit uns zu einem so völligen und so seligen für uns macht, dass in seiner Hand ist die Seele alles des, das da lebt, und der Geist des Fleisches aller Menschen (Hiob 12,10). So nahe tritt der HERR den Werken seiner Hände, so innig wird er mit ihnen. In seinem Namen Schöpfer ist eben der Begriff des Nahe-, nicht des Ferneseins enthalten, und die einfache Tatsache, dass er uns geschaffen hat, gibt uns Gewähr dafür, dass er uns segnen und mit uns sein will. Den treuen Schöpfer nennt ihn der Apostel (1. Petr. 4,19), und diesen treuen Schöpfer rufen auch wir an: Das Werk deiner Hände wollest du nicht lassen (Ps. 138,8). Horatius Bonar 1875.
"Herr, siehe an die Wundenmale in deinen Händen und vergiss nicht das Werk deiner Hände" war das Gebet der Königin Elisabeth von England. John Trapp † 1669.
V. 74. Die dich fürchten, sehen mich und freuen sich. Wie erquickend, stärkend und tröstlich ist es doch für die Erben der göttlichen Verheißungen, sich zu sehen, miteinander zusammen zu kommen. Der bloße Anblick eines guten Menschen ist erfreulich; es gewährt Freude, mit solchen umzugehen, die es sich angelegen sein lassen, Gott zu gefallen, die eine heilige Scheu davor empfinden, ihn zu beleidigen. Wie fühlen sie mit, wenn einer von ihnen besonders begnadigt wird, "sie sehen mich und freuen sich", da mir etwas widerfahren ist, was meinen Hoffnungen entspricht. Sie schauen mich an als ein Denkmal, ein sichtbares Beispiel der Barmherzigkeit und Treue Gottes. Aber was war es doch für Gnade, die ihm widerfahren war? Nach dem Zusammenhange wird es als eine Gnade gerechnet, Gottes Geboten zu gehorchen; das war das Gebet des unmittelbar vorhergehenden Verses: Unterweisung, seine Gebote zu lernen. Nun werden sie sich freuen, meinen heiligen Wandel zu sehen, wie die Unterweisung bei mir gefruchtet hat zur Ehre Gottes. Hebräische Ausleger verstehen die Stelle so: denn dann werde ich im Stande sein, sie in diesen Rechten zu unterweisen, wenn sie mich, ihren König, im Gesetz Gottes forschen sehen. Es kann aber auch von jedem anderen Segen oder Gnadenbeweise, den Gott ihm nach seiner Hoffnung verliehen hat, verstanden werden; und ich möchte es so aufgefasst haben: sie freuen sich, zu sehen, wie er gehoben, getragen, gerettet wird durch seine Trübsal und Leiden. Sie freuen sich, wenn sie in mir ein deutliches Beispiel von der Frucht sehen, die aus der Hoffnung auf deine Gnade erwächst. Thomas Manton † 1677.
V. 75. HERR, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind. In meiner Jugend erschien meinen Augen der Baum der Wissenschaft ein herrlicher, stolzer Baum, aber wie irrig ist doch meine Ansicht in vieler Hinsicht gewesen. Gewiss, wer die Schriften des klassischen Altertums gelesen hat, wer in die mathematischen Wissenschaften eingedrungen ist, wer in Geschichte, in Sprachlehre bewandert ist, wer befähigt ist, schwierige Fragen zu lösen, der ist im Vergleich mit der ungebildeten Menge ein kenntnisreicher Mann. Aber was bedeutet dies alles im Vergleich mit dem Wissen in unserem Texte! Das ist ein Wissen, von dem nur wenige derer, die Gelehrte heißen, auch nur die geringste Kenntnis haben. Joh. Martin 1817.
Gottes Gerichte, das sind seine Ratschlüsse, seine Schickungen und Anordnungen ganz allgemein, nicht ausschließlich seine Heimsuchungen. Und der Psalmist meint hier ganz besonders die "Gerichte", die ihn selbst betroffen, alles was ihm widerfahren ist oder noch widerfahren wird. Er weiß nichts von Zufall, alles kommt von Gott, darum sieht er allem mit getroster Zuversicht entgegen in vollem Vertrauen auf Gottes Weisheit, Macht und Liebe. Ich weiß, dass deine Gerichte recht sind, ganz recht, in jedem Punkte, in jeder Hinsicht, sie könnten nicht besser sein. Und das ist seine feste Überzeugung. Ich weiß, sagt er, nicht, ich meine. Aber seine Worte zeigen, dass es sich hier um ein Glauben, noch nicht ein Schauen handelt; denn er sagt nicht: Ich sehe es. Wenn es auch vieles in deinen Schickungen gibt, was ich nicht verstehe, so bin ich doch völlig überzeugt, dass deine Gerichte recht sind. Und das gilt von allen, der Psalmist macht keine Einschränkungen. Recht sind nicht nur die Fügungen, die uns angenehm sind, oder deren Zweckmäßigkeit ganz augenfällig ist, sondern sein Glaube ist ein viel größerer, er weiß, dass alles, was ihm von Gott widerfährt, auch das Bittere, das Leiden, recht ist und darum ihm zum Besten dient. Und besonders von diesem letzteren spricht hier der Psalmist. Das zeigen die folgenden Worte: Und hast mich treulich gedemütigt. Der Psalmist spricht also nicht von freudigen, sondern von schmerzlichen Erfahrungen, nicht von Geschenken, sondern von Verlusten, von solchen versteckten Segnungen im Trauergewande, wie sie Gott so häufig seinen Kindern schickt. Alle diese Verluste, Enttäuschungen, Schmerzen, Krankheit, sind recht, ebenso recht wie die augenfälligen Gnadenbeweise, denn es sind Gottes Gerichte. Und treulich hast du mich gedemütigt, treu deinem Worte, treu deinen Gnadenabsichten, in treuer, nicht in schwacher Liebe. Franz Bourdillon 1881.
Und hast mich treulich gedemütigt. Gott ist nicht nur getreu trotz der Prüfungen, die er sendet, sondern weil er sie sendet. Das ist nicht das nämliche; in dem einen Falle wäre es eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, im anderen Falle aber gehört es unter die Regel selbst. Gott kann nicht treu sein, wenn er nicht alles das tut, was zu unserem Wohl, zu unserem ewigen Heile dient. Wie dahin die Sündenvergebung, die Heiligung, die ewige Herrlichkeit gehört, ebenso wohl auch die Maßregeln seiner Vorsehung, welche zu unserer Erziehung für den Himmel notwendig oder förderlich sind. Das Kreuz ist also nicht etwas Außerordentliches, der Gnade des Bundes eigentlich Fremdes, sondern vielmehr ein wesentlicher Teil derselben. Thomas Manton † 1677.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 75. Gott kennt unsere Natur genau, er weiß, was jedem Einzelnen für seine Gesundheit zuträglich, was ihm schädlich ist, und danach verschreibt er uns die nötigen Mittel; bliebe uns die Wahl derselben überlassen, so würde viel Törichtes und Schädliches dabei vorfallen. Seid sicher, wir würden alle Gut und Reichtum wählen, auch wenn das uns nur üppig, hochmütig und habsüchtig machte. Darum teilt uns Gott in seiner Weisheit Armut zu, die Mutter des Fleißes, der Mäßigkeit und der Weisheit, die uns lehrt, unsere Schwachheit, unsere Abhängigkeit von Gott erkennen, die uns zu ihm, dem einzigen Helfer in aller Not, führt. Weiter würden wir sicherlich Gunst und Beifall der Menschen zu gewinnen suchen; aber Gott weiß, dass uns solches nur eitel und eingebildet machen würde auf unsere eigenen Fähigkeiten, so dass wir Gott der ihm gebührenden Ehre berauben würden. Darum lässt er uns weislich allerlei Missfallen und Schmach, ja Hass und Verachtung erfahren, damit wir unsere Ehre nur in der Hoffnung auf seine Gunst und Gnade suchen und mit größerem Eifer den reineren Freuden eines guten Gewissens nachjagen. Wir würden alle suchen, die höchsten Höhen zu ersteigen, ohne der Abgründe zu achten, die ringsumher drohen, ohne Rücksicht auf den Schwindel, der uns unfehlbar befallen würde. Aber Gott hält uns in Sicherheit zurück im bescheidenen Tale, indem er uns eine Stellung zuweist, die unseren Fähigkeiten besser entspricht. Wir würden vielleicht im Übermut die uns verliehene Macht frech missbrauchen zum Schaden unserer Nächsten und zu unserem eigenen Verderben.
Umfassendes Wissen würde uns zur Selbstüberhebung, zur Geringschätzung unserer Nebenmenschen führen; im ungestörten Genusse guter Gesundheit würden wir die große Wohltat, die darin liegt, gar nicht kennen lernen und den vergessen, von dem sie kommt. Darum gewährt uns Gottes Güte nur ein bescheidenes Teil von diesen Dingen, so dass wir nicht zu hungern brauchen, aber auch nicht übermütig werden. Kurz, der Gewinn, den wir aus den göttlichen Heimsuchungen, den Demütigungen ziehen, ist so mannigfach, so groß, dass wir alle Ursache haben nicht bloß zur Zufriedenheit, nein zu freudigstem Danke für alles Kreuz und alle Plagen, die uns heimsuchen, sie mit heiterem Gemüte entgegenzunehmen aus Gottes Hand, als Heilmittel für unsere Seelen, als Grundlage unseres Glückes, als Beweise seines Wohlwollens, als Werkzeuge zu unserer Besserung, als festen Grund der Hoffnung und tröstliche Hinweise auf zukünftige Freuden. Isaak Barrow † 1677.
Dass für den Christen das Leiden und die Heimsuchungen nicht Beweise des Zornes, sondern der Liebe Gottes sind, das drücken zahlreiche köstliche Lieder aus, mit denen Kreuzträger aller Zeiten sich und vielen Leidensgenossen Stärkung und Trost zugesprochen haben, vom königlichen Psalmensänger an: Wo kämen Davids Psalmen her, wenn er nicht auch versuchet wär? Und zur höchsten Höhe der Erkenntnis vom Segen des lieben Kreuzes, der "lieben Not", wie sie unsere Väter tiefsinnig genannt haben, hat sich der fromme Johannes Mentzer aufgeschwungen, der aus köstlicher Erfahrung heraus in die Worte ausbrach:
Vor anderm küss’ ich deine Rute,
Womit du mich gezüchtigt hast;
Wieviel tut sie mir doch zugute,
Wie ist sie eine sanfte Last!
Sie macht mich fromm und zeugt dabei,
Dass ich bei dir in Gnaden sei.
Und wie tief der Dichter die wahre Bedeutung des Kreuzes erkannte, das beweist die Stelle, die er diesem Lob des Kreuzes angewiesen, mitten in dem herrlichen Dank- und Jubelliede: O dass ich tausend Zungen hätte. Ed. Roller 1907.
V. 76. Deine Gnade müsse mein Trost sein. In mehreren der voraufgehenden Verse (V. 67.71.75) hat der Psalmist von Züchtigung, von Trübsal gesprochen. Jetzt bittet er den HERRN um Erleichterung der Last. Inwiefern? Er verlangt nicht, dass sie völlig entfernt werde; er fleht nicht dem HERRN, dass sie von ihm weiche (2. Kor. 12,8). Vielmehr hat er wiederholt anerkannt, wieviel Trost und Hilfe er dabei erfahren, wieviel Segen er daraus gewinnen durfte, und das hatte ihn schließlich dahin gebracht, getrosten Mutes Maß und Dauer der Heimsuchungen dem HERRN zu überlassen. Alles, was er braucht und um was er bittet, ist, dass seine Seele der Gnade und Huld des HERRN bewusst und sicher werde. Auch da, wo Gott will, dass die Not sich mehre, erwartet er Trost auf Grund der freien Gnade des HERRN. Charles Bridges † 1869.
V. 78. Die Stolzen oder Übermütigen. Die Gottlosen werden in diesem Psalme mehrfach mit diesem Namen bezeichnet (vergl. V. 51.69.85.122), besonders die Verfolger der Kinder Gottes. Weshalb? Weil die Gottlosen das Joch Gottes von sich werfen, sie wollen nicht Knechte ihres Schöpfers sein und beunruhigen darum auch stets seine Diener. (Vergl. 2. Mose 5,2) Ferner weil sie trunken sind von irdischen Erfolgen und meinen, es könne nie anders werden. Wenn es Menschen äußerlich wohlgeht, dann sind sie merkwürdig schnell bei der Hand, andere in Not und Unglück zu bringen und dann noch sich über sie lustig zu machen und die Frommen zu verachten (Ps. 55, 21.22). Sie führen ein Leben des Glanzes und der Bequemlichkeit und verachten die Trübsal und die Einfalt und Niedrigkeit der Gottesfürchtigen. Darum heißen sie Stolze, weil sie noch dazu auf besondere Achtung und Ehrerbietung Anspruch machen, die ihnen gar nicht zukommen (Esther 3,5). Thomas Manton † 1677.
Hütet euch, ihr Gottlosen, dass euer unversöhnlicher Hass gegen die Wahrheit und die Kirche des HERRN nicht die Gebete der Heiligen gegen euch herausrufe. Diese die göttlichen Strafgerichte herabrufenden Gebete sind Verderben bringende Geschosse, und wen sie treffen, der stürzt, um sich nicht wieder zu erheben. Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in einer Kürze. Ihre Gebete, ihre Hilferufe sind keine leeren, in den Wind gesprochenen Worte wie die Verwünschungen der Bösen, sie finden Eingang im Himmel und fallen von da unter Donner und Blitz hernieder auf die Häupter der Sünder. Davids Gebet enthüllte die fein gesponnenen Ränke Ahitophels und entwand dem Gegner die Waffen, die er gegen ihn gebrauchen wollte. Die Gebete der Heiligen sind mehr zu fürchten als ein schlagfertiges Heer von vielen tausend Mann. Esthers Gebet brachte schnell den bösen Haman zu Fall, und Hiskias Gebet gegen Sanherib lieferte sein gewaltiges Heer auf die Schlachtbank und holte einen Engel vom Himmel herab, der in einer Nacht sein Werk der Vernichtung an jenen vollbrachte. William Gurnall † 1679.
V. 79. In Vers 63 sagte der Psalmist: Ich halte mich zu denen, die dich fürchten. In diesem Vers aber kommt er zum HERRN und bittet, er möchte es bewirken, dass die Gottesfürchtigen sich zu ihm halten. Er sagt also: Wahrlich, HERR, ich halte mich zu den Deinen; aber es liegt nicht in meiner Macht, sie mir geneigt zu machen. Du selber wollest sie mir zu Gefährten machen. William Bridge † 1670.
Das vornehmste Mittel, um Entfremdung, Missverständnisse, Verstimmungen zu heben, die das gute Einvernehmen zwischen Kindern Gottes stören, ist das Gebet, so wie David hier fleht: HERR, mach doch, dass sie sich zu mir wenden. Der HERR, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, benutzt die Einigkeit, aber auch die Entfremdung als Mittel, seine Absichten mit uns auszuführen. Thomas Manton † 1677.
Wir wollen uns zu Gottes Kindern halten. Dort können wir Starke finden, wenn wir schwach sind, Kluge, wo es uns an Rat fehlt, und so werden wir vor vielem Schlimmen behütet werden. Darum dankt auch Paulus, nachdem er sich über mancherlei Unbilden beklagt, die er von anderen erfahren, von ganzem Herzen für die Familie des Onesiphorus (2. Tim. 1,16), die ihn mehr erquickte, als die anderen ihn zu entmutigen vermochten. Richard Greenham † 1591.
Die dich fürchten und deine Zeugnisse kennen. Furcht Gottes und Erkenntnis, beides gehört zur Gottseligkeit. Erkenntnis ohne Furcht erzeugt Anmaßung, Furcht ohne Erkenntnis Aberglauben. Blinder Eifer mag ja voll Feuer sein, wird aber immer wieder straucheln. Erkenntnis muss die Furcht leiten und Furcht muss die Erkenntnis würzen, dann gibt es eine glückliche Mischung. Thomas Manton † 1677
V. 80. Was ist ein rechtschaffenes Herz Ein solches, das tatsächlich fest in der Gnade Gottes steht. Zu einem rechtschaffenen Herzen im Sinne unserer Stelle gehört viererlei: ein erleuchtetes Verständnis (Spr. 15,21), ein waches Gewissen (Spr. 6,22; Ps. 16,7), ein entschlossener Wille (Apg. 11,23) und schließlich reine, gottgefällige Triebe und Neigungen (5. Mose 30,6). Thomas Manton † 1677.
Mein Herz bleibe rechtschaffen, unsträflich, heil, gesund, das alles liegt in dem Worte. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Leibe, war der Wunsch eines heidnischen Dichters (Juvenal, Sat. 10,356); und nach dem Stande seiner Erkenntnis hatte er ganz Recht mit diesem Wunsche. Der Psalmist freilich begehrt mehr, ein gesundes Herz, rechtschaffen in den Geboten des HERRN, durch und durch untadelig, ohne Flecken und Runzel, wie des Königs Tochter "innen ganz herrlich", und das ist das, was jedes Kind Gottes für sich erstrebt und erbittet; es reinigt sich, gleichwie er auch rein ist (1. Joh. 3,3). Barton Bouchier † 1865.
Willst du nicht zu Schanden werden, willst du deinem Herrn und Heiland treu sein, so mache Davids Gebet um ein rechtschaffenes Herz auch zu dem deinigen. Frömmigkeit, die auf Heuchelei begründet ist, endet sicherlich mit Fall und Abfall und führt zu Verachtung und Schande. William Spurstowe † 1666.
V. 75. Gott kennt unsere Natur genau, er weiß, was jedem Einzelnen für seine Gesundheit zuträglich, was ihm schädlich ist, und danach verschreibt er uns die nötigen Mittel; bliebe uns die Wahl derselben überlassen, so würde viel Törichtes und Schädliches dabei vorfallen. Seid sicher, wir würden alle Gut und Reichtum wählen, auch wenn das uns nur üppig, hochmütig und habsüchtig machte. Darum teilt uns Gott in seiner Weisheit Armut zu, die Mutter des Fleißes, der Mäßigkeit und der Weisheit, die uns lehrt, unsere Schwachheit, unsere Abhängigkeit von Gott erkennen, die uns zu ihm, dem einzigen Helfer in aller Not, führt. Weiter würden wir sicherlich Gunst und Beifall der Menschen zu gewinnen suchen; aber Gott weiß, dass uns solches nur eitel und eingebildet machen würde auf unsere eigenen Fähigkeiten, so dass wir Gott der ihm gebührenden Ehre berauben würden. Darum lässt er uns weislich allerlei Missfallen und Schmach, ja Hass und Verachtung erfahren, damit wir unsere Ehre nur in der Hoffnung auf seine Gunst und Gnade suchen und mit größerem Eifer den reineren Freuden eines guten Gewissens nachjagen. Wir würden alle suchen, die höchsten Höhen zu ersteigen, ohne der Abgründe zu achten, die ringsumher drohen, ohne Rücksicht auf den Schwindel, der uns unfehlbar befallen würde. Aber Gott hält uns in Sicherheit zurück im bescheidenen Tale, indem er uns eine Stellung zuweist, die unseren Fähigkeiten besser entspricht. Wir würden vielleicht im Übermut die uns verliehene Macht frech missbrauchen zum Schaden unserer Nächsten und zu unserem eigenen Verderben.
Umfassendes Wissen würde uns zur Selbstüberhebung, zur Geringschätzung unserer Nebenmenschen führen; im ungestörten Genusse guter Gesundheit würden wir die große Wohltat, die darin liegt, gar nicht kennen lernen und den vergessen, von dem sie kommt. Darum gewährt uns Gottes Güte nur ein bescheidenes Teil von diesen Dingen, so dass wir nicht zu hungern brauchen, aber auch nicht übermütig werden. Kurz, der Gewinn, den wir aus den göttlichen Heimsuchungen, den Demütigungen ziehen, ist so mannigfach, so groß, dass wir alle Ursache haben nicht bloß zur Zufriedenheit, nein zu freudigstem Danke für alles Kreuz und alle Plagen, die uns heimsuchen, sie mit heiterem Gemüte entgegenzunehmen aus Gottes Hand, als Heilmittel für unsere Seelen, als Grundlage unseres Glückes, als Beweise seines Wohlwollens, als Werkzeuge zu unserer Besserung, als festen Grund der Hoffnung und tröstliche Hinweise auf zukünftige Freuden. Isaak Barrow † 1677.
Dass für den Christen das Leiden und die Heimsuchungen nicht Beweise des Zornes, sondern der Liebe Gottes sind, das drücken zahlreiche köstliche Lieder aus, mit denen Kreuzträger aller Zeiten sich und vielen Leidensgenossen Stärkung und Trost zugesprochen haben, vom königlichen Psalmensänger an: Wo kämen Davids Psalmen her, wenn er nicht auch versuchet wär? Und zur höchsten Höhe der Erkenntnis vom Segen des lieben Kreuzes, der "lieben Not", wie sie unsere Väter tiefsinnig genannt haben, hat sich der fromme Johannes Mentzer aufgeschwungen, der aus köstlicher Erfahrung heraus in die Worte ausbrach:
Vor anderm küss’ ich deine Rute,
Womit du mich gezüchtigt hast;
Wieviel tut sie mir doch zugute,
Wie ist sie eine sanfte Last!
Sie macht mich fromm und zeugt dabei,
Dass ich bei dir in Gnaden sei.
Und wie tief der Dichter die wahre Bedeutung des Kreuzes erkannte, das beweist die Stelle, die er diesem Lob des Kreuzes angewiesen, mitten in dem herrlichen Dank- und Jubelliede: O dass ich tausend Zungen hätte. Ed. Roller 1907.
V. 76. Deine Gnade müsse mein Trost sein. In mehreren der voraufgehenden Verse (V. 67.71.75) hat der Psalmist von Züchtigung, von Trübsal gesprochen. Jetzt bittet er den HERRN um Erleichterung der Last. Inwiefern? Er verlangt nicht, dass sie völlig entfernt werde; er fleht nicht dem HERRN, dass sie von ihm weiche (2. Kor. 12,8). Vielmehr hat er wiederholt anerkannt, wieviel Trost und Hilfe er dabei erfahren, wieviel Segen er daraus gewinnen durfte, und das hatte ihn schließlich dahin gebracht, getrosten Mutes Maß und Dauer der Heimsuchungen dem HERRN zu überlassen. Alles, was er braucht und um was er bittet, ist, dass seine Seele der Gnade und Huld des HERRN bewusst und sicher werde. Auch da, wo Gott will, dass die Not sich mehre, erwartet er Trost auf Grund der freien Gnade des HERRN. Charles Bridges † 1869.
V. 78. Die Stolzen oder Übermütigen. Die Gottlosen werden in diesem Psalme mehrfach mit diesem Namen bezeichnet (vergl. V. 51.69.85.122), besonders die Verfolger der Kinder Gottes. Weshalb? Weil die Gottlosen das Joch Gottes von sich werfen, sie wollen nicht Knechte ihres Schöpfers sein und beunruhigen darum auch stets seine Diener. (Vergl. 2. Mose 5,2) Ferner weil sie trunken sind von irdischen Erfolgen und meinen, es könne nie anders werden. Wenn es Menschen äußerlich wohlgeht, dann sind sie merkwürdig schnell bei der Hand, andere in Not und Unglück zu bringen und dann noch sich über sie lustig zu machen und die Frommen zu verachten (Ps. 55, 21.22). Sie führen ein Leben des Glanzes und der Bequemlichkeit und verachten die Trübsal und die Einfalt und Niedrigkeit der Gottesfürchtigen. Darum heißen sie Stolze, weil sie noch dazu auf besondere Achtung und Ehrerbietung Anspruch machen, die ihnen gar nicht zukommen (Esther 3,5). Thomas Manton † 1677.
Hütet euch, ihr Gottlosen, dass euer unversöhnlicher Hass gegen die Wahrheit und die Kirche des HERRN nicht die Gebete der Heiligen gegen euch herausrufe. Diese die göttlichen Strafgerichte herabrufenden Gebete sind Verderben bringende Geschosse, und wen sie treffen, der stürzt, um sich nicht wieder zu erheben. Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in einer Kürze. Ihre Gebete, ihre Hilferufe sind keine leeren, in den Wind gesprochenen Worte wie die Verwünschungen der Bösen, sie finden Eingang im Himmel und fallen von da unter Donner und Blitz hernieder auf die Häupter der Sünder. Davids Gebet enthüllte die fein gesponnenen Ränke Ahitophels und entwand dem Gegner die Waffen, die er gegen ihn gebrauchen wollte. Die Gebete der Heiligen sind mehr zu fürchten als ein schlagfertiges Heer von vielen tausend Mann. Esthers Gebet brachte schnell den bösen Haman zu Fall, und Hiskias Gebet gegen Sanherib lieferte sein gewaltiges Heer auf die Schlachtbank und holte einen Engel vom Himmel herab, der in einer Nacht sein Werk der Vernichtung an jenen vollbrachte. William Gurnall † 1679.
V. 79. In Vers 63 sagte der Psalmist: Ich halte mich zu denen, die dich fürchten. In diesem Vers aber kommt er zum HERRN und bittet, er möchte es bewirken, dass die Gottesfürchtigen sich zu ihm halten. Er sagt also: Wahrlich, HERR, ich halte mich zu den Deinen; aber es liegt nicht in meiner Macht, sie mir geneigt zu machen. Du selber wollest sie mir zu Gefährten machen. William Bridge † 1670.
Das vornehmste Mittel, um Entfremdung, Missverständnisse, Verstimmungen zu heben, die das gute Einvernehmen zwischen Kindern Gottes stören, ist das Gebet, so wie David hier fleht: HERR, mach doch, dass sie sich zu mir wenden. Der HERR, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, benutzt die Einigkeit, aber auch die Entfremdung als Mittel, seine Absichten mit uns auszuführen. Thomas Manton † 1677.
Wir wollen uns zu Gottes Kindern halten. Dort können wir Starke finden, wenn wir schwach sind, Kluge, wo es uns an Rat fehlt, und so werden wir vor vielem Schlimmen behütet werden. Darum dankt auch Paulus, nachdem er sich über mancherlei Unbilden beklagt, die er von anderen erfahren, von ganzem Herzen für die Familie des Onesiphorus (2. Tim. 1,16), die ihn mehr erquickte, als die anderen ihn zu entmutigen vermochten. Richard Greenham † 1591.
Die dich fürchten und deine Zeugnisse kennen. Furcht Gottes und Erkenntnis, beides gehört zur Gottseligkeit. Erkenntnis ohne Furcht erzeugt Anmaßung, Furcht ohne Erkenntnis Aberglauben. Blinder Eifer mag ja voll Feuer sein, wird aber immer wieder straucheln. Erkenntnis muss die Furcht leiten und Furcht muss die Erkenntnis würzen, dann gibt es eine glückliche Mischung. Thomas Manton † 1677
V. 80. Was ist ein rechtschaffenes Herz Ein solches, das tatsächlich fest in der Gnade Gottes steht. Zu einem rechtschaffenen Herzen im Sinne unserer Stelle gehört viererlei: ein erleuchtetes Verständnis (Spr. 15,21), ein waches Gewissen (Spr. 6,22; Ps. 16,7), ein entschlossener Wille (Apg. 11,23) und schließlich reine, gottgefällige Triebe und Neigungen (5. Mose 30,6). Thomas Manton † 1677.
Mein Herz bleibe rechtschaffen, unsträflich, heil, gesund, das alles liegt in dem Worte. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Leibe, war der Wunsch eines heidnischen Dichters (Juvenal, Sat. 10,356); und nach dem Stande seiner Erkenntnis hatte er ganz Recht mit diesem Wunsche. Der Psalmist freilich begehrt mehr, ein gesundes Herz, rechtschaffen in den Geboten des HERRN, durch und durch untadelig, ohne Flecken und Runzel, wie des Königs Tochter "innen ganz herrlich", und das ist das, was jedes Kind Gottes für sich erstrebt und erbittet; es reinigt sich, gleichwie er auch rein ist (1. Joh. 3,3). Barton Bouchier † 1865.
Willst du nicht zu Schanden werden, willst du deinem Herrn und Heiland treu sein, so mache Davids Gebet um ein rechtschaffenes Herz auch zu dem deinigen. Frömmigkeit, die auf Heuchelei begründet ist, endet sicherlich mit Fall und Abfall und führt zu Verachtung und Schande. William Spurstowe † 1666.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
81.
Meine Seele verlangt nach deinem Heil;
ich hoffe auf dein Wort.
82.
Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort
und sagen: Wann tröstest du mich?
83.
Denn ich bin wie ein Schlauch im Rauch;
deiner Rechte vergesse ich nicht.
84.
Wie lange soll dein Knecht warten?
Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger?
85.
Die Stolzen graben mir Gruben,
die nicht sind nach deinem Gesetze.
86.
Deine Gebote sind eitel Wahrheit.
Sie verfolgen mich mit Lügen; hilf mir!
87.
Sie haben mich schier umgebracht auf Erden;
ich aber verlasse deine Befehle nicht.
88.
Erquicke mich durch deine Gnade,
dass ich halte die Zeugnisse deines Mundes.
Dieser Abschnitt des gewaltigen Psalmes zeigt uns den Psalmisten in den höchsten Nöten. Er erliegt fast unter dem Druck der Angst und Betrübnis, die seine Feinde über ihn gebracht haben; doch bleibt er dem Gesetz treu und harrt auf seinen Gott. Diese Verse, mit denen wir an die Mitte des Psalmes kommen, sind zugleich auch gleichsam seine Mitternacht, und sehr düster ist ihr Dunkel. Doch leuchten Sterne durch die Finsternis, und der letzte Vers lässt schon das Morgengrauen ahnen. Der Ton, die ganze Stimmung des Psalms wird fortan freudiger werden; inzwischen können wir aber gerade daraus Trost schöpfen, dass wir in den vorliegenden Versen einen so hervorragenden Knecht Gottes so Bitteres von den Gottlosen erdulden sehen. Da wird es recht augenscheinlich, dass uns mit unseren Leiden und Verfolgungen nichts Seltsames widerfährt, das uns befremden müsste.
81. Meine Seele verlangt (schmachtet, sehnt sich verzehrend) nach deinem Heil (deiner Hilfe). Der Psalmist begehrt keine andere Hilfe, als die vom HERRN kommt; sein einziges Begehren ist "dein Heil". Nach dieser Hilfe von oben aber sehnt er sich aufs äußerste; er streckt sich ihr entgegen mit allen seinen Kräften, ja darüber hinaus, dass sie ihn ganz zu verlassen drohen. So stark und heftig war sein Verlangen, dass er fast verschmachtete. Das Harren machte ihn matt, die beständige Spannung raubte ihm schließlich die Spannkraft, er wurde ganz krank vor ungestilltem stürmischem Begehren. So erwies sich, wie redlich und glühend sein Verlangen war. Nichts konnte ihn zufrieden stellen als einzig eine mit Gottes eigener Hand gewirkte Befreiung; sein ganzes Innere schmachtete nach dem Heil von dem Gott aller Gnade. Das musste ihm zuteil werden, oder er ging zu Grunde.
Aber: ich hoffe auf dein Wort. Deshalb wusste er auch, dass ihm die Hilfe kommen werde, denn Gott kann sein Versprechen nicht brechen noch die Hoffnung täuschen, die sein Wort selbst im Herzen erweckt hat. Vielmehr muss die Erfüllung nahe sein, wenn unsere Hoffnung fest und unser Verlangen inbrünstig ist. Die Hoffnung allein vermag die Seele vor dem Ohnmächtigwerden zu schützen, indem sie sie mit dem Lebenselixier der Verheißungen stärkt. Doch dämpft die Hoffnung nicht das Verlangen nach rascher Erhörung des Gebetes; im Gegenteil, sie macht uns nur ungestümer im Bitten, denn sie feuert unseren Eifer an und stärkt das Herz zum Anhalten am Gebet, wenn die Hilfe sich verzögert. Zu schmachten, ja fast zu verschmachten vor brennender Heilsbegier, und dennoch durch die Hoffnung vor dem gänzlichen Verschmachten bewahrt zu werden, das gehört zu den häufigen Erfahrungen des Christen. Gleich Gideons Mannen sind wir müde und jagen dennoch nach (Richter 8,4). Die Hoffnung hält uns aufrecht, wo das Sehnen uns matt macht.
82. Meine Augen sehnen sich (verzehrend, sie schmachten) nach deinem Wort und sagen: Wann tröstest du mich? Er schaute nach dem huldreichen Erscheinen des HERRN aus, bis ihm vom Spähen die Augen übergingen, und sein Herz schrie nach Trost und Erquickung, dass es über dem bangen Harren ganz ermattet ward. Im Worte lesen, bis die Augen ihren Dienst versagen, ist ein Kleines im Vergleich zu dem sehnsuchtsvollen Harren auf die Erfüllung der Verheißung, bis das geistige Auge über dem Ausschauen trübe wird, weil die Hoffnung sich immer wieder verzieht. Wir dürfen Gott keine Zeit vorschreiben, denn das hieße den Heiligen in Israel meistern; wohl aber dürfen wir unsere Anliegen mit dringlichem Flehen vor Gott geltend machen und mit brennendem Eifer der Frage nachgehen, warum die Verheißung verzieht. Der Psalmdichter begehrte keinen Trost als den, der vom HERRN kommt; seine Frage ist: Wann tröstest Du mich? Kommt unsere Hilfe nicht vom Himmel, dann kommt sie überhaupt nicht; alle die Erwartungen des Gottesmannes gehen nach dieser Richtung, nicht einen Blick wirft er anderswohin. Dies alle Kräfte der Seele bis zum äußersten anspannende, verzehrende Harren ist den geförderten, gereiften Heiligen wohlbekannt, und sie lernen daraus manche köstliche Lektion, die sie auf keine andere Weise sich hätten aneignen können.
Eines der segensreichen Ergebnisse solcher Erfahrungen ist das, dass der Leib sich zu edler Gemeinschaft mit der Seele erhebt, dass beide, Fleisch und Seele (Ps. 63,2) schreien nach Gott, nach dem lebendigen Gott, und selbst die Augen ihre Sprache finden: Wann wirst du mich trösten? Wie gewaltig muss doch das Sehnen sein, dem die Lippen nicht mehr zum Ausdruck genügen, sondern das mit den Augen redet, mit den Augen, die über dem sehnenden Ausschauen verschmachten! Die Augen können wahrlich sehr beredt sein, ihre Sprache hat ihre Feinheiten so gut wie die der Lippen. Besonders stark sind ihre Mutae und ihre Liquidae; ihre stummen Bitten und die flüssigen Seufzer ihrer Tränen vermögen oft mehr als alle Worte des Mundes. An anderer Stelle sagt der Psalmist einmal: Der HERR hat die Stimme meines Weinens gehört (Ps. 6,9). Beonders dann sind unsere Augen beredt, wenn sie vor Herzeleid und Harren zu versagen anfangen. Ein demütiges, in unhörbarem Flehen zum Himmel erhobenes Auge kann solche Flammen sprühen, dass die Riegel schmelzen, die das Tor verschlossen halten für die Stimme des Mundes, und durch das Geschütz der Tränen kann der Himmel im Sturm genommen werden. Selig die Augen, die sich überanstrengt haben im Ausschauen nach Gott. Des HERRN Augen werden dazu sehen, dass solche Augen nicht völlig versagen. Wieviel besser ist es doch, mit schmerzenden Augen des HERRN zu harren, als dass wir mit funkelnden Blicken den eitlen Schimmer der Weltlust betrachten!
83. Denn ich bin (oder: ob ich auch bin) wie ein Schlauch im Rauch. Die aus Ziegenfell bereiteten Schläuche, in denen man den Wein aufbewahrte, wurden, wenn sie leer waren, im Zelte aufgehängt, und weil der Raum oft mit Rauch erfüllt war, so wurden sie schwarz und rußig, und von der Hitze schrumpften sie zusammen und wurden schadhaft. Das Antlitz des Psalmisten war durch Kummer und Leiden dunkel und entstellt geworden, voller Furchen und Runzeln; ja sein ganzer Leib hatte so an den Leiden seiner Seele teilgenommen, dass er seine natürliche Geschmeidigkeit verloren hatte und dürr und spröde geworden war. Sein Ruf war geschwärzt vom Rauche der Verleumdung, sein Geist war mürbe geworden unter der Verfolgung; er begann zu fürchten, so viel seelisches Leiden werde ihn ganz unbrauchbar machen, dass die Menschen ihn nur noch wie einen alten, völlig untauglichen Schlauch betrachten würden, der nichts mehr behalten, zu nichts mehr dienen kann. Welch ein Bild, das ein Mann von sich selber gebraucht, der sicherlich ein Dichter, ein Schriftgelehrter und ein Meister in Israel, wenn nicht gar ein König und der Mann nach Gottes Herzen war. Da ist es nicht zu verwundern, wenn wir kleineren Leute in den mancherlei Erfahrungen des Lebens dazu geführt werden, sehr gering von uns zu denken, und je und dann im Gemüte tief niedergedrückt werden. Manche unter uns kennen die Bedeutung dieses Gleichnisses gar wohl, denn auch wir haben uns mit Schmutz bedeckt, morsch und wertlos gefühlt, zu nichts nütze, als fortgeworfen zu werden. Sehr schwarz und heiß war der Rauch, der uns umgab; er schien nicht bloß aus dem Glutofen Ägyptens, sondern geradewegs aus dem Höllenschlund herzukommen; und dabei besaß sein Ruß eine Zähigkeit und Klebrigkeit, dass wir ihn gar nicht loskriegen konnten und wir von finsteren, unglücklichen Gedanken ganz schwarz wurden.
Deiner Rechte vergesse ich nicht. Hier ist beides, leidende Geduld und sieghafter Glaube der Heiligen. Angeschwärzt werden durch Falschheit konnte der Mann Gottes wohl, aber in ihm war die Wahrheit, und er ließ nie von ihr ab. Er blieb seinem König treu, auch wo es schien, als würde er von ihm im Stich gelassen und allem preisgegeben. Die Verheißungen waren lebendig in seinem Geiste, und was ein noch besseres Zeichen seiner Treue gegen seinen himmlischen Herrn war, auch dessen Rechte waren ihm stets gegenwärtig; er hielt sich an seine Pflichten so gut wie an seine Vorrechte. Auch die schlimmsten Umstände vermögen den wahren Gläubigen nicht von dem Festhalten an seinem Gott abzubringen. Die Gnade ist eine Lebenskraft, die auch da ausdauert, wo alles natürliche Leben vergehen muss. Feuer kann sie nicht verzehren, Rauch sie nicht ersticken. Ein Mensch mag zu Haut und Knochen zusammenschrumpfen und aller Lebensgenuss ihm vergehen, und dennoch hält er fest an seiner Frömmigkeit und preist seinen Gott. Doch ist es dann kein Wunder, wenn die vom Rauche gepeinigten Augen nach der erlösenden Hand des HERRN rufen und das Herz, von der Hitze der Trübsal ermattet und verschmachtend, nach Gottes Hilfe seufzt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
84. Wieviel sind der Tage deines Knechtes? (Wörtl. Luther 1524.) Ich kann ja, zumal unter solchen Verhältnissen, nicht hoffen, noch lange am Leben zu bleiben; du musst mir eilends zu Hilfe kommen, sonst sterbe ich. Soll ich mein kurzes Leben ganz in solch aufreibendem Leide verbringen? Die Kürze des Lebens bietet einen trefflichen Grund, gegen die lange Dauer einer Prüfung bei Gott vorstellig zu werden. Bei dieser Auslegung haben wir das "wie viel" im Sinne von "wie wenig" aufgefasst. Es wäre immerhin auch möglich, dass der Psalmist meint, die Zahl seiner Tage sei zu groß, wenn sie in solchem Leiden zugebracht werden sollten, so dass er also fast wünschte, sein Leben ginge bald zu Ende. Gleich einem gemieteten Knecht hat er eine bestimmte Zeit zu dienen, und wiewohl er nicht daran denkt, seinem Herrn aus dem Dienst zu laufen, dünkt ihn doch in seiner gegenwärtigen Stimmung die Zeit, da er hienieden ausharren muss, lange, weil seine Kümmernisse so schwer waren. Niemand kennt das Maß unserer Tage als allein der HERR; darum ist er es auch, an den sich der Psalmist wendet, dass er ihre Zahl nicht über das Maß der Kräfte seines Knechtes hinaus verlängere. Es kann nicht nach dem Sinne des gütigen Herrn sein, dass sein eigener Knecht immerzu so ungerecht behandelt werde. Das muss einmal ein Ende nehmen. Wann wird dies eintreten? Wie lange soll dein Knecht warten?
Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger? In des HERRN Hand hatte er seine Sache gelegt, und er bittet nun, dass das Urteil gesprochen und vollstreckt werde. Er begehrt nichts als Gerechtigkeit, dass sein Ruf wiederhergestellt und seine Verfolger zur Ruhe verwiesen werden. Er weiß, dass Gott seinen Auserwählten Recht schaffen wird; aber der Tag der Befreiung verzieht, die Stunden schleichen so langsam dahin; da schreit der arme Bedrängte schließlich Tag und Nacht nach Erlösung.
85. Die Stolzen graben mir Gruben. Wie Menschen, die auf wilde Tiere Jagd machen, diesen Fallgruben und Schlingen legen, so suchten Davids Feinde ihn in allerlei Fallen zu fangen. Sie gingen mit allem Bedacht, mit Mühe und Schlauheit zu Werk, um ihn zu verderben. Sie gruben ihm Gruben, nicht eine, sondern viele. Fing er sich nicht in der einen, so mochte eine andere vielleicht den Zweck erreichen; so gruben sie unermüdlich darauf los. Man sollte meinen, solch stolze Leute würden sich ihre Hände nicht gerne mit Graben beschmutzen; aber sie taten ihrem Stolze Gewalt an, in der Hoffnung, auf diese Weise auch ihr Opfer vergewaltigen zu können. Weit entfernt, sich solcher unwürdigen Handlungsweise zu schämen, waren sie stolz auf ihre Geschicklichkeit, stolz darauf, einem Frommen eine Falle gestellt zu haben. Die nicht sind nach deinem Gesetz. Weder die Stolzen noch die Gruben waren dem göttlichen Gesetz gemäß; jene waren blutdürstige Ränkeschmiede, und ihre Gruben waren im unmittelbaren Widerspruch mit dem mosaischen Gesetz (vergl. 2. Mose 21,33 f.) und besonders mit dem Gebot, das uns unseren Nächsten zu lieben befiehlt. Wenn sich die Menschen an die Befehle des HERRN halten wollten, dann würden sie den Gefallenen aus der Grube ziehen oder die Grube zuschütten, dass niemand hinein stürzen könnte; nie aber würden sie auch nur einen Augenblick darauf verwenden, andern Unheil zu bereiten. Wenn Menschen aber stolz werden, dann kommen sie unfehlbar dahin, andere zu verachten; so suchen sie sie denn zu überlisten, um sie dann der Lächerlichkeit preiszugeben.
Gut war es für David, dass seine Feinde auch Gottes Feinde waren und ihre Angriffe wider den König bei dem König aller Könige keine Billigung fanden. Auch war es sehr günstig für ihn, dass ihm ihre Anschläge nicht verborgen blieben; so war er gewarnt und konnte seine Schritte recht in acht nehmen, dass er nicht in eine ihrer Gruben stürze. Solange er sich an das Gesetz des HERRN hielt, war er sicher, wiewohl es immerhin eine schmerzliche Sache war, dass ihm sein Weg durch die Hinterlist frecher Bosheit so gefährlich gemacht wurde.
86. Deine Gebote sind eitel Wahrheit. Er hatte nichts an Gottes Gesetz auszusetzen, wenngleich ihn sein Gehorsam gegen dasselbe in unangenehme Bedrängnis versetzt hatte. Aber das Gesetz mochte ihn kosten, soviel es wollte, es war jeden Preis wert. Mochte Gottes Weg auch rauh sein, er war der rechte Weg; mochte des HERRN Gebot ihm viele Feinde machen, es war dennoch sein bester Freund. Er war fest überzeugt, dass Gottes Vorschriften sich schließlich als zu seinem Vorteil dienend erweisen müssten und er daher, indem er ihnen gehorche, nichts aufs Spiel setze.
Sie verfolgen mich mit Lügen (oder: ohne Grund, ungerecht); hilf mir! Die Schuld lag an seinen Widersachern, nicht an seinem Gott oder an ihm. Er hatte keinem Menschen etwas zuleide getan und nur nach Wahrheit und Recht gehandelt; darum wendet er sich vertrauensvoll an seinen Gott und ruft: Hilf mir! Das ist ein güldenes Gebetlein, so köstlich wie es kurz ist. In der Sprache des Psalmisten ist’s nur ein Wort, aber wie umfassend ist sein Sinn. Hilfe tat Not, damit der Verfolgte den Gruben aus dem Wege gehen, unter all den Angriffen und Verleumdungen standhaft bleiben und so klüglich handeln könne, dass seine Feinde mit aller ihrer List zu Schanden wurden. Gottes Hilfe ist unsere Hoffnung. Wer uns auch kränke und angreife, es tut nichts, solange der HERR unser Helfer ist; denn wenn uns der HERR beisteht, kann niemand uns wirklich schaden. Wie oft schon ist dieser Gebetsseufzer von bedrängten Gotteskindern zum Himmel gesandt worden; passt er doch für die verschiedensten Fälle von Not, Schmerzen, Kummer, Schwachheit und Sündenelend. HERR, hilf mir! Das ist ein treffliches Gebet für Junge und Alte, für Arbeitsdrang und Leidensnot, für Leben und Sterben. Keine andere Hilfe reicht hin, Gottes Hilfe aber kann allem genügen; so verlassen wir uns denn auf sie und lassen keiner Furcht Raum.
87. Sie haben mich schier umgebracht auf Erden. Fast hatten seine Feinde mit ihm den Garaus gemacht. Wenn sie es nur vermocht hätten, sie würden ihn aufgefressen oder lebendig verbrannt oder sonstwie ihn zu Grunde gerichtet haben, einerlei auf welche Weise, wenn sie nur den frommen Mann aus der Welt schaffen konnten. Offenbar war er bis zu einem hohen Grad in ihrer Gewalt, und sie hatten ihre Macht so gebraucht, dass es beinahe mit ihm aus war. Er war fast von der Erde umgebracht; aber fast ist nicht ganz, so kam er mit dem Leben davon. Die Löwen sind, wie Bunyan es in seiner Pilgerreise schildert, an Ketten gelegt; mit all ihrer Wut können sie nicht einen Schritt weiter gehen, als unser Gott es zulässt. Und selbst wenn ihnen erlaubt worden wäre, seinem irdischen Leben ein Ende zu machen, so hatte er doch noch ein himmlisches Erbe, an das sie nicht rühren konnten. Aber auch auf Erden blieb er am Leben, ob er auch beinahe umgebracht worden wäre; denn seine Stunde war noch nicht da. Ich aber verlasse deine Befehle nicht.Nichts konnte ihn davon abbringen, dem HERRN Gehorsam zu leisten. Halten wir an Gottes Befehlen fest, so werden wir uns durch Gottes Verheißungen gerettet finden. Wenn ihre Misshandlungen den Frommen von dem Pfad der Gerechtigkeit abzubringen vermocht hätten, so wäre die Absicht der Gottlosen erreicht worden, und wir würden in der heiligen Geschichte von David nichts mehr hören. Sind wir fest entschlossen, lieber den Tod zu erleiden, als den HERRN zu verlassen, so können wir gewiss sein, dass wir nicht sterben, sondern den Zusammenbruch derer, die uns hassen, erleben werden.
88. Erquicke mich (belebe mich, oder: erhalte mich am Leben) durch deine Gnade, wörtl.: nach deiner Gnade. Welch treffliche Bitte! Werden unserem inneren Leben neue Kräfte eingeflößt, so werden alle Angriffe unserer Gegner uns nichts anhaben können. Unser bester Schutz gegen alle Versuchungen und Verfolgungen ist mehr Leben. Gottes Huld kann uns keinen größeren Liebesbeweis geben, als indem sie den göttlichen Lebensodem noch voller in uns einströmen lässt. Werden wir neubelebt, so sind wir imstande, die Trübsale zu erdulden, die Ränke der Feinde zu vereiteln und die Sünde zu überwinden. Zu Gottes Gnade blicken wir empor als der Quelle aller geistlichen Erweckung und Belebung, und wir flehen zum HERRN, er möge uns erquicken, nicht wie wir es verdient haben, sondern nach der überschwänglichen Kraft seiner Gnade. Dass ich halte die Zeugnisse deines Mundes. Strömt die Lebenskraft des Heiligen Geistes in uns ein, dann kann es auch nicht ausbleiben, dass wir ein heiliges Wesen offenbaren. Wir werden der gesunden Lehre treu bleiben, wenn der Geist uns heimsucht und treu macht. Keiner vermag das Wort, das aus des HERRN Munde geht, zu halten, wenn nicht dieses selbe Wort, der Odem des Allmächtigen, ihn belebt. Wir müssen die geistliche Weisheit des Psalmsängers bewundern, der nicht so sehr um ein Aufhören der Anfechtungen bittet, als um Verjüngung seiner Kraft, um unter denselben standhaft zu bleiben. Pulsiert das innere Leben kräftig, dann steht alles wohl. Im Schlussverse des vorigen Abschnitts bat David um ein rechtschaffenes Herz, und hier fleht er um Neubelebung seines Herzens. Das heißt der Sache auf den Grund gehen, das begehren, was vor allem anderen Not ist. HERR, belebe auch unsere Herzen und lass sie rechtschaffen bleiben in deinen Rechten!
Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger? In des HERRN Hand hatte er seine Sache gelegt, und er bittet nun, dass das Urteil gesprochen und vollstreckt werde. Er begehrt nichts als Gerechtigkeit, dass sein Ruf wiederhergestellt und seine Verfolger zur Ruhe verwiesen werden. Er weiß, dass Gott seinen Auserwählten Recht schaffen wird; aber der Tag der Befreiung verzieht, die Stunden schleichen so langsam dahin; da schreit der arme Bedrängte schließlich Tag und Nacht nach Erlösung.
85. Die Stolzen graben mir Gruben. Wie Menschen, die auf wilde Tiere Jagd machen, diesen Fallgruben und Schlingen legen, so suchten Davids Feinde ihn in allerlei Fallen zu fangen. Sie gingen mit allem Bedacht, mit Mühe und Schlauheit zu Werk, um ihn zu verderben. Sie gruben ihm Gruben, nicht eine, sondern viele. Fing er sich nicht in der einen, so mochte eine andere vielleicht den Zweck erreichen; so gruben sie unermüdlich darauf los. Man sollte meinen, solch stolze Leute würden sich ihre Hände nicht gerne mit Graben beschmutzen; aber sie taten ihrem Stolze Gewalt an, in der Hoffnung, auf diese Weise auch ihr Opfer vergewaltigen zu können. Weit entfernt, sich solcher unwürdigen Handlungsweise zu schämen, waren sie stolz auf ihre Geschicklichkeit, stolz darauf, einem Frommen eine Falle gestellt zu haben. Die nicht sind nach deinem Gesetz. Weder die Stolzen noch die Gruben waren dem göttlichen Gesetz gemäß; jene waren blutdürstige Ränkeschmiede, und ihre Gruben waren im unmittelbaren Widerspruch mit dem mosaischen Gesetz (vergl. 2. Mose 21,33 f.) und besonders mit dem Gebot, das uns unseren Nächsten zu lieben befiehlt. Wenn sich die Menschen an die Befehle des HERRN halten wollten, dann würden sie den Gefallenen aus der Grube ziehen oder die Grube zuschütten, dass niemand hinein stürzen könnte; nie aber würden sie auch nur einen Augenblick darauf verwenden, andern Unheil zu bereiten. Wenn Menschen aber stolz werden, dann kommen sie unfehlbar dahin, andere zu verachten; so suchen sie sie denn zu überlisten, um sie dann der Lächerlichkeit preiszugeben.
Gut war es für David, dass seine Feinde auch Gottes Feinde waren und ihre Angriffe wider den König bei dem König aller Könige keine Billigung fanden. Auch war es sehr günstig für ihn, dass ihm ihre Anschläge nicht verborgen blieben; so war er gewarnt und konnte seine Schritte recht in acht nehmen, dass er nicht in eine ihrer Gruben stürze. Solange er sich an das Gesetz des HERRN hielt, war er sicher, wiewohl es immerhin eine schmerzliche Sache war, dass ihm sein Weg durch die Hinterlist frecher Bosheit so gefährlich gemacht wurde.
86. Deine Gebote sind eitel Wahrheit. Er hatte nichts an Gottes Gesetz auszusetzen, wenngleich ihn sein Gehorsam gegen dasselbe in unangenehme Bedrängnis versetzt hatte. Aber das Gesetz mochte ihn kosten, soviel es wollte, es war jeden Preis wert. Mochte Gottes Weg auch rauh sein, er war der rechte Weg; mochte des HERRN Gebot ihm viele Feinde machen, es war dennoch sein bester Freund. Er war fest überzeugt, dass Gottes Vorschriften sich schließlich als zu seinem Vorteil dienend erweisen müssten und er daher, indem er ihnen gehorche, nichts aufs Spiel setze.
Sie verfolgen mich mit Lügen (oder: ohne Grund, ungerecht); hilf mir! Die Schuld lag an seinen Widersachern, nicht an seinem Gott oder an ihm. Er hatte keinem Menschen etwas zuleide getan und nur nach Wahrheit und Recht gehandelt; darum wendet er sich vertrauensvoll an seinen Gott und ruft: Hilf mir! Das ist ein güldenes Gebetlein, so köstlich wie es kurz ist. In der Sprache des Psalmisten ist’s nur ein Wort, aber wie umfassend ist sein Sinn. Hilfe tat Not, damit der Verfolgte den Gruben aus dem Wege gehen, unter all den Angriffen und Verleumdungen standhaft bleiben und so klüglich handeln könne, dass seine Feinde mit aller ihrer List zu Schanden wurden. Gottes Hilfe ist unsere Hoffnung. Wer uns auch kränke und angreife, es tut nichts, solange der HERR unser Helfer ist; denn wenn uns der HERR beisteht, kann niemand uns wirklich schaden. Wie oft schon ist dieser Gebetsseufzer von bedrängten Gotteskindern zum Himmel gesandt worden; passt er doch für die verschiedensten Fälle von Not, Schmerzen, Kummer, Schwachheit und Sündenelend. HERR, hilf mir! Das ist ein treffliches Gebet für Junge und Alte, für Arbeitsdrang und Leidensnot, für Leben und Sterben. Keine andere Hilfe reicht hin, Gottes Hilfe aber kann allem genügen; so verlassen wir uns denn auf sie und lassen keiner Furcht Raum.
87. Sie haben mich schier umgebracht auf Erden. Fast hatten seine Feinde mit ihm den Garaus gemacht. Wenn sie es nur vermocht hätten, sie würden ihn aufgefressen oder lebendig verbrannt oder sonstwie ihn zu Grunde gerichtet haben, einerlei auf welche Weise, wenn sie nur den frommen Mann aus der Welt schaffen konnten. Offenbar war er bis zu einem hohen Grad in ihrer Gewalt, und sie hatten ihre Macht so gebraucht, dass es beinahe mit ihm aus war. Er war fast von der Erde umgebracht; aber fast ist nicht ganz, so kam er mit dem Leben davon. Die Löwen sind, wie Bunyan es in seiner Pilgerreise schildert, an Ketten gelegt; mit all ihrer Wut können sie nicht einen Schritt weiter gehen, als unser Gott es zulässt. Und selbst wenn ihnen erlaubt worden wäre, seinem irdischen Leben ein Ende zu machen, so hatte er doch noch ein himmlisches Erbe, an das sie nicht rühren konnten. Aber auch auf Erden blieb er am Leben, ob er auch beinahe umgebracht worden wäre; denn seine Stunde war noch nicht da. Ich aber verlasse deine Befehle nicht.Nichts konnte ihn davon abbringen, dem HERRN Gehorsam zu leisten. Halten wir an Gottes Befehlen fest, so werden wir uns durch Gottes Verheißungen gerettet finden. Wenn ihre Misshandlungen den Frommen von dem Pfad der Gerechtigkeit abzubringen vermocht hätten, so wäre die Absicht der Gottlosen erreicht worden, und wir würden in der heiligen Geschichte von David nichts mehr hören. Sind wir fest entschlossen, lieber den Tod zu erleiden, als den HERRN zu verlassen, so können wir gewiss sein, dass wir nicht sterben, sondern den Zusammenbruch derer, die uns hassen, erleben werden.
88. Erquicke mich (belebe mich, oder: erhalte mich am Leben) durch deine Gnade, wörtl.: nach deiner Gnade. Welch treffliche Bitte! Werden unserem inneren Leben neue Kräfte eingeflößt, so werden alle Angriffe unserer Gegner uns nichts anhaben können. Unser bester Schutz gegen alle Versuchungen und Verfolgungen ist mehr Leben. Gottes Huld kann uns keinen größeren Liebesbeweis geben, als indem sie den göttlichen Lebensodem noch voller in uns einströmen lässt. Werden wir neubelebt, so sind wir imstande, die Trübsale zu erdulden, die Ränke der Feinde zu vereiteln und die Sünde zu überwinden. Zu Gottes Gnade blicken wir empor als der Quelle aller geistlichen Erweckung und Belebung, und wir flehen zum HERRN, er möge uns erquicken, nicht wie wir es verdient haben, sondern nach der überschwänglichen Kraft seiner Gnade. Dass ich halte die Zeugnisse deines Mundes. Strömt die Lebenskraft des Heiligen Geistes in uns ein, dann kann es auch nicht ausbleiben, dass wir ein heiliges Wesen offenbaren. Wir werden der gesunden Lehre treu bleiben, wenn der Geist uns heimsucht und treu macht. Keiner vermag das Wort, das aus des HERRN Munde geht, zu halten, wenn nicht dieses selbe Wort, der Odem des Allmächtigen, ihn belebt. Wir müssen die geistliche Weisheit des Psalmsängers bewundern, der nicht so sehr um ein Aufhören der Anfechtungen bittet, als um Verjüngung seiner Kraft, um unter denselben standhaft zu bleiben. Pulsiert das innere Leben kräftig, dann steht alles wohl. Im Schlussverse des vorigen Abschnitts bat David um ein rechtschaffenes Herz, und hier fleht er um Neubelebung seines Herzens. Das heißt der Sache auf den Grund gehen, das begehren, was vor allem anderen Not ist. HERR, belebe auch unsere Herzen und lass sie rechtschaffen bleiben in deinen Rechten!
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 81-88. Das achtfache k (K): Diese Ausrichtung nach Gottes Verheißung ist sein Sehnen jetzt, da so wenig fehlt, dass seine Feinde ihn zu Grunde gerichtet.
81. Krank vor Sehnsucht nach deinem Heil ist meine Seele,
Auf dein Wort hoffe ich.
82. Krank vor Sehnsucht sind meine Augen nach deinem Wort;
Sie sprechen: Wann tröstest du mich?
83. Kaum brauchbar bin ich, wie ein Schlauch im Rauche;
Deiner Rechte vergesse ich nicht.
84. Kurz sind deines Knechtes Tage.
Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger?
85. Klaffende Gruben haben die Stolzen mir gegraben,
Sie, die nicht sind nach deinem Gesetze.
86. Köstliche Wahrheit sind alle deine Gebote.
Sie verfolgen mich mit Lügen; hilf mir!
87. Kaum am Leben haben sie mich gelassen auf Erden,
Ich aber verlasse deine Befehle nicht.
88. Kraft deiner Gnade belebe mich,
Dass ich halte die Zeugnisse deines Mundes.
Zum Teil nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 82. Wann tröstest du mich? Wir wollen uns nicht über Gott beklagen, sondern bei Gott unsere Klagen ausschütten. Klagen über Gott sind nur Ausbrüche unzufriedenen Murrens; Klagen, bei Gott angebracht, sind Äußerungen unseres Glaubens, unserer Hoffnung, unserer Geduld. - Wir brauchen Trost, denn lange nicht alle unsere Versuchungen bestehen aus Verlockungen, ein großer Teil besteht aus Trübsalen. Schmerzen können uns ebenso wohl verführen als Vergnügungen, und die Welt ist uns gegenüber ebenso oft die dräuende Verfolgerin wie die schmeichelnde Verführerin, und Fleisch und Satan peinigen uns nicht weniger, als sie uns streicheln. So nötig wir aber auch den Trost haben, noch mehr ist uns Heiligung Not; also wenn wir auch den Trost nicht verachten wollen, so müssen wir doch mehr Wert auf rechte, wahre Liebe zu Gott legen, und müssen uns damit zufrieden geben, wenn uns hienieden der Trost auch in weniger reichem und vollem Maße zuteilwird. Das, was wir wirklich brauchen, um zum Dienst unseres Gottes fähig zu sein, das werden wir sicher erhalten. Thomas Manton † 1677.
V. 83. Wie ein Schlauch im Rauche. Zahlreiche Zeugnisse von Reisenden im Morgenlande bestätigen das in diesem Psalmverse gebrauchte Bild. Es gibt keinen mehr von Rauch erfüllten Raum als ein Araberzelt. Alle Geräte sind von Rauch und Ruß geschwärzt, und die ledernen Schläuche, die in dem Zelte über dem Holzfeuer hängen, dörren aus, schrumpfen zusammen und werden davon natürlich unbrauchbar. John Gadsby 1860.
Der mit Wein gefüllte Schlauch wurde in den Rauchfang gehängt, um den Wein früher reif und milde zu machen (Rosenmüller). Dabei wird der Schlauch runzlig und schwarz. So ist auch Israel durch die Leiden, deren Bild das Feuer ist, unansehnlich geworden und trägt die Farbe der Trauer an sich; aber sein wertvollstes Gut, das göttliche Gesetz, trägt es in seinem Innern. Prof. Friedrich Baethgen 1904.
Die Sitte der Alten, Krüge mit Wein, um diesen früher alt, d. i. mild zu machen, über Rauch aufzustellen, trägt nichts zum Verständnis aus. Den vorderhand nicht zu brauchenden Schlauch hing man in der Höhe auf, und dass er da den oben hinausziehenden Rauch zu bestehen hatte, begreift sich bei dem Mangel der Kamine. Der Vergleichspunkt ist, dass man den Psalmisten beiseite geschoben und dass er als Aschenbrödel fort und fort den Plackereien seiner Verfolger ausgesetzt ist. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Das eigentümliche Bild scheint im Zusammenhang des Verses einen vergessenen Gegenstand bezeichnen zu sollen. Sinn: Selbst wenn du mich vergessen könntest, vergesse ich doch deiner nicht. Lic. H. Keßler 1899.
Satan kann den Leib auch durch den Geist treffen, denn diese beiden hängen so eng zusammen, dass Freud und Leid beiden gemeinsam ist. Wenn das Herz fröhlich ist, dann ist auch das Äußere heiter, dann fühlt man sich frisch und kräftig, und selbst das Gebein grünt wie das Gras (Jes. 66,14). Wenn das Herz aber betrübt ist, so wird auch das Wohlbefinden gestört, die Kräfte versiegen, das Mark in den Knochen verdorrt. Solch ein Herzenskummer ist wie ein zehrendes Gift im Körper, unmerklich übt es seine Wirkungen aus, bis alle Gesundheit und Lebenskraft dahin ist. Und das ist ein Erfolg, der dem Satan bei seiner Haupttätigkeit, die auf unsere Seelen gerichtet ist, noch so nebenher in den Schoß fällt, worüber er sich aber sehr freut, da er ein Feind unseres Leibes so gut wie unserer Seele ist. Und noch mehr freut es ihn, dass er, wenn er durch die seelischen Verstimmungen auf unseren Körper eingewirkt hat, nun hinwieder umgekehrt durch körperliche Störungen unser seelisches Missbefinden steigern kann. Wie unfähig ist ein kränklicher Mensch, wie wenig kann ein gebrechlicher Körper leisten. Lesen, Zuhören, ja selbst das Beten ist ihm eine schwere Last, und das ängstigt ein zartes Gewissen, und dieses gibt der Seele und ihrer Verfassung die Schuld, die doch nur in der Schwachheit des Leibes zu suchen ist. Richard Gilpin 1677.
Seht, welch ein Unterschied ist doch zwischen leiblicher und geistiger Schönheit und Kraft. Die Schönheit der Seele wächst unter dem Drucke der Trübsal, während die des Leibes dadurch zerstört wird. David war ein runzeliger, verschrumpfter Schlauch, aber die gottgefällige Gestalt seiner Seele war davon unberührt geblieben; seine äußere Schönheit war dahin, nicht aber die Reinheit und Heiligkeit seiner Seele. Thomas Manton † 1677.
V. 84. Wie viel sind der Tage deines Knechts? Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger? Die beiden Vershälften scheinen mir eng zusammen zu gehören, so dass sich die Tage auf die Tage des Leidens beziehen. HERR, wie lange hast du im Sinne, deinen Knecht der Willkür der Gottlosen zu überlassen? Wann willst du dich gegen ihre Grausamkeit und Verunglimpfungen kehren und Rache an ihnen nehmen? So beklagt der Psalmist also hier nicht, wie die meisten Ausleger meinen, die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, sondern dass die Zeit seines Streitens und Ringens in dieser Welt sich allzu lang hinausziehe, und da kommt er natürlich zu dem Wunsche, dass ihr ein Ziel gesetzt werde. Aber wenn er auch mit Gott rechtet um seine Bekümmernisse, so tut er dies doch nicht in zudringlicher Anmaßung oder in unzufriedenem Murren; immerhin, indem er fragt, wie lange es ihm noch beschieden sei zu leiden, spricht er in aller Demut die Bitte aus, Gott wolle nicht verziehen, ihm zu Hilfe zu kommen. Jean Calvin † 1564.
Er hegt keinen Zweifel, dass seine Leiden einmal ein Ende nehmen und seine Hasser und Verfolger würden gerichtet werden. Er fragt nur nach dem Zeitpunkt. So ist bei den Heiligen eben ihre Ungeduld bei dem Verziehen der göttlichen Hilfe und Erlösung ein Beweis für ihr festes Vertrauen auf diese. Wolfgang Musculus † 1563.
V. 85. Die Stolzen graben mir Gruben. Es mag befremdlich erscheinen, dass ein stolzer Mensch sich herbei lassen sollte, in der Erde zu wühlen. Aber so erniedrigte sich z. B. der hochmütige Absalom vor den Allergeringsten des Volkes, um sich dadurch den Weg zu ebnen zur Auflehnung gegen seinen königlichen Vater. Doch eines ist wohl zu beachten: Der Psalmist sagt nicht, dass er in die Gruben gefallen sei. Nein, Gottes Gerichte sind gerecht, die Gottlosen fallen in ihre eigenen Schlingen, und die Gerechten bleiben verschont. "Er hat eine Grube gegraben und ausgehöhlt und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat. Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen und sein Frevel auf seine Scheitel fallen." (Ps. 7,16.17) So schmückte Haman als erster den Galgen, den er für Mardochai hatte errichten lassen, und Saul, der mit Arglist David durch das Schwert der Philister zu verderben gedachte, da er ihn aussandte, zweihundert ihrer Vorhäute heimzubringen, sah sich in seinem Anschlage getäuscht, er selbst aber fand schließlich seinen Tod durch das Schwert bei dem Sieg der Philister. William Cowper † 1619.
Das die bezieht sich auf die Stolzen: sie, die nicht nach deinem Gesetz. Der Relativsatz bezeichnet dieselben, wie Bäthgen bemerkt, als abtrünnige Israeliten. Lic. H. Keßler 1899.
V. 86. Der Satan sucht uns mit allerlei Ränken zu fangen. Wie, spricht er, siehst du denn jetzt nicht, dass Gott dich im Stich lässt? Wo sind denn die Verheißungen, darauf du dich so verlassen hast? Du stehst hier wie ein armer Verzweifelter. Da siehst du wohl, dass Gott dich getäuscht hat und dass die Verheißungen, auf die du zähltest, dir keineswegs gehören. Seht, das ist die Hinterlist Satans. Was sollen wir da tun? Wir haben mit David zu dem Schlusse zu kommen: Aber doch ist es so, dass Gott getreu ist. Halten wir fest, sage ich, die Wahrheit Gottes wie einen Schild, um alles abzuwehren, was Satan gegen uns vorbringen kann, wenn er uns vom Glauben abwendig zu machen sucht, wenn er sich Mühe gibt, uns glauben zu machen, dass Gott nicht mehr an uns denke, oder dass es ganz vergeblich sei, uns auf seine Verheißungen zu verlassen. Wir sollen vielmehr wissen, dass eitel Wahrheit in allem ist, was Gott uns gesagt hat. Wenn Satan auch noch so viele Pfeile gegen uns verschießt, wenn schon er so viele und noch mehr Tücken gegen uns verübt, wenn er uns, jetzt durch Gewalt, jetzt durch Listen und Ränke doch noch überwältigen zu können scheint, so wird es ihm nicht gelingen, solange wir die Wahrheit Gottes fest in unseren Herzen haben. Jean Calvin † 1564.
Sie verfolgen mich mit Lügen, oder ohne Ursache. Dies letzte Wort "ohne Ursache" steht im Grundtext nachdrücklich voran. Sehr wahr hat ein Blutzeuge gesagt: Der Grund, um deswillen er leidet, nicht die Marter ist’s, was einen Märtyrer macht. Darauf weist uns auch der Apostel hin, wenn er schreibt: Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Falle (1. Petr. 4,15). James Millard Neale † 1866.
V. 87. Sie haben mich schier umgebracht auf Erden. Der Lebensgang der Frommen ist voll von wunderbaren Errettungen aus drohender Gefahr. Alle Gerechten werden schier umgebracht und kommen nur mit knapper Not davon. Oft sind ihre Füße nahe daran zu gleiten. Aber der sie erlöst hat, der lässt sie nie soweit fallen, dass sie sich nicht wieder erheben können. Eine große Gefahr liegt für sie in der Versuchung, unerlaubte Mittel zur Beendigung ihrer Trübsale anzuwenden. William Swan Plumer † 1880.
V. 88. Die Zeugnisse deines Mundes. Diese Bezeichnung des göttlichen Gesetzes stellt unsere Verpflichtung ihm gegenüber in ein besonders helles Licht. So müssen wir also jedes Wort, das wir da hören und lesen, ansehen, als aus Gottes Munde kommend. Beugen wir uns in anbetender Ehrfurcht, in unbedingtem Gehorsam davor; lauschen wir ihm in Andacht, in demütigem Glauben, ein jeder von uns stets bereit zu der Antwort: Rede, HERR, dein Knecht hört. Charles Bridges † 1869.
V. 81-88. Das achtfache k (K): Diese Ausrichtung nach Gottes Verheißung ist sein Sehnen jetzt, da so wenig fehlt, dass seine Feinde ihn zu Grunde gerichtet.
81. Krank vor Sehnsucht nach deinem Heil ist meine Seele,
Auf dein Wort hoffe ich.
82. Krank vor Sehnsucht sind meine Augen nach deinem Wort;
Sie sprechen: Wann tröstest du mich?
83. Kaum brauchbar bin ich, wie ein Schlauch im Rauche;
Deiner Rechte vergesse ich nicht.
84. Kurz sind deines Knechtes Tage.
Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger?
85. Klaffende Gruben haben die Stolzen mir gegraben,
Sie, die nicht sind nach deinem Gesetze.
86. Köstliche Wahrheit sind alle deine Gebote.
Sie verfolgen mich mit Lügen; hilf mir!
87. Kaum am Leben haben sie mich gelassen auf Erden,
Ich aber verlasse deine Befehle nicht.
88. Kraft deiner Gnade belebe mich,
Dass ich halte die Zeugnisse deines Mundes.
Zum Teil nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 82. Wann tröstest du mich? Wir wollen uns nicht über Gott beklagen, sondern bei Gott unsere Klagen ausschütten. Klagen über Gott sind nur Ausbrüche unzufriedenen Murrens; Klagen, bei Gott angebracht, sind Äußerungen unseres Glaubens, unserer Hoffnung, unserer Geduld. - Wir brauchen Trost, denn lange nicht alle unsere Versuchungen bestehen aus Verlockungen, ein großer Teil besteht aus Trübsalen. Schmerzen können uns ebenso wohl verführen als Vergnügungen, und die Welt ist uns gegenüber ebenso oft die dräuende Verfolgerin wie die schmeichelnde Verführerin, und Fleisch und Satan peinigen uns nicht weniger, als sie uns streicheln. So nötig wir aber auch den Trost haben, noch mehr ist uns Heiligung Not; also wenn wir auch den Trost nicht verachten wollen, so müssen wir doch mehr Wert auf rechte, wahre Liebe zu Gott legen, und müssen uns damit zufrieden geben, wenn uns hienieden der Trost auch in weniger reichem und vollem Maße zuteilwird. Das, was wir wirklich brauchen, um zum Dienst unseres Gottes fähig zu sein, das werden wir sicher erhalten. Thomas Manton † 1677.
V. 83. Wie ein Schlauch im Rauche. Zahlreiche Zeugnisse von Reisenden im Morgenlande bestätigen das in diesem Psalmverse gebrauchte Bild. Es gibt keinen mehr von Rauch erfüllten Raum als ein Araberzelt. Alle Geräte sind von Rauch und Ruß geschwärzt, und die ledernen Schläuche, die in dem Zelte über dem Holzfeuer hängen, dörren aus, schrumpfen zusammen und werden davon natürlich unbrauchbar. John Gadsby 1860.
Der mit Wein gefüllte Schlauch wurde in den Rauchfang gehängt, um den Wein früher reif und milde zu machen (Rosenmüller). Dabei wird der Schlauch runzlig und schwarz. So ist auch Israel durch die Leiden, deren Bild das Feuer ist, unansehnlich geworden und trägt die Farbe der Trauer an sich; aber sein wertvollstes Gut, das göttliche Gesetz, trägt es in seinem Innern. Prof. Friedrich Baethgen 1904.
Die Sitte der Alten, Krüge mit Wein, um diesen früher alt, d. i. mild zu machen, über Rauch aufzustellen, trägt nichts zum Verständnis aus. Den vorderhand nicht zu brauchenden Schlauch hing man in der Höhe auf, und dass er da den oben hinausziehenden Rauch zu bestehen hatte, begreift sich bei dem Mangel der Kamine. Der Vergleichspunkt ist, dass man den Psalmisten beiseite geschoben und dass er als Aschenbrödel fort und fort den Plackereien seiner Verfolger ausgesetzt ist. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Das eigentümliche Bild scheint im Zusammenhang des Verses einen vergessenen Gegenstand bezeichnen zu sollen. Sinn: Selbst wenn du mich vergessen könntest, vergesse ich doch deiner nicht. Lic. H. Keßler 1899.
Satan kann den Leib auch durch den Geist treffen, denn diese beiden hängen so eng zusammen, dass Freud und Leid beiden gemeinsam ist. Wenn das Herz fröhlich ist, dann ist auch das Äußere heiter, dann fühlt man sich frisch und kräftig, und selbst das Gebein grünt wie das Gras (Jes. 66,14). Wenn das Herz aber betrübt ist, so wird auch das Wohlbefinden gestört, die Kräfte versiegen, das Mark in den Knochen verdorrt. Solch ein Herzenskummer ist wie ein zehrendes Gift im Körper, unmerklich übt es seine Wirkungen aus, bis alle Gesundheit und Lebenskraft dahin ist. Und das ist ein Erfolg, der dem Satan bei seiner Haupttätigkeit, die auf unsere Seelen gerichtet ist, noch so nebenher in den Schoß fällt, worüber er sich aber sehr freut, da er ein Feind unseres Leibes so gut wie unserer Seele ist. Und noch mehr freut es ihn, dass er, wenn er durch die seelischen Verstimmungen auf unseren Körper eingewirkt hat, nun hinwieder umgekehrt durch körperliche Störungen unser seelisches Missbefinden steigern kann. Wie unfähig ist ein kränklicher Mensch, wie wenig kann ein gebrechlicher Körper leisten. Lesen, Zuhören, ja selbst das Beten ist ihm eine schwere Last, und das ängstigt ein zartes Gewissen, und dieses gibt der Seele und ihrer Verfassung die Schuld, die doch nur in der Schwachheit des Leibes zu suchen ist. Richard Gilpin 1677.
Seht, welch ein Unterschied ist doch zwischen leiblicher und geistiger Schönheit und Kraft. Die Schönheit der Seele wächst unter dem Drucke der Trübsal, während die des Leibes dadurch zerstört wird. David war ein runzeliger, verschrumpfter Schlauch, aber die gottgefällige Gestalt seiner Seele war davon unberührt geblieben; seine äußere Schönheit war dahin, nicht aber die Reinheit und Heiligkeit seiner Seele. Thomas Manton † 1677.
V. 84. Wie viel sind der Tage deines Knechts? Wann willst du Gericht halten über meine Verfolger? Die beiden Vershälften scheinen mir eng zusammen zu gehören, so dass sich die Tage auf die Tage des Leidens beziehen. HERR, wie lange hast du im Sinne, deinen Knecht der Willkür der Gottlosen zu überlassen? Wann willst du dich gegen ihre Grausamkeit und Verunglimpfungen kehren und Rache an ihnen nehmen? So beklagt der Psalmist also hier nicht, wie die meisten Ausleger meinen, die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, sondern dass die Zeit seines Streitens und Ringens in dieser Welt sich allzu lang hinausziehe, und da kommt er natürlich zu dem Wunsche, dass ihr ein Ziel gesetzt werde. Aber wenn er auch mit Gott rechtet um seine Bekümmernisse, so tut er dies doch nicht in zudringlicher Anmaßung oder in unzufriedenem Murren; immerhin, indem er fragt, wie lange es ihm noch beschieden sei zu leiden, spricht er in aller Demut die Bitte aus, Gott wolle nicht verziehen, ihm zu Hilfe zu kommen. Jean Calvin † 1564.
Er hegt keinen Zweifel, dass seine Leiden einmal ein Ende nehmen und seine Hasser und Verfolger würden gerichtet werden. Er fragt nur nach dem Zeitpunkt. So ist bei den Heiligen eben ihre Ungeduld bei dem Verziehen der göttlichen Hilfe und Erlösung ein Beweis für ihr festes Vertrauen auf diese. Wolfgang Musculus † 1563.
V. 85. Die Stolzen graben mir Gruben. Es mag befremdlich erscheinen, dass ein stolzer Mensch sich herbei lassen sollte, in der Erde zu wühlen. Aber so erniedrigte sich z. B. der hochmütige Absalom vor den Allergeringsten des Volkes, um sich dadurch den Weg zu ebnen zur Auflehnung gegen seinen königlichen Vater. Doch eines ist wohl zu beachten: Der Psalmist sagt nicht, dass er in die Gruben gefallen sei. Nein, Gottes Gerichte sind gerecht, die Gottlosen fallen in ihre eigenen Schlingen, und die Gerechten bleiben verschont. "Er hat eine Grube gegraben und ausgehöhlt und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat. Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen und sein Frevel auf seine Scheitel fallen." (Ps. 7,16.17) So schmückte Haman als erster den Galgen, den er für Mardochai hatte errichten lassen, und Saul, der mit Arglist David durch das Schwert der Philister zu verderben gedachte, da er ihn aussandte, zweihundert ihrer Vorhäute heimzubringen, sah sich in seinem Anschlage getäuscht, er selbst aber fand schließlich seinen Tod durch das Schwert bei dem Sieg der Philister. William Cowper † 1619.
Das die bezieht sich auf die Stolzen: sie, die nicht nach deinem Gesetz. Der Relativsatz bezeichnet dieselben, wie Bäthgen bemerkt, als abtrünnige Israeliten. Lic. H. Keßler 1899.
V. 86. Der Satan sucht uns mit allerlei Ränken zu fangen. Wie, spricht er, siehst du denn jetzt nicht, dass Gott dich im Stich lässt? Wo sind denn die Verheißungen, darauf du dich so verlassen hast? Du stehst hier wie ein armer Verzweifelter. Da siehst du wohl, dass Gott dich getäuscht hat und dass die Verheißungen, auf die du zähltest, dir keineswegs gehören. Seht, das ist die Hinterlist Satans. Was sollen wir da tun? Wir haben mit David zu dem Schlusse zu kommen: Aber doch ist es so, dass Gott getreu ist. Halten wir fest, sage ich, die Wahrheit Gottes wie einen Schild, um alles abzuwehren, was Satan gegen uns vorbringen kann, wenn er uns vom Glauben abwendig zu machen sucht, wenn er sich Mühe gibt, uns glauben zu machen, dass Gott nicht mehr an uns denke, oder dass es ganz vergeblich sei, uns auf seine Verheißungen zu verlassen. Wir sollen vielmehr wissen, dass eitel Wahrheit in allem ist, was Gott uns gesagt hat. Wenn Satan auch noch so viele Pfeile gegen uns verschießt, wenn schon er so viele und noch mehr Tücken gegen uns verübt, wenn er uns, jetzt durch Gewalt, jetzt durch Listen und Ränke doch noch überwältigen zu können scheint, so wird es ihm nicht gelingen, solange wir die Wahrheit Gottes fest in unseren Herzen haben. Jean Calvin † 1564.
Sie verfolgen mich mit Lügen, oder ohne Ursache. Dies letzte Wort "ohne Ursache" steht im Grundtext nachdrücklich voran. Sehr wahr hat ein Blutzeuge gesagt: Der Grund, um deswillen er leidet, nicht die Marter ist’s, was einen Märtyrer macht. Darauf weist uns auch der Apostel hin, wenn er schreibt: Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Falle (1. Petr. 4,15). James Millard Neale † 1866.
V. 87. Sie haben mich schier umgebracht auf Erden. Der Lebensgang der Frommen ist voll von wunderbaren Errettungen aus drohender Gefahr. Alle Gerechten werden schier umgebracht und kommen nur mit knapper Not davon. Oft sind ihre Füße nahe daran zu gleiten. Aber der sie erlöst hat, der lässt sie nie soweit fallen, dass sie sich nicht wieder erheben können. Eine große Gefahr liegt für sie in der Versuchung, unerlaubte Mittel zur Beendigung ihrer Trübsale anzuwenden. William Swan Plumer † 1880.
V. 88. Die Zeugnisse deines Mundes. Diese Bezeichnung des göttlichen Gesetzes stellt unsere Verpflichtung ihm gegenüber in ein besonders helles Licht. So müssen wir also jedes Wort, das wir da hören und lesen, ansehen, als aus Gottes Munde kommend. Beugen wir uns in anbetender Ehrfurcht, in unbedingtem Gehorsam davor; lauschen wir ihm in Andacht, in demütigem Glauben, ein jeder von uns stets bereit zu der Antwort: Rede, HERR, dein Knecht hört. Charles Bridges † 1869.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
89.
HERR, dein Wort bleibt ewiglich,
soweit der Himmel ist;
90.
deine Wahrheit währet für und für.
Du hast die Erde zugerichtet, und sie bleibt stehen.
91.
Es bleibt täglich nach deinem Wort;
denn es muss dir alles dienen.
92.
Wo dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre,
so wäre ich vergangen in meinem Elende.
93.
Ich will deine Befehle nimmermehr vergessen;
denn du erquickest mich damit.
94.
Ich bin dein, hilf mir;
denn ich suche deine Befehle.
95.
Die Gottlosen lauern auf mich, dass sie mich umbringen;
ich aber merke auf deine Zeugnisse.
96.
Ich habe aller Dinge ein Ende gesehen;
aber dein Gebot währet.
89. Auf ewig, HERR, steht dein Wort fest im Himmel. (Wörtl.) Mit diesem Vers schlägt der Sänger einen freudigeren Ton an, denn die Erfahrung hat ihn in den süßen Trost des göttlichen Wortes eingeführt, und das gibt ein fröhliches Singen. Aus den wild bewegten Wogen des Leides und der Verfolgung hat er sich zu dem rettenden Gestade aufgeschwungen und steht nun auf sicherem Felsen. Jehovahs Wort ist nicht wankend und unsicher, es ist bestimmt und klar und steht fest und unbeweglich. Der Menschen Lehren wechseln so oft, dass ihnen gar nicht Zeit bleibt, sich zu festigen; Gottes Wort aber ist das Nämliche von alters her und wird unverändert bleiben in alle Ewigkeit. Es gibt Menschen, die sich nie glücklicher fühlen, als wenn sie alles umstürzen und jedermann in Verwirrung bringen können; mit solchen aber ist Gottes Geist nicht. Himmlische Macht und Herrlichkeit haben jeden Ausspruch aus Gottes Mund bestätigt, und so bestätigt, dass er in alle Ewigkeit bestehen bleiben muss. Gottes Wort steht fest im Himmel, wohin keine Erschütterung reicht. Im vorhergehenden Abschnitt war die Seele des Psalmisten am Verschmachten, hier aber erhebt er seine Blicke von der eigenen Person hinweg, hinauf zu dem HERRN, der nicht müde noch matt wird und dessen Wort niemals kraftlos hinsinkt.
Der Vers hat die Form einer Lobpreisung. Die Zuverlässigkeit und Unwandelbarkeit Gottes sind wohl geeignet, den Gegenstand heiligen Lobsingens zu bilden, und wenn unsere Augen vom Blicken auf die immer wechselnden Auftritte des Lebens um uns her müde geworden sind, dann wird der Gedanke an die unwandelbaren Verheißungen Gottes unsere Zunge voll Rühmens machen. Die Ratschlüsse des Ewigen, seine Zusagen und seine Rechtsordnungen sind alle fest gegründet in seinem Sinn, und niemand und nichts soll je an eines derselben rühren. Gottes Bundesfestsetzungen fallen nicht hin, ob die Gedanken der Menschen auch noch so wankend und wirr werden. Sei es darum unser Entschluss, unverbrüchlich an dem Worte unseres Gottes festzuhalten alle Tage unseres Lebens.
90. Deine Wahrheit (besser Luther 1524: deine Treue) währet für und für, wörtl.: von Geschlecht zu Geschlecht. Das ist ein weiterer Ruhm des HERRN: er wird nicht berührt von dem Lauf der Zeiten. Er ist nicht bloß treu gegen den einzelnen Menschen, solange dieser lebt, sondern auch gegen seine Kinder und Kindeskinder nach ihm, ja gegen alle Geschlechter, solange sie seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun. Die Verheißungen sind alt, zum Teil schon uralt; aber sie sind durch den Jahrhunderte langen Gebrauch nicht verschlissen, denn Gottes Treue währet für und für. Er, der seinen Knechten vor Tausenden von Jahren beistand, erweist sich noch heute stark an denen, die von ganzem Herzen an ihm sind (2. Chr. 16,9). Du hast die Erde zugerichtet (gegründet), und sie bleibt stehen. Die Natur wird von festen Gesetzen beherrscht. Der Erdball folgt seiner Bahn nach Gottes Geheiß und schlägt keine Abwege ein; die Jahreszeiten beobachten die ihnen gesetzte Ordnung, das Meer gehorcht dem Gesetz von Ebbe und Flut, und alle anderen Dinge gehen in genau vorgeschriebenen Ordnungen vor sich.
Es besteht eine Übereinstimmung zwischen dem Worte und den Werken Gottes, namentlich auch darin, dass beide gleich beständig, fest bestimmt und unwandelbar sind. Das Wort Gottes, das die Welt mit ihrer Ordnung hervorbrachte, ist dasselbe, dem er in der Heiligen Schrift Ausdruck verliehen hat. Durch das Wort des HERRN sind Himmel und Erde gemacht, und zwar insbesondere durch ihn, der in ganz hervorragendem Sinne das Wort genannt wird. Und wenn wir sehen, dass das Weltall seine Bahnen einhält und alle seine Gesetze unverändert bleiben, so liegt für uns darin die sichere Bürgschaft, dass der HERR auch seinem beschworenen Gnadenbunde treu bleiben und nicht zulassen wird, dass der Glaube der Seinen zu Schanden werde. Wenn die irdische Schöpfung bestehen bleibt, dann sicherlich auch die geistliche Schöpfung; wenn Gottes Wort genügt, um dem Weltall festen Bestand zu geben, dann ist es wahrlich auch ausreichend, den einzelnen Gläubigen in festem Stande zu erhalten.
91. Es bleibt täglich nach deinem Wort. Grundtext: Nach deinen Ordnungen stehen sie (Himmel und Erde) noch heute. Weil der HERR es also befohlen hat, steht das Weltall noch da und fahren seine Gesetze fort, mit solcher Genauigkeit und Macht zu wirken. Weil Gottes Kraft stets gegenwärtig ist, sie zu erhalten, deswegen bestehen alle Dinge. Das ewige Wort, dessen Sprechen alle Dinge ins Dasein rief, hat sie auch bisher getragen und erhält sie weiter, macht sowohl, dass sie bestehen, als auch, dass sie in solcher Wohlordnung bestehen und gedeihen. Was für wichtige Kräfte sind doch diese Ordnungen des Höchsten! Denn es muss dir alles dienen. Alles ist dir untertan, Himmel und Erde und was genannt mag werden, alles sind deine Diener. Geschaffen durch dein Wort, gehorchen sie diesem Worte und entsprechen so dem Zweck ihres Daseins, der Absicht ihres Schöpfers. Alles, das Größte wie das Kleinste im Weltall huldigt dem HERRN. Kein Atom entflieht seinem Herrscherstab, keine Welt entzieht sich seiner Herrschaft.
Sollen wir etwa wünschen, von der Macht des HERRN unabhängig dazustehen und unsere eigenen Herren zu sein? Wenn das einträte, so würden wir bald mit Schrecken innewerden, dass wir die einzige Ausnahme bildeten von einem Gesetz, in dem das ganze übrige Weltall die Bürgschaft seines Bestehens und seines Wohlergehens hat. Vielmehr wollen wir, da wir von allem andern lesen, dass es "bleibt und ihm dient", auch unserseits weiter ihm dienen, und in immer vollkommenerem Gehorsam ihm dienen, da auch uns das Leben durch ihn erhalten wird. Mögen durch das Wort, das auf ewig fest steht (V. 89), auch wir befestigt werden, durch das Wort, das die Erde zugerichtet hat, auch wir zugerichtet werden und durch das Gebot, dem alles Geschaffene gehorcht, auch wir zu recht brauchbaren Dienern des allmächtigen Gottes gemacht werden.
92. Wo dein Gesetz nicht mein Trost (wörtl.: mein Ergötzen) gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elende. Das gleiche Wort, das Himmel und Erde erhält, dass sie bestehen bleiben, erhält auch die Knechte des HERRN in ihren Trübsalszeiten. Dieses Wort ist unser Trost, und mehr als das, es ist unser Ergötzen, unsere Wonne, eine wahre Goldgrube vielfältiger Freuden. Dies Wort bleibt unsere sichere Zuflucht, wenn alle anderen Trost- und Freudenquellen versagen. Längst hätte die Verzweiflung uns übermannt; oft war es uns zu Mute, als müssten wir hinsinken und sterben vor Schmerz und Gram, wenn uns die geistlichen Tröstungen des Wortes Gottes nicht aufrecht erhalten hätten. Aber ihre stärkende, belebende Kraft hat uns über alles Verzagen hinweggeholfen, über alle Verzweiflungsgedanken, die so leicht aus schwerer Trübsal erwachsen.
Manche von uns können das Zeugnis des Psalmdichters aus eigenster Erfahrung bestätigen. Wäre die göttliche Gnade nicht gewesen, so hätte unser Elend uns völlig zugrunde gerichtet. In den dunkelsten Stunden unseres Lebens vermochte nichts uns vor dem Versinken zu bewahren als die Verheißungen des HERRN; ja es gab Augenblicke, da allein der Glaube an das ewige Gotteswort zwischen uns und dem Selbstmord stand. Wenn wir von Schmerz gepeinigt, von der Gewalt der Leiden schier zerrieben waren, bis unser Hirn sich verwirrte und die Fähigkeit zu denken fast ganz erloschen war, wie manches Mal flüsterte dann ein holdseliges Schriftwort uns herzerquickende Tröstung und Ermutigung zu, und unser armes zerplagtes Gemüt fand Ruhe und Frieden am Vaterherzen Gottes. Was in Zeiten des Wohlseins und Glückes unsere Wonne gewesen, das war auch unser Trost im Unglück, unser Licht in Finsternis. Was uns am heiteren Tage vor Übermut bewahrte, das behütete uns in der Nacht der Leiden vor dem Verderben. Der Vers enthält eine schauerliche Voraussetzung: "Wenn -", und schildert das Schreckliche, das dann hätte geschehen müssen: "Dann wäre ich vergangen in meinem Elende"; aber er birgt in sich auch einen herrlichen erlösenden Schluss, denn der Psalmist ging in seinem Leid nicht unter, sondern blieb lebendig, um laut den Ruhm des Wortes Gottes zu verkündigen.
93. Ich will deiner Befehle nimmermehr vergessen, denn du erquickest mich damit (durch sie belebst du mich, oder hast du mich am Leben erhalten). Wenn wir erst die belebende Kraft einer göttlichen Anordnung gespürt haben, dann werden wir sie gewiss nicht wieder vergessen. Wir mögen einen Befehl noch so oft lesen, auswendig lernen, uns immer wiederholen, bis wir meinen, uns ihn unauslöschlich eingeprägt zu haben, und doch die Erfahrung machen, dass er trotz alledem unserem Gedächtnis entschwinden kann. Hat er sich an uns aber als eine das Leben erhaltende oder erneuernde Kraft erwiesen, dann hat es keine Gefahr, dass er uns je aus der Erinnerung komme. Die Erfahrung lehrt, und sie ist der beste Lehrmeister. Wie köstlich, wenn Gottes Ordnungen uns mit der Goldfeder der Erfahrung ins Herz geschrieben, mit dem göttlichen Griffel der Gnade unserem Gedächtnis eingegraben sind. Vergesslichkeit in den Dingen, die unser Seelenheil betreffen, ist ein schlimmes Übel. Wir sehen hier den Mann Gottes dagegen ankämpfen, und zwar mit voller Gewissheit des Sieges, da er die belebende Kraft des Wortes an seiner Seele verspürt hat. Was das Herz belebt und kräftigt, das stärkt auch das Gedächtnis.
Es mag befremdlich erscheinen, dass der Psalmist gerade den Befehlen solche belebende Kraft zuschreibt, und doch ist sie wirklich in ihnen wie in jedem Gotteswort. Erinnern wir uns bei diesem Anlass daran, dass der Herr Jesus, wenn er Tote erweckte, an sie ein Wort des Befehls richtete: Lazarus, komm heraus! Jüngling, Mägdlein, ich sage dir, stehe auf! So brauchen auch wir uns nicht zu scheuen, toten Sündern den Befehl des Evangeliums zuzurufen: Tut Buße, glaubt usw., denn durch das göttliche Wort wirkt der Heilige Geist Leben in den Herzen. Doch wollen wir nicht übersehen, dass der Psalmist nicht etwa behauptet, die Befehle selbst hätten ihn belebt, sondern dass der HERR dies durch sie getan habe. Somit geht der Sänger dem Strome des Lebens nach, sein Bett verfolgend bis hinaus zur Quelle, und bringt seine Lobpreisung dort dar, wo sie gebührt. Doch unterschätzt er auch die Mittel nicht, durch welche die göttliche Gnade ihm den Segen hat zuströmen lassen, und bekennt ausdrücklich, dass er jene nie vergessen werde. Der Rechte des HERRN hatte er gedacht, auch als er einem Schlauch im Rauche zu vergleichen war (V. 83); und jetzt erfüllt ihn die Gewissheit, dass ihm die Befehle des HERRN überhaupt nie aus Herz und Gedächtnis schwinden werden, sowenig im Feuer des Elends wie im Rauch der Anfeindung, nie, weder in guten noch in bösen Tagen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
94. Ich bin dein, hilf mir! Eine viel umfassende Bitte mit einer sehr wirksamen Begründung. Ist unser Leben Gott geweiht, so ist es teuer geachtet vor ihm. Sind wir uns bewusst, dass wir des HERRN sind, dann dürfen wir auch darauf rechnen, dass er in der Not uns helfen wird. Wir sind des HERRN Eigentum kraft dessen, dass er uns erschaffen, uns von Ewigkeit erwählt und uns erlöst hat, dass wir uns ihm übergeben und er uns zu Kindern angenommen hat. Wer wird nicht seinem eigenen Kinde helfen? Darum HERR, hilf mir! Die Notwendigkeit der göttlichen Hilfe sehen die Kinder Gottes besser ein als die Weltmenschen, darum ihr ständiges Gebet: Hilf mir! Sie wissen, dass nur Gott ihnen helfen kann, darum rufen sie auch ihn allein an. Ebenso wohl aber wissen sie auch, dass bei ihnen kein Verdienst zu finden ist, darum berufen sie sich auf eine Tatsache, die ganz in der freien Gnade Gottes ihre Ursache hat: Ich bin dein!
Denn ich suche deine Befehle. Darin erwies sich, dass er wirklich dem HERRN angehörte. Wohl mochte er das hohe Ziel der Heiligung, das ihm vor Augen schwebte, noch nicht erreicht haben; aber er ließ es sich mit allem Ernste angelegen sein, dem HERRN zu gehorchen, und darum durfte er auch den HERRN um seine Hilfe bitten, um seinen Beistand alle Tage bis ans Ende. Mancher mag den Lehren und Verheißungen der Schrift forschend nachgehen, ohne doch im Innern wirklich erneuert zu sein; aber die Befehle Gottes suchen, das ist ein sicheres Zeichen des Gnadenstandes. Oder hat man je von einem Manne, der in offener Auflehnung oder in Heuchelei lebte, gehört, dass er die Gebote seines Herrn gesucht habe? Offenbar hatte Gott ein großes Werk an dem Psalmisten begonnen, und dieser bat ihn nun, es zu Ende zu führen. Gottes heilvolle Hilfe ist hier im Psalm, wie in unserer Lebenserfahrung, eng mit dem Suchen verbunden. Hilf mir, denn ich suche. Und wenn der HERR uns durch seinen Geist zum Suchen bringt, so wird er uns seine Hilfe, sein Heil auch nicht versagen. Wer Heiligkeit sucht, dem ist schon geholfen; suchen wir den HERRN, dann können wir gewiss sein, dass der HERR auch uns gesucht hat und seine rettende, helfende Hand nicht wieder von uns abziehen wird.
95. Die Gottlosen lauern auf mich, dass sie mich umbringen; ich aber merke auf deine Zeugnisse. Sie gleichen wilden Tieren, die aus dem Dickicht auf ihr Opfer spähen, oder Straßenräubern, die dem wehrlosen Wanderer am Wege auflauern. Der Psalmist aber zog seine Straße, ohne sich um sie zu kümmern, denn ihn beschäftigte etwas Besseres, nämlich die Zeugnisse, die Gott den Menschenkindern gegeben hat. Von seinem Forschen und Sinnen über Gottes Wort ließ er sich auch durch die Bosheit der Gottlosen nicht abbringen. Er war dabei innerlich so ruhig, so wenig aufgeregt, dass er seine Gedanken ganz gesammelt auf das richten konnte, was ihm seine liebste Beschäftigung war, und die Frömmigkeit war ihm so sehr Herzenssache, dass gerade die Zeugnisse des HERRN, seine heiligen Willenserklärungen, es waren, auf die er sein Augenmerk richtete. Das Gottvertrauen machte ihn so siegesgewiss, dass er sich durch alle die Ränke der Gottlosen in seiner Gemeinschaft mit dem HERRN und seinem Worte nicht stören ließ. Wenn der Feind es nicht fertig bringt, unsere Gedanken von der Beschäftigung mit heiligen Dingen abzuziehen noch unsere Herzen von heiligem Wollen, dann sind alle seine Angriffe wahrlich von wenig Erfolg.
Die Gottlosen sind die geborenen Feinde heiliger Menschen und heiliger Gedanken; vermöchten sie es, so würden sie uns nicht nur allen erdenklichen Schaden zufügen, sondern uns ganz und gar umbringen. Und gelingt ihnen das heute nicht, dann lauern sie auf andere Gelegenheiten, stets hoffend, dass ihre bösen Anschläge doch noch einmal erfolgreich sein werden. Bis jetzt war aber all ihr Warten vergeblich, und das Harren und Lauern wird ihnen noch lang werden; denn wenn wir von ihrer Feindschaft so wenig berührt werden, dass wir ihnen nicht einmal einen Gedanken zuwenden, dann muss es um ihre Aussicht, uns verderben zu können, armselig bestellt sein.
Von zweierlei Beharrlichkeit handelt unser Vers - von dem Ausharren der Gottlosen, die lange mit gespanntester Aufmerksamkeit auf eine Gelegenheit lauern, den Frommen umzubringen, und sodann von dem Ausharren des Gottesknechtes, der sich von seinen andächtigen Betrachtungen nicht abziehen lässt, selbst nicht, um seinen Feinden nachzuspüren und ihnen das Handwerk zu legen. Wie doch der Same der Schlange auf der Lauer liegt, gleich der Natter, die dem Pferd des Reisenden in die Ferse sticht. Aber die Auserwählten Gottes sind vor ihren Giftzähnen sicher und achten ihrer so wenig, als ob sie überhaupt gar nicht vorhanden wären.
96. Ich habe aller Dinge (oder: aller Vollkommenheit) ein Ende gesehen. Alles Irdische hat seine Grenze, über die es nicht kommen kann. Es ist noch kein Baum in den Himmel gewachsen. Die stolzesten Reiche stürzen, auf ihrem Höhepunkt angelangt, wieder zusammen. Alle Weisheit der Philosophen endete in der Erkenntnis, dass wir nichts wissen können. Auch unsere modernen Riesenfernrohre können nicht ins Endlose wachsen, denn werden sie zu groß, so kann man überhaupt nichts mehr mit ihnen sehen, weil die Bewegung der Luft sichtbar wird und sich als Schleier vor das Auge breitet. So geht es auf allen Gebieten. Auch die Grenze aller Vollkommenheit des Menschen hatte der Psalmist gesehen; sie reicht gar wenig weit, denn sie hält nicht aus unter den Anfechtungen des Lebens, sie verträgt nicht den forschenden Blick der Wahrheit, sie bricht zusammen unter dem Bekenntnis des reuigen Sünders. Es gibt nichts Vollkommenes unter der Sonne. Vollkommene Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes leben nur in einer vollkommenen Welt. Es gibt freilich manche, die von ihrer eigenen Vollkommenheit kein Ende sehen, aber das kommt eben daher, dass sie vollkommen blind sind. Der erfahrene Gläubige sieht ein Ende aller Vollkommenheit bei sich sowohl wie bei seinen Brüdern, auch bei den besten Werken der besten Menschen. Es wäre manchen, die auf Vollkommenheit Anspruch erheben, zu wünschen, dass sie nur wenigstens den Anfang derselben gesehen hätten; denn wir haben allen Grund zu fürchten, ihr Anfang sei nicht richtiger Art gewesen, sonst würden sie nicht solch anmaßende Reden führen. Ist es nicht der Anfang der Vollkommenheit, dass wir über unsere Unvollkommenheit trauern? Es gibt keine Vollkommenheit in Menschenwerk und Menschenleben.
Aber dein Gebot währet (wörtl.: es ist unbegrenzt). Es erstreckt sich auf alle Gebiete und hat ewige Dauer. Wem die so umfassenden und unbegrenzt gültigen Forderungen des Gesetzes erst zum Bewusstsein gekommen sind, dem schwindet jeder Gedanke an menschliche Vollkommenheit. Dieses Gesetz umfasst jede Handlung, jedes Wort, jeden Gedanken und ist also geistiger Natur, da es alle die Beweggründe, die Wünsche und geheimsten Regungen der Seele vor seinen Richterstuhl zieht. Es stellt uns eine Vollkommenheit vor Augen, die unsere Unterlassungen ebenso wie unsere Übertretungen verdammt, die auch jeden Gedanken als Wahn erweist, wir könnten Mängel auf einem Gebiet durch desto größeren Eifer auf einem andern ausgleichen. Was Gott nach seinem Worte unter Vollkommenheit versteht, das reicht so weit, dass wir nie hoffen können, seinem ganzen Umfang gerecht zu werden, und doch gehen Gottes Forderungen nicht weiter, als sie gehen müssen. Wer möchte sich ein unvollkommenes Gesetz wünschen? Nein, seine Vollkommenheit ist sein Ruhm, aber dabei der Tod alles Ruhmes menschlicher Vollkommenheit. Das Gesetz hat einen Umfang, eine Ausdehnung nach Länge und Breite, nach Tiefe und Höhe, wie sie auch nur in annäherndem Maße von der Heiligkeit irgendeines Menschen, solange er hienieden weilt, noch nie erreicht worden ist; nur in Jesu sehen wir sie vollkommen verwirklicht. Das Sittengesetz, in den zehn Geboten uns gegeben, ist ein in jeder Hinsicht vollkommener Gesetzeskodex; jedes einzelne Gebot hat einen unermesslichen Umfang heiliger Bedeutung, und die sämtlichen zehn umfassen alles in sich, keine Lücke lassend, mit der unseren Leidenschaften ein Spielraum frei bliebe. Wohl mögen wir die Unendlichkeit der göttlichen Heiligkeit anbeten und dann uns an dem von ihr aufgestellten Maßstabe messen und uns in tiefer Demut vor dem HERRN beugen in der Erkenntnis, wie weit wir noch davon entfernt sind.
Denn ich suche deine Befehle. Darin erwies sich, dass er wirklich dem HERRN angehörte. Wohl mochte er das hohe Ziel der Heiligung, das ihm vor Augen schwebte, noch nicht erreicht haben; aber er ließ es sich mit allem Ernste angelegen sein, dem HERRN zu gehorchen, und darum durfte er auch den HERRN um seine Hilfe bitten, um seinen Beistand alle Tage bis ans Ende. Mancher mag den Lehren und Verheißungen der Schrift forschend nachgehen, ohne doch im Innern wirklich erneuert zu sein; aber die Befehle Gottes suchen, das ist ein sicheres Zeichen des Gnadenstandes. Oder hat man je von einem Manne, der in offener Auflehnung oder in Heuchelei lebte, gehört, dass er die Gebote seines Herrn gesucht habe? Offenbar hatte Gott ein großes Werk an dem Psalmisten begonnen, und dieser bat ihn nun, es zu Ende zu führen. Gottes heilvolle Hilfe ist hier im Psalm, wie in unserer Lebenserfahrung, eng mit dem Suchen verbunden. Hilf mir, denn ich suche. Und wenn der HERR uns durch seinen Geist zum Suchen bringt, so wird er uns seine Hilfe, sein Heil auch nicht versagen. Wer Heiligkeit sucht, dem ist schon geholfen; suchen wir den HERRN, dann können wir gewiss sein, dass der HERR auch uns gesucht hat und seine rettende, helfende Hand nicht wieder von uns abziehen wird.
95. Die Gottlosen lauern auf mich, dass sie mich umbringen; ich aber merke auf deine Zeugnisse. Sie gleichen wilden Tieren, die aus dem Dickicht auf ihr Opfer spähen, oder Straßenräubern, die dem wehrlosen Wanderer am Wege auflauern. Der Psalmist aber zog seine Straße, ohne sich um sie zu kümmern, denn ihn beschäftigte etwas Besseres, nämlich die Zeugnisse, die Gott den Menschenkindern gegeben hat. Von seinem Forschen und Sinnen über Gottes Wort ließ er sich auch durch die Bosheit der Gottlosen nicht abbringen. Er war dabei innerlich so ruhig, so wenig aufgeregt, dass er seine Gedanken ganz gesammelt auf das richten konnte, was ihm seine liebste Beschäftigung war, und die Frömmigkeit war ihm so sehr Herzenssache, dass gerade die Zeugnisse des HERRN, seine heiligen Willenserklärungen, es waren, auf die er sein Augenmerk richtete. Das Gottvertrauen machte ihn so siegesgewiss, dass er sich durch alle die Ränke der Gottlosen in seiner Gemeinschaft mit dem HERRN und seinem Worte nicht stören ließ. Wenn der Feind es nicht fertig bringt, unsere Gedanken von der Beschäftigung mit heiligen Dingen abzuziehen noch unsere Herzen von heiligem Wollen, dann sind alle seine Angriffe wahrlich von wenig Erfolg.
Die Gottlosen sind die geborenen Feinde heiliger Menschen und heiliger Gedanken; vermöchten sie es, so würden sie uns nicht nur allen erdenklichen Schaden zufügen, sondern uns ganz und gar umbringen. Und gelingt ihnen das heute nicht, dann lauern sie auf andere Gelegenheiten, stets hoffend, dass ihre bösen Anschläge doch noch einmal erfolgreich sein werden. Bis jetzt war aber all ihr Warten vergeblich, und das Harren und Lauern wird ihnen noch lang werden; denn wenn wir von ihrer Feindschaft so wenig berührt werden, dass wir ihnen nicht einmal einen Gedanken zuwenden, dann muss es um ihre Aussicht, uns verderben zu können, armselig bestellt sein.
Von zweierlei Beharrlichkeit handelt unser Vers - von dem Ausharren der Gottlosen, die lange mit gespanntester Aufmerksamkeit auf eine Gelegenheit lauern, den Frommen umzubringen, und sodann von dem Ausharren des Gottesknechtes, der sich von seinen andächtigen Betrachtungen nicht abziehen lässt, selbst nicht, um seinen Feinden nachzuspüren und ihnen das Handwerk zu legen. Wie doch der Same der Schlange auf der Lauer liegt, gleich der Natter, die dem Pferd des Reisenden in die Ferse sticht. Aber die Auserwählten Gottes sind vor ihren Giftzähnen sicher und achten ihrer so wenig, als ob sie überhaupt gar nicht vorhanden wären.
96. Ich habe aller Dinge (oder: aller Vollkommenheit) ein Ende gesehen. Alles Irdische hat seine Grenze, über die es nicht kommen kann. Es ist noch kein Baum in den Himmel gewachsen. Die stolzesten Reiche stürzen, auf ihrem Höhepunkt angelangt, wieder zusammen. Alle Weisheit der Philosophen endete in der Erkenntnis, dass wir nichts wissen können. Auch unsere modernen Riesenfernrohre können nicht ins Endlose wachsen, denn werden sie zu groß, so kann man überhaupt nichts mehr mit ihnen sehen, weil die Bewegung der Luft sichtbar wird und sich als Schleier vor das Auge breitet. So geht es auf allen Gebieten. Auch die Grenze aller Vollkommenheit des Menschen hatte der Psalmist gesehen; sie reicht gar wenig weit, denn sie hält nicht aus unter den Anfechtungen des Lebens, sie verträgt nicht den forschenden Blick der Wahrheit, sie bricht zusammen unter dem Bekenntnis des reuigen Sünders. Es gibt nichts Vollkommenes unter der Sonne. Vollkommene Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes leben nur in einer vollkommenen Welt. Es gibt freilich manche, die von ihrer eigenen Vollkommenheit kein Ende sehen, aber das kommt eben daher, dass sie vollkommen blind sind. Der erfahrene Gläubige sieht ein Ende aller Vollkommenheit bei sich sowohl wie bei seinen Brüdern, auch bei den besten Werken der besten Menschen. Es wäre manchen, die auf Vollkommenheit Anspruch erheben, zu wünschen, dass sie nur wenigstens den Anfang derselben gesehen hätten; denn wir haben allen Grund zu fürchten, ihr Anfang sei nicht richtiger Art gewesen, sonst würden sie nicht solch anmaßende Reden führen. Ist es nicht der Anfang der Vollkommenheit, dass wir über unsere Unvollkommenheit trauern? Es gibt keine Vollkommenheit in Menschenwerk und Menschenleben.
Aber dein Gebot währet (wörtl.: es ist unbegrenzt). Es erstreckt sich auf alle Gebiete und hat ewige Dauer. Wem die so umfassenden und unbegrenzt gültigen Forderungen des Gesetzes erst zum Bewusstsein gekommen sind, dem schwindet jeder Gedanke an menschliche Vollkommenheit. Dieses Gesetz umfasst jede Handlung, jedes Wort, jeden Gedanken und ist also geistiger Natur, da es alle die Beweggründe, die Wünsche und geheimsten Regungen der Seele vor seinen Richterstuhl zieht. Es stellt uns eine Vollkommenheit vor Augen, die unsere Unterlassungen ebenso wie unsere Übertretungen verdammt, die auch jeden Gedanken als Wahn erweist, wir könnten Mängel auf einem Gebiet durch desto größeren Eifer auf einem andern ausgleichen. Was Gott nach seinem Worte unter Vollkommenheit versteht, das reicht so weit, dass wir nie hoffen können, seinem ganzen Umfang gerecht zu werden, und doch gehen Gottes Forderungen nicht weiter, als sie gehen müssen. Wer möchte sich ein unvollkommenes Gesetz wünschen? Nein, seine Vollkommenheit ist sein Ruhm, aber dabei der Tod alles Ruhmes menschlicher Vollkommenheit. Das Gesetz hat einen Umfang, eine Ausdehnung nach Länge und Breite, nach Tiefe und Höhe, wie sie auch nur in annäherndem Maße von der Heiligkeit irgendeines Menschen, solange er hienieden weilt, noch nie erreicht worden ist; nur in Jesu sehen wir sie vollkommen verwirklicht. Das Sittengesetz, in den zehn Geboten uns gegeben, ist ein in jeder Hinsicht vollkommener Gesetzeskodex; jedes einzelne Gebot hat einen unermesslichen Umfang heiliger Bedeutung, und die sämtlichen zehn umfassen alles in sich, keine Lücke lassend, mit der unseren Leidenschaften ein Spielraum frei bliebe. Wohl mögen wir die Unendlichkeit der göttlichen Heiligkeit anbeten und dann uns an dem von ihr aufgestellten Maßstabe messen und uns in tiefer Demut vor dem HERRN beugen in der Erkenntnis, wie weit wir noch davon entfernt sind.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 89-96. Das achtfache l (L): Ohne das ewige, feste, machtvolle Wort Gottes würde er verzagen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
89. Lebendig in Ewigkeit ist Jehovah -
Dein Wort steht fest im Himmel.
90. Langwährend von Geschlecht zu Geschlecht ist deine Treue;
Du hast die Erde gegründet, und sie steht fest.
91. Laut deinen Ordnungen stehen sie noch heute,
Denn alles ist dir dienstbar.
92. Längst wäre ich umgekommen in meinem Elende,
Wenn dein Gesetz nicht mein Ergötzen wäre.
93. Lebenslang werde ich deine Befehle nicht vergessen,
Denn durch sie belebst du mich.
94. Lass mir Hilfe widerfahren, denn ich bin dein;
Deine Befehle suche ich.
95. Lauernd warten auf mich Frevler, mich zu verderben;
Auf deine Verordnungen merke ich.
96. Lauter Vergänglichkeit sah ich aller Dinge,
Unendlich ist dein Gebot. - E. R. 1907.
Die Schilderung der Pilgerleiden des andächtigen Beters hat ihren Höhepunkt erreicht. Wir stehen im Mittelpunkt des Psalms, und der Faden, der das Bisherige verknüpfte, wird hier mit einem Male abgebrochen. Der Inhalt der elf ersten Abschnitte war: Bis hierher hat mich der HERR gebracht; soll es nun dahin kommen, dass ich zugrunde gehe? Die elf folgenden Abschnitte geben die Antwort: Des HERRN Wort wandelt sich nicht; der HERR wird für mich vollführen das Werk, das er angefangen hat. Jos. Franz Thrupp 1860.
V. 89. Dieser Vers wird meist als Ausdruck eines einzigen Gedankens aufgefasst und danach übersetzt. Das hebräische Zeichen bei dem Worte Jehovah zeigt aber, dass wir zwei zu trennende Vershälften haben, die eine, welche die Ewigkeit Gottes, die andere, welche die Beständigkeit und Dauer seines Wortes ausspricht. Also: 1) Der HERR ist ewig(oder: Du, HERR, bist ewig), und 2) Dein Wort steht fest im Himmel. So übersetzen z. B. die Peschito und manche spätere; und so passt dieser Vers auch besser zum folgenden, wie ein Vergleich der parallelen Hälften ergibt: HERR du bist ewig - deine Treue währet für und für, welche Gedanken sich völlig entsprechen; und ebenso: Dein Wort steht fest im Himmel - du hast die Erde zugerichtet, und sie bleibt stehen. Es wird hier von dem Gedanken abgegangen, dass wie Gott, so auch sein Wort ewig und unvergänglich ist, und dass diese Unvergänglichkeit ihren Ausdruck findet droben am Himmel und hier unten auf Erden; dort in der ständigen Bewegung der Himmelskörper, hier in der Unveränderlichkeit und Dauer der Erde; dass gleichwie sein Wort fest im Himmel steht, so auch seine Treue und Wahrheit auf Erden, wenn auch hier die Leiden und Anfechtungen der Frommen dem zu widersprechen scheinen. Thomas Manton † 1677.
Auf ewig, HERR, ist dein Wort festgestellt im Himmel. Wenn wir auf Gottes Verheißungswort blicken, wie es in unseren unbefestigten, unruhigen Herzen ist, so bilden wir uns ein, es sei ebenso geneigt, hin und her zu schwanken, wie dies mit unserem Herzen der Fall ist; gerade wie das Spiegelbild der Sonne oder des Mondes im Wasser genauso zittert wie das Wasser, auf das es scheint. Aber mögen sie hienieden dem Anschein nach noch so sehr schwanken, dennoch wandeln Sonne und Mond in fester Bahn am Himmel. Und ob unser Herz mit seinem Kleinglauben noch so sehr versucht ist, an der Verheißung zu zweifeln, ja ob unser Unglaube uns glauben macht, die Verheißung sei ganz schwankend, so ist Gottes Wort dennoch fest, wenn nicht in unseren Herzen, so doch im Himmel, und zwar dort auf ewig, so fest wie der Himmel selbst; ja fester noch, denn Himmel und Erde mögen zergehen, aber nicht der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetze, und ebenso wenig vom Evangelium. Anthony Tuckney † 1670.
V. 90. Deine Wahrheit währet für und für. Du hast die Erde zugerichtet, und sie bleibt stehen. Von der Festigkeit und Dauer des Himmels hat der Psalmist auf die Gewissheit des göttlichen Wortes geschlossen, und nun findet er das bestätigt durch die Betrachtung des festen Bestandes der Erde. Da der durch das Wort gelegte Grund der Erde so fest steht, müssen wir da nicht zu dem Schlusse kommen, dass der Grund unserer Erlösung, der in Jesu Christo gelegt ist, noch viel sicherer ist? Wenn uns das Geschaffene auch nicht den Weg unserer Erlösung zeigen kann (den können wir nur aus dem Worte Gottes lernen), so bestätigt uns die Natur doch, was das Wort uns gelehrt hat: "So spricht der HERR, der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne nach ihrem Lauf der Nacht zum Licht; der das Meer bewegt, dass seine Wellen brausen; HERR Zebaoth ist sein Name: Wenn solche Ordnungen vergehen vor mir, spricht der HERR, so soll auch aufhören der Same Israels, dass er nicht mehr ein Volk vor mir sei ewiglich." (Jer. 31,35.36) William Cowper † 1619.
V. 91. Nach deinen Ordnungen stehen sie bis heute. (Grundtext) Wo wäre ein Werk unseres Gottes zu finden, da nicht die wundervollste Ordnung regierte? Denke doch nur an die regelmäßige Wiederkehr der Jahreszeiten, denke an die Sterne, wie sie in erhabener Ruhe ihre gewaltigen Bahnen dahin wandeln, einem großen Gesetze der Einheit und Zusammengehörigkeit folgend. "Vermagst du die Bande der Plejaden zu knüpfen oder die Fesseln des Orion zu lösen? Führst du die Tierkreisbilder heraus zu ihrer Zeit, und leitest du den Bär samt seinen Jungen?" (Hiob 38,31.32) Hebe deine Augen auf in strahlender Sternennacht, hinaus zu dem Himmelsgewölbe mit seinen zahllosen Lichtern - Welten an Welten gehäuft, und dabei diese stolze schweigende Majestät! Kein Missklang stört die holde Harmonie, trotz der unfassbaren Geschwindigkeit, mit der sie ihre vielfach verschlungenen Bahnen durcheilen. J. R. Macduff 1862.
Nach deinen Ordnungen steht es noch heute. Der Mensch vermag wohl eine Pflanze zugrunde zu richten, er kann sie aber nicht zwingen, von den Gesetzen abzuweichen, die der Schöpfer ihr gegeben. Will der Mensch sich ein Gewächs dienstbar machen, so muss er seine Lebensbedingungen erforschen und sie genau berücksichtigen. Der stolzeste Wille muss da vor dem geringsten Pflänzchen zu seinen Füßen Halt machen und sich den ihm anerschaffenen Lebensgesetzen fügen. Versuche es, eine rankende Bohnenpflanze zu zwingen, dass sie in der entgegengesetzten Richtung wachse; sie wird ruhig, aber unaufhaltsam, in der ihr natürlichen, mit dem Sonnenlicht gehenden Bahn voranschreiten. Vergeblich bemühst du dich, den heimischen Rasen in den heißen Himmelsstrichen zu erzielen oder die Dattelpalme in unseren Gärten zum Fruchttragen zu bringen; der Reis will nur auf bewässertem Boden gedeihen, und der Baumwollstrauch weigert dir sein schneeiges Vlies, wo er vom Regen getroffen wird. Es ist noch nie gelungen, die Königin der Nacht, die ihre wunderbare Pracht und ihren süßen Duft nur für wenige Nachtstunden entfaltet und bei Tagesanbruch schon welk und unscheinbar nichts mehr von den Wundern der Nacht ahnen lässt, dahin zu bringen, ihre Herrlichkeit dem Tageslichte zu offenbaren. Was ist doch der Grund solch starren Festhaltens an der einmal angenommenen Gewohnheit? Der Psalmist nennt ihn uns: Der HERR hat ihnen diese Ordnungen gegeben, dass sie nicht anders gehen dürfen, denn ihm ist alles untertan. Der eigenwillige Mensch wagt es, seinem Schöpfer Trotz zu bieten; die ganze Natur dient seinem Willen. Wohl uns, dass sie nicht unserem Beispiele folgt, dass noch immer Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht aufeinander folgen ohne Aufhören, dass das unscheinbarste Gras und der stolzeste Baum noch heute ohne Widerspruch den Gesetzen untertan sind, die der HERR am dritten Schöpfungstage ihnen gegeben. Welch traurigen Gegensatz dazu bildet doch die Krone der Schöpfung, der Mensch, dem der HERR den herrlichen Leib, den reichen Geist, die unsterbliche Seele verliehen, und der im wahnsinnigen Gebahren diese ihm vom HERRN verliehenen Güter verdirbt, indem er sie zu Zwecken missbraucht, die ihrer Bestimmung schnurstracks zuwider laufen. James Neil 1879.
Die Geschöpfe Gottes befolgen jedoch nicht nur die Gesetze, denen der HERR sie in jenen denkwürdigen ersten sechs Tagen unterworfen, sie sind ihm untertan und dienen ihm, auch wenn er ihnen Dinge auferlegt, die ihrer Natur entgegen sind. Er braucht nur ein Wort zu sagen, so legt sich der grimmige Löwe friedlich zu den Füßen seines zitternden Opfers nieder, das verzehrende Feuer, die wilden Wasser halten ein in ihrem Wüten, die Sonne steht still auf ihrer Bahn und harrt, bis das Volk Gottes seine Feinde überwunden. Stephen Charnock † 1680.
V. 89-96. Das achtfache l (L): Ohne das ewige, feste, machtvolle Wort Gottes würde er verzagen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
89. Lebendig in Ewigkeit ist Jehovah -
Dein Wort steht fest im Himmel.
90. Langwährend von Geschlecht zu Geschlecht ist deine Treue;
Du hast die Erde gegründet, und sie steht fest.
91. Laut deinen Ordnungen stehen sie noch heute,
Denn alles ist dir dienstbar.
92. Längst wäre ich umgekommen in meinem Elende,
Wenn dein Gesetz nicht mein Ergötzen wäre.
93. Lebenslang werde ich deine Befehle nicht vergessen,
Denn durch sie belebst du mich.
94. Lass mir Hilfe widerfahren, denn ich bin dein;
Deine Befehle suche ich.
95. Lauernd warten auf mich Frevler, mich zu verderben;
Auf deine Verordnungen merke ich.
96. Lauter Vergänglichkeit sah ich aller Dinge,
Unendlich ist dein Gebot. - E. R. 1907.
Die Schilderung der Pilgerleiden des andächtigen Beters hat ihren Höhepunkt erreicht. Wir stehen im Mittelpunkt des Psalms, und der Faden, der das Bisherige verknüpfte, wird hier mit einem Male abgebrochen. Der Inhalt der elf ersten Abschnitte war: Bis hierher hat mich der HERR gebracht; soll es nun dahin kommen, dass ich zugrunde gehe? Die elf folgenden Abschnitte geben die Antwort: Des HERRN Wort wandelt sich nicht; der HERR wird für mich vollführen das Werk, das er angefangen hat. Jos. Franz Thrupp 1860.
V. 89. Dieser Vers wird meist als Ausdruck eines einzigen Gedankens aufgefasst und danach übersetzt. Das hebräische Zeichen bei dem Worte Jehovah zeigt aber, dass wir zwei zu trennende Vershälften haben, die eine, welche die Ewigkeit Gottes, die andere, welche die Beständigkeit und Dauer seines Wortes ausspricht. Also: 1) Der HERR ist ewig(oder: Du, HERR, bist ewig), und 2) Dein Wort steht fest im Himmel. So übersetzen z. B. die Peschito und manche spätere; und so passt dieser Vers auch besser zum folgenden, wie ein Vergleich der parallelen Hälften ergibt: HERR du bist ewig - deine Treue währet für und für, welche Gedanken sich völlig entsprechen; und ebenso: Dein Wort steht fest im Himmel - du hast die Erde zugerichtet, und sie bleibt stehen. Es wird hier von dem Gedanken abgegangen, dass wie Gott, so auch sein Wort ewig und unvergänglich ist, und dass diese Unvergänglichkeit ihren Ausdruck findet droben am Himmel und hier unten auf Erden; dort in der ständigen Bewegung der Himmelskörper, hier in der Unveränderlichkeit und Dauer der Erde; dass gleichwie sein Wort fest im Himmel steht, so auch seine Treue und Wahrheit auf Erden, wenn auch hier die Leiden und Anfechtungen der Frommen dem zu widersprechen scheinen. Thomas Manton † 1677.
Auf ewig, HERR, ist dein Wort festgestellt im Himmel. Wenn wir auf Gottes Verheißungswort blicken, wie es in unseren unbefestigten, unruhigen Herzen ist, so bilden wir uns ein, es sei ebenso geneigt, hin und her zu schwanken, wie dies mit unserem Herzen der Fall ist; gerade wie das Spiegelbild der Sonne oder des Mondes im Wasser genauso zittert wie das Wasser, auf das es scheint. Aber mögen sie hienieden dem Anschein nach noch so sehr schwanken, dennoch wandeln Sonne und Mond in fester Bahn am Himmel. Und ob unser Herz mit seinem Kleinglauben noch so sehr versucht ist, an der Verheißung zu zweifeln, ja ob unser Unglaube uns glauben macht, die Verheißung sei ganz schwankend, so ist Gottes Wort dennoch fest, wenn nicht in unseren Herzen, so doch im Himmel, und zwar dort auf ewig, so fest wie der Himmel selbst; ja fester noch, denn Himmel und Erde mögen zergehen, aber nicht der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetze, und ebenso wenig vom Evangelium. Anthony Tuckney † 1670.
V. 90. Deine Wahrheit währet für und für. Du hast die Erde zugerichtet, und sie bleibt stehen. Von der Festigkeit und Dauer des Himmels hat der Psalmist auf die Gewissheit des göttlichen Wortes geschlossen, und nun findet er das bestätigt durch die Betrachtung des festen Bestandes der Erde. Da der durch das Wort gelegte Grund der Erde so fest steht, müssen wir da nicht zu dem Schlusse kommen, dass der Grund unserer Erlösung, der in Jesu Christo gelegt ist, noch viel sicherer ist? Wenn uns das Geschaffene auch nicht den Weg unserer Erlösung zeigen kann (den können wir nur aus dem Worte Gottes lernen), so bestätigt uns die Natur doch, was das Wort uns gelehrt hat: "So spricht der HERR, der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne nach ihrem Lauf der Nacht zum Licht; der das Meer bewegt, dass seine Wellen brausen; HERR Zebaoth ist sein Name: Wenn solche Ordnungen vergehen vor mir, spricht der HERR, so soll auch aufhören der Same Israels, dass er nicht mehr ein Volk vor mir sei ewiglich." (Jer. 31,35.36) William Cowper † 1619.
V. 91. Nach deinen Ordnungen stehen sie bis heute. (Grundtext) Wo wäre ein Werk unseres Gottes zu finden, da nicht die wundervollste Ordnung regierte? Denke doch nur an die regelmäßige Wiederkehr der Jahreszeiten, denke an die Sterne, wie sie in erhabener Ruhe ihre gewaltigen Bahnen dahin wandeln, einem großen Gesetze der Einheit und Zusammengehörigkeit folgend. "Vermagst du die Bande der Plejaden zu knüpfen oder die Fesseln des Orion zu lösen? Führst du die Tierkreisbilder heraus zu ihrer Zeit, und leitest du den Bär samt seinen Jungen?" (Hiob 38,31.32) Hebe deine Augen auf in strahlender Sternennacht, hinaus zu dem Himmelsgewölbe mit seinen zahllosen Lichtern - Welten an Welten gehäuft, und dabei diese stolze schweigende Majestät! Kein Missklang stört die holde Harmonie, trotz der unfassbaren Geschwindigkeit, mit der sie ihre vielfach verschlungenen Bahnen durcheilen. J. R. Macduff 1862.
Nach deinen Ordnungen steht es noch heute. Der Mensch vermag wohl eine Pflanze zugrunde zu richten, er kann sie aber nicht zwingen, von den Gesetzen abzuweichen, die der Schöpfer ihr gegeben. Will der Mensch sich ein Gewächs dienstbar machen, so muss er seine Lebensbedingungen erforschen und sie genau berücksichtigen. Der stolzeste Wille muss da vor dem geringsten Pflänzchen zu seinen Füßen Halt machen und sich den ihm anerschaffenen Lebensgesetzen fügen. Versuche es, eine rankende Bohnenpflanze zu zwingen, dass sie in der entgegengesetzten Richtung wachse; sie wird ruhig, aber unaufhaltsam, in der ihr natürlichen, mit dem Sonnenlicht gehenden Bahn voranschreiten. Vergeblich bemühst du dich, den heimischen Rasen in den heißen Himmelsstrichen zu erzielen oder die Dattelpalme in unseren Gärten zum Fruchttragen zu bringen; der Reis will nur auf bewässertem Boden gedeihen, und der Baumwollstrauch weigert dir sein schneeiges Vlies, wo er vom Regen getroffen wird. Es ist noch nie gelungen, die Königin der Nacht, die ihre wunderbare Pracht und ihren süßen Duft nur für wenige Nachtstunden entfaltet und bei Tagesanbruch schon welk und unscheinbar nichts mehr von den Wundern der Nacht ahnen lässt, dahin zu bringen, ihre Herrlichkeit dem Tageslichte zu offenbaren. Was ist doch der Grund solch starren Festhaltens an der einmal angenommenen Gewohnheit? Der Psalmist nennt ihn uns: Der HERR hat ihnen diese Ordnungen gegeben, dass sie nicht anders gehen dürfen, denn ihm ist alles untertan. Der eigenwillige Mensch wagt es, seinem Schöpfer Trotz zu bieten; die ganze Natur dient seinem Willen. Wohl uns, dass sie nicht unserem Beispiele folgt, dass noch immer Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht aufeinander folgen ohne Aufhören, dass das unscheinbarste Gras und der stolzeste Baum noch heute ohne Widerspruch den Gesetzen untertan sind, die der HERR am dritten Schöpfungstage ihnen gegeben. Welch traurigen Gegensatz dazu bildet doch die Krone der Schöpfung, der Mensch, dem der HERR den herrlichen Leib, den reichen Geist, die unsterbliche Seele verliehen, und der im wahnsinnigen Gebahren diese ihm vom HERRN verliehenen Güter verdirbt, indem er sie zu Zwecken missbraucht, die ihrer Bestimmung schnurstracks zuwider laufen. James Neil 1879.
Die Geschöpfe Gottes befolgen jedoch nicht nur die Gesetze, denen der HERR sie in jenen denkwürdigen ersten sechs Tagen unterworfen, sie sind ihm untertan und dienen ihm, auch wenn er ihnen Dinge auferlegt, die ihrer Natur entgegen sind. Er braucht nur ein Wort zu sagen, so legt sich der grimmige Löwe friedlich zu den Füßen seines zitternden Opfers nieder, das verzehrende Feuer, die wilden Wasser halten ein in ihrem Wüten, die Sonne steht still auf ihrer Bahn und harrt, bis das Volk Gottes seine Feinde überwunden. Stephen Charnock † 1680.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 92. Die Lust am Worte Gottes ist das Mittel, das den durch Trübsal schwer bedrängten Frommen vor dem Untergange bewahrt. Das Wort ist seine Arznei in Krankheit, sein Labsal und sein Trost in der Todesstunde. Das Wort Gottes machte, dass Jakob den Mut nicht sinken ließ, als sein Bruder Esau ihm mit einem Heer von vierhundert Mann entgegen zog. Er hielt Gott sein Versprechen vor: Du hast gesagt: Ich will dir wohltun (1. Mose 32,13). Es hielt Josua aufrecht, dass er mutig die Kriege des HERRN führte, denn Gott hatte zu ihm gesagt: Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen (Jos. 1,5). Melanchthon erzählt, der Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen habe in Dresden gegen ihn geäußert, dass er nie die Leiden seiner langen Gefangenschaft hätte ertragen können, nisi habuisset consolationem verbo divino in suo corde, wenn er nicht Trost durch das göttliche Wort in seinem Herzen gehabt hätte. Edm. Calamy † 1666.
Dein Gesetz meine Lust in meinem Elende. Es war zur Zeit einer großen Teuerung in Schottland. Die Wohlhabenden wurden arm, und der Armen Los war äußerst traurig. Die Allerbedürftigsten erhielten von der Regierung täglich eine ganz kleine Summe Geldes, aber das reichte kaum zum Notwendigsten. Eine arme alte Frau, die eben die wenigen Pfennige dieser Unterstützung erhalten hatte, kam zum Krämer, um das Nötigste einzukaufen: für ein paar Pfennige Mehl, ein wenig Salz, eine Kleinigkeit von diesem und jenem. Ihre kleine Barschaft war nur zu schnell erschöpft. Nun legte sie den letzten Groschen auf den Ladentisch und sagte: "Jetzt möchte ich auch etwas für mein Vergnügen tun. Gebt mir ein wenig Öl, damit ich doch an den langen Abenden in meiner Bibel lesen kann, denn die ist doch mein einziger Trost." Und dabei leuchtete aus ihrem alten runzeligen, sorgenvollen Gesicht ein Strahl heiliger Freude. Alex Wallace 1853.
V. 93. Denn du erquickest mich damit. Der Geist, der erquickt und belebt, wirkt am liebsten durch das Wort. So ist wohl das Wort Gottes das Mittel, aber die segensreiche Wirkung rührt von Gott selbst her: Du erquickst, belebst mich damit. Solche Erquickung kann nur von der wahren Lebensquelle kommen. Die Belebung nun kann eine doppelte sein, einmal wenn wir vom Tode zum Leben erweckt werden, und sodann, wenn wir aus einem Zustande der Kälte und Erstarrung zu warmem lebendigem Dasein gerufen werden, so dass wir nicht bloß so dahinleben, sondern jetzt erst die rechte Freude am Leben haben, nach Christi gnädiger Verheißung
(Joh. 10,11): Leben und volle Genüge. Dieses letztere Erquicken kann nun im höheren, geistlichen Sinne oder in einem niedrigeren, vom Trost im Unglück, verstanden werden, und so meint es der Psalmist wohl auch hier, nach V. 92. Als seinen Trost und Beistand hielt er denn das Wort wert sein Leben lang. Thomas Manton † 1677.
V. 94. Ich bin dein, hilf mir. Ich bin dein, darin ist ein dreifaches enthalten: Erstens ist es ein Gebot der Natur, was einen Vater geradezu zwingt, sich gegen sein Kind liebreich und hilfreich zu erweisen; und Gott selbst befolgt diese Gebote der Natur, die er gegeben, in viel vollkommenerem, herrlicherem Grade, als wir Menschen es vermögen: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen? Und ob sie seiner vergäße, so will ich dich doch nicht vergessen. Weiter: Wenn wir zu Gott sprechen: Ich bin dein, so berufen wir uns auf den Bund, den Gott mit uns gemacht: Bist du doch unser Vater. Denn Abraham weiß von uns nicht, und Israel kennt uns nicht; Du aber, HERR, bist unser Vater und unser Erlöser; von alters her ist das dein Name (Jes. 63,16). Zum Dritten: Wenn ein Mensch so mit Gott rechten kann, dass er ihm vorhält: Ich bin dein, darum musst du mir helfen, so wird sein Geist eine Fülle von Kraft und Stärkung damit empfangen, dass Gott nun umso mehr zu ihm sprechen wird: Auch ich bin dein. Wenn unsere Liebe zu Gott so groß ist, dass wir uns ihm zu eigen geben, wieviel mehr wird die Liebe Gottes ihn dazu treiben, sich ganz uns hinzugeben. Keine Braut kann dem Manne, den ihre Seele liebt, mit größerer Innigkeit bekennen: Ich bin dein, als die Seele eines Gerechten zum HERRN sagt: Ich bin dein. Denn das ist die Liebe der Dankbarkeit. Wer dessen eingedenk ist, wieviel an Dank er dem HERRN schuldet, der bekennt auch mit Freuden: Ich bin dein. So tun die Heiligen Gottes, und dasselbe spricht David mehr als zwanzigmal in diesem Psalm und im 116. aus, indem er sich einen Knecht Gottes nennt. - Wenn nun ein Mensch mit freudigem Herzen sprechen kann: Ich bin dein, dann folgt ganz von selbst der Ruf: Hilf mir. Denn solch ein Mensch ist ein Mensch des Gebetes, er steht in regem Verkehr mit dem HERRN, ruft ihn an und erhält Antwort. Jos. Symonds 1653.
Solang ich hier noch walle,
Soll dies mein Seufzer sein,
Ich sprech’ bei jedem Falle:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn ich am Morgen wache
Und schlafe abends ein,
Befehl’ ich Gott die Sache:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Geh’ ich an die Geschäfte,
Bitt’ ich, dass sie gedeihn,
Ihn um Verstand und Kräfte:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn ich in Leidenstagen
Bei seiner Rute wein’,
So will ich kindlich sagen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Will Satan mich berauben.
Und macht die Welt mir Pein,
Ruf’ ich getrost im Glauben:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Will sich mein Fleisch vergehen,
Betrogen von dem Schein,
So halt’ ich an mit Flehen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn mich die Sünden kränken,
So kann ich noch allein
An den Versöhner denken:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Fühl’ ich mich schwach zum Beten
Und ist mein Glaube klein,
Soll mich sein Geist vertreten:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Macht auch mein Herz mir grauen,
Der HERR sei nicht mehr mein,
So seufz’ ich voll Vertrauen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
In meinen letzten Stunden
Schätz’ ich mich heil und rein
Durch meines Heilands Wunden:
Er hilft mir, ich bin sein!
F. Hiller † 1769.
V. 95. Die Gottlosen lauern auf mich, dass sie mich umbringen. Zweierlei wirft der Psalmist seinen Gegnern hier vor: Den Eifer im Bösestun, dass sie auf alle Gelegenheiten lauern, um ihm zu schaden, und dann ihre unbarmherzige Grausamkeit, denn ihr Ziel ist, ihn umzubringen. Wir sehen darin, wie rastlos und unersättlich die Blutgier der Gottlosen den Frommen gegenüber ist. Daniels Errettung aus der Löwengrube war ein großes Wunder; aber kein geringeres Gotteswunder ist es, dass das Häuflein der Frommen, die Herde Christi, alltäglich behütet bleibt inmitten der Gottlosen, die wie ein Rudel reißender Wölfe nach dem Blute der Heiligen Gottes dürsten und nur darauf denken, wie sie die grausamen Gelüste ihres Herzens befriedigen und jene ganz verderben mögen. William Cowper † 1619.
V. 96. Ich habe aller Dinge (oder: aller Vollkommenheit) ein Ende gesehen. Das muss doch eine armselige Vollkommenheit sein, die man von Anfang bis zu Ende überblicken kann. Aber so sind alle Dinge, die der Mensch zu den Vollkommenheiten rechnet. David hatte genug davon zu erleben Gelegenheit gehabt. Mit leiblichen Augen hatte er gesehen, wie die Stärke Goliaths, die Geschwindigkeit Asahels (2. Samuel 2,18-23), die Klugheit Ahitophels, die Schönheit Absaloms zu Schanden wurden. Und mit seinem inneren Auge sah er das Ende aller menschlichen Vollkommenheit. Adam war nicht auf dem Wege geblieben, der zu der einzig wahren Vollkommenheit führt, die kein Ende hat; wie sollte auch nur eines seiner Kinder imstande sein, diesen verlassenen Weg zu finden und darauf zu wandeln? Abr. Wright † 1690.
Schon mit dem leiblichen Auge kann der Mensch das Ende vieler irdischen Vollkommenheit erblicken, von stolzen Geschlechtern, berühmten Schönheiten, blühender Jugend; mit dem inneren Auge der Seele aber schaut er noch viel mehr: das Ende aller Dinge. Da sieht er die Welt im Feuer vergehen und alle ihre Pracht und Herrlichkeit, ihren Stolz und ihren Ruhm, ihre Tapferkeit und Weisheit, ihre Zepter und Kronen, ihre Schätze und Güter zu Asche werden. Er sieht den Himmel entweichen wie ein zusammengerolltes Buch und die Elemente vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, verbrennen und all das Vollkommene, auf das die Menschen stolz waren, in Dampf und Rauch aufgehen. Ja, das Ende irdischer Dinge kann man leicht zu sehen bekommen, nie aber das Ende der göttlichen Gebote. Diese überleben sich nicht, sie sind auch unbegrenzt in ihrer Wirkung, sie sind unergründlich in ihrer tiefen Bedeutung. Ihr Bereich erstreckt sich auf jegliches Gebiet des menschlichen Daseins, bis in die Tiefen des Herzens, in seine verborgensten Falten und Winkel, es beansprucht Macht und Einfluss auf die innersten, geheimsten Regungen der Seele, es dringt durch, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Georg Swinnock † 1673.
V. 92. Die Lust am Worte Gottes ist das Mittel, das den durch Trübsal schwer bedrängten Frommen vor dem Untergange bewahrt. Das Wort ist seine Arznei in Krankheit, sein Labsal und sein Trost in der Todesstunde. Das Wort Gottes machte, dass Jakob den Mut nicht sinken ließ, als sein Bruder Esau ihm mit einem Heer von vierhundert Mann entgegen zog. Er hielt Gott sein Versprechen vor: Du hast gesagt: Ich will dir wohltun (1. Mose 32,13). Es hielt Josua aufrecht, dass er mutig die Kriege des HERRN führte, denn Gott hatte zu ihm gesagt: Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen (Jos. 1,5). Melanchthon erzählt, der Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen habe in Dresden gegen ihn geäußert, dass er nie die Leiden seiner langen Gefangenschaft hätte ertragen können, nisi habuisset consolationem verbo divino in suo corde, wenn er nicht Trost durch das göttliche Wort in seinem Herzen gehabt hätte. Edm. Calamy † 1666.
Dein Gesetz meine Lust in meinem Elende. Es war zur Zeit einer großen Teuerung in Schottland. Die Wohlhabenden wurden arm, und der Armen Los war äußerst traurig. Die Allerbedürftigsten erhielten von der Regierung täglich eine ganz kleine Summe Geldes, aber das reichte kaum zum Notwendigsten. Eine arme alte Frau, die eben die wenigen Pfennige dieser Unterstützung erhalten hatte, kam zum Krämer, um das Nötigste einzukaufen: für ein paar Pfennige Mehl, ein wenig Salz, eine Kleinigkeit von diesem und jenem. Ihre kleine Barschaft war nur zu schnell erschöpft. Nun legte sie den letzten Groschen auf den Ladentisch und sagte: "Jetzt möchte ich auch etwas für mein Vergnügen tun. Gebt mir ein wenig Öl, damit ich doch an den langen Abenden in meiner Bibel lesen kann, denn die ist doch mein einziger Trost." Und dabei leuchtete aus ihrem alten runzeligen, sorgenvollen Gesicht ein Strahl heiliger Freude. Alex Wallace 1853.
V. 93. Denn du erquickest mich damit. Der Geist, der erquickt und belebt, wirkt am liebsten durch das Wort. So ist wohl das Wort Gottes das Mittel, aber die segensreiche Wirkung rührt von Gott selbst her: Du erquickst, belebst mich damit. Solche Erquickung kann nur von der wahren Lebensquelle kommen. Die Belebung nun kann eine doppelte sein, einmal wenn wir vom Tode zum Leben erweckt werden, und sodann, wenn wir aus einem Zustande der Kälte und Erstarrung zu warmem lebendigem Dasein gerufen werden, so dass wir nicht bloß so dahinleben, sondern jetzt erst die rechte Freude am Leben haben, nach Christi gnädiger Verheißung
(Joh. 10,11): Leben und volle Genüge. Dieses letztere Erquicken kann nun im höheren, geistlichen Sinne oder in einem niedrigeren, vom Trost im Unglück, verstanden werden, und so meint es der Psalmist wohl auch hier, nach V. 92. Als seinen Trost und Beistand hielt er denn das Wort wert sein Leben lang. Thomas Manton † 1677.
V. 94. Ich bin dein, hilf mir. Ich bin dein, darin ist ein dreifaches enthalten: Erstens ist es ein Gebot der Natur, was einen Vater geradezu zwingt, sich gegen sein Kind liebreich und hilfreich zu erweisen; und Gott selbst befolgt diese Gebote der Natur, die er gegeben, in viel vollkommenerem, herrlicherem Grade, als wir Menschen es vermögen: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen? Und ob sie seiner vergäße, so will ich dich doch nicht vergessen. Weiter: Wenn wir zu Gott sprechen: Ich bin dein, so berufen wir uns auf den Bund, den Gott mit uns gemacht: Bist du doch unser Vater. Denn Abraham weiß von uns nicht, und Israel kennt uns nicht; Du aber, HERR, bist unser Vater und unser Erlöser; von alters her ist das dein Name (Jes. 63,16). Zum Dritten: Wenn ein Mensch so mit Gott rechten kann, dass er ihm vorhält: Ich bin dein, darum musst du mir helfen, so wird sein Geist eine Fülle von Kraft und Stärkung damit empfangen, dass Gott nun umso mehr zu ihm sprechen wird: Auch ich bin dein. Wenn unsere Liebe zu Gott so groß ist, dass wir uns ihm zu eigen geben, wieviel mehr wird die Liebe Gottes ihn dazu treiben, sich ganz uns hinzugeben. Keine Braut kann dem Manne, den ihre Seele liebt, mit größerer Innigkeit bekennen: Ich bin dein, als die Seele eines Gerechten zum HERRN sagt: Ich bin dein. Denn das ist die Liebe der Dankbarkeit. Wer dessen eingedenk ist, wieviel an Dank er dem HERRN schuldet, der bekennt auch mit Freuden: Ich bin dein. So tun die Heiligen Gottes, und dasselbe spricht David mehr als zwanzigmal in diesem Psalm und im 116. aus, indem er sich einen Knecht Gottes nennt. - Wenn nun ein Mensch mit freudigem Herzen sprechen kann: Ich bin dein, dann folgt ganz von selbst der Ruf: Hilf mir. Denn solch ein Mensch ist ein Mensch des Gebetes, er steht in regem Verkehr mit dem HERRN, ruft ihn an und erhält Antwort. Jos. Symonds 1653.
Solang ich hier noch walle,
Soll dies mein Seufzer sein,
Ich sprech’ bei jedem Falle:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn ich am Morgen wache
Und schlafe abends ein,
Befehl’ ich Gott die Sache:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Geh’ ich an die Geschäfte,
Bitt’ ich, dass sie gedeihn,
Ihn um Verstand und Kräfte:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn ich in Leidenstagen
Bei seiner Rute wein’,
So will ich kindlich sagen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Will Satan mich berauben.
Und macht die Welt mir Pein,
Ruf’ ich getrost im Glauben:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Will sich mein Fleisch vergehen,
Betrogen von dem Schein,
So halt’ ich an mit Flehen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Wenn mich die Sünden kränken,
So kann ich noch allein
An den Versöhner denken:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Fühl’ ich mich schwach zum Beten
Und ist mein Glaube klein,
Soll mich sein Geist vertreten:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
Macht auch mein Herz mir grauen,
Der HERR sei nicht mehr mein,
So seufz’ ich voll Vertrauen:
HERR, hilf mir, ich bin dein!
In meinen letzten Stunden
Schätz’ ich mich heil und rein
Durch meines Heilands Wunden:
Er hilft mir, ich bin sein!
F. Hiller † 1769.
V. 95. Die Gottlosen lauern auf mich, dass sie mich umbringen. Zweierlei wirft der Psalmist seinen Gegnern hier vor: Den Eifer im Bösestun, dass sie auf alle Gelegenheiten lauern, um ihm zu schaden, und dann ihre unbarmherzige Grausamkeit, denn ihr Ziel ist, ihn umzubringen. Wir sehen darin, wie rastlos und unersättlich die Blutgier der Gottlosen den Frommen gegenüber ist. Daniels Errettung aus der Löwengrube war ein großes Wunder; aber kein geringeres Gotteswunder ist es, dass das Häuflein der Frommen, die Herde Christi, alltäglich behütet bleibt inmitten der Gottlosen, die wie ein Rudel reißender Wölfe nach dem Blute der Heiligen Gottes dürsten und nur darauf denken, wie sie die grausamen Gelüste ihres Herzens befriedigen und jene ganz verderben mögen. William Cowper † 1619.
V. 96. Ich habe aller Dinge (oder: aller Vollkommenheit) ein Ende gesehen. Das muss doch eine armselige Vollkommenheit sein, die man von Anfang bis zu Ende überblicken kann. Aber so sind alle Dinge, die der Mensch zu den Vollkommenheiten rechnet. David hatte genug davon zu erleben Gelegenheit gehabt. Mit leiblichen Augen hatte er gesehen, wie die Stärke Goliaths, die Geschwindigkeit Asahels (2. Samuel 2,18-23), die Klugheit Ahitophels, die Schönheit Absaloms zu Schanden wurden. Und mit seinem inneren Auge sah er das Ende aller menschlichen Vollkommenheit. Adam war nicht auf dem Wege geblieben, der zu der einzig wahren Vollkommenheit führt, die kein Ende hat; wie sollte auch nur eines seiner Kinder imstande sein, diesen verlassenen Weg zu finden und darauf zu wandeln? Abr. Wright † 1690.
Schon mit dem leiblichen Auge kann der Mensch das Ende vieler irdischen Vollkommenheit erblicken, von stolzen Geschlechtern, berühmten Schönheiten, blühender Jugend; mit dem inneren Auge der Seele aber schaut er noch viel mehr: das Ende aller Dinge. Da sieht er die Welt im Feuer vergehen und alle ihre Pracht und Herrlichkeit, ihren Stolz und ihren Ruhm, ihre Tapferkeit und Weisheit, ihre Zepter und Kronen, ihre Schätze und Güter zu Asche werden. Er sieht den Himmel entweichen wie ein zusammengerolltes Buch und die Elemente vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, verbrennen und all das Vollkommene, auf das die Menschen stolz waren, in Dampf und Rauch aufgehen. Ja, das Ende irdischer Dinge kann man leicht zu sehen bekommen, nie aber das Ende der göttlichen Gebote. Diese überleben sich nicht, sie sind auch unbegrenzt in ihrer Wirkung, sie sind unergründlich in ihrer tiefen Bedeutung. Ihr Bereich erstreckt sich auf jegliches Gebiet des menschlichen Daseins, bis in die Tiefen des Herzens, in seine verborgensten Falten und Winkel, es beansprucht Macht und Einfluss auf die innersten, geheimsten Regungen der Seele, es dringt durch, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Georg Swinnock † 1673.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
97.
Wie habe ich dein Gesetz so lieb!
Täglich rede ich davon.
98.
Du machst mich mit deinem Gebot weiser, als meine Feinde sind;
denn es ist ewiglich mein Schatz.
99.
Ich bin gelehrter denn alle meine Lehrer;
denn deine Zeugnisse sind meine Rede.
100.
Ich bin klüger denn die Alten;
denn ich halte deine Befehle.
101.
Ich wehre meinem Fuß alle böse Wege,
dass ich dein Wort halte.
102.
Ich weiche nicht von deinen Rechten;
denn Du lehrest mich.
103.
Dein Wort ist meinem Mund
süßer denn Honig.
104.
Dein Wort macht mich klug;
darum hasse ich alle falschen Wege.
97. Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Ein Ausruf, der ihm frisch aus dem Herzen sprudelt. Seine Liebe ist so gewaltig, dass er ihr Ausdruck verleihen muss, und doch merkt er bei dem Versuch, sie in Worte zu fassen, dass dies eigentlich unmöglich ist; darum der Ausruf: O wie liebe ich dein Gesetz! Wir empfinden nicht nur heilige Ehrfurcht vor Gottes Gesetz, wir lieben es auch; aus Liebe gehorchen wir ihm, und selbst wenn es uns züchtigt, so lieben wir es darum nicht weniger. Es ist Gottes Gesetz, darum gehört ihm unsere Liebe. Wir lieben es um seiner Heiligkeit willen und sehnen uns danach, ebenso heilig zu sein; wir lieben es um seiner Weisheit willen und trachten danach, durch dasselbe weise zu werden; wir lieben es um seiner Vollkommenheit willen und begehren, ebenfalls vollkommen zu werden. Wer die Kraft des Evangeliums kennen gelernt hat, der sieht erst recht an dem Gesetz, nun wir es in Jesu erfüllt und verkörpert schauen, das unaussprechlich Liebenswerte. Den ganzen Tag (d. i. allezeit) ist es mein Sinnen. (Grundtext) Das war sowohl eine Folge seiner Liebe zu dem Gesetz als auch deren Ursache. Er sann über Gottes Wort nach, weil er es liebte, und je mehr er sich damit beschäftigte, desto lieber wurde es ihm. Er konnte nie davon genug bekommen, so brennend war seine Liebe zum Worte. Es wurde ihm nicht zu lang, den ganzen Tag damit umzugehen. Sein Morgengebet, seine Tagesgedanken, sein Abendlied, alles wurzelte in der Heiligen Schrift; ja selbst unter den irdischen Geschäften blieb doch sein Geist von dem Gesetz des HERRN erfüllt.
Von manchen Menschen gilt, dass die Bewunderung vor ihnen abnimmt, je mehr man sie genau kennen lernt; von Gottes Wort aber ist das Gegenteil wahr. Je vertrauter wir mit ihm werden, desto lieber gewinnen wir es, und je mehr deine Liebe zunimmt, umso vertrauter wird es dir werden, und umso größer auch dein Verlangen, noch tiefer ihm ins Herz zu dringen Wenn Gottes Gesetz und mein Sinnen den ganzen Tag miteinander verleben, dann ist das ein heiliger, seliger Tag, ein Tag des Herrn, an dem die Seele mit Gott lebt und die ganze Freude solcher Gemeinschaft genießt. Von allem andern wendete der Psalmist sich ab, hat er es doch soeben (V. 96) ausgesprochen, dass er aller irdischen Vollkommenheit ein Ende gesehen; desto mehr wandte er sich mit völligem Herzen dem ewigen, unermesslich weiten, tiefen und hohen Worte seines Gottes zu, bei ihm verweilte er fortan all sein Leben lang und nahm dadurch immer zu an Weisheit und Gottseligkeit.
98. Du machst mich mit deinem Gebot weiser, als meine Feinde sind. Die Gebote waren sein Lehrbuch, aber Gott war sein Lehrmeister.1 Der Buchstabe vermag uns wohl ein Wissen zu geben, aber der Geist des HERRN allein kann uns weise machen. Weisheit ist angewandtes Wissen. Solche Weisheit kommt uns auf dem Wege des Gehorsams: So jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei. Wir lernen nicht nur aus den Verheißungen sowie aus der Lehre der Schrift und der heiligen Geschichte, die sie uns bietet, sondern ebenso aus den Verordnungen und Geboten; ja aus ihnen gewinnen wir die nützlichste Lebensweisheit, auch solche, die uns am besten befähigt, unseren Gegnern die Spitze zu bieten. Ein heiliges Leben ist die höchste Weisheit und die beste Schutzwehr und Verteidigungswaffe. Unsere Gegner sind berühmt wegen ihrer Klugheit und Arglist, von ihrem Ahnherrn, der alten Schlange, an bis zu der jüngsten Otter, die eben aus dem Ei gekrochen ist, und es wäre ein vergebliches Unterfangen, es ihnen an List und heimlichen Ränken gleichtun zu wollen, denn die Kinder dieser Welt sind klüger denn die Kinder des Lichtes in ihrem Geschlecht. Wir müssen in eine andere Schule, zu einem anderen Lehrmeister gehen; dann werden wir durch Ehrlichkeit alle Hinterlist zu Schanden machen, durch einfältige Wahrheit auch die aufs feinste gesponnenen Ränke vernichten, durch freimütige Aufrichtigkeit alle Verleumdung unwirksam machen.
Ein durch und durch aufrichtiger, gerader Mensch, der keine krummen Wege kennt, ist für die schlauen Weltmenschen ein unbegreifliches Rätsel; sie vermuten bei ihm eine noch höhere Kunst der Schlauheit, die sie nicht durchschauen können, während er unbekümmert um alles, was sie von ihm denken und wider ihn ersinnen, seinen geraden Weg weiter geht und alle ihre Ränke zunichtemacht. Es bleibt dabei, dass Redlichkeit das Klügste ist. Wer von Gott unterwiesen ist, der besitzt eine Lebensweisheit, wie sie keine noch so scharfsinnige Bosheit verleihen kann; ohne Falsch wie die Tauben, ist ein solcher doch klüger als die klügste Schlange. Denn es ist ewiglich mein Schatz. Dieser Besitz kann nicht von ihm genommen werden, und er findet darin stets das, was er nötig hat, in jeder Lage, bei allen Gelegenheiten und Verlegenheiten. Diesen unerschöpflichen Schatz, aus dem wir Weisheit für dies Leben wie für das Seligwerden schöpfen können, lasst auch uns hochhalten und fleißig gebrauchen.
99. Ich bin gelehrter (klüger) denn alle meine Lehrer. Was der HERR ihn gelehrt, das hatte sich ihm draußen auf dem Kampfplatz des Lebens, wenn er seinen Feinden gegenüber stand, nützlich erwiesen; doch findet er es gleich wertvoll in den Zeiten stillen Studiums. Auf unsere Lehrer können wir uns nicht immer verlassen; ja auch nicht einem von ihnen dürfen wir blindlings folgen, denn vor Gott sind wir selbst verantwortlich für unsere Entscheidungen. Es gebührt uns daher bei unserer Lebensschifffahrt, unseren Kurs aufs genaueste auf der Karte des Wortes Gottes zu verfolgen, damit wir das Schiff zum sichern Hafen bringen können, selbst wenn auch der Lotse den Weg verloren hat. Sind unsere geistlichen Lehrer recht gesinnt, so werden sie sich nur freuen, wenn ihre Schüler sie übertreffen, und sie werden dann stets bereit sein, anzuerkennen, dass die Unterweisung des HERRN besser ist als alle Unterweisung, die sie uns bieten können. Schlichte Jünger des Herrn, die zu Jesu Füßen sitzen, sind oft in den göttlichen Dingen besser bewandert als mancher hochgelehrte Professor der Theologie. Denn deine Zeugnisse sind mein Sinnen. (Grundtext) Das ist die beste Weise, um zu guter Erkenntnis zu gelangen. Wir können die weisesten Lehrer hören und dabei doch unwissende Toren bleiben; vertiefen wir uns aber voll Heilsverlangens in das heilige Wort, dann müssen wir weise werden. In den Zeugnissen des HERRN ist mehr Weisheit als in aller Menschen Lehren zusammengenommen, selbst wenn sie in einer ungeheuren Bücherei vereinigt uns zur Verfügung ständen. Dies eine Buch wiegt die andern alle miteinander auf.
Der Psalmdichter spricht sich hier in aller Unbefangenheit über sich selber aus, denn Selbstüberhebung liegt ihm ferne. Wenn er von seinem Gelehrtsein, seiner Klugheit spricht, so will er damit das Gesetz und den HERRN erheben und preisen, nicht sich selber. Nicht eine Spur von Prahlerei ist in diesem kecken Wort, nur ein aufrichtiges, kindliches Begehren, die Trefflichkeit des Wortes Gottes ins Licht zu stellen. Wer sich die in der Heiligen Schrift gelehrten Wahrheiten angeeignet hat, macht sich nicht der Selbstüberschätzung schuldig, wenn er überzeugt ist, einen wertvolleren Wahrheitsbesitz zu haben als alle die Lehrer des vornehmen Zweifels, seien sie mit ihren Systemen schon begraben oder nicht, sie, die mit ihrem selbstgewählten Namen Agnostiker2 bekennen, dass sie vom letzten Grunde der Dinge nichts wissen.
Fußnoten
1. Es wird jedoch zu übersetzen sein. Dein Gebot macht mich weiser usw. Die Gebote (hebr. Mehrzahl) bilden ein geschlossenes Ganze, das Gesetz, daher das Zeitwort im Singular (3. Pers. fem.) und das )yh (es) im 2. Versglied.
2. Der Darwinist Prof. Huxley hat diesen Namen als Selbstbezeichnung seines Standpunktes geprägt. Nach ihm nennen sich so die vornehmeren naturwissenschaftlichen Skeptiker namentlich in England.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
100. Ich bin klüger (einsichtiger) als die Alten, denn ich halte deine Befehle. Die Alten, das sind die Bejahrten wie auch die Männer des Altertums3; sie alle hatte der frömmere, wenn auch noch jüngere Schüler überholt. Er war angeleitet worden, in Herz und Leben, in Gesinnung und Wandel die Befehle des HERRN zu beachten und einzuhalten, und das ist mehr, als der ehrwürdigste alte Sünder je gelernt, mehr als die Philosophen des Altertums je als erreichbares Ziel ihrer Wissenschaft aufzustellen gewagt oder auch nur zu erstreben begehrt hätten. Er hatte das Wort für sich, so überwand er seine Feinde; er forschte liebend darin, so überholte er seine Freunde; er handelte danach, so übertraf er selbst die Alten. Das aus der Heiligen Schrift geschöpfte Wissen ist nützlich in vielen Stücken, es erweist sich als vorzüglich in vieler Hinsicht, ja es steht überall und immer unerreicht da. Wie unsere Seele sich des HERRN rühmen darf, so können wir uns auch seines Wortes rühmen. "Es ist seinesgleichen nicht, gib mir’s" sagte David von Goliaths Schwert, und das Gleiche mögen wir von dem Worte Gottes sagen. Schätzen Menschen hohes Altertum wert, wohlan, hier haben sie es. Die Weisen der Vorzeit stehen in hohem Ansehen; aber was war all ihr Wissen im Vergleich zu demjenigen, das uns in den göttlichen Lehren und Rechten vor Augen tritt? Das Alte ist besser, sagt man wohl; ja, und das Allerälteste ist das Allerbeste, und was wäre älter als das Wort des "Alten", den Daniel auf seinem erhabenen Stuhle geschaut!
101. Ich wehre (wehrte) meinem Fuß alle böse Wege, dass ich dein Wort halte. Zum Aufsammeln eines heiligen Schatzes aus dem Worte Gottes kann es nicht kommen, es sei denn, dass zugleich alles Unheilige ausgefegt wird. Wollen wir das Gute haben, so müssen wir das Böse fahren lassen. Der Psalmist bewachte aufs sorgfältigste seine Schritte und hielt all sein Handeln in strenger Zucht; er hielt, wie er sich ausdrückt, seine Füße zurück. Kein böser Weg, welcher Art immer, durfte ihn verlocken, denn er wusste, dass er, wenn er auch nur einmal einen Seitenweg einschlug, er eben damit den Weg der Gerechtigkeit tatsächlich verließ; darum vermied er jeden falschen Schritt. Mancher Weg mochte dem Fuße einen weichen Rasenteppich bieten und das Auge mit leuchtenden Blumen locken; aber er wusste, dass alle Abwege vom Übel sind, darum wehrte er seinem Fuße und blieb auf der geraden, wenn auch rauen Straße, die zu Gott führt. Es gewährt uns nicht geringe Befriedigung, wenn wir wie der Psalmist auf Siege zurückschauen können, die wir über uns selbst errungen haben, und eine noch größere Freude ist es, wenn wir uns bewusst sind, dass wir dies nicht nur getan haben, um bei unseren Mitmenschen im Ansehen zu stehen, sondern mit der einfältigen Absicht, das Gebot des HERRN zu halten. Die Sünde meiden aus Gehorsam gegen Gott, das ist der Grundgedanke dieses Verses. Da fehlt es auch an der rechten Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, wo nicht volle Sorgfalt geübt wird, jede Übertretung ihrer Verordnungen zu vermeiden. Wie können wir Gottes Wort heilig halten, wenn wir nicht unser Tun und Handeln davor bewahren, dass es unheilig und schädlich wird?
102. Ich weiche (wich) nicht von deinen Rechten, denn Du lehrest (lehrtest, unterwiesest) mich. Wen Gott unterrichtet, der ist wohl unterwiesen. Was wir vom HERRN selbst lernen, das vergessen wir nie. Gottes Unterricht und Erziehung zeigen ihre Frucht im Leben: lehrt er uns seine Wege, so wandeln wir auf seinen Steigen (Jes. 2,3), und diese gute Wirkung ist dauernd: wir weichen nicht von seinen Rechten. Halten wir die zwei Verse, diesen und den vorhergehenden, gegeneinander, so hören wir, was der Liebhaber des göttlichen Wortes tut und was er nicht tut. Was er tut: er wehrt seinem Fuße, er hält ihn von dem zurück, was er sonst getan haben möchte, nämlich zu weichen von Gottes Rechtsordnungen. Wer sich davor hütet, auch nur einen Fuß breit vom rechten Wege abzuweichen, wird nie Gefahr laufen, sich zu verirren. Wer den berauschenden Becher nie anrührt, wird niemals trunken werden. Wer sich hütet, auch nur ein unnützes Wort zu reden, wird nie eine Lästerung begehen. Die geringste Abweichung aber ist gefährlich, weil wir nicht sagen können, wohin der Abweg uns schließlich führen wird. Der HERR bewirkt, dass wir in der Heiligkeit beharren, indem wir uns von den Anfängen der Sünde enthalten. Doch gleichviel, welcherlei Weise er dazu benutzt, er ist es, der in uns das Beharren bewirkt, und sein allein sei denn auch aller Ruhm davon.
103. Dein Wort ist meinem Munde süßer denn Honig. Genauer übersetzt lautet der Vers. Wie süß (eigentlich: wie glatt eingehend, wie einschmeichelnd, lieblich) sind meinem Gaumen deine Worte, mehr als Honig meinem Munde. Er hatte Gottes Wort nicht nur gehört, sondern gleichsam gegessen; sein Gaumen, sein Geschmackssinn, hatte ebenso damit zu tun wie sein Ohr. Gottes Worte sind zahlreich und mannigfaltig, und in ihrer Gesamtheit bilden sie das, was wir "das Wort" nennen. David liebte jedes Einzelne davon und sie alle als ein Ganzes; er schmeckte eine Süßigkeit an ihnen, so köstlich, dass es ihm an Worten zum vollen Ausdruck fehlte, er darum zunächst nur ausrufen kann: Wie süß sind sie! Eben weil es Gottes Worte sind, haben sie auch göttlichen Wohlgeschmack an sich, und der HERR, der ihnen diese Süßigkeit verliehen, hatte auch den inneren Geschmackssinn seines Knechtes dazu zubereitet, dass er diese ihre Süßigkeit wahrzunehmen und zu genießen imstande war. Auch die süßesten irdischen Genüsse stehen weit zurück hinter der unaussprechlichen Lieblichkeit des ewigen Wortes; selbst der Honig wird an Süße und Wohlgeschmack übertroffen von dem köstlichen Worte des HERRN. Der Psalmdichter unterscheidet hier nicht zwischen Verheißungen und Geboten, Lehrworten oder Mahnungen; alles dies ist in Gottes Wort enthalten, und alles dünkt ihn köstlich. Ach, dass auch wir solch eine tiefinnige Liebe haben mögen zu allem, was der HERR, welcher Art es auch sei, zu uns Menschen zu reden geruht hat!4
104. Dein Wort macht mich klug. Durch Gottes Weisungen werden wir einsichtige Leute. Der Gehorsam gegen Gottes Willen macht uns weise im Denken und im Handeln. Da Gottes Weg stets der beste ist, werden die, welche ihm folgen, am Ende durch den Ausgang gerechtfertigt erscheinen. Wäre der Gesetzgeber unweise, so würde sein Gesetz die gleiche Eigenschaft haben und uns in tausend Torheiten und Verlegenheiten stürzen; da jedoch gerade das Gegenteil der Fall ist, dürfen wir uns glücklich schätzen, solch ein weises, vorsorgliches und wohltätiges Gesetz zu unserer Lebensregel zu haben. Wir sind klug, wenn wir gehorchen, und wachsen an Weisheit durch das Gehorchen.
Darum hasse ich alle falschen Wege (jeden Lügenweg). Weil er Gottes Befehle zur Richtschnur seines Lebens hatte und weil er durch sie verständig geworden war, darum verabscheute er alle Sünde und Falschheit. Jede Sünde ist ein Betrug; wir sündigen, weil wir einer Lüge Glauben schenken. Doch zuletzt entlarvt sich das schmeichlerische Böse, und wir finden uns schmählich betrogen. Wahrhaftige Gemüter stehen der Falschheit nicht gleichgültig gegenüber, sondern entrüsten sich über sie; wie sie die Wahrheit lieben, so hassen sie die Lüge. Alle Gotteskinder haben einen Abscheu vor allem, was unwahr ist; sie können nichts Falsches und Gottloses ertragen, sie widerstehen allem Irrtum in der Lehre, aller Schlechtigkeit im Wandel. Wer eine Sünde liebt und hegt, der ist ein Bundesgenosse des ganzen großen Heeres, zu dem sie gehört. Wir dürfen auch nicht einen dieser Amalekiter schonen (1. Samuel 15,3), dürfen mit diesen Feinden keinen Waffenstillstand schließen, uns nicht in irgendwelche Unterhandlungen einlassen; denn der HERR hat Krieg mit Amalek auf ewige Zeiten (2. Mose 17,16), darum auch wir. Es ist etwas Gutes um einen rechten, echten Hass. Wieso das? Auch unsere schlimmsten Feinde sollen wir lieben, aber hassen alle falschen Wege. Der Weg des Eigenwillens, der Selbstgerechtigkeit, der Weltlust, des Stolzes, des Unglaubens, der Heuchelei, das alles sind falsche Wege, Lügenpfade; darum müssen wir sie nicht nur nicht betreten, sondern sie verabscheuen.
Dieser Schlussvers des Abschnitts offenbart einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung des Charakters des Psalmisten und lässt erkennen, dass der Mann Gottes an männlicher Kraft und Kühnheit und auch an innerer Ruhe und Freude zunimmt. Er ist vom HERRN unterwiesen worden, so dass er das Köstliche von dem Unedlen, Schnöden scheiden (vergl. Jer. 15,19 Grundtext) und die Geister prüfen kann, und wie er von brennender Liebe zur Wahrheit erfüllt ist, so glühend hasst er die Falschheit. Möchten wir alle doch zu solcher Urteilsfähigkeit und solcher Entschiedenheit gelangen, auf dass unser ganzes Verhalten zur Verherrlichung Gottes diene.
Fußnoten
3. Und die "Alten" im letzteren Sinne scheinen zwar auch das Targum u. a. zu denken. Das hebr. Wort (Greise) kann aber doch wohl nur auf die an Jahren Alten, die natürlichen Vertreter der Weisheit und Erfahrung, oder auf die "Ältesten" (Leiter) bezogen werden. Das andere würde wohl durch "Männer der Vorzeit" ausgedrückt sein. James Millard
4. Es mag nicht ohne Interesse sein, das Spurgeon den Vers unter schärferer Trennung seiner beiden Glieder folgendermaßen auffasst: Wie süß sind deine Worte meinem Gaumen! Ja süßer als Honig sind sie meinem Munde. Er denkt dann bei dem Munde an das Reden und findet somit in dem Vers eine Steigerung: "Als er das Wort nicht nur aß, sondern es auch redete, indem er andere darin unterwies, empfand er noch höheren Genuss an demselben. Als er sich an dem Worte nährte, fand er es süß; aber als er davon Zeugnis ablegte, ward es ihm noch süßer. Wie wohl werden auch wir daran tun, das Wort des HERRN sowohl selber zu kosten und zu genießen in stiller Betrachtung, als auch es im Munde zu führen in gläubigem Zeugnis. Es muss unserem Geschmack süß sein, wenn wir darüber denken, sonst wird es auch unserem Munde nicht süß sein, wenn wir davon sprechen". Ähnliche Gedanken finden wir schon bei Wolfgang Musculus, † 1563. Die Tautologie, welche z. B. Luther veranlasst hat, den Vers zu kürzen, fiele bei dieser Fassung allerdings weg; allein die Vergleichung mit dem Honig fordert, auch den Mund als Organ des Geschmackes, nicht der Rede aufzufassen, wie z. B. 1. Mose. 25,28. James Millard
101. Ich wehre (wehrte) meinem Fuß alle böse Wege, dass ich dein Wort halte. Zum Aufsammeln eines heiligen Schatzes aus dem Worte Gottes kann es nicht kommen, es sei denn, dass zugleich alles Unheilige ausgefegt wird. Wollen wir das Gute haben, so müssen wir das Böse fahren lassen. Der Psalmist bewachte aufs sorgfältigste seine Schritte und hielt all sein Handeln in strenger Zucht; er hielt, wie er sich ausdrückt, seine Füße zurück. Kein böser Weg, welcher Art immer, durfte ihn verlocken, denn er wusste, dass er, wenn er auch nur einmal einen Seitenweg einschlug, er eben damit den Weg der Gerechtigkeit tatsächlich verließ; darum vermied er jeden falschen Schritt. Mancher Weg mochte dem Fuße einen weichen Rasenteppich bieten und das Auge mit leuchtenden Blumen locken; aber er wusste, dass alle Abwege vom Übel sind, darum wehrte er seinem Fuße und blieb auf der geraden, wenn auch rauen Straße, die zu Gott führt. Es gewährt uns nicht geringe Befriedigung, wenn wir wie der Psalmist auf Siege zurückschauen können, die wir über uns selbst errungen haben, und eine noch größere Freude ist es, wenn wir uns bewusst sind, dass wir dies nicht nur getan haben, um bei unseren Mitmenschen im Ansehen zu stehen, sondern mit der einfältigen Absicht, das Gebot des HERRN zu halten. Die Sünde meiden aus Gehorsam gegen Gott, das ist der Grundgedanke dieses Verses. Da fehlt es auch an der rechten Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, wo nicht volle Sorgfalt geübt wird, jede Übertretung ihrer Verordnungen zu vermeiden. Wie können wir Gottes Wort heilig halten, wenn wir nicht unser Tun und Handeln davor bewahren, dass es unheilig und schädlich wird?
102. Ich weiche (wich) nicht von deinen Rechten, denn Du lehrest (lehrtest, unterwiesest) mich. Wen Gott unterrichtet, der ist wohl unterwiesen. Was wir vom HERRN selbst lernen, das vergessen wir nie. Gottes Unterricht und Erziehung zeigen ihre Frucht im Leben: lehrt er uns seine Wege, so wandeln wir auf seinen Steigen (Jes. 2,3), und diese gute Wirkung ist dauernd: wir weichen nicht von seinen Rechten. Halten wir die zwei Verse, diesen und den vorhergehenden, gegeneinander, so hören wir, was der Liebhaber des göttlichen Wortes tut und was er nicht tut. Was er tut: er wehrt seinem Fuße, er hält ihn von dem zurück, was er sonst getan haben möchte, nämlich zu weichen von Gottes Rechtsordnungen. Wer sich davor hütet, auch nur einen Fuß breit vom rechten Wege abzuweichen, wird nie Gefahr laufen, sich zu verirren. Wer den berauschenden Becher nie anrührt, wird niemals trunken werden. Wer sich hütet, auch nur ein unnützes Wort zu reden, wird nie eine Lästerung begehen. Die geringste Abweichung aber ist gefährlich, weil wir nicht sagen können, wohin der Abweg uns schließlich führen wird. Der HERR bewirkt, dass wir in der Heiligkeit beharren, indem wir uns von den Anfängen der Sünde enthalten. Doch gleichviel, welcherlei Weise er dazu benutzt, er ist es, der in uns das Beharren bewirkt, und sein allein sei denn auch aller Ruhm davon.
103. Dein Wort ist meinem Munde süßer denn Honig. Genauer übersetzt lautet der Vers. Wie süß (eigentlich: wie glatt eingehend, wie einschmeichelnd, lieblich) sind meinem Gaumen deine Worte, mehr als Honig meinem Munde. Er hatte Gottes Wort nicht nur gehört, sondern gleichsam gegessen; sein Gaumen, sein Geschmackssinn, hatte ebenso damit zu tun wie sein Ohr. Gottes Worte sind zahlreich und mannigfaltig, und in ihrer Gesamtheit bilden sie das, was wir "das Wort" nennen. David liebte jedes Einzelne davon und sie alle als ein Ganzes; er schmeckte eine Süßigkeit an ihnen, so köstlich, dass es ihm an Worten zum vollen Ausdruck fehlte, er darum zunächst nur ausrufen kann: Wie süß sind sie! Eben weil es Gottes Worte sind, haben sie auch göttlichen Wohlgeschmack an sich, und der HERR, der ihnen diese Süßigkeit verliehen, hatte auch den inneren Geschmackssinn seines Knechtes dazu zubereitet, dass er diese ihre Süßigkeit wahrzunehmen und zu genießen imstande war. Auch die süßesten irdischen Genüsse stehen weit zurück hinter der unaussprechlichen Lieblichkeit des ewigen Wortes; selbst der Honig wird an Süße und Wohlgeschmack übertroffen von dem köstlichen Worte des HERRN. Der Psalmdichter unterscheidet hier nicht zwischen Verheißungen und Geboten, Lehrworten oder Mahnungen; alles dies ist in Gottes Wort enthalten, und alles dünkt ihn köstlich. Ach, dass auch wir solch eine tiefinnige Liebe haben mögen zu allem, was der HERR, welcher Art es auch sei, zu uns Menschen zu reden geruht hat!4
104. Dein Wort macht mich klug. Durch Gottes Weisungen werden wir einsichtige Leute. Der Gehorsam gegen Gottes Willen macht uns weise im Denken und im Handeln. Da Gottes Weg stets der beste ist, werden die, welche ihm folgen, am Ende durch den Ausgang gerechtfertigt erscheinen. Wäre der Gesetzgeber unweise, so würde sein Gesetz die gleiche Eigenschaft haben und uns in tausend Torheiten und Verlegenheiten stürzen; da jedoch gerade das Gegenteil der Fall ist, dürfen wir uns glücklich schätzen, solch ein weises, vorsorgliches und wohltätiges Gesetz zu unserer Lebensregel zu haben. Wir sind klug, wenn wir gehorchen, und wachsen an Weisheit durch das Gehorchen.
Darum hasse ich alle falschen Wege (jeden Lügenweg). Weil er Gottes Befehle zur Richtschnur seines Lebens hatte und weil er durch sie verständig geworden war, darum verabscheute er alle Sünde und Falschheit. Jede Sünde ist ein Betrug; wir sündigen, weil wir einer Lüge Glauben schenken. Doch zuletzt entlarvt sich das schmeichlerische Böse, und wir finden uns schmählich betrogen. Wahrhaftige Gemüter stehen der Falschheit nicht gleichgültig gegenüber, sondern entrüsten sich über sie; wie sie die Wahrheit lieben, so hassen sie die Lüge. Alle Gotteskinder haben einen Abscheu vor allem, was unwahr ist; sie können nichts Falsches und Gottloses ertragen, sie widerstehen allem Irrtum in der Lehre, aller Schlechtigkeit im Wandel. Wer eine Sünde liebt und hegt, der ist ein Bundesgenosse des ganzen großen Heeres, zu dem sie gehört. Wir dürfen auch nicht einen dieser Amalekiter schonen (1. Samuel 15,3), dürfen mit diesen Feinden keinen Waffenstillstand schließen, uns nicht in irgendwelche Unterhandlungen einlassen; denn der HERR hat Krieg mit Amalek auf ewige Zeiten (2. Mose 17,16), darum auch wir. Es ist etwas Gutes um einen rechten, echten Hass. Wieso das? Auch unsere schlimmsten Feinde sollen wir lieben, aber hassen alle falschen Wege. Der Weg des Eigenwillens, der Selbstgerechtigkeit, der Weltlust, des Stolzes, des Unglaubens, der Heuchelei, das alles sind falsche Wege, Lügenpfade; darum müssen wir sie nicht nur nicht betreten, sondern sie verabscheuen.
Dieser Schlussvers des Abschnitts offenbart einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung des Charakters des Psalmisten und lässt erkennen, dass der Mann Gottes an männlicher Kraft und Kühnheit und auch an innerer Ruhe und Freude zunimmt. Er ist vom HERRN unterwiesen worden, so dass er das Köstliche von dem Unedlen, Schnöden scheiden (vergl. Jer. 15,19 Grundtext) und die Geister prüfen kann, und wie er von brennender Liebe zur Wahrheit erfüllt ist, so glühend hasst er die Falschheit. Möchten wir alle doch zu solcher Urteilsfähigkeit und solcher Entschiedenheit gelangen, auf dass unser ganzes Verhalten zur Verherrlichung Gottes diene.
Fußnoten
3. Und die "Alten" im letzteren Sinne scheinen zwar auch das Targum u. a. zu denken. Das hebr. Wort (Greise) kann aber doch wohl nur auf die an Jahren Alten, die natürlichen Vertreter der Weisheit und Erfahrung, oder auf die "Ältesten" (Leiter) bezogen werden. Das andere würde wohl durch "Männer der Vorzeit" ausgedrückt sein. James Millard
4. Es mag nicht ohne Interesse sein, das Spurgeon den Vers unter schärferer Trennung seiner beiden Glieder folgendermaßen auffasst: Wie süß sind deine Worte meinem Gaumen! Ja süßer als Honig sind sie meinem Munde. Er denkt dann bei dem Munde an das Reden und findet somit in dem Vers eine Steigerung: "Als er das Wort nicht nur aß, sondern es auch redete, indem er andere darin unterwies, empfand er noch höheren Genuss an demselben. Als er sich an dem Worte nährte, fand er es süß; aber als er davon Zeugnis ablegte, ward es ihm noch süßer. Wie wohl werden auch wir daran tun, das Wort des HERRN sowohl selber zu kosten und zu genießen in stiller Betrachtung, als auch es im Munde zu führen in gläubigem Zeugnis. Es muss unserem Geschmack süß sein, wenn wir darüber denken, sonst wird es auch unserem Munde nicht süß sein, wenn wir davon sprechen". Ähnliche Gedanken finden wir schon bei Wolfgang Musculus, † 1563. Die Tautologie, welche z. B. Luther veranlasst hat, den Vers zu kürzen, fiele bei dieser Fassung allerdings weg; allein die Vergleichung mit dem Honig fordert, auch den Mund als Organ des Geschmackes, nicht der Rede aufzufassen, wie z. B. 1. Mose. 25,28. James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 97-104. Das achtfache m (M): Der Dichter rühmt die Lebensweisheit, die das eben deshalb ihm so süße Wort Gottes darreicht.
97. Minniglich lieb hab’ ich dein Gesetz,
Den ganzen Tag ist es mein Sinnen.
98. Mehr als meine Feinde machen weise mich deine Gebote,
Denn auf ewig sind sie mein Teil.
99. Mehr als alle meine Lehrer bin ich einsichtig,
Denn deine Zeugnisse sind mir Ziel des Sinnens.
100. Mehr als Alte bin ich verständig,
Denn deine Ordnungen beachte ich.
101. Meiden allen bösen Pfad lass ich meine Füße,
Auf dass ich halte dein Wort.
102. Missachtend verlass ich deine Rechte nicht,
Denn du hast mich unterwiesen.
103. Meinem Gaumen, wie lieblich sind ihm deine Zusagen,
Mehr als Honig meinem Munde!
104. Mittelst deiner Ordnungen gewinn’ ich Einsicht,
Darum hass’ ich allen Lügenpfad.
Prof. Franz Delitzsch † 1890
V. 97. Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Der Psalmist hebt hier nicht hervor, dass er das Gesetz kenne oder darin lese, es anhöre, davon rede oder es äußerlich erfülle; hier ist nur von der Liebe zum Gesetz die Rede. Die bedeutet viel mehr als alles das andere. Jenes kann sehr wohl ohne die Liebe bestehen; man kann das Gesetz kennen, dasselbe hochschätzen, es mit einem gewissen Vergnügen hören und lernen, ja sogar es verkündigen, ohne es wirklich zu lieben. Aber das Umgekehrte ist nicht möglich; wo Liebe zum Gesetz vorhanden ist, da kann jenes andere nicht fehlen. Die Liebe ist das alles Beherrschende, wie eine Königin regiert sie; all jenes andere ist von ihr abhängig, selbst der Verstand mit seinem Urteil ist ihr oft untertan. Und die Richtung, die unsere Liebe nimmt, ob zum Guten oder zum Bösen, bestimmt alle übrigen Neigungen. Wir wollen aber an diesem Vers noch einige Punkte hervorheben. Der Psalmist sagt nicht: Wie sollte man dein Gesetz doch so lieb haben, sondern: Wie habe ich dein Gesetz so lieb. Und weiter heißt es nicht: Wie habe ich es so lieb gehabt, oder, wie will ich es so lieb haben, oder, wie würde ich es so lieb haben, wenn ich weiter vorgeschritten wäre. Nein, der Psalmist spricht von sich in der ersten Person und in der Gegenwart. Wie habe ich jetzt, so wie ich bin, dein Gesetz so lieb. Diese beiden Umstände sind für uns von Bedeutung. Ferner sagt er: Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Dieses Wie zeigt so recht den hohen Grad seiner Liebe. Es ist ein Ausruf, der aus tiefstem Herzen kommt; die Liebe zu Gottes Gesetz hat ihn so ganz gefangen genommen, dass er vor Sehnsucht danach krank war (V. 81.82), "krank vor Liebe" wie die Braut im Hohenliede (Kap. 2,5). Dieses Wie ladet aber auch zu Vergleichungen ein, so wie der Psalmist sie später (V. 127) ausspricht: "über Gold und über fein Gold", also mehr als alle Reichtümer und Kostbarkeiten. Wer aber den Herrn und sein Wort nicht so liebt, dass er um seinetwillen Vater und Mutter, Weib und Kind, ja sein Leben lassen kann, wieviel mehr also irdische Schätze und Güter, der ist sein nicht wert. Unser Herr Christus verließ um Gottes willen alles, wieviel mehr haben wir Veranlassung, solches zu tun.
Den ganzen Tag ist es mein Sinnen. Damit meint er nicht nur ein Forschen im Buchstaben der Schrift, als ob er immer die eine oder andere Schriftstelle gelehrt untersucht hätte, sondern er vertiefte sich in den Inhalt und die Grundgedanken der ganzen Offenbarung. Die Gerechtigkeit, Güte, Weisheit und Macht Gottes, aber auch die Ohnmacht und Verderbnis des natürlichen Menschen, das ist’s, was ihn Tag und Nacht beschäftigte. Das heißt natürlich nicht, dass er nun nichts anderes getan habe, als sich mit dem Worte Gottes beschäftigen, aber dass dies doch seine Lieblingsbeschäftigung, seine Haupttätigkeit gebildet habe, deren er nie müde wurde, das Erste, woran er des Morgens dachte, das Letzte, was er am Abend vornahm. Mag ein Mann heute noch so eifrig in seinem Berufe gearbeitet haben, er wird morgen mit gleichem Eifer wieder daran gehen, und so einen Tag wie den anderen. So stand auch der Psalmist zum Wort Gottes. Die Beschäftigung damit war ihm ebenso notwendig wie natürlich, sie war ihm wichtiger selbst als das Gebet, ja wir stehen nicht an zu behaupten, dass sie notwendiger als dieses ist, ihm voran gehen muss, denn erst durch sie lernen wir, was und wie wir bitten sollen. Thomas Stoughton 1616.
Wer sich ohne Liebe an das Gesetz Gottes wagt, bleibt bei allem Bibellesen und -forschen kalt und wird den Versuch bald aufgeben. Denn unser Geist kann nicht mit Ernst und Ausdauer bei einer Sache sein, an der das Herz nicht beteiligt ist. Nur wer das Gesetz liebt, kann den ganzen Tag darüber sinnen. Wolfg. Musculus † 1563.
Dein Gesetz. In jedem der acht Vers dieses Abschnittes, wie durchweg in dem Psalm, wird von der Heiligen Schrift als Gottes eigen gesprochen. Wer ist der Verfasser der Heiligen Schrift? Gott. Wovon handelt sie? Von Gott. Was ist ihr Zweck? Gott. Denn zu welchem Ende ward sie geschrieben, als dass wir ewiglich uns unseres Gottes erfreuen dürften? Thomas Manton † 1677.
Allezeit ist es mein Sinnen. Die Heilige Schrift ist kein Buch für die Bequemen, sie kann nicht ohne den Heiligen Geist, durch den sie entstanden, oder gar unter Leugnung seines Daseins verstanden und ausgelegt werden. Vielmehr ist sie ein Land, auf dessen Oberfläche wir bisweilen leicht und ohne Mühe reichlich gespendetes Manna sammeln können, das aber in anderen Teilen auch wieder mit Mühe und Arbeit bebaut werden muss, ehe es seine Frucht dem Menschen darreicht. Und oft müssen wir dieses Lebensbrot in dem o wie heilsamen Schweiße unseres Angesichts essen. R. Chen. Trench1845.
V. 98. In diesem und den beiden folgenden Versen preist der Psalmist das Wort um einer sonderlich köstlichen Frucht willen, die ihm aus dem Wort erwachsen ist, nämlich dass er daraus Weisheit gelernt hat. Dies führt er näher aus, indem er sich mit drei Klassen von Menschen vergleicht, mit seinen Feinden
(V. 98), seinen Lehrern (V. 99) und den Alten (V. 100). Dies aber tut er nicht in eitler Prahlerei, denn solches liegt dem ferne, der unter der Leitung des Geistes der Gnade steht, sondern es geschieht zum Preise des göttlichen Wortes und um andere dahin zu bringen, es ebenfalls lieb zu gewinnen. - Weiser als meine Feinde. Wie mag solches zugehen, da doch unser Heiland selbst sagt, dass die Kinder dieser Welt klüger seien denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Unser Herr nennt nicht die Kinder dieser Welt schlechthin weise oder klug, sondern klug gegen ihr eigenes Geschlecht, also im Verkehr mit Leuten ihres Schlages in den Angelegenheiten dieses Lebens. Oder wie der Prophet sagt: "Weise sind sie genug, Übels zu tun" (Jer. 4,22), und wenn sie es getan, weise genug, um es zu bemänteln und zu verbergen. All dieses ist aber in Wirklichkeit nur Narrheit, und der Psalmdichter, der im Lichte des göttlichen Wortes dieses erkannte, ließ sich nicht verleiten, es ihnen gleich zu tun. Es ist dies eben ein Hauptstreitpunkt zwischen den Frommen und den Gottlosen: jeder hält das andere für töricht; hier kann allein das Licht des göttlichen Wortes Klarheit schaffen, wer damit recht hat. William Cowper † 1619.
Denn es ist ewiglich mein Schatz oder mein Teil. Gott verleiht Weisheit, wem er will, wer aber sich am meisten mit Gottes Wort beschäftigt, der kommt auch am weitesten. Es liegt auch darin der Gedanke, dass das Wort Gottes ein allbereiter, allgegenwärtiger Helfer ist. Wer seine Weisheit von auswärts hernimmt, hat nicht allezeit seine Ratgeber zur Hand. Wenn ein Mensch aber Gottes Wort im Herzen hat, dann hat er in jedem Augenblick die Hilfe, die er braucht, er findet in jeder Lage des Lebens, in jeder Schwierigkeit, für jede Versuchung ein passendes Wort, das ihn leitet und ihm zeigt, was gut sei um der gegenwärtigen Not willen (1. Kor. 7,26), wie er sich darin zu verhalten habe und wie er auf bessere Zeit hoffen dürfe. Thomas Manton † 1677
Es ist ewiglich mein Schatz. Und solchen Schatz trägt der Fromme stets bei sich, wenn nicht in der Hand, dann doch stets in Kopf und Herz. Matthew Henry † 1714.
V. 99. Ich bin gelehrter denn alle meine Lehrer. Selbst in Fällen, wo der Lehrer ein gottesfürchtiger, bei Gott in Gnaden stehender Mensch ist, wird es vorkommen, dass durch seine Wirksamkeit an der Seele eines Schülers diesem ein weit höheres Maß von Gnade und Erleuchtung verliehen wird, als jener selbst besitzt. Dies sehen wir z. B. an Augustinus, der seinen Lehrer Ambrosius an Wissen und Erkenntnis und Gottbegnadung weit überragte. Solches ist ein eigentümlicher Beweis der göttlichen Macht und Herrlichkeit, dass er seine Werkzeuge Größeres ausrichten lässt, als diese selbst besitzen, und ist dieses für den gottesfürchtigen Lehrer kein Gegenstand eifersüchtigen Kummers, vielmehr ein Gegenstand des Rühmens und Lobpreisen. William Cowper † 1619.
V. 97-104. Das achtfache m (M): Der Dichter rühmt die Lebensweisheit, die das eben deshalb ihm so süße Wort Gottes darreicht.
97. Minniglich lieb hab’ ich dein Gesetz,
Den ganzen Tag ist es mein Sinnen.
98. Mehr als meine Feinde machen weise mich deine Gebote,
Denn auf ewig sind sie mein Teil.
99. Mehr als alle meine Lehrer bin ich einsichtig,
Denn deine Zeugnisse sind mir Ziel des Sinnens.
100. Mehr als Alte bin ich verständig,
Denn deine Ordnungen beachte ich.
101. Meiden allen bösen Pfad lass ich meine Füße,
Auf dass ich halte dein Wort.
102. Missachtend verlass ich deine Rechte nicht,
Denn du hast mich unterwiesen.
103. Meinem Gaumen, wie lieblich sind ihm deine Zusagen,
Mehr als Honig meinem Munde!
104. Mittelst deiner Ordnungen gewinn’ ich Einsicht,
Darum hass’ ich allen Lügenpfad.
Prof. Franz Delitzsch † 1890
V. 97. Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Der Psalmist hebt hier nicht hervor, dass er das Gesetz kenne oder darin lese, es anhöre, davon rede oder es äußerlich erfülle; hier ist nur von der Liebe zum Gesetz die Rede. Die bedeutet viel mehr als alles das andere. Jenes kann sehr wohl ohne die Liebe bestehen; man kann das Gesetz kennen, dasselbe hochschätzen, es mit einem gewissen Vergnügen hören und lernen, ja sogar es verkündigen, ohne es wirklich zu lieben. Aber das Umgekehrte ist nicht möglich; wo Liebe zum Gesetz vorhanden ist, da kann jenes andere nicht fehlen. Die Liebe ist das alles Beherrschende, wie eine Königin regiert sie; all jenes andere ist von ihr abhängig, selbst der Verstand mit seinem Urteil ist ihr oft untertan. Und die Richtung, die unsere Liebe nimmt, ob zum Guten oder zum Bösen, bestimmt alle übrigen Neigungen. Wir wollen aber an diesem Vers noch einige Punkte hervorheben. Der Psalmist sagt nicht: Wie sollte man dein Gesetz doch so lieb haben, sondern: Wie habe ich dein Gesetz so lieb. Und weiter heißt es nicht: Wie habe ich es so lieb gehabt, oder, wie will ich es so lieb haben, oder, wie würde ich es so lieb haben, wenn ich weiter vorgeschritten wäre. Nein, der Psalmist spricht von sich in der ersten Person und in der Gegenwart. Wie habe ich jetzt, so wie ich bin, dein Gesetz so lieb. Diese beiden Umstände sind für uns von Bedeutung. Ferner sagt er: Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Dieses Wie zeigt so recht den hohen Grad seiner Liebe. Es ist ein Ausruf, der aus tiefstem Herzen kommt; die Liebe zu Gottes Gesetz hat ihn so ganz gefangen genommen, dass er vor Sehnsucht danach krank war (V. 81.82), "krank vor Liebe" wie die Braut im Hohenliede (Kap. 2,5). Dieses Wie ladet aber auch zu Vergleichungen ein, so wie der Psalmist sie später (V. 127) ausspricht: "über Gold und über fein Gold", also mehr als alle Reichtümer und Kostbarkeiten. Wer aber den Herrn und sein Wort nicht so liebt, dass er um seinetwillen Vater und Mutter, Weib und Kind, ja sein Leben lassen kann, wieviel mehr also irdische Schätze und Güter, der ist sein nicht wert. Unser Herr Christus verließ um Gottes willen alles, wieviel mehr haben wir Veranlassung, solches zu tun.
Den ganzen Tag ist es mein Sinnen. Damit meint er nicht nur ein Forschen im Buchstaben der Schrift, als ob er immer die eine oder andere Schriftstelle gelehrt untersucht hätte, sondern er vertiefte sich in den Inhalt und die Grundgedanken der ganzen Offenbarung. Die Gerechtigkeit, Güte, Weisheit und Macht Gottes, aber auch die Ohnmacht und Verderbnis des natürlichen Menschen, das ist’s, was ihn Tag und Nacht beschäftigte. Das heißt natürlich nicht, dass er nun nichts anderes getan habe, als sich mit dem Worte Gottes beschäftigen, aber dass dies doch seine Lieblingsbeschäftigung, seine Haupttätigkeit gebildet habe, deren er nie müde wurde, das Erste, woran er des Morgens dachte, das Letzte, was er am Abend vornahm. Mag ein Mann heute noch so eifrig in seinem Berufe gearbeitet haben, er wird morgen mit gleichem Eifer wieder daran gehen, und so einen Tag wie den anderen. So stand auch der Psalmist zum Wort Gottes. Die Beschäftigung damit war ihm ebenso notwendig wie natürlich, sie war ihm wichtiger selbst als das Gebet, ja wir stehen nicht an zu behaupten, dass sie notwendiger als dieses ist, ihm voran gehen muss, denn erst durch sie lernen wir, was und wie wir bitten sollen. Thomas Stoughton 1616.
Wer sich ohne Liebe an das Gesetz Gottes wagt, bleibt bei allem Bibellesen und -forschen kalt und wird den Versuch bald aufgeben. Denn unser Geist kann nicht mit Ernst und Ausdauer bei einer Sache sein, an der das Herz nicht beteiligt ist. Nur wer das Gesetz liebt, kann den ganzen Tag darüber sinnen. Wolfg. Musculus † 1563.
Dein Gesetz. In jedem der acht Vers dieses Abschnittes, wie durchweg in dem Psalm, wird von der Heiligen Schrift als Gottes eigen gesprochen. Wer ist der Verfasser der Heiligen Schrift? Gott. Wovon handelt sie? Von Gott. Was ist ihr Zweck? Gott. Denn zu welchem Ende ward sie geschrieben, als dass wir ewiglich uns unseres Gottes erfreuen dürften? Thomas Manton † 1677.
Allezeit ist es mein Sinnen. Die Heilige Schrift ist kein Buch für die Bequemen, sie kann nicht ohne den Heiligen Geist, durch den sie entstanden, oder gar unter Leugnung seines Daseins verstanden und ausgelegt werden. Vielmehr ist sie ein Land, auf dessen Oberfläche wir bisweilen leicht und ohne Mühe reichlich gespendetes Manna sammeln können, das aber in anderen Teilen auch wieder mit Mühe und Arbeit bebaut werden muss, ehe es seine Frucht dem Menschen darreicht. Und oft müssen wir dieses Lebensbrot in dem o wie heilsamen Schweiße unseres Angesichts essen. R. Chen. Trench1845.
V. 98. In diesem und den beiden folgenden Versen preist der Psalmist das Wort um einer sonderlich köstlichen Frucht willen, die ihm aus dem Wort erwachsen ist, nämlich dass er daraus Weisheit gelernt hat. Dies führt er näher aus, indem er sich mit drei Klassen von Menschen vergleicht, mit seinen Feinden
(V. 98), seinen Lehrern (V. 99) und den Alten (V. 100). Dies aber tut er nicht in eitler Prahlerei, denn solches liegt dem ferne, der unter der Leitung des Geistes der Gnade steht, sondern es geschieht zum Preise des göttlichen Wortes und um andere dahin zu bringen, es ebenfalls lieb zu gewinnen. - Weiser als meine Feinde. Wie mag solches zugehen, da doch unser Heiland selbst sagt, dass die Kinder dieser Welt klüger seien denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Unser Herr nennt nicht die Kinder dieser Welt schlechthin weise oder klug, sondern klug gegen ihr eigenes Geschlecht, also im Verkehr mit Leuten ihres Schlages in den Angelegenheiten dieses Lebens. Oder wie der Prophet sagt: "Weise sind sie genug, Übels zu tun" (Jer. 4,22), und wenn sie es getan, weise genug, um es zu bemänteln und zu verbergen. All dieses ist aber in Wirklichkeit nur Narrheit, und der Psalmdichter, der im Lichte des göttlichen Wortes dieses erkannte, ließ sich nicht verleiten, es ihnen gleich zu tun. Es ist dies eben ein Hauptstreitpunkt zwischen den Frommen und den Gottlosen: jeder hält das andere für töricht; hier kann allein das Licht des göttlichen Wortes Klarheit schaffen, wer damit recht hat. William Cowper † 1619.
Denn es ist ewiglich mein Schatz oder mein Teil. Gott verleiht Weisheit, wem er will, wer aber sich am meisten mit Gottes Wort beschäftigt, der kommt auch am weitesten. Es liegt auch darin der Gedanke, dass das Wort Gottes ein allbereiter, allgegenwärtiger Helfer ist. Wer seine Weisheit von auswärts hernimmt, hat nicht allezeit seine Ratgeber zur Hand. Wenn ein Mensch aber Gottes Wort im Herzen hat, dann hat er in jedem Augenblick die Hilfe, die er braucht, er findet in jeder Lage des Lebens, in jeder Schwierigkeit, für jede Versuchung ein passendes Wort, das ihn leitet und ihm zeigt, was gut sei um der gegenwärtigen Not willen (1. Kor. 7,26), wie er sich darin zu verhalten habe und wie er auf bessere Zeit hoffen dürfe. Thomas Manton † 1677
Es ist ewiglich mein Schatz. Und solchen Schatz trägt der Fromme stets bei sich, wenn nicht in der Hand, dann doch stets in Kopf und Herz. Matthew Henry † 1714.
V. 99. Ich bin gelehrter denn alle meine Lehrer. Selbst in Fällen, wo der Lehrer ein gottesfürchtiger, bei Gott in Gnaden stehender Mensch ist, wird es vorkommen, dass durch seine Wirksamkeit an der Seele eines Schülers diesem ein weit höheres Maß von Gnade und Erleuchtung verliehen wird, als jener selbst besitzt. Dies sehen wir z. B. an Augustinus, der seinen Lehrer Ambrosius an Wissen und Erkenntnis und Gottbegnadung weit überragte. Solches ist ein eigentümlicher Beweis der göttlichen Macht und Herrlichkeit, dass er seine Werkzeuge Größeres ausrichten lässt, als diese selbst besitzen, und ist dieses für den gottesfürchtigen Lehrer kein Gegenstand eifersüchtigen Kummers, vielmehr ein Gegenstand des Rühmens und Lobpreisen. William Cowper † 1619.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 100. Ich bin klüger denn die Alten, denn ich halte deine Befehle.Bou/lei qeo/logoj gene/sqai;
ta`j e)ntolaj fu/lasse, sagt Gregor von Nazianz, willst du ein Gottesgelehrter werden, dann halte die Gebote. Erst aus dem Tun des Wortes erwächst die Fähigkeit, recht zu forschen, recht zu erkennen. Vergl. Joh. 7,17. Und derselbe große Kirchenlehrer macht darauf aufmerksam, dass die Emmausjünger den Herrn nicht erkannten an seiner Lehre, obwohl sie ihm lange zuhörten, so dass ihr Herz in ihnen brannte, sondern erst, da sie eine Tat der Gastfreundschaft gegen ihn vollbrachten, also indem sie nicht nur Hörer, sondern auch Täter des Worts waren. Quisquis ergo vult audita intelligere, festinet, ea quae jam audire potuit, opere implere: Wer also das Gehörte recht verstehen will, der braucht nur alsbald das, was er gehört, mit der Tat zu vollbringen. Nathan. Hardy † 1670.
Klugheit, die aus dem Worte Gottes und seinen Geboten stammt, ist besser als Klugheit, die aus der Erfahrung geschöpft ist. Sie ist untrüglich, sie verleiht völlige Gewissheit. Unsere Erfahrung erstreckt sich doch nur auf ein sehr beschränktes Gebiet, das Wort Gottes aber umfasst alles, was zu unserer Glückseligkeit nötig ist. Denn das Wort ist die Frucht göttlicher Weisheit, und so hoch der Himmel über der Erde ist, sind Gottes Gedanken höher als alle menschliche Erfahrungsweisheit. Es ist aber auch ein viel sichererer Weg, um zur rechten Weisheit zu gelangen. Auch bei großer, reicher Erfahrung kann einem Menschen die innere Fähigkeit fehlen, die rechte Frucht ans solcher Erfahrung zu gewinnen. Dieser Weg ist auch gefahrlos und führt am schnellsten zum Ziele. Es ist wahrlich leichter, sich durch das Wort und den Geist Gottes lehren zu lassen, als mit bitteren Reuetränen den Heimweg suchen zu müssen, auf den dich erst der Stab Wehe getrieben hat. Erfahrung ist stets etwas Kostspieliges, und wenn sie unsere einzige Führerin wäre, durch wieviel tausend schmerzliche, bittere Erlebnisse müssten wir da hindurch, bis wir in vorgerücktem Alter einen gewissen Grad von Klugheit erlangten; hier aber kannst du in früher Jugend Großes erwerben. Du brauchst nur dich in das Wort Gottes zu vertiefen. Da kannst du schon frühzeitig weise werden und nicht erst, wenn es zu spät ist, wie die törichten Jungfrauen. Thomas Manton † 1677.
Welche Quelle der Weisheit muss dies heilige Buch erst für uns bilden, nachdem es noch so viele Bereicherung erfahren, von der der Psalmist nichts wusste und ahnte, z. B. die begeisterte Sprache der Propheten, die Fülle von praktischer Lebensklugheit in den Sprüchen Salomos und gar die überzeugende Kraft in den Beweisführungen Sankt Pauli. Die Schätze dieses Buches haben auch je und je ihre Würdigung gefunden. Der heidnische König Ptolemäus ließ es in die damalige Weltsprache, das Griechische, übersetzen. Zwei Könige des Mittelalters, denen die Geschichte den Beinamen des Weisen verliehen, Karl V. von Frankreich und Alphons X. von Kastilien, achteten dasselbe als die höchste Quelle der Weisheit und Erkenntnis und legten öffentlich Zeugnis ab von dieser ihrer Überzeugung. G. Hakewell † 1649.
V. 101. Ich wehre meinem Fuß alle böse Wege, dass ich dein Wort halte. Der Psalmist zeigt uns hier erstens, welche Grundsätze er in seinem Tun und Wandel befolgt, und zweitens, aus welchem Grund und zu welchem Zweck er so und nicht anders handelt. Erstens: Sein Tun und Wandel. Wie ernstgemeint klingt doch das Wort: Ich wehre meinem Fuß. Damit will er sagen, er halte seine Neigungen und Begierden im Zaum, gerade wie der Ausdruck Pred. 4,17 gemeint ist: Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst. Unsere Neigungen, die unser ganzes Seelenleben aufs stärkste beeinflussen, sind auch die Haupttriebfedern unseres Handelns; so ist der Vergleich mit unseren Füßen, die unseren Körper an jede Stelle bringen, wohin wir zu kommen wünschen, recht passend. Die Füße von den bösen Wegen zurückhalten, ihnen solche wehren, heißt also, seine Neigungen, die Regungen der Seele, in strenger Zucht halten, damit sie uns nicht zur Sünde verführen. Und der Psalmist gibt seinem Ausspruch die umfassendste Geltung: allebösen Wege. Das war sein Grundsatz, die Grundrichtung seines Wollens und Strebens, wenn auch die Wirklichkeit, die Ausführung gar manches Mal weit zurückblieb. Zweitens sagt er uns auch, aus welchem Grund, zu welchem Zwecke er so handelt: dass ich dein Wort halte, dass ich einen Gott gehorsamen und wohlgefälligen Wandel führe und überall und unzweideutig nur seinem Wort nachlebe. Thomas Manton † 1677.
Ich wehre. Dieses Wort sagt uns, dass wir von Natur durch unsere Füße auf alle möglichen bösen Wege getragen werden, dass unsere Leidenschaften uns mit Schnelligkeit auf ihnen dahin treiben, so dass selbst die Weisen und Klugen und Erfahrenen stets Zügel und Hemmschuh nötig haben, um an dem Verlassen des rechten, an dem Weiterverfolgen des bösen Weges verhindert zu werden. Das hebräische Wort ist stark, es bedeutet oft einschließen, gefangen nehmen, mit Gewalt zurückhalten. Es bedarf also mehr als eines leichten Widerstandes, um unsere Fuße daran zu hindern, uns in die Irre zu führen. James Millard Neale † 1866.
V. 102. Denn Du lehrest mich. Um jeden Anschein zu vermeiden, als ob er den Ruhm für seinen gottesfürchtigen Wandel für sich selbst in Anspruch nähme, als ob es seiner eigenen Vortrefflichkeit zuzuschreiben sei, wenn er seinem Fuße alle bösen Wege wehre, gibt er hier allein Gott alle Ehre und spricht es aufs entschiedenste aus, dass er nur darum nicht von Gottes Rechten abweiche, weil Gott ihn selbst lehre und anweise. Wir lernen daraus, dass allewege, mögen wir nun stehen geblieben sein oder nach einem Falle in wahrer Reue wieder aufstehen, das eine wie das andere dem HERRN allein zuzuschreiben ist, der uns lehrt. Denn keine Schlechtigkeit ist zu abscheulich, als dass sie uns nicht doch nach kurzer Zeit entschuldbar erscheinen würde, wenn Gott sich unser nicht mehr annehmen wollte. Wohl hatte der Psalmist auch seine Lehrer, und er ehrte und achtete sie hoch; dass er aber von ihrem Lehren Nutzen zog, das schrieb er Gott zu. Paulus mag immerhin säen und Apollo begießen, aber das Wachstum muss Gott geben. William Cowper † 1619.
V. 103. Wie lieblich sind meinen Gaumen deine Worte, mehr denn Honig meinem Munde.(Wörtl.) Der Wiedergeborene erhält einen neuen geistigen Sinn, gleichsam einen besonderen Geschmackssinn für das Geistliche, das Göttliche, der ihn zu einer tieferen Erkenntnis dieser Dinge befähigt, als sie der natürliche Mensch erlangen kann, so wie der Geschmack uns die vorzüglichste Eigenschaft des Honigs verrät, nämlich seine Süßigkeit, die man weder durch das Gesicht noch das Gefühl wahrnehmen kann. Was dieser geistige Sinn uns vermittelt, das ist die Erkenntnis der Schönheit und Köstlichkeit des Heiligen, wodurch in uns jene Lust an der geistlichen Speise geweckt wird, von der die Worte unseres Heilandes
Joh. 4,32.34 Zeugnis geben. Jonathan Edwards † 1758.
Ein liebendes Weib sagt hier (in Indien) wohl zum Gatten: "Deine Worte sind mir süßer als Honig, ja süßer als das Zuckerrohr." "Ach, mein Mann ist von mir gegangen", klagt die Witwe, "o wie süß waren seine Worte! Honig troff von seinem Munde, seine Worte waren wie Götterspeise." Joseph Roberts 1835.
V. 104. Dein Wort macht mich klug, darum hasse ich alle falschen Wege. In diesem Vers scheint der Psalmist die Gedankenfolge, die er in V. 101 aufgestellt hat, umzukehren. Dort hatte er gesagt: "Ich wehre meinem Fuß, damit ich dein Wort halte", wonach also das Meiden der bösen Wege das Mittel, der Segen, der aus dem Worte geschöpft wird, der Zweck war. Hier ist umgekehrt der Segen aus dem Worte das Mittel zu dem Zwecke, die bösen Wege zu meiden. Der eine Vers schildert den Anfang des guten Werkes, der andere seinen Fortgang. Thomas Manton † 1677.
Darum hasse ich jeden Lügenweg. So sagt David auch im 163. Vers: Lügen bin ich gram und habe Gräuel daran, aber dein Gesetz habe ich lieb. Der Fromme meidet nicht nur das Böse, er hasst und verabscheut es; und er tut nicht nur das Gute, er hat es lieb, er hat Lust dazu, er sehnt sich danach, es ist ihm nur wohl, wenn er es tut, ja er liebt es, auch wenn er es nicht zu vollbringen vermag (Röm. 7,22). Der natürliche Mensch mag ja auch Böses unterlassen und Gutes tun, nie aber verabscheut er das Böse und hat er Lust am Guten. Der Abscheu vor dem Bösen und die Liebe zum Guten ist mehr als das bloße Unterlassen dieses und jenes Bösen und das Tun dieses und jenes Guten. Und wenn wir das Wesen der Sünde mit der neuen Natur des wiedergeborenen Menschen vergleichen, so verstehen wir, warum bei diesem die Enthaltung von der Sünde mit einem wahren Abscheu vor ihr verbunden ist. Jos. Caryl † 1673.
Der Hass ist eine totschlägerische, mörderische Empfindung; wo er sich gegen die Sünde richtet, da verfolgt er sie leidenschaftlich, bis aufs Blut, wie ein Bluträcher, d. h. ein Rächer des Blutes, das die Sünde vergossen hat, nämlich des Blutes Christi. Wenn du die Sünde gründlich und dauernd hassest, so wirst du ihr keine Schonung angedeihen lassen, sondern sie sofort umbringen. Ehe man sie recht hasst, kann sie nicht ertötet werden. Hassest du sie nicht, so wirst du auch nicht, wie die Juden über Christum, das Kreuzige, kreuzige, über sie rufen, sondern wirst es machen wie David mit Absalom. Du wirst sprechen: Fahret mir säuberlich mit dem Knaben, - mit dieser Lieblingssünde, mit jener mir ans Herz gewachsenen Lust. Nachsicht mit der Sünde aber ist Grausamkeit gegen die eigene Seele. Edw. Reyner † 1670.
Es heißt hier nicht böse, sondern falsche Wege, oder wie es wörtlich heißt: Pfad der Lüge, der Falschheit. Das Falsche kann hier im Urteil oder in der Ausführung liegen, in den Ansichten und Meinungen oder im Handeln. Wer durchs Wort gelehrt wird, ist gefeit gegen Irrtum, und nicht nur das, er hasst ihn. Thomas Manton † 1677.
V. 100. Ich bin klüger denn die Alten, denn ich halte deine Befehle.Bou/lei qeo/logoj gene/sqai;
ta`j e)ntolaj fu/lasse, sagt Gregor von Nazianz, willst du ein Gottesgelehrter werden, dann halte die Gebote. Erst aus dem Tun des Wortes erwächst die Fähigkeit, recht zu forschen, recht zu erkennen. Vergl. Joh. 7,17. Und derselbe große Kirchenlehrer macht darauf aufmerksam, dass die Emmausjünger den Herrn nicht erkannten an seiner Lehre, obwohl sie ihm lange zuhörten, so dass ihr Herz in ihnen brannte, sondern erst, da sie eine Tat der Gastfreundschaft gegen ihn vollbrachten, also indem sie nicht nur Hörer, sondern auch Täter des Worts waren. Quisquis ergo vult audita intelligere, festinet, ea quae jam audire potuit, opere implere: Wer also das Gehörte recht verstehen will, der braucht nur alsbald das, was er gehört, mit der Tat zu vollbringen. Nathan. Hardy † 1670.
Klugheit, die aus dem Worte Gottes und seinen Geboten stammt, ist besser als Klugheit, die aus der Erfahrung geschöpft ist. Sie ist untrüglich, sie verleiht völlige Gewissheit. Unsere Erfahrung erstreckt sich doch nur auf ein sehr beschränktes Gebiet, das Wort Gottes aber umfasst alles, was zu unserer Glückseligkeit nötig ist. Denn das Wort ist die Frucht göttlicher Weisheit, und so hoch der Himmel über der Erde ist, sind Gottes Gedanken höher als alle menschliche Erfahrungsweisheit. Es ist aber auch ein viel sichererer Weg, um zur rechten Weisheit zu gelangen. Auch bei großer, reicher Erfahrung kann einem Menschen die innere Fähigkeit fehlen, die rechte Frucht ans solcher Erfahrung zu gewinnen. Dieser Weg ist auch gefahrlos und führt am schnellsten zum Ziele. Es ist wahrlich leichter, sich durch das Wort und den Geist Gottes lehren zu lassen, als mit bitteren Reuetränen den Heimweg suchen zu müssen, auf den dich erst der Stab Wehe getrieben hat. Erfahrung ist stets etwas Kostspieliges, und wenn sie unsere einzige Führerin wäre, durch wieviel tausend schmerzliche, bittere Erlebnisse müssten wir da hindurch, bis wir in vorgerücktem Alter einen gewissen Grad von Klugheit erlangten; hier aber kannst du in früher Jugend Großes erwerben. Du brauchst nur dich in das Wort Gottes zu vertiefen. Da kannst du schon frühzeitig weise werden und nicht erst, wenn es zu spät ist, wie die törichten Jungfrauen. Thomas Manton † 1677.
Welche Quelle der Weisheit muss dies heilige Buch erst für uns bilden, nachdem es noch so viele Bereicherung erfahren, von der der Psalmist nichts wusste und ahnte, z. B. die begeisterte Sprache der Propheten, die Fülle von praktischer Lebensklugheit in den Sprüchen Salomos und gar die überzeugende Kraft in den Beweisführungen Sankt Pauli. Die Schätze dieses Buches haben auch je und je ihre Würdigung gefunden. Der heidnische König Ptolemäus ließ es in die damalige Weltsprache, das Griechische, übersetzen. Zwei Könige des Mittelalters, denen die Geschichte den Beinamen des Weisen verliehen, Karl V. von Frankreich und Alphons X. von Kastilien, achteten dasselbe als die höchste Quelle der Weisheit und Erkenntnis und legten öffentlich Zeugnis ab von dieser ihrer Überzeugung. G. Hakewell † 1649.
V. 101. Ich wehre meinem Fuß alle böse Wege, dass ich dein Wort halte. Der Psalmist zeigt uns hier erstens, welche Grundsätze er in seinem Tun und Wandel befolgt, und zweitens, aus welchem Grund und zu welchem Zweck er so und nicht anders handelt. Erstens: Sein Tun und Wandel. Wie ernstgemeint klingt doch das Wort: Ich wehre meinem Fuß. Damit will er sagen, er halte seine Neigungen und Begierden im Zaum, gerade wie der Ausdruck Pred. 4,17 gemeint ist: Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst. Unsere Neigungen, die unser ganzes Seelenleben aufs stärkste beeinflussen, sind auch die Haupttriebfedern unseres Handelns; so ist der Vergleich mit unseren Füßen, die unseren Körper an jede Stelle bringen, wohin wir zu kommen wünschen, recht passend. Die Füße von den bösen Wegen zurückhalten, ihnen solche wehren, heißt also, seine Neigungen, die Regungen der Seele, in strenger Zucht halten, damit sie uns nicht zur Sünde verführen. Und der Psalmist gibt seinem Ausspruch die umfassendste Geltung: allebösen Wege. Das war sein Grundsatz, die Grundrichtung seines Wollens und Strebens, wenn auch die Wirklichkeit, die Ausführung gar manches Mal weit zurückblieb. Zweitens sagt er uns auch, aus welchem Grund, zu welchem Zwecke er so handelt: dass ich dein Wort halte, dass ich einen Gott gehorsamen und wohlgefälligen Wandel führe und überall und unzweideutig nur seinem Wort nachlebe. Thomas Manton † 1677.
Ich wehre. Dieses Wort sagt uns, dass wir von Natur durch unsere Füße auf alle möglichen bösen Wege getragen werden, dass unsere Leidenschaften uns mit Schnelligkeit auf ihnen dahin treiben, so dass selbst die Weisen und Klugen und Erfahrenen stets Zügel und Hemmschuh nötig haben, um an dem Verlassen des rechten, an dem Weiterverfolgen des bösen Weges verhindert zu werden. Das hebräische Wort ist stark, es bedeutet oft einschließen, gefangen nehmen, mit Gewalt zurückhalten. Es bedarf also mehr als eines leichten Widerstandes, um unsere Fuße daran zu hindern, uns in die Irre zu führen. James Millard Neale † 1866.
V. 102. Denn Du lehrest mich. Um jeden Anschein zu vermeiden, als ob er den Ruhm für seinen gottesfürchtigen Wandel für sich selbst in Anspruch nähme, als ob es seiner eigenen Vortrefflichkeit zuzuschreiben sei, wenn er seinem Fuße alle bösen Wege wehre, gibt er hier allein Gott alle Ehre und spricht es aufs entschiedenste aus, dass er nur darum nicht von Gottes Rechten abweiche, weil Gott ihn selbst lehre und anweise. Wir lernen daraus, dass allewege, mögen wir nun stehen geblieben sein oder nach einem Falle in wahrer Reue wieder aufstehen, das eine wie das andere dem HERRN allein zuzuschreiben ist, der uns lehrt. Denn keine Schlechtigkeit ist zu abscheulich, als dass sie uns nicht doch nach kurzer Zeit entschuldbar erscheinen würde, wenn Gott sich unser nicht mehr annehmen wollte. Wohl hatte der Psalmist auch seine Lehrer, und er ehrte und achtete sie hoch; dass er aber von ihrem Lehren Nutzen zog, das schrieb er Gott zu. Paulus mag immerhin säen und Apollo begießen, aber das Wachstum muss Gott geben. William Cowper † 1619.
V. 103. Wie lieblich sind meinen Gaumen deine Worte, mehr denn Honig meinem Munde.(Wörtl.) Der Wiedergeborene erhält einen neuen geistigen Sinn, gleichsam einen besonderen Geschmackssinn für das Geistliche, das Göttliche, der ihn zu einer tieferen Erkenntnis dieser Dinge befähigt, als sie der natürliche Mensch erlangen kann, so wie der Geschmack uns die vorzüglichste Eigenschaft des Honigs verrät, nämlich seine Süßigkeit, die man weder durch das Gesicht noch das Gefühl wahrnehmen kann. Was dieser geistige Sinn uns vermittelt, das ist die Erkenntnis der Schönheit und Köstlichkeit des Heiligen, wodurch in uns jene Lust an der geistlichen Speise geweckt wird, von der die Worte unseres Heilandes
Joh. 4,32.34 Zeugnis geben. Jonathan Edwards † 1758.
Ein liebendes Weib sagt hier (in Indien) wohl zum Gatten: "Deine Worte sind mir süßer als Honig, ja süßer als das Zuckerrohr." "Ach, mein Mann ist von mir gegangen", klagt die Witwe, "o wie süß waren seine Worte! Honig troff von seinem Munde, seine Worte waren wie Götterspeise." Joseph Roberts 1835.
V. 104. Dein Wort macht mich klug, darum hasse ich alle falschen Wege. In diesem Vers scheint der Psalmist die Gedankenfolge, die er in V. 101 aufgestellt hat, umzukehren. Dort hatte er gesagt: "Ich wehre meinem Fuß, damit ich dein Wort halte", wonach also das Meiden der bösen Wege das Mittel, der Segen, der aus dem Worte geschöpft wird, der Zweck war. Hier ist umgekehrt der Segen aus dem Worte das Mittel zu dem Zwecke, die bösen Wege zu meiden. Der eine Vers schildert den Anfang des guten Werkes, der andere seinen Fortgang. Thomas Manton † 1677.
Darum hasse ich jeden Lügenweg. So sagt David auch im 163. Vers: Lügen bin ich gram und habe Gräuel daran, aber dein Gesetz habe ich lieb. Der Fromme meidet nicht nur das Böse, er hasst und verabscheut es; und er tut nicht nur das Gute, er hat es lieb, er hat Lust dazu, er sehnt sich danach, es ist ihm nur wohl, wenn er es tut, ja er liebt es, auch wenn er es nicht zu vollbringen vermag (Röm. 7,22). Der natürliche Mensch mag ja auch Böses unterlassen und Gutes tun, nie aber verabscheut er das Böse und hat er Lust am Guten. Der Abscheu vor dem Bösen und die Liebe zum Guten ist mehr als das bloße Unterlassen dieses und jenes Bösen und das Tun dieses und jenes Guten. Und wenn wir das Wesen der Sünde mit der neuen Natur des wiedergeborenen Menschen vergleichen, so verstehen wir, warum bei diesem die Enthaltung von der Sünde mit einem wahren Abscheu vor ihr verbunden ist. Jos. Caryl † 1673.
Der Hass ist eine totschlägerische, mörderische Empfindung; wo er sich gegen die Sünde richtet, da verfolgt er sie leidenschaftlich, bis aufs Blut, wie ein Bluträcher, d. h. ein Rächer des Blutes, das die Sünde vergossen hat, nämlich des Blutes Christi. Wenn du die Sünde gründlich und dauernd hassest, so wirst du ihr keine Schonung angedeihen lassen, sondern sie sofort umbringen. Ehe man sie recht hasst, kann sie nicht ertötet werden. Hassest du sie nicht, so wirst du auch nicht, wie die Juden über Christum, das Kreuzige, kreuzige, über sie rufen, sondern wirst es machen wie David mit Absalom. Du wirst sprechen: Fahret mir säuberlich mit dem Knaben, - mit dieser Lieblingssünde, mit jener mir ans Herz gewachsenen Lust. Nachsicht mit der Sünde aber ist Grausamkeit gegen die eigene Seele. Edw. Reyner † 1670.
Es heißt hier nicht böse, sondern falsche Wege, oder wie es wörtlich heißt: Pfad der Lüge, der Falschheit. Das Falsche kann hier im Urteil oder in der Ausführung liegen, in den Ansichten und Meinungen oder im Handeln. Wer durchs Wort gelehrt wird, ist gefeit gegen Irrtum, und nicht nur das, er hasst ihn. Thomas Manton † 1677.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)