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Psalm 119
Verfasst: 23.03.2025 20:05
von Jörg
143. Angst und Not haben mich getroffen. Diese Trübsal mag in seiner äußeren Lage ihren Grund gehabt haben, sie mag durch den Hass seiner Feinde oder durch seine eigenen inneren Kämpfe veranlasst gewesen sein - gewiss ist, dass er in großer Drangsal war, dass schwere Not ihn gepackt hatte und fest umfangen hielt. Wie wütende Hunde hatten diese Nöte ihn überfallen, er spürte ihre Zähne in seinem Fleische. Er litt doppelte Qualen: Not von außen, Angst im Innern, wie der Apostel Paulus sagt: Auswendig Streit, inwendig Furcht
(2. Kor. 7,5). Und doch fährt der Psalmdichter fort: Ich habe aber Lust an deinen Geboten.So ward er den Leuten ein Rätsel: in Angst und doch voll Lust, in Not und doch hocherfreut. Dem Kinde Gottes löst sich dieser Widerspruch im Lichte der Erfahrung, denn es kennt mit dem Apostel sehr wohl jenes wundersame "als die Traurigen, aber allezeit fröhlich"
(2. Kor. 6,10) in seiner mannigfaltigen Anwendung. Äußerlich traurig, innerlich fröhlich. Wiederum traurig, wenn ich in mein Inneres schaue, fröhlich in Anschauung dessen, was das Wort mir verbürgt. Der Christ hat Lust an Gottes Geboten, doch macht es ihm Kummer, dass er sie nicht ganz erfüllen kann. Er entdeckt eine Fülle himmlischen Lichtes in ihnen, das ihn mächtig anzieht, und in diesem Lichte erkennt er seine eigene Finsternis und wird darüber voll Trauerns. Nur wer in den Kämpfen des geistlichen Lebens erfahren ist, kann solche Worte in ihren Tiefen verstehen. An unserem Psalmwort hast du, lieber Leser, eine Waage, auf der du deinen inneren Wert wägen magst. Erscheint es dir, selbst wenn du tief in Kummer und Anfechtung steckst, als etwas Köstliches, Seliges, den Willen Gottes zu tun? Empfindest du mehr Freude an deiner Heiligung als Schmerz an der Züchtigung, durch die jene in dir bewirkt werden soll? Dann ist das Siegel der Gotteskindschaft auf dir.
144. Die Gerechtigkeit deiner Zeugnisse ist ewig. Erst hatte der Psalmist von Gottes Zeugnissen gesagt, dass sie gerecht seien, dann, dass sie ewig, fest und zuverlässig seien, und nun bezeugt er, beides verbindend, dass sie Gerechtigkeit seien ewiglich. So kommt er zu immer größeren und eingehenderen Aussagen, je länger er sich mit dem Gegenstand aller seiner Ausführungen beschäftigt. Je mehr wir zum Lob der Heiligen Schrift sagen, desto mehr haben wir zu sagen. Das Thema ist tatsächlich unerschöpflich. Gottes Willensbezeugungen an die Menschen sind unanfechtbar, sie sind gerecht von Anfang bis zu Ende; ob ungöttlich gesinnte Menschen auch je und je Gottes Gerechtigkeit, namentlich auch was seinen Heilsrat betrifft, zu bemäkeln versucht haben, so ist es ihnen doch stets misslungen, eine stichhaltige Anschuldigung gegen den Allerhöchsten und sein Wort vorzubringen. Solange die Erde steht, solange es nur noch ein einziges vernunftbegabtes Wesen im Weltall gibt, wird das Bekenntnis erschallen, dass Gottes Gnadenratschlüsse in jeder Beziehung wunderbare Proben seiner Liebe zur Gerechtigkeit sind; denn selbst um gnädig sein zu können, wird der Ewige nie ungerecht sein.
Unterweise mich, so lebe ich. Das ist ein Gebet, das der Dichter unseres Psalms beständig zum HERRN emporsendet, dass Gott ihm Verständnis, Einsicht zuteilwerden lassen möge. An dieser Stelle zieht er dabei besonders in Betracht, dass solche Gabe vom HERRN ihm zum Leben seines Geistes durchaus nötig ist. Ohne Unterweisung, ohne Einsicht leben heißt kein menschenwürdiges Dasein führen, heißt bei lebendigem Leibe tot sein. Erst wenn wir die göttlichen Dinge kennen und begreifen lernen, kann von einem Anfang des wahren Lebens bei uns die Rede sein. Je mehr der HERR uns für die ewige Gerechtigkeit seines Wortes die Augen öffnet und je mehr er in uns die Liebe zu solcher Gerechtigkeit erweckt, umso glücklicher und umso besser werden wir. Und da wir alle leben und gute Tage sehen wollen, geziemt es uns, Unsterblichkeit zu suchen in dem lebendigen Worte, das da ewiglich bleibt, und das Gute für Zeit und Ewigkeit in der Erneuerung unseres ganzen Wesens, die da beginnt mit der Erleuchtung des Verständnisses und fortschreitet zur Wiedergeburt des ganzen Menschen. Das ist der Grund, warum wir den Heiligen Geist nötig haben, den Urquell und Spender alles Lebens und den Führer aller zum Leben Erweckten, der uns in alle Wahrheit leiten wird. O dass seine Gnade uns zu dieser Stunde heimsuche!
Erläuterungen und Kernworte
V. 137-144. Das achtfache ( (Z); Gerecht und treu waltet Gott nach seinem Worte, für welches der Dichter deshalb eifert, obwohl jung und verachtet. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
137. Sehr gerecht bist du, Jehovah,
Und richtig sind deine Gesetze.
138. Selber gebietest du Gerechtigkeit in deinen Verordnungen
Und große Wahrheit.
139. Schier zu Tode habe ich mich geeifert,
Dass meine Feinde deine Worte vergessen.
140. Sehr wohl geläutert ist dein Wort,
Und dein Knecht hat es lieb.
141. Schlicht bin ich und verachtet,
Deiner Befehle vergess’ ich nicht.
142. So gar ewig ist deine Gerechtigkeit,
Und dein Gesetz ist Wahrheit.
143. Sorge und Angst treffen mich,
Deine Gebote sind meine Freude.
144. Siehe, die Gerechtigkeit deiner Zeugnisse ist ewig;
Unterweise mich, so lebe ich. - E. R.
V. 137. HERR, Du bist gerecht. Kummer und Schmerz erfüllen des Psalmisten Seele ob der Bosheit seiner Feinde, ja er muss sich, wenn er sieht, wie es ihnen trotz ihrer Gottlosigkeit so wohl ergeht, mit Gewalt gegen allerlei Anfechtungen, Ungeduld und Zweifel wehren. Aber er zeigt uns hier die drei Quellen, aus denen er in dieser Zeit der Prüfung Trost schöpft. Er findet Trost erstlich in dem Gedanken daran, was Gott selbst an sich ist, nämlich gerecht und untadelig; zweitens in dem Gedanken an die Gerechtigkeit und Lauterkeit seines Wortes, und drittens in dem Gedanken an die Beständigkeit seiner Wahrheit, wie sie uns sein Wort in seinem Wirken und Tun darstellt. Wenn wir beim Anblick des Wohlergehens der Gottlosen zu Misstrauen und Zweifel versucht werden, so lasset uns auf Gott schauen und seine Natur, sein Wort, seine Werke betrachten, so werden wir Trost und Stärkung finden. William Cowper † 1619.
HERR, Du bist gerecht, und dein Wort ist recht. In diesen Worten, in diesem Gedanken liegt genug, um ein Kind Gottes in heiliger Ehrfurcht erschauern zu lassen. Der HERR ist ein gerechter Gott, und wenn wir auch in Gnaden angenommen sind, so ist und bleibt der HERR doch unparteiisch in seiner Gerechtigkeit. Gott, der der Engel nicht verschonte, da sie sündigten, ja nicht einmal seines einigen Sohnes, da er unsere Sünden auf sich genommen, der wird auch uns nicht verschonen, und wenn wir noch so sehr die Geliebten seiner Seele sind. Die Sündenwege, auf die Gottes Kinder geraten, führen immer zu den schmerzlichsten Folgen. Die Auserwählten können sich nie ohne den größten Schaden mit der Sünde einlassen. Wie viele Beispiele in der Heiligen Schrift bezeugen das! Thomas Manton † 1677.
Der vom Empörer Phokas entthronte oströmische Kaiser Mauritius wurde (602 n. Chr.) mit seinen fünf Söhnen hingerichtet. Der unglückliche Vater musste den Tod seiner Kinder mit ansehen, und bei jedem Schlage des Schwertes rief er aus: HERR, Du bist gerecht, und dein Wort ist recht. James Millard Neale † 1866.
V. 138. Das Wort Gottes wird hier seine Zeugnisse genannt, weil es uns bezeugt, was er will, dass wir tun sollen, sowie, was aus uns wird, ob wir auf dem Wege zur Seligkeit oder zur Verdammnis wandeln. Die Menschen möchten ja alle gerne wissen, was ihre Zukunft sein wird, so wenig sie es sich auch angelegen sein lassen, ihr Leben zu ändern. Viele suchen Auskunft da, wo ihnen nie eine richtige zuteilwerden kann. Wenn sie sich doch nur an Gottes Wort und Zeugnisse halten wollten, dann brauchten sie keine andere Weisheit und Orakelsprüche. Wenn Gottes Wort ihnen Gutes bezeugt, dann dürfen sie sich freuen; wenn es ihnen schlimme Auskunft erteilt, dann gilt es sich beeilen, um dem zu entgehen, sonst ist ihr Schicksal besiegelt. William Cowper † 1619.
V. 139. Ich habe mich schier zu Tod geeifert. Eifer bezeichnet eine besondere Wärme der Empfindung, eine Glut, ein heiliges Feuer, das unsere Gefühle der Liebe und des Zornes für Gott und seine Ehre aufs höchste steigert. Um der Gottlosen willen aber ist eine Steigerung unserer Liebe zu Gott und seinen Wegen wie unseres Hasses gegen alles Böse unvermeidlich. Matte, düstere Farben in einem Gemälde lassen die frischen, lebhaften nur umso leuchtender und schöner hervortreten. Die Sünden anderer müssen dir Gott und Gottesfurcht nur umso liebenswerter erscheinen lassen. Dein Herz muss Funken geben, wenn es auf solchen harten Kiesel schlägt. Fremde Kälte fachte, so widersinnig das klingen mag, Davids Eifer zur Glut an, die ihn schier verzehrt hätte, weil die Widersacher Gottes Wort vergaßen. Aber auch ein kalter Windstoß entfacht ja die Glut zu sengender Hitze. George Swinnock † 1673.
Es gibt mancherlei Eifer, Eifer um die Güter der Welt, fleischlichen Eifer, falschen religiösen Eifer, den Eifer des Ketzers, und es gibt einen rechten Eifer um das wahre Gotteswort. Der weltliche Eifer treibt die Menschen an, Tag und Nacht zu arbeiten, sich zu sorgen und abzumühen um vergänglichen Gutes willen. Der fleischliche Eifer erfüllt die Sinne und lässt sie nicht zur Ruhe kommen über dem Trachten nach Befriedigung augenblicklicher Lust. Der religiöse Eiferer umzieht Land und Wasser, dass er einen Genossen seiner Anschauungen mache. So hat jeder Mensch etwas, darum er eifert, dem er nachtrachtet, an das er sein ganzes Können setzt. Muss uns das nicht beschämen, dass wir so wenig Eifer zeigen um das liebe Gotteswort? Und dabei bringt uns noch der göttliche Eifer einen Gewinn, einen Lohn, den die, welche um weltliche und fleischliche Dinge eifern, nicht kennen. Wenn diese alle Kräfte des Leibes und des Geistes im Dienste ihres Eifers erschöpft haben, so tragen sie als einzigen Lohn dafür ein beschwertes, strafendes Gewissen davon. Der Fromme aber, der sich um göttliche Dinge zu Tod eifert, trägt als Gewinn davon, dass, wenn auch sein Leib, sein äußerer Mensch vom Eifer verzehrt zu Grunde geht, doch sein innerer Mensch frisch und erquickt dasteht und in Ewigkeit nicht vergeht. Welch ein Vorteil ist es doch, sich zu Tode zu eifern um göttliche Dinge! R. Greenham † 1591.
Psalm 119
Verfasst: 27.03.2025 06:21
von Jörg
Erläuterungen und Kernworte
V. 140. Dein Wort ist wohl geläutert, wie Gold im Schmelzofen, ganz rein und gediegen, ohne die Schlacken der Eitelkeit und des Irrtums, welche menschlichen Schriftwerken anhaften. Je mehr wir Gottes Verheißungen auf die Probe stellen, umso mehr bewähren sie sich uns. Lauteres Gold ist so unzerstörbar, dass, wie der Naturforscher Boerhaave († 1738) berichtet, ein in die Schmelzglut des Ofens einer Glashütte gebrachtes Stückchen Gold nach zwei Monaten noch nicht ein Milligramm seines Gewichtes eingebüßt hatte. Bischof G. Horne † 1792.
Das Wort Gottes ist nicht nur selber lauter, frei von allen Beimengungen, es ist selbst ein Läuterer, es reinigt von Sünde und Untugend ein jedes Herz, mit dem es in Berührung kommt. "Ihr seid jetzt rein", sagt Jesus Christus, "um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe" (Joh. 15,3). Diese eigene Reinheit im Vereine mit der reinigenden Kraft, welche sich an jeglichem Dinge äußert, das unter ihren Einfluss kommt, das ist’s, was das Wort jedem Kinde Gottes so teuer und wert macht. Der Fromme wünscht gar nicht, dass das Wort Gottes zu ihm herabsteige, auf dieselbe Stufe, die er in seiner Unvollkommenheit einnimmt, er begehrt vielmehr, dass sein eigenes Wesen allmählich erhoben werde bis zur Übereinstimmung mit diesem heiligen Worte. Darum geht er unablässig damit um. John Morison 1829.
Und dein Knecht hat es lieb, eben weil es so rein und lauter ist, und das ist von allen Gründen, die wir für unsere Liebe zum Worte anführen können, der edelste und trefflichste, und beweist, dass wir in der Tat teilhaftig worden sind der göttlichen Natur. Denn wenn wir das Böse hassen, weil es böse, das Gute lieben, weil es gut ist, dann, merken wir wohl, dann haben wir dieselbe Liebe, denselben Hass wie Gott. Thomas Manton † 1677.
V. 138-141. Die Forderungen des geoffenbarten Gesetzes Gottes gehen von einer Gesinnungs- und Handlungsweise gegen die Menschen aus, welche genau und streng von seiner Heiligkeit bestimmt (gerecht) ist und überaus treu und redlich das Beste der Menschen meint. Dieses gute Gesetz Gottes von seinen Verfolgern missachtet zu sehen versetzt den Dichter in einen Eifer, der ihn seitens derselben an den Rand des äußersten Verderbens bringt. Gottes Selbstaussage ist ohne Makel und also nicht zu bemäkeln, sie ist gediegenes, feuerbeständiges edelstes Metall; darum hat er sie lieb und kehrt sich, obwohl jung und gering geschätzt, nicht an die Einreden seiner älteren, gelehrteren stolzen Gegner. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 141. Ich bin gering und verachtet. Die Gott lieben, mögen wohl in niederem und bedrängtem Stande leben, dem HERRN deucht das gut so aus verschiedenen Gründen. 1. Damit sie wissen, dass ihr Glück nicht von dieser Welt ist und sie sich desto mehr nach dem Himmel sehnen und an himmlischen Dingen ihre Freude finden. 2. Es ist notwendig, dass die Triebe des Fleisches beschnitten, dass den Lüsten ihr Nährboden entzogen werde. Ein unbebauter Boden bringt allerlei Unkraut hervor, und wenn wir mit voller Strömung dahin fahren, so werden wir gar leicht fortgerissen. 3. Damit sie aber auch umso mehr innewerden, wie ihr sündhaftes, verkehrtes Leben Gott verhasst, seinen reinen Augen widerwärtig ist. 4. Damit sie lernen von den Verheißungen leben, und dass die Tugenden des duldenden Gehorsams und der frommen Ergebung bei ihnen zur Entfaltung kommen. 5. Damit auch die Feinde einsehen lernen, dass es Leute gibt, die Gott aufrichtig dienen und nicht aus fleischlichen, selbstsüchtigen Zwecken (Hiob 1). 6. Damit seine Herrlichkeit umso deutlicher sichtbar werde, wenn er seine Kinder erlöst. Thomas Manton† 1677.
Ich vergesse aber nicht deiner Befehle. Wir wissen aus Erfahrung, dass unsere Liebe ein Ende hat, wenn der Gegenstand derselben aus unserem Gedächtnis schwindet. Wir hören auf zu lieben, wenn wir aufhören zu gedenken; wirkliche Liebe erneuert immerfort das Gedächtnis des geliebten Gegenstandes. Der erste Schritt auf dem Wege, der zum Abfall von Gott führt, ist das Vergessen seiner Gebote. Von da bis zum Zuwiderhandeln und zum Beleidigen Gottes durch tatsächliche Übertretungen ist es nicht mehr weit. William Cowper † 1619.
Man kann vielleicht die (im Grundtext asyndetisch, ohne "aber" angefügte) zweite Vershälfte auch als Angabe des Grundes der ersten auffassen, als ob dastände: Ich vergesse nicht deiner Befehle; darum bin ich gering und verachtet. E. R.
V. 142. Deine Gerechtigkeit ist eine ewige Gerechtigkeit. Genauer dem Grundtext entsprechend: Gerechtigkeit auf ewig, so auch die LXX und Vulgata. Die gewöhnliche Übersetzung hebt mehr die ewige Dauer der göttlichen Gerechtigkeit hervor, der Grundtext sagt auch etwas aus von dem Wesen, der Beschaffenheit derselben. Gottes Gerechtigkeit ist ihrem Wesen nach die Gerechtigkeit an sich. Es gibt keine andere Gerechtigkeit, wie es auch keine andere Wahrheit gibt. J. Stephen 1861.
V. 142.143. Hier wird zur Ehre des Gesetzes Gottes ein weiteres Lob ausgesprochen, nämlich dass es ewige Gerechtigkeit und Wahrheit sei. Darin liegt, dass alle anderen Lebensregeln, mögen sie auch noch so warm und dringend empfohlen und angepriesen werden, nur vergänglichen Wert besitzen, der wie ein Schatten dahinschwindet. Der Psalmist will offenbar die Vorschriften des Gesetzes allen menschlichen Verordnungen gegenüberstellen, damit alle Gläubigen sich jenen unterordnen, denn sie sind die Schule der vollkommenen Weisheit. Manchem mögen die scharfsinnigen und spitzfindigen Ausführungen menschlicher Weisheit überzeugender vorkommen, aber sie entbehren einer festen, sicheren Grundlage, wie sie das Gesetz Gottes besitzt.
Die Beständigkeit des göttlichen Gesetzes weist der Psalmist im folgenden Verse (V. 143) an einem Beispiele nach: Es ist die Stärkung, die er unfehlbar stets darinnen fand, wenn ihm die Versuchungen aufs empfindlichste zusetzten. Und eine sichere Probe, ob wir auch aus dem Worte rechten Gewinn gezogen haben, ist es, wenn wir allen Kümmernissen, von woher sie auch kommen mögen, den Trost des göttlichen Wortes entgegenhalten, das alle Traurigkeit aus unseren Herzen wegnehmen kann. Hier V. 143 geht er darin etwas weiter als im 141. Verse. Dort hatte er nur ausgesprochen, dass er Gott in ehrerbietigem Gehorsam diene, obwohl es bei seinen schweren Erfahrungen wohl den Anschein haben konnte, als ob all seine Zuversicht auf Gottes Wort vergeblich sei. Nun aber erklärt er, dass er in Angst und Not in Gottes Gesetz den größten Trost, die höchste Lust finde, die allen Kummer lindert und nicht nur sein Bitteres mäßigt, sondern es sogar in Süßigkeit zu wandeln vermag. Jean Calvin † 1564.
V. 142. Dein Gesetz ist Wahrheit. In den Gesetzen und sonstigen geistigen Erzeugnissen der Menschen, selbst der Heiden, findet sich manches Wahre, aber das sind immer nur einzelne, zerstreute Wahrheiten, dürftige Überreste, die sich aus dem ursprünglichen Stande der Unschuld über den Sündenfall hinaus bis auf unsere Tage gerettet haben. Das Gesetz aber ist die vorzüglichste Wahrheit. Es ist ferner aber auch die einzige Wahrheit. Gott hat seine Gedanken nirgends sonst uns geoffenbart, es gibt außer dem Worte nichts, worauf wir uns verlassen können. Zum Dritten aber ist es auch lauter Wahrheit, nichts als Wahrheit, ohne eine Spur von Falschem in allen seinen Teilen, mag es verheißen oder drohen, mag es lehren oder erzählen, mag es gebieten oder verbieten. Und schließlich ist es die ganze Wahrheit. Es enthält einfach alles, was zur Seligkeit zu wissen nötig ist. Th.Manton † 1677.
V. 143. Angst und Not haben mich getroffen. Wir haben es nicht nötig, selber uns zu bemühen, um Angst und Not zu treffen, die werden uns schon heute oder morgen zu finden wissen. Dann müssen Gottes Offenbarungen bei uns an die Stelle aller Lust und Freuden der Welt treten, die uns verlassen haben. Wie einsam und verlassen werden wir uns dann fühlen, wenn wir keine andere Lust und Freude kennen, die jene ablösen können und uns in die Ewigkeit das Geleit geben. J. Stephen 1861.
Ist das nicht sonderbar, dass der Psalmist inmitten von Angst und Not von Lust, von Freude, von Ergötzen sprechen kann? Aber die Süßigkeit von Gottes Wort schmeckt man am besten in der Bitterkeit des Kreuzes. Die Freude Christi und die Freude der Welt können nicht nebeneinander bestehen. Ein Herz, das an den Freuden der Welt seine Lust hat, kann nichts von den Tröstungen des Geistes verspüren, das eine vernichtet das andere. In göttlicher Traurigkeit aber wird man den Trost des göttlichen Wortes lebendig erfahren dürfen. Gar manches Mal hat David von seiner Lust am Worte Gottes gesprochen, und es ist auch fürwahr ein großer Beweis von Gottesfurcht, wenn ein Mensch dahin gekommen ist, nicht nur Ehrfurcht, sondern auch Liebe und Lust dazu zu empfinden. Das sollen sich die Unglücklichen gesagt sein lassen, die das Wort gewohnheitsmäßig vernehmen, denen es aber nur eine Last und Bürde ist. Abraham Wright † 1690.
V. 144. Unterweise mich, so lebe ich. Das gehört zum Vorhergehenden. Denn wenn auch der Psalmist begehrt, dass der HERR seinen Geist erleuchte, so weiß er doch von keinem anderen Wege, zu solcher Einsicht zu gelangen, als durch eifriges Studium des Gesetzes. Weiter lehrt der Psalmist, dass man von einem Menschen nicht sagen kann, er lebe, solange ihm das Licht himmlischer Weisheit fehlt. Da die Bestimmung der Menschen nicht ist, wie unvernünftige Tiere sich bloß den Bauch zu füllen, sondern fortzuschreiten in der Erkenntnis Gottes, um ihm immer besser zu dienen, so ist es schlimmer als ein tausendfacher Tod, wenn einer sich von solcher Anwendung seines Lebens abkehrt. Darum spricht es David offen und bestimmt aus, dass ihm leben etwas mehr bedeute als essen und trinken und sich irdischen Genüssen hinzugeben; es gilt nach einem besseren Leben zu trachten.
Das ist eine sehr bedeutungsvolle Mahnung für uns, denn wenn es auch allgemein anerkannt ist, dass die Bestimmung des Menschen ihn in geistiger Begabung weit über die Tiere emporhebt, so erstickt doch die große Mehrzahl jeden Funken göttlichen Lichtes, der ihnen von oben zukommt. Gewiss wollen alle Menschen scharfsinnig sein, aber wie wenige trachten nach dem Reiche Gottes, wie wenige bedenken, dass der Anfang der Weisheit die Furcht des HERRN ist! Wenn so die Beschäftigung mit den göttlichen Dingen durch die Sorgen um das Irdische unmöglich gemacht wird, so besteht eigentlich das menschliche Leben nur aus einem ins Grab Sinken; der Welt leben heißt Gott sterben. Mit dem Worte Leben bezeichnet der Psalmist den Gipfel aller seiner Wünsche. Es ist, als ob er sagte: Wenn ich auch schon tot wäre, HERR, sobald es dir gefällt, meinen Geist mit der Erkenntnis himmlischer Wahrheit zu erleuchten, so ist das genug, um mich zum Leben zu erwecken. Jean Calvin † 1564.
Psalm 119
Verfasst: 30.03.2025 18:07
von Jörg
145.
Ich rufe von ganzem Herzen; erhöre mich, HERR,
dass ich deine Rechte halte.
146.
Ich rufe zu dir; hilf mir,
dass ich deine Zeugnisse halte.
147.
Ich komme in der Frühe und schreie;
auf dein Wort hoffe ich.
148.
Ich wache auf, wenn’s noch Nacht ist,
zu sinnen über dein Wort.
149.
Höre meine Stimme nach deiner Gnade;
HERR, erquicke mich nach deinen Rechten.
150.
Meine boshaften Verfolger nahen herzu
und sind ferne von deinem Gesetze.
151.
HERR, du bist nahe,
und deine Gebote sind eitel Wahrheit.
152.
Längst weiß ich aber,
dass du deine Zeugnisse für ewig gegründet hast.
Dieser ganze Abschnitt handelt vom Beten. Der Psalmist schildert Zeit und Art seines Betens und fleht zum HERRN um Erlösung aus seinen Nöten. Wer in seinem Kämmerlein mit Gott Gemeinschaft gepflogen hat, der wird ihn auch im feurigen Ofen bei sich haben. Haben wir zu Gott gerufen, so werden wir auch Antwort bekommen. Verzieht die Antwort, so mag uns das wohl zu dringlichem, ja ungestümem Flehen treiben; aber wegen des schließlichen Erfolges brauchen wir keine Angst zu haben, denn Gottes Verheißungen sind nicht unsicher, sondern "für ewig gegründet" (V. 152). Aus dem Abschnitt ersehen wir, wie der Psalmist betete (V. 145), was er betete (V. 146), wann er betete (V. 147), wie lange er betete (V. 148), worauf er sich bei seinem Flehen stützte (V. 149), was sich dann ereignete
(V. 150), wie er errettet wurde (V. 151) und was sein Zeugnis über die ganze Angelegenheit ist (V. 152).
145. Ich rufe von ganzem Herzen. Sein Beten war das aufrichtige, ernstliche, flehende und klagende Rufen, wie es dem Geschöpf in der Not natürlich ist. Wir wissen nicht, ob er immer seine Stimme laut werden ließ, wenn er so zum HERRN flehte; aber es wird uns etwas gemeldet, das von viel größerer Bedeutung ist, nämlich dass er mit dem Herzen zu Gott rief. Dies Rufen des Herzens ist das Wesentliche alles wahren Betens. Und er betont, dass sein ganzes Herz dabei war. All sein Verlangen und Sehnen strömte zum Herzen des lebendigen Gottes. Wohl dem, der solches von seinem Beten sagen kann! Wir fürchten, es gibt viele, die noch nie in ihrem Leben von ganzem Herzen zu Gott gerufen haben. Ein solches Gebet bedarf keiner vollendeten Form, keiner wortreichen Ergüsse, keiner gesuchten Tiefe der Gedanken, ja nicht einmal einer fehlerfreien Ausdrucksweise; ergießt sich unser ganzes Herz in unseren Gebeten, dann finden diese sicher ihren Weg zum Herzen Gottes.
Erhöre mich, HERR. Er begehrt vom HERRN, dass sein Rufen nicht in der Luft verhalle, sondern Gott es beachte. Rechte Beter begnügen sich nicht damit, allerlei Bitten als fromme Übung herzusagen, nein, ihr Bitten soll einen Erfolg haben, sie wollen damit etwas erlangen und schauen nach der Gabe aus. Wenn Gott unser Beten nicht hört, so bitten wir umsonst. Manchmal bitten die heiligen Beter, die uns in der Schrift vorgeführt werden, nur: Höre meine Stimme, lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens (Ps. 130,2). Hier (und an vielen Psalmstellen) fleht der Psalmist aber ausdrücklich: Erhöre mich, d. i. antworte auf meinen Hilferuf! Und sein Flehen, das Gebet eines ganzen, ungeteilten Herzens, wendet sich an den HERRN allein; er kennt keine andere Hoffnung, keinen anderen Helfer. "Erhöre mich, Herr", das ist es, was er erbittet und worauf er wartet. Deine Rechte will ich halten. (Wörtl.) Natürlich könnte er nicht erwarten, dass der HERR ihn erhören werde, wenn er nicht auf den HERRN hörte; auch wäre seine Behauptung, dass er von ganzem Herzen zum HERRN rufe, unwahr, wenn sich nicht zu erkennen gäbe, dass er mit allen Kräften sich bemühte, dem Willen des HERRN gehorsam zu sein. Der Zweck, wozu er Befreiung begehrte, war, ungehindert seinem Gott zu dienen und alle Befehle desselben auszuführen. Dazu wünschte er ein freier Mann zu sein. Beachten wir, dass männlich feste heilige Entschiedenheit gar wohl mit herzinnigem Flehen zusammenpasst. Der Psalmist ist fest entschlossen, ein heiliges Leben zu führen, sein ganzes Herz ist bei diesem Vorsatz so gut wie bei seinem Beten. Er will Gottes Rechte bewahren, sie festhalten in seinem Gedächtnis, in seiner Gesinnung und in seinen Handlungen. Er will auch nicht eines der göttlichen Gesetze wissentlich versäumen oder brechen.
146. Ich rufe zu dir (oder wörtl.: dich). Aufs Neue spricht er aus, dass er sich an Gott allein wende. Er ruft ihn als seinen Helfer herbei, er bittet mit Ungestüm, er hat es getan und tut es noch, es ist eine der wichtigsten Beschäftigungen seines Lebens geworden, zu Gott zu rufen. Hilf mir! Das ist seine Bitte; so kurz und doch so inhaltreich. Er bedarf der Hilfe, und niemand als der HERR kann ihm helfen, darum ruft er zu ihm: Hilf mir, rette mich! Hilf mir aus den Gefahren, die mich ringsum bedrohen, von den Feinden, die mich verfolgen, von den Versuchungen, die auf mich eindringen, von den Sünden, die mich anklagen. Er macht nicht viele Worte; das tut man nicht, wenn es einem dringend ernst ist. Er bringt auch nicht eine lange Reihe von Wünschen vor; das tut selten ein Mensch, wenn er auf das eine, was nötig ist, von Herzen bedacht ist.
Dass ich deine Zeugnisse halte. Eben dazu bedurfte und begehrte er des Allmächtigen gnädige, rettende, heilvolle Hilfe, dass er imstande sei, ein untadeliges Leben des Gehorsams vor dem HERRN zu führen, den göttlichen Zeugnissen zu glauben und selber ein Zeuge Gottes zu werden. O es ist etwas Großes, wenn Menschen Gottes Hilfe zu solch erhabenem Zwecke suchen. Nicht dazu bat er um Errettung aus der Not, um ungestraft weitersündigen zu können; nein, er rief um Hilfe, um von der Sünde selbst loszukommen. Er hatte im vorhergehenden Vers (nach dem Grundtext) gelobt, die Rechte, die Befehle des HERRN zu beachten, und nun erfleht er Gottes Gnade zur Ausführung des Entschlusses, die Zeugnisse oder Lehren zu halten. Er will einen klaren Kopf und auch reine Hände haben. Gottes Heil hat alles dies Gute im Gefolge. Dem Psalmisten war der Gedanke an ein Heil, das ihm erlaubt hätte, in der Sünde zu leben oder im Irrtum zu verharren, fremd; er wusste sehr wohl, dass ein Mensch nicht gerettet ist, solange er in Ungehorsam und Unwissenheit dahinlebt.
147. Ich komme in der Frühe (wörtl. wohl: Ich komme der Morgendämmerung zuvor) und schreie. Noch vor der Sonne stand er auf, und er begann sein Flehen, noch ehe der Nachttau vom Grase schwand. Was überhaupt wert ist getan zu werden, das ist es auch wert, dass wir es hurtig beginnen. Zum dritten Mal erwähnt er sein Rufen, ja diesmal sagt er, er schreie. Seine Gebetsseufzer waren so häufig geworden, sein Flehen war so anhaltend, so inbrünstig, so dringend, dass er den ganzen Tag sozusagen nichts anderes mehr tat als zu Gott rufen. Sein Verlangen nach Hilfe war so stark und heftig, dass es ihn nicht auf seinem Lager duldete; er konnte nicht früh genug auf seine Knie niedersinken. Auf dein Wort hoffe ich. Die Hoffnung ist das beste Mittel, uns im Beten stark zu machen. Wer möchte auch wohl beten, wenn er nicht hoffen dürfte, dass Gott ihn erhören werde? Und wer wollte nicht beten, wenn er eine gegründete Hoffnung hat, dass sein Flehen in gutem Erfolg enden wird? Seine Hoffnung ruhte auf Gottes Wort, und das ist ein fester Ankergrund; denn Gott ist getreu und ist noch in keinem einzigen Falle von einer Zusage zurückgetreten, hat noch nie das geändert, was aus seinem Munde gegangen. Wer im Gebet eifrig ist, dem wird es nie an Hoffnungsfreudigkeit fehlen. Der Grundtext betont übrigens das Harren: indem ich harre auf dein Wort. Dies Harren ruht auf der Hoffnung, es ist die kraftvolle, ausdauernde Betätigung des Glaubens.
148. Ich wache auf, wenn’s noch Nacht ist, wörtl.: Meine Augen kommen den Nachtwachen zuvor, er ließ sich von keiner derselben schlafend überraschen. Noch ehe der Wächter die erste, die mittlere oder die Morgen-Wache ausrief, rief er schon zu seinem Gott. Ihn brauchte man nicht daran zu mahnen, wie die Stunden dahineilten, denn zu jeder Stunde eilten seine Gedanken und Bitten himmelwärts. Er fing den Tag mit Gebet an und hielt an am Gebet durch all die Tages- und Nachtzeiten hindurch. Die Wachen der Krieger lösten sich ab, der Psalmist aber hielt aus bei seiner heiligen Beschäftigung. Besonders aber bei Nacht hielt er die Augen offen und verscheuchte den Schlaf, um mit seinem Gott Gemeinschaft zu pflegen. Er betete an von Wache zu Wache, wie Reisende von Station zu Station weiter wandern. Zu sinnen über dein Wort. Dieses war ihm Speise und Trank geworden. Das Sinnen über Gottes Wort bot ihm Stärkung seiner Hoffnung und Erquickung im Leide. All sein Denken ging auf dieses teure Wort, das er immer wieder erwähnt und das seines Herzens Freude ist. Sich dahinein zu versenken war ihm erquickender als der Schlummer, und er lernte, den doch auch ihm nötigen Schlaf abzubrechen um des noch viel nötigeren Umgangs mit Gott willen. Es ist sehr lehrreich, dass wir das Sinnen und Forschen in Gottes Wort so oft unmittelbar mit dem inbrünstigen Beten zusammen genannt finden: jenes ist der Brennstoff, der dieses Feuer unterhält. Ach, wie rar ist es in unseren Tagen geworden!
149. Höre meine Stimme nach deiner Gnade. Es ist uns Menschen oft eine große Hilfe beim Beten, wenn wir es laut tun; wir finden es schwer, die Inbrunst der Andacht längere Zeit anzuhalten, wenn wir nicht unsere Stimme dabei gebrauchen. Darum brach auch der Psalmist zuletzt sein Schweigen, verließ seine stillen Betrachtungen und fing an, mit seiner Stimme ebenso wie mit seinem Herzen zu dem HERRN, seinem Gott, zu rufen. Beachten wir, dass er sich nicht auf irgendein eigenes Verdienst beruft, auch nicht einen Augenblick an einen Lohn für seine Leistungen denkt, sondern sich einzig an die freie Gnade wendet. Wenn Gott ein Gebet nach seiner Gnade erhört, so übersieht er alle Unvollkommenheiten des Gebetes wie des Betenden und gewährt das Erbetene in barmherziger Liebe, so wenig der Beter sich dessen auch wert halten mag. Gottes Gnade entsprechend ist es, schnell zu antworten, immer wieder zu helfen und reichlich zu geben, ja überschwänglich mehr zu tun als alles, was wir erbitten oder erdenken (Eph. 3,20). HERR, erquicke (belebe) mich nach deinen Rechten. Hier haben wir noch einen von den ebenso verständigen wie inbrünstigen Bittseufzern des Psalmisten vor uns. Das ist oft das allerbeste Mittel, uns aus allerlei Übel zu helfen, wenn uns frische Lebenskraft verliehen wird, so dass wir dem Tode entrinnen und unter den Bürden des Lebens nicht zusammensinken. Merken wir: er begehrt, erquickt zu werden nach Gottes Rechten, also wie es der höchsten Weisheit und Klugheit entspricht. Die mancherlei Weisen, wie Gott unserem geistlichen Leben mehr Kraft zuführt, sind sehr weise gewählt; es würde wohl vergeblich sein, wenn wir versuchen wollten, sie zu verstehen, und wir tun wohl, wenn wir Gnade zu empfangen begehren nicht nach unseren Vorstellungen davon, wie sie uns zukommen sollte, sondern nach Gottes himmlischer Weise, sie zu gewähren. Es steht ja das Lebendigmachen so gut wie das Töten ausschließlich in der Machtbefugnis des HERRN; darum überlassen wir die Art, wie er sein königliches Vorrecht ausüben will, am besten seinem Ermessen. Hat er uns nicht schon ein immer reicheres Maß von Leben geschenkt?
Psalm 119
Verfasst: 03.04.2025 05:37
von Jörg
150. Meine boshaften Verfolger nahen herzu. So Luther nach den alten Übers.; der hebr. Text lautet: Es nahen sich (mir feindlich) Leute, die dem Verbrechen nachjagen. Er konnte ihre Schritte dicht hinter sich vernehmen. Sie nahten ihm nicht in wohlwollender Absicht, sondern um ihm Schaden zuzufügen; darum war alle Ursache vorhanden, das Geräusch ihrer Tritte zu fürchten. Sie verfolgten nicht eine gute Sache, sondern einen guten Menschen. Als ob sie nicht schon böse Anschläge genug im Herzen, Schandtaten genug auf dem Gewissen hätten, laufen sie noch neuen nach. Er sieht ihre tolle Jagd über Stock und Stein, um Unheil über ihn zu bringen, und er weist Gott auf sie hin und bittet ihn, sein Auge auf sie zu richten und sie zu Schanden zu machen. Und weil er sich schon fast von ihnen gepackt fühlt, ruft er um so dringlicher um Hilfe. Und sind ferne von deinem Gesetze. Ehe diese Menschen die Verfolger des Psalmisten werden konnten, mussten sie sich von den Schranken des göttlichen Gesetzes frei machen. Man kann doch nicht zugleich einen Gottesmann hassen und das Gesetz Gottes lieben. Die Leute, die Gottes Gebote halten, fügen weder sich noch andern Schaden zu. Die Sünde ist’s, was so viel Unheil auf Erden anrichtet. Der Psalmdichter findet offenbar einen gewissen Trost in der Tatsache, auf die er darum auch in seinem Gebet hinweist, dass diejenigen, die ihn hassten, auch Gott hassten und es für nötig fanden, sich erst von Gott loszumachen, ehe sie ihr schlimmes Vorhaben gegen ihn ins Werk setzen konnten. Wenn wir wissen, dass unsere Feinde auch Gottes Feinde sind, und dass sie unsere Feinde eben deswegen sind, weil sie seine Feinde sind, so dürfen wir ganz getrost sein.
151. HERR, Du bist nahe. So nahe der Feind ihm auch sein mochte, Gott war noch näher. Gibt es einen köstlicheren Trost für das verfolgte Gotteskind? Der HERR ist nahe; nahe genug, um unser Schreien zu hören und uns schleunigst Hilfe zu bringen, nahe genug, um unsere Feinde zu verjagen und uns Ruhe und Frieden zu geben. Und deine Gebote sind eitel Wahrheit. Gott gebietet keine Lüge und lügt auch selber nicht in seinen Geboten. Die Tugend ist in die Tat umgesetzte Wahrheit, und das ist’s, was Gott gebietet. Die Sünde ist in die Tat umgesetzte Lüge, und das ist’s, was Gott verbietet. Wenn alle Gebote des HERRN Wahrheit sind, so wird der wahrhaftige Mensch sich gerne nahe an sie halten, und bei diesem Bestreben wird er den wahrhaftigen Gott sich nahe finden. Der Inhalt unseres Verses ist die Schutzwehr des bedrängten Gotteskindes gegen die Falschen, die es boshaft verfolgen: Gott ist nahe, und Gott ist wahrhaftig, darum sind die Seinen sicher. Wenn wir je einmal dadurch in Gefahr geraten, dass wir Gottes Geboten gehorchen, so dürfen wir daraus nicht den Schluss ziehen, dass wir unklug gehandelt haben; wir dürfen im Gegenteil ganz sicher sein, dass wir uns auf dem richtigen Wege befinden, denn Gottes Befehle sind recht und wahrhaftig. Gerade darum greifen uns die Gottlosen an; sie hassen die Wahrheit, darum hassen sie auch diejenigen, die die Wahrheit tun. Ihre Gegnerschaft soll uns ein Trost sein, und dass Gott auf unserer Seite ist und uns nahe ist, das ist unser Ruhm und unsere Wonne.
152. Längst weiß ich aus deinen Zeugnissen, dass du sie für ewig gegründet hast. (Wörtl.) Der Psalmist hatte schon lange die Erkenntnis gewonnen, dass Gott seine Gebote vor alters gegründet hatte und dass sie durch alle Zeiten feststehen würden. Es ist ein köstlich Ding, wenn man frühe in Gottes Schule kommt, so dass man die Grundzüge der biblischen Wahrheit schon von Jugend auf kennt. Diejenigen Ausleger, welche meinen, der Psalmist sei ein junger Mann gewesen, als er diesen Psalm geschrieben, dürften ihre Schwierigkeit haben, diesen Vers mit ihrer Ansicht zu vereinigen; es dünkt uns viel wahrscheinlicher, dass der Psalmist ein bereits ergrauter Mann war, der zurückschaut auf die Erfahrungen eines langen Lebens und auf das, was er schon in der Jugend gelernt. Er wusste von Anfang an, dass die Wahrheitslehren des göttlichen Wortes festgesetzt waren, ehe der Welt Grund gelegt ward, dass sie niemals abgeändert worden waren und auch niemals durch irgendeine eintretende Möglichkeit geändert werden würden. Er hatte den Bau seiner Lebensweisheit damit begonnen, dass er auf einen Felsen den Grund legte, indem er erkannte, dass Gottes Zeugnisse "gegründet", das ist fest und unerschütterlich, errichtet seien, nicht nur für die Gegenwart, sondern für alle noch kommenden Zeiten, allen Wechsel der Dinge überdauernd. Darum, weil der Psalmist dies wusste, setzte er so großes Vertrauen ins Gebet und war so kühn, zuversichtlich und dringlich in seinem Flehen.
Es ist etwas Herrliches, es mit einem unwandelbaren Gott zu tun zu haben, dem man seine unwandelbaren Verheißungen vorhalten darf. Auf diesem Wege war der Psalmist auch ein so hoffnungsfreudiger Mann geworden. Auf einen wetterwendischen Freund kann man keine großen Erwartungen setzen; wohl aber dürfen wir gute Zuversicht haben zu dem Gott, der sich nicht wandeln kann. Deshalb wollte der Psalmist auch so gerne in seiner Nähe weilen; ist es doch so herrlich, mit einem Freunde, der sich niemals ändert, innigen Verkehr zu pflegen. Möge, wer dazu Lust hat, der Weisheit der modernen Theologie folgen und auf neues Licht harren, das mit seinem neuen Scheine das alte verdunkeln und auslöschen soll - uns genügt die Wahrheit, die so alt ist wie die Berge und so fest gegründet wie die Felsen. Mögen die Weisen unserer Tage, die sich ihres verfeinerten Verstandes rühmen, einen anderen Gott ersinnen, einen mildherzigeren, weichlicheren als den alten Gott Abrahams - wir sind es ganz zufrieden, Jehovah anzubeten, den ewig Unwandelbaren. Die Frommen, die selber fest gegründet sind, haben ihre Freude an dem, was ewig gegründet ist. An Seifenblasen mögen Knaben sich ergötzen, aber Männer schätzen das, was fest und gediegen ist, was auf einem Grunde steht, der die Probe der Zeiten aushält.
Erläuterungen und Kernworte
V. 145-152. Das achtfache q (K): Treue gegen Gottes Wort und Errettung nach dessen Verheißung ist der Inhalt seines unablässigen Gebetes.
145. Kraft ganzen Herzens rufe ich - erwidre mir,
Jahve, deine Satzungen will ich wahren!
146. Komm mir zu Hilfe, wenn ich zu dir rufe,
Und beobachten will ich deine Zeugnisse!
147. Kaum dass der Morgen graute, fleht’ ich schon;
Auf dein Wort harrte ich.
148. Keine Nachtwache beginnt, der meine Augen nicht zuvorkämen,
Zu sinnen über deine Aussage.
149. Kunde nimm von meinem Ruf nach deiner Gnade;
Jahve, deinen Rechten gemäß belebe mich.
150. Kommen heran Schandbarem Nachjagende,
Die von deinem Gesetze sich entfernen:
151. Kommst umso näher du, o Jahve,
Und all deine Gebote erwahren sich.
152. Klar ist vorlängst mir aus deinen Zeugnissen,
Dass du für ewig sie gegründet.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 145. Ich rufe von ganzem Herzen. Wenn du die Pflichten des Gebetskämmerleins erfüllst, so denke daran, dass es dem lieben Gott zuerst und zumeist auf dein Herz ankommt. "Gib mir, mein Sohn, dein Herz" (Spr. 23,26). Gott sieht nicht auf die äußere Formenschönheit oder Maß und Zahl deiner Gebete; was er verlangt, ist, dass dein Gebet dir Herzenssache sei. Ihm gefällt ein geängstetes und zerschlagenes Herz, aber ein halbes Herz ist ihm ein Gräuel. Du sollst lieben den HERRN, deinen Gott, von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Gebet, bei dem das Herz nicht beteiligt ist, ist nur ein tönendes Erz, eine klingende Schelle. Nicht das Erheben der Stimme, das Falten der Hände, das an die Brust Schlagen hat bei Gott einen Wert, sondern einzig das Rufen aus der Tiefe des Herzens. Gott hört keine andere als diese Stimme, und solange das Herz stumm bleibt, solange bleibt auch er taub. Th. Brooks † 1680.
V. 145.146. Erhöre mich, hilf mir! So kurz diese Bitten auch sind, mit allen Worten unseres Sprachschatzes könnten wir sie nicht ausdrucksvoller gestalten. Da ist wirklich das ganze Herz mit beteiligt. Und in dem "Hilf mir" ist alles enthalten, was ein Sünder braucht, Vergebung, Zugang zum Thron der Gnade, Heiligung, Stärkung, Trost, alles in allem. Erhöre mich, im Namen meines Fürsprechers, der alles bei dir gilt; hilf mir durch ihn, dessen Name ist Heiland, Helfer, Erlöser. Solches Rufen dringt durch alle Himmelsweiten. Es bedarf keines lauten Geschreis, der HERR hört das leiseste Seufzen des bedrängten Herzens. Aber auch wenn unter den Qualen äußerer und innerer Nöte das leise Flehen zum lauten Rufen, zum Schreien wird, so wendet sich der HERR nicht in Missfallen ab, sondern hat auch dafür ein offenes Ohr. (Ps. 3,5.) Charles Bridges † 1869.
V. 146. Die Knechte Gottes sehen den Hauptwert des Lebens und seinen Hauptzweck darin, Gott dienen zu können: Hilf mir, dass ich deine Zeugnisse halte, das ist das Gebet eines wahren Gläubigen in Zeiten der Not und Anfechtung. Christus, spricht er, ist mein Leben. Wie anders doch als bei den Gottlosen, deren ganzes Wünschen und Verlangen in Zeiten der Not und des Kummers nur auf Erlösung von dem äußeren Übel gerichtet ist. Sie haben kein Verlangen, von der Sünde frei zu werden, und das Sehnen, Gott ähnlich zu werden, ist ihnen fremd. John Morison 1829.
V. 147. Ich komme der Morgendämmerung zuvor (Grundtext) und schreie. Zum rechten Beten gehört vor allem Wachsamkeit und Treue. Freilich, wer das Beten nur als Gewohnheitssache betreibt, wird davon nichts empfinden; er besorgt es so nebenbei, gelegentlich, wenn er gerade nichts Besseres zu tun weiß, aber nicht als eine unerlässliche Pflicht. Wem das Beten aber eine Herzenssache ist, der wird sich nicht frühe genug daran machen können, und von früh bis spät, Tag und Nacht wird es seine Lieblingsbeschäftigung sein, Verkehr mit seinem Gott zu pflegen. Dies Verlangen lässt ihm keine Ruhe, so steht er denn frühe am Morgen auf, um mit ihm zu reden: Ich schreie zu dir, HERR, und mein Gebet kommt frühe vor dich (Ps. 88,14). Thomas Manton † 1677.
Es ist betrübend, wenn die Strahlen der Sonne dich träge auf deinem Lager finden, wenn das helle Tageslicht auf Augen fällt, die noch vom Schlafe der Weichlichkeit und Faulheit schwer sind. Weißt du nicht, o Mensch, dass du jeden Tag die Erstlinge deines Herzens und deiner Stimme Gott schuldest? Du hast eine tägliche Ernte, so hast du auch täglich Gott deinen Tribut darzubringen. Der Herr Jesus blieb die ganze Nacht im Gebet und hat dir damit ein Beispiel gegeben, dem du nachahmen sollst. Ambrosius † 397.
Und schreie. Dies ist das dritte Mal (V. 145.146.147), und diesmal verstärkt. Wir klopfen dreimal an die Tür, dann gehen wir wieder hinweg. Unser Herr und Heiland betete zum dritten Male und redete dieselbigen Worte (Mt. 26,44). Der Apostel Paulus sagt: Dafür ich dreimal dem HERRN gefleht habe
(2. Kor. 12,8). Und Elia streckte sich über dem Kinde dreimal aus und rief den HERRN an (1. Könige 17,21). Dies war augenscheinlich die Zahl von Bitten, von der man in wichtigen Fällen einen Erfolg erwartete. Aber ich möchte das Bitten nicht auf diese Anzahl beschränken, vielmehr sollen wir es für eine und dieselbe Sache so oft wiederholen, wie es in jedem Falle nötig ist, bis wir Antwort bekommen. Thomas Manton † 1677.
Indem ich auf dein Wort harre. (Wörtl.) Selbst wenn das Beten uns je und dann keinen Genuß gewährt, so lasset uns wenigstens Gott ehren durch den Geist zuversichtlichen Wartens. Charles Bridges † 1869.
Psalm 119
Verfasst: 06.04.2025 18:08
von Jörg
Erläuterungen und Kernworte
V. 147.148. Wir ersehen aus dieser Stelle erstens, dass der Psalmist ein Frühaufsteher war. Dem verdankte er vielleicht einen Teil seiner Erfolge. Er gehörte nicht zu denen, die sprechen: Ich will noch ein wenig schlafen und ein wenig schlummern. Wir sehen ferner, dass er seinen Tag mit Gott anfing; sein erstes Geschäft war das Beten, er tat es, solange sein Geist noch frisch war. Wenn unsere ersten Gedanken jeden Morgen auf Gott gerichtet sind, so wird uns das helfen, den Tag über in seiner Furcht zu bleiben. Drittens aber sehen wir, dass sein Geist so von Gott erfüllt war, dass ihm auch ein kurzer Schlaf genügte. Selbst wenn er erwachte, da es noch Nacht war, wollte er lieber über Gottes Wort sinnen, als sich auf die andere Seite legen und weiter schlafen. Zum Vierten wusste er sich Zeit für die Erfüllung seiner religiösen Pflichten zu verschaffen. Er hatte den ganzen Tag zu tun, vom Morgen bis zum Abend. Das entbindet einen Menschen aber nicht von der Pflicht des Gebetes und der stillen Andacht. Es ist besser, den Schlaf abzubrechen, um Zeit dazu zu gewinnen, als keine Zeit zum Gebet zu finden. Und ist es nicht ein erhebender Gedanke, dass wir uns nie zu unpassender Zeit Gottes Thron nahen können, wir mögen kommen, zu welcher Nachtstunde wir wollen? Baal mag schlafen, aber der Gott Israels schläft noch schlummert nicht, zu ihm darf man zu jeder Stunde kommen. Matthew Henry † 1714.
V. 148. Ich wache auf, wenn’s noch Nacht ist, zu sinnen über dein Wort. Hier haben wir einen Gottesmann, der von Jugend an ein eifriger Bibelleser und Bibelforscher gewesen ist. Jahr um Jahr hat er sich dieser Aufgabe gewidmet, obwohl seine Bibel noch einen sehr kleinen Umfang hatte. Sollte man da nicht denken, er musste schließlich damit "durch" sein, die Schrift könne ihn nichts Neues lehren? Aber wie spricht der königliche Forscher und Schriftkundige? Er sieht mehr Arbeit vor sich, als er in seinen ganzen Leben wird bewältigen können; er nimmt die Nachtstunden zu Hilfe, damit er über Gottes Wort sinnen möge. Kein Gottesgelehrter wird je seine Forschungen als abgeschlossen ansehen können, so dass er in Verlegenheit käme, womit er sich weiter zu beschäftigen habe. Henry Melville † 1871.
Mein Auge kommt den Nachtwachen zuvor. (Wörtl.) Die Juden teilten (wie die Griechen und Römer) die Nacht in "Wachen", den Zeitraum, den eine Wache auf ihrem Posten zuzubringen hatte. Bei den Juden gab es drei solcher Wachen, also von Sonnenuntergang bis etwa 10 Uhr die erste Wache (vergl. Klgl. 2,19), die mittlere Nachtwache etwa von 10 bis 2 Uhr (Richter 7,19), und die häufiger erwähnte Morgenwache bis zum Sonnenaufgang (2. Mose 14,24; 1. Samuel 11,11.) Während dieser Zeit scheinen Wächter die Straßen der jüdischen Städte begangen zu haben (Hohelied 3,3; Ps. 127,1; 130,6). Im Neuen Testament begegnen wir der römischen Einteilung von vier Wachen (vergl. Mt. 14,25; vergl. auch Mk. 13,35; Apg. 12,4). W. L. Bevan 1863.
V. 149. Erquicke, d. i. belebe mich. Manche verstehen hierunter ein Wiederfrohmachen nach der Zeit des Kummers; denn ein bekümmerter, ein unglücklicher Mensch ist wie einer, der tot und begraben ist unter tiefen, schweren Sorgen, und die Erlösung aus diesen ist gleich einem Wiederaufleben (vergl.Ps. 71,20, wo im Grundtext dasselbe Wort gebraucht ist). Andere wollen in dem Erquicken die Erneuerung des geistlichen Lebens sehen; der Psalmist bitte den HERRN, er möge das Leben, das er ihm verliehen, wiedererwecken und stärken, damit es zur herrlichen Vollendung gelange. Th. Manton † 1677.
V. 150. Meine boshaften Verfolger sind ferne von deinem Gesetz. Wenn unsere Widersacher so ferne sind vom Gehorsam des Gesetzes, so darf es uns nicht wundern, wenn sie gleich ferne sind von der Liebe zu uns. Trösten wir uns also darüber, dass wir so häufig auf die Teilnahme und das Mitgefühl unserer Nächsten verzichten müssen, mit dem Bewusstsein, dass auch Gott auf seine Ehre bei ihnen verzichten muss. William Cowper † 1619.
V. 150.151. Unsere geistlichen Feinde liegen ebenso wie Davids Verfolger stets auf der Lauer. Der Löwe, der zu verschlingen sucht, und die falsche, hinterlistige Schlange, diese boshaftigen Verfolger nahen herzu, und sie sind doppelt gefährlich, da sie ungesehen sich heranschleichen. Es naht sich auch die Welt mit ihren Verlockungen und Schlingen, und ganz nahe bei uns ist unsere eigene Sündhaftigkeit, die uns von unserem Gott scheidet. Wenn wir uns aber daran gewöhnt haben, uns immer wieder "zur Festung zu kehren" (Sach. 9,12), dann können wir mit freudiger Zuversicht bekennen: HERR, Du bist nahe.Obwohl du bist der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnet, des Name heilig ist, obwohl du bist der gerechte, der furchtbare Gott, so bist du doch den Deinen nahe, und sie sind dir nahe durch das Blut der Versöhnung. Und du offenbarst uns dieses Nahesein in deinem Sohne, dem Geliebten. Charles Bridges † 1869.
Von dem Gedanken an die Bosheit seiner Feinde wendet er sich ab zu dem Gedanken an Gottes huldreiche Gnadennähe. Und das ist auch das Beste, was wir tun können, wenn wir nicht beim Anblick der Zahl und Stärke und Bosheit unserer Feinde den Mut verlieren sollen. Darum hebet eure Augen auf zum HERRN, dann werdet ihr auch sehen, dass eure Verfolger nicht so nahe sind, euch zu verderben, wie der HERR nahe ist, euch zu helfen, und dass für jedes Übel, das wir von ihnen zu fürchten haben, Gott als Gegenmittel ein Gutes hat, das ausreicht, uns zu schützen. William Cowper † 1619.
V. 151. HERR, du bist nahe. Einst war es des Menschen größte Seligkeit, dieses zu wissen, es war die Quelle allen Trostes, die schönste Blume, die der Garten Eden hervorbrachte. Die Sünde hat sie verdorren gemacht. Aber dieser selige Zustand muss wiederkehren, die Blume muss wieder aufblühen, und das auch noch hienieden. HERR, du bist nahe. Schon in den Werken der Schöpfung, in der Pracht der Sonne in dem milden Glanze des Mondlichtes, in dem Grün der Wälder, dem Duft der Blumen, dem Gesang der Vögel spüren wir, o HERR, etwas von deiner Gegenwart; nicht mit den Augen des Leibes, aber mit den Augen des Geistes nehmen wir dich wahr in deinen Werken. Und im Buche deiner Vorsehung, so dunkel seine Schrift mir auch erscheinen mag, habe ich Zeugen deiner Gegenwart. Dort lese ich von deiner Weisheit, wie sie sich in der Welt, der Kirche, dem Leben des Frommen offenbart, von deiner Macht, deiner Gerechtigkeit, deiner Treue, deiner Heiligkeit, deiner Liebe. Aber am deutlichsten erkenne ich deine Nähe in deinem lieben Sohne. In ihm bist du uns ganz nahe gekommen, nahe als ein die Sünden vergebender, seine Verheißungen haltender Gott, als ein Gebet erhörender, ein seinen Bund haltender Gott, als ein gütiger, freundlicher Vater. Ja, nahe geworden sind wir nun auch durch das Blut Christi, und durch dieses allein, und wir sollten vor dir wandeln unter deinen Augen in heiliger Furcht, in kindlicher Liebe, in einfältigem Glauben. Wenn Sünde, Welt und Satan uns mit ihren Verführungen von dir hinweg ziehen wollen, o so gib, dass wir immer dessen eingedenk seien: HERR, du bist nahe. Und wenn alles mich im Stiche lässt, worauf ich mich verlassen hatte, wenn meine Freunde sich von mir abwenden, wenn die festesten, innigsten Bande sich lösen, dann will ich doch mich daran halten: HERR, du bist nahe. Und wenn sich auch Leib und Seele scheiden, wenn mein brechendes Auge die Dinge dieser Erde nicht mehr zu erkennen vermag, dann darf ich noch in Gewissheit des Glaubens, in Lebendigkeit der Hoffnung, in Glut der Liebe es mir vorhalten: HERR, du bist nahe. J. H. Evans † 1849.
Deine Gebote sind eitel Wahrheit. Sein Gedankengang an dieser Stelle ist: Wenn schon, o HERR, die Bosheit der Gottlosen mich verfolgt, weil ich dir nachfolge, so weiß ich doch, dass deine Gebote wahr sind, und dass es nicht möglich ist, dass du deine Knechte verlassest, die im Gehorsam deiner Gebote leben. David fand eben seinen Trost nicht in eitlem Vertrauen auf seine eigene Kraft oder Weisheit, sondern in der Wahrheit von Gottes Verheißungen, von welchen er sicher wusste, dass sie ihn nie im Stiche lassen würden. Er stellt hier in versteckter Weise das Wort des HERRN und das Gerede seiner Feinde einander gegenüber. Menschen mögen befehlen, drohen, es ist in den Wind geredet. Aber Gottes Taten bleiben nie hinter seinen Worten zurück, im Gegenteil, seine Knechte dürfen stets erfahren, dass die Erfüllung seiner Verheißungen noch viel herrlicher ist als alles, was sie zu hoffen gewagt hatten. Aber auch seine Feinde werden zu ihrem Schrecken erfahren müssen, dass seine Gerichte noch viel schrecklicher sind, als sie nach seinen Drohungen erscheinen. William Cowper † 1619.
V. 152. Dieser Abschnitt (V. 145-152) endet mit einem Triumphlied des alle Gefahren und Versuchungen überwindenden Glaubens. Längst weiß ich aus eigener und fremder Erfahrung, dass du deine Zeugnisse, die Offenbarungen deines Willens, deinen ganzen Heils- und Erlösungsplan, für ewig gegründet hast, so dass sie nun fest und unverrückt dastehen als Offenbarungen deiner Göttlichkeit, die in Zeit und Ewigkeit diejenigen nicht betrügen, die sich auf sie verlassen. Bischof G. Horne † 1792.
Längst weiß ich. Er ist nicht erst neuerdings zu dieser Überzeugung gekommen, er weiß es, solange er überhaupt von Gott weiß, dass Gott sein Wort dazu bestimmt hat, als unverbrüchliche Regel für sein Verfahren mit den Menschenkindern zu gelten. Davids Überzeugung von der Wahrheit und Unwandelbarkeit des Wortes entspringt nicht einer Laune, ist nicht ein plötzlicher Einfall, sie ist ihm in langjähriger Erfahrung zur Gewissheit geworden. Ein oder zwei Erlebnisse wären noch kein genügender Beweis für die Wahrheit des göttlichen Wortes, es könnte da ein zufälliges Zusammentreffen vorliegen; aber Gottes Wort erweist sich als wahrhaftig von Ewigkeit her, nicht ein- oder zweimal, sondern immer. Die Septuaginta hat an dieser Stelle kat) a)rca/j von Anbeginn. Das könnte heißen: von der frühesten Jugend an, wie Paulus von Timotheus sagt, dass er von Kind auf die Heilige Schrift wisse, oder: von der Zeit an, da er sich mit ernsteren Dingen beschäftigte, oder aber: von Alters her, nach allem, was er von vergangenen Zeiten gehört hat; die Väter haben auf ihn gebaut, sich auf ihn verlassen, und er hat sie erlöst, sie vertrauten auf ihn, und er errettete sie (Ps. 22,5.6). Thomas Manton † 1677.
Psalm 119
Verfasst: 10.04.2025 05:36
von Jörg
153.
Siehe mein Elend und errette mich;
hilf mir aus, denn ich vergesse deines Gesetzes nicht.
154.
Führe meine Sache und erlöse mich;
erquicke mich durch dein Wort.
155.
Das Heil ist ferne von den Gottlosen;
denn sie achten deine Rechte nicht.
156.
HERR, deine Barmherzigkeit ist groß;
erquicke mich nach deinen Rechten.
157.
Meiner Verfolger und Widersacher sind viele;
ich weiche aber nicht von deinen Zeugnissen.
158.
Ich sehe die Verächter, und es tut mir wehe,
dass sie dein Wort nicht halten.
159.
Siehe, ich liebe deine Befehle;
HERR, erquicke mich nach deiner Gnade.
160.
Dein Wort ist nichts denn Wahrheit;
alle Rechte deiner Gerechtigkeit währen ewiglich.
In diesem Abschnitt dringt der Psalmist noch näher an Gott heran mit Gebet und Flehen, um dem HERRN die Lage, in der er sich befindet, vorzustellen und seine allmächtige Hilfe mit noch größerer Kühnheit und Zuversicht als bisher zu erbitten. In herzbewegendem Kindesflehen schüttet er sein Herz vor Gott aus, und der Grundton des Ganzen ist in dem Wort "Siehe", womit der Abschnitt anfängt, und das in dem vorletzten Vers wiederkehrt, gegeben. Mit großer Freimut beruft der Psalmist sich auf seine innige Verbindung mit der Sache des HERRN als Grund, weshalb ihm geholfen werden solle. Die Hilfe, die er vor allem begehrt, ist Erquickung, das ist Neubelebung; um diese fleht er immer wieder (V. 154.156.159).
153. Siehe mein Elend und errette mich. So traurig es um die Sache des Psalmisten steht, es ist dennoch eine gute Sache, und er ist bereit, ja von dem eifrigen Wunsche beseelt, sie vor Gott zu bringen und seiner Entscheidung zu übergeben. Er tritt ganz auf wie einer, der sich dem Richter gegenüber sicher weiß. Doch ist er nicht ungeduldig; er begehrt nicht ein überstürztes Handeln zu seinen Gunsten, sondern zunächst Erwägung seines Falles. "Siehe mein Elend, schau dir’s zuerst an, dann urteile selbst, ob du mir nicht heraushelfen musst. Aus der Erkenntnis meiner traurigen Lage heraus entscheide du dich für die beste Weise und die geeignete Zeit zu meiner Errettung." Zweierlei also ist’s, was der Psalmist begehrt: erstens eine gründliche Berücksichtigung seines Elends und zweitens Errettung, und diese Errettung solle eben aus der Erwägung seiner Trübsal hervorgehen. Es sollte das Verlangen jedes Frommen sein, der in Unglück ist, dass der HERR seine Not ansehe und ihr in einer solchen Weise abhelfe, die am besten Gottes Ehre und dem wahren Vorteil des Bedrängten entspricht. Bezeichnend ist der Ausdruck "mein Elend".
Der Psalmist hat wie jeder sein besonderes Leid, das ihm eigentümlich zugehört; genau diese Last hat niemand sonst zu tragen. Wie gut, dass der HERR sich um jeden Einzelnen und seine besonderen Trübsale persönlich kümmert! Die Bitte des Psalmisten ist aber auch ganz seinem tatsächlichen Bedürfnis angepasst; er fleht um Errettung, er begehrt, dass ihm aus der Not herausgeholfen und er vor allen üblen Folgen derselben bewahrt werde. Sieht Gott unser Elend an, so heißt das, dass er zur rechten Stunde auch eingreift. Menschen sehen oft viel Elend und tun doch nichts; nicht so unser Gott. Hilf mir aus (dies ist ein wiederholender Zusatz von Luther), denn ich vergesse deines Gesetzes nicht. Sein Elend mit allem Bitteren, das damit verbunden war, genügte doch nicht, um die Erinnerung an Gottes Gesetz aus seinem Herzen zu tilgen, noch vermochte es ihn dazu zu bringen, dem Gebote Gottes zuwider zu handeln. Des Glücks mochte er vergessen (Klgl. 3,17), nicht aber den Gehorsam, den er Gott schuldig war. Wohl dem, der dies wie der Psalmist ehrlich geltend machen kann. Haben wir uns, dank der göttlichen Gnade, den Geboten des HERRN gegenüber treu erwiesen, dann dürfen wir auch bestimmt erwarten, dass Gott sich seinen Verheißungen gegenüber als treu erweisen wird. Er wird den nicht lange in Anfechtung und Not lassen, dessen einzige Besorgnis in der Anfechtung die ist, dass er vom rechten Wege abkommen könnte.
154. Führe meine Sache und erlöse mich. Im letzten Vers bat er: Errette mich, und hier gibt er genauer an, wie er sich diese Errettung denkt: der HERR solle ihm seine Sache führen. Gott hat vielerlei Wege, um die von Verleumdung Betroffenen von den gegen sie erhobenen Beschuldigungen zu reinigen. Er kann die Wahrheit offenbar machen, so dass alle merken, dass sie betrogen worden sind, und das ist in der Tat die beste Art, jemandes Sache zu führen. Er kann den Gottesfürchtigen Freunde erwecken, die kein Mittel unversucht lassen, bis ihre Unschuld erwiesen ist; er kann die Herzen ihrer Feinde so mit Furcht erfüllen, dass sie ihre Falschheit bekennen müssen und der Gerechte so errettet wird, ohne dass er eine Hand zu rühren braucht. Ja, HERR, kämpfe du meinen Kampf und erlöse mich, nimm du meine Stelle ein, stehe an meiner Statt, trage meine Last, bezahle mein Lösegeld und mach mich frei. Wenn wir vor dem Feinde verstummen und nicht für uns selber reden können, hier ist ein Gebet, das für solche Fälle wie geschaffen ist. Welch ein Trost liegt doch darin, dass wir, selbst wenn wir fehlen, doch einen Fürsprecher haben und dass, wenn uns keine Schuld trifft, derselbe Sachwalter auf unserer Seite steht.
Erquicke, d. i. belebe mich. Diese Bitte kam auch im letzten Abschnitt vor (V. 149), und sie findet sich in diesem Abschnitt noch zweimal (V. 156.159). Es ist ein Wunsch, der nicht zu oft in uns auftauchen, nicht zu oft laut werden kann. Die Seele ist der Mittelpunkt alles Lebens, und Belebung ist der Mittelpunkt alles Segens. Was liegt doch alles darin: mehr Liebe, mehr Gnade, mehr Glauben, mehr Mut, mehr Kraft, und wenn wir dies alles erhalten, dann können wir schon den Kopf aufrecht halten vor unseren Gegnern. Gott allein vermag so zu erquicken; aber ihm, dem Herrn und Spender alles Lebens, ist solches eine Kleinigkeit, und er tut es so gerne. Durch dein Wort, Grundtext: deinem Worte gemäß. Der Psalmist hatte solch herrlichen Segen in Gottes Wort verheißen gefunden, oder es war ihm wenigstens klar geworden, dass es dem allgemeinen Sinn des Wortes Gottes entspreche, dass solche, die in schwerer Prüfung Glauben halten, erquickt und aus dem Staube wieder aufgerichtet würden. Darum beruft er sich auf das Wort; und wahrlich, was könnte er besseres tun?
155. Das Heil ist ferne von den Gottlosen. Indem sie vom Bösen nicht ablassen wollen, haben sie sich eigentlich selbst jeder Hoffnung beraubt. Mancher weiß wohl gar fromm über das Seligwerden zu schwatzen, aber sie können unmöglich etwas davon begriffen haben, sonst würden sie nicht gottlos bleiben. Jeder Schritt vorwärts auf dem bösen Wege hat sie weiter vom Reich der Gnade entfernt, sie schreiten von einem Grade der Verhärtung zum anderen, bis ihre Herzen ganz von Stein sind. Wenn sie ins Elend geraten, dann ist es heilloser Jammer. Doch führen sie große Worte im Munde, als ob sie entweder gar keine Erlösung brauchten oder aber sich retten könnten, sobald es ihnen einfallen sollte. Denn sie achten deine Rechte nicht, sie fragen nichts danach. Sie geben sich nicht die geringste Mühe, gehorsam zu sein, im Gegenteil, sie fragen nur nach dem, was ihre Lüste befriedigt; sie suchen eifrig, was böse ist, darum finden sie auch nie den Weg der Heiligkeit und Gerechtigkeit. Ist es einmal geschehen, dass der Mensch die Gesetze des HERRN gebrochen hat, so ist das Beste, was er dann noch tun kann, in aufrichtiger Reue Vergebung, im Glauben Heil zu suchen. Dann ist das Heil ihm nahe, so nahe, dass er es nicht verfehlen kann. Wenn die Gottlosen aber immer weiter nach Üblem trachten, so wird das Heil ihnen immer ferner. Heil und Gottes Rechte gehen immer Hand in Hand. Wer vom König der Gnaden erlöst worden ist, der liebt die Gebote des Königs der Herrlichkeit.
156. Dieser Vers gleicht außerordentlich dem 149., ohne darum eine bloße nutzlose Wiederholung desselben zu sein. Die beiden unterscheiden sich vielmehr schon in ihren Grundgedanken wesentlich. In jenem, dem 149. Verse, erwähnt er sein Beten und überlässt es der Weisheit und dem Urteil Gottes, wie dasselbe erhört werden soll. Hier hingegen beruft er sich gar nicht auf sein Flehen, sondern einfach auf die Gnade des HERRN, und bittet um Belebung nach den Rechtsordnungen des HERRN, damit er nicht geistlicher Schlaffheit verfalle. Wer wie der Psalmist vom göttlichen Geiste erfüllt ist, der kommt gewiss nie mit seinem Gedankenvorrat zu kurz, so dass er genötigt wäre, sich zu wiederholen. Jeder Vers in diesem Psalm ist eine besondere köstliche Perle, jeder Grashalm in diesem Gefilde trägt seinen eigenen Tropfen Himmelstau. HERR, deine Barmherzigkeit ist groß. Der Psalmist beruft sich hier auf die Größe von Gottes Barmherzigkeit, die Unendlichkeit seiner Liebe, und stützt damit die eine große Bitte, die ihm so auf dem Herzen liegt, nämlich die Bitte um Belebung von oben. Diese ist in der Tat eine große Gnadenerweisung. Wie sollte der herrliche Jehovah, dessen Barmherzigkeit so reich ist, seinen Knecht verschmachten lassen! Erquicke, belebe mich nach deinen Rechten, deinen ewigen Ordnungen, die du in deinem Wort und deinen Taten kundgetan hast. - Die Größe der Barmherzigkeit Gottes ist auch der Größe seiner Not gewachsen, auf die er nun wieder zurückkommt.
Psalm 119
Verfasst: 13.04.2025 08:33
von Jörg
157. Meiner Verfolger und Widersacher sind viele. Groß ist die Zahl derer, die mich offen angreifen oder im Geheimen hassen. Diese Tatsache stellt er der großen Barmherzigkeit Gottes gegenüber. Es könnte befremdlich erscheinen, dass ein so wahrhaft gottesfürchtiger Mensch viele Feinde gehabt haben solle; aber solches ist ganz unvermeidlich. Sie werden den Jünger nicht lieben, wenn sie den Meister hassen. Es muss Feindschaft bestehen zwischen dem Samen der Schlange und dem des Weibes, das liegt in der Natur der Sache. Ich weiche aber nicht von deinen Zeugnissen. Er bog nicht eine Handbreit ab von Gottes Wahrheit, sondern blieb auf dem geraden Wege, wie viele Widersacher ihm denselben auch zu verlegen trachteten. Schon mancher hat sich um eines einzigen Feindes willen dazu verleiten lassen, krumme Pfade einzuschlagen, hier aber ist ein Heiliger, der einer Schar von Verfolgern zum Trotz auf seinem Wege ausharrte. In den Zeugnissen Gottes findet sich genug, was uns zum kühnen Vordringen gegen alle Heerscharen veranlassen kann, die sich uns entgegenstellen. Solange uns unsere Feinde nicht zum Abfall von Gott und seinem Wort treiben oder verlocken können, haben sie uns noch keinen großen Schaden zugefügt und alle ihre Bosheit vergeblich verschwendet. Weichen wir nicht ab, so müssen sie weichen. Können sie uns nicht zum Sündigen verführen, so haben sie ihr Ziel verfehlt. Treue gegen die Wahrheit bedeutet gewissen Sieg über die Feinde.
158. Ich sehe (oder: sah) die Verächter. Ich sah diese Verräter, ich erkannte ihre Gesinnung, ihre Ziele, ihre Handlungsweise und den Ausgang, den sie nehmen werden. Ich konnte sie ja nicht übersehen, denn sie stellten sich mir in den Weg, und da ich sie bemerken musste, so betrachtete ich sie mir genau, um von ihnen zu lernen, was zu lernen möglich war. Und es tut mir wehe (oder: und empfand Ekel). Es schmerzte mich, solche Sünder zu sehen, sie erregten meinen Widerwillen, meinen Abscheu. Ich fand an ihnen kein Gefallen, ach nein, sie waren für mich ein trauriger Anblick, so glänzend ihr Auftreten auch war und so witzig sie zu reden wussten. Selbst wenn sie am fröhlichsten waren, machte ihr Anblick mir das Herz schwer, ich konnte weder sie noch ihr Tun und Treiben ertragen. Dass sie dein Wort nicht halten. Mein Kummer und Abscheu ward viel mehr durch ihre Sünde wider Gott als durch ihre Feindschaft gegen meine Person hervorgerufen. Dass sie meine Worte missachten und verdrehen, könnte ich tragen, nicht aber, dass sie deine Worte in den Wind schlagen und verunehren. Dein Wort ist mir so köstlich, dass tiefe Entrüstung in mir erregt wird gegen diejenigen, die es nicht halten wollen. Ich kann mit solchen nicht Gemeinschaft halten, die Gottes Wort nicht halten. Dass sie mich nicht lieben, das hat wenig zu sagen, dass sie aber die Lehren des HERRN verachten, ist abscheulich.
159. Siehe, ich liebe deine Befehle. Schon einmal in diesem Abschnitt bat er den HERRN, doch zuzusehen. Sieh mein Elend, hatte er V. 153 gebeten, und hier: Sieh meine Liebe zu dir. Er liebt Gottes Befehle, er liebt sie unaussprechlich, so dass er sich grämt über die, die sie nicht lieben. Daran erkennt man, wer es ernst meint. Es gibt viele, die ihr Herz zu Gottes Verheißungen hinzieht, aber von den Befehlen wollen sie nicht recht etwas wissen, sie sind ihnen zu sehr gegen ihren Geschmack, sind ihnen zu schwer. Aber der Psalmist liebte alles Gute und Treffliche so sehr, dass er an allem Gefallen hatte, was Gott geboten hat. Alle Gebote des HERRN sind weise und heilig, darum liebte sie der Mann Gottes, er hörte sie gerne, er dachte viel an sie, er verkündigte sie mit Freuden, und vor allem übte er sie gerne aus. Er bittet den HERRN, daran zu gedenken und das zu berücksichtigen, nicht als ob er sich ein Verdienst daraus gemacht hätte, sondern gewissermaßen als Erwiderung auf die verleumderischen Beschuldigungen, die ihm zu jener Zeit besonders viel Kummer bereiteten.
HERR, erquicke (belebe) mich nach deiner Gnade. Er kommt abermals auf seine frühere Bitte (V. 154.156) zurück: "Erquicke mich". Er betet zum dritten Mal und redet dieselben Worte. Wir können wohl verstehen, dass es dem Psalmisten bei den unablässigen Angriffen seiner Feinde zumute war wie einem, der halb ohnmächtig ist, der im Begriff steht, ganz die Besinnung zu verlieren und hinzusinken, um nicht wieder aufzustehen. Was er da brauchte, war eben Erquickung, neue Lebensfreudigkeit. HERR, der du mir das neue Leben geschenkt, da ich tot war in Sünden, erquicke mich nun auch, damit ich nicht wieder zu den Toten gehöre, damit ich die Kraft habe, die Angriffe meiner Feinde auszuhalten, die Schwäche meines Glaubens, die betäubende Gewalt von Kummer und Sorge zu überwinden. Dieses Mal aber spricht er nicht: "Erquicke mich nach deinen Rechten" (V. 156), sondern: "Erquicke mich nach deiner Gnade". Das ist das schwerste, das Hauptgeschütz, das er noch zu guter Letzt auffahren lässt, seine ultima ratio, sein letztes Mittel; wenn dieses wirkungslos bliebe, dann wäre alles verloren. Schon lange hat er an die Gnadenpforte geklopft; bei diesem letzten Versuch wendet er seine äußerste Kraft an. Nach seinem schweren Sündenfalle war Davids Gebet: HERR, sei mir gnädig nach deiner Güte (oder Gnade), und nun, da er in großer Trübsal ist, nimmt er zu demselben Flehen seine Zuflucht. Weil Gott die Liebe ist, will er uns Leben schenken; weil er so gütig ist, wird er diese himmlische Flamme wieder in uns anfachen, dass wir in Kraft wandeln und kämpfen können.
160. Der Sänger schließt den Abschnitt ähnlich wie den vorhergehenden, nämlich indem er die Gewissheit der göttlichen Wahrheit hervorhebt. Der Leser beachte die Übereinstimmung zwischen den Versen 144.152.160. Dein Wort ist nichts denn Wahrheit.Was auch die Übertreter sagen mögen, Gott ist wahr, und sein Wort ist wahr. Die Gottlosen sind falsch, aber Gottes Wort nicht. Überrechnen wir den Inhalt des ganzen Gotteswortes, so ist das Ergebnis, die Summe (wie es im Grundtext eigentlich lautet): Wahrheit. Alle Rechte deiner Gerechtigkeit währen ewiglich. Was du einmal verfügt hast, bleibt unwiderruflich bestehen für alle Zeiten. Gegen die Entscheidungen des HERRN kann keine Berufung wegen Rechtsirrtums eingelegt werden, und es gibt auch keine Zurücknahme der geringsten Verfügung, die er erlassen hat. Weder in seinem Worte noch in seinem Tun kommt ein Irrtum vor. Weder in dem Buche der Natur noch in dem Buche der Offenbarung ist ein Druckfehler zu berichtigen. Der HERR hat nichts zu bereuen oder zurückzunehmen, nichts zu verbessern oder aufzuheben. Alle Rechte Gottes, alle seine Erlasse, Befehle und Ordnungen sind gerecht, und als solche sind sie auch beständig, jedes einzelne von ihnen wird bestehen, wenn Sonne, Mond und Sterne längst vergangen sind. Bis dass Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Gottes Gerechtigkeit währet ewiglich. Das ist ein Gedanke, der das gläubige Herz tief erfreut. Doch gibt es einen, der noch viel süßer und lieblicher ist. Die Priester sangen’s schon in alten Zeiten im Tempel Gottes, und es soll auch unser Lied sein: Seine Gnade währet ewiglich.
Erläuterungen und Kernworte
V. 153-160. Das achtfache r (R): Weil Gott die seinem Wort Getreuen nicht unterliegen lassen kann, erfleht er dessen Hilfe gegen seine Verfolger.
153. Richte deinen Blick auf mein Elend und reiß’ mich heraus,
Denn deines Gesetzes vergesse ich nicht.
154. Rechtsbeistand sei mir und erlöse mich,
Deiner Verheißung gemäß belebe mich!
155. Ruchlosen ist fern das Heil,
Denn sie fragen nichts nach deinen Rechten.
156. Reich ist deine Barmherzigkeit, o HERR,
Deinen Rechten gemäß belebe mich!
157. Rudel von Verfolgern bedrängen mich,
Doch von deinen Zeugnissen weiche ich nicht.
158. Rechter Abscheu erfüllt mich, wenn ich die Treubrüchigen sehe,
Die dein Wort nicht achten.
159. Rücksicht nimm, dass ich deine Ordnungen liebe,
HERR, nach deiner Gnade belebe mich!
160. Rechne ich nach, so ist deines Wortes Summe Wahrheit,
Und ewig währen deine gerechten Ordnungen.
James Millard, zum Teil nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 153. Siehe mein Elend und errette mich. Gott sieht auf den Menschen in mancherlei Weise und zu verschiedenen Zwecken. Entweder um ihm Licht zu geben, wie Jesus tat, da er vorüber ging und sah einen, der blind war (Joh. 9,1). Oder um ihn zu bekehren: Er sah einen Menschen am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir (Mt. 9,9). Um ihn wieder anzunehmen: Und der Herr wandte sich und sah Petrus an (Lk. 22,61). Um ihn frei zu machen: Ich habe gesehen das Elend meines Volkes in Ägypten (2. Mose 3,7). Um ihn zu erhöhen: Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen
(Lk. 1,48), und um ihn zu belohnen: Der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer (1. Mose 4,4). Hugo v. St. Viktor † 1141.
An Elend fehlt es der Gemeinde des HERRN nicht; doch erfährt sie auch des HERRN erbarmende Hilfe. Sie ist der feurige Busch, der brennt und doch nicht verzehrt wird. Ein Trost im Elend ist es uns, wenn wir wissen, dass unsere Lieben unsere Not kennen; es mildert unser Leid, wenn sie mit uns trauern, auch wenn sie uns nicht helfen können. Ein Christenmensch hat aber noch besseren Trost; er weiß, dass der HERR ihn in allen seinen Nöten im Auge behält, gleich einem König, der mit Freuden zusieht, wie sein Knecht mit seinem Feind ringt. Er blickt voll Mitleid auf die Seinen, wenn er ihre Schwäche erkennt, und ist bereit, ihnen mit starker Hand zu helfen. William Cowper † 1619.
Psalm 119
Verfasst: 17.04.2025 08:04
von Jörg
Erläuterungen und Kernworte
V. 154. Dieser Vers enthält drei Bitten, sämtlich auf dieselbe Sache gegründet. Erstens weist der Psalmdichter auf die Gerechtigkeit seiner Sache und auf die ungerechte Behandlung seitens der Gottlosen hin, darum bittet er unter der Last ihrer Verleumdungen den HERRN: Führe meine Sache. Weiter stellt er dem HERRN vor, wie hilflos und jammervoll seine Lage ist, und unter dem Druck fremder Gewalttaten spricht er: Erlöse mich. Zum Dritten bekennt er seine eigene Schwachheit, wie leicht er bereit ist, unter solcher Last zu erliegen. Darum spricht er. Erquicke mich. Und worauf beruft er sich bei seinen Bitten, worauf begründet er seine Ansprüche? Nach deinem Worte. Dieser Zusatz gilt für alle Teile des Gebetes: Führe meine Sache nach deinem Worte, erlöse mich nach deinem Worte, erquicke mich nach deinem Worte; denn Gott hat sich in seinem Worte zu dem allen verpflichtet, Fürsprecher, Erlöser, Brunnquell des Lebens zu sein. Thomas Manton † 1677.
Eine große Zuversicht spricht aus diesem Gebet; der Fromme kennt Gottes Weise, und im Glauben richtet er sich danach. Wie sehr tut es doch in Zeiten großer Trübsal Not, dass wir die Gerechtigkeit Gottes voll erkennen. Der HERR tritt selbst für die Sache der Seinen ein durch die Macht der Wahrheit, durch die Weisheit seiner Führungen; er fasst die Herzen der Menschen an durch Furcht und Hoffen. Er erlöst seine Heiligen von allem Übel, wenn auch nicht völlig von allem diesseitigen, so doch sicher von allem Übel, welches das jenseitige Leben berührt. J. Stephen 1861.
V. 155. Das Heil ist ferne von den Gottlosen. Wohl kann der HERR, der Allmächtige, auch die schwersten Sünden vergeben; aber er wird diese seine Macht nie für dich Unbußfertigen gebrauchen. Du hast keinen Freund oder Fürsprecher vor seinem Richterstuhl und darfst nicht auf Gnade oder Barmherzigkeit rechnen. Die allgewaltige Hand des HERRN, die stets bereit ist, den reuigen Sünder zu erretten, ist ebenso durch des HERRN eigenes Wort verpflichtet, den Verstockten zur Richtstätte zu bringen. Gott selber hat den Unbußfertigen Strafe zugeschworen. Wenn der HERR den Ungläubigen in Israel schwört, sie sollten nicht zu seiner Ruhe kommen, so geht das auf jeden Ungläubigen bis ans Ende der Tage. William Gurnall † 1679.
V. 156. HERR, deine Barmherzigkeit ist groß. Ja, der HERR ist reich an Mitleid und voll Erbarmen (Jak. 5,11). Wenn seine Gnade es schon bei Menschen bewirken kann, dass sie, die doch arg sind, barmherzig werden und den Vorstellungen und Bitten ihrer Mitmenschen mitleidig Gehör schenken, und wenn er von uns Sündern verlangt, dass wir unserem Bruder siebzigmal siebenmal vergeben, was dürfen wir erst von ihm selber erwarten? William Cowper † 1619.
Es ist sehr natürlich, dass eine Betrachtung des elenden Loses der Gottlosen den Psalmisten dazu führt, die Barmherzigkeit des HERRN rühmend anzubeten; denn ihr allein verdankt er es, dass es mit ihm anders steht. Gottes Barmherzigkeit ist allein die Ursache, dass wir nicht auch fallen in dasselbige Exempel des Unglaubens und des göttlichen Zornes. Charles Bridges † 1869.
V. 157. Verfolger von hinten her, Widersacher, wörtl. Bedränger von vorn her: Feinde ringsum in zahlloser Menge. - E. R.
Nur Menschen, die wie von einer Hundemeute wie wilde Tiere von ihren Feinden gehetzt werden, die es mit übermächtigen und gewissenlosen Gegnern zu tun haben, können sich einen Begriff machen von dem angstvollen Seelenzustand des Psalmisten, den dieser hier schildert. Dennoch lässt er sich dadurch nicht einen Fingerbreit von seiner Treue und Frömmigkeit abbringen. William Swan Plumer † 1880.
V. 158. Hält uns Gott ein so herrliches Kleinod vor, wie es die ewige Ruhe seiner Heiligen ist, macht er uns teilhaftig solch unaussprechlicher Seligkeit, warum sind die Kinder dieses Reiches nicht ernstlicher bemüht, anderen zum Genuss dieser Seligkeit zu helfen? Das geistliche Elend unserer Brüder muss uns mit Betrübnis erfüllen. Ihre Leiden müssen wir mitfühlen und nach ihrer Bekehrung und Begnadigung inbrünstig verlangen. O wer kann sich einen Christen nennen und hier den Fußstapfen unseres Heilandes nicht nachfolgen? Was trieb ihn denn vom Himmel auf die Erde? So spricht der HERR: Niemand jammerte dein, dass er sich über dich hätte erbarmt, sondern du wurdest auf das Feld geworfen. Ich aber ging vorüber und sah dich in deinem Blute liegen und sprach zu dir: Du sollst leben! (Hes. 16, 5.6) Und als er nun erschienen war unter dem verkehrten und undankbaren Geschlecht, da war es sein Geschäft von früh bis spät, dass er umherzog und machte gesund alle, die vom Teufel überwältigt waren. Wie jammerte ihn des Volkes, wie weint er voll Milde und Erbarmen über die verlorene Stadt. Dort siehe hin, du kalter, träger, unempfindlicher Christ, und hast du selbst Anteil an der Gnade dieses Heilandes, dann zünde deine Bruderliebe an diesem Feuer an. R. Baxter † 1691.
Das hier mit wehe tun übersetzte Wort hat eigentlich die Bedeutung verabscheuen, Widerwillen empfinden. Ich sehe die Verächter und empfinde Widerwillen, Ekel, Abscheu vor ihnen, weniger weil es meine als weil es deine Feinde sind. Th. Brooks † 1680.
V. 159. Siehe, ich liebe deine Befehle. Der Psalmist sagt nicht: Siehe, ich halte, sondern, siehe, ich liebe deine Befehle. Der Trost der streitenden Kirche, des noch im Fleische wallenden Christen, liegt viel mehr in der Aufrichtigkeit und Inbrunst seiner Liebe als in der vollkommenen Tadellosigkeit seiner Handlungen. Er mag in seinem Tun oft etwas versehen an Gehorsam gegen Gottes Gebote, aber seine Liebe bleibt davon unberührt, und er empfindet so vor wie nach der Versuchung nur Schmerz über den Hang zum Bösen und das Widerstreben gegen den heiligen Willen Gottes, das er in seinem Innern wahrnehmen muss, - ein Beweis mehr für die allgewaltige Liebe zu Gottes Geboten. William Cowper † 1619.
Siehe, ich liebe deine Befehle. Siehe mich an, erforsche mich, so wirst du die Beweise meiner Liebe finden. Das ist die zuversichtliche Berufung eines aufrichtigen Knechtes Gottes, der in Wahrheit von sich sagen kann, dass er seinen Herrn wahrhaftig lieb hat. Ganz ebenso spricht auch Petrus: Herr, Du weißt, dass ich dich lieb habe (Joh. 21,17). So gut ein Mensch sich seinen nächsten Angehörigen, seinen Eltern, seinem Weibe, seinen Kindern gegenüber auf seine Liebe zu ihnen berufen darf, denn er soll sie lieb haben, und er soll sich auf solche Liebe berufen können, ebenso wohl müssen wir Gott so lieben, dass wir dies mit gleicher Sicherheit und Glaubwürdigkeit aussprechen können. Albert Barnes † 1870.
HERR, erquicke mich nach deiner Gnade. So oft auch in diesem Psalm der Dichter von Erquickung redet und darum bittet (V.25.37.40.50.88.93.107.149.154.156.159), so ergeht er sich damit doch nicht in leeren Wiederholungen. Jedes Mal ist das Wort getragen, durchdrungen von mächtigem Glauben, heftigem Verlangen, brünstiger Liebe. Und wenn wir im Gefühl unserer Unzulänglichkeit und Schwäche und Ohnmacht hundertmal am Tage zu solchem Gebet veranlasst würden, so würde es nicht ein einziges Mal unerhört bleiben. Charles Bridges † 1869.
V. 160. Dein Wort ist nichts denn Wahrheit. Hebräisch: Die Summe deines Wortes, der Gesamtinhalt; andere übersetzen, und dem Wortlaut nach ist es gestattet: der Anfang deines Wortes, und sehen darin eine rednerische Gegenüberstellung zu dem Gedanken der zweiten Vershälfte: alle Rechte deiner Gerechtigkeit währen ewiglich. Luthers Übersetzung schließt sich der ersteren Auffassung an. - E. R.
Dein Wort ist nichts denn Wahrheit; alle Rechte deiner Gerechtigkeit währen ewiglich.Der Psalmist will sagen: Ich glaube, dass du mich erquicken, mir neues Leben schenken willst (V. 159), weil dein Wort von Anfang bis zu Ende eitel Wahrheit und Gerechtigkeit ist. Vom ersten Augenblicke an, da du in einen Bund mit mir tratest, habe ich erfahren, dass du mich nicht mit leeren Verheißungen hintergangen hast. Und als dein Geist mich dazu brachte, an deinen Bund zu glauben, da erfand dieser sich als eitel Wahrheit. Ich weiß, dass deine Verheißungen Ja und Amen sind, denn du bist nicht, wie so viele Menschen, größer im Versprechen als im Halten; jedes Wort aus deinem Munde ist Wahrheit, und so weiß ich, dass du mich bewahren und beschirmen wirst, so dass deine Rechtsordnungen und Rechtshandlungen ebenso wahrhaftig und gerecht erscheinen werden wie du selbst. Richard Greenham † 1591.
Psalm 119
Verfasst: 20.04.2025 08:02
von Jörg
161.
Die Fürsten verfolgen mich ohne Ursache;
und mein Herz fürchtet sich vor deinen Worten.
162.
Ich freue mich über deinem Wort
wie einer, der eine große Beute kriegt.
163.
Lügen bin ich gram und habe Gräuel daran;
aber dein Gesetz habe ich lieb.
164.
Ich lobe dich des Tages siebenmal
um der Rechte willen deiner Gerechtigkeit.
165.
Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben,
und werden nicht straucheln.
166.
HERR, ich warte auf dein Heil
und tue nach deinen Geboten.
167.
Meine Seele hält deine Zeugnisse
und liebt sie sehr.
168.
Ich halte deine Befehle und deine Zeugnisse;
denn alle meine Wege sind vor dir.
161. Fürsten verfolgen mich ohne Ursache. (Grundtext) Das sind doch Leute, die es besser wissen sollten, und handelt es sich dabei um David, so hätte man von ihnen eine gewisse Teilnahme für den Standesgenossen erwarten dürfen. Jeder Mensch rechnet auf eine billige Behandlung von seinesgleichen. Auch ist es niedrig, sich von Vorurteilen leiten zu lassen. Und wenn das Ehrgefühl aus jeglicher Menschenbrust gewichen wäre, so sollte es doch bei Königen und Edlen noch immer eine Stätte haben; und die rechte Ehre verbietet die Verfolgung von Schuldlosen. Fürsten sind berufen, die Unschuldigen zu beschützen und den Unterdrückten Recht zu schaffen; Schmach über sie, wenn sie stattdessen selber die Angreifer der Gerechten werden. Es war schlimm, als der Mann Gottes sich von denen, die das Richteramt auf Erden innehatten, verfolgt sah, denn ihre hohe Stellung verlieh ihrer Feindseligkeit besondere Wucht und Schärfe. Wohl ihm, dass er bei seinem schweren Leiden in Wahrheit beteuern konnte, dass sie ihn ohne Ursache verfolgten. Er hatte ihre Gesetze nicht übertreten, hatte sie nicht beleidigt, hatte nicht einmal den Wunsch gehegt, dass ihnen etwas zuleide geschehe; Gedanken an Aufruhr und gesetzwidrige Selbsthilfe hatten in seinem Herzen keinen Widerhall gefunden, weder offen noch heimlich hatte er der Gewalt der Machthaber Widerstand geleistet. Während dies freilich die Handlungsweise der Fürsten gegen ihn umso unentschuldbarer machte, nahm es doch für ihn dem Leiden in gewissem Sinne den Stachel und half dem wackeren Knechte Gottes, mutig auszuhalten. Und mein Herz fürchtet sich vor deinen Worten. Er hätte wohl von der Furcht vor den Gewaltigen der Erde überwältigt werden können, wenn nicht eine höhere Furcht diese geringere ausgetrieben hätte; so aber ward er ganz von der heiligen Ehrfurcht vor dem Worte Gottes beherrscht. Wie gering werden doch Zepter und Kronen in der Schätzung eines Mannes, der eine so viel höhere Majestät in den Geboten seines Gottes erkennt. Wir werden nicht leicht durch Verfolgung entmutigt oder zu sündiger Selbsthilfe verführt werden, wenn das Wort des Höchsten stets die Obermacht über unser Inneres besitzt.
162. Ich freue mich über deinem Wort wie einer, der eine große Beute kriegt. Jene heilige Scheu hinderte ihn nicht an der Freude; seine Furcht vor Gott war nicht von jener Art, die durch die völlige Liebe ausgetrieben wird, sondern wurde im Gegenteil durch diese gefördert. Er zitterte vor Gottes Wort, und doch freute er sich darüber. Er vergleicht seine Freude mit derjenigen eines Kriegshelden, der nach langer Schlacht endlich den Sieg errungen hat und nun seine Beute mustert. Dies Letztere ist ja gewöhnlich ein Geschäft der Fürsten (V. 161), und wiewohl David ihnen in Gesinnung und Handlungsweise sehr unähnlich war, hatte er für sein Teil doch auch Siege zu verzeichnen, und seine Beute wog ihren reichsten Raub auf. Der Gewinn, den der Psalmist durch die Erforschung der Schrift eroberte, war kostbarer als große Kriegsbeute. Auch wir müssen die göttliche Wahrheit uns erkämpfen; jede Wahrheit kostet eine Schlacht. Wenn wir uns aber durch persönliche Kämpfe zu einem vollen Verständnis derselben durchgerungen haben, wird sie uns zwiefach kostbar. In unseren Tagen haben diejenigen, die die Wahrheit hochhalten, ein reichliches Maß von Kampf um Gottes Wort; möge uns als Beute ein desto festerer Besitz an diesem unschätzbaren Schatze zuteilwerden.
Vielleicht ist der Gedanke des Psalmdichters jedoch der, dass er sich freut wie einer, der auf einen verborgenen Schatz gestoßen ist, um den er gar nicht gekämpft hat. Dann zeichnet das Bild uns den Mann Gottes, der beim Bibellesen große, herrliche Entdeckungen macht von Schätzen der Gnade, die für ihn darin niedergelegt sind; eine köstliche Überraschung, denn solchen Reichtum zu finden hatte er gar nicht erwartet. Ob wir der Wahrheit habhaft werden, indem wir unvermutet auf sie treffen oder indem wir sie in hartem Kampf erringen, immer sollte dieses Himmelskleinod uns gleich teuer sein. Mit welch großer, aber auch still verborgener Freude kehrt der Pflüger heim mit dem goldenen Schatz, den er im Acker gefunden! Wie jauchzen die Sieger, während sie sich in die Beute teilen! Und wie fröhlich sollte der Mann sein, der seinen Anteil an den Verheißungen der Heiligen Schrift entdeckt hat und sich nun an dem Reichtum weiden kann, da ihm der Geist Zeugnis gibt, dass es alles für ihn bestimmt, alles sein eigen ist!
163. Lügen bin ich gram und habe Gräuel daran. Ein Ausdruck genügt dem Psalmisten nicht, um seinen Abscheu kräftig genug zu bezeichnen. Lüge in der Lehre, im Leben, in Wort und Gedanken, kurzum in jeder Gestalt war ihm aufs äußerste verhasst geworden. Das ist für einen Morgenländer etwas Außerordentliches, denn im Allgemeinen ist das Lügen bei allen orientalischen Völkern sehr beliebt, und tadelnswert erscheint ihnen eigentlich nur die Ungeschicklichkeit, die sich dabei ertappen lässt. Ist es David selber, der hier redet, so sehen wir hierin bei ihm einen großen Fortschritt gegen frühere Zeiten. Doch meint der Psalmist wohl nicht nur die Lüge im gewöhnlichen Sinne, die Falschheit im Reden, sondern jegliche Unwahrhaftigkeit und Verderbtheit, auch im Glauben und in der Lehre. Er erklärt alles Widerstreben gegen den Gott der Wahrheit für Lüge, und seine ganze Seele empört sich dagegen und bricht aus in heiliger Entrüstung. Wer gottselig ist, sollte falsche Lehre geradeso hassen, wie er gemeine Lüge verabscheut. Aber dein Gesetz habe ich lieb, darum weil es lauter Wahrheit ist. Seine Liebe war so feurig wie sein Hass. Wahrhaftige Menschen lieben die Wahrheit und hassen die Lüge. Es ist für uns wichtig, zu wissen, worauf unser Lieben wie unser Hassen gerichtet ist, und wir können oft auch andern damit einen sehr wertvollen Dienst leisten, dass wir sie deutlich wissen lassen, wie es damit bei uns steht. Liebe sowohl als Hass sind ansteckend, und sind sie geheiligt, dann je einflussreicher, umso besser.
164. Ich lobe dich des Tages siebenmal um der Rechte willen deiner Gerechtigkeit, um deiner gerechten Ordnungen willen. Er mühte sich, den Gott der Vollkommenheit auch in vollkommener Weise zu preisen, und machte darum die heilige Zahl voll an Lobgesängen. Die Sieben mag auch allgemeiner die Häufigkeit bezeichnen sollen. Oft am Tage erhob er sein Herz zu Gott, um ihm zu danken für die göttlichen Lehren in seinem Worte wie für sein göttliches Walten in der Regierung der Geschicke. Mit lauter Stimme pries er die Gerechtigkeit des Richters aller Welt. Sooft immer er an Gottes Rechtsordnungen und Rechtstaten gedachte, kam ein Loblied über seine Lippen. Musste er an seinem eigenen Leibe erfahren, wie die Fürsten Unschuldige verfolgten, und musste er sehen, wie die Lüge ringsumher im Schwange ging, so fühlte er sich dadurch umso mehr angetrieben, Gott, der in allem lauter Wahrheit und Gerechtigkeit ist, anzubeten und zu verherrlichen. Berauben andere uns unseres Ruhms und unserer Ehre, so sei uns das eine Warnung, dass wir Gott gegenüber, der so viel mehr als wir würdig ist, zu nehmen Preis und Ehre, nicht in den gleichen Fehler verfallen. Lobsingen wir dem HERRN, wenn wir unter Verfolgung und Verleumdung stehen, so wird ihm solches Lob desto lieblicher sein, als es davon ein Zeugnis ist, dass wir im Leiden Glauben halten. Halten wir uns frei von allem Lügenwesen, so wird unser Lobgesang dem HERRN umso mehr wohlgefallen, als er von reinen Lippen kommt. Schmeicheln wir nie den Menschen, so werden wir desto besser befähigt sein, den HERRN zu ehren. Preisen wir Gott siebenmal des Tages? Oder tun wir’s vielleicht in sieben Tagen einmal?
165. Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben. Welch ein liebliches Wort ist doch dies! Es redet nicht von denen, die das Gesetz vollkommen halten - denn wo würden solche zu finden sein? - sondern von denen, die es lieben, deren Herzen und Hände sich nach seinen Vorschriften und Forderungen zu richten bedacht sind. Mögen sie auch, gerade weil sie in allen Stücken im Gehorsam des Wortes zu wandeln suchen, viel angefeindet werden, so haben sie doch Frieden, ja großen Frieden; denn ihnen hat sich das Geheimnis von der Versöhnung durch des Lammes Blut enthüllt, sie erfahren die Kraft des Trostes des Heiligen Geistes und stehen zu Gott dem Vater in dem seligen Kindesstand. Der HERR hat ihnen seinen Frieden zu schmecken gegeben, der höher ist denn alle Vernunft. Wohl haben sie viele Trübsale und werden von den Stolzen bitter verfolgt; doch ist ihre gewöhnliche Gemütsverfassung die eines tiefen Friedens, eines Friedens, der viel zu groß ist, als dass diese kleine Welt ihn ihnen nehmen könnte. Und werden nicht straucheln. Sind auch der Steine viele, die ihnen im Wege liegen, so werden sie ihren Fuß doch nicht daran stoßen; die Versuchungen und Anfechtungen werden sie nicht zu Fall bringen. Denen, die Gott lieben, müssen vielmehr alle Dinge zum Besten dienen, ihnen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Es ist ja unmöglich, dass nicht Ärgernisse kommen; aber diese Liebhaber des göttlichen Gesetzes sind rechte Friedenskinder, die selber kein Ärgernis geben und durch den Frieden Gottes, der in ihren Herzen regiert, bewahrt werden, dass sie nicht Ärgernis nehmen. Der rechte Seelenfriede, der auf dem Gehorsam des Glaubens, auf der Übereinstimmung unseres Willens mit dem heiligen, seligen Gotteswillen beruht, ist ein lebensvoller, dauernder Friede, wohl wert, dass man von ihm mit warmer Begeisterung rede, wie es der Psalmist hier tut.
Psalm 119
Verfasst: 24.04.2025 05:36
von Jörg
166. HERR, ich warte auf dein Heil, wie der Erzvater Jakob (1. Mose 49,18), und tue nach deinen Geboten. Da haben wir das Heil aus Gnaden, samt seinen Früchten. Seine ganze Hoffnung setzte der Psalmist auf Gott, zu ihm allein schaute er um Hilfe aus für Leib und Seele; und zugleich bemühte er sich aufs ernstlichste, die Vorschriften seines Gesetzes zu erfüllen. Gerade jene Leute, die am wenigsten auf gute Werke ihr Vertrauen setzen, haben oft am meisten davon aufzuweisen. Die gleiche göttliche Erleuchtung und Gnade, die uns von aller Selbstgerechtigkeit freimacht, lehrt uns auch und macht uns fähig, bereit zu sein zu jeglichem guten Werk, zur Verherrlichung Gottes. In Zeiten der Trübsal und Anfechtung gilt es zweierlei: erstens dass wir die Hoffnung ganz auf Gott setzen, und sodann, dass wir tun, was recht ist. Das erste ohne das zweite wäre Anmaßung, das zweite ohne das erste toter Werkdienst. Wohl uns, wenn wir wie der Psalmist das Zeugnis unseres Gewissens haben, dass unser Tun sich nach den Kundgebungen des göttlichen Willens richtet. Handeln wir recht vor Gott, so dürfen wir überzeugt sein, dass er an uns gnädig handeln wird.
167. Meine Seele hält (oder: hat beobachtet) deine Zeugnisse. Mein äußeres Leben richtet sich nach deinen Geboten, und mein Innenleben, meine Seele, bewahrt deine Zeugnisse. Gott hat viele heilige Wahrheiten bezeugt, und sie halten wir fest wie das Leben selbst. Der Gottselige sammelt die Wahrheit Gottes in seinem Herzen auf als einen überaus köstlichen Schatz. Sein Innerstes wird ein getreuer Hüter dieser göttlichen Lehren, die seine einzige Richtschnur sind in allem, was Seele und Seligkeit betrifft. Und liebt sie sehr: danach war dies der Grund, warum er sie hielt. Aber eigentlich heißt es: Und ich gewann sie sehr lieb. Somit war inbrünstige Liebe zu Gottes Zeugnissen die Folge davon, dass er sich treulich bemühte, sie zu halten. Er beobachtete die geoffenbarte Gotteswahrheit nicht bloß aus Pflichtgefühl, sondern es erfasste ihn eine tiefe, unwiderstehliche Neigung zu denselben. Er ward davon durchdrungen, dass er lieber sterben würde als ein Stück der Offenbarung Gottes preisgeben. Je mehr wir unser Inneres mit der himmlischen Wahrheit füllen, desto lieber werden wir sie gewinnen; je mehr wir den unausforschlichen Reichtum der Heiligen Schrift erkennen, desto mehr wird unsere Liebe zu ihr alles Maß überschreiten, dass wir vergeblich nach einem Ausdruck ringen, diese tiefe Neigung in Worte zu fassen.
168. Ich halte (oder: habe beobachtet) deine Befehle und deine Zeugnisse. Alles, was ihm von Gott gegeben worden, die Unterweisungen in der göttlichen Wahrheit und die Anweisungen zum göttlichen Wandel, hatte der Psalmist in seinem Herzen behalten und in seinem Leben gehalten. Es ist ein köstlich Ding, wenn diese beiden Teile der göttlichen Offenbarung gleicherweise erkannt, anerkannt und bekannt werden; bei Gottes Wort soll es kein Auslesen und Auswählen geben. Wir kennen Leute, die sich bestreben, den sittlichen Vorschriften der Bibel nachzukommen, die aber zu meinen scheinen, bei der Lehre der Schrift handle es sich um Ansichten, die jeder nach seiner eigenen Meinung gestalten und umgestalten dürfe. Das ist ein sehr unvollkommener Stand. Und wiederum sind wir anderen begegnet, die in allen Punkten der Lehre von ängstlicher Strenge sind, sich dabei aber den sittlichen Forderungen der Schrift gegenüber in ganz trauriger Weise gehen lassen. Auch dies ist vom Richtigen sehr weit entfernt. Nur wo beide gleich gewissenhaft gehalten werden, haben wir den vollkommenen Mann. Denn alle meine Wege sind vor dir, sie sind dir gegenwärtig. Der Psalmdichter will damit wohl sagen, dass dies der Beweggrund ist für sein Streben, in Lehre und Leben stets auf der rechten Linie zu bleiben, weil er weiß, dass Gott ihn allezeit sieht, und er eben in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes sich vor jedem Abweg scheut. Oder ruft er vielleicht Gott zum Zeugen an, dass er soeben wahr geredet habe in dem, was er über sich selbst ausgesagt hat? Auf jeden Fall gewährt es nicht geringen Trost, zu wissen, dass unser Vater im Himmel alles weiß, was uns betrifft, und dass er, wenn Fürsten wider uns sind und die Kinder dieser Welt uns mit Lügen anfeinden, uns rechtfertigen kann, weil vor ihm nichts heimlich und verborgen ist.
Auffällig ist der Gegensatz zwischen dem Schlussverse dieser Gruppe und dem der nächsten, mit welchem zugleich der Psalm endet. Hier, V. 168, ein Bekenntnis der Unsträflichkeit: Ich halte deine Befehle; dort, V. 176, ein Sündenbekenntnis: Ich bin wie einverirrtes und verlorenes Schaf. Beides ist richtig, beides aufrichtig. Die Erfahrung lässt uns manchen scheinbaren Widerspruch verständlich erscheinen, und dies hier ist ein Beispiel dafür. Wir können uns vor Gottes Angesicht von offenkundigen Fehlern frei wissen und uns dennoch dabei zu gleicher Zeit vieler Abirrungen unseres Herzens schmerzlich bewusst sein, von denen nur seine Hand uns je und je wieder zurechthilft.
Erläuterungen und Kernworte zum Psalm als Ganzem
Dieser Psalm leuchtet und strahlt unter den übrigen velut inter ignes luna minores (Horaz, Oden I, 12) wie unter den kleineren Himmelslichtern der Mond, am Himmel der Psalmen, ein Stern der ersten Größe, sowohl hinsichtlich seiner Form als seines Inhaltes, denn hier ist die gefälligste Form mit dem trefflichsten Inhalt verbunden. Der Psalm ist überreich an Stellen von größter Erhabenheit, an tiefen Mysterien, an fesselnder Lebendigkeit, an hochfliegender Begeisterung. W. Simmons 1661.
Alle übrigen Psalmen habe ich ausgelegt.1 Den (nach der Zählung der Vulgata) 118. aber legte ich zurück, weniger wegen seiner wohlbekannten Länge als wegen der nur wenigen erkennbaren Tiefsinnigkeit. Obwohl meine Brüder mir das sehr übel nahmen und mich heftig drängten, diese schuldige Pflicht zu erfüllen, gab ich doch lange ihrem Bitten und Heischen nicht nach, weil ich, sooft ich über die Sache nachdachte, fand, dass sie die Kräfte meines Geistes überschreite. Denn je mehr er aufgeschlossen erscheint, desto tiefer kommt er mir vor, so dass ich gar nicht zeigen kann, wie tief er ist. Denn bei anderen, die schwer zu verstehen sind, ist, wenn auch der Sinn in Dunkelheit verborgen ist, doch diese Dunkelheit offenbar. Bei diesem Psalm aber ist nicht einmal dies der Fall; denn er erscheint oberflächlich betrachtet so, dass er gar keines Auslegers, sondern nur eines Lesers und Hörers bedarf. Aurelius Augustinus † 430.
Mein Vater gab mir den Rat: Nimm jeden Morgen einen Vers dieses Psalms vor und denke im Laufe des Tages darüber nach. So kommst du im Laufe des Jahres zweimal durch den Psalm, und das wird dir die ganze übrige Schrift lieber und teurer machen. Und alle Gnade wächst in dem Maße, wie die Liebe zu Gottes Wort wächst. Matthew Henry † 1714.
Es ist sonderbar, dass von allen Bibelabschnitten, die mich meine Mutter lehrte, der, der mir die meiste Mühe beim Lernen machte und der meinen kindlichen Geist am meisten abstieß, der 119. Psalm, nun mir der allerköstlichste geworden ist in seiner überströmenden herrlichen und leidenschaftlichen Liebe zu Gottes Wort. John Ruskin.
Die meisten Hauptstellen dieses Psalms über das Wort Gottes sind jedem Kinde im Gedächtnis. Es ist das schönste Kennzeichen einer Lehre, wenn sie auch ein Kind unterrichtet. Joh. G. von Herder † 1803.
Es haben sich über diesen Psalm allerlei falsche Ansichten festgesetzt. Köster, v. Gerlach, Hengstenberg, Hupfeld verzichten auf Nachweisung irgendwelcher Planmäßigkeit und finden hier eine Spruchreihe ohne inneren Fortschritt und Zusammenhang. Ewald beginnt gleich mit dem Irrtum, dass wir das lange Gebet eines alten, erfahrenen Lehrers vor uns haben. Aus V. 9 f. ist aber klar, dass der Dichter selbst ein Jüngling ist, was sich auch durch V. 99.100.141 bestätigt. Er ist ein junger Mann, der sich in einer deutlich beschriebenen Lage befindet: er wird gehört, verfolgt, umhergetrieben, und zwar von Verächtern des göttlichen Worts (denn Abfall umgibt ihn ringsum), insbesondere von einer der wahren Religion feindlichen Regierung (V. 23.46.161); er hat schon in Banden gelegen (V. 61, vergl. V. 83), muss immer des Todes gewärtig sein (V. 109), und zwar erkennt er in seinem Leiden Gottes heilsame Demütigung, und Gottes Wort ist darin sein Trost und seine Weisheit, aber er sehnt sich auch nach Hilfe und fleht darum - der ganze Psalm ist ein Gebet um Beständigkeit inmitten einer gottlosen Umgebung und in großer Trübsal, welche durch den Schmerz über den herrschenden Abfall gesteigert wird, und Gebet um endliche Errettung, welche in der Gruppe K. (V. 81-88) sich bis zu dem inständigen "Wie lange!" steigert. Hat man diese scharf ausgeprägte Physiognomie des Psalms erkannt, so wird man nicht allen inneren Fortschritt vermissen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Man hat aus einzelnen Sprüchen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Verfassers gezogen; er sei noch jung (V. 9.99f.141), er sei gefangen (V. 61.83) usw. gewesen. Allein jene Aussagen sind nur scheinbar individuell. Zwar tritt das Ich des Psalmisten - im Unterschied von der eigentlichen Spruchdichtung - stark hervor; aber was er von sich sagt, ist ganz überwiegend so allgemein gehalten, spiegelt auch in so zahlreichen Fällen das Interesse wieder, das die Gemeinde der Frommen an dem Gesetze Gottes hat, dass man kein Recht hat, die wenigen Stellen, die sich allenfalls auf rein persönliche Erlebnisse oder Lagen deuten lassen, in diesem Sinne zu verwerten, zumal sie auch durchweg eine andere Deutung vertragen. Nur dass man freilich nicht so weit gehen kann zu sagen, es rede überall "die Gemeinde"; dies verbietet die Rücksicht auf Vers wie 63.74 u. a. Der Psalmist ist - eine nicht seltene Erscheinung - eine mit den Empfindungen eines größeren Kreises eng verbundene Persönlichkeit; und dieser größere Kreis ist deutlich der der Gesetzestreuen, denen eine anscheinend nicht unbeträchtliche Zahl abtrünniger Volksgenossen feindselig gegenübersteht, und die auch in die Lage kommen, ihre Glaubensüberzeugung vor Fürsten und Königen (doch wohl heidnischen) zu vertreten. - Ob der Psalm der letzten persischen oder der ersten griechischen Zeit entstammt (ca. 330 v. Chr.), wird sich kaum entscheiden lassen. Lic. Hans Keßler 1899.
Fußnote
Die Auslegungen der Psalmen, Enarrationes in psalmos, bilden eine der umfangreichsten Schriften Augustins; in der bis jetzt noch gangbarsten Ausgabe seiner Werke, der Mauriner oder Benedictiner, nehmen sie den ganzen IV. Band ein. - E. R.
Psalm 119
Verfasst: 27.04.2025 09:02
von Jörg
Erläuterungen und Kernworte zum Psalm als Ganzem
Psalm 119 ist eine zur Unterstützung des Gedächtnisses alphabetisch geordnete Sammlung von Sprüchen, in welcher im Ganzen eine planmäßig fortschreitende Gedankenentwicklung schwerlich beabsichtigt ist, so scharfsinnig Ötinger, Burk und Delitzsch eine solche nachzuweisen versucht haben, wogegen es allerdings lehrreich ist, der Ideenassoziation in der Gruppierung der einzelnen Sprüche nachzugehen. Der Preis des göttlichen Wortes als des alleinigen Führers zu Glück und Frieden, die Ermahnung zur unerschütterlichen Treue gegen dasselbe auch unter Schmach und Verfolgung, die Bitte zu Gott um Erleuchtung zur Erlangung des Verständnisses seiner Gebote und um Kraft zur Erfüllung derselben - dies und Verwandtes bildet den Inhalt dieser Sprüche, die ein schönes Zeugnis dafür sind, wie in dem durch Esras Wirksamkeit geweckten Gesetzeseifer eine lebendige Frömmigkeit wurzeln konnte. Daneben weist der Psalm freilich auch in mehreren Stellen auf feindseligen Widerspruch, ja auf Verfolgungen hin, denen die Treue gegen das Gesetz ausgesetzt war. Prof. Gustav Öhler † 1872.
Jeder Vers enthält entweder eine besondere Lobpreisung des Wortes Gottes nach einer oder der anderen Seite seines Wesens hin, oder ein Bekenntnis Davids von seiner herzlichen, aufrichtigen Liebe zu demselben, oder schließlich ein Gebet um Verleihung der Gnade, stets in Gemäßheit desselben leben zu können; denn auf eines dieser drei, Lobpreisung, Bekenntnis, Bitte, können alle Verse dieses Psalms zurückgeführt werden. W.Cowper † 1619.
Gottes Gesetz, dieser erhabene Ausdruck und Ausfluss der Heiligkeit seiner Natur mit der Forderung der Heiligkeit an seine Geschöpfe, erscheint durch den ganzen Psalm hindurch als der eine große Gegenstand der Liebe, der Bewunderung, der Freude eines dankerfüllten Gemütes, dem Gottes Gebote köstlicher sind als Gold, ja als viel feines Gold, und süßer denn Honig undHonigseim. J. Ewards † 1716.
Gegenstand der Sprüche dieses Psalms ist durchweg das geoffenbarte Wort Gottes, dessen Herrlichkeit gepriesen, dessen in den mannigfachen Lagen des Lebens heilsam wirkende Kraft bezeugt, dessen dauernder und immer völligerer Besitz erstrebt und erbeten wird. Die Gesinnung des Verfassers bestimmt sich im Wesentlichen als Treue und Zuversicht; er hält an dem Wort seines Gottes, weiß sich aber ebenso sehr von ihm gehalten. Und zwar ist ihm das "Wort Gottes" göttliche Offenbarung im umfassenden Sinn: es ist ihm ebenso göttliche Willensäußerung, verpflichtend, richtend, regierend, wie Mitteilung göttlichen Lebens, erleuchtend, erhebend, erquickend. Der Umstand, dass der erstere Gesichtspunkt erheblich überwiegt, und demgemäß die praktische Bedeutung des Wortes Gottes für den Psalmisten beinahe darin aufgeht, dass es eine heilige und heiligende Lebensordnung ist, die bewahrt, befolgt, studiert, geehrt, geliebt sein will, weist dem Gedicht seine Stelle innerhalb der nachexilischen, in das eigentliche Judentum einmündenden Entwicklung der Religion Israels an. Dabei darf aber nicht unbemerkt bleiben, dass, abgesehen von dieser judaisierenden Richtung im Ganzen und Großen, die Sprüche im Einzelnen spezifisch Jüdisches in kaum nennenswertem Maße bringen; gerade Charakteristika des späteren pharisäisch gerichteten Judentums, Selbstgenügsamkeit und Selbstüberhebung, toter Traditionalismus u. a. deuten sich entweder nur vereinzelt an oder sind überhaupt nicht vorhanden. Lic. H. Keßler 1899.
Dieser Psalm versetzt uns ganz in die Zeit Esras. Als Israel aus Babel zurückgekehrt war, fühlte es die große und schwere Schuld, welche ihm so großes Unheil zugezogen hatte, erkannte aber auch, dass ein Hauptgrund, warum es in dieselbe geraten war, in der großen Unkenntnis des Gesetzes, welche unter dem Volke herrschte, lag, und drang selbst auf die Verlesung desselben. (Siehe Neh. 8.) Wie die von dieser Zeit durch das Land hin gestifteten Synagogen bezeugen, war überhaupt das Volk in einen Geisteszustand getreten, wo es in dem sinnbildlichen Gottesdienst kein Genüge fand, sondern nach Erkenntnis der göttlichen Offenbarung auf Grund des geschriebenen Wortes trachtete. Da lag den wahrhaft geistlich gesinnten Männern vorzugsweise daran, dass dem Volke das Wort des HERRN nicht bloß recht nahegebracht und verständlich gemacht, sondern sein hoher Wert, seine Bedeutung für das innere und äußere Leben, seine in der Erfahrung erst recht sich auftuenden Schätze ihm ans Herz gelegt würden. Aus solchem Wunsche ist die lange Spruchsammlung dieses alphabetischen Psalms hervorgegangen. Prof. O. von Gerlach 1849.
Diese Sammlung von Gebetssprüchen soll ausschließlich der Privatandacht dienen; darum fehlt hier jeder unzweideutige Hinweis auf irgendein Ereignis aus der Geschichte des Volkes, auf ein Fest, eine Stätte der gemeinsamen Gottesverehrung. David, Salomo, Moses, Aaron, Ägypten und der Zug durch die Wüste, Jerusalem, der Berg Zion, Ephrata, der Tempel oder Altar, Priester oder Volk, von all diesem findet sich keine Spur. Das ganze Lied enthält nur die inbrünstigen Herzensergießungen einer frommen Seele, im verschlossenen Gebetskämmerlein, allein mit ihrem Gotte, redend und singend von seiner Heiligkeit und von dem Troste, den der Mensch bei aller Trübsal in seinem Worte, in der Offenbarung seines Willens findet. - Was die eigentümliche alphabetische Aneinanderfügung einer Reihe einzelner Stücke zu einem Ganzen betrifft, so gehören noch jetzt derartige Dichtungen im Orient nicht zu den Seltenheiten, so namentlich bei den persischen Dichtern. Das einzelne Lied heißt da Ghasel, und die zusammengehörigen bilden einen "Divan". Der arabische Dichter Temoa hat dafür den glücklichen Namen Perlenschnüre gewählt. James Millard Good † 1827.
Das Prinzip der Zusammenstellung ist das rein äußerliche der alphabetischen Anordnung. Wie entfernt der Verfasser gewesen ist, weitergehende logische oder stilistische Anforderungen an sein Werk zu stellen, geht schon daraus hervor, dass in der b Strophe die Präposition bI: nicht weniger als siebenmal, in der d Strophe K:redIe fünfmal an den Anfang des Verses gesetzt ist; die h Strophe wird durch siebenmalige Anwendung einer Imperativform des Hiphil, die w Strophe durch achtmalige Benutzung der Konjunktion w: hergerichtet; in der + Strophe eröffnet das Wort bw+ vier Verse, in der l Strophe die Präposition l: ihrer sieben, usw. Lic. H. Keßler 1899.
"Mit Sicherheit behaupten lässt sich," sagt Hitzig, "dass der Psalm im makkabäischen Zeitalter von einem in heidnischer Gefangenschaft befindlichen namhaften Israeliten verfasst ist." Möglich allerdings, dass das Flechtwerk eines so langen Psalms, welches bei aller Pünktlichkeit von Anfang bis zu Ende uns in die sanfte Schmerzensmiene eines Konfessors blicken lässt, die Arbeit eines Eingekerkerten ist, welcher sich mit dieser Zusammenflechtung seiner Klagen und Trostgedanken die Zeit kürzte. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Dieser Gebetspsalm ist viel länger als irgendeiner der anderen. Auch der Herr straft ja Mt. 6,7 und Mk. 12,40 nicht das lange Beten an sich, sondern das heidnische Plappern, die Vielrederei, und die pharisäische Heuchelei, die zum Vorwande lange Gebete spricht. An sich kann langes Beten unter Umständen gut und lobenswert sein, vergleiche Hanna 1. Samuel 1,12 und Jesus selbst Lk. 6,12. Mir scheint übrigens der Psalm eine Sammlung von vereinzelten Gebetsseufzern zu sein, die der Psalmist erst später zu einem Ganzen zusammenstellte. Daraus erklärt sich, dass nur wenig Zusammenhang zwischen den einzelnen Versen besteht. Wie in den Sprüchen Salomos, haben wir hier nicht so sehr eine Kette als vielmehr eine Truhe voll kostbarer goldener Ringe. Auch wir sollen uns daran gewöhnen, oft solche kurzen Seufzer und Dankesworte zu Gott emporzusenden; denn sie finden treffliches Mittel, den Verkehr mit Gott lebendig zu erhalten und unser Herz in der rechten Verfassung zu bewahren. Und da können uns gerade die Worte dieses Psalms trefflich dienen, sei es zur Erweckung, sei es als Ausdruck unserer Andacht. Jemand hat gesagt, wer diesen Psalm nachdenkend lese, dem werde er entweder das Herz warm machen von Liebe zum HERRN und seinem Wort, oder er werde ihm zur demütigenden Beschämung dienen. Matthew Henry † 1714.
Der Psalm ist nach seiner Einrichtung nicht bestimmt, in einem Zuge gelesen zu werden; er soll so benutzt werden, wie etwa die Losungen und Lehrtexte aus der Brüdergemeinde. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
Diese und jene der Sinnsprüche aus der Zahl der übrigen herauszunehmen leidet die Natur des Psalms gar wohl; ob ich gleich, wenn ich ihn ganz durchlese, so viel wesentlich verschiedene Gedanken, obgleich immer über denselben Gegenstand, und auch wo der gleiche Hauptgedanke wiederkommt, so viel neue wichtige Nuancen antreffe, dass ich die "unaufhörliche Tautologie", die in diesen 176 Versen selbst nach eines Mendelssohns Urteil sein soll, nicht mehr finden kann. Mich dünkt, seine eigene vortreffliche Übersetzung zeige, dass ganze Tiraden von Sätzen nichts weniger als tautologisch sind, so dass sie, in einem kürzeren Psalm gelesen, sich nicht nur durch den verschiedenen Inhalt, sondern selbst durch einen leichten und schönen Zusammenhang empfehlen würden. Zuweilen machen mehrere Verse nur einen Hauptgedanken aus, z. B. V. 97-100. So ist V. 33-39 ein Gebet, das sich gar wohl in einem fort lesen lässt, dergleichen man auch in anderen Psalmen antrifft. Übrigens glaube ich freilich auch, dass hier nicht an künstlichen Zusammenhang zu denken sei. Antistes J. J. Heß 1789.
Inhalt der 22 Gruppen: 1) Der Segen des Wandels nach Gottes Wort. 2) Dieses Wort ist der einzige Schutz der Jugend gegen die Sünde. 3) Darum will ich an diesem Worte festhalten, trotz dem Hohn der Welt. 4) Sehnsucht nach dem Troste des Wortes Gottes. 5) Verlangen nach der Gnade, stets dem Wort gehorsam zu sein. 6) Festes Vertrauen auf das Wort, innige Freude daran. 7) Der Trost des göttlichen Wortes in bösen Tagen. 8) Die Freude, Teil an Gott, Gemeinschaft mit anderen Gläubigen zu haben. Denen, die ihn lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. 9) Aus Gottes Wort lernen wir den Segen der Trübsal, die uns von der Welt weg und zu Gott hinzieht. 10) Das Beispiel der Ergebung des Frommen in Anfechtung führt auch andere zu dem HERRN. 11) Inbrünstiges Sehnen nach dem Kommen des Reiches Gottes, dem alle Dinge untertan sein sollen, wie sein Wort verheißt. 12) Das Wort Gottes ist ewig, unwandelbar, von unendlicher Vollkommenheit. 13) Darum ist es die einzige Schatzkammer der rechten Weisheit, sowie 14) die einzige Leuchte in der Finsternis und den Stürmen der Welt. 15) Alle Angriffe der Zweifler sind verwerflich und schaden der Seele; sie werden zu Schanden machen, die damit umgehen. 16) Gebet um Standhaftigkeit und Verstand. 17) Das Wort Gottes bringt Erleuchtung und Trost denen, die ernstlich darum bitten, und erfüllt die Seele mit Mitleid gegen die Verächter. 18) Selbst die endliche Seele vermag fest zu stehen, wenn sie Glauben hat an die Reinheit, Wahrheit und Gerechtigkeit von Gottes Gesetz. 19) Ernstliches Gebet um die Gnadengabe des Glaubens, 20) besonders in Zeiten der Anfechtung und 21) der Verfolgung durch die Mächtigen dieser Welt, denn selbst dann ist Friede, Freude und Wonne bei denen, die Gottes Wort lieben. 22) Schluss: Bitte um Verständnis sowie um Beistand und Gnade von Gott für die Seele, die ihre Schwachheit kennt und allein auf Gottes Hilfe vertraut. Christopher Wordsworth 1868.