Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Psalm 130

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PSALM 130 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift und Inhalt

Ein Wallfahrtslied. Auch dieser Psalm begünstigt, wie der vorhergehende, die Ansicht nicht, dass diese Lieder eine aufsteigende Stufenreihe bilden. Dagegen ist in dem Psalm selbst ein Aufsteigen sehr deutlich wahrnehmbar; der Dichter erhebt sich aus den Tiefen der Not zu der seligen Höhe der gewissen Hoffnung der Erlösung, wie für sich selbst, so für Israel. Wir wüssten keinen trefflicheren Merknamen für diesen Psalm als den uralten, wohlbekannten De profundis: Aus der Tiefe, das ist das Schlüsselwort (V. 1). Aus dieser Tiefe der Not rufen, harren, warten und hoffen wir mit dem Psalmisten. In diesem Liede hören wir von der herrlichen Perle der Erlösung, V. 7. 8. Der Sänger hätte dies Kleinod wohl nicht gefunden, wenn er nicht hätte in die Tiefen tauchen müssen: Perlen liegen tief.

Einteilung


Die ersten beiden Verse enthüllen uns das tiefe Verlangen der Seele; die beiden nächsten sind ein demütiges Bekenntnis der Buße und des Glaubens. In V. 5. 6 bezeugt der Psalmist, wie sehnlich er des HERRN harre, und in den beiden Schlussversen ermuntert er Israel, auf den HERRN zu hoffen, in der freudigen Gewissheit, dass für Israel wie für ihn selbst das volle Heil kommen werde.

Auslegung

1.
Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir.
2.
Herr, höre meine Stimme,
lass deine Ohren merken
auf die Stimme meines Flehens!
3.
So du willst, HERR, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen?
4.
Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.
Ich harre des HERRN;
meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.
6.
Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern.
7.
Israel hoffe auf den HERRN;
denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm;
8.
und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.



1. Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. Gewöhnlich bringt die Tiefe alles, was sie in ihren Schlund hinabzieht, zum Verstummen; aber den Mund dieses Knechtes des HERRN vermochte sie nicht zu schließen - im Gegenteil, gerade in der Tiefe rief er zu Jehovah. Mitten in den übermächtigen Fluten lebte und kämpfte das Gebet; ja, die helle Stimme des Glaubens übertönte selbst das Gebrüll der Wogen. Es hat wenig zu bedeuten, wo wir uns befinden, wenn wir zu beten imstande sind; unser Beten aber ist nie echterer Art und nie annehmbarer bei Gott, als wenn es aus den schlimmsten Lagen zu Gott aufsteigt. Tiefe Fluten erzeugen tiefe Andacht. Tiefen des Ernstes werden aufgerührt durch tiefe Flutwellen der Trübsal. Die Diamanten funkeln im Dunkeln am hellsten. Das Gebet de profundis gibt Gott gloria in excelsis. Je größer unsere Not ist, desto vorzüglicher ist der Glaube, der mutig auf den HERRN traut und darum ihn, und ihn allein, anruft. Wahrhaft fromme Menschen können in Tiefen zeitlicher und geistlicher Not sein; aber die Gottseligen erwarten in solcher Lage die Hilfe allein von ihrem Gott, und sie feuern sich selber an, mit noch größerer Inbrunst zu beten als zu anderen Zeiten. Die Tiefe ihrer Not bringt die innersten Tiefen ihres Wesens in Wallung, und aus dem Grunde ihres Herzens dringt starkes Geschrei zu dem allein wahren und lebendigen Gott. Der Psalmist war schon manchmal in Tiefen gewesen, und ebenso oft hatte er zu Jehovah, seinem Gott, gefleht, in dessen Gewalt auch alle Tiefen sind. Es wäre traurig, wenn wir beim Rückblick auf vergangene Not eingestehen müssten, dass wir darin nicht zum HERRN gerufen hätten; hingegen ist es überaus tröstlich, das Bewusstsein zu haben, dass wir, was immer wir in solchen Umständen nicht getan haben und nicht tun konnten, doch selbst in den schlimmsten Zeiten zum HERRN gebetet haben. Der Dichter unseres Psalms hatte in der Not zum HERRN gefleht, und was er getan, das tut er noch,1 tut er jetzt - es ist ihm zur Natur geworden - er ruft zu seinem Gott, und er hofft fest und gewiss, binnen kurzem Erhörung zu erlangen. Wer in den Tiefen betet, den können sie nicht verschlingen. Wer aus den Tiefen zu Gott schreit, der wird bald auf Höhen singen.

2. Herr, höre meine Stimme. Der Ausdruck hören wird in der Schrift oft gebraucht, um aufmerksames Beachten und Erwägen zu bezeichnen. In einem Sinn hört Gott ja jeden Laut, der auf Erden ertönt, und jedes Begehren jeglichen Herzens. Aber was der Psalmist meint, ist etwas viel Größeres: er begehrt ein freundliches, liebevolles, mitleidiges Gehör, wie die Mutter es dem Kinde gewährt, ein Hören wie das des Menschenfreundes, an dessen Ohr der gellende Hilferuf eines menschlichen Wesens aus den Fluten dringt. Dass der Allherr unsere Stimme höre, ist alles, was wir verlangen; aber mit nichts weniger können wir uns auch zufriedengeben. Wenn der HERR uns nur hören will, so wollen wir es seiner erhabenen Weisheit überlassen, was er dann zu tun für gut findet, ob er uns gerade die Antwort senden will, die wir erhoffen, oder nicht. Es ist unter Umständen etwas Größeres, wenn Gott unser Gebet hört, es mit liebendem Herzen beachtet, als wenn er es buchstäblich erhört. Wenn der HERR uns die unbedingte Zusage geben würde, alle unsere Bitten nach ihrem Wortlaut zu erhören, so könnte das uns mehr zum Unglück als zum Segen gereichen; dann würde die Verantwortlichkeit für die Gestaltung unserer Lebensschicksale auf uns selber lasten, und wir kämen nimmer aus der Angst und Sorge heraus. Nun aber der HERR unsere Bitten hört, sie liebevoll beachtet und erwägt, können wir unser Herz in ihm stillen. Dass er unser Flehen hört, ist uns genug; wir wünschen, dass er unsere Bitten nur gewähre, wenn er in seiner unbegrenzten Weisheit erkennt, dass das zu unserem Besten und zu seiner Verherrlichung dienen werde.


Beachten wir, dass der Psalmist laut betete. Das ist zwar keineswegs notwendig, wohl aber ist es sehr förderlich für uns, denn der Gebrauch der Stimme kommt unserm Denken zu Hilfe. Doch hat auch das stille, unhörbare Flehen eine Stimme; ja selbst unsere Tränen und der tiefe Kummer, der kein Wort hervorbringen kann, reden laut, und auf diese Stimme wird der HERR hören, wenn ihr Rufen für sein Ohr bestimmt ist. Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens. Der Psalmist bringt seine Bitte als ein Bittsteller vor; er fleht demütig und inständig den Allherrn, den erhabenen König, an, er möge ihr sein Ohr leihen. Ob er auch oft seinem gepressten Herzen betend Luft machen muss, es ist doch im Grunde immer wieder dasselbe Flehen, das er so dringlich vor Gott bringt. Ach, dass der HERR darauf lausche und seine Bitte in genaue Betrachtung ziehe, ihrer gedenke und sie berücksichtige! Der Psalmist ist in seiner tiefen Not kaum seiner Sinne mächtig, darum besteht sein Gebet manchmal vielleicht nur aus abgebrochenen Stoßseufzern, die nur mit Mühe zu verstehen sind; desto mehr liegt es ihm an, dass der HERR mit voller Aufmerksamkeit und in herzlichem Erbarmen auf die Stimme seines unablässigen angstvollen Flehens lausche. Haben wir über unsere Not und Leiden zu Gott gebetet, dann ist es gut, auch unsere Gebete selbst zum Gegenstand des Gebets zu machen. Können wir keine Worte mehr finden, so lasst uns den HERRN anflehen, die Bitten zu erhören, die wir ihm bereits vorgebracht haben. Sind wir seiner Mahnung treulich nachgekommen, im Gebet nicht lasch zu werden, so dürfen wir auch der Zuversicht sein, dass der HERR seine Verheißung treulich erfüllen und im Helfen nicht lasch werden wird. Wiewohl der Psalmist, wie uns das Folgende zeigen wird, sich unter dem schmerzlichen Druck des Gefühls seiner Sündhaftigkeit befand und somit, wie in äußeren, so auch in inneren Nöten war, also auch in diesem Sinne in tiefen Tiefen zu versinken drohte, so wandte sich dennoch sein Glaube kühn an Gott, allem Gefühl seiner Unwürdigkeit zum Trotz; denn er wusste gar wohl, dass des HERRN Verheißungstreue sich auf sein eigenes Wesen gründet und nicht auf die Eigenschaften seiner allezeit zum Irregehen geneigten Geschöpfe.


Fußnote
1. Diese Bemerkungen beruhen darauf, dass der Grundtext hier das perf. praes. hat, zum Ausdruck einer längst angenommenen, in der Gegenwart noch fortdauernden Eigenschaft (Gewohnheit). Im Deutschen lässt es sich nur durch das Präsens wiedergeben. Luthers Übers. ist also (gegen. alle alten Übers.) richtig. Vergl. zu Ps. 120,1, S. 11. - James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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