Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps90

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PSALM 90 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Ein Gebet Moses, des Mannes Gottes. Man hat vielfach versucht nachzuweisen, dass Mose diesen Psalm nicht geschrieben haben könne; aber wir bleiben in der Überzeugung unerschüttert, dass jener große Prophet der Verfasser sei. Der Zustand Israels in der Wüste bietet eine so treffliche Erklärung für jeden Vers, und die Redewendungen und Ausdrücke sind manchen, die wir in gewissen Stücken des Pentateuchs finden, so ähnlich, dass die vermeintlichen Schwierigkeiten unserer Ansicht nach leicht wie Luft sind im Vergleich zu den inneren Beweisen des mosaischen Ursprungs. Mose war, wie Stephanus sich ausdrückt, mächtig in Werken und Worten; und wir halten den vorliegenden Psalm für eine seiner gehaltvollsten Schöpfungen, wert, der großartigen im fünften Buche Mose mitgeteilten Rede zur Seite gestellt zu werden. Mose war in hervorragendem Sinn ein Mann Gottes. Als von Gott erwählt, von Gott erleuchtet, von Gott geehrt und Gott treu erfunden in dem ganzen ihm anvertrauten Hause (4. Mose 12,7; Hebr. 3,2), verdiente er vollkommen den Namen, der ihm hier beigelegt wird. Der Psalm wird ein Gebet genannt, und mit Recht; denn die Bitten, mit denen er endigt, sind kein Anhängsel, sondern wachsen aus dem Inhalt des Psalmes hervor; die vorhergehenden Vers sind eine Betrachtung, welche das Flehen vorbereiten. Gottesmänner sind immer Männer des Gebets. Der vorliegende Herzenserguss war wahrlich nicht das einzige Gebet Moses, sondern ist nur ein Beispiel davon, wie der Seher vom Berge Horeb mit dem Himmel zu verkehren und für Israel einzutreten pflegte. Dieser Psalm ist der älteste aller; er steht am Anfang des vierten Psalmbuchs als eine an Erhabenheit und ehrwürdigem Alter einzigartige Dichtung. Wie viele Generationen von Trauernden haben schon diesem Psalme am offenen Grabe gelauscht und aus ihm reichen Trost geschöpft, selbst wenn sie seine besondere Beziehung auf das Israel der Wüste nicht beachtet und sich des viel höheren Standpunktes, auf welchem die Gläubigen jetzt stehen, nicht erinnert haben.

Inhalt und Einteilung

Mose singt von der Hinfälligkeit des Menschen und der Kürze des Lebens, indem er ihm die Ewigkeit Gottes gegenüberstellt, und erfleht daraufhin dringend das göttliche Mitleid. Man mag die Betrachtung V. 1-11 von dem Gebet V. 12-17 scheiden. Nötig ist jedoch nicht einmal diese Teilung, denn der Psalm ist ein wohlgefügtes Ganzes.

Auslegung

1. Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für.
2. Ehe denn die Berge wurden
und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit,
3. der du die Menschen lässest sterben
und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!
4. Denn tausend Jahre sind vor dir
wie der Tag, der gestern vergangen ist,
und wie eine Nachtwache.
5. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom,
und sind wie ein Schlaf;
gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird,
6. das da frühe blüht und bald welk wird
und des Abends abgehauen wird und verdorrt.
7. Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen,
und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.
8. Denn unsre Missetaten stellest du vor dich,
unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesichte.
9. Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn;
wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz.
10. Unser Leben währet siebenzig Jahre,
und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre,
und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist’s Mühe und Arbeit gewesen;
denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.
11. Wer glaubt’s aber, dass du so sehr zürnest,
und wer fürchtet sich vor solchem deinem Grimm?


1. Herr, Obdach bist du uns gewesen von Geschlecht zu Geschlecht. (Wörtl.) Wir müssen den ganzen Psalm als für die Stämme in der Wüste geschrieben betrachten, dann werden wir die ursprüngliche Bedeutung jeden Verses erkennen. Mose sagt: Wiewohl wir in der Wüste, in der dürren Einöde, da es heult, wandern (5. Mose 32,10), finden wir doch in dir, o Gott, ein Obdach, gerade wie unsre Väter, als sie aus Ur in Chaldäa auszogen und unter den Kanaanitern in Hütten wohnten. Den Heiligen ist Adonai, der allwaltende Herrscher der Menschengeschichte, Wohnung und Zuflucht; er herbergt, schirmt, bewahrt, erquickt und tröstet all die Seinen. Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber die Gläubigen haben ihre Heimstätte in ihrem Gott. Nicht in der Stiftshütte oder dem Tempel wohnen wir, sondern in Gott selber, und so ist es allezeit gewesen, seit es eine Gemeinde Gottes in der Welt gibt; wir haben die Wohnung nicht gewechselt. Königspaläste sind unter der zerbröckelnden Hand der Zeit verschwunden - sie sind von Feuer verzehrt worden oder unter Bergen von Schutt begraben; das königliche Geschlecht des Himmels aber hat seine Stammburg nicht eingebüßt. Geh zum palatinischen Hügel, wo ehemals der stolze Augustus und seine Nachfolger thronten, und sieh, wie die Cäsaren vergessen sind von den Hallen, die einst von ihren despotischen Befehlen und dem Zujauchzen der beherrschten Nationen widerhallten; und dann schaue aufwärts zu dem ewig lebenden Jehovah, als dem hehren Obdach der Gläubigen, das von dem Hauch der Vergänglichkeit heute noch ebenso unberührt ist wie zu Abrahams und Henochs Zeiten. Wo unsre Väter schon vor hundert Menschenaltern gewohnt haben, da ist noch unser Heim. Denn von den Gläubigen des Neuen Bundes hat der Heilige Geist gesagt: Wer seine Gebote hält, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1. Joh. 3,24.) Ein göttlicher Mund war es, der sagte: "Bleibet in mir", und dann hinzufügte: "Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht". (Joh. 15,4 f.) Wie köstlich ist es, mit Mose zu dem HERRN zu sagen: Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für! Und wir handeln weise, wenn wir aus der ewigen Herablassung des HERRN Gründe entnehmen, gegenwärtige und künftige Gnadenerweisungen zu erwarten, wie der Psalmdichter es in dem nächsten Psalme tut, wo er die Sicherheit derer schildert, die in Gott wohnen.

2. Ehe denn die Berge geboren wurden. (Grundtext) Noch bevor diese uralten Riesen aus dem Mutterschoße der Natur als deren hehre Erstgeborene hervorgingen, war der HERR in seiner Herrlichkeit und Selbstgenugsamkeit. Die Berge sind, ob auch eisgrau im Schnee der Jahrhunderte, für Gott doch nur eben geborene Kindlein, junge Dinger, deren Geburt erst gestern geschehen, Erscheinungen der letzten Stunden. Und die Erde und die Welt geschaffen wurden.1 Auch hier wird im Hebräischen auf eine Geburt angespielt. Die Erde ward erst neulich geboren und ihr festes Land erst vor einer kleinen Weile von der Flut ausgeworfen. Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, Gott, oder: bist du Gott. Gott war, als noch nichts anderes da war. Er war Gott, als die Erde noch nicht eine Welt, sondern ein Chaos war, als die Berge noch nicht emporgehoben waren und die Erschaffung des Himmels und der Erde noch gar nicht begonnen hatte. In diesem Ewigen, dessen göttliches Sein aus unbegrenzter Vergangenheit in unbegrenzte Zukunft reicht, ist eine sichere Zufluchtsstatt für die aufeinander folgenden Geschlechter der Menschen. Wenn Gott selber von gestern wäre, so würde er keine geeignete Zuflucht sein für die sterblichen Menschen; wenn er sich verändern oder Gott zu sein aufhören könnte, hätten die Seinen in ihm einen gar unsicheren Wohnort. - Das ewige Wesen Gottes wird hier hervorgehoben, um durch den Gegensatz die Kürze des menschlichen Lebens desto stärker zu beleuchten.

3. Der du die Menschen lassest sterben, wörtl.: wieder zu Zermalmtem machst. Der Menschenleib wird in seine Elemente aufgelöst, dass es ist, als wäre er zermalmt und zu Staub zermahlen. Und sprichst: Kehrt wieder, Menschenkinder, nämlich zu dem Staube, davon ihr genommen seid.2 Die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des Menschen wird dadurch auf starke Weise zum Ausdruck gebracht. Gott schafft ihn aus dem Staube, und zurück zum Staube kehrt er wieder auf das Befehlswort seines Schöpfers. Ein Wort hat ihn geschaffen, ein Wort vernichtet ihn. Man beachte, wie die Tätigkeit Gottes hervorgehoben wird. Es heißt nicht, dass die Menschen auf Grund einer Verordnung des Schicksals oder durch die Wirkung unvermeidlicher Naturgesetze sterben, sondern dem HERRN wird die wirkende Kraft in allem zugeschrieben; seine Hand wandelt und seine Stimme spricht. Ohne diese würden wir nicht sterben; keine Macht auf Erden oder in der Hölle könnte uns töten.

4. Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergeht. (Wörtl.) Tausend Jahre - wahrlich ein langer Zeitraum. Wie viel kann sich in ihn zusammendrängen! Das Emporsteigen und Zusammenbrechen von Weltreichen, die Glanzeszeit und die Vernichtung von Herrschergeschlechtern, der Anfang und das Ende kunstvoller Systeme der Weltweisheit und zahllose für die Einzelnen wie für die Familien hochwichtige Ereignisse, welche den Federn der Geschichtschreiber entgehen. Dennoch ist ein so langer Zeitabschnitt, der in der menschlichen Sprache beinahe mit einem unendlichen Zeitraum gleichbedeutend ist, für den HERRN wie nichts. Ein Augenblick, der noch vor uns liegt, ist länger als das Gestern, wenn es am Schwinden ist; denn was vergangen ist, das ist nicht mehr. Ein ganzes Jahrtausend erscheint Gott, wenn er es überblickt, wie uns der gestrige Tag, wenn wir an der Grenze des neuen Tages auf ihn zurückblicken, ja wie eine Nachtwache - ein Zeitabschnitt, der, kaum gekommen, auch schon vergangen ist. Ein Jahrtausend bietet den Engeln kaum Zeit genug, die Wachen zu wechseln. Wenn sie einen tausendjährigen Dienst fast hinter sich haben, ist es ihnen noch, als hätte die Wache nur eben begonnen. Wir durchträumen die lange Nacht der Zeit, Gott aber hält immer Wache. Wie viele Tage und Nächte gehören für uns dazu, ein Jahrtausend voll zu machen, während dieser Zeitraum für Gott noch nicht einmal eine ganze Nacht, sondern nur den dritten Teil einer solchen ausmacht. Sind aber tausend Jahre für Gott nur wie eine einzige Nachtwache, wie lang muss dann die Lebenszeit des Ewigen sein!

5. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom: wie ein Gießbach, der von den Bergen hinabstürzt und alles vor sich herschwemmt, so reißt der HERR die Menschengeschlechter eins nach dem andern durch den Tod hinweg. Er trifft sie wie ein Wetter, das alles verheert. Und sind wie ein Schlaf. Vor Gott haben die Menschen so wenig Wirklichkeit wie die Traumgebilde der Nacht. Nicht nur unsere Gedanken und Pläne, sondern wir selber sind vor ihm wie ein Schlaf. Wir sind vom selben Stoff, aus dem die Träume gebildet werden. Am Morgen sind sie wie Gras, das sprosst. (Wörtl. nach der Auffassung mancher.) Wie das Gras am Morgen in frischem Grün prangt, aber am Abend als dürres Heu welk am Boden liegt, so wandeln sich die Menschen binnen weniger Stunden von blühender Kraft zu Todesohnmacht; denn wir sind nicht Zedern oder Eichen, sondern bloß elendes Gras, das zwar im Frühjahr kräftig aufsprosst, aber nicht einmal einen Sommer ausdauert. Was gibt es auf Erden, das hinfälliger wäre als wir?

6. Am Morgen blüht es und sprosst. (Wörtl. nach der Auffassung mancher.) Das Gras hat seine goldne Lenzeszeit, wenn die Wiesen in reichster Schönheit erblühen, bis sie ganz wie mit Edelsteinen besät glänzen; gerade so erfreut sich auch der Mensch in der Jugend einer Freudenzeit blütenreicher Herrlichkeit. Aber - des Abends wird es abgehauen und verdorrt. Die Sichel macht all den lieblichen Feldblumen den Garaus, und der Tau der Nacht beweint das jähe Ende all der Herrlichkeit. Höre die Geschichte des Grases: es ward gesät, es wuchs, es blühte; es ward gemäht, es verdorrte -. Vernimmst du mit diesen Worten nicht fast auch die Geschichte des Menschen? Die natürliche Abnahme der Lebenskraft würde uns wie dem Grase seinerzeit ein Ende bereiten; doch sind es nur wenige, welche das volle Alter erreichen, denn der Tod kommt mit seiner Sichel und schneidet unser Leben mitten in seiner Blütezeit ab. Welch gewaltiger Wechsel in so kurzer Zeit: der Morgen sah noch das Blühen, und der Abend ist Zeuge des Verwelkens!

Fußnoten
1. Luther folgt hier der LXX die nach ihrer passiv. Übersetzung wohl das pulal llaOxtI:wa gelesen hat. Diese LA. hat den genaueren Parallelismus für sich. Die masoret. LA. wird als Anrede (du kreißtest) aufzufassen sein, nicht als 3. fem. (Erde und Weltkreis kreißten), da "Erde und Weltkreis" in ihrer Verbindung besser als Objekt passen. Das kühne Bild: ehe du mit Erde und Weltkreis kreißtest, darf keinenfalls dogmatisch gepresst werden. Man vergl. 5. Mose 32,18 (Gott der Erzeuger Israels) sowie 1. Mose 2,4 tOdl:OtI des Himmels und der Erde.

2. Oder. zu mir (Gott), vergl. Pred. 12,7; oder Kommt wieder, von den neuen Generationen verstanden, vergl. Pred. 1,4.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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7. So vergehen wir denn wie das Laub; aber diese Sterblichkeit ist nicht zufällig und war für den Menschen in seinem Urzustand nicht unvermeidlich: Das macht dein Zorn. dass wir so vergehen. Das ist die Sichel, die uns dahinmäht, das die Gluthitze, die uns ausdörrt. Dies trat in besonderem Maße damals bei den Israeliten in der Wüste hervor, deren Leben Gott wegen ihrer Halsstarrigkeit gerichtlich verkürzte: sie starben nicht durch natürlichen Kräfteverfall, sondern durch das Feuer der wohlverdienten Zornesgerichte Gottes. Was für ein wehmütiger Anblick muss es für Mose gewesen sein, das ganze Volk in den vierzig Jahren so dahinschwinden zu sehen, bis nicht einer mehr übrig war von allen, die aus Ägypten gezogen waren. Wie Gottes Gnade Leben ist, so bedeutet sein Zorn eitel Tod. Ebenso gut könnte das Gras in einem glühenden Ofen wachsen und blühen, wie der Mensch unter dem Zorn des HERRN gedeihen. Und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen. Sie wurden, wie der Grundtext es ausdrückt, hinweggeschreckt aus dem Lande der Lebendigen durch Gottes Zornglut. In dem Todesgericht offenbarte sich für sie in schrecklicher Weise der göttliche Grimm. Das ist ja nun von uns auch in gewissem Maße wahr; aber doch eben nur in gewissem Maße. Denn jetzt, da durch das Evangelium das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht sind, hat der Tod ein anderes Gesicht bekommen; er ist für die Gläubigen nicht mehr eine Hinrichtung. Der Stachel des Todes ist der göttliche Zorn; an diesem haben aber die Gläubigen kein Teil mehr, sondern uns führen nun Liebe und Barmherzigkeit, ob auch durchs Grab, zur Herrlichkeit. Es ist darum nicht angemessen, diese Worte bei der Beerdigung eines Christen ohne nähere Erläuterung zu verlesen; da ist es vielmehr geboten zu zeigen, wie wenig sie eigentlich solche, die an Jesum glauben, angehen, und welch großes Vorrecht wir darum vor jenen haben, deren Leiber damals in der Wüste verfielen. Einen Psalm, der von dem Führer des Gesetzesbundes zu der Zeit eines besonderen Gerichtes und mit Rücksicht auf ein unter schwerer Strafheimsuchung stehendes Volk verfasst ist, auf solche anwenden, die in Jesu selig entschlafen - das heißt, wie uns scheint, der Verwirrung die Krone aufsetzen. Wir können viel aus dem Psalm lernen, aber wir wollen ihn nicht verkehrt anwenden; das würde jedoch geschehen, wenn wir, die vom HERRN Geliebten, das auf uns bezögen, was doch zunächst von denen galt, welchen Gott in seinem Zorne geschworen hatte, sie sollten nicht zu seiner Ruhe kommen. Wenn aber eine Seele unter dem Bewusstsein der Sünde darniederliegt, dann ist die Sprache dieses Psalms ganz entsprechend und wird sich dem bekümmerten Gemüte von selbst aufdrängen. Es gibt kein Feuer, welches so verzehrt wie Gottes Zorn, und keine Qual, die das Herz so beängstigt wie der Grimm des Allmächtigen. Drum sei gelobt der teure Stellvertreter, von dem wir singen:

Du nimmst auf deinen Rücken
Die Lasten, die mich drücken
Viel schwerer als ein Stein.
Du bist ein Fluch, dagegen
Verehrst du mir den Segen.
Dein Schmerzen muss mein Labsal sein.

8. Denn unsre Missetaten stellest du vor dich. Daher also diese Tränen! Wenn Gott unsre Sünde sich vor Augen stellt, muss sie den Tod wirken; Leben erhalten wir nur durch das zudeckende Blut der Versöhnung. Als Gott die Kinder Israel in der Wüste umbrachte, da hatte er ihre Missetaten vor Augen; darum erfuhren sie seine Strenge. Unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesichte. Vor Gott gibt es keine Geheimnisse; er gräbt das Verborgene der Menschen aus und zieht es ans Licht. Auch gibt es keine kräftigere Leuchte als das göttliche Angesicht; doch stellte Gott in dieses starke Licht die verborgene Sünde Israels. Die Sonnenhelle ist schlechterdings nicht zu vergleichen mit dem Lichte, das von dem ausgeht, der die Sonne geschaffen hat und von dem geschrieben steht: Gott ist Licht und in ihm ist keine Finsternis. Sollten wir an unserer Stelle, wie etliche meinen, unter dem göttlichen Angesicht die Liebe und Freundlichkeit Gottes zu verstehen haben, so würde damit die Abscheulichkeit der Sünde besonders scharf hervorgehoben sein. Ist Empörung angesichts der Gerechtigkeit schon schwarz genug, so ist sie angesichts der Liebe teuflisch. Wie können wir einen so guten Gott betrüben? Die Kinder Israel waren durch eine hohe Hand aus Ägypten ausgeführt, mit freigiebiger Hand in der Wüste gespeist und mit zarter Hand geführet worden; darum wogen ihre Vergehungen ganz besonders schwer. Und wir, die wir durch das Blut Jesu erlöst und durch überschwengliche Gnade gerettet sind, würden wahrlich auch schwere Schuld auf uns laden, wenn wir den HERRN verließen. Was für Leute sollten wir doch sein! Und wie sollten wir den HERRN bitten, dass er uns von unserm verborgenen Fehlen reinige!
Es ist uns eine Quelle beständiger Wonne, im Glauben zu wissen, dass der HERR unsre Sünden hinter sich geworfen hat, so dass sie nie wieder in das Licht seines Angesichts kommen werden. Darum leben wir, weil, nachdem die Schuld hinweggenommen, auch die Todesstrafe aufgehoben ist.

9. Denn alle unsre Tage sind geschwunden in deinem Grimm. (Wörtl.) Die Strafgerechtigkeit kürzte die Tage des aufrührerischen Israel, so dass jeder Halteplatz eine Gräberstätte ward; das Volk bezeichnete den Weg, den es zog, durch die Grabdenkmäler, welche es hinter sich ließ. So schwanden ihre Tage, schwand ihr Leben dahin unter dem schrecklichen Grimme des Allmächtigen. Wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. Ja, nicht bloß ihre Tage, sondern ihre Jahre flogen ihnen dahin wie ein eitles Geschwätz, oder, wie andre übersetzen, flüchtig wie ein Gedanke oder ein Seufzer. Die Sünde warf ihren trüben Schatten über alles und machte das Leben der wandernden Israeliten kurz und eitel. - Der erste Satz des Verses darf wiederum (vergl. zu V. 7) nicht auf Gläubige angewendet werden, denn wir verbringen unsere Tage samt und sonders unter der Freundlichkeit des HERRN, wie auch David es Ps. 23,6 ausspricht: "Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen alle Tage meines Lebens". Und ebenso ist das Leben eines begnadigten Menschenkindes nicht inhaltleer wie das Geschwätz eines Geschichtenkrämers; denn der Gläubige lebt in Jesu, er hat den göttlichen Geist in sich, darum ist das Leben ihm inhaltsreich und wahrhaft ein Leben.3

10. Unser Leben währet siebenzig Jahre. Das war zu der Zeit im Allgemeinen und auf der Wüstenwanderung im Besondern die Regel, wenn auch Mose selber als Ausnahme länger lebte. Zu unserer Zeit kann man von ferne nicht mehr siebenzig Jahre als die allgemeine mittlere Lebensdauer bezeichnen; und doch, wie kurz war schon jene Spanne im Vergleich mit der Lebenslänge der früheren Geschlechter und wie rein nichts im Gegensatz zur Ewigkeit! Dennoch ist das Menschenleben noch heute lang genug für Tugend und Frömmigkeit und nur allzu lang für Verbrechen und Lästerung. Mose schreibt wörtlich: "Die Tage (d. i. die Zeit) unsrer Jahre - darin sind (d. i. sie belaufen sich auf) siebenzig Jahre", als wollte er sagen: "Die Tage unsrer Jahre - was ist’s damit? Ist es der Mühe wert, sie zu erwähnen? Ihre Zahl ist ganz unbedeutend, sie belaufen sich nur auf siebenzig". Und wenn’s hoch kommt (oder wie andere übersetzen: und wenn in Kraftfülle), so sind’s achtzig Jahre und ihr Gepränge ist Mühsal und Nichtigkeit. (Grundtext) Die ungewöhnliche Vollkraft, welche die Schranke der Siebenzig überspringt, setzt den Greis doch nur in einem Gebiet ab, wo das Leben eine Plage ist. Selbst die Kraft des Alters ist Schwäche, und alles, womit unsere Lebenszeit sich rühmen kann - Reichtum, Ansehen, Wohlleben, Schönheit und dergleichen - nur Mühsal und Nichtigkeit! Was muss es dann erst um die Plagen des Lebens und ein gebrechliches Alter sein! Seht jenen Greis: wie schnappt er nach Luft, wie mühsam wankt er dahin! Wie lassen die Sinne nach, wie drückt ihn das Gefühl der Schwäche nieder! Die bösen Tage sind gekommen und die Jahre herzugetreten, von denen er sagen muss: Sie gefallen mir nicht. Man vergleiche das anschauliche Bild, welches der Prediger (12,1-6) von den Beschwerden des Alters entwirft. Dennoch ist der Lebensabend hochbejahrter Christen viel weniger etwas Bedauerns- als Beneidenswertes, wenn sie nämlich in geheiligter Erfahrung gereift sind und durch unsterbliche Hoffnungen erquickt werden. Die Sonne geht nieder, die Hitze des Tages ist vorüber; aber die Ruhe und Kühle des Abends ist köstlich. Der schöne Tag schmilzt hin, aber nicht zu dunkler, düsterer Nacht, sondern zu einem herrlichen, wolkenlosen, ewigen Tage. Das Sterbliche schwindet, um dem Unsterblichen Raum zu machen; der Greis entschläft, um in dem Lande der ewigen Jugend aufzuwachen. Denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Wer vermag das Leben festzuhalten? Es fliegt dahin auf den Flügeln der Vergänglichkeit, und auch die schönsten irdischen Lebensstunden sind vorüber, ehe wir des Genusses recht froh geworden sind. Die englische Übersetzung deutet den Satz mit vielen älteren Auslegern4 anders: Denn es wird schnell abgeschnitten, und wir fliegen davon. Das Tau wird durchhauen, und das Schiff segelt auf dem Meer der Ewigkeit; die Kette zerreißt, und der Adler schwingt sich zu seinem heimatlichen Luftkreis über den Wolken auf. Mose trauerte mit Recht darüber, dass seine Volksgenossen so rings um ihn her dahinfuhren; für uns aber, die wir an den Herrn Christum glauben, sind die Winde günstig, denn sie tragen uns, wie die Herbststürme die Schwalben, aus dem Bereich des düstern Winters zu dem Lande, wo ewiger Frühling wohnt und die Blüten niemals welken. Wer wollte es anders wünschen? Warum sollen wir hier länger zaudern? Was kann uns diese arme Welt bieten, das uns locken könnte, an ihrer Küste zu verweilen?

Fort, fort, mein Herz, zum Himmel!
Fort, fort, zum Himmel zu!
In diesem Weltgetümmel
Ist für dich keine Ruh.
Wo Gottes Lämmlein weidet,
Ist eine Stätt’ bereitet;
Da, da ist deine Ruh,
Fort, fort, zum Himmel zu.

11. Wer erkennt die Stärke deines Zorns? (Grundtext) Mose sah sich umgeben von Sterbenden; er lebte mitten unter Gräbern und war ganz überwältigt von den furchtbaren Folgen des göttlichen Missfallens. Er fühlte, dass keiner die ganze Stärke des Zornes des Allmächtigen ermessen könne. Und wer (erkennt oder beherzigt), wie es der Furcht vor dir entspricht, deinen Grimm? (Grundtext) Das war das Betrübendste, dass Mose sehen musste, wie selbst die schwersten Gerichte die unglücklichen Israeliten nicht zu wahrer dauernder Furcht Gottes trieben. Aber auch selbst die heftigsten Erschütterungen, in welche Gottlose geraten, wenn sie sich des göttlichen Grimms bewusst werden, sind nur kleine Vorspiele des Kommenden; denn schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Es kann kein Mensch auf Erden ausdenken und empfinden, welche Gewalt der Zorn Gottes in der Hölle hat und schon hier auf Erden entfalten würde, wenn er jetzt nicht durch die Barmherzigkeit zurückgehalten würde. Unsere Freidenker spotten über Milton und Dante, Bunyan und Baxter wegen ihrer furchtbaren Ausmalungen. Aber es ist in Wahrheit so, dass keine dichterische Einbildungskraft und keine prophetische Drohung je an die Furchtbarkeit des göttlichen Zornes ganz hinanreichen, geschweige darüber hinausgehen kann. Die Furcht vor dem zukünftigen Zorn wird dadurch, dass die dunklen Linien des menschlichen Ahnens ihn zu zeichnen suchen, nicht vergrößert, sondern eher vermindert; er spottet aller Beschreibung durch Worte, und die kühnste Einbildung bleibt hinter der schrecklichen Wirklichkeit weit zurück. Merket doch das, die ihr Gottes vergesst, dass er nicht einmal hinraffe und sei kein Retter da! (Ps. 50,22) Denkt an Sodom und Gemorra, an Korah und seine Rotte, an die Lustgräber in der Wüste und vor allem an den Ort, da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht! Wer kann stehen vor diesem Gott, wenn er in seiner Gerechtigkeit zürnt? Wer mag gegen ihn mit steifem Halse anstürmen und sich mit den dichten Buckeln seines Schildes gegen ihn decken? (Hiob 15,26) Oder wollen wir die Schärfe seines Schwertes sich an uns erproben lassen? O mögen wir uns als Sünder, die das Leben verwirkt haben, diesem ewigen Gott zu Füßen werfen, der uns in diesem Augenblick, wenn er will, dem Staube und danach der Hölle überantworten kann!

Fußnoten
3. Zu der unserer deutschen ähnlichen engl. Übers.: wie eine Geschichte, die erzählt wird, macht Spurgeon noch folgende Bemerkung: Wir können das Bild mit Beziehung auf den Christen nur dann gelten lassen, wenn wir dabei daran denken, dass ein geheiligtes Leben gleich einer guten Geschichte hochinteressant, voll wunderbarer Züge und durch seine vielen Wechsel reich an Mannigfaltigkeit ist und doch wieder so leicht durch die Vorsehung in Ordnung gehalten wird, wie der morgenländische Stegreifdichter die einzelnen Züge seiner Erzählung verbindet, mit welcher er seinen Zuhörern die Zeit angenehm wegplaudert. Unser Leben ist eine anschauliche Geschichte der göttlichen Güte, ein Gleichnis der göttlichen Weisheit, ein Gedicht voll heiliger Gedanken, ein lieblicher Bericht von unendlicher Liebe. Wohl uns, wenn unser Leben eine solche Geschichte ist.

4. Die znIf irrtümlich von zzg scheren, das hier passivisch gleich abgeschnitten werden gedeutet wird, herleiten, statt von zWgI vorübergehen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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12. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.
13. HERR, kehre dich doch wieder zu uns
und sei deinen Knechten gnädig!
14. Fülle uns frühe mit deiner Gnade,
so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.
15. Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest,
nachdem wir so lange Unglück leiden.
16. Zeige deinen Knechten deine Werke
und deine Ehre ihren Kindern.
17. Und der HERR, unser Gott, sei uns freundlich
und fördere das Werk unsrer Hände bei uns;
ja das Werk unsrer Hände wolle er fördern!


12. Lehre uns unsere Tage zählen (Wörtl.) Unterweise uns, den Wert der Zeit richtig zu schätzen, dass wir trauern über die vergangene Zeit, in welcher wir den Willen des Fleisches getan haben, die gegenwärtige Zeit recht ausnutzen, da sie die angenehme Zeit, der Tag des Heils ist, die noch in der Zukunft liegende Zeit aber zu unsicher ist, als dass es geraten wäre, irgendein wohlgefälliges Werk oder das Gebet aufzuschieben. Zählen lernen die Kinder ja schon in der untersten Schulklasse; doch um die Tage richtig zählen zu lernen, dazu bedürfen auch die tüchtigsten und besten Menschen der Unterweisung durch den HERRN. Wir machen uns eher daran, die Sterne zu zählen als unsere Tage, und doch ist das letztere weitaus nützlicher. Auf dass wir klug werden, wörtl.: auf dass wir ein weises Herz gewinnen. Wenn die Menschen es recht erwägen, wie kurz die Zeit ist, werden sie dazu geführt, den ewigen Dingen ernste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie werden demütig, wenn sie in das Grab schauen, das so bald ihre Ruhestätte werden soll. Ihre Leidenschaften kühlen sich ab, wenn sie den Tod ins Auge fassen. Solch reiche Ernte an wahrer Weisheit bringen unsere Erwägungen aber nur, wenn der Geist des HERRN sie leitet. Nur seine Unterweisung bringt uns echten und bleibenden Gewinn. Mose bittet mit diesem Vers, dass die Erweisungen der göttlichen Gerechtigkeit ihm und seinem Volke in Gnaden zur Heiligung gesegnet werden mögen. Das Gesetz ist unser Zuchtmeister auf Christum (Gal. 3,24), wenn der HERR selber durch das Gesetz zu uns spricht. Sollte sich unser Herz, da es doch so bald zu schlagen aufhören wird, nicht umso mehr, so lange es sich bewegt, von der Weisheit lenken lassen? Ein so kurzes Leben will wahrlich weise angewendet werden. Wir haben nicht Zeit genug zur Verfügung, dass wir es verantworten könnten, auch nur eine Viertelstunde zu vertändeln. Und ebenso wenig sind wir des Lebens sicher genug, als dass wir es wagen dürften, auch nur einen Augenblick zu zaudern. Das würde uns sehr klar sein, wenn wir ein weises Herz hätten, während bloßes Kopfwissen in solchen wichtigen Lebensfragen uns nicht zurechthilft.

13. Kehre wieder, HERR - wie lange (willst du noch verziehen)? (Grundtext) Wende dich doch wieder zu uns in Barmherzigkeit, lass uns nicht untergehen! Ist unser Leben so kurz, so lass es doch nicht auch noch bitter sein. Deine Nähe allein kann uns mit der Flüchtigkeit des Lebens aussöhnen. Wie die Sünde Gott von uns wegtreibt, so schreit die Buße zum HERRN, dass er wiederkehre. Wir dürfen in Zeiten der Züchtigung fragen: HERR, wie lange? Wir verfallen in solchen Zeiten nicht so leicht in den Fehler, gegen Gott zu kühn zu sein, als vielmehr in den andern, dass wir zu lässig sind, Gott mit Bitten und Flehen anzuliegen. Und habe Mitleid mit deinen Knechten. (Grundtext) Also erkennt Mose die Kinder Israel doch noch als Knechte Gottes (5. Mose 32,36) an. Sie hatten sich gegen den HERRN aufrührerisch versündigt, aber ganz verlassen hatten sie ihn nicht. Sie erkannten im Gegenteil die Verpflichtung an, seinem Willen zu gehorchen, und leiteten aus ihrem Knechtsverhältnisse zu Gott einen Grund ab, weshalb sie auf das göttliche Mitleid rechnen könnten. Wird ein Herr nicht mit seinen Dienern schonend verfahren? Wiewohl Gott Israel schlug, waren sie doch sein Volk, er hatte sie nie als sein Eigentum verleugnet, und darum wird er nun angefleht, barmherzig an ihnen zu handeln. Dürfen sie auch das gelobte Land nicht sehen, so möge er sie doch auf ihrem Wege mit seiner Gnade erquicken und seine zürnende Stirn zu freundlichem Lächeln glätten. Diese Bitte ähnelt so manchen, die uns von dem so überaus sanftmütigen5 Mose überliefert sind. Wie oft hat er mit Gott für sein Volk gerungen! Er redet hier mit dem HERRN, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. (Vergl. 2. Mose 33,11)

14. Fülle uns frühe mit deiner Gnade. Da sie sterben müssen, und das so früh, bittet der Psalmist um baldiges Erbarmen für ihn und seine Brüder. Männer des Gebets wissen aus den düstersten Verhängnissen die kräftigsten Bitten zu ziehen. Wer nur ein Herz zum Beten hat, braucht um die rechten Gebetsgegenstände nicht verlegen zu sein. Wörtlich heißt es: Sättige uns am Morgen mit deiner Gnade. Israel schmachtet jetzt in der Unglücksnacht, es sehnt sich nach dem Morgen, dem Beginn einer neuen Gnadenzeit. Möge der Tag bald anbrechen! Die rechte Seelenspeise für Gottes Volk, die einzige, welche seinen durch die Zorngerichte erweckten Seelenhunger wahrhaft stillen kann, ist Gottes Huld. Mose denkt hier jedenfalls auch an das Manna, das der HERR jeden Morgen als leibliche Speise für den Tag gab, und er fleht ihn ernstlich an, er möge so auch alsbald seine das Herz sättigende Gnade vom Himmel herabregnen lassen, auf dass sie damit für den so rasch dahineilenden Tag des Lebens genährt werden. Müssen wir so bald sterben? Dann lass uns doch während der kurzen Lebenszeit nicht Hunger leiden, sondern sättige uns gleich, HERR, wir bitten dich darum! So wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang. Wenn du es mit deiner Liebe erfüllst, so wird unser kurzes Erdenleben ein fröhliches Fest sein und bis zum Ende ein solches bleiben. Die Freude, mit welcher uns die Gegenwart des HERRN erquickt, kann niemand von uns nehmen. (Joh. 16,22.) Selbst die Vorzeichen eines frühen Todes können denjenigen nicht Kummer und Qual bereiten, welche die Huld Gottes empfinden; denn wiewohl sie wissen, dass die Nacht kommt, sehen sie doch in ihr nichts, das sie fürchten müssten, sondern sind Zeit ihres Lebens täglich fröhlich über Gottes ihnen nahe Gnade und überlassen die Zukunft seinen liebenden Händen. Da sich das ganze Geschlecht, welches aus Ägypten gezogen war, zum Hinsterben in der Wüste verurteilt wusste, war es natürlich, dass sie sich sehr niedergeschlagen fühlten; darum lag es ihrem trefflichen Führer an, dass ihnen der Segen zuteilwerde, der wie kein anderer das Herz erquickt, nämlich die huldreiche Gegenwart Gottes.

15. Erfreue uns der Dauer der Tage gleich, die du uns gedemütigt hast, der Jahre, da wir Unglück gesehen. (Grundtext) Niemand kann das Herz so erfreuen wie du, HERR; darum lass dir’s gefallen, uns wieder fröhlich zu machen, nachdem du uns traurig gemacht hast. Fülle doch jetzt die andere Schale der Waage, damit deine verschiedenen Gaben sich das Gleichgewicht halten. Da du uns die bitteren Kräuter geschickt hast, gib uns nun auch das Lamm. (3. Mose 12,8) Mache unsere Tage den Nächten gleich. Diese Bitte ist von ursprünglicher Frische, kindlich und bedeutungsvoll; sie stützt sich überdies auf einen erhabenen Grundsatz, den der HERR in den Führungen seiner Vorsehung erweist, dass er nämlich das Gute in gebührendem Maß dem Übel entgegenstellt. Große Trübsal setzt uns in den Stand, große Freude zu ertragen, und wir dürfen sie darum als den Herold außerordentlicher Gnaden ansehen. Gottes Walten zeigt stets gutes Ebenmaß: im Leben kleiner Menschen ist alles klein, während die Lebensgeschichte großer Menschen stets groß ist, sowohl an Leid wie an Freude. Wo hohe Berge sind, da gibt es auch tiefe Täler. Wie Gott für den Walfisch das große Weltmeer bereitet hat, so hat er auch für den winzigen Ellerling ein Teichlein; dort in der weiten See steht alles im entsprechenden Verhältnis zu dem gewaltigen Ungeheuer, und wiederum in dem Bächlein alles im Verhältnis zu dem kleinen Fischchen. Sind heftige Trübsale über uns gekommen, so dürfen wir auch auf überströmende Erquickungen hoffen, und der Glaube darf kühn um sie bitten. Gott, der sich so groß erweist in seiner Gerechtigkeit, wenn er straft, wird auch nicht klein sein an Barmherzigkeit, wenn er segnet. Nein, Gott ist immer und in allen Stücken groß; darum wollen wir uns mit nimmer wankendem Glauben an ihn halten.

16. Zeige deinen Knechten deine Werke oder, nach besserer Lesart, dein Tun. Sieh, wie Mose sich wieder darauf stützt, dass die Kinder Israel Gottes Knechte sind; dies war das größte Vorrecht, welches unter dem Gesetz bestand, und er nutzt es voll aus. Jesus nennt uns nicht mehr Knecht sondern Freunde (Joh. 15,14 f.), und wenn wir klug sind, so werden auch wir von unserer erweiterten Freiheit ausgiebigen Gebrauch machen. Was Mose erfleht, ist, dass Gottes Tun sichtbar werde, dass Jehovahs machtvolles, gnädiges und weises Walten sich in augenscheinlichen Proben erweise, damit das ganze Volk dadurch aufgerichtet werde. In ihren eigenen sündigen Werken war ja nichts Tröstliches zu finden; nur Gottes Werk konnte sie erfreuen. Und deine Ehre (oder Herrlichkeit) ihren Kindern. Wie sehr sehnten sie sich danach, über ihren Söhnen, die um sie her heranwuchsen, etliche Strahlen der verheißenen Herrlichkeit aufglänzen zu sehen! Diese ihre Kinder sollten ja das Land ererben, welches ihnen durch göttliche Bundeszusage versprochen worden war; darum schauten sie, die Väter, der Kinder wegen sehnsüchtig nach irgendwelchen Anzeichen des kommenden Guten aus, nach den Strahlen des Morgenrots, welches das Nahen des vollen Tages verkünde. Wie herzlich treten fromme Menschen für ihre Kinder ein! Sie können viel persönliches Leid ertragen, wenn sie nur die Versicherung haben, dass ihre Kinder die Herrlichkeit Gottes erkennen und dadurch dazu geführt werden, dem HERRN zu dienen. Wir bescheiden uns gerne mit dem Werk, wenn nur unsere Kinder die Herrlichkeit schauen dürfen, die daraus hervorgehen wird. Wir säen mit Freuden, wenn sie ernten dürfen.

17. Und die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns. (Wörtl.) Ja, auch über uns walte deine Huld, die wir deine Herrlichkeit im Lande Kanaan nicht schauen dürfen. Gib uns dennoch Blicke in deine liebliche Gnade; lass uns deines Heils teilhaftig werden. Und fördere das Werk unsrer Hände bei uns; ja, das Werk unsrer Hände wolle er (Grundtext: wollest du) fördern. Gib Gnade, dass, was wir tun, recht getan sei, dass es Bestand habe und fortdauere, wenn wir ins Grab gebettet sind; möge das Lebenswerk des gegenwärtigen Geschlechtes weiterhin zur Auferbauung der Nation dienen. Gediegenen Menschen liegt daran, dass sie nicht vergeblich arbeiten, und weil sie wissen, dass sie ohne den HERRN nichts tun können, rufen sie ihn an, dass er ihnen bei dem Werk helfe, ihre Bemühungen wohlgefällig annehme und ihre Pläne bestätige. Die Gemeinde des HERRN hat den sehnlichen Wunsch, dass die Hand des HERRN so mit der Hand seines Volkes zusammenwirke, dass ein dauerhaftes, ja ein ewiges Gebäude zum Preise und zur Verherrlichung Gottes erstehe. Wir kommen und gehen, aber das Werk des HERRN bleibt. Wir sind es zufrieden zu sterben, wenn nur Jesus lebt und sein Reich wächst. In der Hand des unveränderlichen Gottes ist unser Werk wohlgeborgen; es ist ja vielmehr sein als unser Werk, darum sind wir gewiss, dass er ihm Unvergänglichkeit verleihen wird. Wenn wir verwelkt sein werden wie das Gras, wird doch unser heiliges Werk, gleich Gold, Silber und Edelgestein, das Feuer überdauern.

Fußnote
5. 4. Mose 12,3 Grundtext: Der Mann Mose aber war ausnehmend sanftmütig, mehr als alle Menschen auf Erden.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Dass die Überschrift den Psalm mit Recht dem Mose zuschreibt, bestätigt sich dadurch, dass der Psalm so einzigartig schlicht und doch großartig ist, dass er so ganz der Zeit und den Verhältnissen Moses entspricht, dass er so stark den Gesetzesstandpunkt vertritt, indem er den Zusammenhang zwischen Sünde und Tod so ernst hervorhebt, endlich dass er in seiner Redeweise den dichterischen Stücken der fünf Bücher Mose verwandt ist, und zwar ohne die geringste Spur von Nachahmung oder wörtlicher Anführung, während er den Psalmen Davids und noch mehr denjenigen aus späterer Zeit entschieden unähnlich ist. Joseph Addison Alexander 1850.

Man kann Mose als den ersten Verfasser heiliger Dichtungen ansehen. Samuel Burder 1839.

Das vierte Psalmbuch, dem pentateuchischen Buche "In der Wüste"6 entsprechend, beginnt mit einem Gebet Moses, des Mannes Gottes, welches mitten aus dem Hinsterben des älteren Geschlechts während des Wüstenzuges ergeht. Zu dem Namen, der nicht so kahl bleiben darf, weil es nächst Abraham der größte Mensch ist, den die alttestamentliche Heilsgeschichte kennt, tritt der Ehrentitel Mann Gottes (wie 5. Mose 33,1; Jos. 14,6), ein alter Prophetenname, welcher das enge Gemeinschaftsverhältnis zu Gott ausdrückt, wie Knecht Jahves das berufsmäßige Dienstverhältnis, in welches Jahve den Menschen genommen und dieser sich begeben hat. Es gibt kaum ein Schriftdenkmal des Altertums, welches das Überlieferungszeugnis seiner Abstammung so glänzend rechtfertigte wie dieser Psalm. Nicht allein in Ansehung seines Inhalts, sondern auch in Ansehung seiner Sprachform ist er Mose vollkommen angemessen. Zwar behauptet Baur, die das ganze Gedicht durchziehende sanfte elegische Stimmung passe nicht in das heroische Zeitalter der Gründung des israelitischen Volkstums, sondern setze lange nationale Leiden voraus; aber ein Heroismus, welchen andauernde Gottesgerichte nicht elegisch stimmen, wäre ein schlechter. Auch Hitzig kann gegen Moses Autorschaft nichts Erhebliches aufbringen; denn der Einwand, dass der Verfasser V. 1 auf Geschlechter zurückblicke, während doch Israel zur Zeit Moses erst geboren wurde, erledigt sich dadurch, dass die Existenz Israels bis in die Patriarchenzeit hinaufreicht. Ebenso wenig sind die sprachlichen Einwendungen stichhaltig. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Psalm 90 durch mannigfache Gleichklänge mit dem Liede und dem Segen Moses (5. Mose 32; 33), den Reden des fünften Buchs und so alten Stücken des Pentateuchs wie der Priestersegen und die Signalworte verflochten ist. Nur eins macht an der Authentie des Psalms irre, nämlich dass er im Psalter und dass er in diesem so weit hinten steht. Aber der Psalter war ja ursprünglich auf Lieder Davids angelegt, zu welchen Lieder gleichzeitiger Dichter kamen. Er steht oben hinter der in Psalm 1-72 und 73-89 enthaltenen Grundsammlung und ihrem Anhang und beginnt, auf den Psalm Ethans folgend, als ältestes Stück die zweite Hälfte der Psalmensammlung. - Nach dem Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Zum ganzen Psalm. Man darf den neunzigsten Psalm vielleicht die erhabenste aller menschlichen Dichtungen nennen; denn sie steht wohl einzigartig da an Tiefe des Gefühls, an Höhe der theologischen Gedanken und an Glanz der dichterischen Form. Herrlich ist der Wahrheitsgehalt dieses Psalms, sowohl in dem, was er von dem menschlichen Leben aussagt, als in seinen Vorstellungen von dem Ewigen als Herrn und Richter. Hervorzuheben ist auch, dass die Lehre von der Unsterblichkeit, wenn auch gleichsam in die Hülle des Geheimnisses eingeschlossen bis zu der Zeit der vollen Offenbarung, dennoch im Keime in dem Psalm enthalten ist; denn mitten in der Klage über die Kürze und Jämmerlichkeit des Menschenlebens wird als Gegensatz die Unwandelbarkeit Gottes eingeführt, und das im Tone der ergebensten Frömmigkeit. Auch kein Anflug ist in dem Psalm zu entdecken von dem Stolz und der Unverschämtheit, der halb ausgesprochenen Lästerung, dem Hadern mit Gott, der feindseligen Beschuldigung der Gerechtigkeit oder der Güte Gottes, die so oft die Sprache solcher Menschen vergiften, die sich in Schmerzen winden, sei es um persönliche oder fremde Not. Es gibt vielleicht wenige unter denen, die durch Zeiten schweren, das Gemüt heftig erschütternden Leides hindurchgegangen sind oder als hilflose Zuschauer den Jammer anderer haben ansehen müssen, die nicht in Gemütsstimmungen verfallen wären, welche zu der gottergebenen und hoffnungsvollen Schwermut, die uns aus diesem ganzen Psalm entgegenklingt, in scharfem Gegensatz stehen. Ob der Psalm dem Gesetzgeber Israels mit Recht beigelegt ist oder nicht, er verrät jedenfalls sein hohes Alter, nicht nur durch die erhabene Einfachheit seiner Schreibart, sondern auch durch das völlige Fehlen jener trügerischen Gedanken-Verschlingungen, welche in der Geschichte jeden Kulturvolkes einem späteren intellektuell und moralisch verderbten Zeitalter angehören. Der Psalm ist ohne allen Zweifel Jahrhunderte älter als die Moralsentenzen jener Zeit, in welcher die Juden den Abstractionen der griechischen Weltweisheit, die sie sich doch nie wahrhaft aneignen konnten, Gehör gegeben hatten. Isaac Taylor † 1865.

Es ist das ganze menschliche Geschlecht durch die Erbsünde dermaßen gefallen und verblendet worden, dass der Mensch nicht allein Gott und sich selber, sondern auch seinen eigenen Jammer und Dürftigkeit, so er empfindet und leidet, nicht erkennen kann. Denn er nicht versteht, von wannen sie herkommen, auch nicht sieht, wohin sie länden oder wieder enden: also großer Jammer ist es, den unsere ersten Eltern aus der Sünde überkommen und uns allen aufgeerbt haben.
Denn siehe nur an den Tod, die allerschwerste und erschrecklichste Pein, der also großen Jammer über alles menschliche Geschlecht schwemmet, wie närrisch die allerweisesten Leute davon geredet und disputieret haben. Denn etliche raten, man soll ihn verachten; wie jener spricht: Du sollst den letzten Tag nicht fürchten noch wünschen. Etliche andere dünkt solches zu schwer zu sein, und weisen derohalben die Leute dahin, dass sie frei alle Wollust in diesem Leben suchen und brauchen sollen, solch Übel des Sterbens zu erleichtern und zu lindern; wie man öffentlich einen Vers hat, aus des Sardanapali Grabschrift genommen: Iss, trink und spiele, nach dem Tode ist keine Lust noch Freude. Also wenn die Weltweisen vermeinen der Sünden Strafe zu wehren, verwickeln sie sich in größere Sünden. Denn den Tod überwindet man nicht durch Verachten, wie die Landsknechte und Spitzbuben meinen, sie wollen große Mannheit und Stärke beweisen, wenn sie andern (auch scherzweise) die Pestilenz, Malefranzos oder dergleichen Jammer fluchen. Es gehört andere Kunst und Arzenei hierzu.
Dieses ist eigentlich die größte Blindheit und ein kläglicher Jammer über die angeborene Erbsünde, dass wir dieselbige Sünde und den Tod samt andern jämmerlichen Plagen des menschlichen Geschlechtes so gering schätzen und verkleinern und in dem wider gemeinen Sinn und die Erfahrung selber streiten, schmeicheln uns selbst mit solchen eiteln, leichtfertigen Gedanken. Denn dieses ist nicht die Weise, vom Tode und Sterben zu disputieren; sondern das sind die heidnische Blindheit (wie ich es nennen soll) und Früchte der Erbsünde, so sein Übel verteidiget, als sei es kein Übel, ob es gleich das Gegenteil und Widerspiel fühlt und empfindet.
Unser Moses aber disputiert gar viel anders vom Tode in diesem Psalmen. Denn erstlich arbeitet er dahin, dass er den Tod und allen Jammer dieses Lebens, als viel immer möglich, auf das Höchste beschwerlich mache, und in demselben pflegt er seines Amts, des Gesetztreibens, und ist der rechte mosische Moses, das ist, ein gestrenger ernster Diener und Prediger des Todes, Gottes Zornes und der Sünden. (2. Kor. 3,6.9) Brauchet also des Gesetzes Amt nur weidlich und malet ab den Tod mit seinen erschrecklichsten Farben, nämlich, dass es Gottes Zorn sei, der uns tötet, ja, vielmehr anzeiget, dass wir vorhin tot und mit unmäßigen Jammer unterdrücket sein.
Wiewohl nun Moses, seinem Amte nach, tötet, in dem, dass er die Sünde samt ihrer Strafe anzeiget; doch weil er diesen Psalm ein Gebet nennet, gibt er darunter verdeckt zu verstehen und zeigt mit klaren Worten auch an die Arzenei wider den Tod. Und in dem übertrifft er zwiefältig aller Heiden Schriften.
Aristoteles (als auch die Mönche) hält, dass die Vorbetrachtung des Sterbens eine Arzenei wider den Tod sei und mache ihn desto erträglicher. Wenn wir aber die Sache recht ermessen, ist es besser, ganz und gar epikurisch zu sein und stets im Sause leben, denn das Sterben oder den Tod betrachten, wo das andere Teil, nämlich die Hoffnung des Lebens und Barmherzigkeit nach dem Zorne nicht darbei stehet. Denn wo die nicht ist, da ist es besser, man esse, trinke und pflege, was dem Leibe sanft tut, denn sich vergeblich abmatten mit Furcht des Übels, dem man nicht entfliehen mag; fürnehmlich, weil solche Gedanken, wenn sie ohne Hoffnung der Arznei sein, das Gemüt zum Zorne wider Gott, Lästerung und Ungeduld reizen. Es ist je wahr, das Cato spricht: Wer den Tod fürchtet, der verliert auch, was er lebt.
Darum ist diese Weisheit ganz bequeme dem menschlichen Geschlechte, sonderlich weil sie so viel Jammers mit sich bringet: müssen also bass hinaufsteigen und unsere Augen zur göttlichen Weisheit, die Moses allhier lehret, aufheben, denn er amplifiziert oder macht groß den Tod, und schrecket doch also, dass er daneben auch Hoffnung des Trostes mit anzeiget, auf dass, die erschrecket und gedemütiget sind, nicht gar in Verzweiflung geführt werden. Auf solche Weise können die Heiden nicht lehren, sondern allein der Heilige Geist. Es wächst auch diese Kunst nicht in unserm Hause, sondern man muss sie von einem Manne Gottes lernen. Der Tod ist so kräftig, dass er uns verschluckt, ehe denn wir es empfinden. Drum müssen wir zu einem andern Lichte kommen, und vom Himmel herab eröffnet werden, wie die Gemüter in Todesgefahr aufzurichten und zu stärken sind.
Die Heiden können wohl schön davon reden, als Cicero in seinen Tuskulanis; er kann aber keine recht gewisse Arzenei geben. Denn es weiset sich unter dem Disputieren, wie er sich selber des gar nicht bereden kann, das er andere Leute gerne bereden wollte.
Dass nun Mose diesen Psalm ein Gebet nennt, zeigt an, dass noch Hoffnung des Lebens vorhanden sei. Denn was heißt beten? Heißt es nicht Hilfe suchen? Was heißt in Gefahr der Sünden und des Todes zu Gott beten? Heißt es nicht fühlen, dass bei Gott wider solch tödliches Übel Gnade und gewisse Hilfe statt haben? Heißt nicht wider den Tod beten, Leben hoffen? Denn wer am Leben verzweifelt, der betet gar nichts, hält es für eine verlorene Sache. Martin Luther 1534.

Fußnote
6. So heißt das vierte Buch Mose im Hebräischen nach seinen Anfangsworten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 1. Herr Gott, Du bist unsre Zuflucht für und für, wörtl.: bist unser Obdach gewesen von Geschlecht zu Geschlecht. Viele flehen zu Gott um Hilfe und werden doch nicht beschützt: sie suchen sie nur im Sturm, und zwar wenn alle andern Hilfsmittel und jede andere Zuflucht sie im Stich lässt. Der Christ aber muss ständige Gemeinschaft mit Gott halten, muss in Gott wohnen, nicht nur je und dann zu ihm laufen. Thomas Manton † 1677.

Gott ist der Menschen Wohnung und ein Gott der Lebendigen. Folget, dass die Menschen durch Gottes Hilfe vom Tode ledig werden. Dieser Anfang bringt Leben mit sich und gibt gewisse Hoffnung der Auferstehung und des ewigen Lebens. Denn er nennt Gott, der ewig ist, unsere Wohnung; oder, das noch klarer ist, eine Stelle der Zuflucht, dahin wir fliehen mögen und sicher sein. Denn so Gott unsere Wohnung ist, wir auch in ihm wohnen, folgt notwendig, dass wir im Leben sein und ewig leben werden. Denn wer wollte sagen, dass Gott eine Wohnung der Toten sei? Wer wollte ihn für ein Totengrab oder Galgen achten? Er ist das Leben, und die in ihm wohnen, leben. Auf die Weise versichert Moses alsbald im Anfange die Furchtsamen, ehe denn er anfängt schrecklich zu donnern und blitzen; auf dass sie es gewiss dafür halten, Gott sei eine lebendige Wohnung derer, die da leben, ihn anbeten und in ihm trauen.
Es ist aber eine wunderseltsame Rede, dergleichen sonst nirgend in der Schrift steht, dass Gott eine Wohnung sei. Ja, die Schrift redet an andern Orten das Widerspiel und nennt den Menschen Gottes Tempel, darinnen Gott wohnt. Wie St. Paulus spricht 2. Kor. 3,16 f.: Gottes Tempel ist in euch. Moses aber kehrt es gleich um und spricht, dass wir in Gott wohnen, als Herren im Hause. Denn das hebräische Wort, maon, heißt eigentlich eine Wohnung, als wenn die Schrift sagt Psalm 76,3: "Seine Wohnung ist zu Zion", gebraucht sie dieses Wortes maon. Weil aber ein Haus darum ist, dass man darinnen Schutz und Sicherheit habe, geschieht es, dass man dasselbige Wort deutet für eine Zuflucht, oder Ort und Stelle der Zuflucht. Moses aber hat vorsätzlich, mit Fleiß also reden wollen, damit er anzeigete, dass alle unsere Hoffnung gewiss allein auf Gott stehe, und dass, die zu Gott beten wollen, gewiss davor halten, dass sie nicht vergeblich in dieser Welt geplagt werden oder sterben, weil sie Gott haben zur Stelle der Zuflucht, und die göttliche Majestät als eine Wohnung, darinnen sie ewiglich sicher ruhen mögen. Fast auf diese Weise redet auch St. Paulus Kol. 3,3, da er spricht: Euer Leben ist mit Christo in Gott verborgen. Denn es ist ein viel klarerer und hellerer Verstand, wenn ich sage, die Gläubigen wohnen in Gott, denn, dass Gott in ihnen wohne. Er hat auch leibhaftig in Zion gewohnt; aber die Stätte ist nun geändert. Was aber in Gott ist, das wird nicht geändert, kann auch nicht hin und wieder versetzt werden; denn Gott ist eine solche Wohnung. die nicht vergehen kann. Derohalben hat Moses wollen anzeigen ein gewiss beständig Leben, da er sprach, Gott sei unsere Wohnung; nicht der Himmel, nicht die Erde, nicht das Paradies, sondern schlecht Gott selber; und das für und für, von einem Geschlecht ins andere Geschlecht, das ist, vom Anfange der Welt bis zum Ende hat Gott die Seinen nie verlassen. Adam, Eva, die Patriarchen, Propheten und gläubige Könige schlafen und ruhen in dieser Wohnung. - Wenn du nun diesen Psalm dermaßen annimmst, so wird er dir süße sein und wirst inne werden, dass er auf beide Teile fast nütze sei. Mir ist’s in der Möncherei zum öftern widerfahren, dass ich diesen Psalm gelesen habe, und das Buch aus den Händen müssen legen. Ich wusste aber nicht, dass diese Schrecken nicht wären vorgeschrieben denen erschrockenen fürchtigen Gewissen; ich wusste auch nicht, dass Moses nur dem stolzen verhärteten Haufen am fürnehmlichsten predigte, so Gottes Zorn, den Tod und allen seinen Jammer nicht achtet noch erkennt. Martin Luther 1534.

Während die übrigen Menschen ihre festen Wohnungen auf Erden hatten und in befestigten Städten in Wohlstand, Pracht und Macht sicher dahinlebten, war Gottes Volk ohne Haus und Heim. Abraham war von Gott aus seines Vaters Haus mit all den irdischen Vorzügen, die er dort genossen hatte, herausgerufen worden, um als Fremdling unter einem ihm unbekannten Volke zu leben. Gleicherweise mussten Isaak und Jakob ein unstetes Wanderleben in Kanaan führen. Von dort wurden die Erzväter nach Ägypten geführt, wo die Kinder Israel es bald schwer empfinden mussten, dass sie in der Fremde, ja in der Sklaverei waren. Danach mussten sie vierzig Jahre in der Wüste hin und her wandern, so dass also die Auserwählten Gottes in ganz einziger Weise als Fremdlinge und verbannte Leute ohne Haus und Heim hatten wandern müssen. Aber je mehr sie der gewöhnlichen Annehmlichkeiten des Lebens beraubt waren, desto mehr war Gott ihnen nahe und sorgte für sie und schützte sie in außerordentlicher Weise; er war ihnen Wohnung und Zuflucht. Die Erwägung dieser Tatsachen mag vielen Kindern Gottes besondern Trost gewähren. William Bradshaw † 1618.

V. 2. Einen solchen Gott, spricht er, haben und ehren wir und zu einem solchen beten wir, aus welches Wort und Geheiß alle Kreaturen geboren werden. Wofür sollten wir uns denn fürchten, weil uns der günstig ist? Was sollten wir vor aller Welt Zorn erschrecken? Ist er unsere Wohnung, so wollen wir sicher bleiben, wenn gleich der Himmel fiele. Denn wir haben einen Herrn, der größer ist denn die ganze Welt. Wir haben einen so mächtigen Herrn, dass, wenn er nur spricht, alle Dinge geboren werden. Dennoch nichtsdestoweniger sind wir also kleinmütig, dass wir zittern und verzagen, wenn ein König oder Fürst, ja nur ein Nachbar mit uns zürnt; so doch in Anschauung dieses Königs alle anderen Dinge in der ganzen Welt als der allergeringste, leichteste Staub sind, den ein kleiner Wind hin und wieder weht und nicht ruhen noch bleiben lässt. Auf diese Weise tröstet uns diese Beschreibung oder Fürbildung Gottes; und es sollen auch die erschrockenen, furchtsamen Gewissen in aller Anfechtung und Gefährlichkeit auf solchen Trost sehen. Hinwiederum lernt man auch hieraus, wie groß, gewaltig sei der Zorn Gottes. Denn was kann man vor eine Zuflucht haben, wenn der zürnt, durch dessen Hand alle Dinge gemacht sind und der alles vermag? Martin Luther 1534.

Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist Du Gott. (Grundtext) Das Ewigsein, von welchem Mose spricht, ist nicht nur auf das Wesen Gottes zu beziehen, sondern auch auf seine Vorsehung, durch welche er die Welt regiert. Denn Mose meint nicht nur, dass Gott ist, sondern dass er Gott ist. Jean Calvin † 1564.

V. 1.2. Mit welchem Auge haben sie doch gelesen, mit welchem Ohre gehört, mit welcher Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit geforscht, jene Kenner des Altertums, die alles Mosaische und Israelitische verachtend vorübergehen, indes ihnen jede indische Mythe, jede ägyptische Fabel, jeder Gesang der Griechen, der ewigen Kinder, unendlich wichtig ist, und die doch nicht imstande sind, aus irgend eines uralten Volkes Sprache nur ein einziges Wort aufzuweisen, das eine solche Gotteserkenntnis und Gotteslehre enthielte, worin so, wie in den Anfangsworten dieses Psalms, ein ewiges, von der Welt verschiedenes göttliches Wesen bekannt wird, das die Welt geschaffen hat und in Hinsicht auf Vergänglichkeit und Tod die ewige Zuflucht aller Menschen ist? Wenn dies Wort an den Pyramiden zu Memphis oder an den Säulen zu Persepolis sich gefunden hätte oder mit den Marmortafeln von Paros zu uns gekommen wäre: welche Bewunderung würde es in der Welt finden, die es jetzt keines Anblicks würdiget, weil es in der Bibel und im Alten Testamente steht! O Eitelkeit der Welt, auch der gelehrten Welt, auch der philosophischen Welt, wie groß bist du, und wie kindisch! Gottfried Menken 1825.

V. 3. Du lässest den Menschen zum Staube zurückkehren und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschenkinder. (Grundtext) Der Prophet denkt sich Gott hier gleich als einen Töpfer, der, nachdem er aus Staub eine Masse vermengt und zu einem Gefäß gebildet hat, sie bald, einen Augenblick oder eine Stunde hernach, wieder in Stücke bricht und zu Staub zerschlägt, zu dem Gebilde gleichsam sprechend: "Werde wieder zu Staub." Mit einem Wort verwandelt er den Menschen in Staub; keine Vorsicht, keine Arznei, keine Menschenhilfe und kein Gebet kann das Leben retten, wenn dies Wort ergangen ist. Und dies Zermalmen kann plötzlich, buchstäblich in einem Augenblick, geschehen. William Bradshaw † 1618.

Das erste hier für Mensch gebrauchte Wort (enosh) bezeichnet den Menschen als voll Hinfälligkeit und Jammers, das zweite (adam) als aus Erdenstoff gebildet. Daraus mögen wir lernen, was alle Adamskinder sind. Samuel Smith 1656.

Kehrt zurück. Einer ward gefragt, was das Leben sei. Er gab seine Antwort schweigend, indem er sich alsbald umkehrte und davon ging. John Trapp † 1669.

V. 4. Tausend Jahre usw. Wie für einen sehr reichen Mann tausend Goldstücke nur wie ein Heller sind, so sind für den ewigen Gott tausend Jahre nur wie Ein Tag. Joh. Albrecht Bengel † 1752.

Da die Leute im Morgenlande keine Uhren haben, werden die Teile des Tages und der Nacht - je vier - angezeigt. In Indien z. B. werden die Teile der Nacht in den großen Städten sowohl durch Blasen von Musikinstrumenten als auch durch Rufen und Trommelschlagen der Wächter angekündigt. Wenn nun durch diesen Lärm die Schläfer erwachen, welche den ganzen Teil der Nacht geschlafen haben, scheint ihnen diese durchschlafene Zeit nur ein Augenblick zu sein. Thomas Harmer † 1788.

V. 5. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom. Das hebräische Wort, das allhier steht, heißt eigentlich: überschwemmen mit Ungestüm, wie die Gusswasser pflegen hinzurauschen. Und ist gar ein feines völliges Gleichnis, das da bedeutet, wie das ganze menschliche Geschlecht hingerissen werde, gleich als wenn ein Gusswasser Stock, Stauden und alles wegreißt; also wird ein Säkulum oder Menschenalter nach dem andern, gleich als eine rauschende Flut, hinweggerissen. Martin Luther 1534.

Der Mensch ist eine Wasserblase, sagt ein griechisches Sprichwort. Dieses legt Lucian (geb. 117) so aus: "Die ganze Welt ist ein Sturm, und die Menschen steigen auf wie Wasserblasen. Etliche dieser versinken augenblicklich in die Flut, aus der sie aufgestiegen sind; sie haben nichts anderes auf der Welt zu tun, als dass sie geboren werden, um sterben zu können. Andre erscheinen zwei- oder dreimal auf der Oberfläche, um dann plötzlich zu verschwinden und andern Platz zu machen. Und diejenigen, welche am längsten leben, sind ohne Ruh’ und Rast und vergehen, von einem großen Tropfen aus den Wolken zermalmt, zu Schaum und zu nichts. Die Veränderung ist nicht groß; denn ein Wasserbläschen kann kaum mehr ein Nichts werden, als es schon vorher war." Bischof Jeremy Taylor † 1667.

Ein Schlaf. Unser Leben mag in vier Stücken dem Schlaf verglichen werden. Erstens sind beide gar kurz, und je süßer sie sind, desto kürzer scheinen sie uns. Zweitens werden wir aus beiden so leicht entrissen. Drittens sind der Dinge so viele, die das Leben wie den Schlaf stören und abbrechen können. Und endlich sind wir im Leben wie im Schlaf vielen Irrtümern, mancherlei Wahn und Täuschungen unterworfen. William Bradshaw † 1618.

In den Träumen sehen wir, ohne zu sehen, hören, ohne zu hören, rühren Dinge an und greifen sie, ohne dass wir es wirklich tun, sprechen und sprechen doch nicht, gehen und gehen doch nicht, sondern, wenn wir auch scheinbar Gebärden und Bewegungen ausführen, tun wir doch nichts von alledem, vielmehr gestaltet unsere Einbildung sich eitlerweise, ohne die geringste Wirklichkeit, Bilder von allerlei Dingen, die nicht existieren, als wären sie vorhanden. Ganz ähnlich aber sind die Einbildungen der Wachenden und gleichen darum den Träumen; denn wie diese kommen und gehen sie, treten uns gegenüber und fliehen von uns; ehe wir sie packen können, sind sie davon geflogen. Philo von Alexandrien † um 54.

Schlaf werden sie. (Wörtl.) Es ist der Todesschlaf gemeint. Wen eine Überschwemmung fortreißt, der wird ja wirklich in den Zustand des Unbewusstseins versetzt, er wird ganz und gar zu Schlafe, d. h. er stirbt. Prof. Franz Delitzsch † 1890
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 6. Am Morgen. (Wörtl.) Im Morgenlande bringt eine Regennacht oft zauberhafte Veränderungen hervor. Am Abend war die Flur noch braun, völlig ausgetrocknet, dürr wie die Wüste, und am Morgen prangt sie im lieblichen Grün des jungen Grases. Der sengende heiße Wind (Jak. 1,11) bläst darüber - und wieder ist sie vor Abend verwelkt. J. J. St. Perowne 1864.

V. 7. Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen usw. Woher kommt der Tod? Das ist eine Frage, die manchen Weltweisen zu schaffen gemacht hat, umso mehr als es in der Natur nicht gering zu achtende Beweise der Unsterblichkeit gibt. Der Prophet sagt uns aber, dass die Grundursache des Todes nicht auf dem Gebiet des Materiellen, sondern in der göttlichen Entrüstung über die Sünde zu suchen sei. H. Moller 1639.

Dieses ist, darum Moses in dieser Sache so heftig redet, und zeigt an, was vor ein Unterschied zwischen der Menschen und der unvernünftigen Tiere Sterben; nämlich, dass der Mensch aus Gottes Zorn verzehrt und so schnell dahingerissen wird zum Tode. Solches widerfährt nicht dem Gras, Blumen, Vögeln noch Bestien, sondern allein dem Menschen; der fühlt in seinem Sterben und allem andern Jammer dieses Lebens, dass neben der Sünde auch Gottes Zorn auf ihm liege, da die Ochsen, Schafe und alle andere Tiere aus Gottes Ordnung und Wohlgefallen sterben, ohne ihre Schuld und ohne Gottes Zorn. Martin Luther 1534.

Das Volk Gottes befand sich in einer schlimmeren Lage als die Heidenvölker ringsum; und das ist stets sehr demütigend und schmerzend. Samuel Smith 1656.

V. 8. Die Sünden, die im tiefsten Dunkel geschehen, sind vor Gott so offenbar, als ob sie im vollen Lichte der Sonne getan würden; denn sie geschehen vor seinem Angesicht, und dieses leuchtet heller als die Sonne. Und zwar sieht Gott unsere Sünden nicht nur, während sie geschehen, sondern auch hernach, selbst wenn sie von uns vergessen sind. Ja, er stellt sie in das Licht seines Antlitzes; er nimmt sie so zu Herzen, dass er ihr Gedächtnis in besonderer Weise festhält. Etwa wie Leute, denen großes Unrecht geschehen ist, die erlittene Unbill gleichsam bei sich verwahren, sie sich ins Gedächtnis graben für die Zeit, da sie mit ihren Beleidigern abrechnen können. William Bradshaw † 1618.

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass das Aussehen der Gegenstände und die Vorstellungen, die wir uns von ihnen machen, sehr davon abhängen, in welcher Lage sie sich zu uns befinden und in welchem Lichte wir sie betrachten. Daraus folgt, dass sich auch zwei Personen nie ganz genau dieselbe Vorstellung von demselben Gegenstande bilden, es sei denn, dass sie ihn in der gleichen Beleuchtung, der gleichen Entfernung, überhaupt in der gleichen Stellung und den gleichen Umständen betrachten. Wenn wir darum unsere Sünden so sehen wollen, wie Gott sie sieht - und das heißt: wie sie wirklich sind - so müssen wir uns so nahe wie möglich auf Gottes Standpunkt stellen und unsere Sünde gleichsam mit Gottes Augen betrachten. Edward Payson † 1827.

Darum ist fürwahr die Sünde also groß, wie groß der ist, der durch die Sünde beleidigt wird. Denselben aber mögen Himmel und Erde nicht fassen. Derohalben nennt wohl Moses die Sünde ein verborgen Ding, des Größe kein Gemüt fassen kann. Denn gleichwie Gottes Zorn, gleichwie der Tod, also ist auch die Sünde ein unbegreiflich Infinitum. Martin Luther 1534.

V. 9. Wie eine Erzählung (engl. Übers.) - und ein Hauptreiz einer Erzählung ist bekanntlich die Kürze. John Trapp † 1669.

Die achtunddreißig Jahre, welche die Israeliten nach der Auskundschaftung des Landes Kanaan in der Wüste zubrachten, sind nicht Gegenstand der heiligen Geschichtsschreibung geworden; denn wenig oder nichts ist uns berichtet von alle dem, was vom dritten bis zum vierzigsten Jahre geschehen ist. Diese Zeit ward gewissermaßen vollständig nutzlos zugebracht, all ihr Wandern war gleichsam nur Zeitvergeudung wie das Geschichtenerzählen. Matthew Henry † 1714.

Wie ein Gedanke. (Grundtext nach anderer Auffassung.) Die Gedanken des Menschen laufen schneller als die Sonne, und so viel schneller, wie die Sonne schneller läuft als die Schnecke. Sie durcheilen die Welt in einem Augenblick. Jemand, der hier sitzt, mag in seinen Gedanken am Ende der Welt sein, ehe ich das nächste Wort aussprechen kann. Joseph Caryl † 1673.

Wie ein Seufzer. (Grundtext nach anderer Auffassung.) Wir leben ein sterbendes, ächzendes, klagendes Leben, und zuletzt ist ein Seufzer sein Schluss. Adam Clarke † 1832.

V. 10. Unser Leben währet usw. So kurz das Leben ist, auch wenn wir das höchste Maß, achtzig Jahre, rechnen, wiewohl von den jetzt Geborenen kaum einer von achtzig diese Zahl erreicht - so kann doch von unser keinem streng genommen gesagt werden, dass er so lange lebe. Zieh zunächst ab die Jahre der Kindheit, von denen wir uns kaum erinnern, ob wir da gelebt haben oder nicht, ferner ein ganzes Drittel für den Schlaf, wo wir wie Holzklötze bewusstlos daliegen, sodann die Zeit, da wir in den irdischen Sorgen und Mühen gleichsam begraben sind, sowie diejenige, da wir tot waren in Sünden und Übertretungen - wie kurz ist dann das wahre Leben! Robert Wilkinson 1612.

Bei den Israeliten war das (dass sie ihre Jahre wie ein Geschwätz zubrachten) um so viel mehr auffallend, weil sie, in einer Art und Weise wie andere Menschen nicht, ihre Jahre zählen konnten und das möglichst höchste Ziel ihres Alters in einer Bestimmtheit vorher wussten, die sonst bei den Menschen nicht stattfindet. Wer zwanzig Jahre alt war, als er Ägypten verließ, der konnte (nach 4. Mose 13,22-34) nicht älter werden als sechzig Jahre; wer dreißig Jahre alt war, konnte siebenzig, und wer Ägypten im vierzigsten Jahre verlassen hatte, konnte achtzig Jahre alt werden, wenn er das höchste Ziel erreichte. Die älteren Männer, die beim Auszuge aus Ägypten schon sechzig oder siebenzig Jahre alt waren, waren größtenteils in den beiden ersten Jahren des Aufenthalts in der Wüste gestorben. So konnte nun jeder mit jedem Jahre, das in der Wüste verlebt war, zählen und rechnen, wie viele Jahre er noch zu leben habe, auf den Fall, dass er die vierzig Jahre, die Gott zum Aufenthalt in der Wüste bestimmt, alle durchleben sollte. Ob aber dieser Fall bei ihm eintreten oder ob er heute noch oder morgen oder über wenige Tage sterben werde, das blieb ihm verborgen. Waren etwa, als dieser Psalm geschrieben wurde, von jenen vierzig Jahren schon fünfunddreißig vorübergegangen, so konnten alle die Menschen, die von zwanzig Jahren an und darüber Ägypten verlassen hatten, wissen: Das Höchste, was wir noch zu leben haben, sind fünf Jahre. Gottfried Menken 1825.

Es haben mehrere stufenartige Abkürzungen der menschlichen Lebensdauer stattgefunden. Adam lebte neunhundert Jahre, und sieben- oder achthundert Jahre war die gewöhnliche Lebensdauer vor der Flut. Danach aber fiel sie gleich auf vier, drei, ja zwei hundert, und die Patriarchen erreichten schon diese Zahl nicht mehr. Zu Moses Zeit war die Lebensdauer schon nur mehr siebenzig, achtzig Jahre. John Edwards † 1716.

Und wenn’s hoch kommt. Luthers Übersetzung trifft wohl am besten den Sinn des Grundtextes. Schon etliche alte Übersetzer (Symm. und Hieronymus) haben ihn so gefasst, unter den neueren Delitzsch, Bäthgen und Keßler. - James Millard

Das Köstliche an dem Leben aller Menschen, das, was dem Leben Reiz und Geschmack, Wert und Gehalt, Süßigkeit und Lieblichkeit gibt, das Begehrte und Verlangte, um deswillen der Mensch es so festhält, ist am Ende, im Lichte der Wahrheit betrachtet, bei allen Mühe und Arbeit oder voll Beschwerde und Kummer gewesen. Mit Mühe und Anstrengung muss jedes Gut des Lebens gesucht, gelernt, erworben und errungen werden, unter viel Mühe und Beschwerde, Sorge, Kummer und Furcht, im Kampfe mit Widerwärtigkeit und Trübsal muss es erhalten, bewahrt, besorgt und gesichert werden. Bei weitem das meiste gewährt dem Menschen, wenn er es nun hat und sein nennen kann, den frohen Lebensgenuss nicht, den er wünschte, nicht die lautere Freude, die er sich davon versprach, nicht den stillen Frieden, den seine Seele suchte; es füllt die Leere in seinem Innern nicht so beseligend aus, wie er wähnte und hoffte. Und wie bald entschwindet es ihm! Wie bald ist, was unter des Lebens kummervoller Beschwerde mit Mühe und Anstrengung gesucht, erarbeitet, erstrebt und errungen wurde, entschwunden - entflohen wie Traum und Schatten! Denn wie das irdische Leben selbst, so auch jedes Gut des Lebens - es fährt schnell dahin. Stillstehen, haben, behalten, gestillt sein und selig sein im Besitz und Genuss des Unvergänglichen ist das Los derer, die im Himmel sind; hienieden fährt Leben und Lebensgut schnell dahin, und wir eilen davon als im Fluge. Gottfried Menken 1825.

Denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Edwin von Northumbrien hatte einst (i. J. 625) in Godmundingham seinen Rat versammelt, um über die Mission des ersten römischen Sendlings Paulinus zu beraten. Da wurde der König von dem Heiden Thane, einem seiner Obersten, also angeredet: Das gegenwärtige Leben des Menschen, o König, mag mit etwas verglichen werden, das manchmal geschieht, wenn Du mit Deinen Edeln und Landvögten zur Winterszeit an der Tafel sitzest. Im offenen Herd brennt ein Feuer und wärmt das Gemach, während es draußen stürmt und schneit. Da fliegt ein Sperling zur einen Tür Deines Saales herein und zur andern schnell wieder hinaus. Für einen Augenblick, so lange er drinnen ist, ist er vor dem Wetter geschützt; aber diese Zeit des Glückes ist gleich vorüber, er kehrt wieder in den Wintersturm zurück, aus dem er gekommen ist, und entschwindet Deinen Blicken. Solcher Art ist das kurze Menschenleben; wir wissen nicht, was ihm vorhergegangen ist, und sind vollends in Unkenntnis dessen, was ihm folgen wird. Wenn denn diese neue Lehre etwas Gewisseres enthält, so verdient sie es wahrlich, dass wir sie annehmen. Beda Venerabilis † 735.

Was sind wir anders als ein müßiger Traum, der keine Existenz, kein Wesen hat, ein Trugbild, das sich nicht festhalten lässt, ein Schiff im Meer, das keine Spur hinter sich zurück lässt, ein Staub, ein Dampf, ein Tautröpflein, eine Blume, die einen Tag blüht und den andern verwelkt, ja, die derselbe Tag aufsprossen und verdorren sieht, - und unser Text fügt noch ein anderes Bild hinzu, nämlich das eines fliegenden Vogels: wir fliegen davon; wir gehen und laufen nicht, sondern wir fliegen. Das ist die schnellste Bewegung, die ein körperliches Geschöpf hat. Unser Leben ist wie der Flug eines Vogels: jetzt ist die Schwalbe hier, und im nächsten Augenblick schon ist sie unseren Blicken entschwunden. Vergl. Hos. 9,11; Spr. 23,5; Ps. 55,7. Gregor von Nazianz † 390.

V. 11. Wer erkennt die Stärke deines Zornes? (Grundtext) Niemand, auch nicht einer. Wenn denn die Stärke des göttlichen Zornes nicht von uns erkannt werden kann, muss er so unaussprechlich bleiben wie die Liebe Christi, die alle Erkenntnis übertrifft. John Bunyan † 1688.

V. 12. Lehre uns unsere Tage zählen. (Wörtl.) Unsere sparsamen Altvordern haben uns in Sprichwörtern gelehrt, dass die Vergeudung des Vermögens hauptsächlich durch kleine Ausgaben geschieht, durch Verschleuderung von Beträgen, die, einzeln genommen, zu klein sind, als dass sie uns zur Vorsicht mahnen, und bei denen wir uns nicht dazu aufraffen, sie einmal zusammen zu rechnen und zu erwägen. Auf die gleiche Art wird das Leben verschwendet. Wer einst mit Befriedigung auf vergangene Jahre zurückblicken will, muss es lernen, den Wert der einzelnen Minuten der Gegenwart zu erkennen, und muss sich bestreben, kein Teilchen der Zeit nutzlos zu Boden fallen zu lassen. Ein italienischer Philosoph wählte zu seinem Leibspruch, die Zeit sei sein Lehensgut - ein Gut, das allerdings ohne Bearbeitung nichts hervorbringt, das aber die Mühe des Fleißes stets reichlich lohnt und die höchstgespannten Wünsche befriedigt, wenn man nicht duldet, dass auch nur das kleinste Stück durch Nachlässigkeit brach liegt, durch schädliches Unkraut überwuchert oder mehr zum Gepränge als zu wahrhaft nützlichen Dingen verwendet wird. Samuel Johnson † 1784.

Die Tage zählen lernen, das will hier nicht heißen, einfach das menschliche Lebensmaß ausrechnen oder untersuchen, welche Aussicht man etwa habe, andre zu überleben; sondern wir sollen unsre Lebenszeit messen im Vergleich zu dem Werk, welches wir auszurichten haben, im Vergleich zu dem Vorrat, den wir für die Ewigkeit aufspeichern sollen, im Vergleich zu der Vorbereitung, die wir für Tod und Gericht zu machen haben. Es gilt, das Leben einzuschätzen nach den Zwecken, zu welchen es angewendet werden soll, nach der Ewigkeit, zu welcher es führen muss. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet der Psalmist den Menschen, wenn er ausruft (39,6): "Siehe, etliche Handbreit hast du meine Tage gemacht, und meine Lebenszeit ist wie nichts vor dir", und dann hinzugefügt: "Ja, nichts als ein Hauch ist jeglicher Mensch, wie fest er stehe." Thomas Dale 1847.

Solches wäre mir nie in meinen Sinn gekommen, dass ich darum bitten sollte, wenn ich nicht sähe, dass Moses allhier mit so großem Ernst und Tapferkeit betete. Denn ich meinte, aller Menschen Herzen wären also furchtsam und erschrocken in Gefährlichkeiten des Todes, wie ich erschrecke. Wenn wir aber mit Fleiß ansehen, so lässt es sich ansehen, dass wir unter zehn Tausenden kaum zehn finden, die diese Dinge dermaßen bewegen; der andere ganze Haufe lebt also, als sei kein Gott und kein Tod. Dieses ist die größte Dürftigkeit, so aufs höchste zu beweinen, dass die Menschen im Tode ihnen selbst ein Leben träumen. In der Tiefe aller Jammer träumen sie die Seligkeit; in der allergrößten Gefährlichkeit sind sie am sichersten. Martin Luther 1534.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Auf dass wir klug werden. Sir Thomas Smith, Sekretär der Königin Elisabeth von England, sagte etliche Monate vor seinem Tode, es sei sehr zu bedauern, dass die Menschen nicht wüssten, zu welchem Zweck sie zur Welt geboren wären, bis sie im Begriff ständen, aus der Welt zu gehen. Charles Bradbury 1785.

Wir werden nie weise werden, bis wir jeden Tag als unseren letzten rechnen. Augustinus † 430.

Ist es nicht verwunderlich, dass dieser Vers die Form eines Gebetes hat? Bedarf es des Eingreifens Gottes, damit die Menschen ihre Tage zählen? Ist denn nicht dessen genug, was uns unsre Hinfälligkeit zu Gemüte führen könnte? Kann es sein, dass wir, die wir doch jeden Tag auf den Staub unserer Vorfahren treten und jeden Tag mit den Leichenbegängnissen unsrer Brüder zusammentreffen, dadurch doch nicht erfolgreich gelehrt werden, zu bedenken, dass wir sterben müssen, es sei denn, dass Gott selbst uns die Wahrheit durch eine besondere Wirkung seines Geistes ins Herz prägt? So verhält es sich doch in andern Dingen nicht; da lassen wir uns durch die Erfahrung belehren. Der Landmann bittet nicht, Gott möge es ihm schenken zu glauben, dass der Same in die Erde begraben werden und sterben müsse, um zu keimen. Die Erfahrung jedermanns genügt ihm, es bleibt kein Raum zum Gebet. Der Seemann bittet nicht, Gott möge ihn lehren, dass die Nadel des Kompasses nach Norden zeigt. Die allgemeine Erfahrung macht ihn gewiss. Wer von der Nacht umgeben ist, bittet nicht, Gott möge ihm Gewissheit darüber geben, dass die Sonne in einigen Stunden wieder aufgehen werde. Der Morgen ist auf die Nacht gefolgt, seit die Welt geschaffen ist; was sollte er noch um Belehrung bitten über das, was er zu sicher weiß, als dass er daran zweifeln könnte? Und doch ist bei keinem der genannten Dinge mehr Anlass zur Gewissheit, als unser jeder in Bezug darauf hat, dass ihm einmal zu sterben bestimmt ist. Darum ist es etwas vom Seltsamsten unter dem Seltsamen, dass wir, während wir uns in Hinsicht unwichtiger Dinge sorgfältig die Erfahrung zunutze machen, in der allerwichtigsten Angelegenheit so handeln, als ob die Erfahrung uns keine Anleitung gäbe. Und doch ist in keinem andern Stück die Erfahrung so einheitlich und so beweiskräftig. Das Samenkorn keimt nicht immer - aber jeder Mensch stirbt. Die Kompassnadel zeigt nicht immer richtig nordwärts - aber jeder Mensch stirbt. Dennoch müssen wir beten - beten als um die Offenbarung eines vor unseren Blicken verborgenen Geheimnisses - dass wir dazu gebracht werden, zu erkennen - zu glauben - dass jeder Mensch sterben muss! Denn das nenne ich nicht, nennt unser Text nicht glauben an die Kürze des Lebens und die Gewissheit des Todes, wenn dieser Glaube solcher Art ist, dass er dem Menschen gestattet, dahinzuleben, ohne an die Ewigkeit zu denken, ohne um seine Seele besorgt zu sein, ohne sich zu bestreben, sich die ewige Seligkeit zu sichern. Der Mensch ist doch ein vernunftbegabtes Wesen, ausgerüstet, Vorsorge zu treffen für das, was er als unvermeidlich erkennt, und wenn er in Bezug auf seine Sterblichkeit nicht tatsächlich ungläubig wäre, könnte er nicht so um seine Sicherheit unbekümmert dahinleben. Henry Melvill † 1871.

In den heiligen Schriften sowohl des Alten wie des Neuen Testaments wird der Ausdruck Herz gleicherweise auf die Vernunft, die denkt, auf das Gemüt, das fühlt, und auf den Willen, der handelt, angewendet. An unserer Stelle steht das Wort für die ganze intellektuelle und sittliche Natur des Menschen. William Brown Keer 1863.

V. 14. Fülle uns, d. h. sättige uns. Überall und immerfort ertönt der Ruf nach Sättigung aus der Menschheit. Ist das nicht sonderbar, wenn wir darüber nachdenken? Der Mensch ist göttlichen Geschlechts, er trägt Gottes Bild an sich und ist das Haupt der ganzen irdischen Schöpfung; auf Erden ist nichts, das ihm gleichkäme, und er besitzt wunderbare Fähigkeiten, zu denken, zu fühlen und zu handeln. Die Welt und alles, was darinnen ist, ist so gebildet, das es seinem Wesen trefflich entspricht. Es ist, als riefe ihm die Natur stets in tausendstimmigem Chore zu, er solle sich freuen und fröhlich sein. Und doch ist er nicht gesättigt, ist unzufrieden, elend! Das ist eine höchst wunderliche Sache, d. h. wunderlich, wenn man die Gemütsart und den Zustand des Menschen nicht so beurteilt, wie die Bibel es tut; und es ist nicht nur ein Zeugnis für den gefallenen Zustand seines Wesens, sondern auch dafür, dass alles Irdische nimmer genügt, sein Verlangen zu stillen. Charles M. Merry 1864.

V. 15. Erfreue uns nun wieder usw. Denn wir haben’s an denen gesehen, die vor uns gelebt haben. Wie hast du den Noah nach der Sintflut erfreuet, den Jakob nach seiner Traurigkeit in der Teurung, den Joseph nach seinem Gefängnis, die Kinder Israel nach ihrer harten Dienstbarkeit. Diese sind alle unser Spiegel, in welchem wir geschrieben finden diesen Spruch: Nach der Trübsal erfreuet Gott wieder. Johann Arnd † 1621.

V. 16. Zeige deinen Knechten dein Werk, und deine Herrlichkeit ihren Kindern. Es ist nur eins, das, ehe er diese Welt verlassen soll, noch in dieser Welt als zu neuem Leben erweckt, in neuem lebendigen Fortgange zu erblicken seine Seele verlangt; worüber Israels Sünde und Elend eine Hülle gebracht hatte, worunter es in seinem Leben und Fortgehen nicht erkannt werden konnte: das Werk Gottes, das eine, das vorzugsweise Gottes Werk heißt und ist, in einem Sinne, worin es kein anderes Werk Gottes gibt, das eine, womit alle anderen Werke Gottes zusammenhangen, um deswillen sie alle Wesen und Dauer haben, wozu hin sie alle als zu ihrem Ziele gerichtet sind und streben, zu dessen Ausführung die Welt geschaffen, alle Zeiten bestimmt und alle Begebenheiten und Ereignisse abgemessen sind: die Versöhnung der Sünde und Aufhebung des Todes und die Vereinigung der ganzen vernünftigen Schöpfung in ein Königreich der Gerechtigkeit und Liebe unter einem sichtbaren Oberhaupt, dem menschgewordenen Sohne Gottes, dem vollendeten Menschensohne Jesu Christo, dem Mittler zwischen Gott und Menschen, und in und mit dem allen die nur darin mögliche beseligendste Offenbarung Gottes in seiner Heiligkeit. Dieses Werkes Fortgang wünscht Moses zu sehen, als an dessen Ausführung durch alle Jahrhunderte der Ewige sich will erfinden lassen als der, der sein Wort hält und der sein Werk vollendet; weshalb er sich im Blick auf dieses Werk und die gewisse Vollendung desselben den Namen gegeben: Jehovah, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Gottfried Menken 1825.

V. 16 f. Es gibt eine zwiefache rabbinische Überlieferung über diese Verse: sie seien das ursprüngliche Gebet, welches Mose als Segen über das Werk der Herstellung der Stiftshütte und ihrer Geräte gesprochen habe und welches er in der Folgezeit als gewöhnliche Segensformel bei jeder neu unternommenen Aufgabe gebraucht habe, sooft Gottes herrliche Majestät durch das Licht und Recht um eine Antwort habe befragt werden müssen. John Mason Neale 1860.

Dies Gebet ward erhört. Wiewohl das erste Geschlecht in der Wüste fiel, war doch die Arbeit Moses und seiner Mithelfer an dem zweiten Geschlecht gesegnet. Dieses war das frömmste, welches in Israel je gelebt hat. Ihm durfte Bileam nicht fluchen. Andrew Fuller † 1815.

Homiletische Winke

V. 1. Die Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volke, so nah und innig, dass Gottes Kinder in Gott und er in ihnen wohnt.
Der Wohnort der Gemeinde des HERRN ist in allen Zeitaltern der gleiche; ihre Verbindung mit Gott ändert sich nie.
1) Die Seele hat ihre Heimat in Gott. a) Ihrem Ursprung nach, denn aus Gott ist sie geboren, Gott ist ihr heimatliches Element, Gott Ursprung und Heimat ihrer Gedanken, ihres Willens, ihres Gewissens, ihrer Neigungen und Wünsche. b) Der Erfahrung nach. Wenn die Seele zu Gott zurückkehrt, fühlt sie sich daheim. "Kehre ein, meine Seele, zu deiner Ruhe" (Ps. 116,7) c) In Ewigkeit. Wenn die Seele einmal in dies ihr Heim eingekehrt ist, verlässt sie es niemals. "Und soll nicht mehr hinausgehen." (Off. 3,12) 2) Die Seele ist nirgendwo anders daheim. Gott will die Wohnstätte sein a) für alle Menschen, b) zu allen Zeiten. Er ist stets derselbe, und auch die Bedürfnisse der Seele sind wesentlich stets dieselben. George Rogers 1874.
V. 2. Die Betrachtung der Ewigkeit Gottes kann dazu dienen: 1) dass unser Glaube gestärkt wird, und zwar in Hinsicht auf unsere eigene Zukunft, in Hinsicht auf unsere Nachkommen und in Hinsicht auf das Bestehen der Gemeinde des HERRN bis zum Ende der Welt. 2) Dass unser Gehorsam angeeifert wird. Wir dienen einem Gott, der uns einen ewigen Lohn geben kann. 3) Dass gottlose Menschen aus ihrer Sicherheit aufgeschreckt werden. John Tillotson † 1694.
V. 3. 1) Die Ursache des Todes: Du lässest usw. 2) Die Natur des Todes: Kehret wieder. 3) Was auf den Tod Not ist: Versöhnung mit Gott, Bereitung auf die Rückkehr zu Gott.
V. 4. 1) Lasst uns den langen Zeitraum mit seinen vielen Ereignissen betrachten. 2) Lasst uns erwägen, wie beschaffen das Wesen sein muss, dem dies alles wie nichts ist. 3) Lasst uns untersuchen, wie wir zu ihm stehen.
V. 5. Vergleichung des sterblichen Lebens mit dem Schlaf. Siehe die Bemerkungen von Bradshaw.
V. 5.6. Was uns die Wiese lehren mag: 1) Das sprossende Gras ein Sinnbild der Jugend. 2) Des Grases Blume - der Mensch in der Blüte seiner Jahre. 3) Die Sichel. 4) Das gemähte Gras - oder der Mensch im Tode.
V. 7. 1) Die hauptsächlichsten Leiden des Menschen haben im Tode ihre Ursache, sei es in dem eigenen, sei es in dem Tode anderer. 2) Der Tod hat seine Ursache im göttlichen Zorn. 3) Der göttliche Zorn hat seine Ursache in der Sünde. George Rogers
V. 8. 1) Wie Gott die Sünde beachtet. a) Beim Einzelnen: unsre Missetaten b) Allumfassend: Missetaten - nicht nur einige, sondern alle. c) Sehr genau, selbst die verborgensten Sünden. d) Beständig: er stellt sie vor sich, ins Licht vor seinem Angesichte. 2) Wie wir darum die Sünde beachten sollten. a) In unserem Denken: wir sollten sie vor uns stellen. b) Im Gewissen: wir sollten uns ihretwegen verurteilen. c) Im Willen: wir sollten uns von ihr abkehren in Reue und uns zu dem vergebenden Gott hinwenden im Glauben. George Rogers
V. 9. Etliche müssen bekennen: "Alle unsre Tage fahren dahin in deinem Zorn," während andere rühmen dürfen: "Alle unsre Tage gehen hin in deiner Liebe."
V. 10. Wie nichtig das irdische Leben 1) seiner Dauer, 2) seinem Inhalt nach ist.
V. 11. (Grundtext) 1) Der Zorn Gottes gegen die Sünde wird an seinen Wirkungen in diesem Leben nicht völlig erkannt. 2) Er wird sich hernach so offenbaren, dass auch die größten Befürchtungen der Menschen übertroffen werden.
V. 12. (Grundtext) 1) Die Rechnung. a) Was die gewöhnliche Zahl der Tage des Menschen ist. b) Wie viele ihrer für uns schon vergangen sind. c) Wie unsicher die übrige Zahl ist. d) Wie viele dieser übrigen Tage von den notwendigen Pflichten dieses Lebens in Anspruch genommen werden. e) Was für Leiden und wie große Hilflosigkeit in ihnen uns treffen mag. 2) Der Nutzen, den wir aus solcher Rechnung ziehen können. a) Dass wir Weisheit zu gewinnen suchen - nicht Reichtum, weltliche Ehren oder Vergnügungen. Und zwar b) ein weises Herz - nicht Verstandes-, sondern sittliche Lebensweisheit. Solche erfahrungsmäßige, praktische Weisheit sollen wir c) alsbald und d) beständig suchen. 3) Was für Hilfe wir dabei begehren sollen: "Lehre uns." a) Unsere eigene Fähigkeit reicht dazu nicht hin, weil beides, Vernunft und Herz, durch die Sünde verderbt sind. b) Doch können wir göttliche Hilfe erlangen. Jak. 1,5. George Rogers
Wie segensreich die Erkenntnis, dass wir sterblich sind, den Menschen sein kann. 1) Ein Gegenmittel für den Kummer. 2) Ein Stärkungsmittel für die Arbeitsmüden. 3) Ein Heilmittel für die Ungeduld. 4) Ein Balsam für die verwundeten Herzen. 5) Ein Besserungsmittel für die irdisch Gesinnten. 6) Ein Beschwichtigungsmittel für die Übermütigen. R. Andrew Griffin 1872.
V. 13. Wiefern von Gott gesagt werden könne, er lasse sich etwas reuen. (Grundtext)
V. 14. 1) Das tiefe Sehnen des Menschenherzens geht auf wahre Sättigung. 2) Diese kann nur in der Aneignung der göttlichen Gnade gefunden werden. Ch. M. Merry 1864.
Unsere Seele kann 1) nicht in den irdischen Dingen, sondern 2) nur in Gott wirkliche Befriedigung und damit täglich neue Freude finden. John Cawood 1842.
Durch die Erfahrung der göttlichen Gnade werden 1) die fröhlichsten Tage des Erdenlebens erst recht fröhliche Tage, aber 2) auch die trübsten Tage des Erdenlebens wahrhaft glückliche Tage. George Rogers
V. 15. (Grundtext) 1) Die Freude des Glaubens steht im Verhältnis zu dem Kummer der Buße. 2) Die Freude des Trostes steht im Verhältnis zu den Leiden der Trübsal. 3) Die Freude über die Freundlichkeit Gottes steht im Verhältnis zu dem vorherigen Schrecken über sein Zürnen. George Rogers
Das Gleichgewicht des Lebens, oder wie in unserem Leben Freuden und Leiden miteinander im Verhältnis stehen.
V. 17. Das Werk, welches bleiben wird; warum es bleiben wird und bleiben soll. Warum wir wünschen, dass unser Werk von solcher Art sei, und ob in unserem Werke solches ist, das ihm ewige Dauer verbürgt.
V. 15-17. Freude für Leid. Pred. von C. H. Spurgeon. Schwert und Kelle, 3. Jahrg. Seite 353. Phil. Bickel, Hamburg 1883.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 91(Auslegung & Kommentar)



Überschrift

Dieser Psalm ist ohne Überschrift, und es fehlen uns die Mittel, den Namen des Dichters oder die Zeit der Abfassung auch nur mit einiger Gewissheit festzustellen. Die jüdischen Gelehrten wie auch manche der alten kirchlichen Ausleger haben gemeint, jeder Psalm, bei welchem der Verfasser nicht genannt ist, sei jeweils demjenigen Dichter zuzuschreiben, der den vorhergehenden verfasst habe. Diese Ansicht ist freilich unhaltbar, wie leicht zu beweisen ist. Es wären dann mit Origenes ja in unserem Fall auch alle die folgenden Psalmen bis zum hundertsten einschließlich dem Mose zuzuschreiben. Bei dem vorliegenden Ps. 91 spricht aber ausnahmsweise in der Tat manches für die Vermutung, dass er von dem Verfasser des neunzigsten herrühre. Schon Hitzig hat darauf aufmerksam gemacht, dass mehrere Ausdrücke und Redewendungen an 5. Mose 32 erinnern. Der lange Lebenslauf Josuas und Kalebs, die dem HERRN von ganzem Herzen nachfolgten, sind treffende Belege zu unserem Psalm. Denn zum Lohn für ihren treuen Wandel in der beständigen Gemeinschaft mit dem HERRN blieben diese Männer am Leben mitten unter den Toten und umgeben von Gräbern. So ist es denn nicht so unwahrscheinlich, dass Mose, der Mann Gottes, den Psalm verfasst habe. Sollte aber, nach der Überlieferung der Septuaginta, Davids Feder vom HERRN benutzt worden sein, uns diesen in seiner Art unvergleichlichen Hochgesang des Gottvertrauens zu schenken, so könnten wir doch nicht mit manchen Auslegern glauben, dass er bei der Abfassung des Psalms jene Plage im Auge gehabt habe, durch welche Jerusalem wegen der von ihm angeordneten Volkszählung verheert wurde. Wie hätte er damals singen können, man werde an den Heimgesuchten sehen, wie den Gottlosen vergolten werde - schnurstracks im Widerspruch mit seiner eigenen Erklärung: "Ich bin, der gesündigt und das Übel getan hat; diese Schafe aber, was haben sie getan?" (1. Chr. 21,17) Auch wäre es dann unerklärlich, dass jede Hindeutung auf das Opfer, welches auf Aravnas Tenne dargebracht wurde, fehlt, da doch die Buße David unfehlbar dazu geführt hätte, bei dem versöhnenden Opfer zu verweilen.
In der ganzen heiligen Liedersammlung gibt es keinen tröstlicheren Psalm als diesen. Der Ton ist durchweg erhaben. Der Glaube schöpft hier aus dem Vollen und äußert sich in besonders edler Weise. Ein deutscher Arzt pflegte diesen Psalm als das beste Schutzmittel in Cholerazeiten zu empfehlen. Er ist auch in der Tat eine himmlische Arzenei gegen Pest und Plagen. Wer in dem Geiste dieses Psalmes einhergehen kann, darf furchtlos sein, auch selbst wenn unsre Städte wieder wie einst London oder wie Wien zu Abraham a. St. Claras Zeiten Pesthöhlen werden und die Friedhöfe die Leichen nicht fassen sollten.
In Kriegszeiten ist der Psalm, in den betreffenden Sprachen auf starkem Papier gedruckt, zu Zehntausenden von christlichen Freunden unter den sich gegenüberstehenden Heeren verteilt worden. Ein Amulet ist der Psalm freilich nicht, wie schon der erste Vers beweist.

Einteilung

V. 1-2: Die Stellung der Gottesfürchtigen. V. 3-8: Ihre Sicherheit. V. 9-10: Ihre Wohnung. V. 11-13: Ihre Diener. V. 14-16: Ihr treuer Freund, und endlich die Wirkung all dieser Wohltaten.

Auslegung

1. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt
und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,
2. der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg,
mein Gott, auf den ich hoffe.


1. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt. Die in diesem Psalm verheißenen Segnungen gelten nur denjenigen Menschen, die mit Gott in inniger Gemeinschaft leben, die nicht nur je und dann zum HERRN eilen, um in Augenblicken besonderer Not bei ihm Zuflucht zu suchen, sondern die in dem Schutz des Höchsten ihre Heimat gefunden haben. Wer durch Gottes reiche Gnade in beständiger Gemeinschaft mit Gott steht, so dass er in Christo bleibt und Christus in ihm, der genießt außerordentliche Segnungen, welche jene entbehren, die nur von ferne dem HERRN folgen und sich nicht ängstlich davor hüten, den Geist Gottes zu betrüben. Zu dem sichern Bergungsort gelangen nur diejenigen, welche die Liebe Gottes in Christo Jesu erkennen, und nur die bleiben daselbst, deren Leben Christus ist. Für diese ist der Vorhang zerrissen, ihnen steht der Gnadenthron stets offen; ihnen sind die schützenden Cherubim sichtbar, ihnen leuchtet die erhabene Herrlichkeit des Höchsten. Sie haben wie Simeon den Heiligen Geist in sich, und wie Hanna kommen sie nimmer vom Tempel. Das sind die Hofleute des großen Königs, die Starken, die um das Bett Salomos her stehen (Hohelied 3,7), die Jungfrauen, die dem Lamme nachfolgen, wo es hingeht (Off. 14,4). Als die Erwählten aus den Erwählten gleichen sie jenen drei vornehmsten der Helden Davids (2. Samuel 23,8 ff.); sie werden mit ihrem Herrn in weißen Kleidern wandeln, denn sie sind’s wert (Off. 3,4). In dem herrlichen Audienzsaale sitzend, wo das geheimnisvolle Licht der Schechina sie bescheint, wissen sie, was es heißt, samt Christo auferstanden und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt zu sein, und von ihnen kann in Wahrheit gesagt werden, ihr Bürgertum sei im Himmel. Solche besondere Gnade sichert ihnen denn auch besondern Schutz. Die Gott nur von ferne, im äußeren Vorhof, anbeten, wissen wenig von den Vorzügen des inneren Heiligtums; sonst würden sie gewisslich vorwärts drängen in Gottes Nähe hinein, sie würden nicht ruhen, bis auch ihnen solch heilige Zutraulichkeit mit dem HERRN zuteil würde. Die ständigen Hausgäste Jehovahs sollen es erfahren, dass er nie dulden wird, dass ihrer einer innerhalb seiner Tore verletzt werde. Er hat das Bundessalz mit ihnen gegessen und steht darum für ihre Bewahrung ein.
Und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt. Der unüberwindlich Allgewaltige wird alle die bewahren, welche bei ihm wohnen; sie stehn unter seinem Schutz, wie die Gäste eines morgenländischen Hausherrn unter dem Schirm der unverletzlichen Gastfreundschaft. Wer bei Gott Hausrecht genießt, ist wohl geborgen; kein Übel kann ihn antasten, denn die ausgebreiteten Flügel seiner Macht und Liebe schirmen ihn vor allem Bösen. Dieser Schutz ist beständig: sie bleiben darin; und er ist allgenügend, denn es ist ja der Schatten des Allmächtigen: seine Allgewalt sichert sie gegen jeden Überfall. Kein Zufluchtsort ist denkbar, der an Sicherheit irgend der Bewahrung durch Jehovahs eigenen Schatten zu vergleichen wäre; denn wo der Schatten des Allmächtigen ist, da ist er selbst. Welch kühlende Labung bietet dieser Schatten in der sengenden Mittagshitze, welche Sicherheit diese Kluft des ewigen Felsens, wenn der Sturm alles verheerend vorüberbraust! Je näher wir uns dem allmächtigen himmlischen Vater anschmiegen, desto zuversichtlicher dürfen wir sein.

2. Der spricht, oder, wie der Grundtext, plötzlich in die erste Person übergehend, eigentlich sagt: Ich spreche zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg. Eine allgemeine Wahrheit ergreifen und durch persönlichen Glauben sich aneignen, das ist die höchste Weisheit. Es liegt wenig Trost darin, zu sagen: "Der HERR ist eine Zuversicht"; aber zu Jehovah sagen können: "Du bist meine Zuversicht", das erquickt wahrhaft. Wir mögen von dem Psalmdichter auch lernen, dass wir unseren Glauben freimütig aussprechen sollten; solch kühne Bekenntnisse ehren Gott und ermuntern andere, ein gleiches Vertrauen zu fassen. Die Menschen haben es ja eilig genug, ihre Zweifel kundzugeben, ja sich mit diesen zu brüsten, und es gibt in unseren Tagen sogar eine Richtung, die mit großer Anmaßung auf Bildung und Gedankenreichtum Anspruch erhebt und doch ihren Ruhm darin sucht, alles zweifelhaft zu machen; umso mehr ist es daher für die wahren Gläubigen Pflicht, hervorzutreten und es ruhig, aber fest, zu bezeugen, dass ihr Vertrauen auf Gott wohl gegründet ist. Aber was wir sagen, das müssen wir auch durch unsere Handlungen beweisen; wir müssen beim HERRN Schutz suchen und nicht bei fleischlichem Arm. Der Vogel flieht ins Dickicht, der Fuchs eilt zu seiner Höhle, jedes Geschöpf benutzt seinen Bergungsort in der Stunde der Gefahr; so lasst uns auch in jeder Drangsal, oder wo wir auch nur Gefahr befürchten, zu Jehovah, dem ewigen Schirmherrn der Seinen, fliehen. Sind wir unter des HERRN Schutz, so wollen wir frohlocken, dass unsere Stellung uneinnehmbar ist; denn der HERR ist unsere Burg sowohl wie unsre Zuversicht. Kein Graben, kein Fallgatter, keine Zugbrücke, kein Festungswall, keine Mauerzinne, kein Turm könnte uns solche Sicherheit gewähren, als wenn die hohen Eigenschaften des HERRN der Heerscharen uns schützend umgeben. Ja, auch heute ist der HERR uns Mauer und Wehr. Unsere Bollwerke trotzen den verbündeten Heeren der Hölle. Feinde von Fleisch und Blut und solche von geistiger Art gehen beide ihrer Beute verlustig, wenn der HERR Zebaoth sich zwischen uns und ihre Wut stellt, und alle anderen bösen Mächte müssen vor ihm weichen. Mauern können die Pest nicht ausschließen, aber der HERR vermag es.
Als ob es ihm nicht genügte, den HERRN seine Zuversicht und seine Burg zu nennen, fährt der Dichter fort: Mein Gott, auf den ich hoffe. Größeres kann er nicht sagen. Mein Gott - darin liegt alles und mehr als alles, was sich an Sicherheit denken lässt. So ist es denn auch passend, dass der Psalmist das Bekenntnis und den Entschluss des Vertrauens hinzufügt mit den Worten: auf den ich hoffe (oder traue). Einem solchen Wesen das volle Vertrauen verweigern, das wäre ja mutwillige Bosheit und freche Beleidigung. Wer in einer uneinnehmbaren Festung wohnt, der verlässt sich selbstverständlich auf dieses sichere Bollwerk; und sollte, wer in Gott wohnt, sich nicht wohlgeborgen fühlen und guten Mutes sein? Ach, dass wir dem Psalmisten in seinem Gottvertrauen mehr nachahmten! Der ewig Treue hat uns nie getäuscht; weshalb sollten wir denn jetzt Verdacht gegen ihn hegen? Auf Menschen bauen ist dem gefallenen Adamskind natürlich; ebenso natürlich sollte es dem Wiedergeborenen sein, sich auf Gott zu verlassen. Wo jeder Grund und jede Bürgschaft für den Glauben gegeben ist, da sollten wir auch wirklich ohne Zögern und ohne Zagen Vertrauen üben. Lieber Leser, flehe um Gnade, dass auch du sagen könnest: Mein Gott, auf den ich hoffe.

3. Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers
und von der schädlichen Pestilenz.
4. Er wird dich mit seinen Fittichen decken,
und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
5. dass du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
6. vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die im Mittage verderbt.
7. Ob tausend fallen zu deiner Seite
und zehntausend zu deiner Rechten,
so wird es doch dich nicht treffen.
8. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen
und schauen, wie den Gottlosen vergolten wird.


3. Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers. Ja fürwahr, keinem noch so schlau angelegten Plane wird es gegen den gelingen, über welchem Gottes Auge schützend wacht. Wir sind töricht und hilflos wie die armen Vöglein und sehr der Gefahr ausgesetzt, von listigen Feinden ins Verderben gelockt zu werden; bleiben wir aber in Gottes unmittelbarer Nähe, so wird er dazu sehen, dass kein Vogelsteller, wie fein er es auch anlege, uns berücke. Ja der Satan selbst, der unbewachte Seelen auf tausend Weisen fängt, wird an allen zu Schanden werden, die im Schirm des Höchsten sitzen. Und von der schädlichen Pestilenz. Gott, der Geist ist, kann uns gegen böse Geister schützen; er, dessen Wesen so geheimnisvoll ist, kann aus den geheimsten Gefahren retten; er, der unsterblich ist, kann uns aus tödlicher Krankheit aufrichten. Es gibt auch eine verderbliche Pest des Irrtums; aber wir sind gegen sie gefeit, wenn wir mit dem Gott der Wahrheit in Gemeinschaft stehen. Eine andere unheilvolle Pestilenz ist die der Sünde; aber wir werden ihr nicht unterliegen, wenn wir in dem Heiligen Gott bleiben. Und sogar vor der Ansteckungskraft der leiblichen Krankheiten vermag uns der Glaube zu schützen, wenn er solcher Art ist, dass er in Gott bleibt, in gelassenem Seelenfrieden einhergeht und um der Pflicht willen alles wagt. Indem der Glaube das Herz ruhig macht und heiter stimmt, hält er es von der Furcht frei, die in Zeiten der Seuche mehr Leute umbringt als die Pestilenz an sich. Wohl wird er nicht in allen Fällen Krankheit und Tod abwehren; aber er sichert allen denen, auf welche die Beschreibung des ersten Verses passt, ganz unzweifelhaft Unsterblichkeit, wo andere den Tod erleiden. Werden nicht alle Heiligen so beschirmt, so liegt es daran, dass nicht alle so innig mit Gott verbunden sind und darum kein so festes Vertrauen zu der Verheißung haben. Solch besonderer Glaube wird nicht allen gegeben; denn es besteht ein Unterschied in dem Maß des Glaubens. Nicht allen Gläubigen gilt das, wovon der Psalmdichter singt, sondern nur denen, die unter dem Schirm des Höchsten sitzen. Gar zu viele unter uns sind schwach im Glauben und setzen ihr Vertrauen oft tatsächlich mehr auf Tränklein und Pillen als auf den Schöpfer und Erhalter des Lebens. Sterben wir dann an der Seuche wie andere, so geschieht es, weil wir es gemacht haben wie andere, statt unsre Seelen in Geduld zu fassen. Die große Gnade dabei ist, dass auch in solchem Falle unser Sterben doch ein seliges sein und uns ewig wohl sein wird, da wir bei dem Herrn sein werden allezeit. Für die Erlösten ist auch die Pestilenz nicht schädlich, sondern wird für sie zu einem Himmelsboten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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4. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Welch wundervolle Sprache! Wäre sie von einem Menschen gebraucht, der nicht unter der besonderen Einwirkung des Heiligen Geistes stünde, so würde sie an Gotteslästerung streifen; denn wer dürfte es sonst wagen, solche Worte von dem unendlichen Jehovah zu gebrauchen? Da er aber selbst zu diesen Ausdrücken Vollmacht geschenkt, ja sie eingegeben hat, sehen wir in ihnen eine unvergleichliche Herablassung, die uns zu Bewunderung und Anbetung drängt. Spricht doch der Allerhabene hier von seinem Fittich, als wollte er sich einem Vogel gleichstellen! Wer sieht darin nicht eine unbegreifliche Liebe, eine göttliche Zärtlichkeit, die unser Vertrauen wecken und gewinnen soll? Ja, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel birgt, so schützt der HERR die Seelen, die bei ihm bleiben. Bergen wir uns denn bei ihm, damit wir behagliche Ruhe und Sicherheit genießen. Kein Habicht, der in der Luft schwebt, und keine Schlinge auf dem Felde kann uns Schaden tun, wenn wir uns im Glauben so nahe zum HERRN flüchten. Seine Wahrheit - seine gewisse Zusage und seine Treue, mit der er über der Verheißung hält - ist Schirm und Schild. Zwiefältig gerüstet ist, wer sich auf den HERRN verlässt. Die Wahrheit ist ein wohlbewährter Schild zum Auslöschen feuriger Pfeile, ein undurchdringliches Rüstzeug, an dem alle Schwerter stumpf werden. Lasst uns so gewappnet in den Streit ziehen, so sind wir auch in der heißesten Schlacht geschützt. Dieser Schild ist altbewährt und wird auch uns zugute standhalten, bis wir in das Land des Friedens eingehen. Und auch dort, unter den schwertbegürteten Cherubim und wohlgepanzerten Seraphim, werden wir keinen andern Waffenschmuck tragen als eben diesen; seine Wahrheit wird uns auch dann noch Schirm und Schild sein.

5. Dass du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen der Nacht. Wir sind solch schwache Geschöpfe, dass wir bei Nacht und bei Tage in Gefahr sind, und wir sind so schuldbeladen, dass uns zu allen Zeiten die Furcht leicht überwältigen kann. Die vorliegende Verheißung sichert aber den Günstling des Himmels vor aller Gefahr und selbst vor Furcht derselben. Die Nacht ist die Zeit des Grauens; da gehen Schrecken um gleich den beutegierigen Raubtieren, gleich den Gespenstern zwischen den Gräbern. Unsere Furcht wandelt die süße Ruhezeit in Stunden der Angst, und ob auch Engel um uns her sind und unsre Kammer füllen, träumen wir doch von bösen Geistern und schrecklichen Gästen aus dem Höllenabgrund. Wie gesegnet ist doch die Gemeinschaft mit Gott, die uns gegen alle Schrecken der Finsternis und alles Grauen der Mitternacht feit! Sich nicht fürchten, das ist an und für sich schon ein unermesslicher Segen, da wir für jedes Leiden, das wir wirklich zu ertragen haben, von tausend Qualen gemartert werden, die nur aus der Furcht entstehen. Der Schatten des Allmächtigen nimmt dem Schatten der Nacht alle Düsternis; sind wir von den Fittichen der Gottheit bedeckt, so kümmert es uns nicht, was für beschwingte Schrecken auch über die Erde flattern mögen. Vor den Pfeilen, die des Tages fliegen. Listige Feinde liegen im Hinterhalt und zielen mit ihren tödlichen Geschossen auf unser Herz; aber wir fürchten sie nicht und haben auch gar keine Ursache, es zu tun. Der Pfeil ist noch nicht gemacht, der den Gerechten verderben könnte; denn der HERR hat gesagt: Eine jegliche Waffe, die wider dich zubereitet wird, der soll es nicht gelingen. (Jes. 54,17) In Zeiten großer Gefahr sind je und je solche, die ihre Zuversicht auf den HERRN setzten und darum auf die Anwendung fleischlicher Waffen verzichteten, in auffälliger Weise bewahrt worden; davon gibt die Geschichte der Quäker treffende Beweise. Doch mag der Gedanke des Psalmisten vornehmlich der sein, dass die, welche im Glauben wandeln, gegen die feigen Angriffe der List gesichert sein sollen, dass sie vor schlau eindringenden Ketzereien beschützt, bei plötzlichen Versuchungen vor allem Schaden bewahrt werden sollen. Der Tag hat seine Gefahren so gut wie die Nacht. Pfeile noch tödlicherer Art als die bekannten Giftpfeile der Indianer fliegen geräuschlos durch die Luft, und wir würden ihnen zum Opfer fallen, wenn wir nicht Schirm und Schild bei unserem Gott fänden. O gläubige Seele, bleibe du unter dem Schatten des Allmächtigen, so wird dich keiner der Schützen verderben können; sie mögen auf dich zielen, sie mögen dich verwunden, aber dein Bogen wird dennoch fest bleiben. Wenn des Teufels Köcher geleert ist, wirst du noch aufrecht stehen, von seiner List und Grausamkeit nicht beschädigt; ja, seine zerbrochenen Pfeile werden dir Siegeszeichen der Wahrhaftigkeit und Macht des HERRN, deines Gottes, sein.

6. Vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht. Diese ist, sowohl was ihre Ursache als was ihre Heilung betrifft, in geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Sie schreitet, von Menschen ungesehen, immer weiter und tötet mit verborgenen Waffen wie ein Feind, der im Finstern meuchlings umbringt; aber die in Gottes Hut leben, fürchten sie nicht. Und doch beunruhigt sonst nichts so sehr, wie die Anschläge eines Meuchelmörders; denn ein solcher kann einen in jedem Augenblick überfallen und mit Einem Schlag niederstrecken. Das ist aber gerade die Art, in welcher die Pest ihr schauriges Werk tut, wenn die Zeit ihrer Macht da ist. Keiner kann sich an irgendeinem Ort in der verseuchten Stadt oder Gegend auch nur eine Stunde vor ihr sicher fühlen. Sie schleicht in ein Haus, niemand weiß wie; sogar die Luft, die man zum Leben einatmet, ist todbringend. Dennoch sollen die begnadeten Seelen, die im Schirm des Höchsten weilen, auch an den gefährdetsten Orten über alle Furcht erhaben sein; sie sollen sich nicht ängsten vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, und ebenso wenig vor der Seuche, die im Mittage verderbt. Hungersnot mag wüten oder blutiger Krieg viele verschlingen, Erdbeben mag große Zerstörungen, Unwetter schwere Verwüstungen anrichten; aber mitten in alle dem soll der Mann, der unter den Fittichen des Ewigen geborgen ist, in vollem Frieden erhalten bleiben. Schreckenstage und Schauernächte sind für andere Leute; er verbringt ja seine Tage und Nächte in der Gemeinschaft seines Gottes, darum gehen sie in heiliger Ruhe dahin. Sein Friede ist nicht dem Wechsel der Tage und Zeiten unterworfen, er geht nicht mit der Sonne auf und nieder und ist nicht abhängig von der Reinheit der Luft oder der Sicherheit des Landes. Über das Herzenskind des HERRN hat die Pestilenz keine zerstörende Macht, und die Trübsal kann es nicht aufreiben. Die Pestilenz schleicht im Finstern, aber das Gotteskind wohnt im Licht; die Seuche verderbt im Mittage, aber über dem Christen ist eine andre Sonne aufgegangen, deren Strahlen Erquickung bringen. Gedenke des, dass die Stimme, welche hier spricht: "Du sollst nicht erschrecken müssen", die Stimme Gottes selbst ist; er verpfändet damit sein Wort für die Sicherheit derer, die unter seinem Schatten bleiben, ja, nicht nur für ihre Sicherheit, sondern auch für ihren Seelenfrieden. Sie sollen so fern davon sein, beschädigt zu werden, dass sie sogar aller Furcht vor den Übeln, die sie umgeben, entnommen sein sollen, weil der HERR sie beschützt.

7. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten. So schrecklich mag die Seuche wüten, dass die Sterbelisten unheimlich anschwellen und, immer zunehmend, noch zehnmal größer werden; dennoch sollen die, von welchen unser Psalm gilt, der Sichel des Todes entgehen. So wird es doch dich nicht treffen. Ob die Pestilenz dir auch so nahe rückt, dass sie an deiner Seite ist, doch soll sie so nahe nicht an dich herankommen, dass sie dich berühren könnte. Wie ein Feuer mag sie rings umher brennen, doch soll man an dir keinen Brand riechen. Wie wahr ist das von der Seuche der sittlichen Übel, der Irrlehre und dem Abfall! Ganze Völkerschaften sind von ihr durchseucht; aber der Mann, der mit Gott in enger Gemeinschaft steht, wird von der Ansteckung nicht ergriffen. Er bleibt bei der Wahrheit, auch wo die Lüge herrschend geworden ist. Überall um ihn her sieht er viele, die dem Bekenntnisse nach zu den Frommen zählen, von der Seuche ergriffen, die Kirche ist verwüstet, das christliche Leben selbst ist verfallen; aber an eben dem Ort, zu eben der Zeit steht der echte Gläubige in jugendfrischer Kraft da und weiß nichts von Siechtum. In einem gewissen Maße gilt das aber auch von äußerlichen Übeln; noch immer macht der HERR, wenn er ein Land mit Plagen heimsucht, einen Unterschied zwischen den Israeliten und den Ägyptern. Sanheribs Heer mag verdorren wie das Gras auf den Dächern, ehe denn es reif wird (2. Könige 19,26), aber Jerusalem bleibt in Kraft.

8. Ja, du wirst es sehen mit deinen Augen (Grundtext) und schauen, wie den Gottlosen vergolten wird. Nur Zuschauer wirst du sein; aber was du da mit eigenen Augen siehst, das wird sowohl die Gerechtigkeit als die Barmherzigkeit Gottes offenbaren: an denen, die verderben, soll sich Gottes Ernst, und an dem Entrinnen der Gläubigen der Reichtum der göttlichen Güte enthüllen. Josua und Kaleb haben die Wahrheit dieser Verheißung erfahren, und die puritanischen Prediger müssen, als sie, da die Pest in London wütete, aus ihren Verstecken hervorkamen, um dem durch die Seuche so arg heimgesuchten zuchtlosen Geschlecht Gnade und Gericht zu verkündigen, von den Weissagungen unseres Psalms tief durchdrungen gewesen sein. Das Anschauen der Gerichte Gottes erweicht das Herz, erweckt ernste Scheu, wirkt Dankbarkeit und treibt so zur demütigsten Anbetung. Es ist ein Anblick, den unser keiner zu sehen begehren wird; und doch, würden wir ihn schauen, so könnte es sein, dass wir dadurch zur Entfaltung der edelsten menschlichen Tugenden getrieben würden. Geben wir nur auf Gottes Wege Acht, so werden wir merken, dass wir in einer Schule sind, wo uns Beispiele der göttlichen Vergeltung der Sünde reichlich vor Augen geführt werden. Da das Endgericht noch aussteht, dürfen wir nicht einen einzelnen Fall für sich beurteilen, damit wir nicht falsch richten; aber dem aufmerksamen Beobachter von Menschen und Dingen werden sich Beweise der göttlichen Heimsuchung des Bösen zahlreich vor Augen drängen, und aus der Gesamtheit solcher Wahrnehmungen dürfen wir billig Folgerungen ziehen. Und wenn wir anders unsere Augen nicht gegen offenkundige Tatsachen verschließen, werden wir dann bald merken, dass es trotz allem Widerspruch eben doch einen Richter über das sittliche Verhalten der Menschen gibt, der früher oder später den Gottlosen ihre verdiente Strafe zumisst.

9. Denn der HERR ist deine Zuversicht,
der Höchste ist deine Zuflucht.
10. Es wird dir kein Übels begegnen,
und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.


9-10. Ich kann es nicht unterlassen, ehe wir den einzelnen Worten dieser Vers nachgehen, ein persönliches Erlebnis zu erzählen, welches die herzstillende Kraft beleuchten mag, die von diesen Worten ausgeht, wenn der Heilige Geist sie uns zueignet. Im Jahr 1854, als ich noch kaum ein Jahr in London war, wurde die Gegend, in welcher ich wirkte, von der asiatischen Cholera heimgesucht, und meine Gemeinde litt schwer unter der verheerenden Seuche. Eine Familie nach der anderen rief mich an das Lager der von der schrecklichen Krankheit Ergriffenen, und beinahe jeden Tag hatte ich am Grabe zu stehen. Mit jugendlichem Eifer gab ich mich dem Besuchen der Kranken hin, und aus allen Teilen des Stadtbezirkes sandten Leute jeden Standes und Religionsbekentnisses nach mir. Nach und nach aber wurde ich müde und matt an Leib und Seele. Meine Freunde schienen einer nach dem andern dahin zu sinken, und ich fühlte oder bildete mir ein, dass auch ich im Begriff war zu erkranken, wie so viele um mich her. Noch ein wenig Arbeitens und Leidens hätte mich dahingestreckt wie die Übrigen. Meine Last wurde mir zu schwer, als dass ich sie noch länger hätte tragen können; ich war ganz nahe daran ihr zu unterliegen. Da fügte es Gott eines Tages, als ich traurigen Herzens von einer Beerdigung heimkehrte, dass mein Blick auf ein Blatt Papier fiel, das an dem Fenster eines Schuhmacherladens in der Doverstraße befestigt war. Die Neugierde trieb mich, zu sehen, was darauf geschrieben stehe, denn es sah nicht aus wie eine Geschäftsanzeige, die es auch in der Tat nicht war. Vielmehr stand in fester, deutlicher Handschrift darauf zu lesen: Der HERR ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übels begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen. Diese Worte schlugen bei mir ein. Ich konnte sie mir sogleich im Glauben aneignen und fühlte mich reich erquickt und völlig sicher, ja mit Unsterblichkeit gegürtet. Ich konnte mit ruhigem Gemüte fortfahren, die Sterbenden zu besuchen. Ich fühlte keine Furcht mehr und litt keinen Schaden. Dankerfüllten Herzens preise ich das Walten der göttlichen Vorsehung, durch welche jener Geschäftsmann veranlasst wurde, die Bibelworte an seinem Fenster anzubringen, und bei der Erinnerung an die wunderbare Wirkung, welche sie auf mein Gemüt hatten, bete ich den HERRN, meinen Gott, an.
In diesen Versen verbürgt der Psalmdichter dem Manne, der Gott zu seiner Zuflucht hat, völlige Sicherheit. Wiewohl der Glaube kein Verdienst für sich in Anspruch nimmt, belohnt der HERR ihn doch, wo immer er ihn wahrnimmt. Wer den Höchsten zu seiner Zuflucht macht, wird erfahren, dass derselbe in der Tat eine sichere Zuflucht ist. Wir müssen den Herrn zu unserem Obdach machen, indem wir ihn zu unserer Zuversicht und Ruhstatt erwählen; dann wird uns Schutz vor aller Gefahr zuteil werden. Uns selber wird kein Übels anrühren, und unser Haus wird von keinem Gericht getroffen werden. Selbst wenn unsere Wohnstatt nach dem Wortlaut des Grundtextes V. 10 nur ein Zelt ist, wird die schwache Hütte dennoch ein genügender Schutz gegen alle Gefahren sein. Es macht im Grunde wenig aus, ob unser Obdach ein Zigeunerzelt oder ein Königsschloss ist, wenn unsre Seele den Höchsten zu ihrer Zuflucht gemacht hat. Birg dich in Gott, so wohnst du im Guten, und alles Böse wird weit weg gebannt sein. Nicht weil wir vollkommen sind oder bei den Menschen im besten Ansehen stehen, können wir am bösen Tage auf Schutz hoffen, sondern weil der ewige Gott unsre Zuversicht ist und wir es gelernt haben, uns im Glauben unter seinen Flügeln zu bergen. Es ist schlechterdings unmöglich, dass ein Übel den Mann treffe, der vom HERRN geliebt ist; auch der schwerste Schlag kann nur seine Heimfahrt abkürzen und seine Belohnung beschleunigen. Das Übel ist für ihn kein Übel, sondern Gutes in verschleierter Gestalt. Verluste bereichern ihn, Krankheit ist ihm Arzenei, Schmach eine Ehre, das Sterben Gewinn. Kein Übel im eigentlichen Sinn des Wortes kann ihm begegnen, denn alles wird ihm zum Besten gewendet. Wohl dem, der in solcher Lage ist. Er ist geborgen, wo andere in Gefahren stehen; er lebt, wo andre sterben. Wörtlich ist der erste Teil des neunten Verses wieder ein Bekenntnis: Denn Du, HERR, bist meine Zuflucht! Die prophetische Stimme bestätigt dies Bekenntnis: Den Höchsten hast du zu deiner Wohnstatt gemacht, und knüpft daran die Verheißungen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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11. Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
12. dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
13. Auf Löwen und Ottern wirst du gehen
und treten auf junge Löwen und Drachen.


11. Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir. Hier ist nicht von einem besondern Schutzengel, wie etliche gerne träumen, sondern von den Engeln im Allgemeinen die Rede. Diese bilden die Leibwache der Prinzen vom himmlisch königlichen Geblüte. Sie empfangen von ihrem und unserem Herrn den Auftrag, sorgsam über den Gläubigen und allem, was diese betrifft, zu wachen. Leute, denen ein besonderer Auftrag gegeben wird, pflegen zwiefache Sorgfalt anzuwenden; darum hier die Darstellung, es sei den Engeln von Gott selbst anbefohlen, zuzusehen, dass die Auserwählten ja beschützt werden. In dem Dienstbefehl der himmlischen Heerscharen steht es besonders vermerkt, dass sie vor allem auf die Menschen, welche den HERRN zu ihrer Zuflucht gemacht haben, Acht geben sollen. Das braucht uns nicht zu wundern, dass den Dienern Befehl erteilt wird, um das Wohlergehen der Gäste des Hausherrn recht besorgt zu sein; und wir dürfen des gewiss sein, dass sie der Anweisung, zumal sie sie von ihrem Herrn selber bekommen haben, treulich nachkommen werden. Dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen. Sie sollen die Heiligen nach Leib, Seele und Geist in ihre Hut nehmen. Die Beschränkung dieses Schutzes, die, recht verstanden, in den Worten "auf allen deinen Wegen" liegt, ist für denjenigen, der zu seinem Gott richtig steht, gar keine hindernde Schranke; denn es liegt dem Gläubigen gar nicht im Sinn, von dem Wege seines Gottes abzuweichen. Er bleibt auf dem rechten Wege; und so behüten ihn die Engel. Die Zusicherung des Schutzes ist sehr umfassend, denn sie dehnt sich auf alle unsre gottgewollten Wege aus; was könnten wir mehr begehren? In welcher Weise die Engel uns behüten, das vermögen wir nicht zu sagen. Wir werden aber wohl nicht irren, wenn wir glauben, dass sie die bösen Geister zurückdrängen, Verschwörungen der unsichtbaren Mächte vereiteln und auch die verborgen andringende Macht der leiblichen Krankheiten abwehren. Vielleicht werden wir eines Tages staunen über die mannigfaltigen Dienste, welche uns Engelshand geleistet hat.

12. Dass sie dich auf den Händen tragen. Wie die Amme das Kindlein mit sorgsamer Liebe trägt, so werden Gottes Engel, diese herrlichen Geister, die mit Freuden unsere Diener werden, jeden einzelnen Gläubigen pflegen. Und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Sogar die geringeren Übel werden sie verhüten. Es ist sehr zu wünschen, dass wir nicht straucheln; da aber der Weg so manche raue Stelle hat, ist es sehr gnädig von dem HERRN, dass er seine Diener sendet, uns über Steine und Geröll hinwegzuhelfen. Kann es nun einmal nicht sein, dass wir stets auf ebenem Pfad wandeln, so ist uns doch völlig geholfen, wenn Engel uns auf den Händen tragen. Da aus ganz kleinen Unfällen die größten Übel entstehen können, tritt die Weisheit des HERRN gerade darin besonders hervor, dass wir auch vor den anscheinend geringeren Gefahren bewahrt werden sollen.

13. Auf Löwen und Ottern wirst du gehen. Über Gewalt und List sollst du siegreich dahinschreiten; offene Feinde und heimlich schleichende Widersacher sollst du gleicherweise unter die Füße treten. Sind unsere Schuhe Eisen und Erz, so wird es uns ein Leichtes sein, Löwen und Ottern unter unseren Fersen zu zermalmen. Und treten auf (Grundtext: zertreten) junge Löwen und Drachen. Die stärksten und die listigsten Feinde sollen von dem Mann Gottes überwunden werden. Nicht nur vor Steinen, sondern auch vor Schlangen sollen wir auf dem Wege sicher sein. Für solche, die in Gott bleiben, werden auch die schädlichsten Mächte gefahrlos. Ein geheimnisvoller Zauber umgibt die Kinder Gottes, dass sie auch den tödlichsten Übeln trotzen. Ihr Fuß kommt mit den ärgsten Feinden in Berührung, der Teufel selber stichelt ihnen an der Ferse herum; aber in Christo Jesu haben sie die bestimmte Versicherung, dass der Satan in kurzem unter ihren Füßen zertreten werden wird. Der heilige Georg und der Drache, das ist das rechte Bild des Volkes Gottes; die Gläubigen sind die wahren Löwenkönige und Schlangenbändiger. Sie haben Gewalt über die Mächte der Finsternis und frohlocken: "Herr, es sind uns auch die Teufel untertan in deinem Namen!"

14. "Er begehrt mein, so will ich ihm aushelfen;
er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.
15. Er ruft mich an, so will ich ihn erhören;
ich bin bei ihm in der Not,
ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen;
16. ich will ihn sättigen mit langem Leben
und will ihm zeigen mein Heil."


14. Hier tritt der HERR selbst redend ein und bestätigt das Vertrauen seines Erwählten. Er begehrt mein - er hängt liebend und vertrauend an mir - so will ich ihm aushelfen. Nicht weil er so große Verdienste hat, dass er um ihretwillen beschützt werden müsste, sondern weil er bei allen seinen Mängeln doch Gott liebt: darum werden nicht nur die Engel Gottes, sondern der Gott der Engel selbst in allen Zeiten der Gefahr zu seiner Rettung erscheinen und ihn herrlich befreien. Ist das Herz dem HERRN mit ganzer Inbrunst der Liebe ergeben, ist es völlig ihm geweiht, hängt es mit vollem Vertrauen an ihm, so wird sich der HERR zu der heiligen Flamme bekennen und den Menschen schützen, in dessen Busen sie brennt. Liebe - Liebe, die völlig an Gott hängt, ist das eigentümliche Kennzeichen derer, die der HERR vor dem Übel bewahrt. Er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen (wörtl.: erhöhen und so aller Gefahr entrücken). Er hat das Wesen Gottes so erkannt, dass er daraus Vertrauen zu Gott geschöpft hat, und das hat ihn zu Erfahrungen geleitet, durch die er zu einer noch tieferen Erkenntnis Gottes und Bekanntschaft mit Gott gelangt ist. Das wird der HERR als ein Pfand seiner Gnade gelten lassen und wird darum den also Versiegelten über Gefahr und Furcht erheben, dass er in Friede und Freude wohnen kann. Keiner bleibt in inniger Gemeinschaft mit Gott, der nicht warme Liebe für Gott und einsichtsvolles Vertrauen zu Gott hegt. Diese Gnadengaben sind in Jehovahs Augen köstlich; wo immer er sie wahrnimmt, schaut er mit Wohlgefallen auf sie. Wie erhaben ist doch die Stellung, welche der HERR dem Gläubigen gibt! Wir sollten mit rechtem Ernst danach trachten, uns dies Vorrecht zu nutze zu machen! Steigen wir eigenmächtig in die Höhe, so mögen wir uns damit in Gefahr bringen; erhöht uns Gott aber selber, so wird es gar herrlich sein.

15. Er ruft mich an (wörtl.: er wird mich anrufen), so will ich ihn erhören. Er wird allerdings beten müssen, er wird aber auch dazu geleitet werden, in rechter Weise zu beten, und dann wird die Antwort gewisslich kommen. Die Auserwählten werden zuerst von Gott berufen, dann rufen sie zu ihm; und dies ihr Rufen findet stets Erhörung. Auch den Höchstbegünstigten fließt der Segen nicht, ohne dass sie beten, zu; aber mittelst des Gebets sollen sie alles Gute erlangen. Ich bin bei ihm in der Not. Die Erben des Himmels sind sich in Zeiten großer Not der besonderen Gegenwart Gottes bewusst. Der HERR ist seinen schwer geprüften Kindern stets nahe, um ihnen mitleidig und machtvoll zu helfen. Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. Die Gläubigen ehren Gott, und Gott ehrt sie. Sie werden nicht in solcher Weise errettet oder beschützt, dass sie dadurch erniedrigt werden und sich entwürdigt fühlen; sondern im Gegenteil, Gottes Heil bringt denen Ehre, die dadurch gerettet werden. Gott gibt uns erst Gnade, dass wir überwinden, und dann belohnt er uns dafür.

16. Ich will ihn sättigen mit langem Leben. Der in diesem Psalm geschilderte Mensch erfüllt das Maß seiner Tage. Ob er jung stirbt oder alt, er hat vom Leben völlig genug und ist es zufrieden, abzuscheiden. Er wird sich von der Festtafel des Lebens erheben wie einer, der ganz gesättigt ist und nichts mehr möchte, auch wenn er es haben könnte. Und will ihm zeigen mein Heil. Sein letzter Blick soll das volle Anschauen der göttlichen Gnade sein. Er wird schauen von Amanas Gipfel und vom Libanon her. (Hohelied 4,8) Nicht mit Verderben vor ihm, finster wie die Nacht, sondern indem ewiges Heil hell wie der Mittag über ihm leuchtet, soll er zu seiner Ruhe eingehen.

Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Der Psalm ist eine der herrlichsten Dichtungen, die es überhaupt gibt. Gediegenere, tiefere und schönere Poesie lässt sich nicht denken. Könnte das Lateinische oder eine der neueren Sprachen alle die Schönheiten und Feinheiten sowohl der Worte als der Sätze ganz wiedergeben, so würde es nicht schwerfallen, den Leser zu überzeugen, dass wir weder im Griechischen noch im Lateinischen ein diesem hebräischen an die Seite zu stellendes Gericht besitzen. Simon de Muis † 1644.

Der 90. Psalm beschreibt den Menschen als unter dem Zorne Gottes vergehend, der 91. zeigt uns einen Menschen, der Löwen und Ottern unter seine Füße tritt. Ohne Zweifel hatte der Versucher recht, als er diesen Psalm auf den Sohn Gottes bezog. - Die Bilder des Psalms scheinen mir zum Teil jener Passahnacht entnommen zu sein, in welcher die treuen und gehorsamen Israeliten von Gott behütet wurden, während der Todesengel durch Ägypten zog. William Kay 1871.

V. 1. Der Schirm Gottes heißet ein latibulum, ein heimlich Örtlein, dahin man sich verbirgt und versteckt in öffentlichen allgemeinen Nöten. Und will uns hiermit der Heilige Geist trösten, dass, so ein Mensch einen verbergen kann an einem heimlichen verborgenen Örtlein zur Zeit der Not, viel mehr kann’s Gott. Johann Arnd † 1621.

O ihr, die ihr in Furcht irgendeiner Gefahr stehet, lasst doch alle fleischlichen Behelfe und ängstlichen Ratschläge und Berechnungen; flüchtet euch doch lieber zu dem Felsen der göttlichen Macht und Fürsorge. Seid wie die Tauben, die ihre Nester in den Höhlen der Felsen machen. Jeremiah Dyke † 1620.

Wir haben einmal von einem Hirsch gelesen, der in der größten Sicherheit umhergestreift sei, weil er ein Täfelchen am Halse getragen, auf dem geschrieben gewesen: "Niemand rühre mich an, denn ich gehöre dem Kaiser." In ähnlicher Weise sind alle wahren Diener Gottes sicher, selbst unter Löwen, Bären und Schlangen, in Feuer und Wasser, bei Wetter und Sturm; denn alle Kreatur kennt und achtet den Schatten Gottes. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.

V. 2. Mein Gott. Du bist recht eigentlich mein Gott; erstens von deiner Seite, wegen der besondern Güte und Huld, die du mir erzeigest, zweitens von meiner Seite, wegen der besonderen Liebe und Ehrerbietung, mit der ich an dir hange. Johannes Paulus Palanterius 1600.

V. 3. Denn Er errettet dich von der schädlichen Pestilenz. Zur Zeit, als in London die Pest wütete, lebte daselbst ein Edelmann namens Craven. Als die schreckliche Seuche um sich griff, beschloss er, seinen Wohnsitz nach seinem Landgut zu verlegen. Der sechsspännige Reisewagen stand bald vor der Tür, das Gepäck wurde aufgeladen, und alles war zur Abfahrt bereit. Als der Edelmann ganz reisefertig durch die Vorhalle schritt und eben im Begriff stand, in den Wagen zu steigen, hörte er, wie sein schwarzer Diener, der als Vorreiter diente, zu einem der Lakaien sagte: "Der Gott unseres Herrn muss wohl auf dem Lande wohnen und nicht in der Stadt, weil Massa aufs Land geht, um vor der Krankheit geschützt zu werden." Der Schwarzafrikaner sagte das in seiner Einfalt; er glaubte wirklich, dass es viele Götter gebe. Die Worte machten einen tiefen Eindruck auf den Edelmann. Er stutzte. "Nein", dachte er "mein Gott wohnt allenthalben und kann mich in der Stadt ebenso gut schützen wie auf dem Lande. Ich will bleiben, wo ich bin. Der Schwarze hat mir da in seiner Unwissenheit eine sehr nützliche Predigt gehalten. HERR, vergib mir meinen Unglauben, der mich dazu verleitet hat, mich deiner Führung entziehen zu wollen." Alsbald befahl er, die Pferde auszuspannen und das Gepäck wieder ins Haus zu bringen. Er blieb in London, machte sich unter seinen leidenden Nachbarn nützlich und wurde von der Seuche nicht ergriffen. John Whitecroß 1858.

V. 4. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild. Was wir allen Gefahren entgegensetzen müssen, das ist die Wahrheit oder das Wort Gottes; solange wir das festhalten und damit Schwert und Pfeil abwehren, werden wir nicht überwunden. David Dickson † 1662.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 5. Das bewährte Mittel gegen alle quälende Furcht ist das Gottvertrauen. Viel Schreckliches kann ja die Menschen überkommen, wenn sie am sichersten sind, wie denn so mancher bei Nacht im tiefen Schlaf von Räubern, von Feuers- oder Wassersnot überfallen wird. Aber der HERR will, dass die Gläubigen sich vor keinem Übel fürchten, auch nicht vor dem Grauen der Nacht. Mancherlei noch traurigere Unfälle können dem Menschen zustoßen, wenn er sich im wachen Zustande befindet und so sorgfältig wie nur möglich auf der Hut ist. Aber es ist des HERRN Wille, dass der Gläubige das feste Zutrauen habe, dass ihm kein Übels begegnen werde, dass er darum auch alle Angst ablege vor den Pfeilen, die des Tages fliegen. David Dickson † 1662.

Nicht nur sind die Frommen geborgen, sie sollen auch nicht einmal von Furcht befangen sein. Solches Vertrauen ist der natürlichen Kraft nicht eigen, wenn das Verderben ringsumher tobt und wütet. Es ist den Sterblichen ja von dem Schöpfer und Erhalter des Lebens eingepflanzt, dass sie das Schädliche und Tödliche fürchten. Darum fügt der Psalmist die zwei Dinge so schön zusammen: Du sollst nicht erschrecken und vor dem Grauen. Er gesteht damit, dass die Pestilenz etwas Grauenhaftes ist, aber durch das Vertrauen auf Gott muss das sonst natürliche Grauen weichen. Wolfgang Musculus † 1563.

Nicht dass wir aus jeder besondern Gefahr oder Trübsal buchstäblich gerettet werden sollen, aber alles muss zu unserm größern Wohl dienen, und je mehr wir leiden, desto größer wird unsre Herrlichkeit sein. Jesajas sagt Ähnliches (43,2) und Habakuk (3,17.18) und Hiob (5,19.20). Werden die Worte recht gedeutet, so ist kein Grund zu der Annahme da, dass man unbedingt auf Rettung aus jeglicher Not rechnen könne, vollends nicht, wenn man sich im Übermut in Gefahr begeben hat. Solche Bilder werden als Zierden der Sprache allgemein gebraucht und werden von jedermann verstanden. Weshalb soll solche Kraftsprache den heiligen Schriftstellern nicht gestattet sein, die es doch auch mit Menschen zu tun hatten? Die meisten Schriftausleger ziehen aus diesen Worten den Schluss, dass die Frommen in Zeiten der allgemeinen Not geschont werden sollen, und das hat auch wohl seine Berechtigung, doch aber nicht so, dass unbedingt alle Gläubigen zu solchen Zeiten auf Schutz gegen jede Seuche rechnen dürfen. - Aus den Anmerkungen der Westminister Synode 1643-48.


Mit den Pfeilen ist wahrscheinlich auch die Pest gemeint. Wenigstens gebrauchen die Araber dieses Bild dafür. So erzählt auch Busbequiu in seinen Reisebeschreibungen: "Ich wollte meine Wohnung nach einer weniger mit Ansteckungsstoffen geschwängerten Gegend verlegen. Da empfing ich von dem Kaiser Soliman die Botschaft, dass er sich darüber wundere; denn, sagte er, ist nicht die Pest der Pfeil Gottes, der stets sein Ziel trifft? Wollte Gott mich damit heimsuchen, wie könnte ich dem ausweichen? Ist die Seuche nicht in meinem eigenen Palast? Doch denke ich nicht daran, wegzuziehen." Und Smith berichtet 1673 von den Türken, dass sie sprechen: "Wie, ist die Pest nicht der Wurfspieß des Allmächtigen? Können wir den Schlag abwehren, den er gegen uns führt? Trifft seine Hand nicht mit Sicherheit die Leute, welche er im Auge hat? Können wir ihm entlaufen, dass er uns nicht mehr sieht, oder können wir uns seiner Macht entziehen?" Samuel Burder 1839.


Die Krankheiten der heißen Länder, besonders derjenigen mit üppigem Pflanzenwuchs und vielen Sümpfen, kommen von den giftigen Dünsten, die sich während der Nacht sammeln, oder von den brennenden Sonnenstrahlen, die im Mittage verderben und Sonnenstiche, Lähmungen, Gehirnentzündungen und Lebererkrankungen hervorbringen. Man vergleiche Ps. 121,6. Gegen beide Übel wurden die Israeliten auf der Wüstenwanderung wunderbar beschützt, bei Tage durch die Wolkensäule, welche die Sonnenstrahlen milderte, bei Nacht durch die Feuersäule, welche die sich sammelnden Dünste zerstreute und die Luft klar, trocken und gesund erhielt. James Millard Good † 1827.

V. 7. Gottes Macht kann uns in unmittelbarer Nähe der Gefahr das Übel doch ferne halten. Wie das Gute uns räumlich sehr nahe und dennoch in Wirklichkeit ferne von uns sein kann, so auch das Übel. Das Volk drängte Christum, dennoch rührte nur eine ihn so an, dass ihr ein Segen daraus wurde; so kann uns Christus auch inmitten sich herandrängender Gefahren so behüten, dass auch nicht eine uns schadet. Joseph Caryl † 1673.

Es wird doch dich nicht treffen. Nicht mit der Absicht, zu zeigen, dass alle Frommen der Pestilenz zu entrinnen erwarten dürfen, sondern um zu beweisen, dass etliche, die hervorragenden Glauben gehabt, in der Tat wunderbar bewahrt geblieben sind, habe ich aus verschiedenen Quellen die folgenden Beispiele gesammelt. C. H. Spurgeon 1874.

Bevor Paul Fagius, der berühmte Kenner des Hebräischen, im Jahre 1543 Isny verließ, wurde dieses württembergische Städtchen arg von der Pest heimgesucht. Als er hörte, dass viele der wohlhabendsten Einwohner vorhatten, den Ort ohne Rücksicht auf solche, die von der Seuche ergriffen waren, zu verlassen, und dass die Häuser der Erkrankten auf Befehl der Behörde geschlossen werden sollten, vermahnte er die Flüchtlinge öffentlich, entweder in der Stadt zu bleiben oder doch mit Freigebigkeit Almosen für die Leidenden zu hinterlassen. Solange die Heimsuchung dauerte, besuchte er selbst die Kranken, brachte ihnen geistlichen Trost, betete über ihnen und hielt sich bei Tag und Nacht zur Hilfe bereit; trotz alledem blieb er durch Gottes Fürsorge unangetastet. - Leben des Paul Fagius † 1549.

Als im Jahre 1576 der Kardinal Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand, der würdigste unter allen Nachfolgern des Ambrosius, in Lodi, wo er sich zur Zeit befand, die Kunde bekam, dass sich in Mailand die Pest gezeigt habe, begab er sich alsbald dorthin. Die ihm unterstehenden Geistlichen empfahlen ihm, sich in irgendeinem gesunden Teil seines Sprengels aufzuhalten, bis die Krankheit gewichen sei. Aber er antwortete, der Bischof habe die Pflicht, für die Schafe sein Leben einzusetzen, und er könne darum diese in der Zeit der Gefahr nicht verlassen. Man gab ihm zu, dass ihnen beizustehen allerdings der bessere Weg sei. "Nun denn," sagte er, "ist es nicht allezeit eines Bischofs Pflicht, den bessern Weg zu wählen?" So eilte er denn in die von der tödlichen Krankheit befallene Stadt zurück, ermahnte das Volk zur Buße, besuchte die Spitäler und ermunterte die Priester durch sein Beispiel, den Sterbenden geistlichen Trost zu bringen. Die ganzen vier Monate, während deren die Pest wütete, wartete er ohne Furcht und ohne Ermatten der Kranken und Sterbenden, und, was besonders bemerkenswert ist, von seiner ganzen Haushaltung starben nur zwei Leute, und das waren solche, die nicht den Beruf hatten, zu den Kranken zu gehen. - Aus dem Buch der goldenen Taten (engl.) 1864.

Der Bischof von Marseille, de Belsunce, zeichnete sich während der Pestzeit im Jahre 1720 so sehr durch seine Menschenfreundlichkeit aus, dass der König von Frankreich ihm den angeseheneren und einträglicheren Bischofssitz von Laon in der Picardie anbot. Er schlug das Anerbieten aber aus, mit der Begründung, dass er nicht geneigt sei, eine Herde zu verlassen, die ihm durch ihre Leiden so teuer geworden sei. Das Andenken an sein frommes, unerschrockenes Wirken in jener Zeit bewahrt ein Gemälde, das sich im Rathaus von Marseille befindet. Da sieht man ihn in seinem bischöflichen Gewand, inmitten seiner Priesterschar, wie er den Sterbenden den Segen austeilt. Aber ein noch ergreifenderes Bild von den Liebesdiensten dieses Bischofs gibt uns ein eigenhändiger Brief von ihm, in welchem er dem Bischof von Soissons schreibt: "Nie ist wohl eine schrecklichere Verheerung gewesen. Marseille hat zwar schon öfters schwere Seuchen erlebt, aber nie eine, die dieser gleichgekommen wäre. Von der Krankheit ergriffen werden und tot sein ist fast dasselbe. Welche Jammerbilder auf allen Seiten! Die Straßen liegen voll von halb verwesten Leichnamen, zwischen denen wir hindurch müssen, um die Sterbenden zur Buße zu mahnen und ihnen die Absolution zu erteilen." Wiewohl der gottergebene Bischof sich so der tödlichen Pestilenz aussetzte, blieb er gesund. Percy’s Anekdoten.
Während Frankreich sich billigerweise dieses "guten Bischofs von Marseille" rühmt, Deutschland aber, von andern zu geschweigen, an dem Wittenberger Reformator ein leuchtendes Beispiel der Pflichttreue und der göttlichen Bewahrung in Pestzeiten hat, kann England sich Glück wünschen, auch einen geistlichen Hirten gehabt zu haben, der in gleich eifriger Weise sein Amt verwaltete und für die kleine ihm anvertraute Herde unter nicht geringerer Lebensgefahr und mit nicht geringerer Treue sorgte. W. Mompesson war Pfarrer von Eyam in der Grafschaft Derby, als im Jahre 1666 eine Seuche die Stadt beinahe entvölkerte. Während der ganzen Unglückszeit versah er den Dienst eines Arztes, Anwalts und Pastors, indem er den Kranken mit Arzenei, mit Ratschlägen und Fürbitte diente. Man zeigt noch heute eine Höhle in der Nähe von Eyam, wo dieser würdige Diener des Evangeliums denjenigen Gemeindegliedern, welche noch nicht von der Seuche befallen waren, gepredigt haben soll. Wiewohl das Dorf fast alle seine Einwohner durch die schreckliche Krankheit verlor, wurde durch seine Bemühungen doch dem vorgebeugt, dass die Seuche sich über andere Gegenden ausbreitete, und er selber überlebte die schwere Zeit durch Gottes bewahrende Gnade.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 10. Es gibt eine dreifache Bewahrung, welche die Gemeinde des HERRN und deren einzelne Glieder von der göttlichen Vorsehung erwarten dürfen, nämlich Bewahrung vor Gefahr, in Gefahr und durch Gefahr. Erstens eine Bewahrung vor Gefahr, wie sie der HERR hier im Psalm verheißt. Augustin († 430) hatte sich vorgenommen, die Christen in einer gewissen Stadt zu besuchen und ihnen das Wort Gottes zu verkündigen. Tag und Ort waren seinen Feinden bekannt geworden, und diese hatten bewaffnete Leute bestellt, die ihm auf dem Wege auflauern und ihn umbringen sollten. Gott fügte es aber so, dass der Führer, den man ihm mitgegeben hatte, den Weg verfehlte und ihn auf einen Nebenpfad brachte, auf dem er aber schließlich doch glücklich auf Ziel kam. Als die Christen das erfuhren und auch von der Täuschung hörten, die dadurch den Feinden des Bischofs bereitet worden war, beteten sie Gott wegen seines wunderbaren Waltens an und priesen ihn für diese herrliche Errettung.
Zweitens gibt es eine Bewahrung in Gefahren, wie Hiob 5,19 f. geschrieben steht: "Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten, und in der siebenten wird dich kein Übel rühren. In der Teurung wird er dich vom Tod erlösen und im Kriege von des Schwertes Hand." In der Hungersnot zu Elias Zeiten reichte der Vorrat der Witwe von Sarepta aus. Gottes Vorsehung waltete über Daniel in der Löwengrube und verschloss den wütenden Bestien den Rachen. So war Gott auch mit den drei Männern im Feuerofen und gebot den Flammen, dass sie sie nicht versengen durften. Die Gemeinde des HERRN ist stets eine Lilie unter Dornen gewesen, aber sie blüht noch heutigen Tags. Dieser Busch ist noch immer fern davon, verzehrt zu werden, wiewohl er selten oder nie außer dem Feuer gewesen.
Drittens gibt es eine Bewahrung durch Gefahren, eine Errettung aus größeren Übeln durch geringere. Für jedes Gift hat Gottes Vorsehung ein Gegengift. So ward Jona von einem Seeungeheuer verschluckt und gerade dadurch am Leben erhalten. Joseph wurde in eine Grube geworfen und dann nach Ägypten verkauft, und eben durch diese Trübsale wurde er der Nährvater des Volkes Gottes. Chrysostomus sagt trefflich in seiner 26. Homilie über das Matthäusevangelium: "Fides in periculis secura est, in securitate periclitatur, der Glaube ist inmitten von Gefahren sicher, durch Sicherheit aber wird er gefährdet." Gott bewahrt uns, nicht, wie wir es mit dem Obst machen, das nur ein Jahr halten soll, in Zucker, sondern wie das Fleisch, das für eine lange Seereise in Salz eingemacht wird. Wir haben in diesem Leben viel beißendes Salz zu erwarten, weil unser Gott beschlossen hat, uns auf ewig zu erhalten. Man denke auch an des Paulus Pfahl im Fleisch, der ihn vor dem Hochmut bewahren sollte. John Arrowsmith † 1659.

Die Verheißung lautet auf Sicherheit inmitten drohender Gefahren; nicht auf eine Sicherheit, wie die Engel sie genießen, Sicherheit in einer Welt vollkommener Gefahrlosigkeit, nicht auf Ruhe in heiterer Stille, sondern auf Ruhe mitten im Sturm, Sicherheit inmitten von Verheerung und Verwüstung und inmitten des Tobens wilder Mächte, Rettung, wo rings umher alles zu Grunde geht. Charles Bradley 1840.

Gott sagt nicht, dass uns keine Trübsal, sondern dass uns kein Übels begegnen werde. Thomas Watson 1660.

Die Sünde, die das Feuer in der Hölle entzündet hat, facht auch auf Erden beständig Feuer an. Und wenn die Flammen dann hervorbrechen, fragt ein jeder, woher das komme. Amos antwortet: Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der HERR nicht tue? (Amos 3,6) Und angesichts der durch das Feuer angerichteten Verheerung erklärt Jesaja: Du lässest uns in unseren Sünden verschmachten, oder eigentlich: Du ließest uns in der Gewalt unserer Verschuldungen hinschmelzen. (Jes. 64,6) Vor vielen Jahren wurde mein Haus mehrmals mit Zerstörung bedroht, aber der HERR übernahm die Versicherung, indem er mir Ps. 91,10 zusprach; und des HERRN Bewahrung ist die beste Unfallversicherung. John Berridge † 1793.

V. 11. Nehmen wir das Wort Engel im buchstäblichen Sinn, als Bote, so können wir jedes Mittel, jede Kraft, welche Gott gebraucht, um uns zu stärken, zu schützen und zu erretten, als seinen Engel ansehen. Mary B. M. Duncan † 1865.

Dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen. Wie sollten diese himmlischen Geister einen Menschen, der sich den rechten Weg zu gehen weigert, wie Ammen während seines Erdenlebens auf den Armen tragen oder als beschwingte Boten seine Seele, wenn er stirbt, gen Himmel führen? Sie sollen uns behüten auf den Wegen, die Gott uns anweist. Aber wenn wir von dem rechten Wege abtreten, haben sie ebenso Befehl, uns zu widerstehen. Mag das für die Gottlosen ein Schrecken sein, für die Gottesfürchtigen ist es ein Trost. Denn wenn ein Engel sogar einen Bileam von der Sünde abhalten wollte, wie viel sorgsamer werden diese herrlichen Wesen bedacht sein, die Kinder Gottes vor schlimmen Wegen zu behüten. Vor wie manchem bösen Straucheln, vor wie mancher schweren Verletzung haben sie uns in der Tat bewahrt! Wie oft haben sie uns, wenn wir uns dem Bösen zuneigten, davon abgelenkt, entweder indem sie die Gelegenheit beseitigten, oder indem sie unvermerkt gute Regungen in uns hervorbrachten! Wir sündigen ohnehin übergenug; wie viel öfter noch würden wir straucheln und stürzen, wenn diese heiligen Wächter uns nicht bewahrten! Der Teufel steht bereit, uns irre zu führen, wenn wir bestrebt sind, Gutes zu tun; wenn wir verlockt werden, Böses zu tun, stehen die Engel bereit, es zu verhindern. Es geht uns wie dem Hohenpriester Josua, der den Satan an der einen und einen Engel an der anderen Seite hatte. (Sach. 3,1) Ohne diese schützenden Engel wären wir den Gefahren nicht gewachsen; wir könnten weder unsere Stellung behaupten noch, wenn wir gefallen sind, uns wieder erheben. Thomas Adams 1614.

Als ein betagter Knecht des HERRN, der alte Dod, einst beim Umsteigen aus einem Boot in das andere zwischen beiden ins Wasser glitt, war sein erstes Wort: "Bin ich auf meinem Wege?" So sollten auch wir uns immer wieder fragen. William Bridge † 1670.

V. 11.12. Es ist sehr beachtenswert, dass die Schrift die Waffe ist, welche der Satan gegen Christus zu führen suchte. Bei seinen andern Versuchen, Jesum zu verführen, war er schüchterner, er legte Jesu nur die Sünde nahe, machte die Gelegenheiten und überließ es ihm, sie zu benutzen; bei dieser Versuchung aber geht er zuversichtlicher vor und legt seinen Ratschlag mit Eifer dar als eine Sache, die er besser vertreten und mit mehr Zuversicht behaupten kann. Seine Schlauheit liegt in der falschen Darstellung und dem Missbrauch, indem er erstens die Verheißung geltend macht, um mit ihr eine Sünde zu fördern, völlig entgegen dem ganzen Zweck der Heiligen Schrift, die dazu geschrieben ist, auf dass wir nicht sündigen (1. Joh. 2,1); im Besonderen aber zweitens, indem er das Schriftwort beschneidet und dadurch verstümmelt. Er lässt mit Bedacht denjenigen Teil aus, der die Verheißung des Schutzes auf rechtmäßige Unternehmungen beschränkt, zu denen jene, die er dem Herrn Jesu vorschlägt, doch nicht gehört, und verwandelt die Verheißung in eine ganz allgemeine Zusage unbedingter Sicherheit, möge die Handlung welcher Art immer sein. Gerade die Worte "auf allen deinen Wegen", welche zum richtigen Verständnis der göttlichen Zusage dienen, lässt er in betrügerischer Weise aus, als wären sie unnötig, während sie gerade absichtlich vom Heiligen Geist dahin gestellt sind, damit an ihnen erkannt werde, von was für Leuten und bei welchen Handlungen die Erfüllung der Verheißung erwartet werden könne. Man vergleiche Spr. 3,21-26. wo wir gleichsam eine Umschreibung unseres Verses haben. Richard Gilpin † 1699.

V. 12. Die Engel werden uns hier dargestellt, wie sie den Gläubigen auf den Händen tragen, nicht, dass er gefahrlos über das weite Meer gebracht, durch feindliche Heerhaufen geführt oder beim Drohen irgendeiner außerordentlichen Gefahr zu einem sichern Bergungsort geleitet werde, sondern dass er seinen Fuß nicht an einen Stein stoße. Die Engel, die höchsten aller geschaffenen Wesen, die strahlenden, prächtigen, mächtigen Engel sollen den Gerechten auf den Händen tragen, damit er nicht über einen Kieselstein stolpere oder sich den Fuß an einem Stein verletze. Ist da nicht ein Missverhältnis zwischen der aufgewendeten Kraft und der beabsichtigten Leistung, so dass es den Anschein gewinnt, als würden die Engel mit einer Aufgabe beschäftigt, die unter ihrer Würde sei? Nun, ein Stoßen des Fußes an einem Stein, ein Schaden, scheinbar zu unbedeutend, um beachtet zu werden, hat schon manchmal bedenkliche Leiden nach sich gezogen und mit dem Tod geendet. Und ist es in geistlicher Beziehung etwa anders? Ist ein Unterschied vorhanden, dann gewiss nur der, dass die Gefahren, die der Seele aus einem scheinbar leichten Schaden drohen, noch weit größer sind. Die schlimmsten geistlichen Krankheiten können in vielen Fällen auf geringfügige Anfänge zurückgeführt werden. - Dieses Behüten des Fußes muss wohl keine leichte Aufgabe sein, da die höchsten geschaffenen Wesen damit beauftragt werden. So ist es in der Tat. Das Schwierige der Nachfolge Christi ist das tägliche Aufsichnehmen des Kreuzes, viel mehr als besondere Taten bei besondern Gelegenheiten und unter außergewöhnlichen Verhältnissen. Gott in den kleinen Dingen dienen, die christlichen Grundsätze in dem alltäglichen Leben betätigen, Temperament und Zunge in Zucht halten, das Christentum im Hause durchführen, jeden Augenblick zu Opfern, auch zu kleinen, von niemand bemerkten Selbstverleugnungen bereit sein - wer, der etwas von den Schwierigkeiten kennt, mit welchen die Frömmigkeit zu tun hat, weiß nicht, dass die Gefahr viel größer ist, dass wir in diesen Stücken zurückbleiben, als bei außerordentlichen Proben, die dem Anschein nach weit wichtiger und viel härter zu bestehen sind, - und wäre jenes auch nur deshalb der Fall, weil dort eben alles das wegfällt, was wichtig scheint oder schwer aussieht, und man eben dadurch leichter sorglos und sicher wird, wodurch gerade die Niederlage beinahe gewiss wird. Henry Melville † 1871.

V. 13. Drache. Das hebräische Wort (wörtl. wohl ein lang gestrecktes Tier) wird gebraucht für große Fische, für Schlangen und für das Krokodil, das letzte als Bild der Feinde des HERRN, besonders der ägyptischen und der babylonischen Weltmacht. Der Ausdruck ist also eine allgemeine Bezeichnung, er bedeutet irgendein Ungeheuer, sei es des Landes oder des Wassers. Die besondere Bedeutung muss jeweils der Zusammenhang ergeben. An die Drachen unserer Fabeln ist dabei nicht zu denken. John Duns 1868.

Du wirst treten auf junge Löwen und Drachen, nicht zufällig, wie jemand, der unversehens auf eine Schlange tritt, die am Wege liegt; sondern der Sinn ist: Du wirst auf sie treten wie ein Sieger auf den Nacken seiner Feinde, du wirst auf sie treten, um deine Herrschaft über sie anzuzeigen. So sagte auch der Herr Jesus Lk. 10,19 zu den Jüngern, als er ihnen die Verheißung gab, dass sie große Dinge ausrichten sollten: Sehet, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione; d. h. ihr sollt alles überwinden können, was immer euch belästigen mag, seien es nun buchstäblich Schlangen und dergleichen sichtbare Übel, seien es geistige Mächte. Ähnlich versichert ja auch der Apostel die Gläubigen Röm. 16,20, Gott werde den Satan (die alte Schlange) unter ihre Füße treten in kurzem. Joseph Caryl † 1673.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 14. So will ich usw. Wie es in dem Rechtsgang des Gesetzes, bei dem Festsetzen des Todes als Folge der Sünde, ein Darum gibt, so auch in dem Rechtsgang der Gnade. Die Schlussfolgerung, welche das Evangelium zieht, ist die, dass eine verliehene Gnade das Recht auf weitere Gnade mit sich führe - Gnade um Gnade (Joh. 1,16). So wird an unserer Stelle darauf, dass der Gerechte an dem HERRN hängt (Grundtext) - und ist das nicht eine Wirkung der Gnade? - die Verheißung gebaut: so will ich ihm aushelfen. David Dickson † 1662.

Darum will ich ihn schützen, wörtl.: erhöhen, ich will ihn an einen erhabenen, für seine Widersacher unerreichbaren Ort stellen, so dass also die freie Übersetzung schützen den Sinn richtig wiedergibt. Wenn die Menschen Gott wirklich als Retter und Beschützer kennen, so setzen sie ihr Vertrauen auf ihn und rufen ihn an. Dann erhöht und errettet Gott die, welche ihn anrufen. Franciscus Vatablus † 1547.

Er kennet meinen Namen. Gewinnen wir nicht vielleicht Licht über diesen Ausdruck von der Sitte der Juden, den Namen Jehovah für sich zu behalten? Dieser Name war ihnen zu heilig, als dass sie ihn im täglichen Verkehr ausgesprochen hätten. So war er allein den Juden bekannt und wurde davor bewahrt, von den ringsum wohnenden Heiden missbraucht zu werden. Aber was immer der Ursprung solcher Ausdrücke wie "seinen Namen kennen" oder "auf seinen Namen hoffen", "an seinen Namen glauben" sein mag, stets bedeutet der Name Gottes das, was von Gott geoffenbart ist, alles, wodurch er sich kund macht. So ist denn Gottes Wort, Gottes Vorsehung und vor allem Gottes Sohn in dem Ausdruck eingeschlossen. Gottes Namen kennen heißt daher, Gott selber kennen, wie er sich im Evangelium geoffenbart hat. Mary B. M. Duncan † 1865.

V. 15. Ich bin bei ihm in der Not. Meine Lust, spricht er, ist bei den Menschenkindern. Immanuel, Gott mit uns. Gegrüßet seist du, Holdselige, sagt der Engel zu Maria, der HERR ist mit dir! Er ist bei uns in der Fülle der Gnade, wir sollen bei ihm sein in der Fülle der Herrlichkeit. Er neigt sich herab, um denen nahe zu sein, die betrübten Herzens sind, dass er bei uns sei in der Not. - Es ist mir besser, in der Not zu sein, HERR, wenn du nur bei mir bist, als ohne dich zu herrschen, ohne dich Feste zu feiern, ohne dich geehrt zu werden. Es ist besser, in der Not von deinen Armen umfangen zu sein, besser, dich im glühenden Ofen der Trübsal bei mir zu haben, als selbst im Himmel zu sein ohne dich. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Im Schmelztiegel wird das Gold erprobt, und in der Anfechtung der Not bewährt sich der Gerechte. Bernhard von Clairvaux † 1153.

Gott hat seinen Heiligen zugesagt, sie in ihren Leiden seine Gegenwart besonders erfahren zu lassen. Haben wir einen solchen Freund, der uns im Kerker besucht, so wird es uns auch dort wohl sein; wechseln wir den Ort, wir wechseln doch nicht den Hüter: Ich bin bei ihm. Wird uns schwach, so wird Gott uns Kopf und Herz oben halten. Was macht es, ob wir mehr Trübsale haben als andere, wenn wir dabei Gottes Nähe mehr erfahren? Gott dem HERRN ist seine Ehre wert; es würde ihm aber nicht zur Ehre gereichen, wenn er seine Kinder in der Not stecken ließe. Er ist bei ihnen, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen und zu ermuntern. Ja, ob auch immer neue Drangsale kommen, heißt es doch Hiob 5,19: Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten usw. Thomas Watson 1660.

Gott spricht und handelt wie eine zärtliche Mutter. Wenn ihr Kind ganz gesund ist, so überlässt sie es wohl etwa der Magd; ist es aber krank, dann sagt sie zu der Magd: "Du kannst jetzt etwas anderes tun, ich will selbst das Kind nehmen." Sie hört den leisesten Laut ihres Kindes, fliegt zur Wiege, nimmt es in die Arme, küsst es zärtlich und spricht ihm liebevoll zu. So macht es der HERR auch mit seinen geplagten Kindern. Zu andern Zeiten kann er sie in der Hut der Engel lassen, V. 11, aber wenn sie in Not sind, so sagt er zu den Engeln: "Tretet zur Seite; ich will selber für sie sorgen" "Ich will bei ihm sein in der Not." Keine Mutter kann mehr Mitgefühl haben mit ihrem leidenden Kinde. Alle Liebe der ganzen Welt in einem Mutterherzen zusammengedrängt und auf ein einziges Kind gerichtet wäre im Vergleich mit der Liebe, die Gott für sein Volk hegt, immer noch nur wie das Glühwürmchen einer Juninacht im Vergleich zu der Sommer-Mittagssonne. Der HERR spricht zu seinem Volke: So du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein usw. (Jes. 43,2 f.) Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes. 66,13) Wenn sie in Krankheit schmachten, so schüttelt er ihnen das Kissen auf; wenn sie durchs dunkle Tal wandern, so setzt er sie in den Stand, zu singen: Ich fürchte kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. So ist er bei ihnen als ihr Arzt und ihre mütterliche Pflegerin in Schmerzen und Krankheit, als ihre Stärke in der Schwachheit, als ihr Führer auf schwierigen Wegen, als ihr Trost in Leiden und als ihr Leben im Sterben. Ich bin bei ihm in der Not. William Dawson † 1841.

V. 16. Ich will ihn sättigen mit langem Leben. Man beachte, wie hell diese Worte abstechen gegen die düstern Worte des vorhergehenden Psalms V. 9.10. Das Leben Israels in der Wüste ward verkürzt durch Ungehorsam. Der Gehorsam, den Christus in der Wüste bewies, hat uns eine herrliche Unsterblichkeit errungen. Christopher Wordsworth 1868.

Es liegt in den Worten, dass es dem Menschen natürlich ist, sich ein langes Leben zu wünschen, dass ein langes Leben als ein Segen zu betrachten ist (vergl. Spr. 3,2.16; 2. Mose 20,12), dass die Gottesfurcht das Leben verlängert und die Gesundheit fördert, dass aber bei alledem eine Zeit kommt, wo der Mensch des Lebens satt wird, so dass er, teils wegen der Gebrechen des Alters, teils weil er sich vereinsamt fühlt, vornehmlich aber unter dem Einfluss der herrlichen Hoffnung des Himmels von dem Eindruck beherrscht ist, dass es ihm besser sei, heimzugehen zu der bessern Welt. Dort wird ihm Gott die Fülle seines Heiles zeigen. Albert Barnes † 1870.

Die Worte verheißen eine wahrlich nicht gering zu schätzende Gabe Gottes. Gegen das Leben des Gerechten verschwören sich viele Feinde, sie sind bemüht, ihm das Lebenslicht so bald und so plötzlich wie möglich abzulöschen; aber ich will, verheißt der HERR, ihn so behüten, dass er ein gesegnetes Alter erreichen und, gesättigt an Jahren, selber verlangen wird, abzuscheiden. Giambattista Folengo † 1559.

Das Heil Jehovahs ist wie Ps. 50,23 die volle Wirklichkeit des göttlichen Gnadenratschlusses. Die endzeitige Herrlichkeit zu erleben, war der Wonnegedanke der israelitischen und in der apostolischen Zeit auch der christlichen Hoffnung. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Hiermit ist unser Psalm an seinem Ende angelangt. Die verschiedenen Situationen, die uns in demselben vor Augen gestellt werden, das Entrinnen aus den Schlingen des Nachstellers, das Wüten einer verderblichen Seuche, die einherfliegenden Pfeile von angreifenden Völkerscharen, die Hinweisung auf Unglückskatastrophen, welche Tausende dahinrafften, das Wohnen in Zelten, die Löwen und Schlangen, sowie die Anspielung auf die Steine in unwegsamen Einöden, - alles dies lässt uns vermuten, dass auch dieser Psalm vielleicht schon zu der Zeit des Zuges Israels durch die Wüste gedichtet wurde und wahrscheinlich eben deshalb von der Redaktion der letzten beiden Psalmbücher so unmittelbar hinter den Psalm Mosis gesetzt worden ist. Zeigt er uns doch in schönem Gegensatze zu der Klage Mosis über das Dahinschwinden seiner sündigen, gegen Gott murrenden Zeitgenossen unter diesen einen Glaubensmann, der mit seinem Herzen trotz aller Mühsale und Gefahren, die der Wüstenzug mit sich brachte, ohne zu wanken an Gott und dem Vertrauen auf dessen Zusagen festhielt, und der auch von Gott, dessen Vorsehung über die Seinigen oft in gar wunderbarer Weise waltet, in diesem seinem Vertrauen nicht getäuscht wurde. Vergl. Lk. 10,19; Hebr. 11,33 ff. Lic. H.V. Andrea 1885.

Homiletische Winke

V. 1. 1) Die verborgene Wohnstätte. Man kann wohnen in der argen Welt, im gelobten Lande, in der Heiligen Stadt, im äußern Vorhof; das große Vorrecht des Gläubigen aber ist es, unmittelbar im Schirme Gottes, im Allerheiligsten, zu wohnen, wo man die innigste Gemeinschaft, Kindesrecht usw. genießt. 2) Der schützende Schatten; er bietet Sicherung, Erquickung usw. Wie die Weiler in alter Zeit, sicher geborgen unter den starken Burgmauern. Charles A. Davis 1874.
1) Von wem die Rede ist. Von einem, der mit Gott in persönlicher, inniger, verborgener, beständiger Gemeinschaft steht, der sich nahe dem Gnadenstuhl und innerhalb des Vorhangs aufhält. 2) Was von solchem ausgesagt wird. Er ist Gottes Gast und wird von ihm behütet und erquickt in Zeit und Ewigkeit.
V. 1.2. Vier Namen Gottes. 1) Wir nahen Gott ehrfurchtsvoll, denn er ist der Höchste. 2) Wir ruhen in ihm als dem Allmächtigen. 3) Wir freuen uns in ihm als in Jehovah. 4) Wir vertrauen auf ihn als auf El, den Starken.
V. 2. 1) Was Gott ist: eine Zuversicht in der Not, eine Burg in der Drangsal, Gott zu allen Zeiten. 2) Wie der Glaube sich dies zu eigen macht: Ich spreche zu dem HERRN: Meine Zuversicht, meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. George Rogers 1874.
Die Vortrefflichkeit, Vernunftgemäßheit und Kraft des persönlichen Glaubens und dessen öffentlichen Bekenntnisses.
V. 3. Was dem Gläubigen dargeboten wird: unsichtbarer Schutz gegen unerkannte Gefahren, Weisheit zum Abwehren der List, Liebe als Waffe gegen Grausamkeit, allgegenwärtige Macht zum Besiegen der unheimlichen Mächte, Leben zum Überwinden des Todes.
V. 4. 1) Gottes zärtliche Fürsorge. 2) Die Zuversicht der Gläubigen. 3) Die Waffenrüstung der Wahrheit.
V. 5.6. 1) Alle Menschen sind zur Furcht geneigt, und zwar beständig, Tag und Nacht, und verdientermaßen, denn das böse Gewissen macht uns feige. 2) Doch gibt es Menschen, die von der Furcht frei werden, indem sie unter Gottes Schutz stehen und auf ihn trauen.
V. 7. Wie ein Übel uns ganz nahe und doch ferne von uns sein kann.
V. 8. Was wir tatsächlich davon geschaut haben, wie den Gottlosen vergolten wird.
V. 9.10. 1) Gott ist unsre geistliche Wohnstätte. 2) Er ist auch der Hüter unserer irdischen Hütte. 3) Allgemeine Wahrheit: Das Geistliche bringt auch für das Zeitliche Segen.
V. 10. 1) Segen für die eigene Person. 2) Segen für das Haus. 3) Die Verbindung zwischen beiden.
V. 11.12. Berichtigung eines verdrehten Schriftworts. 1) Wie der Teufel die Verheißung benutzt: in Vermessenheit. 2) Wie der Heilige Geist sie gebraucht: im echten Gottvertrauen. Charles A. Davis 1874.
Der Dienst der Engel. 1) Von Gott angeordnet. a) Von ihm befohlen, b) zum Besten bestimmter Personen, c) auf allen ihren gottgewollten Wegen. 2) Von den Menschen genossen, a) in zartem aber sicherem Schutz, doch b) unter gewissen Beschränkungen, denn die Engel können Gottes Arbeit, Christi Werk, des Geistes Walten, des Wortes Dienst, der Prediger Zeugnis zur Rettung der Seelen nicht ausrichten; sie sind nur dienstbare Geister. George Rogers
V. 12. Die Bewahrung vor anscheinend kleineren Übeln ist von hoher Wichtigkeit, weil solche oft gerade sehr lästig sind, nicht selten zu größeren Übeln führen und leicht großen Schaden anrichten.
V. 13. 1) Jedes Gotteskind hat seine Feinde. a) Diese sind zahlreich (Löwe, Otter, junger Löwe, Drache). b) Sie sind verschiedenartig (mächtig und listig: Löwe und Otter; jung und alt: junge Löwen und Drachen). c) Der Gläubige behält zuletzt den Sieg über sie alle. (Du wirst gehen auf usw.) George Rogers
V. 14. Wie der Gläubige an Gott hängt (Grundtext) in Liebe und Vertrauen.
1) Liebe um Liebe. a) Die Heiligen hangen liebend an Gott. Allererst liebt Gott sie, ohne dass sie ihn lieben, dann aber liebt er sie, weil sie ihn lieben. b) Der Beweis dieser gegenseitigen Liebe: sie begehren Gottes, und er hilft ihnen aus, und zwar aus Sünde, Versuchung, Gefahr und allem Übel. 2) Ehre um Ehre. a) Der Gläubige ehrt Gott. Er kennet meinen Namen. b) Gott ehrt den Gläubigen, indem er ihn zu sicherem, freiem und herrlichem Stande erhöht.
V. 15.16. 1) Man beachte die überaus großen und köstlichen Verheißungen. a) Gebetserhörung, b) Trost in Not, c) Rettung aus Gefahren, d) Erhöhung nach der Trübsal, e) Sättigung mit langem Leben, f) ewige Beseligung. 2) Man beachte, wem diese Verheißungen gelten. Vergl. außer V. 15a noch V. 14, V. 9 und V. 1. Hannah More sagt einmal: Verheißungen verkündigen, ohne diejenigen zu bezeichnen, welchen sie gehören, das ist, wie wenn man einen Brief ohne Adresse in den Briefkasten wirft. Ein Wechsel mag auf einen noch so hohen Betrag lauten und, was denjenigen betrifft, auf welchen er gezogen ist, noch so gut sein - wenn man nicht ersehen kann, an wen er zahlbar ist, so gilt er doch nichts. Alle Verheißungen der Schrift sind deutlich an die gerichtet, welchen sie gehören. Auch die Adresse der Verheißungen dieses Psalms ist unverkennbar deutlich und mehrmals wiederholt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 92 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalmlied (wörtl.: ein Psalm, ein Lied) auf den Sabbattag. Diese vorzügliche Dichtung ist sowohl ein Psalm als auch ein Lied; sie hat in gleichem Maße feierliches und fröhliches Gepräge. Der Inhalt des Psalms - das Lob Gottes - passt trefflich zu seiner in der Überschrift ausgesprochenen Bestimmung, an dem heiligen Ruhetage gesungen zu werden; denn Gott preisen ist wahrlich ein schönes Sabbatwerk, mit dem sich in Gott ruhende Herzen gerne beschäftigen. Da die wahre Sabbatruhe nur in Gott zu finden ist, ist es weislich getan, wenn man sich am Sabbattage sinnend in Gott versenkt. Die Schreibart des Psalms ist des Gegenstandes und des Tages würdig; wie könnte es auch anders sein, da der Dichter die Sprache redete, welche der Geist ihm eingab! Es gibt keinen Psalm, der am Tage des HERRN, so weit die englische Zunge klingt, so häufig gesungen wird wie dieser. Und in welchem sangesfreudigen christlichen Hause oder Vereine in deutschen Landen kennte man nicht Palmers herrliche Motette: Das ist ein köstliches Ding, danken dem Herrn usw.? Auch Jorissens Übertragung:
Schön ist’s, Jehovah loben.
Dein Nam’, o Höchster, werd
Mit Hochgesang erhoben,
Am Sabbat tief verehrt!
Schön ist’s, des Morgens singen
Von deiner Gnade frei,
Des Abends Preis dir bringen
Für deine große Treu
verdiente es, allgemeiner gebraucht zu werden.
Der Sabbat ist ja eben dazu ausgesondert worden, dass wir da den HERRN ob seines vollendeten Schöpfungswerkes anbeten, und dazu eignet sich dieser Psalm so schön. Wir Christen können freilich noch einen höheren Flug nehmen, denn wir begehen am Sonntag die Feier der vollendeten Erlösung.

Auslegung

2. Das ist ein köstlich Ding, dem HERRN danken
und lobsingen deinem Namen, du Höchster,
3. des Morgens deine Gnade
und des Nachts deine Wahrheit verkündigen
4. auf den zehn Saiten und Psalter,
mit Spielen auf der Harfe.
5. Denn, HERR, du lässest mich fröhlich singen von deinen Werken,
und ich rühme die Geschäfte deiner Hände.


2. Das ist ein köstlich (wörtl.: gut) Ding, dem HERRN danken. Gut ist’s in den Augen Gottes, denn es ist ein Recht, das Jehovah zukommt; gut ist’s für den, der es tut, denn es ist lieblich und selig; gut ist’s in seiner Wirkung auf andere, denn es lockt sie dazu, dem HERRN dieselbe Huldigung darzubringen. Wenn sich so Pflicht mit Vergnügen paart, wer wollte da zurückbleiben? Damit, dass wir dem HERRN danken, zahlen wir ihm nur kleine Zinsen für die großen Wohltaten, mit welchen er uns täglich überhäuft; da er selbst es aber durch seinen Geist ein gut oder köstlich Ding nennt, dürfen wir es nicht geringachten oder vernachlässigen. Wir danken ja den Menschen, die uns zu Dank verpflichten; wie viel mehr sollten wir den HERRN preisen, wenn er uns wohl tut! Andächtiges Lobpreisen ist immer köstlich, nie unpassend und nie überflüssig; aber besonders schickt es sich doch am heiligen Ruhetag. Ein Sonntag ohne Danken wäre kein geweihter Tag. Und lobsingen deinem Namen, du Höchster. Es ist gut und lieblich, den Dank nicht nur zu sagen, sondern auch zu singen. Die Natur selbst lehrt uns, der Dankbarkeit auf solche Weise Ausdruck geben. Singen nicht die Vöglein und plätschern nicht sogar die Bächlein liebliche Weisen? Stille Andacht ist gut, aber köstlicher noch ist es, wenn wir der Gesinnung unseres Herzens in lebenswarmen Worten und frohen, frischen Tönen Ausdruck geben. Der Zunge das Vorrecht rauben wollen, den Lobpreis Gott in edlem Gesange darzubringen, heißt einen der edelsten Triebe unseres erneuerten Wesens in widernatürlicher Weise dämpfen, und darum ist es uns ein Rätsel, wie die Glieder der Gesellschaft der Freunde (die Quäker) sich einer so lieblichen, so naturgemäßen und aufmunternden Weise der Anbetung Gottes begeben können. So treffliche Leute sie sind, so fehlt ihnen doch ein köstliches Ding, wenn sie dem Namen des HERRN keine Loblieder singen wollen. Unsre persönliche Erfahrung hat uns in der Überzeugung bestärkt, dass es gut ist, dem HERRN zu lobsingen; wir haben oft ein Gefühl gehabt wie Luther, wenn er sagte: "Kommt, lasst uns einen Psalm singen und den Teufel vertreiben!"

3. Des Morgens deine Gnade verkündigen. Der Tag sollte mit Lobpreis beginnen; denn für ein heiliges Lied ist keine Stunde zu früh. Über die Gnade des HERRN zu sinnen und zu singen, dazu eignen sich trefflich jene taufrischen Stunden, in denen der Morgen die ganze Erde mit köstlichen Perlen aus dem Orient besät. Mit frischem, frohem Eifer sollten wir den HERRN erheben. Unangenehme Aufgaben sind wir ja wohl versucht so lang als möglich hinauszuschieben; durch die Anbetung Gottes aber werden unsre Herzen so belebt, dass wir uns dazu gerne schon in früher Morgenstunde anschicken. Auf solch frühen Lobgesängen ruht eine besondere Frische und Lieblichkeit. Der Tag ist am lieblichsten, wenn er zuerst seine Augenlider öffnet. Es ist, als teilte Gott selbst dann noch heute das Manna aus, welches am süßesten schmeckte, wenn es, noch ehe die Sonne heiß brannte, gesammelt ward. Ist es nicht passend, dass wir, nachdem Herz und Harfe während der stillen Nachtstunden geruht haben, wiederum mit Lust unseren Platz unter dem auserwählten Chor einnehmen, der den Ewigen ohne Unterlass besingt? Und des Nachts deine Wahrheit verkündigen. Keine Stunde ist zu spät zum Lobpreisen, und das Ende des Tages soll nicht das Ende unserer Dankbarkeit sein. Wenn die Natur in stiller Andacht ihren Schöpfer anbetet, dann steht es den Kindern Gottes schlecht an, mit ihrem Danken zurückzuhalten. Der Abend ladet zu einem Rückblick auf den verflossenen Tag ein, die Erinnerung beschäftigt sich dann mit den Erfahrungen der hingeschwundenen Stunden; darum ist der passendste Gegenstand unseres Liedes dann die göttliche Treue, von welcher ein neuer Tag wieder neue Proben geliefert hat. Wenn sich der mächtige Schatten der Nacht über alles gebreitet hat, dann kommt über verständige Menschen eine ihrem innersten Wesen verwandte nachdenkliche Stimmung, der entsprechend sie dann gerne einen recht weiten Blick auf die Güte und Treue des großen Gottes werfen, dessen Nähe ihnen in der feierlichen Stille und dunkeln Einsamkeit der Nacht besonders fühlbar wird.
In den Nächten, lautet der Grundtext eigentlich. Mag die Nacht nun sternklar oder wolkig, mondhell oder finster, ruhig oder stürmisch sein, stets sind ihre Stunden wohl geeignet zum Besingen der Treue Gottes, da diese zu allen Zeiten und unter allen Umständen gleich bleibt und aus ihr der Gläubige stets den besten Trost schöpft. Ist es nicht eine Schande für uns, dass wir so träge sind, den HERRN zu verherrlichen, der am Tage das Füllhorn seiner Liebe über uns ausschüttet und allnächtlich als treuer Wächter ohne Ermüden seine Runde macht?

4. Auf den zehn Saiten und Psalter, mit Spielen auf der Harfe - mit der größten Mannigfaltigkeit der Musik, um mit vollen Harmonien die tiefen Bewegungen der Seele zum Ausdruck zu bringen. Es ist dem Psalmisten darum zu tun, dass jedes lieblich klingende Musikinstrument in harmonischem Rauschen der Töne des Lobes Gott geweiht werde. So haben George Herbert 1 und Martin Luther die Instrumentalmusik zur Erhöhung ihrer persönlichen und häuslichen Erbauung gebraucht; und gegen solche Verwendung hat wohl noch niemand Einspruch erhoben, so sehr auch die Meinung in vielen christlichen Kreisen darüber geteilt ist, ob die Instrumentalmusik für die Anbetung Gottes in der Gemeinde angemessen sei. 2 - Was Luther (mit sehr vielen) "mit Spielen auf der Harfe" übersetzt, fassen einige: "mit Sinnen auf der Harfe (oder besser Zither)." Es ist dann, als hätte der Dichter sagen wollen: Wenn sich meine Seele still in Gott versenkt, so ist sie doch schließlich das allerbeste Instrument, und die lieblichen Klänge der Harfe dienen nur dazu, mein Nachsinnen zu fördern. Das ist köstliche Beschäftigung, wenn Hand und Mund zusammen das Himmelswerk des Lobes treiben. Jedoch ist die Befürchtung nicht ohne Grund, dass sich viele Menschen durch die Aufmerksamkeit, welche sie den Äußerlichkeiten der Musik, wie Schlüssel und Saiten, Takt und Zeichen zuwenden, von der geistlichen Harmonie abbringen lassen, die doch die Hauptsache, die Seele des Lobpreises ist. Schöne Musik ohne Andacht ist wie ein Prachtgewand über einen Leichnam.

5. Denn, HERR, du hast mich fröhlich gemacht durch dein Tun. (Wörtl.) Es war für den Psalmisten ganz natürlich, dass er sang, denn er war fröhlich, und dass er dem HERRN sang, denn seine Fröhlichkeit war durch die Betrachtung des Waltens Gottes hervorgerufen worden. Ob wir das göttliche Werk der Schöpfung oder das der Erhaltung und Vorsehung erwägen, stets werden wir überreichen Grund zur Freude finden; wenn wir aber gar daran gehen, das göttliche Erlösungswerk zu überdenken, so findet unsere Freude keine Schranken und fühlt sich übermächtig dazu getrieben, den HERRN aus allem Vermögen zu preisen. Es gibt Zeiten, wo uns beim Betrachten der erlösenden Liebe das Herz so voll wird, dass uns ist, als müsste es springen, wenn wir ihm nicht im Gesange Luft machen könnten. Schweigen würde uns dann eine Qual sein, als ob uns von einem Inquisitor der Mund geknebelt oder die Kehle von einem Mörder zugeschnürt würde. Und ich juble über die Werke deiner Hände. (Wörtl.) Ich kann nicht anders, ich muss und ich will im HERRN frohlocken wie einer, der einen Sieg errungen und große Beute gemacht hat. In dem ersten Teil unseres Verses spricht der Psalmdichter (nach dem Grundtext) von dem Werk Gottes als einer Einheit, von dem einheitlichen Wirken und Walten Gottes, in dem zweiten redet er von den Werken Gottes in ihrer Mannigfaltigkeit - beides Gegenstände der Betrachtung, die uns zu Freude und jubelndem Lobpreis stimmen. Wenn Gott einem Menschenkinde sein Walten enthüllt und in seiner Seele ein Werk beginnt, so erfüllt er sein Herz mit kräftiger Freude, deren natürliche Folge beständiger Lobpreis ist.

6. HERR, wie sind deine Werke so groß!
Deine Gedanken sind so sehr tief.
7. Ein Törichter glaubt das nicht,
und ein Narr achtet solches nicht.


6. HERR, wie sind deine Werke so groß! Der heilige Sänger ist ganz in Bewunderung versunken. Er muss seinem Herzen mit einem Ausruf des Erstaunens Luft machen. Wie unermesslich, wie überwältigend groß sind die Werke und Taten Jehovahs! Groß an Zahl, an Ausdehnung, an Weisheit, an Herrlichkeit sind alle Schöpfungen des Unendlichen. Deine Gedanken sind so sehr tief. Die Ratschlüsse des HERRN sind so wunderbar wie seine Werke, seine Anschläge so tief wie seine Taten allumfassend. Die Schöpfung ist unermesslich, und unerforschlich die Weisheit, die sich in ihr offenbart. Wie beschränkt sind die Menschen - manche haben wohl Gedanken, können sie aber nicht ausführen, während andre gedankenlose Maschinen sind; beim Ewigen aber gehen Entwurf und Ausführung Hand in Hand. Das Walten der Vorsehung ist unerschöpflich, und unergründlich sind die Ratschlüsse, welche jenem Walten zu Grunde liegen. Die Erlösung ist über alle unsere Fassungskraft erhaben in ihrer Großartigkeit, und unendlich sind die Gedanken der Liebe, welche diese Erlösung geplant haben. Der Mensch ist oberflächlich, Gott aber unergründlich; der Mensch seicht, Gott tief. Mögen wir loten, so tief wir können, wir werden doch niemals die geheimnisvollen Tiefen des göttlichen Planes ermessen, und ebenso wenig werden wir je die grenzenlose Weisheit des allumfassenden Gottesgeistes umspannen. Wir stehen an dem unergründlichen Meer der göttlichen Gedanken und rufen, von heiligem Schauer ergriffen: O welch eine Tiefe! (Röm. 11,33)

7. Ein tierischer Mensch erkennt das nicht, und ein Tor begreift solches nicht. (Wörtl.) In diesem und den nächsten Versen wird die Wirkung des Psalms durch das Vorführen von Gegensätzen gesteigert. Die dunkeln Schatten lassen das Licht auf dem Bilde desto heller strahlen. Aber welch ein Sturz vom vorhergehenden Vers! Vom Heiligen Gottes zum tierischen Menschen, vom Anbeter zum Schafskopf, vom Psalmisten zum Narren! Und doch gibt es deren viele, auf welche die Beschreibung passt, der viehisch dummen Menschen, die in der Natur keine göttlichen Gedanken und Werke sehen, und selbst wenn man sie ihnen unter die Augen hält, doch in ihrer Torheit nichts davon begreifen. Es kann jemand ein Philosoph sein und dabei doch ein solch dummer Tropf, dass er für die Zehntausende unnachahmlicher Geschöpfe um ihn her, die schon für den oberflächlichen Blick die Zeichen tiefer Planmäßigkeit an sich tragen, keinen Schöpfer anerkennen will. Mag der Unglaube sich noch so stolz gebärden, er ist doch im Grunde unwissend und hat trotz allem puffenden Feuerwerk des Verstandes kein Verständnis. Der Mensch muss entweder ein Gotteskind oder eine Bestie werden, er hat keine andre Wahl; das Ziel, dem seine Entwicklung zustrebt, ist entweder der anbetende Seraph oder das grunzende Schwein. Gelehrte, die den Ruhm oder das Dasein Gottes nicht anerkennen wollen, sollten wir, statt ihnen Ehrerbietung entgegenzubringen, vielmehr als den Tieren vergleichbar ansehen, die zu Grunde gehen (vergl. Ps. 49,13), nur dass solche Menschen noch viel tiefer stehen als das Vieh, weil ihr entwürdigender Zustand Sache ihrer eigenen Wahl ist. Ach Gott, wie betrübend ist es doch, dass Menschen, die du so reich begabt, sogar in deinem Bilde geschaffen hast, sich zu einem so viehischen Zustand herabwürdigen, dass sie selbst Tatsachen, die du sonnenklar gemacht hast, nicht sehen noch verstehen. Ein Schriftsteller, der gerne außergewöhnliche Ausdrücke wählt, hat Recht, wenn er sagt: Gott hat den Menschen am Anfang ein wenig niedriger als die Engel gemacht, und seither hat der Mensch getrachtet, immer tiefer herunter zu kommen.

Fußnoten
1. Prof. in Cambridge, † 1632 als Pfarrer in Bemerton, bekannt durch seine zahlreichen trefflichen englischen, griechischen und lateinischen Gedichte.

2. Um dies ganz zu verstehen, müssen wir in die rein reformierten Gegenden Schottlands und Hollands gehen, in denen, wie auch bei manchen Freikirchen Englands, bis zu dieser Stunde keine Orgel, kein Harmonium und dergl. als Begleitung des Gemeindegesangs geduldet wird, während bekanntlich andererseits in manchen Gemeinden, besonders auch Amerikas, Musik und Kunstgesang in den öffentlichen Gottesdiensten eine verhängnisvolle Rolle spielen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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8. Die Gottlosen grünen wie das Gras,
und die Übeltäter blühen alle,
bis sie vertilgt werden immer und ewiglich.
9. Aber du, HERR, bist der Höchste und bleibest ewiglich.
10. Denn siehe, deine Feinde, HERR,
siehe, deine Feinde werden umkommen;
und alle Übeltäter müssen zerstreut werden.


8. Wenn die Gottlosen sprossen wie das Gras (wörtl.), so zahlreich und üppig, so rasch im Wachstum fortschreitend wie die krautartigen Pflanzen, die bei fruchtbarem Wetter förmlich aus der Erde schießen und in kürzester Frist ihre Vollendung erreichen - und die Übeltäter alle blühen in ihrer ganzen Frische und Schönheit, in stolzer Pracht und Übermut - (so geschieht das nur,) damit sie vertilgt werden immer und ewiglich. (Grundtext) Sie wachsen so prächtig, nur um zu sterben; sie blühen nur, um zu welken. Sie grünen eine kurze Zeit, um zu vergehen ohne Ende. Größe und Herrlichkeit sind für sie nur das Vorspiel ihres Verderbens. Darum hat auch ihre Feindseligkeit wenig zu bedeuten; der HERR regiert ruhig weiter, als ob sie ihn nie gelästert hätten. Wie ein Alpengipfel sich stets gleich bleibt, ob die Wiesen an seinem Fuße blühen oder welken, so wird der Höchste auch nicht berührt von den so schnell vergehenden Sterblichen, die sich wider ihn aufzulehnen wagen: sie werden bald genug für immer aus der Zahl der Lebenden verschwinden. Sie aber, die Gottlosen - o wie kann unser Gemüt es ertragen, das schreckliche Los zu überdenken, dem sie für immer und ewig verfallen. Vertilgt werden für immer ist ein Schicksal, viel zu schrecklich, als dass wir es in seiner ganzen Furchtbarkeit ermessen könnten. Den vollen Schrecken des zukünftigen Zornes hat noch kein Auge gesehen, kein Ohr gehört!

9. Aber du, HERR, bist in der Höhe (= bleibst erhaben) ewiglich. (Wörtl.) Dieser Vers ist der mittelste des Psalms und sagt die große Tatsache aus, welche das Sabbatlied verherrlichen soll. Gott ist zugleich das höchste und das unvergänglichste aller Wesen. Andre erheben sich nur, um zu stürzen, aber er ist der Höchste in alle Ewigkeit. Gepriesen sei sein Name! Wie groß ist der Gott, den wir anbeten! Wer wollte dich nicht fürchten, du ewig hoch Erhabener! Die Gottlosen werden vertilgt auf immer, und Gott bleibt erhaben auf immer. Das Böse wird niedergeworfen, und der Heilige thront in der Höhe in alle Ewigkeit.

10. Denn siehe, deine Feinde, HERR. Das Siehe! ruft zur Aufmerksamkeit und bekräftigt zugleich. Es handelt sich um eine erstaunliche und gewisse Tatsache, die voller Belehrung und Warnung ist; darum bedenkt es, ihr Menschenkinder. Siehe, deine Feinde werden umkommen. Sie werden unter den Lebenden nicht mehr erfunden werden, man wird nichts mehr von ihnen wissen. Die Wiederholung bestätigt: es wird gewisslich geschehen, und zwar schnell. Und alle Übeltäter müssen zerstreut werden. Ihre Streitkräfte werden zerstieben, ihre Hoffnungen zergehen und sie selbst wie Spreu vor dem Sturmwetter hin und her gewirbelt werden. Sie werden sich zerstreuen, wie furchtsame Schafe, wenn der Löwe sie verfolgt; sie werden nicht den Mut haben, die Waffen in der Hand zu behalten, noch die Einigkeit bewahren, ihren Verschwörungsbund festzuhalten. Wie das Gras nicht der Sense widerstehen kann, sondern reihenweise dahinfällt zum Verwelken, so werden im Verlaufe der Zeit die Gottlosen abgeschnitten und weggefegt, während der HERR, den sie verachteten, unbeweglich auf dem Thron seiner unbegrenzten Herrschaft sitzt. Gewiss ist das eine furchtbare Tatsache, und doch könnte kein redlich gesinnter Mensch es anders wünschen. Hochverrat gegen den erhabenen Monarchen des Weltalls darf nicht unbestraft bleiben; solch ruchloser Frevel verdient das härteste Urteil.

11. Aber mein Horn wird erhöht werden wie eines Einhorns,
und ich werde gesalbt mit frischem Öle.
12. Und mein Auge wird seine Lust sehen an meinen Feinden,
und mein Ohr wird seine Lust hören an den Boshaften,
die sich wider mich setzen.


11. Aber mein Horn erhebst du (Grundtext) wie eines Einhorns. Der Gläubige frohlockt, dass der HERR ihn nicht umkommen lässt, sondern ihn im Gegenteil so mächtig macht, dass er über seine Feinde triumphieren kann. Wir vermögen nicht festzustellen, welches Tier mit dem Namen bezeichnet ist, welchen Luther nach der Septuaginta mit Einhorn übersetzt. Gehört das Einhorn ins Gebiet der Fabel, so ist zu bedenken, dass das Hebräische gar nicht auf solch ein naturgeschichtlich ungeheuerliches Tier führt. Mag die gefährliche Rindsantilope oder der wilde Büffel oder sonst ein Tier gemeint sein (vergl. zu Ps. 22,22 Band I, Seite 387, Anm. 4), jedenfalls war es bei den Alten ein Lieblingsbild unbesiegbarer Kraft (vergl. 4. Mose 23,22; 5. Mose 33,17), und der Psalmist wählt es hier zu seinem Wahrzeichen. Es ist dem Glauben eine Wonne, die Gnadenerweisungen des HERRN vorauszuschauen; er singt von dem, was Gott noch tun wird, so gut wie von dem, was er bereits getan hat. Und ich werde gesalbt 3 mit frischem Öle. Die Erfüllung mit Kraft soll mit Erquickung und Ehrung verbunden sein. Wie man bei festlichen Gelegenheiten die Gäste mit duftender Salbe benetzte, so sollen die Freunde Gottes durch immer neue Ausgießungen der göttlichen Gnade erfreut und erquickt werden; und das ist wieder ein Grund, warum sie nicht verwelken wie die Gottlosen. Man beachte den tiefen Unterschied zwischen dem Wohlgedeihen der Toren und der Freude der Gerechten: jene wachsen üppig in eigner Kraft wie das Unkraut, während die Gerechten vom HERRN selber in Pflege genommen werden und ihnen alles Gute unmittelbar aus seiner Rechten zukommt und darum ihrem Herzen zwiefach kostbar ist. Der Psalmist spricht in der ersten Person: Ich werde usw. Möge es jedem Leser ein Gebetsanliegen sein, dass auch er so sprechen könne.

12. Und mein Auge wird seine Lust sehen an meinen Feinden; und mein Ohr wird seine Lust hören an den Boshaften, die sich wider mich setzen. Die Worte "meine Lust" sind beide Male von den Übersetzern in den Text eingefügt und wären wohl besser fortgelassen. 4 Der Psalmist spricht nicht aus, was er sehen und hören werde; er überlässt seine Feinde in Gottes Hand, mit der Gewissheit, dass der HERR sein Gottvertrauen rechtfertigen, alles seinen Kindern widerfahrene Unrecht gutmachen und seine Vorsehung von der Anklage, dass sie die Gottlosen bevorzuge, zu reinigen wissen werde. Der Psalmist hat den Anfang der Übeltäter gesehen und erwartet, auch ihr Ende zu sehen; sein Blick ist aber dabei ohne Zweifel auf die Verherrlichung Gottes und nicht auf die Befriedigung niederer Rachlust gerichtet.

13. Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum,
er wird wachsen wie eine Zeder auf Libanon.
14. Die gepflanzt sind in dem Hause des HERRN
werden in den Vorhöfen unsers Gottes grünen.
15. Und wenn sie gleich alt werden, werden sie dennoch blühen,
fruchtbar und frisch sein,
16. dass sie verkündigen, dass der HERR so fromm ist,
mein Hort, und ist kein Unrecht an ihm.


13. Das Lied stellt nun das Ergehen der Gerechten dem der Ruchlosen gegenüber. Die Gottlosen grünen wie das Gras oder Kraut, aber der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, dessen Wachstum freilich nicht so rasch ist, dessen jahrhundertelange Lebenskraft aber so recht den Gegensatz bildet zu dem so schnell welkenden Grün der Wiesen. Ja, der edle Palmbaum, der hoch in die Lüfte ragt, indem er seine ganze Kraft in frei und kühn empor strebendem Wuchse gen Himmel richtet, und der auch in der unfruchtbaren, dürren Wüste gedeiht, ist er nicht ein schönes Bild des gottseligen Menschen, der in seiner Aufrichtigkeit nur auf Gottes Verherrlichung zielt, und den Gottes Gnade tüchtig macht, unabhängig von den äußern Umständen, da zu leben und innerlich wohl zu gedeihen, wo alles um ihn her zu Grunde geht? Wir können die herrlichen Aussagen dieses und der folgenden Vers schon auf die Gegenwart beziehen, indem wir sie mit der gegenwärtigen Zeitform übersetzen; aber ebenso gewiss enthalten sie kostbare Verheißungen für unsre zukünftigen Tage. Ja, mag kommen, was da will, wer bei Gott in Gnaden ist, wird grünen und blühen, und zwar in der herrlichsten Weise. Er wird wachsen wie eine Zeder auf Libanon. Dies ist ein anderer herrlicher Baum von langer Lebensdauer. "Die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes", spricht der HERR Jes. 65,22. Oben auf dem Gipfel der Berge wiegt die Zeder ihre mächtigen Zweige und bleibt, obwohl sie Sturm und Wetter ausgesetzt ist, doch ewig grün; so bewahrt sich auch der wahrhaft gottselige Mensch bei allen Widerwärtigkeiten die Freude der Seele und macht trotz allem im göttlichen Leben gute Fortschritte. Das Gras, welches Heu wird zur Speise für die Ochsen, ist gut genug als Sinnbild des gefallenen Menschen; die Zeder, mit welcher man den Tempel des HERRN baut, ist nicht zu prächtig als Sinnbild der Himmelserben.

14. Die gepflanzt sind in dem Hause des HERRN, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. In den Höfen der morgenländischen Häuser waren gewöhnlich Bäume gepflanzt, und diese brachten wohl, da sie so geschützt standen, auch in ungünstigen Zeiten reiche und gute Frucht. So werden denn auch die Menschen, welche durch die Gnade mit dem HERRN in Gemeinschaft gebracht sind, Bäumen gleichen, die im Hause des HERRN gepflanzt sind, und werden diesen ihnen gegebenen Platz heilsam für ihre Seelen finden. Niemand hat so viel Freude im Herzen, als wer in Jesu bleibt. Die Teilnahme an dem Leben des Stammes erzeugt die Fruchtbarkeit der Zweige. Wer in Christo bleibt, der bringt viel Frucht. Wer sich wohl äußerlich zu Christo bekennt, aber doch innerlich der Welt angehört, gedeiht nicht; wer seine Wurzeln in den Sumpfboden sündiger Lust senkt, kann nicht in kräftigem Wachstum stehen. Aber wer in beständiger Gemeinschaft mit Gott steht, der wird ein Mann von vollem Wuchs, reich an Gnade, glückselig in der Erfahrung des Lebens, mächtig an Einfluss, geehrt und der Ehren wert. Es hängt ja bei einem Baume viel von dem Boden ab, in welchen er gepflanzt ist; in unserem Fall hängt alles davon ab, dass wir in dem Herrn Jesu bleiben und alle die Lebenskräfte, die wir brauchen, von ihm empfangen. Um in den Vorhöfen am Hause des HERRN zu grünen, müssen wir erst dort eingepflanzt sein; denn in Gottes Garten steht kein Baum, der sich selbst dort hingesät hätte. Wer aber einmal dort vom HERRN gepflanzt ist, der wird auch niemals wieder ausgerissen werden, sondern wird in Gottes Heiligtum fürder unter sich wurzeln und über sich Frucht tragen, dem HERRN zum ewigen Preise. (2. Könige 19,30.)

Fußnoten
3. Das Wort ist dunkel; doch findet Luthers Übers.: Ich werde gesalbt oder wörtlicher 1524: begossen noch heute ihre Verteidiger.

4. Fast alle Übersetzer und Ausleger stimmen mit Luther überein. Von anderen Erklärungen wäre außer dem ganz missglückten Versuch Hengstenbergs (mit welchem Spurgeon übereinkommt) noch der von H.V. Andreä (1884) zu erwähnen: Mein Auge blickt (ruhig) auf meine Neider, meine Ohren horchen (gelassen) hin auf die wider mich sich erhebenden Übeltäter. Aber die beiden hier vorliegenden hebräischen Redewendungen sind doch wohl dem so häufigen
b: h)frf nachgebildet. Dieses heißt etwas oder jemand ansehen, und zwar (fast immer) so, dass man sich betrachtend hineinversenkt und dadurch innerlich bewegt wird, sei es von Schmerz, wie 1. Mose 20,16, sei es - und dies ist gewöhnlich der Sinn - mit Freude, also: das Auge an etwas weiden. Vergl. z. B. Ps. 22,18; 37,34; 54,9; 112,8 usw. Somit trifft die Ergänzung "meine Lust" doch den Sinn. - James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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