Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps83

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Erläuterungen und Kernworte

V. 7-9. Der Prophet kommt nun zum Einzelnen und sagt Gott, wer die Verschwörer seien. Er nennt zehn Völker, die sich gegen das eine arme Israel verbunden hatten. Es wäre schrecklich, wenn ein verfolgtes Gotteskind deinen Namen als den seines Verfolgers vor Gott den HERRN brächte. In John Foxes Märtyrerbuch wird von einer Frau erzählt, die, als die Gottlosen sie schmähten und misshandelten, nur sagte: "Ich will heimgehen und es meinem Vater sagen; lasst ab, oder ich bringe eure Namen vor Gott und sage es ihm alles." Das genügt. Man kann besser ein Pfund Erde an den Füßen als ein Körnlein Staub im Auge ertragen; die Gläubigen aber sind Gottes Augapfel. Gualter Cradock 1650.

Es ist bemerkenswert, dass diese Feinde das Land Israels auf allen Seiten umgaben: die Edomiter, Ismaeliter, Gebaliter und Amalekiter im Süden, Moab und Ammon sowie die Hagariter im Osten, die Assyrer im Norden und die Philister und Tyrer im Westen. Das Volk Gottes hat "allenthalben Trübsal" (2. Kor. 4,8). So werden auch in der letzten Zeit die Völker, die an den vier Ecken der Erde sind, der Gog und der Magog, sich versammeln zum Streit und das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt umringen. (Off. 20,8 f.) John Gill † 1771.

Die vom Psalmdichter aufgeführten Feinde Israels zerfallen in vier Hauptklassen. 1) Am heftigsten war die Feindschaft derer, welche mit Israel durch die engsten Bande des Blutes verbunden waren - der Edomiter. Ihre Feindschaft war auf Hass gegründet, auf den Hass ihres Stammvaters Esau gegen Jakob als den von Isaak Gesegneten. Wiewohl sie je und dann, der Weissagung gemäß, Israels Joch von ihrem Halse reißen konnten, brachten sie es doch nie fertig, Israel den Besitz der einst von Esau verachteten Erstgeburt und die damit verbundenen Verheißungen zu entwinden: aus Israel, nicht aus Edom sollte der Erlöser der Welt hervorgehen, und in Israel sollten alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Die Edomiter mögen daher passend als das Bild derjenigen angesehen werden, welche die Kirche Christi stets als ihre heftigsten Feinde erfunden hat, der Zweifler und Ungläubigen, welche die Erlösung missachten, auf welche die Kirche gegründet ist, deren hochmütiger Verstand durch die demütigenden Wahrheiten des Christentums verletzt wird und welche diejenigen hassen, die diese Wahrheiten für ihr gesegnetes Erbeil halten, während sie sie vorsätzlich missachten. Da sie selber in Zelten wohnen, können sie es nicht ertragen, dass andre, reicher gesegnet, das Haus Gottes im Besitz haben. Mit ihnen verbündet sind die Ismaeliter, die Nachkommen der Magd, jene jüdischen Gegner des Christentums, die bei der Verwerfung der christlichen Wahrheit von denselben Gefühlen des Verstandesstolzes geleitet werden wie die Ungläubigen christlicher Abstammung. 2) In den Nachkommen Lots und deren arabischen Bundesgenossen haben wir die Typen einer andern Art von Feinden. Der Ursprung der Ammoniter und Moabiter stempelt sie zu den passenden Vertretern derjenigen, welche Sklaven der sündlichen Lüste sind. Diese hassen die Gemeinde des HERRN nicht wegen ihrer den Stolz beugenden Lehren, sondern wegen der Heiligkeit, welche sie fordert und für welche sie beständig Zeugnis ablegt. Und die Erfahrung zeigt, dass dieserart Leute bei ihren Angriffen auf die Kirche solche in ihren Dienst zu stellen pflegen, die noch gröber, wiewohl mit mehr Unwissenheit, sündigen als sie selber. 3) Von diesen Feinden der Kirche, welche von bewusstem Hass beseelt werden, gehen wir über zu jenen, die mehr aus kühler Berechnung als aus Leidenschaft handeln und deren Vorgehen von der Rücksicht auf irdischen Vorteil bestimmt wird. Die Philister und die von Tyrus hatten sich der Verschwörung wohl in der Hoffnung angeschlossen, Gefangene zu machen, die sie mit gutem Gewinn auswärts als Sklaven verkaufen könnten. Die Tyrer hatten einst dem Salomo Material und Werkmeister zum Tempelbau geliefert; aber jetzt suchen sie Israels Notlage zur eigenen Bereicherung auszubeuten: das treffende Bild derjenigen, die in allem ihrem Tun, ob sie der Kirche Gottes nun Freundschaft oder Feindschaft bezeigen, von dem Krämergeist der Gewinnsucht beseelt werden. 4) Die letzte Art der Feinde sind die Assyrer, die Machthaber der Welt, seien es geistliche oder weltliche, päpstliche oder kaiserliche, die, ohne Gewissensbedenken zu kennen, stets bereit sind, jedes zur Erreichung ihres einen Zieles, der Ausbreitung und Befestigung ihrer Herrschaft, dienliche Mittel anzuwenden. - Verstandesstolz und Unglaube, Unheiligkeit und Gesetzlosigkeit des Wandels, Habsucht und endlich weltlicher Ehrgeiz, das sind die Charaktermerkmale der vier wichtigsten Klassen der Widersacher, welche die Kirche Gottes bedrohen. Joseph Francis Thrupp 1860.

Es nützt uns nicht wenig, an diesem Beispiel wie in einem Spiegel zu sehen, was von Anfang die Kirche Gottes betroffen hat, damit heute nicht eine gleiche oder ähnliche Lage uns zu sehr erschrecke, wenn die ganze Welt uns feind ist. Wenn wir einsehen, dass uns nichts Neues begegnet, so werden wir durch das Schicksal der alten Kirche zur Geduld befestigt werden, bis Gott plötzlich seine Kraft bewährt, die allein zur Zerstreuung aller Unternehmungen der Welt hinreicht. Jean Calvin † 1564.

V. 10. Tu ihnen wie den Midianitern, d. h. schlage ihnen die Köpfe aneinander; mache, dass ihre Ratschläge sich gegenseitig durchkreuzen! Gualter Cradock 1650.

Am Bach Kison. Dieser Fluss ist von sehr abwechselnder Größe; im Winter schwillt er oft mächtig an. Im Jahre 1799, zur Zeit des französischen Einfalls, kamen von den unterlegenen Türken viele in den Fluten um, welche von Deburieh herabströmten und die Ebene Jesreel überschwemmten; ein Ereignis, ähnlich dem in Richter 5,21 über Siseras Heer berichteten. Karl Ritter † 1859.

V. 11. Und wurden zu Dünger für das Land. Man schätzt, dass im Jahr 1830 mehr als fünfmal hunderttausend Scheffel menschliche und tierische Gebeine vom europäischen Festland in den Hafen von Hull (in England) eingeführt worden seien. Die Schlachtfelder von Leipzig, Austerlitz, Waterloo usw., wo fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahre zuvor die großen Schlachten ausgekämpft worden waren, wurden da der Gebeine der Helden wie der Rosse, die sie geritten, entleert. Diese so aus allen vier Winden gesammelten Überreste wurden nach Hull verschifft und dann in den Knochenmühlen der Grafschaft York zu Staub zermahlen. In diesem Zustand wurden sie hauptsächlich nach Doncaster, einem der größten landwirtschaftlichen Märkte des Landes, gesandt und dort an die Bauern als kostbarer Dünger fürs Land verkauft. K. Arvine 1859.

V. 14. Mache sie wie einen Wirbel! Nach dem Parallelismus muss darunter etwas verstanden werden, was mit der Spreu Ähnlichkeit hat, aber nach der Bedeutung des hebräischen Wortes zugleich etwas, das nicht fliegt wie die Spreu, sondern vor dem Winde her rollt oder wirbelt. Wenn damit nicht die wilde Artischocke gemeint ist, so habe ich im Heiligen Land nichts gesehen, das den Vergleich veranlassen könnte. Diese wilde Artischocke wirft nämlich zahlreiche Zweige von gleicher Größe nach allen Richtungen aus, so dass sie eine Art Rad oder Kugel von einem Fuß oder mehr im Durchmesser bilden. Wenn diese Zweige im Herbst reif sind und abdorren, werden sie steif und leicht wie Federn; der Mutterstamm bricht am Boden ab, und der Wind trägt diese Räder, wohin er will. Zu einer Zeit fegen ihrer Tausende über die Ebene daher, rollend, hüpfend, springend, mit großem Getöse, zum Verdruss von Ross und Reiter. In der nördlich von Hamat gelegenen Ebene wurde mein Pferd einmal ganz unlenksam inmitten dieser Dinger. Sie überfielen uns mit Windeseile, der Sturm brach sie ab und jagte sie in zahlloser Menge durch die Wüste. Unser trefflicher eingeborner Führer wurde einst in gleicher Weise in der östlichen Wüste, jenseit des Haurangebirges, von ihnen überfallen, und sein Pferd geriet in solchen Schrecken, dass er genötigt war, abzusteigen und es zu führen. Ein arabisches Sprichwort redet diese wirbelnden Räder so an: "Hallo, akkub, wo bleibst du heut über Nacht?" Und die Antwort lautet: "Wo der Wind einkehrt." Die Araber nehmen auch eine ihrer vielen Verwünschungen von dieser Pflanze: "Mögest du wie das akkub vor dem Winde hergewirbelt werden, bis du in den Dornen verstrickt oder ins Meer geworfen bist." W. M. Thomson 1859.

Es gibt keinen stärkeren Beweis gegen den Irrtum, als dass er in sich selber keine Beständigkeit hat, kein kräftigeres Argument gegen diese angeblich großen Geister, als dass sie keine Ruhe finden, nicht wissen, wo sie einen festen Halt gewinnen können, sondern allezeit in Bewegung sind, als ob sich die Verwünschung des Psalmisten an sie gehängt, als ob Gott sie zu einem Wirbel, zu Stoppeln vor dem Winde gemacht hätte, die nimmer ruhen können, sondern von einer Ungewissheit zur andern geworfen werden. Der Heilige Geist ist ein Geist der Ruhe und Beständigkeit. Mark Frank † 1664.

V. 14. Mache sie wie einen Wirbel! Nach dem Parallelismus muss darunter etwas verstanden werden, was mit der Spreu Ähnlichkeit hat, aber nach der Bedeutung des hebräischen Wortes zugleich etwas, das nicht fliegt wie die Spreu, sondern vor dem Winde herrollt oder wirbelt. Wenn damit nicht die wilde Artischocke gemeint ist, so habe ich im Heiligen Land nichts gesehen, das den Vergleich veranlassen könnte. Diese wilde Artischocke wirft nämlich zahlreiche Zweige von gleicher Größe nach allen Richtungen aus, so dass sie eine Art Rad oder Kugel von einem Fuß oder mehr im Durchmesser bilden. Wenn diese Zweige im Herbst reif sind und abdorren, werden sie steif und leicht wie Federn; der Mutterstamm bricht am Boden ab, und der Wind trägt diese Räder, wohin er will. Zu einer Zeit fegen ihrer Tausende über die Ebene daher, rollend, hüpfend, springend, mit großem Getöse, zum Verdruss von Ross und Reiter. In der nördlich von Hamat gelegenen Ebene wurde mein Pferd einmal ganz unlenksam inmitten dieser Dinger. Sie überfielen uns mit Windeseile, der Sturm brach sie ab und jagte sie in zahlloser Menge durch die Wüste. Unser trefflicher eingeborner Führer wurde einst in gleicher Weise in der östlichen Wüste, jenseit des Haurangebirges, von ihnen überfallen, und sein Pferd geriet in solchen Schrecken, dass er genötigt war, abzusteigen und es zu führen. Ein arabisches Sprichwort redet diese wirbelnden Räder so an: "Hallo, akkub, wo bleibst du heut über Nacht?" Und die Antwort lautet: "Wo der Wind einkehrt." Die Araber nehmen auch eine ihrer vielen Verwünschungen von dieser Pflanze: "Mögest du wie das akkub vor dem Winde hergewirbelt werden, bis du in den Dornen verstrickt oder ins Meer geworfen bist." W. M. Thomson 1859.

Es gibt keinen stärkeren Beweis gegen den Irrtum, als dass er in sich selber keine Beständigkeit hat, kein kräftigeres Argument gegen diese angeblich großen Geister, als dass sie keine Ruhe finden, nicht wissen, wo sie einen festen Halt gewinnen können, sondern allezeit in Bewegung sind, als ob sich die Verwünschung des Psalmisten an sie gehängt, als ob Gott sie zu einem Wirbel, zu Stoppeln vor dem Winde gemacht hätte, die nimmer ruhen können, sondern von einer Ungewissheit zur andern geworfen werden. Der Heilige Geist ist ein Geist der Ruhe und Beständigkeit. Mark Frank † 1664.

V. 19. So werden sie erkennen, dass Du mit deinem Namen heißest HERR allein usw. Aus der frühen englischen Geschichte wird uns berichtet, dass etliche blutdürstige Verfolger einst auf ein Häuflein Christen losgegangen seien. Diese hätten bei dem Herannahen der Feinde mit aller Kraft ihrer Stimme Halleluja, Halleluja! (d. i. Preiset den HERRN) gerufen. Dadurch sei die Wut der Verfolger gebrochen worden. Und Josephus erzählt, Alexander der Große sei, als ihm auf seinem Siegeszug nahe bei Jerusalem der Hohepriester entgegengekommen sei, auf dessen Mitra der Name Jehovas eingegraben war, von selber zu dem Hohenpriester getreten und habe den Namen angebetet; so sei seine feindliche Absicht entwaffnet worden. Aber der Name Jesu ist jetzt noch viel mächtiger in der Welt als in jenen Zeiten der Name Jehovas. Dictionary of Illustration 1872.

Jehova ist der unübertragbare Name Gottes, der niemals einem andern als dem wahren Gott beigelegt worden ist. C. H. Spurgeon 1874.

Auch bei dem Untergang der Feinde hat der Sänger keine andre Ehre als die seines Herrn im Auge. Die Macht des Namens sollen sie erkennen und suchen lernen, den sie in seinem Bundesvolke gekränkt haben. "Und die Furcht Gottes kam über alle Königreiche in den Landen, da sie hörten, dass der HERR wider die Feinde Israels gestritten habe," so schließt der Bericht über jene Wundertat Gottes, den die Geschichte gibt (2. Chr. 20,29). Es war eine ähnliche Offenbarung des Armes Gottes wie nachher, als er Sanherib vor Jerusalems Mauern mit der Pest schlug. Prof. A. Tholuck 1843.

HomiletischeWinke

V. 2. Das lange Schweigen Gottes. Was für Gründe hat Gott für sein Stillesein und was für Gründe haben wir, zu bitten, dass er nicht länger so innehalte?
V. 4. Deine Verborgenen. 1) Verborgen nach ihrer den Menschen rätselhaften neuen Natur. 2) Verborgen zum Schutz des köstlichen Schatzes. 3) Verborgen zur Ruhe und Erquickung. 4) Verborgen, weil die volle Offenbarung noch aussteht.
V. 5. Die Unvertilgbarkeit der Gemeinde des HERRN.
V. 6. Die Verschwörungen der Bösen gegen die Heiligen.
V. 14-16. Die Unbeständigkeit, Rastlosigkeit und Ohnmacht der Bösen; ihr Schrecken, wenn Gott mit ihnen ins Gericht geht.
V. 17. Ein Gebet wider den Papst und seine Bundeshelfer.
V. 18. Das gerechte Los der Verfolger und Widersacher.
V. 19. Eine goldene Lektion. Wie wird sie beigebracht, wer hat sie zu lernen und von wem wird die Unterweisung erteilt?
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps84

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PSALM 84 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Ein Psalm der Kinder Korah oder, wie Eichhorn und andre es verstehen: den Kindern Korah zur Aufführung übergeben,1 auf der Gittith, vorzusingen. Der vorliegende Psalm verdiente es wohl, den edelsten Söhnen der Sangeskunst zur musikalischen Bearbeitung übergeben zu werden. Keine Musik konnte an lieblicher Innigkeit seinen Inhalt, an Wohlklang der Töne die Schönheit seiner Sprache übertreffen. Herrlicher als die Freuden der Weinlese (vergl. über Gittith die Vorbemerkung zu Ps. 81) ist die Freude, welche die heiligen Versammlungen im Hause des HERRN den Gläubigen gewähren; auch die bevorzugtesten Kinder der Gnade, wie die Kinder Korah solche waren (vergl. die Vorbemerkung zu Ps. 42), können für ihre Festgesänge kein besseres, inhaltsreicheres Thema haben als die lieblichen Gottesdienste Zions.
Es hat wenig zu bedeuten, wann und von wem dieser Psalm geschrieben worden ist. Uns dünkt er davidischen Wohlgeruch auszuströmen; er riecht nach Heidekraut und Tannenduft, nach den einsamen Stätten, an denen der König David so oft in Kampfeszeiten geweilt hat. Diese geistliche Ode ist eine der auserlesensten der ganzen Sammlung; sie hat einen milden Glanz an sich, der sie berechtigt, die Perle der Psalmen genannt zu werden. Wenn der 23. der allbekannteste, der 103. der freudigste, der 51. der wehmütigste, der 119. der am tiefsten aus der Erfahrung geschöpfte Psalm ist, so ist dieser 84. wohl das lieblichste der Friedenslieder.
Die Pilgerfahrten zum Heiligtum nahmen im israelitischen Leben eine bedeutsame Stelle ein. In unserem (englischen) Vaterlande waren die Wallfahrten zu dem Grabe des Erzbischofs Thomas von Canterbury2 und zu Unsern lieben Frauen von Walsingham so allgemein, dass sie die ganze Bevölkerung berührten und der Anlass wurden zum Anlegen von Straßen und Errichten von Herbergen, ja zum Entstehen einer besondern Literatur; und ebenso war es ja in andern Ländern. Das mag es uns erleichtern zu verstehen, welchen Einfluß die Pilgerfahrten nach Jerusalem auf die Israeliten ausübten. Verwandte und Bekannte wanderten miteinander und bildeten Haufen, die an jedem Rastort größer wurden; sie lagerten in lieblichen Lichtungen, stimmten gemeinsam beim Wandern Gesänge an, klommen miteinander über Hügel und durch Schluchten, halfen sich gegenseitig auf unwegsamen Pfaden und sammelten so allerlei Erinnerungen, die nie aus dem Gedächtnis weichen konnten. Einer, der die heilige Gemeinschaft der Pilgrime und die feierlichen Gottesdienste im Hause des HERRN entbehren musste, hat in diesem Psalme seinem betrübten und doch in der Erinnerung an das Heiligtum frohlockenden Geiste würdigen Ausdruck gegeben.

Einteilung

Wir machen da Rast, wo der Verfasser oder der Komponist der Musik die Pausen angedeutet hat, nämlich bei den Sela.

Auslegung

2. Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth!
3. Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des HERRN;
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
4. Denn der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken:deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott.
5. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
die loben dich immerdar. Sela.


2. Wie lieblich sind deine Wohnungen! Der Psalmdichter sagt uns nicht, wie lieblich sie sind; denn das konnte er nicht. Seine Ausdrucksweise zeigt uns, dass seine Gefühle unaussprechlich waren. Lieblich für Gedächtnis, Gemüt, Herz und Auge, für die ganze Seele sind die Versammlungen der Heiligen. Die Erde bietet keinen herzerquickenderen Anblick als die gottesdienstlichen Zusammenkünfte der Gläubigen. Das sind traurige Heilige, die in den Gottesdiensten des Hauses des HERRN nichts Liebliches sehen. Deine Wohnungen. Der Tempel bestand aus verschiedenen Räumen und Baulichkeiten, daher vielleicht die Mehrzahl hier (und im Grundtext noch an manchen anderen Stellen, 43,3; 46,5 usw.). Das ganze Heiligtum war dem Psalmisten lieblich. Ob er sich im Geiste in den äußern oder den inneren Vorhof versetzte, ob er des Heiligen oder des Allerheiligsten gedachte - er liebte jeden Teil des heiligen Baues; ja, jeder Balken, jede Säule war ihm teuer. Auch als er in der Ferne weilte, war es ihm eine Lust, des Heiligtums zu gedenken, in dem Jehova sich offenbarte, und er frohlockte laut, da er sich die weihevollen Gottesdienste mit den feierlichen Handlungen vor Augen stellte, wie er sie in vergangenen Zeiten geschaut hatte. Weil sie deine Wohnungen sind, HERR Zebaoth, darum sind sie deinem Volke so lieb. Dein Gezelt ist der Mittelpunkt des Heerlagers deiner Diener, um das sie sich alle sammeln und zu dem ihrer aller Augen gerichtet sind, wie irdische Heere nach dem Zelt ihres Königs schauen. Du beherrschest die mannigfaltigen Scharen deiner Geschöpfe mit solcher Güte, dass alle ihre Legionen deinen Herrschaftssitz lieben, und die Fähnlein deiner Gläubigen namentlich grüßen dich mit freudiger Ergebenheit als den HERRN der Heerscharen.

3. Meine Seele verlanget - sie schmachtet danach, mit den Frommen im Hause des Herrn zusammenzukommen. Der Psalmist war von tiefer, durch nichts zu beschwichtigender Sehnsucht ergriffen; seine innerste Seele begehrte nach seinem Gott. Und sehnet sich, wörtl.: verzehrt sich vor inbrünstigem Verlangen, als könnte sie es nicht länger aushalten, als müsste sie vergehen, wenn sich die Erfüllung ihres Verlangens noch mehr verzögerte. Heilige Liebessehnsucht brannte in ihm; er ward von einer innerlichen Schwindsucht verzehrt, weil es ihm versagt war, an der Anbetung Jehovas an der von Gott dazu bestimmten Stätte teilzunehmen. Nach den Vorhöfen des HERRN. Ach, dass er wieder in den heiligen Hallen stehen dürfte, die der Anbetung des einen wahren Gottes geweiht waren! Treue Untertanen lieben die Vorhöfe ihres Königs. Mein Leib und Seele (wörtl.: mein Herz und mein Fleisch) jubeln dem lebendigen Gott zu (Grundtext) oder, wie etliche übersetzen: schreien nach dem lebendigen Gott.3 Nach Gott selber, dem einzig lebendigen und wahren Gott, schmachtete er. Sein ganzes Wesen ward von dem Sehnen ergriffen. Selbst das erdkalte Fleisch wurde warm durch die heftige Erregung seines brünstigen Geistes. Das ist ja selten der Fall, dass sich unser Fleisch nach der rechten Richtung hinneigt; aber in Bezug auf die Gottesdienste des Sabbattages kommt der müde Leib doch oft unserm verlangenden Herzen zu Hilfe, indem er ebenso sehr nach der physischen Ruhe verlangt wie die Seele nach der geistlichen Erquickung. Der Psalmist konnte seine Sehnsucht nicht still im Herzen verbergen, sondern er fing an, nach Gott und Gottes Haus zu rufen; er weinte, seufzte und flehte um Gewährung dieses Vorrechts. Manche müssen gleichsam mit der Rute zur Kirche gepeitscht werden, während der Psalmist hier nach dem Hause Gottes schreit. Es bedurfte für ihn keines Geläutes vom Glockenstuhl, ihn zur Kirche zu rufen; er trug die Glocke in seinem eigenen Busen. Gesunder Seelenhunger ladet besser zum Gottesdienst als das feinste Glockenspiel.

4. Denn der Vogel hat ein Haus gefunden. Er beneidete die Sperlinge, die am Hause Gottes wohnten und die verstreuten Brotsamlein in den Vorhöfen aufpickten; sein heißer Wunsch war, dass er doch auch die heiligen Hallen besuchen und nur ein wenig himmlische Speise hinwegtragen dürfte. Und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken. Er beneidete auch die Schwalben, die ihre Nester unter dem Dach der Priesterwohnungen bauten, die da eine Ruhstätt hatten für ihre Jungen wie auch für sich selber. Wir freuen uns nicht nur über die uns zur eigenen Erbauung gebotenen Gelegenheiten, sondern ebenso sehr über den großen Segen, dass wir auch unsre Kinder zum Heiligtum mitnehmen dürfen. Die Gemeinde des HERRN ist ein Haus für uns und ein Nest für unsre Kleinen. Deine Altäre, HERR Zebaoth. Sogar an den Altar kamen diese freien Vöglein; niemand konnte sie daran hindern, und wer hätte das auch tun wollen? Ach, dass er, der Psalmdichter, auch so frei wie sie kommen und gehen könnte! Man merke, dass der Dichter den gebenedeiten Namen Jehova Zebaoth wiederholt; er fand in ihm eine Süßigkeit, die ihm den Hunger seiner Seele ertragen half. Vielleicht war David damals beim Heer und betonte darum so nachdrücklich diesen Gottesnamen, der ihm die tröstliche Wahrheit vor die Seele führte, dass der HERR auf dem von Kriegszelten bedeckten Kampfesfelde ebenso wahrhaft gegenwärtig war wie hinter dem heiligen Vorhang. Mein König und mein Gott. In diesen Worten bringt er aus der Ferne seinem göttlichen König die Huldigung seines Herzens dar. Ob er jetzt auch nicht am Hofe weilen darf, liebt er den König doch. Ist er ein Verbannter, so doch kein Empörer. Wenn wir auch nicht in Gottes Haus sitzen dürfen, so soll Gott doch einen festen Platz in unserm Gedächtnis und einen Thron in unserm Herzen haben. Das zweifache "mein" ist sehr köstlich; der Psalmist hält seinen Gott mit beiden Händen fest, entschlossen, ihn nicht loszulassen, bis er ihm die erbetene Gunst endlich gewährt.

5. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen. Das sind ihm hochbegnadigte Leute, die stets am Dienste Gottes beschäftigt sind - die Stiftsherren, aber nicht nur sie, auch die Küster und die geringsten Kirchendiener, welche fegen und abstauben. Das Haus Gottes zu besuchen ist schon erquickend; aber die heilige Gebetsstätte zur Heimat haben, das muss der Himmel auf Erden sein. Gottes Hausgenossen zu sein, die Gastfreundschaft des Himmels auf Erden zu genießen, ausgesondert zu sein zum eiligen Dienst, beschirmt vor dem Lärm der Welt und in stetem vertrauten Umgang mit den heiligen Dingen - wahrlich, das ist das lieblichste Los, das einem Menschenkinde hienieden zufallen kann. Die loben dich immerdar. Wer Gott so nah ist, dessen Leben muss Anbetung sein. Wie könnten Herz und Mund solcher begnadigten Leute je aufhören Gott zu preisen! Wir fürchten freilich, der Dichter habe hier eher ein Bild dessen entworfen, wie es sein sollte, als wie es wirklich ist. Denn diejenigen, welche täglich mit den zur öffentlichen Gottesverehrung nötigen Diensten betraut sind, zählen nicht immer zu den Frömmsten; im Gegenteil gilt oft das Sprichwort: Je näher bei er Kirche, desto weiter von Gott. Aber im rechten, geistlichen Sinne verstanden, sind die Worte vollkommen wahr; denn diejenigen Kinder Gottes, welche im Geist allezeit im Hause des Herrn weilen, sind auch stets des Preises Gottes voll. Die Gemeinschaft mit Gott hat die Anbetung zur Tochter.
Sela. Bei einer solchen Beschäftigung könnten wir ohne Aufhören bleiben. Es ist der Mühe wert, dass wir eine Weile still über die selige Aussicht nachsinnen, in alle Ewigkeit bei Gott wohnen und ihn preisen zu dürfen.

Fußnoten
1. Man vergl. jedoch hierzu die 1. Fußnote zu Ps. 42.

2. Thomas Becket, ermordet 1170, der berühmte Märtyrer des englischen Ultramontanismus.

3. Nnr heißt zunächst schreien überhaupt, vergl. Spr. 1,20; 8,3. Es wird im piel allerdings immer vom freudigen Aufschreien gebraucht; doch heißt das kal Klgl. 2,19 Klageschreie ausstoßen. (Man vergl. hfn/ri Freuden und Klagegeschrei.) Nnr könnte also doch nach der Parallele des 1. Versgliedes, und besonders da es hier, wie sonst die Verba des Sehnens, mit ... konstruiert ist (Hupf.) auch als klagendes Rufen der Sehnsucht gedeutet werden. De Wette deutet es an unserer Stelle mit psychologischer Feinheit: zu jemand hin jubeln mit Sehnsucht. - Aber sind die beiden Vershälften überhaupt als Schilderungen gleichzeitiger Seelenbewegungen zu fassen? Es liegt doch näher, mit Beachtung des Tempuswechsels nach Bäthgen zu übersetzen: Meine Seele hat geschmachtet und sich verzehrt nach den Vorhöfen des HERRN (als ich noch fern war). Mein Herz und Leib jubeln (aber jetzt) dem lebendigen Gott zu. Damit verändert sich die ganze Auffassung des Psalms. Sehr natürlich schließt sich dann V. 4 an. Mit Vogel und Schwalbe bezeichnet der Sänger dann bildlich unmittelbar sich selbst.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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6. Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln,
7. die durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen.
Und die Lehrer werden mit viel Segen geschmückt.
8. Sie erhalten einen Sieg nach dem andern,
dass man sehen muss, der rechte Gott sei zu Zion.
9. Herr, Gott Zebaoth, höre mein Gebet;
vernimm’s Gott Jakobs! Sela.


6. Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten. Nachdem der Dichter von der Glückseligkeit derer geredet hat, die im Hause Gottes wohnen, spricht er nun von denjenigen, welchen es vergönnt ist, das Heiligtum zu bestimmten Zeiten zu besuchen, wenn sie mit ihren Glaubensbrüdern die Wallfahrt nach Jerusalem machen. Doch dehnt er seine Seligpreisung nicht unterschiedslos auf alle Festpilger aus, sondern redet nur von denen, die von Herzen an den heiligen Festen teilnehmen. Die Segnungen des Hauses Gottes werden halbherzigen, gleichgültigen und gedankenlosen Kirchenbesuchern nicht zuteil, sondern nur solchen, die sich mit ganzer Seele und allen Kräften am Gottesdienste beteiligen. Weder Gebet noch Gesang noch das Hören des göttlichen Wortes wird solchen Kirchgängern, die ihr Herz nicht mitgebracht haben, lieblich und nützlich sein. Eine Gesellschaft von Festpilgern, die ihre Herzen daheim gelassen haben, würde nicht besser sein als eine Karawane von Leichnamen, ganz unfähig, sich mit lebendigen Gotteskindern in der Anbetung des lebendigen Gottes zu vereinigen. Und von Herzen dir nachwandeln. So deutet Luther die etwas schwer verständlichen Worte des Grundtextes: Bahnen (eigentl. Hochstraßen) in ihren Herzen, indem er unter den "Bahnen" oder "Straßen" die Wege Gottes versteht. Das sind in der Tat selige Leute, die Gottes Wege im Herzen haben, also Gottes Gebote lieben. - Eine andre Deutung, die weniger gezwungen, aber auch nicht sicher ist, versteht unter den gebahnten Straßen die nach Jerusalem führenden. Man übersetzt dann etwa: Wohl den Menschen, die in dir Kraft finden, wenn sie (behufs der Pilgerfahrt) Straßen (nach Jerusalem) im Sinne haben: solche werden alle Hindernisse, Beschwerden und Gefahren der Wanderung überwinden. Die folgenden Verse passen gut zu dieser Deutung. - Haben wir auch unser Angesicht gewendet, zu wandeln nach Jerusalem? Dann lasst uns auch die Kraft zu dieser unsrer Lebenswallfahrt täglich aufs Neue beim HERRN suchen.

7. Durch das Tränental4 gehend, machen sie es zum Quellort. (Grundtext) Indem sie voll frohen Glaubensmutes die Straße zum Heiligtum hinaufzogen, fanden die glücklichen Pilger selbst auf der ödesten Strecke des Weges Erquickung. Und zwar ist es ihr Glaube, der die öde Wüste zum Quellort macht. "Was nach anderen Stellen der Schrift (Jes. 35,7; 41,18)" sagt Delitzsch, "die Allmacht Gottes wirkt, der sein Volk gen Zion heimführt, das erscheint hier als Wirkung der Glaubensmacht derer, welche, das gleiche Wanderziel im Auge, das unfruchtbare Tal durchziehen." Das Jammertal wird ihnen zu einer lieblichen Oase, an deren klarem Quell sie ihren Durst löschen und sich lagern, um auszuruhen und miteinander liebliche Gespräche zu führen. So lässt der Glaube auch uns, die wir nach dem Himmel wallen, manche labende Quelle mitten im Tränental aufsprudeln; wir trinken am Born der göttlichen Verheißungen, lagern uns im brüderlichen Kreis um das frische süße Wasser und reden miteinander von den unaussprechlichen Freuden und Erquickungen, die unser in der Gottesstadt warten. Die Wallfahrt nach Zion bietet Freuden, welche uns die Beschwerden des Weges ganz vergessen lassen. Auch deckt es ein Frühregen mit Segen. (Grundtext) "Nicht allein", sagt Delitzsch schön, "dass ihr Glaube Wasser aus Sand und Gestein der Wüste schlägt, Gott kommt auch seinerseits ihrer Liebe liebend, ihrer Treue lohnend entgegen: ein milder Frühregen, das ist ein solcher wie der im Herbst die Saaten erfrischende, fällt von oben hernieder und hüllt das öde Tal in Segensfülle ein; die dürre Steppe prangt in blumenreichem Festgewande (Jes. 35,1 f.), nicht in äußerer, aber für sie in nicht minder wahrer geistlicher Wirklichkeit." So wird auch uns manch rauer Weg durchs Tränental zu einem lieblichen Gang durch grüne Auen.

8. Sie wandeln von Kraft zu Kraft. (Grundtext) Statt wie andre Wanderer ihre Kräfte zu verbrauchen und zu ermatten wallen sie mit immer gesteigerter Kraft dem Ziele zu. Jeder Einzelne wird immer frischer und fröhlicher beim Wandern, jede Pilgergesellschaft schreitet immer rüstiger aus, jedes Lied, das sie anstimmen, klingt immer lieblicher und voller. Wenn wir dem Himmel zustreben, wachsen uns Wanderlust und Wanderfrische, je näher wir dem Ziele kommen. Wenn wir unsre Kraft auf Gottes Wegen verbrauchen, werden wir erfahren, dass sie stets verjüngt und vermehrt wird. Sie erscheinen vor Gott zu Zion. Sie erreichen alle glücklich das Ziel. Zion ist der Sammelpunkt, wo alle sich vereinigen; dort wandelt sich die heilige Sehnsucht aller in Wonne seligen Genusses. Nicht nur an der Versammlung der Volksgenossen teilzunehmen, sondern vor Gott zu erscheinen, war der Zweck, den jeder wahre Israelit im Auge hatte, wenn er nach Jerusalem zog. Wollte Gott, es wäre das auch das aufrichtige Verlangen aller derer, die sich in unseren Tagen zu religiösen Zusammenkünften vereinigen! Wenn wir uns nicht der Gegenwart Gottes bewusst werden und aus ihr Nutzen ziehen, so haben wir mit dem "Gottesdienst" nur Zeit versäumt; das bloße Zusammenkommen hat nicht den mindesten Wert.

9. HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet! O gewähre mir’s, dass ich zum Hause Gottes hinaufziehen dürfe; und kann das nicht sein, so lass doch wenigstens mein Flehen zu deinem Heiligtum dringen! Du achtest ja auf die vereinigten Gebete deiner Heiligen; aber verschließe doch auch meinem einsamen Flehen nicht dein Ohr, so unwürdig ich bin! Vernimm’s, Gott Jakobs! Wiewohl du der Herr der Heerscharen bist, bist du doch auch der Bundesgott einsamer Beter, wie Jakob einer war; so lausche denn auf mein klägliches Flehen! Ich ringe hier allein mit dir, während die Festscharen deines Volkes das Glück deines Hauses genießen; ich bitte dich, segne mich, denn ich bin entschlossen, dich nicht zu lassen, bis du meiner Seele das Wort der Gnade zusprichst. Dass der Psalmist das Begehren nach einer Antwort auf sein Gebet wiederholt, zeigt an, wie dringend er nach Gottes Segen verlangt. Welche Gnade ist es, dass wir, auch wenn es uns nicht vergönnt ist, uns mit Gottes Knechten und Mägden zu versammeln, doch mit deren Meister reden können!
Sela. Ein Aufatmen tut Not nach einer so dringenden Bitte.

10. Gott, unser Schild, schaue doch;
siehe an das Antlitz deines Gesalbten!
11. Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend.
Ich will lieber der Tür hüten in meines Gottes Hause
denn wohnen in der Gottlosen Hütten.
12. Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild,
der HERR gibt Gnade und Ehre;
er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
13. HERR Zebaoth,
wohl dem Menschen, der sich auf dich verläßt!


10. Gott, unser Schild, schaue doch; siehe an das Antlitz deines Gesalbten! Dieser Vers ist ein Gebet Israels für David oder den auf Davids Thron sitzenden Gesalbten Gottes und ein Gebet der Gläubigen aller Zeiten für den wahren Davidssohn. Wenn Gott nur auf unseren Herrn Jesus sieht, so sind wir vor allem beschützt, das uns schaden könnte. Sieht Gott das Antlitz seines Gesalbten an, so werden wir imstande sein, auch sein Antlitz mit Freuden anzublicken. Auch wir sind durch Gottes Gnade Gesalbte des HERRN, und unser Wunsch ist, dass er uns in Christus Jesus mit liebendem Auge anblicke. Unsre besten Gebete sind diejenigen, welche unseren glorreichen König und den Genuß der Huld seines erhabenen Vaters zum Gegenstand haben.

11. Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend. Und ob wir alle Genüsse, welche die Erde zu bieten vermag, in vollen Zügen unter den denkbar günstigsten Umständen auskosten könnten, sind sie doch auch nicht im Verhältnis von tausend zu eins zu vergleichen mit den Freuden, welche der Dienst Gottes gewährt. Des HERRN Liebe schmecken, sich des Heilands freuen, den seine Gnade uns zum König gesalbt hat, die Verheißungen im Glauben beschauen, die Kraft fühlen, mit der der Heilige Geist die kostbare göttlich Wahrheit dem Herzen nahebringt - das alles sind Freuden, für welche Weltmenschen kein Verständnis haben, welche wahren Gläubigen aber unaussprechlich köstlich sind. Ja, ein Blick in Gottes Liebe ist besser als ein ganzes Menschenleben, verbracht in sinnlichen Vergnügungen. Ich will lieber der Tür hüten (wörtl.: an der Schwelle liegen oder stehen) in meines Gottes Hause denn wohnen in der Gottlosen Hütten. Die geringste Stellung in Verbindung mit dem Haus des HERRN ist besser als der höchste Stand unter denen, die ohne Gott dahinleben. Wenn wir nur an der Schwelle des Heiligtums stehen und einmal einen Blick hineinwerfen dürften, um Jesus zu sehen, so wäre das schon Wonne. Für den HERRN Holz und Wasser tragen, wie die Gibeoniten (Jos. 9,27), oder die Tür öffnen, ist eine größere Ehre als unter den Gottlosen als König herrschen. Jedermann hat seine Liebhaberei; nun wohl, dies ist die unsre. Die geringste Stelle in Gottes Dienst ist noch immer besser als die beste im Dienst des Teufels. Auf Gottes Türschwelle läßt es sich süßer ruhen als auf dem weichsten Daunenkissen in Königsschlössern, wo die Sünde wohnt, ob wir da auch ein ganzes Leben lang schwelgen dürften. Man beachte, wie der Psalmdichter das Heiligtum nennt: meines Gottes Haus. In diesem mein liegt die Süßigkeit. Ist Jehova unser Gott, dann wird uns sein Haus, sein Altar, seine Türschwelle, alles köstlich. Wir wissen aus Erfahrung, dass es außen vor einem Hause, wo Jesus drinnen weilt, noch immer besser ist als in den prunkvollsten Gemächern, wo der Sohn Gottes nicht zu finden ist.

12. Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild. Pilger brauchen dies beides, je nach den Umständen; denn die Kälte würde sie lähmen, wenn die Sonne keine Wärme ausstrahlte, und Feinde möchten der Karawane auflauern und sie wohl gar vernichten, wenn der Schild sie nicht schützte. Wenn wir dem Himmel zuwandern, werden wir weder der Erquickung noch des Schutzes ermangeln. Als Israel durch die Wüste zog, hatte es beides, Sonne und Schild, in der feurigen Wolke, welche das Sinnbild der Gegenwart Jehovas war; und auch der Christ findet noch heute beides, Licht und Schutz, in dem HERRN, seinem Gott. Der HERR ist uns eine Sonne für Zeiten des Glücks, ein Schild für Zeiten der Gefahr. Eine Sonne von oben, ein Schild rings umher. Ein Licht, das uns den Weg zeigt, und ein Schild, der die Gefahren, die auf dem Wege drohen, abwehrt. Wohl denen, die mit solchem Geleit reisen; die sonnige und die dunkle Seite des Lebens sind ihnen gleich heilvoll. Der HERR gibt Gnade und Ehre, beides zu seiner Zeit, wie wir es bedürfen, beides in vollem Maße, beides mit unbedingter Gewissheit. Der HERR hat Gnade und Ehre oder Herrlichkeit in unbegrenzter Fülle; Jesus ist beides, voller Gnade und voller Herrlichkeit, und wir werden als sein auserwähltes Volk auch beides als freie Gabe von dem Gott unsers Heils empfangen. Was kann der HERR Größeres geben oder wir je erlangen oder begehren? Er wird kein Gutes mangeln lassen denen, die unsträflich wandeln. (Grundtext) Die Gnade wirkt es in uns, dass wir unsträflich wandeln, und dieses wiederum sichert uns alle versprochenen Segnungen. Wie umfassend ist diese Verheißung! Wohl mag uns dies und jenes, das uns gut dünkt, vorenthalten werden, aber nichts, das wirklich gut ist, auch nicht ein einziges wahres Gut. "Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes." (1. Kor. 3,22 f.) Gott hat alles Gute, es gibt nichts Gutes abgesondert von ihm, und es gibt nichts Gutes, das er für sich zurückbehalten müsste oder uns aus irgendeinem Grunde versagen wird, wenn wir nur bereit sind es zu empfangen. Wir müssen aufrichtig sein und uns keinerlei Bösem zuneigen; und diese Aufrichtigkeit der Gesinnung muss im Leben betätigt werden: wir müssen in Wahrheit und Heiligkeit wandeln, dann werden wir Erben sein über alles, und wenn wir das mündige Alter erreicht haben, wird auch alles in unserm tatsächlichen Besitz sein. Und schon mittlerweile wird der HERR uns je nach unsrer Fähigkeit zu empfangen Gutes austeilen. Dies gilt nicht von einigen wenigen Bevorzugten, sondern von allen Gläubigen.

13. HERR Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verläßt! Hier ist der Schlüssel zu dem Psalms. Der Gottesdienst, von welchem der Psalm redet, ist der des Glaubens, und das Glück des Hauses Gottes ist nur den Gläubigen bekannt. Keiner, der Gott nur mit den Lippen ehrt, kann in dies Geheimnis eindringen. Es muss jemand den HERRN im lebendigen Glauben kennen, sonst kann er weder an Gottes Anbetung noch an seinem Hause, seinem Heile oder seinen Verordnungen und Wegen Wohlgefallen und Herzensfreude haben. Wie steht es mit deiner Seele, lieber Leser?

Fußnote
4. Wörtl.: Das Baka-Tal. )kb ist entweder gleich hkb Weinen, so dass mit allen Alten Tränental (vergl. Luther: Jammertal) zu übersetzen wäre, oder es ist der Singular My)kb von 2. Samuel 5,23 f. und Name eines Balsambaumes, der wohl ebenfalls mit Anspielung auf ......., Weinen, so genannt ist (Tränenbaum), weil er das Balsamharz gleichsam weint. Der Balsam wächst meist in dürren Tälern (wiewohl auch in dem fruchtbaren Rephaimtal westlich von Jerusalem, 2. Samuel 5,22 ff.); daher wäre hier das Balsamtal typische Bezeichnung eines dürren Tales. - Der Name bezeichnet ohne Zweifel eine bestimmte, von uns nicht mehr sicher nachzuweisende Örtlichkeit; doch will der Dichter jedenfalls sagen: Auch wenn die Pilger durch ein Tal, wie dieses ist, ziehen, machen sie es zum Quellort.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Dass die Kinder Korah eine Ehrenstellung in Gottes heiligem Dienst einnehmen, daran sehen wir, allen gottesfürchtigen Kindern zum Trost, das Wort des HERRN bewahrheitet, dass der Sohn nicht die Missetat des Vaters tragen solle, wenn er nicht also tue wie sein Vater (Hes. 8,14.17.20). Thomas Pierson † 1633.

Zum ganzen Psalm vergl. man die schöne Nachbildung von Matthias Jorissen († 1823): "Wie reizend schön, HERR Zebaoth usw."

Die meisten Ausleger halten den Psalm für ein Pilgerlied, bestimmt, bei oder nach der Wallfahrt zu einem der drei großen Feste gesungen zu werden. Dabei sind aber verschiedene Auffassungen möglich. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob man das Sehnen und Schmachten nach dem Heiligtum des HERRN, das der Psalmist V. 3a schildert, mit Luther (und Spurgeon und vielen andern) in die Gegenwart legt, oder ob man die Perfekta des Grundtextes V. 3a von der Vergangenheit deutet, wozu dann V. 3b. 4 als Schilderung der Gegenwart in Gegensatz treten. (Vergl. die 3. Fußnote S. 725.) - Keßler (1899) meint, der Psalm sei überhaupt kein Pilgerlied. Diese Auffassung sei namentlich durch "gebahnte Straßen" V. 6 hervorgerufen, wofür wohl mit Hupfeld nach dem Targum, Vertrauen, zu lesen sei. V. 4 spreche deutlich gegen die Auffassung des Psalms als Pilgerlied. Der Dichter halte sich überhaupt nicht bloß vorübergehend in Jerusalem auf, sondern gedenke dauernd dort zu bleiben. Aber allerdings habe er eine Zeit des Fernseins von Zion hinter sich, wo er unter Frevlern V. 10 weilen musste. Der Psalm handle von der Rückkehr eines Verbannten. Man vergl. den folgenden Absatz, welcher die Grundgedanken des Psalms von diesem Gesichtspunkt aus wiedergibt. - James Millard

Zum ganzen Psalm. Einst fern vom Hause Gottes, hat der Dichter nunmehr seines Herzens Sehnsucht stillen können und weilt nun fröhlich im zionitischen Heiligtum, das seiner Seele Heimat ist (V. 2-4). Indem er das Glück solcher preist, die ständig hier wohnen dürfen, erinnert er sich derer, die, wie er selbst, nicht immer dieses Glück, wohl aber im Vertrauen auf Jahve dessen segnende Hilfe auch im Leide erfahren durften; solche gelangen schließlich doch nach Zion (V. 5-8). Es folgt ein - wohl beim Heiligtum gesprochenes - Gebet für den König (V. 9.10) und dann nochmals ein Ausbruch inniger Freude über die Heilsgüter, welche jedem zuteil werden, der Jahve nahe bleibt (V. 11-13). Lic. Hans Keßler 1899.

Die drei Strophen des Psalms, deutlich durch Sela V. 5.9 bezeichnet, sind so miteinander verknüpft, dass jeweilen der Schlußgedanke der einen Strophe in der folgenden wieder angenommen und frei weiter ausgeführt wird. Vergl. V. 5.6 und V. 9.10. G. T. 1882.

V. 2. Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth! Was die Stiftshütte lieblich machte war nicht das Äußere, denn das war sehr gering, gerade wie die Gemeinde Gottes dem Äußern nach unansehnlich ist, sondern das, was darinnen war, die mancherlei goldenen Geräte, die Opfer, der Dienst der Priester und Leviten, und dies alles wiederum nicht in seiner äußeren Herrlichkeit für Auge und Ohr, sondern in seiner Innerlichkeit, seiner sinnbildlichen und vorbildlichen Bedeutung. John Gill † 1771.

V. 3. Meine Seele schmachtet und verzehrt sich usw. Nicht alles, was lieblich ist, ist es in dem Grade, dass wir darob von sehnsüchtigem Verlangen ergriffen werden, und nicht jede Sehnsucht bringt uns zum Verschmachten. So merke denn, wie lieblich die Wohnungen des HERRN mir sind, dass sie meine Seele mit so tiefer Sehnsucht erfüllen! Ja, wenn mir das angeboten würde, was Christus einst vor Augen geführt wurde, dass ich alle Königreiche der Welt und alle ihre Herrlichkeit haben und genießen soll unter der Bedingung, dass ich dann nimmer die Wohnungen des HERRN betreten sollte, so würde diese Entbehrung meine Seele mit tieferem Schmerz erfüllen, als alle jene Genüsse mir Freude bereiten könnten. Sir Richard Baker 1640.

In dem lebendigen Gott. So wird Gott in den Psalmen nur noch in der ähnlichen Stelle Ps. 42,3 genannt; außerdem noch zweimal, Jos. 3,10 und Hos. 1,10 [2,1] J. J. Stewart Perowne 1864.

V. 4. Der Vogel hat ja ein Haus gefunden usw. Der Sinn ist: Obwohl ein schwaches Vögelein (als besitzloser Levit), habe ich doch, und zwar nicht bloß für mich, sondern auch für die Meinen ein Haus usw., nämlich deine Altäre, gefunden. Dass sich der Hebräer geradezu als einen Vogel bezeichnet, ist bei der üblichen Tiersymbolik nicht ungewöhnlich. Vergl. 1. Samuel 24,15; 26,20; Ps. 11,1; 74,19. Übrigens standen ganz besonders die Vögel im Schutze der Gottheit, vergl. Herodot I, 159. - Kommentar von Prof. Fr. W. Schultz 1888.

In den Tempeln der Alten nisteten Vögel, ja sie wurden sogar gehegt, selbst bei den Arabern. Der salomonische Tempel wird keine Ausnahme gemacht haben, da es ohnehin schwer ist, Sperlinge und Schwalben von Gebäuden abzuhalten. Die Stacheln, die auf dem Dache des zweiten Tempels angebracht waren, sind wahrscheinlich nicht auf dem salomonischen Tempel gewesen, und wenn auch, so konnten sie das Nisten der Vögel nicht hindern. Prof. Wilhelm Martin Leberecht de Wette 1836.

Dass die Ausdrücke nicht im eigentlichen Sinn zu verstehen sind von den im Tempel und auf den Altären nistenden Vögeln, zeigt der Ausdruck Haus; auch bemerkt Kimchi († um 1235) mit Recht, dass die Vögel wegen der Verunreinigung im Tempel nicht geduldet sein würden. - hyxrp) (ihre Jungen) deutet Rabbi Arama wohl zu speziell auf die hnIfhuk: yx"r:pIi, d. i. die Söhne der Priester, welche sich beständig beim Tempel aufhielten wie die Vögel im Nest. - Kommentar von Prof. Frdr. Bäthgen 1892.

Der Psalm spielt hier in lieblicher Weise auf die Fürsorge Gottes auch für die geringsten seiner Geschöpfe an. Er bewundert diese Fürsorge mit Herzenswonne. Gott läßt, hat jemand schön gesagt, auch den wertlosesten Vogel ein Haus und den ruhelosesten Vogel ein Nest finden. Welche Zuversicht und Seelenruhe sollte uns dies geben! Sperling und Schwalbe kennen den nicht, dessen Fürsorge sie genießen; du aber, meine Seele, lass dir nicht an den Wohltaten Gottes genügen, sondern freue dich in dem lebendigen Gott, genieße seine Gemeinschaft! Altes und Neues 1866.

Deine Altäre ist ein dichterischer Ausdruck für: dein Tempel. Man hat im Ernst darauf hingewiesen, dass Vögel doch auf dem Altar keine Nester hätten bauen können oder dürfen. Aber diese Ausdrucksweise, die einen Teil für das Ganze setzt, ist doch gebräuchlich genug. Wir sagen: "Da geht ein Segel." Was würden wir von jemand denken, der einwerfen würde, ein Segel könne doch nicht gehen? Übrigens mag auch daran erinnert werden, dass in dem Gebiet des Heiligtums wahrscheinlich Bäume wuchsen. J. J. Stewart Perowne 1864.

Als Hieronymus sich mit einer Anzahl Gleichgesinnter in Bethlehem niedergelassen hatte, da überkam sie ein heimatliches Gefühl, das ihre Herzen mit süßer Wonne erfüllte beim Gedanken an das nun endlich erreichte Ziel ihre Sehnens und Hoffens, ein Gefühl, das sie einzustimmen trieb in den frohlockenden Ruf des Psalmisten: Der Vogel hat usw. Prof. O. Zöckler 1865.

Mit diesen Psalmworten: Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken, erhob am 17. Juni des Jahres 1722 der Zimmermann Christian David seine Axt und führte den ersten Streich gegen einen Baum auf dem Hutberge, als die Ankömmlinge, Reste der alten böhmischen und mährischen Brüderkirche, dort den Bau des ersten Hauses beginnen wollten. Daraus ist Herrnhut geworden. Nach David Cranz 1722.

V. 5. Was dem Psalmisten dies Haus so lieb und wert machte, war die Gegenwart Gottes. Er begehrte, allezeit in Gottes Gemeinschaft zu weilen, sein ganzes Leben mit Gott zuzubringen. Und warum sollte diese Gesinnung in den helleren Tagen des Evangeliums als etwas Unerreichbares angesehen werden? Träge Mutlosigkeit und der niederträchtige Betrug, dass es bescheiden sei, sich kein so hohes Ziel zu setzen, entkräftet unser geistliches Leben und erstickt alle edlen, hochherzigen Wünsche. John Howe † 1705.

Die loben dich immerdar. Es ist sonst doch selten, dass Knechte so darauf aus sind, ihren Meister zu loben. Ja, liebe Seele, die Ursache ist nicht sowohl das gute Gemüt der Knechte, als vielmehr die unermessliche Würdigkeit dieses Meisters. Wenn die Knechte Gottes sehen, wie weise er regiert, wie leutselig und fürsorglich er alles einrichtet, wie er sie mehr als Kinder denn als Knechte behandelt - welches Herz könnte dann so undankbar sein, dass es diesen Herrn nicht lobte? Und da die, welche in Gottes Haus wohnen, beständig diese Dinge vor Augen haben, ist es natürlich, dass sie den HERRN auch beständig preisen. Sir Richard Baker 1640.

Ihr Herz ist ja voller himmlischer Freuden, ihr Gewissen voll göttlichen Trostes. Im Tempel des Heiligen Geistes kann die Musik nimmer schweigen. John Trapp † 1669.

V. 6. In deren Herzen Straßen sind, d. i. die die Wege lieben, die zu deinem Hause führen. Ernest Hawkins 1859.

Es liegt doch am nächsten, die ohne Artikel erwähnten Bahnen nicht konkret und speziell zu fassen, überhaupt nicht auf die Wege zu Gott und seinem Hause, sei es im sinnlichen oder geistlichen Verstande, zu beziehen, sondern so allgemein, wie es ausgedrückt ist, von Mitteln und Wegen, durch welche innerhalb des Herzensgebietes die Zuführung der Kraft (V. 6a) von Gott zu dem Menschen bewirkt wird, zu verstehen, und nicht sowohl Jes. 40,3, als besonders Ps. 50,13 zu vergleichen. General-Sup. K. B. Moll † 1878.

Das natürliche Herz ist eine pfadlose Wildnis voller Klüfte und Abgründe. Wenn das Herz durch die Gnade erneuert wird, wird ein Weg gemacht, eine Hochstraße gebahnt für unseren Gott. Jes. 40,3 f. Frederik Fysh 1850.

V. 7. Das Baka-Tal. Man vergleiche Bochim Richt. 2,1.5 und Bekaim 2. Samuel 5,24. Beides wird von den LXX mit Klauqmw/n, Ort der Tränen, übersetzt. Merkwürdig ist noch, wenn man den Psalm mit etlichen Erklärungen in die Zeit Josaphats verlegt, dass das Tal, in welchem sich Josaphats Heer nach dem Sieg über die Moabiter und Ammoniter versammelte und den HERRN lobte oder segnete, daher den Namen das Lobetal, Tal der Beraka, erhielt. (2. Chr. 20,26, vergl. V. 21 f.) Vielleicht haben wir in Berakot (Segen) V. 7 b hier eine Anspielung darauf und hieß eben jenes Tal, das hernach Beraka-Tal, Lobetal, genannt wurde, vordem Bakatal, Tränental. Richard Dixon 1811.

)kbh qm(, muss wegen des Artikels Eigenname sein und kann nicht wie 23,4 twmlc)yg (finsteres Tal) verstanden werden, obgleich diese Stelle in andrer Beziehung eine treffende Parallele bildet. Jedoch ist die Lage dieser Örtlichkeit nicht mehr sicher nachweisbar. Alle Alten übersetzen "im Tal des Weinens", wie auch die Massora noch erklärt. Theodoret kombiniert dies mit der Ortschaft Bochim (LXX Klauqmw/n) Richter 2,1-5 auf dem Wege von Gilgal bei Jericho nach Bethel. Das Tal konnte seinen Namen führen wegen der Gefahren, die mit dem Passieren verbunden waren, wie Bab el Mandeb = Tor der Todesklage. Auf dem Wege von Jericho nach Bethel zur Rechten von Wady Nawacime musste Robinson am Rande fürchterlicher Abgründe entlanggehen; der Landstrich bot den Anblick einer furchtbaren Wüste: "Es war eine der wahrhaftigsten Wüsten, welche wir bis jetzt besucht hatten." (Hitzig.) Der Dichter will sagen: Auch wenn die Pilger durch ein Tal, wie dies ist, ziehen, so usw. Die meisten Neueren stellen den Namen mit den 2. Samuel 5,24 zusammen und übersetzen "Balsamtal ". Da die Balsamstaude nur auf dürrem Boden wächst, so wäre der Ausdruck eine typische Bezeichnung öder Gegenden. Mir scheint diese Erklärung nicht so viele Vorzüge zu haben, um ihretwegen in Gegensatz zu der gesamten alten Tradition treten zu müssen, zumal da es sehr zweifelhaft ist, ob die My)kb im Tal Rephaim westlich von Jerusalem wirklich Balsambäume waren. Wenn das Klima in der Umgegend von Jerusalem sich seit Davids Zeiten nicht vollständig geändert hat, ist es ganz unmöglich, dass Balsamstauden, die nur in den heißesten Gegenden Arabiens gedeihen, dort sollten fortgekommen sein. Dass die Vokalisation My)kb die Übersetzung "Balsam(tal)" nicht fordert, zeigt die Massora, welche bemerkt, dass ) für h stehe, also = Esra 10,1. Nötigenfalls wäre so zu punktieren. Prof. Friedrich Baethgen 1904.

V. 6.7. Wohl den Menschen, denen in dir Stärke zuteil wird, die Zugänge dazu in ihrem Herzen haben. Wenn sie durch einen Tränengrund ziehen, machen sie ihn zu einem Quellenort usw. Selbst ein solch Tal, dessen Name schon an Weinen erinnert, verwandeln sie, wenn ihr Weg sie hindurchführt, in einen Quellenort, der liebliche Auen hat und einen befruchtenden Quell von sich ausgehen lässt, als wären seine Tränen durch sie oder um ihretwillen zu einem Lebenswasser geworden; denn sie ziehen, wie sonst schon immer, so besonders, wenn sie nach Jerusalem pilgern, zu dem HERRN, ihrer Kraft, und wissen ihn auch vermöge der Straßen des Glaubens und der Hingebung zu finden. Sachlich vergl. man Hos. 2,17 [15] - Kommentar von Prof. Fr. W. Schultz 1888.

V. 8. Sie erscheinen, oder wie andre übersetzen: ihrer jeglicher erscheinet vor Gott zu Zion. Nicht einer ist auf dem Wege umgekommen, keiner ist von wilden Tieren zerrissen oder von den lauernden Räubern weggeschnappt worden, und keiner hat den Mut verloren und ist umgekehrt. Alle sind versammelt, Junge und Alte, Schwache und Starke; alle antworten beim Namenaufruf und geben der Güte des HERRN Zeugnis, die sie herauf und hindurch gebracht hat. William Makelvie 1863.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 9. Zwei Gedanken von großem praktischem Wert liegen in dieser kurzen Bitte: die Empfindung der göttlichen Erhabenheit und das Bewusstsein der engen Verbindung mit Gott. Als Jehova der Heerscharen ist Gott allmächtig an Kraft, als der Gott Jakobs ist er unbegrenzt an Erbarmen und Huld für die Seinen. Altes und Neues 1866.

V. 11. Ich will lieber an der Schwelle liegen usw. Ich glaube nicht, dass die übliche Auffassung dieser Worte, nämlich: ein Türhüter sein, ihrem Sinn entspricht, weil der Psalmdichter offenbar davon redet, dass er einer sehr geringen Stellung im Hause Gottes den Vorzug gebe, während die Stellung des Türhüters im Morgenland ein geachteter Vertrauensposten ist. Dagegen an der Schwelle liegen ist dem Morgenländer ein Bild tiefer Erniedrigung. Sieh den Zöllner (Lk. 18,13); er stellt sich an der Schwelle des Tempels hin. Sieh den Bettler; er sitzt oder liegt an der Schwelle der Tür, bis man seine Bitte erfüllt. Joseph Roberts 1844.

Vom Tür Hüten, welches ein hohes Ehrenamt war, ist hier ebensowenig die Rede wie vom lange (Luther) Wohnen. Es ist der Gegensatz des Wohnens und des an der Schwelle Liegens, Ersteres in der Doppelbeziehung zum Hause Gottes und zu den Zelten des Frevels, Letzteres nicht im Sinne des Verachtetseins (Augustin) infolge gewaltsamer Niederstreckung (LXX) oder als Liegen vor der Tür wie Lazarus (Hengstenberg), sondern als Ausdruck persönlicher Empfindung von dem hohen Gut, Glück und Wert der Zugehörigkeit zum Gotteshause, deren geringstes Maß und äußerste Grenze der Psalmist höher achtet und mehr liebt als jede Fülle außerhalb derselben. Vor der Seele des Psalmisten steht das anbetende Liegen auf der Schwelle; er spricht aber nur seine Auffassung und Empfindung dieses Verhältnisses aus, nicht seine geschichtliche Stellung und Lage. Gen-Sup. K. B. Moll † 1878.

Im nachexilischen Jerusalem waren Korahiten Torwärter des Tempels (1. Chr. 9,17; Neh. 11,19, vergl. 2. Könige 22,4), und der Chronist belehrt uns dort, dass sie schon in Davids Zeit Hüter der Schwellen des (über der Bundeslade auf Zion errichteten) Zeltes und in noch älterer, der mosaischen Zeit, an dem Lager Jehovas als Wächter des Eingangs angestellt waren. Diesen altherkömmlichen Beruf, auf welchen Ps. 84,11 angespielt wird, behielten sie bei den neuen Einrichtungen Davids; zwei korahitischen Familienzweigen nebst einem meraritischen wurde der Pförtnerposten am Tempel zugeteilt (1. Chr. 26,1-19). - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Als der Kirchenvater Augustin († 430) zum Bischof erwählt wurde, schrieb er darüber: "Ich habe nicht Bischof werden wollen, habe nie danach gestrebt, es zu sein! Ich will lieber der Tür hüten in meines Gottes Hause denn lange wohnen in den Palästen der Gottlosen. Ich habe nicht begehrt, obenan zu sitzen an der Tafel Gottes, sondern habe den untersten Ort erwählt. Aber es hat dem Herrn gefallen, zu mir zu sagen: Freund, rücke hinauf, und der Knecht soll dem Herrn nicht widersprechen." Th. Zinck im Freimund 1887.

Haus Gottes - Hütten des Frevels. Man beachte den Gegensatz! Die Freuden der Sünde sind nur für eine kurze Zeit; die Welt vergeht mit ihrer Lust. Arthur Pridham 1869.

V. 12. Gott der HERR ist eine Sonne. Diese Worte enthalten schon eine auffallende und bedeutsame Wahrheit, wenn wir an die Sonne nur in ihrer bekannteren Eigenschaft als Quelle des Lichtes und der Wärme denken. Aber welche neue Kraftfülle wird diesem großartigen Sinnbild gegeben, wenn wir uns von der Sternkunde belehren lassen, dass die Sonne der Herd der Anziehungskraft ist, und wenn wir ferner dazunehmen, dass die Sonne die Urquelle jedweder in der Welt vorhandenen Kraft ist. Der Wind führt den Handel aller Nationen über das tiefe Weltmeer; aber die Hitze der Sonne hat die Luft verdünnt und dadurch den Wind in Bewegung gesetzt. Der Strom leiht uns die Kraft seines Gefälles, dass sie uns das Korn mahlt, die Spindeln dreht, die Webstühle treibt, die Schmiedehämmer führt; aber er kann das nur tun, weil die Sonne aus dem Ozean den Dunst aufzog, der dann wieder als Regen oder Schnee auf die Berge fiel und nun als Fluß wieder dahin zurückkehrt, wo er hergekommen war. Die Ausdehnungskraft des Dampfes treibt unsre Maschinen; aber die Kraft, mit welcher er arbeitet, ist in den Kohlen eingeschlossen (den versteinerten Überresten ausgestorbener Wälder) oder dem Holz der jetzt unsre Hügel schmückenden Wälder. Sowohl jene vorgeschichtlichen als diese jetzt noch grünenden Wälder haben ihr Vorhandensein der Sonne zu verdanken; denn es ist die den Sonnenstrahlen innewohnende chemische Kraft, welche den Kohlenstoff der Luft freigemacht und als Kraft für zukünftige Zeiten aufgespeichert hat. Das Tier übt durch Zusammenziehung der Muskeln eine Kraft aus; es entnimmt diese Kraft den Pflanzen, von welchen es sich nährt, die Pflanze aber bekommt die Kraft von der Sonne, von deren Strahlen ihr Wachstum abhängt. Sooft du den Arm aufhebst oder einen Schritt machst, zehrst du von der Kraft, welche die Sonne dir gegeben hat. Wenn du mit der Eisenbahn fährst, so ist es die Kraft der Sonne, welche dich mit solcher Schnelligkeit durch die Lande führt. Ob ein mildes Lüftchen deine nach Kühlung lechzenden Wangen fächelt oder die unwiderstehliche Windsbraut ganze Städte dem Boden gleichmacht - beide stehen im Dienst der Sonne. Welch ein treffendes Sinnbild ist doch die Sonne von dem, in welchem wir leben, weben und sind! Prof. Green.

V.12. Gott der HERR ist ein Schild: für unsre Personen. "Tastet meine Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten kein Leid!" (Ps. 105,15) "Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang!" "Er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest." "Hast du wohl achtgehabt auf meinen Knecht Hiob?" fragt Gott den Satan. "Ja," erwidert der Satan, "hast nicht du selbst ihn und sein Haus und alles, was er hat, rings umher verwahrt?" (Hiob 1,8 ff.) Ja, liebe Brüder, Gott der HERR ist ein Schild! Er ist ein Schild auch unsers geistlichen Lebens. Der Haß und die Bosheit Satans richten sich auf uns, wenn wir unter Gottes Einfluß stehen. "Simon, Simon," sagte unser Heiland, "siehe, der Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen." "Ich aber," fügte er hinzu, "habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." (Lk. 22,31 f.) Hätte dieser Schild den Petrus nicht gedeckt, so wäre er verloren gewesen. Ja, der HERR wird auch ein Schild sein für das, was du besitzest. "Hast du nicht rings umher verwahrt alles, was er hat?" Wiewohl Hiob eine kleine Zeit schwer geprüft ward, wurde sein Vermögen doch währenddessen nur zinstragend angelegt; nach und nach ward es ihm mit hundert Prozent Zinsen zurückgegeben, und außerdem gewann er einen großen Zuwachs an Erkenntnis und Gnade. Matthew Wilks † 1829.

Diese Worte tönen wie eine Stimme vom Himmel, die alle Zweifel und Befürchtungen bei denjenigen, welche ihr glauben und folgen, beschwichtigt. Bin ich in Finsternis und fürchte ich, dass ich den rechten Weg nicht finden werde? Mache die Augen auf, meine Seele, und blicke auf zu dem Vater des Lichts: Gott der HERR ist eine Sonne, deren beständig leuchtende Strahlen deine Schritte leiten werden. Oder liegt auf meinem Gemüt ein Nebelschleier? Wohlan, Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, kann einen hellen Schein in das Herz geben; er kann im Herzen den Tag anbrechen und den Morgenstern aufgehen lassen und also unsre Füße auf den Weg des Friedens leiten. Enthüllt dasselbe Licht, welches mir den Weg erhellt, auch die Feinde und Gefahren, welche mich bedrohen? Höre, meine Seele: Gott der HERR ist ein Schild! Licht und Kraft sind in ihm vereinigt; niemand kann unter seiner Führung verunglücken, niemand hat irgendwelchen Grund, mutlos zu werden. Damit tröstete er Abraham: Fürchte dich nicht, ich bin dein Schild (1. Mose 15,1). Seufze ich unter dem Gefühl, wie wenig ich für das Himmelreich passe? Dann stärke dies Wort. meine Seele: Der HERR gibt Gnade. Bin ich einer so herrlichen Seligkeit gänzlich unwert? Sie ist ein Geschenk seines freien Liebeswillens: Der HERR gibt Herrlichkeit. Bin ich bedrückt von tausend Mängeln, die gebieterisch Abhilfe fordern? Was könnte noch hinzugefügt werden zu der Verheißung: Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen? Was mir schlecht ist, begehre ich doch nicht; und nichts, das mir gut ist, soll mir versagt bleiben. Hier quillt dir, meine Seele, eine reiche Quelle, an der du deinen brennenden Durst völlig stillen kannst. Deine weitgehendsten Wünsche sollen befriedigt werden und dein Gemüt für immer zur Ruhe kommen. Daniel Wilcox † 1733.

Homiletische Winke

V. 2. 1) Warum bezeichnet der Psalmdichter das Heiligtum als Wohnungen? Weil er a) das Allerheiligste, b) das Heilige, c) den Vorhof und den ganzen Bezirk des Heiligtums einschließen will. Jeder dieser Teile ist ihm lieblich (geliebt und liebenswert). 2) Warum nennt er das Heiligtum die Wohnungen des HERRN Zebaoth? Um a) die Verbindung, in welcher das Heiligtum mit dem großen Weltall steht, aber auch b) die einzigartige Stellung desselben im Weltall zu bezeichnen. Gott ist überall gegenwärtig, doch besonders an dieser Stätte. 3) Warum nennt er es lieblich? a) Weil in den hier sich entfaltenden göttlichen Eigenschaften (Herablassung, Liebe, Gnade, Erbarmen usw.) sich Gottes Lieblichkeit in besonderer Weise offenbart. b) Wegen des Zweckes, zu welchem Gott da wohnt: um die Sünder selig zu machen und die Gläubigen zu erquicken. George Rogers 1874.
V. 3. 1) Der Gegenstand der Sehnsucht: a) das Haus des HERRN, b) der Herr des Hauses: dass Gott in uns lebe und wir in ihm. 2) Die Ursache der Sehnsucht: dass der Gottesmann vom Hause Gottes ausgeschlossen war. David sagt nicht: "O wie ich mich nach meinem Palast, meiner Krone, meinem Zepter, meiner Königsherrschaft sehne!" sondern: "O wie ich mich sehne, zu Gottes Haus zurückkehren zu dürfen!" 3) Die Stärke der Sehnsucht. a) Es war ein tief innerliches Verlangen: meine Seele verlangt, b) ein schmerzliches, aufreibendes Verlangen: schmachtet, verzehrt sich, c) ein seliges Verlangen: jubeln dem lebendigen Gott zu (Grundtext), d) ein alles beherrschendes Verlangen: Leib und Seele. George Rogers
Den Wert des Hauses Gottes erkennt man, 1) wenn man es fleißig besucht, doch 2) besser, wenn man hernach eine Zeitlang davon entfernt sein muss, und 3) am besten, wenn man dann wieder darin heimisch sein darf. George Rogers
V. 2-4. Die Namen, welche Gott in diesen Versen beigelegt werden: Herr Zebaoth, der lebendige Gott, mein König und mein Gott, sind der Betrachtung wert. George Rogers
V. 4. 1) Die Beredsamkeit des Kummers. David beneidet in der Verbannung die Sperlinge und die Schwalben, die ihre Nester am Hause Gottes gebaut hatten, mehr als den Absalom, der ihm Palast und Thron geraubt hatte. 2) Die Findigkeit des Gebets: Warum sollten Sperlinge und Schwalben deinen Altären näher sein als ich, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott? "Fürchtet euch nicht, ihr seid besser denn viel Sperlinge!" (Lk. 12,7.) George Rogers
V. 5. 1) Was begehrt der Psalmist? Im Hause Gottes wohnen zu dürfen. Manche Vögel fliegen über das Haus Gottes hin, andre lassen sich gelegentlich darauf nieder; etliche aber bauen ihre Nester am Hause Gottes und hecken daselbst ihre Jungen. Dies ist das Vorrecht, welches der Psalmist begehrt. 2) Warum begehrt er dieses Vorrecht? Weil diejenigen, die im Hause Gottes ihr und ihrer Kinder geistliches Heim haben, so glückliche Leute sind. 3) Worin erweist sich das Glück derselben? In dem beständigen Lobpreisen. "Die loben dich immerdar." a) Sie haben Gott für viel Gutes zu danken. b) Sie finden in Gott selbst viel des Preisens Würdiges. George Rogers
V. 6-8. Die Beschreibung der gesegneten Menschen. 1) Sie hatten ein ernstes Verlangen, ja den festen Entschluss, die Reise nach dem Heiligtum zu unternehmen, wiewohl sie fern davon wohnten, V. 6. 2) Ihre Wallfahrt ist beschwerlich, doch nicht ohne reiche Erquickungen, V. 7. 3) Sie schreiten beständig fort, bis sie das Ziel erreicht haben, V. 8. Thomas Manton † 1677.
V. 7. Wie das Tränental ein Bild unsrer Trübsale ist, so sind die Quellen, die darin aufsprudeln, ein Bild von dem immerströmenden Born des Heils und des Trostes. (Vergl. Joh. 4,14 u. Jes. 12,3.)
1) Das Jammertal. a) Es wird viel begangen; b) es ist für Fleisch und Blut beschwerlich; c) doch ist es sehr gesund, d) ganz sicher und e) sehr fruchtbar. 2) Was macht der Glaube der Pilger aus diesem Tränental? Einen Quellort. a) Wir können auch in der tiefsten Trübsal Trost erlangen. b) Doch muss er erarbeitet werden. 3) Was gibt Gott vom Himmel dazu? Auch deckt es ein Frühregen mit Segen. Alles kommt von Gott; eigene Anstrengung nützt uns nichts ohne Gottes Segen.
V. 8. 1) Fortschritt: Sie gehen. a) Gottes Kinder können nicht stillstehen. b) Sie dürfen nicht zurückweichen. c) Sie sollen stets vorwärts gehen. 2) Kräftigung: Von Kraft zu Kraft. a) Von einer Freude zur andern. b) Von einer Pflichterfüllung zur andere. c) Von einer Tugend zur andern. d) Von einem Maß der Gnade zum andern. Sie wachsen an Glauben, Tugend, Erkenntnis usw. 3) Vollendung: Sie erscheinen vor Gott zu Zion. George Rogers
V. 9. Weder 1) das Gebet, noch 2) die Hilfe, noch 3) die Gnade sind auf das Heiligtum beschränkt. Zu 1): In der Verbannung sagt der Psalmist: Höre mein Gebet! Zu 2): Der HERR der Heerscharen ist auch dort, wo der Psalmist betet, so gut wie im Heiligtum (V. 2). Zu 3): Auch in der Einöde ist der Bundesgott, der Gott Jakobs. George Rogers
Auf Gottes Namen gestützte Erhörungsgründe: 1) Gott ist Jehova, der lebendige, allweise, allmächtige, gnädige und treue Gott. 2) Er ist der Gott der Heerscharen, dem alles zu Gebot steht. Er kann Engel senden, Teufel im Zaum halten, fromme Menschen anregen, böse übermeistern und alle Mächte und Kräfte beherrschen. 3) Er ist der Gott Jakobs, des Auserwählten, wie dieser ihn im Traumgesicht sah; der Gott Jakobs in dessen Verbannung, dessen Gebetskampf (ein Gott, der sich durch Flehen überwinden lässt), der Gott, der Jakobs Sünde vergibt und der Jakob und seinen Samen nach ihm bewahrt.
V. 11. 1) Eine Gegenüberstellung von Stätten. Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser usw. Wieviel mehr ein Tag im Himmel! Und was muss dann eine Ewigkeit im Himmel sein! 2) Eine Gegenüberstellung von Ständen: Ich will lieber ein Türhüter sein usw. Lieber der Kleinste in der Gemeinde des HERRN, als der Größte in der Welt. Wenn nach Milton (Verl. Paradies I, 263) des Satans erster Gedanke in der Hölle war: "Besser der Hölle Fürst als Knecht dem Himmel sein," so war das nur sein erster Gedanke. George Rogers
1) Tage in den Vorhöfen Gottes. Tage des Hörens, Bereuens, Glaubens, Anbetens, Genießens der Gemeinschaft, der neubelebenden Kraft des Heiligen Geistes usw. 2) Wie köstlich sind sie? Besser als tausend Tage der irdischen Lust, des Gelderwerb Erntens, Siegens, Reisens in den schönsten Gegenden usw. 3) Warum sind sie so köstlich? Sie bieten schon jetzt mehr Vergnügen und Vorteil und bereiten uns besser für die Zukunft und den Himmel. Beschäftigung, Gesellschaft, Genuss, Nutzen, alles ist besser.
V. 12. 1) Was ist Gott den Seinen? Sonne und Schild. a) Quelle alles Guten, b) Schutz vor allem Bösen. 2) Was gibt Gott den Seinen? a) Gnade hier, b) Herrlichkeit hernach. 3) Was enthält Gott den Seinen vor? Alles, was nicht gut ist. Wenn er uns Gesundheit, Reichtum oder das freundliche Leuchten seines Antlitzes versagt, so geschieht es deshalb, weil sie uns zu der betreffenden Zeit nicht gut wären. George Rogers
V. 13. Wieviel glücklicher ist das Leben des Glaubens als ein Leben fleischlicher Genüsse, frommer Gefühlserregungen, des Selbstvertrauens, des Vertrauens auf allerlei Zeichen, auf Menschen usw.!
1) Was allein einen Menschen glücklich macht: wenn er sich auf den HERRN verlässt a) in Bezug auf alles, b) zu aller Zeit, c) in allen Lagen. 2) Das Glück, das in dem einen enthalten ist: Gott selbst wird unser Teil: a) mit seiner Gnade, die vergibt, b) seiner Macht, die uns schützt, c) seiner Weisheit, die uns leitet, d) seiner Treue, die uns erhält, und e) seiner Allgenügsamkeit, die allen unseren Mangel deckt. 3) Die Gewissheit dieses Glückes. Bestätigt a) aus der Erfahrung des Psalmisten, b) durch seine feierliche Berufung auf Gottes Majestät: HERR Zebaoth. George Rogers
V. 12.13. "Ein Fest für die Aufrichtigen." Predigt von C. H. Spurgeon. Siehe Schwert und Kelle 2. Jahrg. S 337, Baptist. Verlag, Kassel, 1882.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 85 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Ein Psalm der Kinder Korah, vorzusingen. Wir wollen früher Gesagtes nicht wiederholen, verweisen daher auf die Vorbemerkungen zu Ps. 42; 84.

Inhalt und Anlass

Der Psalm ist ein Gebet eines Patrioten für sein heimgesuchtes Vaterland. Der Dichter erinnert den HERRN an die Gnade, welche er vormals seinem Lande erwiesen hat, und schaut im Glauben heiterere Tage. Wiewohl fast alle Ausleger andrer Ansicht sind,1 halten wir doch dafür, dass David dies nationale Lied verfasst habe, und zwar, als das Land von den Philistern bedrückt ward, und dass er im Geist der Weissagung auf die späteren glanzvollen Jahre seiner eigenen Regierung und die unter dem Friedenszepter Salomos herrschende Ruhe hinausgeblickt habe. Eben damit hat aber der Psalm auch einen inneren Sinn, zu welchem Jesus und sein Heil der Schlüssel ist. Die Gegenwart Jesu versöhnt Erde und Himmel und sichert uns das goldene Zeitalter, die lieblichen Tage des Weltfriedens.

Einteilung

In den Versen 2-5 singt der Dichter von den früheren Gnadenerweisungen des HERRN und bittet ihn, seines Volkes zu gedenken. V. 6-8 vertritt er vor Gott die Sache des schwer heimgesuchten Israels. Nachdem er dann V. 9 der göttlichen Friedenszusage gelauscht hat, kann er in V. 10-14 fröhlich die Kunde von der heilvollen Zukunft verkündigen.

Auslegung

2. HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande
und hast die Gefangenen Jakobs erlöset;
3. der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk
und alle ihre Sünde bedeckt (Sela);
4. der du vormals hast allen deinen Zorn aufgehoben
und dich gewendet von dem Grimm deines Zorns;
5. tröste uns, Gott, unser Heiland,
und lass ab von deiner Ungnade über uns.


2. HERR, der du bist vormals2 gnädig gewesen deinem Lande. An Jehova, den schlechthin selbständigen und ewig beständigen Gott der Offenbarung, wendet sich der Psalmist. Unter diesem Namen hatte Gott sich dem Mose geoffenbart, als sein Volk in Knechtschaft war, und bei diesem Namen fasst der Beter Gott, da er für das auch jetzt unter mancherlei Elend seufzende Volk vor dem HERRN eintritt. Wir tun wohl daran, bei derjenigen Darstellung des göttlichen Wesens zu verweilen, welche in uns die lieblichsten Erinnerungen an seine Liebe weckt. Noch süßer ist der teure Name "Unser Vater", mit welchem wir Christen unsre Gebete zu beginnen gelernt haben. Der Sänger spricht von Kanaan als dem Lande Jehovas, und mit Recht, denn der HERR hatte es für sein Volk ausgewählt, es ihm testamentarisch vermacht und durch seine Macht ihm erobert, und hatte selber in Gnaden darin Wohnung genommen; so war es denn natürlich, zu erwarten, dass der HERR auf dies Land, das ihm in solch besonderer Weise zugehörte, freundlich niederblicken werde. Wir können nichts Besseres tun, als die zwischen dem HERRN und uns bestehende Interessengemeinschaft bei jedem Anlass vor ihm geltend machen; wir binden gleichsam unseren Nachen knapp an seine seetüchtige Barke und erfahren beim Schaukeln auf den bewegten Wogen den Segen der engen Verbindung. Es ist unser Land, das verwüstet ist, aber, Jehova, es ist auch dein Land! Der Psalmist beruft sich auf die Gunst, welche der HERR dem von ihm erkorenen Lande auf tausend Weisen erzeigt hatte. Was Gott in der Vergangenheit getan hat, ist eine Weissagung auf das, was er in Zukunft tun wird; daher führt der Vordersatz "Du bist vormals deinem Lande gnädig gewesen" zu dem ermutigenden Nachsatz des Glaubens: "So lass auch jetzt wieder deine Gnade über ihm walten!" Wie manches Mal hatte die göttliche Huld Feinde vernichtet, Seuchen hinweggenommen, Hungersnot abgewendet und Befreiung aus allerlei Not gewährt; so fleht denn der Knecht des HERRN, dass der HERR sich auch jetzt wieder seinem Lande so huldreich zuwenden möge. Gegenüber dem unveränderlichen Gott haben solche Gründe volle Kraft. Weil er sich nicht wandelt, darum werden wir behalten und wissen, dass er uns nie wird umkommen lassen, wenn er uns einmal Gnade erzeigt hat. Lasst uns an diesem Gebet lernen, wie wir unsre Anliegen vor Gott ausbreiten sollen!
Und hast die Gefangenen Jakobs erlöset.3 Als Israel um seiner Sünden willen von Feinden und Not aller Art niedergedrückt und geknechtet war, hatte der Gnädige und Barmherzige ihr Elend angesehen, ihr trauriges Schicksal gewendet, die Eindringlinge vertrieben und seinem Volke Ruhe gegeben; das hatte er nicht einmal, nicht zweimal, sondern unzählig oft getan. Wie manches Mal sind auch wir durch unser Abtreten in geistliche Gefangenschaft geraten! Aber wir sind nicht im Kerker verdorben; der Gott, der Jakob aus Mesopotamien mit Frieden wieder heim zu seinem Vaterhause brachte, hat auch uns wieder zurückgeführt. Wird er nicht das gleiche wieder tun? Lasst uns ihn anrufen, lasst uns mit ihm ringen in heißem Flehen wie Jakob, dass er uns trotz allem, womit wir ihn zum Zorn gereizt haben, nach seiner freien Gnade huldreich helfe! Mögen Gemeinden, die im Niedergang begriffen sind, sich ihrer früheren Geschichte erinnern und zum HERRN flehen, dass er ihr Elend wende und sie wieder zu freiem, frischem Leben bringe!

3. Der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk. Ja, oftmals hatte er das getan, hatte innegehalten, um zu vergeben, selbst wenn sein Schwert schon gezückt war. Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässet die Missetat den Übrigen seines Erbteils? Wer ist so langsam zum Zorn, so bereit zu vergeben? Jeder, der an Jesus glaubt, genießt den Segen der Sündenvergebung, und er sollte diese unschätzbare Gabe als das Pfand betrachten, das ihm alles andre, was er sonst an Gnade bedarf, verbürgt. Er sollte es Gott vorhalten: HERR, du hast mir doch meine Sünden vergeben; willst du mich nun aus Mangel an weiterer Gnade umkommen lassen oder durch Entziehung deiner Hilfe in die Hand der Feinde fallen lassen? Du wirst doch dein Werk nicht also unvollendet lassen! Und alle ihre Sünde bedeckt. Alle ihre Sünde, jeden Flecken, jede Runzel hat der Schleier der Liebe bedeckt. Eine göttliche Tat hat die Sünde unsichtbar gemacht. Gott hat sie unter dem Gnadenstuhl, dem "Sühndeckel", verborgen, hat sie in dem Meer seiner Gnade begraben, hat sie ausgetilgt, so vollkommen, dass auch sein allsehendes Auge sie nicht mehr sieht. Welch ein Wunder ist das! Die Sonne zudecken, dass kein Dämmerstrahl mehr von ihr sichtbar würde, wäre leichte Arbeit gegen diese. Nicht ohne eine bedeckende Sühne kann die Sünde so unsichtbar gemacht werden; aber durch das große Opfer unsers Herrn Jesus ist sie aufs völligste hinweggetan, mit einem Mal und für immer. Wie verbirgt dieses Blut all unsre Schuld!

4. Der du vormals hast allen deinen Zorn aufgehoben. Ist die Sünde hinweg, dann auch der Zorn. Wie oft nahm Gottes Langmut die Strafen von Israel, die er ihm doch so gerechterweise auferlegt hatte! Wie oft hat der HERR seine züchtigende Hand auch von uns zurückgezogen, während unsre Verkehrtheit noch härtere Schläge verdient hätte! Und dich gewendet von dem Grimm deines Zorns. Selbst wenn die Strafgerichte überaus schwer waren, hatte der HERR doch aus Erbarmen seiner Hand Einhalt getan. Als schon die unheilschwangeren Wolken schwarz und schwer am Himmel standen, hatte er doch seine Donnerkeile in den Köcher gesteckt. Da er schon im Begriff stand, das Volk zu vernichten, hatte er doch sein Antlitz von dem Vorsatz zu richten abgewandt und der Gnade erlaubt, ins Mittel zu treten. Das Buch der Richter ist voll von Beispielen dieses gnädigen Waltens, wie auch der Wüstenzug und die spätere Geschichte Israels, und der Psalmdichter tut gut, bei seiner Fürbitte den HERRN an diese seine früheren Gnadenerweisungen zu erinnern. Ist unsre Erfahrung nicht mit ebensolchen Edelsteinen verziert, mit Vorfällen, wo Gerichte aufgehalten wurden und die Güte obwaltete? Was für ein Unterschied zwischen dem grimmigen Zorn, den der Psalmdichter hier fürchtet und durch sein Flehen abzuwenden sucht, und dem Friedenswort, das er V. 9 vernimmt! Die Erfahrung des Christen ist wechselreich; wir dürfen darum nicht verzagen, wenn wir uns gerade auf einer dunkeln Wegstrecke des geistlichen Lebens befinden; denn bald, gar bald mag sich alles in lichte Freude verwandeln.

5. Bringe uns wieder (wörtl.), Gott, unser Heiland! Stelle uns äußerlich wieder her; aber vor allen Dingen bringe uns wieder zu dir durch deine Gnade! Das Letztere ist die Hauptsache und die Vorbedingung des Ersteren. Konnten die abgeirrten Israeliten zur Buße erneuert werden, dann musste alles gut werden. Die Schwierigkeit liegt nicht so sehr darin, Gott dahin zu bringen, dass er sich von seinem Zorn wende (V. 4), als vielmehr darin, dass wir von unseren Sünden abgewendet werden müssen; das ist der Angelpunkt, in dem sich die ganze Sache dreht. Wir müssen wieder in das rechte Verhältnis zu Gott gebracht werden; aber nur Gott kann das. Gott, der Heiland, muss selber Hand ans Werk legen; denn ein Herz zu Gott wenden, das ist ebenso schwierig, wie zu machen, dass die Erde sich um ihre Achse dreht. Doch wenn der Mensch erst um seine Bekehrung bitten lernt, so ist Hoffnung für ihn; denn wer sich zum Gebet wendet, fängt an, sich von der Sünde zu kehren. Welch freudevoller Anblick, zu sehen, wie ein ganzes Volk sich zum HERRN kehrt! Möge der HERR seine die Herzen wandelnde Gnade in solchem Maße über unser Land senden, dass wir es noch erleben, dass die Leute zu herzinniger Anbetung Gottes zusammenkommen, wie die Tauben sich zu ihrem Schlage sammeln! Und lass ab von deiner Ungnade über uns! Mache des Zornes ein Ende, lass seine Glut nicht länger brennen! Wenn die Sünder aufhören, sich gegen Gott aufzulehnen, so hört Gott auf, mit ihnen zu zürnen; wenn sie zu ihm zurückkehren, so kehrt er sich auch wieder zu ihnen. Ja er fängt das Werk der Versöhnung an und kehrt sie zu sich, da sie sich nie von selbst zu ihm kehren würden. Mögen alle, die jetzt schmerzlich darunter leiden, dass Jehova sein Angesicht vor ihnen verbirgt, mit ganzem Ernst danach verlangen, wieder in die rechte Stellung zum HERRN gebracht zu werden; denn damit wird all ihre Not ein Ende haben!
So erfleht der heilige Sänger für sein Volk unschätzbare Gnaden und führt dabei die kräftigsten Gründe ins Feld. Weil Israels Gott sich in vergangenen Zeiten so reich an Huld erwiesen hat, deshalb wird er angefleht, sein abgefallenes Volk innerlich und äußerlich wieder zurechtzubringen.

6. Willst du denn ewiglich über uns zürnen
und deinen Zorn gehen lassen für und für?
7. Willst du uns denn nicht wieder erquicken,
dass sich dein Volk über dir freuen möge?
8. HERR, erzeige uns deine Gnade
und hilf uns!


6. Willst du denn ewiglich über uns zürnen? Seht, wie der Psalmist so kühn wird im Beten! Noch sind wir ja in der Zeit und nicht in der Ewigkeit; und hat die Zeit nicht ein Ende und so auch dein Zorn? Willst du ohne Aufhören zürnen, als ob die Ewigkeit schon angebrochen wäre? Gibt es für deinen Grimm keine Grenzen? Wird deine Zornglut nicht endlich erlöschen? Und ob du ewiglich zürnest, willst du denn über uns, deinem auserwählten Volk, dem Samen Abrahams, deines Freundes, deinem Zorne Lauf lassen? Dass unsre Feinde uns ohne Aufhören gram sind, das ist natürlich; aber willst Du, unser Gott, allezeit gegen uns aufgebracht sein? Jedes Wort ist voller Überredungskraft. Leute, die in tiefer Not sind, verschwenden keine Worte. Und deinen Zorn gehen lassen für und für, wörtl.: ausdehnen auf Geschlecht und Geschlecht? Sollen die Söhne für die Fehler ihrer Väter leiden, soll die Strafe ein unveräußerliches Erblehen werden? Barmherziger Gott, hast du im Sinn, deinen Zorn auszuspinnen, dass er so lang wird wie die Weltzeiten? Ach lass doch ab, wie du vor Zeiten von deinem Grimm hast abgelassen, und lass die Gnade obwalten, wie sie in vergangenen Tagen das Regiment behalten hat! Wenn wir uns von Gott verlassen fühlen, mögen wir in gleicher Weise flehen, dass die Tage der Trübsal verkürzt werden mögen, auf dass unsre Seele nicht unter dem Druck der Prüfung zusammenbreche.

7. Willst du uns denn nicht wieder erquicken, wörtl.: wieder beleben, wieder aufleben lassen? Hier wächst die Hoffnung fast zur Gewissheit. Sie gewinnt die Zuversicht, der Herr werde sich mit der ganze Fülle seiner Heilsmacht seinem Volke wieder zuwenden. Wir sind tot oder doch sterbend, siech und matt; Gott allein kann uns wieder beleben. Er hat zu anderen Zeiten sein Volk erquickt; er ist heute noch derselbe, er wird seine Liebe erneuern. Wird er es nicht tun? Warum sollte er es nicht? Wir wenden uns an ihn: Willst du nicht ...? Dass sich dein Volk über dir freuen möge. Du siehst dein Volk ja so gerne glücklich, glücklich in dem höchsten Glück, das in dir seinen Brennpunkt hat; darum belebe uns mit deiner Lebenskraft, denn Leben ist Freude! Die vorliegenden Worte weisen uns darauf hin, dass die echte Dankbarkeit ihren Blick über die Gabe hinaus auf den Geber richtet: dass sich dein Volk über dir freuen möge. Die Neubelebten würden sich nicht nur über das neue Leben freuen, sondern vor allem über den Urheber desselben, den HERRN. Die Freude am HERRN ist die reifste Frucht der Gnade; jede geistliche Belebung und Erfrischung führt zu ihr, und sie ist ein guter Gradmesser des innern Wohlgedeihens. Eine vom Lebensgeist Gottes gewirkte Erweckung ohne Freude im HERRN ist so undenkbar wie ein Lenz ohne Blumen oder ein Tagesanbruch ohne Licht. Wenn wir, sei es in unserer eigenen Seele, sei es in den Herzen andrer, eine Abnahme des geistlichen Lebens wahrnehmen, so ziemt es sich uns, die Bitte unseres Verses fleißig zu brauchen; und wenn wir anderseits den Lebensodem des Geistes und den erquickenden Tau der Gnade verspüren, so wollen wir von heiliger Freude überfließen und es unsre beständige Wonne sein lassen, uns über den HERRN zu freuen.

8. HERR, erzeige uns deine Gnade! Lass unsre armseligen, halbblinden Augen sie schauen! Weil wir schon so lange leiden, können wir deine Gnade nicht sehen noch glauben; aber Du kannst sie uns schauen lassen, dass kein Zweifel bleibt. Andre haben sie erfahren; HERR, erzeige sie uns! Wir haben deinen Zorn geschaut; HERR, lass uns deine Gnade sehen! Deine Propheten haben uns von ihr gesagt; aber, HERR, entfalte du sie selbst in dieser Zeit unsrer tiefsten Gnadenbedürftigkeit! Und hilf uns, wörtl.: und schenke uns dein Heil! Diese Bitte schließt die Befreiung von der Sünde wie von den Züchtigungen in sich; sie reicht von den Tiefen des Elends zu der Höhe der göttlichen Liebe. Wem Gott hilft, dem ist geholfen. Gib uns dein Heil, HERR, so haben wir alles, was wir bedürfen!

Fußnoten
1. Es dünkt uns mit den meisten neueren Auslegern aus dem Psalm hervorzugehen, dass derselbe aus der Zeit bald nach der Rückkehr aus dem Exil stammt. Siehe darüber die Auszüge aus Delitzsch und Schultz S. 750 f. des vorliegenden Werkes. - Spurgeon meint irrtümlich, die meisten Ausleger verwiesen den Psalm in die Zeit des Exils, und macht mit Recht geltend, dass der Ausdruck V. 2: "Du hast die Gefangenschaft Jakobs gewendet", nicht notwendig auf das Exil hinweise, da ebendasselbe Hiob 42,10 von Hiob ausgesagt werde, der doch nie sein Heimatland verlassen habe, dass die Redeweise also bildlich zu nehmen sei; ferner, dass das Gebet V. 2 nicht auf das Land, sondern auf das Volk Bezug nehmen würde, wenn Israel damals in der Verbannung gewesen wäre. Ein weiteres Argument Spurgeons, dass Juda und nicht Jakob (welches er gleich Israel nimmt) aus der Gefangenschaft zurückgeführt worden sei, ist hinfällig, da Jakob (NB. der bes. im Deutero-Jesaja gebräuchliche poetische Volksname) auch an anderen Stellen, z. B. Jes. 46,3, für Juda steht.

2. Wir haben das von Luther V. 2.3.4 ergänzte "vormals" stehen lassen, weil Spurgeons Auslegung damit übereinstimmt. Doch können die Perfekte ebenso gut auf noch vor kurzem Erlebtes zurückweisen.

3. Wörtl.: Die Gefangenschaft J. gewendet, wenn man twb# (tyb#) von hb#, zum Kriegsgefangenen machen, ableitet. Der Ausdruck wird öfters, so bei Hiob 42,10, bildlich gebraucht. Delitzsch vergleicht treffend unser Wort Elend, eigentlich Aufenthalt in anderm Land (althochdeutsch elilenti), Heimatlosigkeit, Verbannung. Vergl. den Auszug aus Wichelhaus, S. 751 des vorliegenden Bandes. - Käme tybi$: nicht 4. Mose 21,29 als stat. abs. und in der Bed. Gefangenschaft vor, so würden wir mit Ewald als stat. abs. tWb$f annehmen, von bW$ wenden; dann hieße die Redensart (als schema etymol.) eine Wendung wenden, d. h. das Geschick jemandes wenden, welche allgemeinere Bedeutung sie ohnehin an manchen Stellen bekommt. Barth hält in der vorl. Formel bw# und hb# für zwei synonyme Wurzeln mit der Bed. sammeln; "die Sammlung (eines Volkes, eines Mannes) sammeln" bedeute nach einer ähnl. arabischen Phrase: sein Zerfahrenes wieder in Ordnung bringen, es wiederherstellen. Man vergl. auch die 2. Fußnote zu Psalm 126,1 Band IV, 2. Teil. S. 83. James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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9. Ach, dass ich hören sollte, was Gott, der HERR redet;
dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen,auf dass sie nicht auf eine Torheit geraten!
10. Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten,
dass in unserm Lande Ehre wohne;
11. dass Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
12. dass Treue auf der Erde wachse
und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;
13. dass uns auch der HERR Gutes tue
und unser Land sein Gewächs gebe;
14. dass Gerechtigkeit fürder vor ihm bleibe
und im Schwang gehe.


Nachdem der heilige Sänger für das schwer heimgesuchte, aber bußfertige Volk warme Fürbitte eingelegt hat, erwartet er in echter Glaubensgesinnung eine Antwort aus Gottes Mund. Er horcht in freudiger Zuversicht, ob er etwas vernehme, und gibt dann dem, was er erlauscht hat, in vollendet schöner dichterischer Form mit Begeisterung Ausdruck.

9. Ich will doch hören, was Gott der HERR redet. (Grundtext) Der Dichter ermuntert sich selbst zum Horchen auf Gottes Rede. Wenn wir glauben, dass Gott uns hört, so ist es nur natürlich, dass wir auch begierig sind ihn zu hören. Einzig von ihm kann das Wort kommen, das betrübten Seelen Frieden zuspricht. Menschenstimme ist dafür zu schwach, ein Pflaster, das viel zu klein ist für die Wunde; aber die Stimme Els, des starken Gottes, ist machtvoll. Er spricht, so geschieht es; ein Wort von ihm, und unsre Not ist zu Ende. Glücklich der Bettler, der geduldig an der Tür dieses reichen Herrn liegen kann und warten, bis dessen Liebe nach alter Gewohnheit Barmherzigkeit übt und alle Sorgen verscheucht! Er redet Frieden zu seinem Volk und seinen Heiligen (oder Frommen). (Wörtl.) Ob seine Stimme auch für eine Weile so streng klang und er scharf tadeln musste, schilt er doch nicht unaufhörlich; das Vaterherz bricht durch, und seine Stimme nimmt wieder den väterlichen Klang voll Freundlichkeit und Mitleiden. Frieden reden ist das besondere Vorrecht Gottes des HERRN, und tief und dauernd, ja ewig ist der Friede, den er durch seinen Zuspruch im Herzen erzeugt. Aber nicht allen bringt das göttliche Wort Frieden, sondern nur seinem Volk, nämlich denen, die Gottes Gnade an ihrem Herzen wirken lassen, den Frommen und (wie die griechische Bibel die folgenden Worte gelesen hat) denen, die ihr Herz ihm zuwenden,4 d. i. den Bußfertigen. Nach dem überlieferten hebräischen Text enthalten diese letzten Worte des Verses aber die wohlangebrachte Mahnung: Doch dass sie nicht zu (der früheren) Torheit zurückkehren! Täten sie das, so müsste ja auch die Zuchtrute wieder über sie kommen, und ihr Friede wäre dahin. Wer Gemeinschaft mit Gott genießen will, der wache eifersüchtig über sich und meide alles, was den Heiligen Geist betrüben könnte! Nicht nur vor groben Sünden, sondern auch vor den Torheiten des Lebens müssen diejenigen sich hüten, welche das hohe Vorrecht genießen, sich bewusster Gemeinschaft mit Gott zu erfreuen. Wir dienen einem eifrigen Gott und müssen darum ohne Unterlass gegen das Böse auf der Wacht stehen. Wer rückfällig geworden ist, der vertiefe sich in diesen Vers; derselbe wird ihn zugleich trösten und warnen, er wird ihn zum Gehorsam zurückführen und zur selben Zeit mit heiliger Furcht vor weiterem Abirren erfüllen. Zur Torheit zurückkehren ist schlimmer als einmal töricht sein; es beweist Mutwilligkeit und Halsstarrigkeit und stürzt die Seele in siebenfach große Sünde. Kein größerer Narr, als wer, es koste was es wolle, ein Narr sein will!

10. Ja sein Heil ist nahe denen, die ihn fürchten. (Wörtl.) Der Glaube weiß, dass der Gott des Heils stets bereit ist, zu retten, was sich retten lassen will. Doch nur an solchen, die ihn fürchten, die mit heiliger Ehrfurcht seine Gnade suchen, kann sich Gottes Rettergnade erweisen. In der Haushaltung des Evangeliums tritt diese Wahrheit leuchtend klar hervor. Ist aber suchenden Sündern das Heil so nahe, dann sicherlich umso mehr denen, die es einst genossen, aber die freudige Gewissheit der Begnadigung durch eigner Torheit Schuld gegenwärtig entbehren; sie haben sich nur wieder reumütig zum HERRN zurückzuwenden, so werden sie das Verlorene wieder genießen. Wir brauchen keine langen Umwege zu machen mit Kasteiungen und allerlei geistlichen Vorbereitungen, sondern dürfen durch Jesus Christus geradeswegs zu Gott gehen, gerade wie damals, da wir zum ersten Mal zu ihm kamen, so wird er uns auch wieder an sein liebendes Herz drücken. Wie ermutigend ist die köstliche Wahrheit, die der vorliegende Vers verbrieft, für alle Bußfertigen, sei es ein Volk, seien es Einzelne, die in Unglück und Züchtigungen den HERRN fürchten gelernt haben!
Dass in unserm Lande Ehre oder Herrlichkeit wohne. Das Ziel der das Volk wieder heimsuchenden Gnade wird die dauernde Aufrichtung eines besseren Standes der Dinge sein, so dass der Herr beständig von dem Volke verherrlicht werden und das Volk ein herrliches Maß von Wohlergehen genießen wird. Israel war mit Herrlichkeit und Ehren geschmückt, wann immer es dem HERRN treu war; wenn es entehrt und elend war, so war dies stets eine Folge seiner Treulosigkeit. Auch die Gläubigen haben ein Leben voller Herrlichkeit, wenn sie im Gehorsam wandeln; sie verlieren die echte Herrlichkeit und wahre Ehre nur, wenn sie vom HERRN weichen.
In den beiden Versen haben wir, unter dem Schleier des Buchstabens verhüllt, eine Hinweisung auf den, der das Wort Gottes ist, und zwar auf sein Kommen zu den Menschen in der Zeit tiefen Abfalls und großer Not, da die gläubigen Herzen mit sehnlicher Erwartung nach der so lange verzögerten Erfüllung der Verheißung ausschauen werden. Durch sein Kommen wird das Heil nahe gebracht werden, und dann wird die Herrlichkeit des HERRN unter den Menschen wohnen. Von diesen Dingen reden die folgenden Verse unverhüllt.

11. Güte und Treue begegnen einander. (Luther 1524.) Als Antwort auf sein Gebet sieht der Dichter frohen Herzens die Eigenschaften Gottes sich vereinigen, um das vordem schwergeprüfte Volk zu segnen. Die Gnade kommt Hand in Hand mit der Treue, um die zuverlässige Verheißung des Gottes der Liebe zu erfüllen; das Volk erkennt zugleich die Güte und die Wahrhaftigkeit Jehovas, er handelt an ihm weder als Tyrann noch als Wortbrecher. Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Der HERR, dessen gerechte Strenge dem Volk die schmerzliche Strafe auferlegte, sendet nun den Friedensengel, die Wunde zu verbinden. Da Israel jetzt willig ist, von seinen Sünden zu lassen und der Gerechtigkeit nachzujagen, wird ihm alsbald der süße Friede geschenkt. Die Kriegstrommel ward nicht mehr geschlagen, und die Banner der Feinde wehten nicht mehr; denn das Volk hatte den Götzendienst verlassen und betete Jehova an.
Das ist wohl die nächste Bedeutung der Verse; aber ihr innerer Sinn geht auf Christus Jesus, das versöhnende Wort. In ihm vereinigen sich die göttlichen Eigenschaften in lieblichster Harmonie zum Heil der schuldbeladenen Menschen; sie begegnen einander und umarmen sich gleichsam in einer Weise, wie es sonst nicht nur für unsere begründeten Befürchtungen, sondern auch für unsre lichtesten Hoffnungen undenkbar wäre. Gott bleibt bei diesem Heilswerke so wahrhaftig, wie wenn er jeden Buchstaben seiner Drohungen erfüllt hätte, und so gerecht, wie wenn er niemals dem Gewissen eines Sünders Frieden zugesprochen hätte; seine Liebe leuchtet dabei in ungetrübtem Glanze, aber keine seiner andern Vollkommenheiten wird dadurch verdunkelt. Es ist bei den modernen "Denkern" (?) Mode, sich über diese alte Darstellungsart der Wirkung des stellvertretenden Sühnöpfers unseres Erlösers lustig zu machen; aber wenn sie jemals selber empfunden hätten, welch erdrückende Last die Sünde für ein durch den Geist Gottes aufgewecktes Gewissen ist, so würden sie das Lachen lassen. Währenddessen ist es an denen, welche sich der wunderbaren, zwischen Himmel und Erde zustande gebrachten Aussöhnung erfreuen, immer wieder darob staunend anzubeten.

12. Treue (oder Wahrheit) sprosst aus der Erde. (Grundtext) Verheißungen, die gleich in der Erde begrabenen Samenkörnern noch unerfüllt daliegen, werden lebenskräftig hervorsprießen und Freudenernten gewähren; und die durch die Gnade erneuerten Menschen werden sowohl sich gegenseitig als auch ihrem Gott treu sein und die Falschheit verabscheuen lernen, die sie vorher liebten. Und Gerechtigkeit schauet vom Himmel, als machte sie das Fenster auf und lehnte sich hinaus, auf das jetzt bußfertige Volk niederzuschauen, das sie vordem nicht hätte anblicken können ohne einen Ausbruch der Entrüstung, der ihm verderblich geworden wäre. Eine köstliche Szene: die Erde mit Blumen der Wahrheit und Treue geschmückt, der Himmel von Sternen der Heiligkeit funkelnd; die Erd- und Himmelssphären einander antwortend, eine der anderen Echo, eine der Spiegel der Schönheit der andern! Wenn einst die Erde mit Treue als mit einem Blumenteppich, mit Gerechtigkeit als mit einem Baldachin geschmückt sein wird, dann wird sie ein Paradies, ein unterer Himmel sein; wenn Gott in Gnaden auf die Menschheit niederblickt und der Mensch sein Herz in treuem Gehorsam zum HERRN emporsendet.
Die Person unsers anbetungswürdigen Heilands ist die lieblichste Deutung dieses Verses. In ihm ist die Treue in der Menschheit verkörpert, und seine Gottheit bringt uns Gerechtigkeit. Das Werk seines Geistes erzeugt schon eine heilige Harmonie zwischen seiner Gemeinde hienieden und der majestätischen Gerechtigkeit droben. Und in der Zukunft Tagen wird die Erde allüberall mit jeder Tugend geschmückt sein und der Himmel mit ihr in trautem Verkehr stehen. Es liegt eine Fülle tiefen Sinnes in diesen Versen; es bedarf nur des Nachsinnens, sie heraufzuholen. "Der Brunnen ist tief," lieber Leser, aber wenn du den Geist Gottes hast, so kann nicht gelten, du "habest nichts, damit du schöpfest."

13. Ja der HERR wird Gutes gewähren. (Grundtext) Er, der die reine Güte ist, wird bereitwilligst von seinem Zorne lassen und seinem bußfertigen Volke Gutes gewähren. Unsre Bosheit bringt Böses über uns; aber wenn wir bekehrt werden, so dass wir dem Guten nachjagen, gibt uns der HERR auch reichlich allerlei Gutes zu genießen. Auch zeitliche Güter werden uns anvertraut werden, sofern wir sie ohne Gefährdung unsers geistlichen Wohls genießen können. Und unser Land wird sein Gewächs geben. Der Fluch der Unfruchtbarkeit wird mit dem Fluch der Sünde entfliehen. Gibt das Volk Gott, was Gottes ist, so wird auch der Boden die Arbeit reich belohnen. Seht heutigestags, was die Sünde in Palästina angerichtet, wie sie das blühende Gefilde in eine Wildnis umgewandelt hat! Die verwüsteten Striche des Landes sind die Narben seiner Missetaten; nur aufrichtige Buße und die göttliche Vergebungsgnade werden das zerrüttete Land wieder heilen. Aber auch die ganze Welt wird einst in den herrlichen Tagen des Tausendjährigen Reichs in dem Segen Gottes prangen.

14. Gerechtigkeit wird vor ihm wandeln (Luther 1524) und seine Tritte zu einem Weg machen (darauf man wandle). (Andre Übers.5 Gottes Einherschreiten in Gerechtigkeit wird eine Spur zurücklassen, in welcher sein Volk ihm freudig folgen wird. Er, der gerechterweise strafte, wird auch gerechterweise segnen; er wird in beidem seine Gerechtigkeit offenbar machen, solcherweise, dass dadurch Herz und Leben all der Seinen beeinflusst werden wird. Solcherart sind die Segnungen, welche uns das erste Kommen des Herrn gebracht hat, und solcherart wird in noch viel klarerer und herrlicherer Weise die Wirkung seines zweiten Kommens sein. Ja, komm, Herr Jesus! Amen.

Fußnoten
4. Bäthgen rekonstruiert aus den LXX folgenden Text: hÆl MbIfli yb"$f yl")Ewe Danach wären die 3 Buchstaben Mby in skw verschrieben worden.

5. Wir haben hier die revidierte engl. Übers. aufgenommen, wiewohl sie das schwierige Schlusssätzchen schwerlich richtig deutet. Delitzsch übersetzt: und (sie, die Gerechtigkeit) setzt (ihre Tritte) auf den Weg seiner (Jehovas) Tritte (d. h. folgt ihm unzertrennlich), oder: und achtet (My#=bl My#) auf den Weg seiner Schritte, geht also sorglich auf Jehovas Spuren. Keßler: und (sie) wird seine Schritte in Gang setzen, d. h. Jehova veranlassen, heilschaffend durch die Menschheit hinzuschreiten. Andreä (und ähnl. Tholuck): und er (Jehova) wird seine Schritte auf den Weg setzen, d. h. er selbst wird sich aufmachen, zu seinem Volk zu kommen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Dieser schöne Psalm ist wie so mancher andre ohne Namen- und Zeitangabe auf uns gekommen. Wer immer aber der Verfasser gewesen sein mag, er war ein hochbegabter Dichter, und mehr als das: seine Dichtkunst war mit dem Feuer vom Altar berührt worden und dadurch geläutert und verklärt. Der Psalm ist eine kostbare Reliquie aus jenem goldenen Zeitalter der hebräischen Muse, da diese von einem Geist beseelt war, der in den Dichtern Griechenlands und Roms niemals gelebt hat. Es ist sehr interessant, über den namenlosen Ursprung eines Teils der Psalmen nachzudenken und zu erwägen, wieviel die Gemeinde des HERRN etlichen "großen Unbekannten"6 zu danken hat, die uns mit Hymnen und geistlichen Liedern beschenkt haben, welche reicheren und edleren Gehalt haben als die Dichtungen der berühmtesten Klassiker. Diese heiligen Männer sind von der Erde geschieden, ohne uns einen Bericht ihrer Lebensgeschichte zu geben; aber sie haben uns Vermächtnisse an mannigfaltigen, inhaltsreichen, vom Geiste Gottes durchwehten Ergüssen ihrer Seele hinterlassen, für welche die Kirche ihnen bis zum Ende der Zeiten zu tiefem Dank verpflichtet bleiben wird. John Stoughton 1852.

Der zweite Teil des Buches Jesaja ist für das Israel des Exils geschrieben. Erst die Erlebnisse seit Cyrus entsiegelten diese große einheitliche Weissagung, die an Umfang nicht ihresgleichen hat. Und nachdem sie entsiegelt worden war, entsprossen aus ihr jene vielen Lieder der Psalmensammlung, welche uns teils durch ihren schwunghaften, anmutigen, durchsichtigen Stil, teils durch ihre allegorisierende Bildrede, teils durch ihre großen prophetischen Trostgedanken an ihr gemeinsames Muster erinnern. Unter diese sogenannten deuterojesajanischen Psalmen gehört auch dieser erste korahitische Jahvepsalm, welcher besonders durch seine allegorisierende Bildrede auf Jes. Kap. 40-66 hinweist. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Seinem Inhalt nach ist der Psalm ein Gebet derer, die sich zur bösen Zeit vor den Riss stellen und zu einer Mauer machen wollen um ihr Land und Volk. Karl H. Rieger † 1791.

Trotz der Vergebung, die der HERR Land und Volk hat zuteil werden lassen, V. 2-4, wird ein dringendes Gebet um neue Gnade laut, V. 5-8, zugleich damit aber auch die Gewissheit der Erhörung, wie sie durch das Friedereden des HERRN zugesichert ist, V. 9-14. Die Hauptsache ist unverkennbar der letzte Teil, die Tröstung. - Für das nachexilische Zeitalter des Psalms beweist der Inhalt von V. 2-4 und das deuterojesajanische Gepräge des Ganzen (Delitzsch), vergl. besonders V. 10 ff.; für eine Zeit wie diejenige Sacharjas, wo man trotz der Befreiung aus dem Exil Gottes Zorn noch fortdauern sah, V. 15 ff., wo man sich noch nach Ehre, Gerechtigkeit und Frieden im Lande sehnen musste, V. 10 f., wo die Gläubigen dergleichen aber auch in sichere Aussicht nehmen zu dürfen meinten, vergl. Sach. 1,12-17. - Kommentar von Prof. Fr. W. Schultz 1888.

V. 2. Das Gefängnis wenden (tWb$: bW$) ist eine im Alten Testament sehr geläufige Redensart. Es ist eine reine Erfindung, wenn man behauptet, diese Redensart könne sich nur auf das Exil beziehen und heiße: die Gefangenen zurückführen. Sie findet sich bereits in 5. Mose 30,3; David selbst spricht noch bestimmter von einem Zurückführen der Verstoßenen Israels 1. Chr. 16,35, und von Hiob heißt es Hiob 42,10, Jehova habe sein Gefängnis gewendet. Im Morgenland geschah sehr häufig eine Wegführung und Gefangennehmung - und eine Rückführung. twb# bezeichnet den Zustand der Gebundenheit, Knechtschaft und jeglichen Elends, und diesen Zustand wenden heißt: die Stunde der Erlösung und Befreiung herbeiführen. Gleichwie David sich einen Fremdling und Beisassen nennt, wie alle seine Väter, so war von der ägyptischen Dienstbarkeit her der Begriff ganz geläufig, dass Gottes Volk ein in Gefangenschaft befindliches, also nach Erlösung schmachtendes Volk ist. - Bei den Arabern heißt die Pest und der Tod "der Kerker Gottes." - Es leuchtet demnach ein, wieviel Gewicht der Grund hat, dass um dieser Redensart willen ein Psalm nicht von David verfasst sein könne. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.

V. 2-4. Im Zurückdenken an die vorigen Taten Gottes liegt eine große Stärkung für den Glauben. Aber wenn der Glaube so mit Gott ringt und ihm sein vormaliges Vergeben vorhält, so ist es etwas andres, als wenn ein Leichtsinniger denkt: "Ich habe wohl ehemals mehr Böses begangen, und es ist mir nichts widerfahren." Der Glaube rechtfertigt auch die Offenbarung des gerechten Zorns und Gerichts Gottes, ergreift aber das zu seinem Gebet und Fürbitte, dass sich Gott wieder davon abgewendet und auf den ersten Gnadenvorsatz umgelenkt habe. Karl Heinrich Rieger † 1791.

V. 2-5. Wir haben hier ein Gespann von sechs "Du hast", die alle an der Bitte des 5. Verses ziehen. Gott hat Gnade erwiesen, darum wird er Gnade erweisen; das ist ein kräftiges Belebungsmittel der Hoffnung, wenn nicht eine Beweisführung biblischer Logik. Siehe 2. Kor. 1,10. John Trapp † 1669.

V. 7. Dass sich dein Volk über dir freuen möge. St. Bernhard sagt in seiner 15. Predigt über das Hohelied: Jesus ist Honig im Munde, süße Musik im Ohr, Freude im Herzen. Ist unter uns ein Betrübter? Lass Jesus in dein Herz und vom Herzen über dein Antlitz kommen - und siehe, vor dem aufgehenden Glanze dieses Namens werden die Wolken zerstieben und wird alles wieder heiter werden! Thomas Le Blanc † 1669.

Wenn Gott die Traurigkeit seiner Kinder in Freude wandelt, sollte ihre Freude sich nicht den Gaben, sondern dem Geber zuwenden. David Dickson † 1662.

Es ist für das Volk Gottes das Allernatürlichste und Seligste, sich über und in Gott zu freuen. Gott ist der Quell der Freude, und in wen sollte er seine Freude ergießen als in die Seinen? Und in wen sollte wiederum ihre Freude zurückkehren als in ihn? John Pennington 1656.

V. 9. Ich will doch hören usw. (Grundtext) Das Auge muss als Sinnesorgan dem Ohr den Platz räumen. Darum hat man sinnreich bemerkt, unser Heiland habe wohl von Hand, Fuß und Auge befohlen, dass man sie abhauen und ausreißen solle, wenn sie einen ärgerten, habe aber nie derartiges vom Ohr gesagt. Wenn deine Hand, dein Fuß, dein Auge dich zur Sünde verleiten, so tu sie ab; aber trenne dich nicht von deinem Ohr, denn das ist ein Glied deines Leibes, das dir zu deiner Seelen Seligkeit wichtige Dienste leisten soll! Die Juden hatten Augen für Christi Wunder; aber weil sie kein Ohr hatten, seine Weisheit zu hören, hatten sie auch keine Füße, ins Himmelreich einzugehen. Man geht durch die Tür, nicht durch das Fenster ins Haus: das Auge ist nur das Fenster des Herzens, das Ohr ist die Tür. Christus aber steht und klopft an der Tür, nicht am Fenster (Off. 3,20). Er kommt jetzt durch sein Wort, nicht durch seine Wunder in die Herzen: seine Schafe hören seine Stimme.
Darum öffnet euer Ohr dieser Himmelsstimme! Der heilige Bernhard beschreibt ein gutes Ohr als eins, das willig hört, was es gelehrt wird, weislich versteht, was es hört, und gehorsam übt, was es verstanden hat. O gebt mir solch ein Ohr, so will ich es mit dem kostbarsten Golde, mit Zierat des Lobes behängen! Thomas Adams 1614.

Doch dass sie nicht zu Torheit zurückkehren! (Grundtext) Hier passt das Wort: Non minor est virtus, quam quaerere, parta tueri: Es bedarf keiner geringeren Kraft, das Erworbene zu erhalten, als Neues zu erwerben. James Durham † 1658.

V. 10-14. In den Versen 10-12 entfaltet der Dichter die vernommene Friedenszusage, so wie er sie vernommen hat. In lieblicher Allegorie, ganz nach Jesajas Weise (vergl. Jes. 32,16 f.; 45,8; 59,14 f.), werden die Güter genannt, die ein Volk wahrhaft glücklich machen. Die fern weggezogene Herrlichkeit macht sich im Lande wieder heimisch. Auf den Straßen Jerusalems wandelt die Gnade und begegnet da der Treue, wie ein Schutzengel dem andern. Gerechtigkeit und Friede oder Wohlfahrt, dieses unzertrennliche Brüderpaar, küssen da, nämlich sich einander, liegen sich also liebend in den Armen. V. 12-14 führt der Dichter dieses liebliche Zukunftsgemälde weiter. Nachdem Gottes Verheißungstreue hernieder getaut ist, sprosst aus dem Lande Bundestreue, die Frucht jener Befruchtung. Und Gnadengerechtigkeit blickt vom Himmel nieder, Gnade zulächelnd, Segen herabspendend. Jehova reicht dar alles, was nur immer gut ist und wahrhaft beglückt, und das Land reicht dementsprechend den Fruchtertrag, den man von einem so gesegneten Lande erwarten kann. (Vergl. Ps. 67,7 und 3. Mose 26,4) Jehova ist selbst im Lande gegenwärtig, und Gerechtigkeit folgt ihm unzertrennlich oder, nach andrer Auffassung, geht sorglich in seinen Spuren. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Homiletische Winke

V. 2. 1) Gefangenschaft: a) des Volkes Gottes; b) wiewohl und c) weil es Gottes Volk ist. 2) Erlösung. a) Die Tatsache. b) Ihr Urheber: Du: durch deine Macht, nach deiner Weise, zu deiner Stunde. c) Die Ursache der Erlösung: die Gnade Gottes. George Rogers 1874.
V. 3. 1) Wem ist Vergebung zuteil geworden? Dem Volke Gottes. Dies ist es a) durch Wahl, b) durch die Erlösung, c) durch wirksame Berufung. 2) Wann ist ihm Vergebung zuteil geworden? Du hast usw. 3) Wie ist das zustande gekommen? a) durch Hinwegnahme der Schuld (vergl. 3. Mose 16,22), b) durch Zudeckung (wie der Gnadenstuhl das verletzte Gesetz bedeckte). 4) Was ist vergeben worden? Alle ihre Sünde. George Rogers
V. 4. 1) Die Sprache der Buße. Es liegt in den Worten, dass der Zorn Gottes a) groß, b) gerecht, (dein Zorn) war. 2) Die Sprache des Glaubens an die Vergebungsgnade: Du hast deinen Zorn aufgehoben usw. Wir hätten ihn weder durch Werke noch durch Leiden abwenden können. 3) Die Sprache des Dankes: Du hast - du hast. George Rogers
V. 7. 1) Neubelebungen schließen in sich, dass vorher das geistliche Leben zurückgegangen war. 2) Sie kommen von Gott; Menschen können sie nicht zustande bringen. 3) Sie sind immer wieder nötig. 4) Sie werden uns in Erhörung unserer Bitten zuteil. 5) Sie sind Anlass großer Freude a) bei den Gläubigen b) über Gott. George Rogers
Freude am HERRN das beste Zeichen neu belebter Frömmigkeit.
V. 8. HERR, erzeige uns deine Gnade und schenke uns dein Heil! (Grundtext) 1) Das Heil ist Gottes Werk. a) Sein ist der Plan, b) sein die Ausführung; c) er hat die Bedingung des Heils festgesetzt; d) er wendet es dem Einzelnen zu, und e) er wird es vollenden. 2) Das Heil ist Gottes Gnadengeschenk. 3) Das Heil ist Gottes Antwort aufs Gebet. a) Es soll der Hauptgegenstand unserer Bitten sein, und b) in der Bitte um das Heil sind alle andern eingeschlossen. George Rogers
V. 9. 1) Wir sollten eine Antwort auf unsere Gebete erwarten. Wenn wir zu Gott geredet haben, sollten wir hören, was er uns als Antwort zu sagen hat a) in seinem Wort, b) durch die Führungen seiner Vorsehung, c) durch seinen Geist, der in unserm Herzen spricht. 2) Wir sollten eine Antwort des Friedens erwarten. 3) Wir sollten alles meiden, was uns dieses Friedens verlustig machen könnte. George Rogers
V. 9c. Nur mögen sie nicht zu Torheit zurückkehren! (Grundtext) Denn das wäre 1) noch schlimmere Sünde und 2) ihr eigener Schade. Thomas Goodwin † 1679.
V. 11. 1) Gottes Vollkommenheiten entfalten sich in dem Heilswerke: a) Gnade in der Verheißung des Heils, b) Treue in der Verwirklichung desselben, c) Gerechtigkeit in der Art der Verwirklichung, d) Friede in den Wirkungen des Heils. 2) Dieselben vereinigen sich in lieblichster Harmonie in dem Heilswerke. a) Wie? Sie begegnen einander, küssen sich. b) Warum? Jede um ihrer selbst willen, alle um der andern willen. c) Wo? aa) In dem Bundesschluss. bb) In der Menschwerdung Gottes. cc) Am Kreuz Christi. dd) Bei jeder Bekehrung eines Sünders. ee) In der Vollendung der Heiligen im Himmel. George Rogers
V. 13. Die Einträglichkeit unserer Arbeitsfelder eine Gabe Gottes.
1) Alles geistliche Gute kommt von Gott. Sind Buße, Vergebung, Glaube, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Wachsen in der Gnade, Bewahrung, Herrlichkeit etwas Gutes? Der HERR wird sie geben. 2) Alles zeitliche Gute kommt von Gott. Wir sollen es erlangen a) auf erlaubte Weise: unser Land; b) durch den Gebrauch gottgewollter Mittel: gibt sein Gewächs; c) in Abhängigkeit von Gottes Segen. Er gibt fruchtbare Zeiten usw. Auch die geistlichen Güter erlangen wir nicht ohne den Gebrauch der verordneten Mittel. George Rogers
V. 14. 1) Gerechtigkeit geht vor dem Herrn her. 2) Gerechtigkeit folgt seinen Spuren.

Fußnote
6. The Great Unknown, der große Unbekannte, wurde Sir Walter Scott, der berühmte engl. Dichter und Schriftsteller, † 1832, genannt, solange das Geheimnis der Anonymität seiner Schriften noch nicht enthüllt war. So nannte auch Ewald den nach seiner Meinung anonymen prophetischen Verfasser von Jes. 40 ff.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 86 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Gebet Davids. Wir haben hier einen der fünf als Gebete bezeichneten Psalmen vor uns. (Die übrigen sind Ps. 17; 90; 102; 142; vergl. auch Ps. 72,20) Der Psalm enthält sowohl Lobpreis als Flehen; aber er ist in allen Teilen so unmittelbar an Gott gerichtet, dass er ganz angemessen ein Gebet genannt ist. Ein Gebet ist darum nicht weniger, sondern erst recht ein Gebet, wenn sich Adern des Lobpreises hindurchziehen. Wir mögen aus dem vorliegenden Psalm ersehen, dass die großen Gottesmänner der alten Zeit in ganz ähnlicher Art gebetet haben, wie wir es zu tun pflegen. Die Gläubigen aller Zeiten sind vom selben Geschlecht. Eigentümlich ist unserm Psalm, dass der Name Adonai, Herr1, siebenmal (neben andern Gottesnamen) darin vorkommt.

Einteilung

Der Psalm hat keine eigentlichen Abschnitte; doch mag man ihn in drei Teile, deren jeder mit einem Ausdruck des Dankes oder der Zuversicht schließt, zerlegen. Wir lesen daher erst V. 1-7, dann V. 8-13, endlich V. 14-17.

Auslegung

1. HERR, neige deine Ohren und erhöre mich;
denn ich bin elend und arm.
2. Bewahre meine Seele; denn ich bin heilig.
Hilf Du, mein Gott, deinem Knechte, der sich verlässt auf dich.
3. Herr, sei mir gnädig;
denn ich rufe täglich zu dir!
4. Erfreue die Seele deines Knechts;
denn nach dir, Herr, verlanget mich.
5. Denn Du, Herr, bist gut und gnädig,
von großer Güte allen, die dich anrufen.
6. Vernimm, HERR, mein Gebet
und merke auf die Stimme meines Flehens.
7. In der Not rufe ich dich an;
du wollest mich erhören.


1. HERR, neige deine Ohren in Herablassung zu meiner Wenigkeit, aus Mitleiden mit meiner Schwachheit, und erhöre mich. Wenn unsere Gebete nur kleine, bescheidene Bitten aussprechen, weil wir zu tief gebeugt sind, oder wenn sie nur schwach und leise sind, weil Krankheit unsere Stimme zu Flüstertönen niederdrückt, oder ohne kühnen Aufschwung, weil Verzagtheit uns die Flügel lahmt, so wird der HERR sich zu ihnen herabneigen; der unendliche Jehova wird auf sie achten. Der Glaube wagt es, auch wenn er die hehrsten Gottesnamen ausspricht und Gott als Jehova anruft, die zartesten und herablassendsten Liebeserweisungen von ihm zu erbitten; und so erhaben der HERR ist, so liebt er es doch, wenn seine Kinder freimütig, ja in kühner Glaubenszuversicht mit ihm reden. Denn ich bin elend und arm - zwiefach in Not, weil elend und ohne Mittel, dem Elend abzuhelfen. Unsere Not ist ein kräftiger Grund, Erhörung von dem Gnädigen und Barmherzigen zu erwarten; denn Leid erzeugt Mitleid. Ein hochmütiger Mensch ließe sich niemals herab, solche Beweggründe vor Gott geltend zu machen, wie David sie hier anführt, und wenn wir dergleichen Worte beim öffentlichen Gottesdienst von den Lippen solcher wiederholen hören2, welche die geringen Leute wenig besser achten als den Staub, auf den sie mit ihren Füßen treten, so klingt das wie eine Verhöhnung des Allerhöchsten. Von all den verabscheuungswürdigen Sündern sind die wohl die scheußlichsten, welche die Sprache der geistlichen Armut reden, während sie sich reich und gar satt dünken.

2. Bewahre meine Seele! In der Seele ist das Leben. Schütze mein leibliches Leben vor den Anschlägen meiner Feinde und mein geistliches vor ihren Versuchungen! David fühlt sich ohne Gottes Schutz allen Gefahren preisgegeben. Denn ich bin heilig, Grundtext: fromm. Ich bin kein Verächter, sondern verehre und liebe dich mit ganzer Hingebung; so erweise du auch an mir deine göttliche Treue! Ich bin frei von den Bosheiten, die man mir zur Last legt, habe vielmehr auch den Menschen Liebe und Treue erwiesen; so handle denn du auch gnädig an mir, wie ich an meinen Mitmenschen!3 Es ist nicht stolze Selbstgerechtigkeit, wenn lautere Menschen ihre Unschuld geltend machen als guten Grund, weshalb sie der Folgen von Sünden, die man ihnen fälschlich zuschreibt, enthoben zu werden erwarten. Reumütige Seelen bewerfen sich nicht selbst aus Liebhaberei mit dem Schmutz der Sünde und malen sich nicht aus Demut schwärzer, als sie ohnehin sind. Nein, auch der demütigste Gläubige ist kein Narr und ist sich ebenso klar bewusst, von welchen Sachen er frei ist, als in welchen er das Schuldig über sich sprechen muss. Sünden bekennen, die man nie begangen hat, ist eine ebenso große Lüge, als wenn man wirkliche Fehler ableugnet. Hilf Du, mein Gott, deinem Knechte, der sich verlässt auf dich! Damit ja niemand meine, dass David auf seine Frömmigkeit baue, bekennt er alsobald, dass er sich auf den HERRN verlasse, sich also ganz von Gottes helfender Gnade abhängig wisse. Wie lieblich ist der Ausruf "mein Gott" in Verbindung mit dem andern: "dein Knecht "; wie köstlich die Zuversicht, dass wir auf Grund eben dieses Verhältnisses zum HERRN die Hilfe Gottes erfahren sollen, weil unser göttlicher Meister nicht jenem amalekitischen Herrn gleicht, der seinen kranken Knecht dem Elend überließ! (1. Samuel 30,11 ff.)

3. Herr, sei mir gnädig! Auch die besten Menschen brauchen Gnade und berufen sich auf die Gnade, ja auf nichts als Gnade; sie haben sie für sich selber nötig und erflehen sie inbrünstig von Gott als solch persönliches Erfordernis. Denn ich rufe täglich zu dir. Gibt es nicht eine Verheißung, dass die Zudringlichkeit obsiegen solle? Dürfen wir dann nicht unser unablässiges Bitten und Betteln Gott als Grund der Erhörung vorhalten? Wer täglich, oder, wie es eigentlich heißt, den ganzen Tag, d. i. allezeit, betet, der darf sich des versichert halten, dass der HERR ihn erhören wird, wenn ihm Hilfe Not sein wird. Haben wir je und dann Menschen angerufen oder uns an andere falsche Stützen geklammert, so mögen wir erwarten, dass wir zur Zeit der Not an diese verwiesen werden; haben wir aber stets allein zum HERRN um Hilfe aufgeblickt, so dürfen wir gewiss sein, dass er uns jetzt nicht im Stich lassen wird. Wie hat David doch gerungen! Erst macht er seine Not geltend, dann, dass er dem HERRN treu gesinnt sei, sodann, dass er des HERRN Knecht sei und sich auf seinen Gott verlasse, und endlich, dass er gelernt habe, zu beten ohne Unterlass. Fürwahr, das ist ein heiliges Flehen, wie es jedem Gläubigen wohl ansteht, welcher mit dem Gott ringt, dessen Name ist: der Gebetserhörer. (Ps. 65,3 Grundtext)

4. Erfreue die Seele deines Knechts! Mache mir das Herz froh, o du mein guter Meister; denn ich achte es für meine höchste Ehre, mich immer wieder deinen Knecht zu nennen, und deine Gunst ist aller Lohn, den ich begehre! Von dir allein erwarte ich meines Herzens Glück, darum erhebe ich zu dir, Herr, meine Seele. (Wörtl.) Wie die Sonnenblume sich dem Himmelslicht zukehrt, so wende ich mein Herz dir zu. Du bist für meine kranke Seele, was die eherne Schlange für die verwundeten Israeliten war; so hebe ich meinen Glaubensblick zu dir auf, dass ich lebe. Ich weiß, je näher ich dir komme, desto größer wird meine Freude; darum zieh du mich näher zu dir, während ich meinerseits dir zustrebe. Das ist überhaupt kein Kleines, die Seele zu erheben; es bedarf dazu vollends einer starken Kraft am Hebebaum, wenn die Seele im zähen Schlamme der Verzagtheit steckt. Noch schwerer aber hält es, die Seele bis zum HERRN zu erheben, denn die Höhe ist groß, die Last erdrückend. Der HERR wird aber den guten Willen gelten lassen und mit seiner allvermögenden Gnade zu Hilfe kommen. Dieser wird es sicher gelingen, den geringen Gottesknecht von der Erde hinauf bis zum Himmel zu heben.

5. Denn Du, Herr, bist gut und gnädig: gütig im Geben und willig zu vergeben. Du schenkst uns dein Gutes und nimmst uns unser Böses. Das ist der Grund, weshalb der Psalmdichter seine Freude beim HERRN allein suchte, weil alle Charaktereigenschaften, welche Freude erzeugen können, im HERRN, und in ihm allein, in Vollkommenheit zu finden sind. Manche Menschen, die doch für gut gelten wollen, sind in ihrem Eigendünkel über Beleidigungen, die ihnen zugefügt werden, so entrüstet, dass sie sie schlechterdings nicht vergeben können; wir mögen aber versichert sein: je besser jemand ist, desto williger ist er, zu vergeben. Das beste und höchste aller Wesen ist stets bereit, die Vergehungen seiner Geschöpfe aus seinem Gedächtnis zu löschen. Von großer Güte allen, die dich anrufen. Gott teilt uns seine Gnade nicht von einem kärglichen Vorrat zu, der durch irgendeinen Zufall so zusammenschmelzen könnte, dass ein Versagen zu befürchten wäre, sondern er schüttet die unerschöpflichen Schätze seiner Gnade wie aus einem Füllhorn aus; seine Huld fließt in übermächtigen Strömen über alle, die seinen Namen anrufen. Es ist, als hätte David bei Mose in der Felsenkluft gestanden und mit dem großen Gesetzgeber den Namen Jehovas ausrufen hören; denn zweimal führt er in diesem Psalm beinahe wörtlich die Stelle 2. Mose 34,6 an.

6. Vernimm, HERR, mein Gebet! Sogar die Herrlichkeit, die er erblickt hatte, zog ihn nicht vom Flehen ab, sondern eiferte ihn vielmehr zu desto größerer Inbrunst an; darum dringt er in den HERRN, sein Gebet anzuhören. Und merke auf die Stimme meines Flehens! Das sind Wiederholungen und ist doch kein unnützes Plappern, so wenig wie das anhaltende, immer gleich tönende Weinen eines Kindes vergeblich ist. Davids Flehen hat eine Stimme, die zum Herzen Gottes dringt; er betet laut, denn die Not seiner Seele muss heraus.

7. Zur Zeit meiner Not rufe ich dich an, denn du wirst mich erhören. (Grundtext) Ein guter Entschluss mit einer vernünftigen Grundlage. Es ist ja umsonst, jemand anzurufen, der nicht hören kann oder nicht hören will. Hat man erst den Menschen die Überzeugung beigebracht, dass das Gebet auf Gott keinen Einfluss habe, so werden sie bald nichts mehr vom Beten wissen wollen. In unseren geschäftigen Tagen und vollends in Zeiten der Not können die Leute ihre kostbare Zeit nicht mit Beten verschwenden, wenn dieses doch wirkungslos sein muss. Unsere Erfahrung bekräftigt uns aber in dem festen Glauben, dass Jehova, der lebendige Gott, wahrhaftig denen hilft, die ihn anrufen, und deshalb beten wir und sind fest entschlossen, damit fortzufahren. Nicht dass wir für das Gebet so voreingenommen sind, dass wir um sein selbst willen dabei beharren wollten, auch wenn nachgewiesen würde, dass es eitel Torheit und Aberglaube sei, wie törichte Weltweise behaupten; sondern weil wir es tatsächlich als ein kräftiges Mittel erkennen und erfahren, um in der Not Hilfe zu erlangen. Es gibt gar keinen vernünftigen Grund für das Beten, wenn wir nicht Erhörung erwarten dürfen. Wer wollte es sich zur Gewissenspflicht machen, mit dem Wind zu unterhandeln, oder Trost suchen im Anrufen der Meereswellen? Der Gnadenstuhl ist ein Narrenspiel, wenn es da kein Erhören, kein Antworten gibt. David glaubte - das zeigen die folgenden Vers - dass der HERR ein lebendiger und mächtiger Gott, ja allein Gott (V. 10) sei, und daraufhin entschloss er sich, ihn in jeder bangen Stunde anzurufen.

Fußnoten
1. Wir unterscheiden mit den besseren deutschen Bibelausgaben in der Schreibweise Herr gleich dem wirklichen Adonai und HERR gleich Jahve oder Jehova (von den Juden bekanntlich ebenfalls Adonai gelesen).

2. Bei dem Gottesdienst der anglikanischen Kirche werden viele Schriftworte von der Gemeinde gesprochen.

3. Das Parallelglied zeigt, dass das "fromm" hier in der erst angeführten Beziehung auf Gott gemeint ist. - James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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8. Herr, es ist dir keiner gleich unter den Göttern,
und ist niemand, der tun kann wie du.
9. Alle Heiden, die du gemacht hast,
werden kommen und vor dir anbeten, Herr, und deinen Namen ehren,
10. dass Du so groß bist und Wunder tust
und allein Gott bist.
11. Weise mir, HERR, deinen Weg,
dass ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem einigen, dass ich deinen Namen fürchte.
12. Ich danke dir, Herr, mein Gott, von ganzem Herzen
und ehre deinen Namen ewiglich.
13. Denn deine Güte ist groß über mich,
und hast meine Seele errettet aus der tiefen Hölle.


8. Herr, es ist dir keiner gleich unter den Göttern. Es gibt Wesen, die kraft übertragener Amtswürde Götter sind, nämlich die Könige und Obrigkeiten; aber sie sind wie nichts in der Gegenwart Jehovas. Es gibt solche, die der Aberglaube Götter nennt; aber die sind eitle Wahngebilde und können nimmer mit dem lebendigen und wahren Gott verglichen werden. Selbst wenn die heidnischen Idole Götter wären, so könnte doch ihrer keiner weder an Macht noch an Sinnesart dem selbstseienden, allschaffenden Gott Israels auch nur von fern gleichgestellt werden. Und ob all die erträumten Gottheiten ins wirkliche Dasein treten könnten, so würden wir dennoch Jehova als unseren Gott erwählen und alle andern verwerfen. Und nichts gleicht deinen Werken. (Wörtl.) Was haben die falschen Götter je gemacht oder zunichte gemacht? Welche Wunder haben sie gewirkt? Wann haben sie ein Meer zerteilt oder ein Volk durch eine Wüste geführt und ihm Brot vom Himmel regnen lassen? O Jehova, in deinem Wesen und in deinen Werken bist du so hoch erhaben über alle Götter wie der Himmel über dem tiefsten Abgrund der Unterwelt.

9. Alle Heiden, die du gemacht hast - demnach die ganze Menschheit, da sie alle von dem ersten Adam, den du geschaffen hast, abstammen und eines jeglichen Leben ein besonderes Schöpferwerk deiner Allmachtsfülle ist - diese alle werden kommen mit reuigem Herzen, gezogen von deiner Gnade; sie werden kommen zu dir selbst und vor dir anbeten, Herr. Weil du so hoch erhaben bist über alle Götter, werden die so lang betrogenen Völker endlich deine Größe erkennen und dir fußfällig die Anbetung zollen, die dir gebührt. Du hast sie alle geschaffen, und dir werden sie alle huldigen. Dies war es, was David bewog, sich in der Not zum HERRN zu wenden, weil er überzeugt war, dass eines Tages alle Menschen den HERRN als den einigen Gott anerkennen würden. Wir geben uns zufrieden, heute zu der verachteten Minderheit zu gehören, wenn wir sicher sind, dass eines Tages die Mehrheit auf unserer Seite sein, ja die Wahrheit einstimmig und in aller Herzen Anerkennung finden wird. David glaubte nicht an die Theorie, dass die Welt immer schlimmer werden und das Ende der Menschheit allgemeine Finsternis und unbestrittene Herrschaft der Götzenanbetung sein werde. Hätten wir etlichen unserer prophetisch angehauchten Brüder zu glauben, so wird das Licht der Sonne in zehnfach finsterer Nacht erlöschen. Das ist aber nicht, was wir erwarten. Wir sehen vielmehr hoffnungsfreudig dem Tag entgegen, an welchem die Bewohner des Erdbodens Gerechtigkeit lernen, auf den Heiland vertrauen, sich vor deinem Angesicht, o Gott, niederwerfen und deinen Namen ehren werden. Jene schwarzseherische neue Meinung hat den Eifer für das Missionswerk arg gedämpft. Je eher sie als schriftwidrig erwiesen wird, desto besser für die göttliche Reichssache. Sie stimmt weder mit der Weissagung, noch dient sie zu Gottes Ehre, noch erfüllt sie das Volk des HERRN mit Begeisterung. Darum weg mit ihr!

10. Denn Du bist groß. (Grundtext) Vorher hatte er gesagt: Du bist gut. Es ist köstlich, wenn Größe und Güte zusammengehen. Nur in der Gottheit ist sowohl das eine als das andere wirklich und in unbegrenzter Vollkommenheit vorhanden. Wohl uns, dass beides in dem HERRN in gleichem Maße und voller Harmonie zu finden ist. Wäre unser König groß, aber nicht gut, so würde das zur Willkürherrschaft führen; wäre er gut, aber nicht groß, so könnten seine Untertanen zahllosen Widerwärtigkeiten von fremden Feinden ausgesetzt sein; das eine wie das andere wäre schrecklich. Sind die beiden Eigenschaften aber beisammen, so haben wir einen Herrscher, auf den das Volk bauen und über den es frohlocken kann. Und tust Wunder. Weil er gütig ist, ist er, wie V. 5 bezeugt hat, willig zu vergeben; weil er groß ist, tut er Wunder. Wir dürfen beides Zusammenlegen; denn es gibt kein Wunder, das so wunderbar wäre wie die Vergebung unserer Sünden. Alles, was Gott tut oder macht, sind lauter Wunder. Er atmet, und geheimnisvoll bläst der Wind; er spricht, und der Donner setzt uns in ehrfurchtsvolles Staunen. Selbst das einfache Gänseblümchen ist ein unnachahmliches Meisterwerk, und der schlichte Kiesel birgt Weisheit in sich. Nur Toren gehen teilnahmlos an irgendetwas, das Gott gemacht hat, vorüber; die ganze Welt ist voller Wunder. Es ist beachtenswert, dass das Wörtlein "tust" in der gegenwärtigen Zeit steht: der HERR tut jetzt gerade Wunder, sie finden vor unseren Augen statt. Wo? Ei, blicke auf die schwellenden, berstenden Knospen des Frühlings oder auf die reifenden Früchte des Herbstes; schau zu den Sternen empor, oder lass deine Blicke über das Meer schweifen; achte auf die Führungen der Vorsehung oder auf die Siege der Gnade: überall und zu allen Zeiten erhebt der große Wundertäter seinen alles vermögenden Stab. Du, Gott, allein, oder wie Luther übersetzt: Du bist Gott allein. Du, o Gott, warst allein, bevor irgendeines deiner Geschöpfe war, und allein stehst du auch jetzt in deiner Gottheit da, nachdem du unzählbaren Scharen von Wesen das Leben gegeben hast; allein wirst du in Ewigkeit sein, denn keiner kann dir je gleichkommen. Die wahre Religion will nichts wissen von Nachgiebigkeit gegen Lüge und Irrwahn; sie lässt nimmer gelten, dass Baal oder Dagon auch Götter seien, sondern beansprucht für Jehova nichts weniger als alles. Die vielgerühmte Weitherzigkeit gewisser Neugläubigen darf von denen, die der Wahrheit ergeben sind, nicht gepflegt werden. Die Weltweisheit plant mit weltweitem Blick, ein Pantheon zu bauen, und errichtet in Wirklichkeit ein Pandänonium;4 es ist nicht unsere Sache, an solchem bösen Werk Handleistung zu tun. Wir möchten, im guten Sinn intolerant, unsere Mitmenschen zu ihrem Besten und zur Ehre Gottes über den Wert solcher Religionsmischerei aufklären. Verträglichkeit gegen die Lüge ist Verrat an der Wahrheit. Unser Gott lässt sich nicht anbeten als einer unter vielen Guten und Wahren, sondern nur als der alleinige Gott; und sein Evangelium darf nicht als eine Heilslehre neben vielen, sondern als die alleinige Wahrheit, die allein dem Menschen helfen kann, verkündigt werden. Der Lügen mögen viele sich unter einem Dach vertragen; aber in dem Tempel der Wahrheit gibt es nur eine unteilbare Gottesverehrung.

11. Weise mir, HERR, deinen Weg! Unterweise mich allezeit, lass mich stets in deiner Schule sein; aber lehre mich sonderlich jetzt, da ich in Not und Verlegenheit bin! Lass dir’s gefallen, mir den Weg zu zeigen, den deine Weisheit und Gnade mir bereitet haben, dass ich auf ihm aus dieser Drangsal entrinne! Siehe, ich lege allen Eigenwillen ab und begehre nur in deinem heiligen und gnädigen Willen unterwiesen zu werden. Nicht meinen Weg sollst du mir freigeben, sondern deinen Weg mir weisen; ich will dir folgen unbedingt. Dass ich wandle in deiner Wahrheit. Bin ich von dir unterrichtet worden, so will ich üben, was ich weiß. Die Wahrheit soll mir nicht eine bloße Sache der Erkenntnis oder der Gefühle sein, sondern etwas, das ich täglich im Leben übe. Ein treuer Knecht Gottes ordnet seinen Gang nach dem Willen seines Herrn; darum wandelt er nie auf trüglichem Steg, denn Gottes Weg ist lauter Wahrheit. Die Vorsehung bahnt uns einen Weg, und wir tun wohl, wenn wir diesen Weg genau einhalten. Wir sollen es nicht dem Ochsen nachmachen, den man treiben und drängen muss, weil ihm der Weg nicht behagt, sondern sollen Menschen gleichen, die willig den Pfad wandeln, den ihr zuverlässiger Freund und Führer sie gewiesen hat.
Einige mein Herz, d. h. richte mein Herz auf das eine, dass ich deinen Namen fürchte! (Grundtext) Hast du mich den einen Weg, deinen Weg, gelehrt, so gib mir auch ein einig Herz, den Weg zu wandeln; denn ach, wie oft ist es mir, als ob ich ein Doppelherz in mir hätte, zwei Naturen, die miteinander streiten, zwei Mächte, die in mir um die Herrschaft ringen. Unsere Seelenkräfte zerteilen sich so leicht auf eine Menge Gegenstände wie rieselnde Bächlein, die ihre Kraft in hundert Rinnsalen vergeuden. Unser Hauptbestreben sollte dahin gehen, dass alle Wasser unserer Lebenskraft sich in einen Strom sammeln und dieser Strom gerades Laufs zum HERRN hinfließe. Wer ein zwiespältig Herz hat, ist schwach und, wie Jakobus sagt, unbeständig in allen seinen Wegen; der Mensch, der ein Lebensziel hat, einen Zweck verfolgt, der ist ein ganzer Mann. Gott, der die Bande unserer Natur gewoben hat, kann sie zusammenziehen und festknüpfen, sie fest und stark machen; wenn wir so durch die einigende, sammelnde Gnade innerlich fest gegürtet sind, werden wir tüchtig werden zum Guten, sonst aber nicht. Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang, Wachstum und Reife; darum sollten wir uns ihr ganz und ungeteilt, mit Herz und Seele, hingeben.

12. Ich will dich preisen HERR, mein Gott, von ganzem Herzen. (Grundtext) Wir sollten Gott nie mit weniger als dem ganzen Herzen, der ganzen Seele und allen Kräften loben; sonst ist unser Lobpreisen unwahr und unannehmbar. Zum zweiten Mal sagt David hier zum HERRN: mein Gott; das erste Mal (V. 2) war er im heißen Gebetskampf, jetzt tut er es in der vollen Begeisterung des Lobpreisens. Wenn irgend etwas einen Menschen zum Bitten und zum Anbeten treiben kann, so ist es die Erkenntnis, dass der HERR sein Gott ist. Und deinen Namen ehren ewiglich. In alle Ewigkeit wird die Dankbarkeit ihn zum Loben drängen. Gott kommt mit seinem Segen nie zu Ende, so lasst auch uns nie des Dankens und Anbetens ein Ende finden. Wie er uns stets von neuem Gnade erweist, so lasst uns ihm fort und fort dafür die Ehre geben!

13. Denn deine Güte ist groß über mich. Persönliche Erfahrung ist stets der beste Sangmeister. Was immer du, o Gott. für andere bist, mir ist deine Gnade das Auffallendste. Der Psalmist will so herzhaft wie nur je einer singen, weil er der Gnade so viel wie nur je einer schuldet. Und hast meine Seele errettet aus der tiefen Hölle. Dem schrecklichsten Tode und der tiefsten Schmach war David durch Gott entrissen worden. Seine Feinde hätten ihn gern zur Hölle gesandt, ja noch Schlimmeres ihm getan, wenn sie es vermocht hätten. Auch konnte er es, da er von seiner Sündhaftigkeit tief überzeugt war, nur der Gnade zuschreiben, dass nicht das völlige Verderben sein Los war. Es sind unter den jetzt Lebenden auch manche, die dem Psalmdichter diese Worte aufrichtig nachsprechen können, und der diese Zeilen schreibt, bekennt in Demut, dass er zu diesen gehört. Wäre ich mir selber überlassen worden, dass ich meinen Leidenschaften hätte frönen, mit dem Ungestüm meiner Natur auf der abschüssigen Bahn hätte vorwärts eilen, mit ungezügeltem Leichtsinn dem HERRN hätte trotzen können - wie reif wäre ich bis zum heutigen Tage für den untersten Höllenabgrund geworden! Für mich gab es nur ein Entweder-Oder: entweder große Gnade oder die tiefste Hölle. Von ganzem Herzen singe daher auch ich: Deine Güte ist groß über mich, und hast meine Seele errettet aus der tiefen Hölle.
Kühn und froh klingt hier des Dichters Gesang; alsbald aber stimmt er seine Harfe wieder zu Wehmutsklängen.

Fußnote
4. Pantheon: ein Tempel zu Ehren aller Götter; Pandämonium: ein Sammelplatz aller höllischen Geister.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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14. Gott, es setzen sich die Stolzen wider mich,
und der Haufe der Gewalttätigen stehet mir nach meiner Seele,und haben dich nicht vor Augen.
15. Du aber, Herr Gott, bist barmherzig und gnädig,
geduldig und von großer Güte und Treue.
16. Wende dich zu mir, sei mir gnädig;
stärke deinen Knecht mit deiner Kraft und hilf dem Sohn deiner Magd!
17. Tue ein Zeichen an mir, dass mir’s wohlgehe,
dass es sehen, die mich hassen, und sich schämen müssen,dass Du mir beistehest, HERR, und tröstest mich.


14. Gott, es setzen sich die Stolzen wider mich. Sie konnten den armen Knecht Gottes nicht in Ruhe lassen. Sein frommer Wandel war ihnen wie Rauch in den Augen; so beschlossen sie denn ihn zu vernichten. Niemand hasst die Frommen so grimmig wie die Hochmütigen und Vermessenen. Und der Haufe der Gewalttätigen stehet mir nach meiner Seele. Einmütig trachteten die Verfolger dem Gottesfürchtigen nach dem Leben; in Rudeln jagten sie ihm nach wie Hunde, mit feiner Witterung und behenden Füßen. In Verfolgungszeiten hat mancher Knecht Gottes diese Worte auf päpstliche Bischöfe und Inquisitoren angewendet. Und haben dich nicht vor Augen. Sie hätten den Knecht nicht belästigt, wenn sie sich auch nur im Geringsten um dessen Herrn gekümmert hätten. Wer Gott nicht fürchtet, scheut vor Gewalttaten und Grausamkeiten nicht zurück. Jeder Gottesleugner ist ein Menschenhasser. Irreligiosität und Unmenschlichkeit sind nahe Verwandte.

15. Du aber, Herr. Welch ein Gegensatz! Weg von dem Trotzen und Poltern der kleinen und doch so großtuerischen Menschen hin zu der Herrlichkeit und Güte des HERRN! Weg von dem tosenden Schäumen der irdischen Wogen hin zu dem so erhaben stillen kristallhellen Feuermeer! Bist ein barmherziger und gnädiger Gott (Grundtext), geduldig und von großer Güte und Treue. Eine feierliche Lobpreisung, in der auch nicht ein überflüssiges Wort ist. Wie wir schon vorhin bemerkt haben, ist sie wesentlich 2. Mose 34,6 entnommen. Dies Wort zeigt uns in Gott Erbarmen mit den Elenden und Traurigen, Gnade für die Unwürdigen, Geduld mit denen, die ihn zum Zorn reizen, Güte gegen die Schuldigen und Treue gegen die Vielgeprüften. Gottes Liebe tut sich in mancherlei Gestalt kund und ist in jeder lieblich. In welche Lage wir auch geraten sein mögen, es gibt in Gottes Liebeslicht stets einen Strahl, dessen Farbenton zu unseren Umständen stimmt. Die Liebe ist einig und doch siebenfältig; ihr weißes Licht schließt den ganzen Farbenreichtum in sich. Sind wir traurig? Der HERR ist voller Mitleid. Haben wir mit Versuchungen zu kämpfen? Seine Gnade kommt uns zu Hilfe. Haben wir uns an ihm vergangen? Er ist langsam zum Zorn. Haben wir gesündigt? Bei ihm ist viel Vergebung. Stützen wir uns auf seine Verheißungen? Er wird sie mit ganzer Treue erfüllen.

16. Wende dich zu mir! Als hätte Gott sein Angesicht im Zorn von ihm abgewendet, so fleht der Beter, dass Gott ihm wieder das Bewusstsein seiner Huld gewähren möge. Eine Wendung des göttlichen Angesichts kehrt alle unsere Finsternis in helles Tageslicht. Sei mir gnädig! Das ist alles, was er verlangt, denn er ist von Herzen demütig; das ist alles, was er braucht, denn die Gnade erfüllt alle notwendigen Bedürfnisse des Sünders. Stärke deinen Knecht mit deiner Kraft! Umgürte mich mit deiner Stärke, auf dass ich dir diene; beschütze mich mit deiner Kraft, dass ich nicht überwunden werde! Verleiht der HERR uns seine eigene Stärke, dann sind wir allem gewachsen und brauchen keinen Feind zu fürchten. Und hilf dem Sohn deiner Magd! Er will sagen, dass er in das Knechtsverhältnis zu Gott hineingeboren sei. Wie die Söhne der Leibeigenen kraft ihrer Geburt ihres Herrn Eigentum waren, so rühmte er sich des, dass er der Sohn einer Mutter war, die selber dem HERRN angehörte. Was andern erniedrigend scheinen möchte, das hebt er mit besonderer Freude hervor, um zu zeigen, wie lieb ihm des HERRN Dienst sei, und zugleich als einen Grund, weshalb der HERR ihm zu Hilfe kommen solle, da er ja nicht ein neu angeworbener Knecht sei, sondern schon von Geburt an ihm zugehöre.

17. Tu ein Zeichen an mir zum Guten! (Grundtext) Lass mich deiner Gnade dadurch neu versichert werden, dass du mich aus der Not errettest. Dass es sehen, die mich hassen, und sich schämen müssen. Was mir Gutes kündet, bringe ihnen Angst und Schande! Wenn meine Feinde enttäuscht und in die Flucht geschlagen sind, werden sie sich ihrer Anschläge schämen. Dass Du mir beistehest, HERR, und tröstest mich. Gott tut nichts halb. Wem er hilft, den tröstet er auch und lässt ihn also nicht nur sicher, sondern auch fröhlich sein. Das missfällt den Feinden freilich aufs höchste, bringt dem HERRN aber zwiefache Ehre ein. HERR, handle so immerdar an uns, so wollen wir dich preisen in Ewigkeit! Amen.

Erläuterungen und Kernworte

V. 2. Denn ich bin fromm. (Grundtext) Einige haben sich darüber aufgehalten, dass David seine eigene Güte rühmt; allein wenn er dazu besondere Veranlagung hatte und nicht über die Wahrheit hinausging, so tat er damit nichts Unrechtes. Das haben Hiob, David, Petrus, Johannes, Paulus und andere getan. (Siehe Hiob 27,5; Ps. 116,16; Joh. 21,15-17; Off. 1,9; 1. Kor. 9,1) Auch liegt keine Anmaßung darin, wenn wir Gott bitten, uns Barmherzigkeit zu erzeigen, weil wir andern gegenüber mitleidig handeln, oder uns zu verzeihen, weil wir andern verzeihen. Vergl. Mt. 5,7; 6,14 f. William S. Plumer 1867.

Wenn Gott seinem Knecht hilft, so hilft er einem, der ihm gehört, und wenn er dem hilft, der sich auf ihn verlässt, so erweist er sich gerecht und treu, indem er ausführt, was er zugesagt hat. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.

V. 3. Ich rufe täglich zu dir. Ein großer Unterschied zwischen Gläubigen und Sündern beim Gebet ist der, dass die Sünder, wenn sie überhaupt beten, es nur tun, wenn sie in Not sind, wo hingegen die Gläubigen täglich zu Gott schreien. Vergl. Hiob 27,10. William S. Plumer 1867.

V. 4. Erfreue die Seele deines Knechts usw. Im Geschaffenen habe ich nirgend Ruhe gefunden; darum erhebe ich meine Seele auf den Schwingen des Gebets und des Verlangens zu dir, o mein Schöpfer. Die Liebe hebt die Seele empor. Es ist mit Recht gesagt worden, dass die Seele viel mehr da sei, wo der Gegenstand ihrer Liebe sei, als wo sie wirklich weile. Gedanken und Begierden sind die Flügel der Seele; denn wer liebt, wird dorthin getragen und wohnt da, wo er liebt, indem er beständig an den Gegenstand seiner Liebe denkt und sich nach ihm sehnt. Wer wirklich und von Herzen Gott liebt, der erhebt seine Seele zu ihm, wo hingegen derjenige, der die Welt liebt und daher an die Dinge der Welt denkt und nach ihnen gelüstet, seine Seele zur Erde hinuntersinken lässt. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.

Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Hättest du Korn in einem Untergelass, so trügest du es wohl auf den Speicher, damit es nicht verfaule. Willst du aber für dein Korn sorgen und dein Herz auf der Erde verderben lassen? O erhebe dein Herz himmelwärts! Fragst du: Wie soll ich das machen? Deine Liebe ist die Leiter, dein Wille das Seil. Durch Lieben steigst du aufwärts, durch Gleichgültigkeit sinkst du niederwärts. Liebst du Gott, so bist du im Himmel, während du auf Erden weilest. Das Herz wird nicht emporgehoben wie der Leib. Soll der Leib höher hinauf, so muss er den Ort wechseln; gilt es aber, das Herz emporzuheben, so muss sich der Wille verändern. Aurelius Augustinus † 430.

V. 5. Gnädig, wörtl.: gern vergebend. Die meisten Menschen sind zum Verzeihen nicht schnell bereit, sondern können nur schwer dazu gebracht werden, wenn sie es auch schließlich tun. Aber Gott vergibt gern. Er hat seine Gnade stets zur Hand. Er macht es gleichsam wie jemand, der gern ein Geschäft abschließt und die nötigen Papiere zum Voraus fertigstellt, so dass nur Tag und Name hineingefügt zu werden brauchen. Ja, bei Gott sind Datum und Name schon vor aller Ewigkeit in den Gnadenbrief hineingeschrieben. Gott braucht sich zum Vergeben nicht erst ein Herz zu fassen, sein Herz ist immerdar in voller Bereitschaft. Joseph Caryl † 1673.

Von großer Güte. Es ist prächtig, im Meer zu fischen; es ist herrlich, einem König zu dienen. Da gibt’s die Hülle und Fülle. So bezeugt die Schrift an vielen Stellen, dass Gott nicht nur barmherzig und gnädig ist, sondern reich an Barmherzigkeit und von großer Güte; dass nicht nur Erlösung bei ihm zu finden ist, sondern viel Erlösung (Ps. 103,8; 130,7; Jes. 55,7). Was wir unheilige und gottlose Geschöpfe brauchen, ist Erbarmen und Vergebung; diese sind reichlich bei Gott zu finden, so reichlich wie Wasser in den unerschöpflichen Vorratskammern des Meeres. Wer in Not ist, geht doch zehnmal lieber zu der Tür eines reichen Mannes als zu der eines armen, wenn er weiß, dass der reiche eben so freigebig und gütig gesinnt ist, wie es der arme nur immer sein kann. John Goodwin † 1665.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 8-10. Zweierlei sind die Zweifel, die in der Stunde der Anfechtung sich zwischen uns und unseren Gott stellen; es sind entweder die Zweifel, ob Gott helfen wolle, oder ob er helfen könne. Die ersteren hat David vorher abgewiesen; nun gibt er zu erkennen, dass auch die andern ihm nichts anzuhaben vermögen. Wo irgendein Wesen ist auf der ganzen Erde, dem geholfen wird, des Hilfe ist vom HERRN gekommen; ohnmächtig sind jene Gebilde der Gedanken, welche die Heiden anbeten. Von dieser Wahrheit wird der Sänger dergestalt durchdrungen, dass die prophetische Ahnung in seiner Seele aufsteigt, dass zu dem Gott einst noch alle Völker die Hände erheben müssen. Und zwar spricht er diese große Hoffnung zugleich mit der tiefsinnigen Andeutung des letzten Grundes aus, auf welchem sie beruht, indem er sagt: "Alle Heiden, die du gemacht hast ," da in der Tat etwas Widersprechenderes nicht gedacht werden kann, als wenn der aus Gott entsprungene Geist sich in Ewigkeit seines Ursprungs nicht erinnern sollte. Prof. August Tholuck 1843.

Obwohl meist nur in älteren Gebetsworten sich ergehend, ist auch dieser Psalm nicht ohne sonderliche Bedeutsamkeit und Schöne. Mit dem Bekenntnis der Unvergleichlichkeit des HERRN, V. 8, verbindet sich V. 9 die Aussicht auf Anerkenntnis des Unvergleichlichen in der Völkerwelt. Diese klare, unverblümte Weissagung von der Bekehrung der Heiden ist die Hauptparallele zu Off. 15,4. "Alle Nationen, die du gemacht" - sie haben ihr Sein von dir, und obwohl sie das vergessen haben (vergl. Ps. 9,18), kommt es ihnen endlich doch zum Bewusstsein. Und wie gewichtig kurz und lieblich ist die Bitte V. 11: uni cor meum ut timeat nomen tuum. Richte doch - dies ist der Bitte Sinn - alle Kräfte und Strebungen meines Innern auf das eine, deinen Namen zu fürchten, d. i. konzentriere sie auf das eine, dir, dem in Werken der Schöpfung und in Worten und Taten des Heils Offenbaren, mich willig und gehorsam hinzugeben. Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 11. Weise mir deinen Weg! Über nichts ist die Welt so unwissend wie über ihre Unwissenheit. Sie meint, sie wisse genug, wenn sie etliche einfache Glaubenssätze auswendig weiß. Sie tröstet sich damit, dass sie nicht ungläubig sei, weil sie ja an einen Gott glaube: aber um seine Wege, seine Gebote, seine Gesinnung und sein Wesen kümmert sie sich nicht. Nur in der alleroberflächlichsten Weise will sie mit Gott in Berührung kommen. Sie fürchtet wohl, dass die Eigentümlichkeiten seines Wesens nicht recht zu den Eigentümlichkeiten ihres Lebens passen möchten! John Hyatt † 1660.

Dass ich wandle in deiner Wahrheit, das heißt, der Schrift gemäß. Möge unser Wandel biblisch sein! Ach, dass unser Leben sich gleichsam als ein Abdruck der Bibel erwiese! Tu, was Gottes Wort befiehlt! Gehorsam sein ist eine treffliche Weise, die Heilige Schrift auslegen. Das Wort sei der Sonnenzeiger, nach welchem du dein Leben richtest. Was nützt einem Zimmermann sein Winkelmaß, wenn er es nie zum Messen und Richten gebraucht? Was hilft uns das Richtmaß des Wortes, wenn wir unser Reden und Tun nicht nach ihm regeln? Thomas Watson 1660.

Unter dem Wandel versteht die Schrift unser ganzes Verhalten; in etwas wandeln bedeutet, darin sein Element haben, ganz davon beeinflusst werden. William Jay † 1853.

V. 12. Man ehrt Gott, wenn man ihn lobt. Wir lesen von den Heiligen, dass sie Harfen, das Sinnbild des Lobes, in den Händen haben. Viele Leute haben Tränen in den Augen und Klagen auf den Lippen; aber wenige haben Harfen in den Händen und Loblieder auf den Lippen, um Gott zu preisen. Thomas Watson 1660.

V. 13. Hölle (Unterwelt) wird manchmal bildlich gebraucht für große, dringende Gefahren, für Nöte, für welche es keinerlei Hilfe oder Rat gibt. Das Bild ist passend, weil die Hölle ein Ort ist, aus dem es kein Entrinnen, kein Wiederkommen gibt. Aus den Banden der ewigen Finsternis gibt es keine Befreiung. Wandlungen kommen nur auf der Erde vor; im Himmel und in der Hölle kennt man keine. Wenn David Gott dafür preist, dass er seine Seele aus der tiefen Hölle errettet habe, so meint er einen Zustand auf Erden, aber der denkbar ärgsten und schrecklichsten Gefahr. Gottes Erbarmen hatte ihn aus dem Allerschlimmsten gerettet. Joseph Caryl † 1673.

Einer mit einem schlimmen Rechtsfall soll in den Kerker abgeführt werden. Es kommt aber ein Gönner und tritt für ihn ein. Was sagt er ihm zum Dank? Du hast mich aus dem Kerker befreit! - Ein Schuldner soll gefoltert werden, seine Schuld wird aber gezahlt. Da sagt man: Er ist von der Folter gerettet. Diese Leute hatten die eigentliche Qual noch nicht erduldet, waren aber auf dem besten Weg dahin. Wäre ihnen nicht Hilfe gebracht worden, so wären sie wirklich hineingeraten. So sagen sie mit Recht, sie seien daraus errettet worden. Aurelius Augustinus † 430.

Manche übersetzen: aus der untersten Hölle. Nach den jüdischen Überlieferungen gibt es sieben verschiedene Abteilungen in dem Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen. Daniel Creßwell † 1844.

V. 17. Dass alle Welt sehe, dass niemand vergeblich auf Gott seine Zuversicht setze, das ist es, wonach er verlangt. Denn da die Feinde das Gottvertrauen selber, das er in seiner Trübsal bewiesen, verhöhnt hatten, so geht seine Bitte auf die Beschämung jenes Unglaubens, der in seinem Unvermögen, sich von einem lebendigen und ohne Unterlass in Liebe wirksamen Gott eine Vorstellung zu machen, einen müßigen Gott träumt, einen Gott, welcher, taub gegen das Geschrei seiner Kinder, sich in seinen Himmel verschließt. Dass David hier ein besonderes, wunderbares Zeichen verlange, wie von manchem gemeint worden ist, liegt nicht notwendig in diesen Worten; er betrachtet vielmehr die Hilfe selbst als ein Zeichen (Ps. 71,7). Und wird nicht in der Tat, je mehr wir auch in allen täglichen Begebenheiten Gottes geheimnisvoll regierenden Einfluss erkennen, desto mehr auch alles, was andern alltäglich dünkt, zum Zeichen und Wunderwerk? Prof. August Tholuck 1843.

Dass du mir beistehst: im Kampf, und tröstest mich: im Leid. Aurelius Augustinus † 430.

Homiletische Winke

V. 1. 1) Eine merkwürdige Bitte: HERR, neige deine Ohren. 2) Eine merkwürdige Begründung: Denn ich bin elend und arm. 3) Merkwürdige Gnade, die selber dem Bittenden seine Not aufgedeckt hat, um ihm davon zu helfen.
V. 2. 1) Welcher Segen wird erfleht? Gegenwärtige, geistliche, völlige und ewige Bewahrung. 2) Warum dürfen wir diesen Segen erwarten? a) Weil wir Gottes sind: ich bin heilig; b) weil Gott unser ist: mein Gott; c) weil unser Glaube Gottes Verheißung für sich hat: der sich verlässt auf dich; d) weil unser Gehorsam die Echtheit unseres Glaubens erweist: dein Knecht.
V. 3. Heilige Zudringlichkeit. 1) Wann bittet sie? Täglich, oder vielmehr den ganzen Tag. (Grundtext) 2) Wie bittet sie? Ich rufe. 3) Zu wem fleht sie? Zu dir. 4) Was erbittet sie? Sei mir gnädig!
Ich rufe allezeit zu dir: um Gnade, die mir vergibt, mich heiligt, mir beisteht, mich bewahrt, für mich sorgt und mich leitet. William Jay † 1853.
V. 4. 1) Die Freude des Gläubigen kommt von Gott: Erfreue usw. 2) Sie richtet sich auf Gott: Zu dir erhebe ich meine Seele.
V. 5. Tröstliche Gedanken über Gott. 1) Güte ist sein Wesen. 2) Verzeihung hat er stets bereit. 3) Huld strömt von ihm in reicher Fülle. 4) Selbst wo er Unterschiede macht, ist seine Gnade groß: von großer Huld und Treue allen (wenn auch nur denen), die ihn anrufen.
V. 6. Der Beter begehrt vor allem eine Antwort. Was steht solcher Erwartung entgegen? Welche Gründe ermuntern dazu, an dieser Erwartung festzuhalten? Welche Pflichten erwachsen uns aus der erfahrenen Erhörung?
V. 7. 1) Was haben wir zu erwarten? Zeiten der Not. 2) Was sollen wir tun? Gott anrufen. 3) Was werden wir erfahren? Erhörung.
Das Gebet ist 1) ein Zweck der Not, 2) ein Beweis, dass uns die Not zum Segen geworden ist, 3) der beste Trost in der Not, und 4) das Mittel zur Rettung aus der Not. William Jay † 1853.
V. 8. 1) Gott ist einzig. Er ist der alleinige Gott; das Wesen der falschen Götter ist ihm gänzlich unähnlich. 2) Seine Werke sind einzigartig. Natur, Vorsehung und Gnade sind lauter einzigartige Offenbarungen Gottes.
V. 9. Die gewisse Hoffnung auf die Bekehrung der Welt, im Gegensatz zu gewissen modernen Theorien.
V. 10. 1) Gott ist groß, darum dürfen wir Großes von ihm erhoffen. 2) Er ist unerforschlich, darum sind Wunder von ihm zu erwarten. 3) Er ist allmächtig, darum ist solches, was andern unmöglich ist, von ihm zu erwarten: er ist allein Gott.
V. 11. Der Gläubige, in seiner Gesinnung entgegengesetzt 1) dem unwissenden und gedankenlosen Sünder, der sich nicht um den Weg, auf dem er geht, noch um sein Ende kümmert; 2) den Antinomisten (Gesetzesverächtern), die um die Lehre eifern, aber der Ausübung der Frömmigkeit abhold sind; 3) den Werkheiligen, die die fromme Gesinnung missachten und nur auf das äußere Werk sehen; 4) den Heuchlern, deren Herz zwischen Gott und Welt geteilt ist. John Hyatt 1811.
Der Christ als ein Schüler, als ein Mann der Tat und als ein von Herzen frommer Mensch.
V. 11b. Der Wandel in Gottes Wahrheit: Glauben, üben, erfahren und bekennen der Wahrheit. William Jay † 1853.
V. 11c. Wie notwendig, segensreich und vernunftgemäß die ungeteilte Herzenshingabe an Gott ist.
V. 12. Die Kunst, Gott mit dem Herzen zu preisen.
V. 13. 1) Wo hätte ich sein können? In der tiefen Hölle. 2) Was hat der HERR für mich getan? Du hast meine Seele errettet. 3) Was ist er mir jetzt? Deine Güte ist groß über mich.
V. 13a. Gottes Güte oder Gnade ist groß in der Erzählung, Erlösung, Berufung, Vergebung, Bewahrung usw. Sie ist groß, jetzt in diesem Augenblick, indem sie für mich sorgt, mich in Gefahren beschützt, in Leid tröstet usw. Groß ist sie über mich, einen so argen, viel bedürftigen, oft widerspenstigen, von Zweifeln geplagten Sünder.
V. 13.14.15. Die Rettung des Sünders, die Anfechtungen des Geretteten und der allgenugsame Trost Gottes.
V. 15. Die verschiedenfarbigen Strahlen des Lichtes der Liebe Gottes. Mitleid gegen die Leidenden, Gnade gegen Unwürdige, Langmut gegen Widerspenstige, Güte gegen Sünder, Treue in Erfüllung der Verheißungen.
V. 16. 1) Mein Stammbaum: der Sohn deiner Magd. 2) Mein Stand: dein Knecht. 3) Mein Wesen: ein der Gnade bedürftiges Menschenkind. 4) Meine Bitte: Wende dich zu mir!
Der Knecht des HERRN mit Gottes Kraft gegürtet.
V. 17. Innere und äußere Gnadenzeichen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 87 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Der Kinder Korah, ein Psalm, ein Lied. (Wörtl.) Ein heiliger Psalm und ein patriotisches Lied. Die Theokratie schmelzte das religiöse und das patriotische Empfinden in eins zusammen; und je mehr ein Volk vom Christentum durchdrungen wird, desto mehr werden seine Volkslieder von christlichem Geist durchwaltet sein. Beurteilen wir unser Land nach diesem Maßstabe, so ist es noch weit zurück. - Da die Kinder Korah Türhüter am Hause des HERRN waren, konnten sie diese herrliche Dichtung drinnen als Psalm, draußen als Lied brauchen.

Inhalt

Der Psalm singt Zions, d. i. Jerusalems, Ruhm; er handelt von Gottes Huld gegen diese Stadt, von den Weissagungen, welche Jerusalem verherrlichen, und von der Ehre, ein Bürger der Gottesstadt zu sein. Etliche meinen, der Psalm sei verfasst worden, als die Davidsstadt auf dem Zion gegründet wurde; aber die Erwähnung Babels weist auf eine spätere Zeit. Das Lied ist offenbar erst gedichtet worden, als Jerusalem und der Tempel gebaut waren und schon eine glorreiche Geschichte hinter sich hatten. Eins der Wunder der göttlichen Liebe in der späteren Geschichte Jerusalems war ja dies, dass Sanherib die heilige Stadt nicht anrühren durfte, während andre Städte Israels und Judas der Grausamkeit Assurs zum Opfer fielen. Zu Hiskias Zeiten trat auch Babel hervor, als die Gesandten zu dem König kamen, um ihm zu seiner Genesung Glück zu wünschen, und zu jener Zeit war auch Tyrus berühmter, als es je zu Davids Zeiten gewesen war.

Einen so kurzen Psalm brauchen wir nicht einzuteilen.

Auslegung

1. Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen.
2. Der HERR liebet die Tore Zions
über alle Wohnungen Jakobs.
3. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt,
du Stadt Gottes. Sela.
4. Ich will predigen lassen Rahab und Babel,
dass sie mich kennen sollen. Siehe, die Philister und Tyrer samt den Mohren werden daselbst geboren.
5. Man wird zu Zion sagen,
dass allerlei Leute drinnen geboren werden,und dass Er, der Höchste, sie baue.
6. Der HERR wird zählen, wenn er aufschreibt die Völker:
Diese sind daselbst geboren. Sela.
7. Und die Sänger wie die am Reigen
werden alle in dir singen eins ums andre.


1. Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen, Grundtext: Seine Gründung auf heiligen Bergen -. Der Psalm beginnt absichtlich so abgerissen; das Herz des Dichters war voll und machte sich plötzlich Luft. Ausbrüche der Leidenschaft sind vom Übel, aber Ausbrüche heiliger Freude sind überaus köstlich. Gott hat es für gut gefunden, seinen irdischen Tempel auf den Bergen zu gründen. Er hätte andre Orte wählen können; aber es beliebte ihm, seine erkorene Wohnstätte auf Zion zu haben. Seine Wahl machte die Berge Zions heilig; durch seine Bestimmung waren sie zu des HERRN Dienst ausgesondert.
Die Grundlage der Gemeinde Gottes, des mystischen Jerusalem, steht auf den ewigen, unveränderlichen und undurchkreuzbaren Ratschlüssen Jehovas. Dem Willen des Ewigen verdankt die Gemeinde ihr Dasein, seinen Anordnungen ihre Berufung, Rettung, Bewahrung und Vollendung, und alle seine Eigenschaften leihen ihre Kraft zu ihrer Unterstützung, gerade wie die Berge rund um Jerusalem her die natürliche Festung der Stadt bildeten. Nicht auf den Sandgrund fleischlicher Klugheit und nicht auf den Sumpfboden menschlicher Staaten hat der HERR seine Kirche gegründet, sondern auf seine eigene Macht und Gottheit. Diese verbürgen die Erhaltung seiner geliebten Gemeinde, des vornehmsten aller seiner Werke. Wie würdig ist es unsers Nachsinnens, dass die Gemeinde Gottes in dem vorweltlichen Heilsratschluß des Ewigen ihr Fundament hat! Die abgerissene Form dieses ersten Verses weist darauf hin, dass der Dichter lange in stilles Sinnen versunken gewesen war, das ihn dann plötzlich in Verwunderung und Anbetung ausbrechen ließ. Ja, solch ein Gegenstand der Betrachtung konnte wohl sein Herz in Glut bringen! Das stolze Rom steht auf sieben Hügeln und hat nie an Dichterzungen Mangel gehabt, die sein Lob sangen; aber viel herrlicher noch bist du, o Zion, gegründet auf Gottes ewigen Bergen! Solange noch eine Feder schreiben, ein Mund reden kann, wird dein Ruhm niemals in unehrenhaftem Schweigen vergraben sein.

2. Der HERR liebet die Tore Zions über alle Wohnungen Jakobs. Die Tore stehen nach dichterischem Sprachgebrauch für die Stadt selbst. Die Liebe Gottes ist am größten gegen das von ihm erwählte Volk, die Nachkommen seines Knechtes Jakob; doch am allerteuersten ist ihm die Stätte, wo seine Anbetung ihren Mittelpunkt hat. Kein irgend denkbarer andrer Vergleich hätte die Vorliebe, welche Jehova für Jerusalem hegte, so kräftig darstellen können wie dieser: er liebt Jakob wie nichts andres, und Zion noch mehr als selbst Jakob. In unseren Tagen des neuen Bundes ist die tiefe verborgene Bedeutung dieser Worte klar. Gott hat Wohlgefallen an den Gebeten und Lobpreisungen, welche die Christen in ihren Kammern und ihren Familien ihm darbringen; aber vornehmlich ist sein Auge auf die Versammlungen der Gläubigen gerichtet, und an der Anbetung der Gemeinde als solcher hat er sein besonderes Wohlgefallen. Die großen Festversammlungen, bei denen die Tausende sich um die Tempeltore scharten, waren in des HERRN Augen schön, und ebendasselbe ist der Fall mit der Gemeinde der Erstgebornen, deren Namen im Himmel angeschrieben sind. Dies sollte jeden einzelnen Gläubigen bewegen, sich mit der Gemeinde Gottes zusammenzuschließen; wo der HERR seine Liebe im höchsten Maße enthüllt, da sollte auch jeder Gläubige sich am liebsten finden lassen. Unsre Wohnungen sind uns sehr lieb; aber wir dürfen sie nicht den Versammlungen der Kinder Gottes vorziehen. O dass das Haus Gottes unser trautestes Heim werde!

3. Herrliches ist über dich geredet, du Stadt Gottes. (Grundtext) Das ist wahr von Jerusalem. Seine Geschichte, die ja mit der Geschichte des Volkes, dessen Hauptstadt es war, übereinkommt, ist voll herrlicher Ereignisse, und dass die Stadt als die Offenbarungs- und Anbetungsstätte des wahren Gottes dienen durfte, gereichte ihr vor allem zu reicher Ehre. Herrliche Dinge wurden auf ihren Gassen gepredigt und in ihrem Tempel geschaut. Herrliches ward von ihr verheißen, und sie war das Vorbild des Herrlichsten, das es gibt. Doch sind die Worte in noch tieferem Sinne wahr von der Gemeinde des HERRN; ihr Untergrund ist die Gnade, aber ihre Zinnen strahlen von Herrlichkeit. Sie mag man rühmen, ohne zu fürchten, ins Prahlen zu verfallen; denn ihre Stirn strahlt in einem Glanze, dem nichts auf Erden verglichen werden kann. Was für herrliche Dinge die Gläubigen auch über die Gemeinde Gottes sagen mögen, wenn sie ihr Lob singen, sie können doch nie über das hinausgehen, was die Propheten von ihr geweissagt, die Engel gesungen und Gott selbst bezeugt hat. Das sind glückselige Zungen, die sich mit einem des Lobes so würdigen Gegenstand beschäftigen lernen; mögen sich ihrer viele finden in unseren Wohnstuben, auf dem Markt oder wo immer sich Menschen versammeln. Nimmer schweige dein Lob, du liebliche Braut Christi des Herrn, du schönste unter den Weibern, du, der der Höchste selbst sein Wohlgefallen zugewandt, der er selbst jenen trauten Namen "Meine Lust an ihr" gegeben hat! (Jes. 62,4.) Da der HERR dich erwählt hat und sich herablässt, in dir zu wohnen, du Krone der Schönheit (Ps. 50,2), kann niemand dir gleichkommen. Du bist das Auge der Welt, die Perle der Städte, der ganzen Erde Lust, die Königin des Weltalls; die wahre "ewige Stadt", die wirkliche Metropole (Mutterstadt), unser aller Mutter. Der Zukunft Jahre werden deine Schönheit vor den erstaunten Augen aller Völker enthüllen, und das Licht deines Glanzes wird alles übertreffen, was je ein sterbliches Auge geschaut hat.
Sela. Da der Dichter eine so glorreiche Aussicht vor Augen hat, nämlich die Bekehrung der Welt und die Verwandlung der unversöhnlichsten Feinde in Freunde, ziemt sich ihm wohl eine Pause, um Herz und Stimme zu einem so erhabenen Gesang zu bereiten.

4. Ich will nennen Rahab und Babel als solche, die mich kennen. (Grundtext) Gott selber wird öffentlich und feierlich erklären, dass diese einst ihm und seinem Volke so feindlichen Völker nun zu seinen Vertrauten gehören, die ihn kennen, und zwar nicht nur dem Namen nach, sondern in seliger Herzenserkenntnis. Rahab, das stolze Ägypten, das einst Gottes Volk bedrückte, soll ein Brudervolk Israels werden, und Babel, in welchem das Volk seine zweite schwere Gefangenschaft durchzumachen hatte, soll noch ein Mitanbeter Jehovas werden. Siehe, Philistäa und Tyrus samt Kusch - auch diese sollen sich noch vor dem HERRN beugen. Philistäa wird seinem alten Haß absagen, Tyrus sich nicht mehr von dem Geist der Gewinnsucht beherrschen lassen, und selbst Äthiopien wird nicht zu fern sein, um an dem Heil Jehovas Anteil zu bekommen. Dieser ist daselbst geboren. (Wörtl.) Das "dieser " geht auf die genannten Völker, die ja mit Eigennamen, als wären sie Personen, bezeichnet worden waren. Diese Völker gewinnen in Zion ein Heimatrecht; aber der Ausdruck "daselbst geboren" besagt noch mehr: sie empfangen in Zion ein neues Dasein, sie erfahren eine Neugeburt; sie werden als neue Kreaturen in die Gemeinde Gottes hineingeboren.

5. Und zu (oder von) Zion wird man sagen: Mann für Mann ist daselbst geboren. (Grundtext) Nicht als Völker nur, sondern Mann für Mann, als einzelne Persönlichkeiten, werden die Bürger des neuen Jerusalem gezählt und ihre Namen öffentlich bekanntgemacht. Mann für Mann wird der HERR sie rechnen, denn ihrer jeder ist in seinen Augen wert; der einzelne wird sich nicht in der Menge verlieren, sondern jedweder wird hoch geschätzt sein. Welch ein Adelsbrief ist das für einen Menschen, wenn ihm bescheinigt wird, dass er in Zion geboren ward! Die zweimal Geborenen sind ein königliches Priestertum, die wahre Aristokratie, das Fürstengeschlecht unter den Menschen. Und Er, der Höchste, bauet (eigentlich: festiget) sie. Wenn die Zahl der Gläubigen durch Neugeburten vermehrt wird, erweist der HERR sich als der Auferbauer seiner Gemeinde. Der Herr allein ist würdig, den Titel Defensor fidei1 zu führen; er ist der alleinige und allgenügende Patron und Schirmherr der wahren Kirche. Wir brauchen für Gottes Erbteil nicht zu fürchten; des HERRN Arm ist stark genug, seine Rechte zu verteidigen. Der Höchste ist hoch erhaben über alle, die wider uns sind, und die gute alte Sache wird stets den Sieg davontragen.

6. Der HERR wird zählen, wenn er aufschreibt die Völker: Dieser ist daselbst geboren. (Grundtext) Bei der großen Zählung seiner Untertanen, welche der HERR selbst vornehmen wird, wird er Menschen aus allen Völkern als aus Zion stammend eintragen. Sie alle werden kraft ihrer neuen Geburt Bürger der Gottesstadt sein. Möge es auch unser Los sein, im Leben und im Tode dem Volk des HERRN zugezählt zu werden, hienieden und auch droben im Buche der Gemeinde Gottes verzeichnet zu stehen! Jehovas Liste seiner Auserwählten wird von der unseren sehr verschieden sein; er wird viele als die Seinen zählen, die wir nicht als solche anerkannt hätten, und wird viele auslassen, die wir dazugerechnet hätten. Seine Eintragungen sind unfehlbar. Bitte denn ein jeder um die Wiedergeburt und Aufnahme ins Kindesrecht, welche uns einen Platz unter den Himmelsbürgern sichern. Einst ward es für eine hohe Ehre geachtet, wenn jemandes Name in dem goldenen Buche der Republik Venedig eingeschrieben stand; aber das Buch des Lebens verleiht allen, deren Name darin eingetragen ist, eine noch weit größere Würde.

7. Und singend wie am Reigen (werden sie rühmen), oder: Und Sänger wie Reigentänzer (werden daselbst miteinander rühmen): Alle meine Quellen sind in dir! (Grundtext) Gleichsam in einem Gesicht schaut der Dichter die neugeborenen Bürger der Gottesstadt mit der Urgemeinde Zions in festlichem Aufzug mit Gesang und Reigentanz einherschreiten. Wo Gott wohnt, muss Freude sein, und wo die Gemeinde des HERRN durch zahlreiche Bekehrungen gemehrt wird, da wird die Freude überströmend groß. Die eben Bekehrten sind erfüllt von der Freude des Heiligen Geistes, und die alten Christen werden wieder jung mit ihnen. Singend und springend, jubilierend und tanzend vor heiliger Freudenwonne, ziehen die Glieder der Gottesgemeinde, die alten und die jungen, zum Tempel, in heiliger Begeisterung, die sie sich nicht aus Kastalias Quell2 und noch weniger aus dem Taumelbecher des Bacchus, sondern aus dem Born des Heils getrunken haben, welchen ihrer jeglicher rühmt. Alle meine Quellen sind in dir! Von Jerusalem aus quillt das Wasser des Lebens für die ganze Menschheit. Man vergleiche, was das prophetische Wort (Joel 4,18; Hes. 47,1; Sach. 14,8) von der Quelle des Lebenswassers sagt, die im Hause Gottes entspringe. Der HERR selbst ist diese Quelle (vergl. Ps. 36,10); aus diesem Borne trinken wir uns Gesundheit, Leben, Kraft, Trost, Freude, alles. Ohne ihn wäre Zion eine dürre Steinwüste. Die Gemeinden haben keine solche Allgenugsamkeit in sich, dass wir von ihnen alles erwarten dürften; aber der HERR, der seine Gemeinde gegründet hat, er ist der ewig fließende Born, der allen unseren Mangel stillt, und wenn wir aus ihm schöpfen, werden wir nie ermatten und keinen Mangel haben an irgendeinem Gut. In ihm ist die Quelle meines Glaubens und meiner Tugenden, meines Lebens und meiner Freude, meiner Tatkraft und meiner Hoffnung. Ohne den Geist des HERRN wäre ich ein Brunnen ohne Wasser, eine löcherichte Zisterne, die des durstigen Wanderers spottet, wäre selber ohne Segen und nimmermehr imstande, andern eine Segensquelle zu sein. HERR, ich bin gewiss, dass ich zu den Wiedergeborenen gehöre, deren Leben in dir ist; denn ich fühle es, ohne dich kann ich nicht leben. Darum will ich mit all den Deinen singen: Alle meine Quellen sind in dir.

Erläuterungen und Kernworte

Inhalt wie Darstellungsweise, letztere durch Gedrungenheit, Kraft und Originalität ausgezeichnet, verbieten die Ansetzung des Psalms in nachexilischer Zeit. In der nachexilischen Prophetie ist die Unterwerfung der Heiden (vergl. Jes. 45,14 ff.; Hag. 2,22 f.; Sach. 8,20; Ps. 68,30 ff.) nicht, wie hier, ihre Eingliederung in das Gottesvolk ein häufig wiederkehrender Zug im Bilde der messianischen Zeit; die hier ausgesprochenen Gedanken haben in vorexilischen Stellen wie Jes. 2,2 ff.; 11,10; 18 ff. ihre Parallele. Die Hervorhebung Babels in V. 4 gibt (Bäthgen) die obere und auch die untere Zeitgrenze für die Entstehung des Psalms an: ein Zeitgenosse Jesajas würde statt Babels Assur, ein nachexilischer Dichter Persien genannt haben. Lic. Hans Keßler 1899.

Zum ganzen Psalm. Der Missionsgedanke von Ps. 86,9 wird in diesem korachitischen Psalm zum alles beherrschenden. Jes. 44,5 ist der Schlüssel seines Sinnes. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 1. Versunken in Betrachtung der Herrlichkeit Zions beginnt der Dichter V. 1 dieses zu preisen, ohne es zu nennen. Der Preis Zions ist die Lieblingsaufgabe der korachitischen Lieder. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 1 ff. Nehmen wir die Abfassung des Psalms bei der Errettung Jerusalems unter Hiskia an, so erscheint es uns viel begreiflicher, wie der Sänger zu Anfang so plötzlich in das Lob der Sicherheit Zions ausbrechen kann: er leiht dann nur seinen Mund dem vollen Herzen des Volks. So erhält V. 2: "Der HERR liebt die Tore Zions vor allen Wohnungen Jakobs," sein Licht; denn diese Vorliebe für Zion hatte sich damals bewährt: seine Tore blieben damals dem Feind verschlossen, während das ganze übrige Land von ihm verheert wurde. Nur das Herz blieb unversehrt. Ebenso erhält dann auch das: "und er festigt sie, der Höchste," in V. 5, seine Grundlage. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.

V. 2. Die Tore einer befestigten Stadt vermitteln den Zugang zu ihr; wer durch sie eindringt, bemächtigt sich der Stadt. (Vergl. auch Jes. 60,18.) Daher stehen sie hier für die Stadt. - Die Partizipialform im Hebräischen (liebend) weist auf beständige, tief eingewurzelte Zuneigung. Joseph Addison Alexander 1850.

Jahve steht in dauerndem, treuem Liebesverhältnis (Grundtext Partizip) zu den Toren Zions. Die werden zur Umschreibung Zions genannt, weil sie den Stadtbezirk abgrenzen und, wer eine Stadt liebt, viel und gern durch ihre Tore geht, vielleicht schon im Vorblick auf die in sie eingehen sollende Fülle der Heiden. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Der HERR liebt die Wohnungen Jakobs, wo man seine Majestät anbetet, wo der Hausvater als Priester seiner Familie waltet und dem HERRN Lob und Preis darbringt. Er hat Freude daran es zu sehen, wie die Seinen ihre Kinder in der Zucht und Vermahnung zum HERRN ausziehen und wie ihre Kinder ihnen nach in den Wegen des Gehorsams wandeln. Aber mehr noch liebt er Zion, die Gemeinschaft der Kinder Gottes. Robert Hall † 1831.

Fußnoten
1. "Beschützer des Glaubens." Titel der englischen Könige, vom Papste Leo X. dem Könige Heinrich VIII. verliehen.

2. Nach der Nymphe Kastalia benannte Quelle bei Delphim deren Wasser man die Kraft zuschrieb, dichterische Begeisterung zu verleihen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 3. Hier denkt der Dichter ohne Zweifel an die Verheißungsworte von Jerusalems ewigem Bestande und künftiger Herrlichkeit: Herrliches ist geredet, d. h. liegt als geredet vor, in Betreff deiner, o du Stadt Gottes, Stadt seiner Wahl und seiner Liebe! Der herrliche Verheißungsinhalt wird nun in den folgenden Versen entfaltet, und zwar in lebendigster Unmittelbarkeit: Jahve selbst nimmt das Wort und spricht den heilwärtigen herrlichen Weltberuf seiner Erkorenen und Geliebten aus: sie soll die Geburtsstätte aller Völker werden. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Seine Gründung auf heiligen Bergen. (Grundtext) Wer ist das? Der Prophet nennt im 3. Vers die Stadt Gottes. Diese ist es, von der hier die Rede ist; und zwar ex abrupto (unvermittelt), wie es einem zu gehen pflegt, der immer in Gedanken mit einer Sache umgeht und seine Lust und Freude daran hat. Wann er davon will reden, nennt er’s nicht allemal, sondern setzt es gleichsam zum Voraus, es wisse jeder und könne sich von selbsten einbilden, was er meine. Wer Davids Psalmen fleißig liest, wird bald finden, dass er auf Erden mit nichts so fleißig umgegangen als mit der Kirche Gottes, sonderlich wie er derselben Herrlichkeit im Neuen Testament hat aus prophetischem Licht vorausgesehen. Johann David Frisch 1719.

V. 4-6. Es sollte der Kirche Gottes ein Trost sein, dass Gott ihre heftigsten und bedeutendsten Feinde bekehren kann wie er es oft getan hat. David Dickson † 1662.

Jahve vollendet, was er selbst gewirkt, indem er Rahab-Ägypten (wie 89,11), die südliche, und Babel, die nördliche Weltmacht, diese bisher Gott und seinem Volke feindlichen Reiche, öffentlich und feierlich für seine Kenner erklärt, d. h. für solche, die um ihn als ihren Gott erlebnisweise (siehe 36,11) wissen. Danach ist klar, dass auch "der da ist geboren daselbst" die Bekehrung der drei andern Völker besagen will, auf welche Gottes Finger mit Siehe! hinweist: das kriegslustige Philistäa, das reiche, stolze Tyrus und das abenteuerlich gewaltige Äthiopien (Jes. 18). "Der da" geht nicht auf die Individuen, sondern auf Volk für Volk, indem es sie je einzeln ins Auge faßt. - Anderwärts erscheint Zion als die Mutter, welche Israel wieder zu einem zahlreichen Volke gebiert, Jes. 66,7; 54,1-3; es sind die Kinder der Diaspora (des zerstreuten Israel), welche Zion wiedergewinnt, Jes. 60,4 f. Hier aber sind es die Völker, welche in Zion geboren werden. Der Dichter meint, dass die Völker in Zion (politei/a tou=)Israh/l Eph. 2,12) Heimrecht als in ihrer zweiten Mutterstadt erlangen werden: sie werden eine andre Basis (Grundlage) ihrer Existenz als die naturwüchsige gewinnen; sie werden eine religiös-sittliche Wandlung erfahren, welche, neutestamentlich angesehen, Neugeburt aus Wasser und Geist ist. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Das ist die Herrlichkeit der Gemeinde Gottes, dass in sie die Fülle der Heiden eingehen soll - die Stolzen aus Ägypten, das um seines Ungestüms willen Rahab, ein Ungetüm, genannt wird, die weltlich Gesinnten aus Babel, der Stadt der Verwirrung, die Zornigen aus Philistäa, dem Erbfeind Israels, die Habgierigen aus Tyrus, der reichen Kaufmannsstadt, und die Sklaven der Unwissenheit aus Mohrenland: alle diese werden Christi Liebe an ihrem Herzen erfahren und seine Wahrheit erkennen und bekennen und als Bürger der Gottesstadt anerkannt werden. Plain Commentary 1859.

Die Missionsgesellschaft, welche die Propheten sowie der Herr und seine Apostel kennen, ist die Gemeinde des Herrn. Schon in der zweiten Generation von Adam sehen wir die Gläubigen sich versammeln zum Anrufen des Namens des HERRN; da sehen wir inmitten der wachsenden Verderbnis einen Feuerherd der wahren Frömmigkeit. Und als nach der Flut und der Zerstreuung des Menschengeschlechts Abraham berufen ward, da wurde zugleich eine Kirche gegründet (1. Mose 18,19) und in ihr eine alle Völker der Erde als ihren Sprengel umfassende Missionsgesellschaft (1. Mose 18,18). Nach Prof. E. B. Pusey 1838.

Die Einheit der christlichen Kirche und ihr Beruf, alle Völker zum Herrn zu sammeln, werden in der Prophetie mannigfach dargestellt. So wird in unserm Psalm Zion als der besondere Gegenstand der Liebe Gottes, als von ihm auf heiligen Bergen gegründet, als die Stadt Gottes, von welcher herrliche Dinge geredet sind, dargestellt. Und was ist dies Herrliche insbesondere? Dass Zion der geistliche Geburtsort aller Völker werden soll. Es wird nicht nur, wie an andern Orten, gesagt, dass die Völker gen Zion kommen oder zum Berg des HERRN strömen werden (Jes. 2,2) sondern dass sie in Jerusalem geboren werden sollen. Alle Nationen der Erde, die gelehrtesten (Ägypten), die mächtigsten (Babel), die reichsten (Tyrus), die entferntesten (Äthiopien) und die nächsten, die ältesten und bittersten Feinde Israels (die Philister), sie alle, die bereits nach dem Fleisch geboren sind, als Ägypter, Babylonier usw., sollen "in ihr geboren" werden und dadurch Kinder Gottes und Bürger des himmlischen Jerusalem werden, die als solche von Gott selbst in die Stammrolle eingeschrieben werden. Prof. E. B. Pusey 1838.

Fremde Nationen werden hier dargestellt nicht als Gefangene oder Tributpflichtige, nicht einmal als solche, die der Größe und dem Ruhme Zions freiwillig huldigen, sondern als durch eine neue Geburt tatsächlich unter die Söhne der Gottesstadt eingereiht und eingeschrieben. Sogar die ärgsten Feinde Israels, Ägypten und Babylon, werden hier nicht mit einem Fluch bedroht, kein Freudenruf wird ausgestoßen im Hinblick auf ihre zu erwartende Niederwerfung, sondern es werden die Vorrechte der Bürgerschaft auf sie ausgedehnt, und sie werden als Brüder willkommen geheißen. Ja noch mehr, Gott selber nimmt ihrer jeglichen als neugeborenes Kind in seine Familie auf, erkennt jeden als seinen Sohn an und schreibt sie mit eigener Hand in die heilige Rolle seiner Kinder ein. Das ist eben das Merkwürdige an diesem prophetischen Fernblick, dass er eine zukünftige Vereinigung und Verbrüderung aller Völker der Erde vorausschaut, welche nicht durch Unterwerfung mit Waffengewalt zustande kommen soll, sondern durch Einverleibung in ein Gemeinwesen, in ein Reich, und zwar auf Grund eines solcherweise erlangten Geburtsrechtes. Wir hören bei einigen Propheten, namentlich bei Jesaja, die gleiche freisinnig weite und versöhnliche Sprache gegen fremde Völker, wie Tyrus und Äthiopien, und noch auffallender gegen Ägypten und Assyrien (Jes. 19,22-25). Aber darin steht der Psalm einzig da unter den Schriften des Alten Testaments, dass er diese Vereinigung der Nationen als eine Neugeburt in das Bürgerrecht der Gottesstadt darstellt. Unsre Stelle ist die erste Ankündigung jener Freundschaft unter den Nationen oder vielmehr jenes weltumfassenden, allen gemeinsamen Bürgerrechts, von welchem heidnische Philosophen. geträumt haben. Dieses hatte auch Sokrates im Sinn, als er sich einen Bürger der Welt nannte; in der stoischen Philosophie wurde es ein Gemeinplatz, das Judentum suchte es zu verwirklichen, indem es die Proselyten in Menge durch die Taufe in das jüdische Volk aufnahm, und Rom brachte es wenigstens nach dem äußern Schein zustande dadurch, dass es zunächst die Völker unterjochte und dann ihnen die Rechte des römischen Bürgerrechts gewährte. Aber die wahre Erfüllung dieser Hoffnung ist einzig in jenem Reiche zu finden, welches Christus aufgerichtet hat. Er hat in sein Gemeinwesen alle Königreiche der Erde zusammengebracht, er hat aus Heiden und Juden eins gemacht (vergl. Eph. 2,11-22), hat alle, die an Christus glauben, zu Gliedern einer Familie gemacht, indem er ihnen den Kindschaftsgeist gab, so dass sie sich alle als Kinder eines Vaters fühlen. Er hat es an den Tag gebracht, dass die Erwartung des israelitischen Sängers keine irrige Hoffnung war, ja dass es einen Vater im Himmel gibt, dem alle teuer sind, welchen Namen sie auch tragen mögen. So hat der Psalm eine reichere und höhere Erfüllung gefunden, als auf der Oberfläche seiner Worte liegt. Er ist in Christus erfüllt. J. J. Stewart Perowne 1864.

V. 5. Mann für Mann ist daselbst geboren. (Grundtext) Viele alte Ausleger legen Nachdruck auf das Wort Mann, das an manchen Stellen den Sinn hat: bedeutender, vornehmer Mann, und wollen es auch hier so verstehen. Das ist freilich sprachlich unhaltbar; aber tatsächlich ist die Kirche Gottes die Geburtsstätte vieler berühmter Männer: großer Kriegshelden, die mit Versuchungen gekämpft haben, die für Jesus gelebt haben und in den Tod gegangen sind, großer Dichter, deren Leben ein Psalm war, großer Könige die sich selber beherrscht haben usw. Ferner der Apostel, Blutzeugen, Bekenner, Reformatoren, Männer, berühmt wegen Tugenden, welche nur die Gnade hervorbringen kann. Nach C. H. Spurgeon 1874.

V. 6. Dieser ist daselbst geboren. Am jüngsten Tage, wenn alles Geschehene bis zu seinen Ursprüngen verfolgt werden wird, mag manches Ereignis in den Vordergrund treten, das jetzt wenig beachtet wird. Dann wird es sich erweisen, dass manche bescheidene Gemeinde die Geburtsstätte und mancher stattliche Tempel das Grab nicht weniger unsterblicher Seelen gewesen ist, während jede gerettete Seele den Ursprung ihrer Herrlichkeit ihrem Erlöser zuschreiben wird, der sie vermittelst der dazu von ihm bestimmten Kirche zur Seligkeit geführt hat. Edward Garrard Marsh † 1832.

V. 7. Alle meine Quellen sind in dir: sowohl die silberhellen Quellen der Gnade als auch die golden funkelnden Quellen der Herrlichkeit. Thomas Watson 1660.

Das Ende aller Geschichte ist also, dass Zion (die zionistische Gemeinde) die Metropole aller Völker wird. Und wenn so die Fülle der Heiden eingegangen ist, dann werden alle und jeder singend wie tanzend, d. i. sowohl durch das eine als durch das andre ihre festliche Freude kundgebend, sagen: Alle meine Quellen, d. i. Heilsquellen nach Jes. 12,3, sind in dir (o Gottesstadt). Jerusalem, das ist der der Abzielung des Ganzen entsprechende Gedanke, wird allgemein als die Stätte gelten, wo das Wasser des Lebens für die ganze Menschheit quillt, und als dieser Quellort allgemein gepriesen werden. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Grundtext: Alle meine Quellen sind in dir. Das soll der Inhalt des Lieds der jauchzenden Gemeinde sein. Sie bezeugen damit, was sie von Zion halten. Ein jeder von solchen freudigen Zionsbürgern wird sagen: Alle meine Quellen, d. i. alles, was meine Seele von ihrem Unflat kann waschen und reinigen, mich in meiner Schwachheit erquicken und stärken, in meinen Ohnmachten beleben, in Traurigkeit trösten, zum Guten fruchtbar machen kann, das alles finde ich in dir, o Zion. So mussten sie freilich sagen, weil die Quelle des Heils, Jesus selbst, darinnen anzutreffen ist samt den Gnadenmitteln, Wort und Sakramenten. Johann David Frisch 1719.

HomiletischeWinke

V. 1-3. 1) Zions Grund. a) Es gibt nur einen. b) Von dem HERRN gelegt. c) Auf Heiligkeit ruhend. d) Für die Ewigkeit berechnet. e) Nach unveränderlichen Grundgedanken geplant. f) Herrlich gelegen. 2) Zions Vorzüge. a) Gott liebt allerdings die Wohnungen Jakobs, er führt die Familien, nährt, beschützt, erleuchtet sie, sucht sie heim; aber b) Zion liebt er mehr und spendet ihm alle jene Segnungen in reicherem Maße. c) In Zion (der Gemeinde) sind ihrer mehr, die der HERR liebt, als in den einzelnen Wohnungen. d) Dort ist die Arbeit geistlicher, e) die Lieder und der Dienst begeisterter, f) das Zeugnis kräftiger, g) die Erkenntnis der Wahrheit heller, h) die Gemeinschaft himmlischer. Mögen alle Zion angehören und es lieben. 3) Zions Ruhm. Herrlich ist a) seine Geschichte, b) sein Gottesdienst, c) sein Heiland, d) seine Zukunft. Ein fruchtbares Thema.
V. 3. Herrliche Dinge, die von der Gemeinde als der Stadt Gottes zu sagen sind. 1) Der Bau der Stadt. a) Kein Plan war je tadelloser, keiner so vollendet, so wunderbar schön und großartig. Tore, Wälle, Gebäude, Straßen, Denkmale, Brunnen, Gärten, alles gibt der Stadt das Gepräge eines Meisterwerks der Kunst. Der Architekt ist der Baumeister der Himmel. b) Die Lage. Vergl. V. 1 c) Die Zeit der Gründung. Hohes Alter macht eine Stadt berühmt. Diese Stadt aber bestand schon in den Tagen der Apostel (Hebr. 12,22), David war in ihr wohlbekannt (Ps. 46,5), ja sie stand schon vor der Sintflut. Noah, Henoch, sogar Abel wohnten in ihr. Sie ist beinahe so alt wie die Schöpfung. 2) Die Befestigungen der Stadt. Sie ist von ihrer Gründung an immer wieder belagert, aber bis zur Stunde noch nie eingenommen worden. "Wir haben eine feste Stadt, Mauern und Wehr sind Heil." (Jes. 26,1) 3) Die Versorgungsquellen der Stadt. a) Vortrefflich, b) reichlich, c) nicht abzuschneiden. 4) Der König der Stadt. Sein Name, seine Person, seine Eigenschaften usw. 5) Die Bürger der Stadt. Andrew Gray † 1861.
Was ist von der Gottesstadt geredet (= verheißen)? 1) Sie wird die bleibende besondere Wohnstatt Gottes sein. 2) Sie wird die Stätte herrlicher Vorrechte und Segnungen sein. 3) Sie wird sich unbedingter, unverletzbarer Sicherheit erfreuen. 4) Sie wird in aller Welt Ruhm und Macht besitzen. 5) Ihre Einrichtungen und ihr ganzes Wesen werden im himmlischen Stande zur Vollkommenheit gelangen. James Parsons 1839.
V. 4. Siehe, dieser ist daselbst geboren. 1) Was war der Betreffende von Hause aus? Ein Landeskind Philistäas usw., ein Heide und ein Feind Gottes. 2) Was ging mit ihm vor? Er ward daselbst geboren, d. i. neugeboren in Zion. 3) Was wurde er durch diese Neugeburt? Ein freier Bürger Zions usw.
V. 4-5. Welche Geburtsstätte ist die rühmlichste? 1) Nicht Ägypten, Babel usw., nicht irgendein irdisches Schloss oder Königreich, sondern 2) Zion. Warum? a) Dort wird man aus dem Geist Gottes geboren. b) Zion ist die ewige Residenz des Höchsten. c) Dort geboren sein, schließt höheren Rang und den Genuss größerer Vorrechte in sich. George Rogers 1874.
V. 4-7. 1) Zion wird viele gute und große Männer erzeugen. 2) Zions Wohlfahrt wird vom HERRN selbst gefördert werden. 3) Zions Söhne werden mit Ehren eingeschrieben werden. 4) Zions Lieder werden mit Freude und Jubel gesungen werden. Matthew Henry † 1714.
V. 5. Mann für Mann. (Grundtext) Die Religion eine durchaus persönliche Sache. Jede Seele 1) sündigt für sich, 2) verwirft für sich den Erlöser oder nimmt für sich ihn an, 3) muss für sich vor dem Richterstuhl erscheinen und 4) wird für sich gerettet oder geht für sich verloren. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit persönlicher Frömmigkeit; die Versuchungen, diese zu vernachlässigen; die Mittel, welche sie fördern.
V. 6. 1) Der HERR wird die Zählung vornehmen. 2) Er wird entscheiden, wer das Heimatrecht zu Zion hat. 3) Jeder wirklich in Zion Geborene wird in die Bürgerrolle unauslöschlich eingeschrieben werden.
1) Die Zeit, von der hier die Rede ist. 2) Die vorzunehmende Verzeichnung. "Wenn er aufschreibt die Völker," d. h. wenn er die Namen in dem Lebensbuch des Lammes durchsieht und beischreibt. Wenn er die Berufenen mit den Erwählten vergleicht. 3) Die Prüfung. a) Ob sie in Zion sind oder die Gnadenmittel haben. b) Ob sie dort geboren sind. 4) Die Vervollständigung ihrer Zahl. 5) Die Vermerkung jedes einzelnen. Die Menschen sind als Gesamtheit gefallen, aber sie werden als Einzelne gerettet. George Rogers 1874.
V. 7. 1) In Gott ist unsre Freude. 2) Von Gott kommt unsre Versorgung. 3) Zu Gott steigt unser Lobpreis auf.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 88 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Lied, ein Psalm. Diese schwermütige Klage lautet wenig wie ein Lied, noch weniger wie ein Psalm. Doch ist nicht zu übersehen, dass das Wort Psalm nicht speziell Loblieder bezeichnet, sondern überhaupt religiöse Lieder, die mit Musikbegleitung zu singen sind. Wir möchten darin, dass auch dieser "nächtlichste aller Klagepsalmen", wie Delitzsch ihn nennt, als ein Gesang und Musikstück bezeichnet ist, fast die Absicht vermuten zu zeigen, dass der Glaube sich auch der Trübsale rühmt. Wahrlich, wenn irgendeiner, dann ist dieser Gesang ein Lied des Kummers und ein Psalm der Schwermut. Von den Kindern Korah, oder, wie manche es auffassen: den Kindern Korah übergeben. Die Kinder Korah, die schon so oft zum Singen von Jubelliedern zusammengetreten waren, werden nun aufgefordert, dieses einem Grabgesang ähnlich schwermütige Lied zur musikalischen Ausführung zu übernehmen. Wer im Heiligtum dient, darf sich seine Aufgaben nicht nach eigenem Belieben wählen, sondern muss seine Gaben für jeden Dienst, den Gott ihm überträgt, willig zur Verfügung stellen. Dem Musikmeister. Dieser soll die Sänger leiten und zusehen, dass sie ihren Auftrag gut ausführen; denn heiliger Kummer sollte mit ebenso liebevoller Sorgfalt zum Ausdruck gebracht werden wie der frohlockendste Lobpreis. Im Hause Gottes soll nichts nachlässig getan werden. Es ist viel schwieriger, dem Gram eines betrübten Herzens im Gesange den richtigen Ausdruck zu geben, als Freudenklänge erschallen zu lassen. Die folgenden Worte hat Luther (in der späteren Zeit) nach dem Vorgang jüdischer Ausleger übersetzt: Von der Schwachheit der Elenden. (Vergl. zu Ps. 53) Delitzsch übersetzt: Nach schwermütiger Weise mit gedämpfter Stimme vorzutragen. Wie wir diese Worte nicht mehr mit einiger Sicherheit deuten können, so auch das folgende, maskil, nicht, wiewohl es dreizehnmal vorkommt. (Siehe zu Ps. 32.) Eine Unterweisung übersetzt es Luther mit manchen Auslegern; und wahrlich, die Glaubenskämpfe und Leiden des einen Gläubigen sind voll reicher Unterweisung für andere! Aus tiefer Erfahrung geschöpfte Lehren sind mit Gold nicht zu bezahlen. Hemans des Esrahiten. Welcher Heman ist hier als Verfasser des Psalms bezeichnet? Wahrscheinlich der in 1. Könige 5,11 genannte Weise. Doch denken viele an den (vielleicht mit jenem Weisen identischen) berühmten Sangmeister Davids, den Genossen Asaphs und Ethans (1. Chr. 15,19).1 Die Sache ist von wenig Belang; wer immer den Psalm geschrieben haben mag, er war ein Mann von tiefer Leidenserfahrung. Seine Klagen erinnern sehr an das Buch Hiob.2

Einteilung

Albert Barnes († 1870) teilt den Psalm in zwei Stücke: eine Beschreibung der Leiden des Dichters, V. 2-10, und ein Gebet um Erbarmen und Befreiung aus den Leiden, V. 11-19. Wir wollen aber lieber Vers um Vers betrachten und werden auf diese Weise den naturgemäß diesem unter dem schwersten Gemütsdruck verfassten Psalme anhaftenden Mangel an Zusammenhang besser nachempfinden. Der Leser wolle zuerst den Psalm im Ganzen überlesen.

Auslegung

2. HERR Gott, mein Heiland,
ich schreie Tag und Nacht vor dir.
3. Lass mein Gebet vor dich kommen,
neige deine Ohren zu meinem Geschrei!
4. Denn meine Seele ist voll Jammers,
und mein Leben ist nahe bei der Hölle.
5. Ich bin geachtet gleich denen, die in die Grube fahren;
ich bin wie ein Mann, der keine Hilfe hat.
6. Ich liege unter den Toten verlassen,
wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen,deren du nicht mehr gedenkest und die von deiner Hand abgesondert sind.
7. Du hast mich in die Grube hinuntergelegt,
in die Finsternis und in die Tiefe.
8. Dein Grimm drückt mich,
und drängest mich mit allen deinen Fluten. Sela.
9. Meine Freunde hast du ferne von mir getan;
du hast mich ihnen zum Gräuel gemacht.Ich liege gefangen und kann nicht auskommen.
10. Meine Gestalt ist jämmerlich vor Elend.
HERR ich rufe dich an täglich;ich breite meine Hände aus zu dir.
11. Wirst du denn unter den Toten Wunder tun
oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Sela.
12. Wird man in Gräbern erzählen deine Güte
und deine Treue im Verderben?
13. Mögen denn deine Wunder in der Finsternis erkannt werden
oder deine Gerechtigkeit im Lande, da man nichts gedenket?
14. Aber ich schreie zu dir, HERR,
und mein Gebet kommt frühe vor dich.
15. Warum verstößest du, HERR, meine Seele
und verbirgest dein Antlitz vor mir?
16. Ich bin elend und ohnmächtig, dass ich so verstoßen bin;
ich leide deine Schrecken, dass ich schier verzage.
17. Dein Grimm gehet über mich,
dein Schrecken drücket mich.
18. Sie umgeben mich täglich wie Wasser
und umringen mich miteinander.
19. Du machest, dass meine Freunde und Nächsten
und meine Verwandten sich ferne von mir halten um solches Elends willen.


2. HERR, Gott mein Heiland, wörtl.: Jehova, Gott meines Heils. Wahrlich ein hoffnungsvoller, vielversprechender Name, mit welchem der Dichter unseres Psalms den HERRN anredet; aber das ist auch der einzige Lichtstrahl in dem ganzen Psalm. Der schwergeprüfte Beter nimmt durch alles Dunkel seines Leidens hindurch seine Zuflucht unmittelbar zu Gott als seinem Helfer, dem alleinigen Urheber des Heils für Leib und Seele. Solange jemand in Gott noch seinen Heiland sehen kann, ist es nicht völlig Mitternacht in ihm. Solange wir noch von dem lebendigen Gott als dem Gott unseres Heils sprechen können, wird das Lämplein unsrer Hoffnung nicht ganz verlöschen. Es ist eins der Kennzeichen des echten Glaubens, dass er sich an Jehova, den Retter und Helfer, wendet, wenn sich ihm alle anderen Stützen als trüglich erwiesen haben. Ich schreie Tag und Nacht vor dir.3 Das Unglück hatte die Funken seines Gebets nicht ausgelöscht, sondern sie vielmehr zu desto größerer Glut angefacht, bis sie brannten wie ein hellodernder Ofen. Sein Gebet war persönlich - wer immer sonst nicht betete, er flehte zu Gott. Er betete mit heißem Ernst, er schrie zu Gott. Und er betete ohne Unterlass; weder die Geschäftigkeit des Tages noch die Müdigkeit der Nacht konnten ihn zum Schweigen bringen. Wahrlich, solches Flehen konnte nicht vergeblich sein! Vielleicht hätte, wenn die Schmerzen Heman nicht unablassig gequält hatten, auch sein Schreien je und dann ausgesetzt; es ist gar so übel nicht, dass uns die Krankheit keine Ruhe lässt, wenn wir die ruhelosen Stunden im Gebet verbringen. Tag und Nacht sind beide passende Zeit zum Beten. Dieses ist kein Werk der Finsternis; darum lasst uns mit Daniel beten, wenn man uns sehen kann! Doch da wir zum Flehen kein Licht brauchen, lasst uns auch Jakob ähnlich sein und am Jabbok mit Gott ringen, bis die Morgenröte anbricht. Das Böse hat sich in Gutes verwandelt, wenn es uns ins Gebet treibt. Ein Wort des Textes ist noch unsrer besondern Beachtung wert: das vor dir, das uns darauf hinweist, dass das Schreien des Psalmisten nicht eine mehr instinktive Äußerung des Schmerzes, sondern das Seufzen eines unter dem Einfluss der Gnade stehenden Herzens zu Jehova, dem Gott des Heils, war. Welchen Nutzen hat es, Pfeile in die Luft zu schießen? Der Bogenschütze hat scharf nach dem Ziel zu schauen, dem sein Pfeil gilt; wir müssen unsre Gebete mit ganzem Ernst zum Himmel richten. So dachte Heman auch - seine Gebetsseufzer waren alle für das Herz Gottes bestimmt. Er hatte kein Auge für die Zuschauer, wie die Pharisäer, sondern er war sich bei all seinem Flehen allein dessen bewusst, dass er vor Gott stand.

3. Lass mein Gebet vor dich kommen! Gewähre ihm Gehör; lass es mit dir reden! Wiewohl es mein Gebet ist und darum gar unvollkommen, versage ihm doch nicht deine gnädige Beachtung. Neige deine Ohren zu meinem Geschrei! Mein gellendes Wehklagen ist freilich keine Musik, außer für das Ohr der Barmherzigkeit; doch lass dich durch seine Missklänge nicht verstimmen, denn es ist der ganz natürliche Ausdruck meiner Seelenangst! Mein Herz spricht darin, so lass dein Ohr hören! Es mag allerlei Hindernisse geben, die unsre Gebete in ihrem Flug zum Himmel aufhalten; so lasst uns den HERRN bitten, sie aus dem Wege zu räumen! Und es mögen auch Anstöße vorhanden sein, die den HERRN hindern, unseren Bitten wohlwollende Beachtung zu schenken; so lasst uns ihn anflehen, auch diese hinwegzutun! Wer Tag und Nacht gebetet hat, kann es nicht ertragen, all seine Mühe verloren zu sehen. Nur solche Leute, die beim Gebet gleichgültig sind, kümmern sich nicht darum, ob und welchen Erfolg ihre Gebete haben.

4. Denn meine Seele ist voll Jammers. Ich bin mit Leiden gesättigt bis zum Überdruss. Wie ein bis zum Überlaufen mit Essig gefülltes Gefäß ist mein Herz so voll Unglücks und Jammers, dass es nicht mehr fassen kann. Er hatte das Haus voll Kummers und die Hände voller Not, aber, was noch schlimmer war, auch das Herz voll Wehes. Schon ein wenig Herzeleid ist schmerzlich genug; was muss es sein, damit gesättigt zu sein! Und wieviel schlimmer noch ist es dann, seine Gebete leer zurückkommen sehen zu müssen, während die Seele voll Kummers bleibt! Und mein Leben ist nahe bei der Hölle (d. i. der Unterwelt). Es war ihm, als müsste er sterben, ja er fühlte sich schon halb tot. Alle seine Lebenskraft war im Schwinden; sein geistliches Leben verfiel, sein geistiges Vermögen nahm ab, und auch die Flamme seines leiblichen Lebens flackerte, als wollte sie im nächsten Augenblick verlöschen. Er war dem Tode näher als dem Leben. Unser etliche können sich in die Erfahrung des Psalmisten lebhaft hineinversetzen; denn manchesmal haben wir dies Tal des Todesschattens durchwandert und Monat um Monat darin geweilt. Wirklich sterben, um dann bei Christus zu sein, das wird ein Festtagsvergnügen sein, verglichen mit dem Elend, in dem wir uns befanden, als ein viel schlimmerer als der leibliche Tod seine schrecklichen Schatten über uns warf. Der Tod würde als eine Erlösung begrüßt werden von denen, deren Schwermut ihnen das Dasein zu einem lebendigen Tod macht. Können denn aber auch wirklich fromme Menschen solche Leiden erfahren müssen? Jawohl; und manche unter ihnen sind ihr Leben lang solcher Knechtschaft unterworfen. Ach HERR, lass dir’s gefallen, die Deinen, die also auf Hoffnung gefangen liegen (Sach. 9,12), in Freiheit zu setzen! Möge keines deiner in solcher Traurigkeit befangenen Kinder sich die Hitze befremden lassen, als widerführe ihm etwas Seltsames, sondern vielmehr sich freuen, da es die Fußtapfen der Brüder sieht, die vor ihm diese Wüste durchwandelt haben.

5. Ich bin geachtet gleich deinen, die in die Grube fahren. Meine Schwäche ist so groß, dass andre sowohl wie ich selbst mich schon zu den Toten rechnen. Wenn die, welche um mich sind, nicht bereits meinen Sarg bestellt haben, so haben sie sich doch wenigstens schon über mein Begräbnis unterhalten, meinen Nachlass besprochen und ihr Teil berechnet. Mancher ist, schon ehe er tot war, begraben worden, und die einzige Trauer, die man um ihn hatte, war die, dass er die gierigen Erwartungen seiner heuchlerischen Verwandten nicht durch schleuniges Hinabfahren in die Grube zu erfüllen beliebte. Auch manchen schwer heimgesuchten Gläubigen ist es so ergangen, dass es ihre hungrigen Erben dünkte, sie hätten zu lang gelebt. Ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat (wörtl.), bin nur noch der Schatten eines Mannes. Ich lebe nur noch dem Namen nach; meine ganze Lebenskraft ist gebrochen. Ich kann kaum noch über mein Krankenzimmer schleichen, meine Geisteskräfte sind noch mehr geschwächt als die des Leibes, und am allerschwächsten ist mein Glaube. Wer mit Krankheit und Schmerzen Leibes und der Seele vertraut ist, wird zu solchen Worten wenig Erklärung bedürfen; sie sind Schwergeprüften gar wohl bekannte Seufzer.

Fußnoten
1. Zu den Überschriften dieses und des folgenden Psalmes sei noch Folgendes bemerkt: 1) Die Beifügung "Der Esrahite" soll Heman und Ethan aller Wahrscheinlichkeit nach als Söhne (Nachkommen) Serahs, des Sohnes des Patriarchen Juda, bezeichnen. Siehe 1. Chr. 2,6. 2) unter den beiden sind wahrscheinlich jene 1. Könige 5,11 [4,31] genannten Weisen gemeint. 3) Doch ist die Frage, ob die Weisen 1. Könige 5,11 als berühmte Männer der Vorzeit angeführt sind, wie es nach 1. Chr. 2,6 scheint, oder als Zeitgenossen Salomos. Nur im letzten Fall lassen sie sich als Verfasser der Psalmen 88 und 89 denken. 4) Es fragt sich dann noch, ob die esrahitischen Weisen Heman und Ethan nicht vielleicht mit den gleichnamigen levitischen Sangmeistern aus Davids Zeit in der Überschrift der beiden Psalmen verwechselt worden oder überhaupt mit ihnen identisch sind. Die andere Überschrift in Ps. 88, "der Kinder Korah", lässt den Korahiten Heman (den Sangmeister) als Verfasser vermuten. Immerhin könnte aus irgendeinem Grunde das Lied eines Dichters aus dem Stamme Juda der Sammlung korahitischer Lieder einverleibt und so bei der Aufnahme in den Psalter wie die andern als korahitisches Lied bezeichnet worden sein. - Die ganze Frage über die Verfasser hat ja übrigens nur geschichtliches Interesse, und ihre Untersuchung ist überdies, weil zu keinem sicheren Ergebnis führend, undankbar.

2. Unser Psalm erinnert in Gedanken und Ausdrücken so sehr an das Buch Hiob, dass Delitzsch die interessante Vermutung aufgestellt hat, der Weise Heman sei der Verfasser des Buches Hiob, und Godet hat (dabei allerdings gegen Delitzsch den Sangmeister Heman mit dem Weisen identifizierend) in seinen "Bibelstudien" diese Vermutung bekräftigt. Eins scheint über alle Zweifel erhaben: dass Ps. 88 und das Buch Hiob beide dem Kreis der "Weisen" entstammen, der sich zu Salomos Zeit zu bilden angefangen hatte.

3. Ähnlich schon die alten Übers., und wohl dem Sinne nach richtig, wiewohl der überlieferte Text dies inkorrekt (MOy statt MmfOy) ausdrücken würde. Die sprachlich nächstliegende Übers.: Am Tage = zur Zeit, wo ich nachts vor dir schreie, komme usw. (V. 3) trifft schwerlich den Sinn des Psalmisten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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