Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon
Moderatoren: Der Pilgrim, Anton, Peter01
Psalm 118
22.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
23.
Das ist vom HERRN geschehen
und ist ein Wunder vor unseren Augen.
24.
Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich drinnen sein.
25.
O HERR, hilf!
O HERR, lass wohl gelingen!
26.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des HERRN seid.
27.
Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien
bis an die Hörner des Altars!
22. Wir hören nun die Stimme des Volkes. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Mit diesen Worten erhöht das Volk Gott, weil er seinem erwählten Knecht jetzt das ehrenvolle Amt übergeben, das ihm nach göttlichem Ratschluss zugeteilt war. Ein weiser König und tatkräftiger Führer des Volkes ist in der Tat ein Stein, auf dem das Gebäude des Staatswesens fest auferbaut wird. Die Machthaber hatten David verworfen, aber Gott stellte ihn auf den Platz der höchsten Ehre und des größten Einflusses und machte ihn so zu dem Grundstein des Staates. An wie vielen anderen, deren frühere Lebensjahre auch von heißen Kämpfen erfüllt waren, hat Gott seine himmlischen Ratschlüsse in ähnlicher Weise zur Ausführung gebracht. Aber auf niemand passt dieser Text so gut, wie auf den Herrn Jesus selbst. Er ist der lebendige, der erprobte, der auserwählte, der köstliche Stein, den Gott von alters her erwählt hat. Die jüdischen Bauleute, die Schriftgelehrten, Priester und Pharisäer samt Herodes und seinen Leuten warfen ihn verächtlich beiseite. Sie sahen nichts Besonderes in ihm, auf das sie hätten bauen können; er ließ sich in ihr Ideal der jüdischen Kirche nicht einfügen, war überhaupt ein Stein aus einem ganz anderen Steinbruch und nicht nach ihrem Sinn und Geschmack. Darum warfen sie ihn fort und überhäuften ihn mit Spott, wie Petrus sagt (Apg. 4,11): Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen. Man achtete ihn für nichts, obwohl er der Herr über alles ist. Aber Gott der HERR erweckte ihn von den Toten und erhöhte ihn zum Haupt über seine Gemeine, wie zum Eckstein so auch zum Giebelstein ihres Ruhmes und ihrer Schönheit. Seither ist er die Zuversicht der Heiden geworden, auch derer ferne am Meer, und hat also die beiden Mauern, der Juden und der Heiden, zu einem stattlichen Tempel vereinigt; jetzt sieht man ihn als den verbindenden Eckstein, der aus beiden eins hat gemacht. Welch ein erquickender Gegenstand der Betrachtung!
Jesus hat in allen Dingen den Vorrang; er ist der wichtigste Stein an dem ganzen Hause Gottes. Wir pflegen an öffentlichen Gebäuden einen Stein unter feierlichen Gebräuchen zu legen und in demselben wertvolle Gegenstände aufzubewahren, die zur Erinnerung an jene Gelegenheit ausgesucht sind; von da an wird dieser Eck- oder Grundstein als besonders bedeutungsvoll angesehen, und festliche Erinnerungen knüpfen sich an ihn. Dies alles trifft nun in hervorragendem Maße zu bei unserem gelobten Herrn, dem Hirten, dem Felsen Israels. Gott selbst hat ihn dahingestellt, wo er sich befindet, und hat in ihm alle die köstlichen Kleinode des ewigen Gnadenbundes geborgen. Und da wird er auch ewiglich bleiben als Grund all unserer Hoffnungen, als Ruhm all unserer Freuden und als Einigungsband all unserer Gemeinschaft. Er ist gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles (Eph. 1,22), und auf ihm ist die Gemeinde wohl ineinandergefügt und wächst zu einem heiligen Tempel im HERRN (Eph. 2,21). Aber auch noch heute verwerfen ihn die Bauleute; bis auf die gegenwärtige Stunde sind die berufsmäßigen Lehrer der Wahrheit weit eher geneigt, sich auf jedes neu auftauchende System menschlicher Weisheit zu stürzen, als an dem einfachen Evangelium festzuhalten, dessen Kern und Wesen Christus ist. Aber er behauptet trotz alledem bei seinem Volke seinen Platz als Eckstein, und die törichten Bauleute werden einmal mit tiefer Beschämung erkennen, dass seine Wahrheit ewig feststeht und alles überdauert. Die diesen auserwählten Stein verwerfen, werden auf ihn fallen und zerschellen; und nicht lange mehr wird es währen, da wird er zum andern Mal kommen und aus den Höhen des Himmels auf sie fallen und sie zermalmen. (Mt. 21,42.44.)
23. Das ist vom HERRN geschehen. Die hohe Stellung, die Christus in seiner Gemeinde einnimmt, ist nicht Menschenwerk und hängt auch für den Fortgang von keinen irdischen Bauleuten oder Predigern ab. Gott hat selbst unseren Herrn Jesus Christus erhöht. Blicken wir auf den Widerstand, den die Weisen, die Mächtigen und Angesehenen dieser Welt dem Reiche Christi entgegensetzen, so wird uns klar, dass dieses Reich nur durch übernatürliche Macht in der Welt aufgerichtet worden sein und fortdauernd sich behaupten kann. Und das gilt in der Tat auch bis ins Kleinste und Einzelne. Jedes Körnlein wahren Glaubens in dieser Welt ist eine göttliche Schöpfung, und jede Stunde, da die Gemeinde Christi hienieden besteht, ist ein immer neues Wunder. Nicht die Güte der menschlichen Natur noch die Stärke der Vernunft hat Christum erhöht und die Gemeinde Gottes aufgerichtet, sondern eine Macht von oben. Das verdutzt die Feinde, sie können nicht verstehen, was es doch ist, das ihre Pläne immer wieder zu Schanden macht; denn vom Heiligen Geist wissen sie nichts. Und ist ein Wunder vor unseren Augen. Wir sehen es tatsächlich; es lebt nicht bloß in unseren Gedanken, Hoffnungen und Gebeten, nein, das erstaunliche Werk steht wirklich vor unseren Augen. Jesus herrscht, seine Macht gibt sich der Welt zu fühlen, wir nehmen es wahr. Der Glaube sieht unseren herrlichen Herrn hoch erhöht über alle Fürstentümer und Macht und Gewalt und Herrschaft und über alle Namen, nicht bloß in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Der Glaube sieht es und staunt, und er bleibt am Staunen; denn wir sehen sogar schon hier unten, wie Gott die Starken durch Schwache besiegt, die Klugheit der Menschen durch die Einfalt seines Wortes zu Schanden macht, und durch den unsichtbaren Einfluss seines Geistes seinen Sohn in den Menschenherzen erhöht trotz aller offenen, entschlossenen Feindschaft. Es ist in der Tat ein Wunder vor unseren Augen, wie das mit allen Werken Gottes der Fall ist, sobald man sich nur die Mühe gibt, forschend in sie einzudringen. Wenn man das Hebräische (mit Delitzsch) übersetzt: Wunderbar ist es geworden, d. i. hinausgeführt, so kann man darin nicht bloß eine Beleuchtung der wunderbaren Erhöhung Jesu von Nazareth sehen, sondern auch der wundersamen Art und Weise dieser Erhöhung. Je tiefer wir in die Geschichte Christi und seiner Gemeinde eindringen, desto tiefer werden wir auch mit diesen Worten übereinstimmen.
24. Dies ist der Tag, den der HERR macht. Eine neue Zeit ist angebrochen. Der Tag der Thronbesteigung Davids war der Anfang besserer Zeiten für Israel, und in noch viel höherem Sinne ist der Auferstehungstag unseres Herrn ein neuer Tag, den Gott selbst gemacht, denn er ist das Morgenrot des herrlichen Neuen Bundes. Gewiss hat das ganze Volk Israel den Triumphtag seines Führers in Freuden mit Musik und Gesang gefeiert, und so schickt es sich erst recht für uns, den Siegestag unseres Herrn Jesus Christus in Ehren zu halten. Darum beobachten wir fortan den Tag des Herrn als unseren rechten Sabbat, den Gott gemacht und bestimmt hat zur fortgehenden Erinnerung dessen, was unser Heiland vollbracht und uns errungen hat. Sooft sich das sanfte Sabbatlicht des ersten Wochentages über die Erde ergießt, wollen wir singen:
Dies ist der Tag, da Jesus Christ
Vom Tod für mich erstanden ist,
Und schenkt mir die Gerechtigkeit,
Trost, Leben, Heil und Seligkeit.
Hallelujah!
Aber nicht nur jeder Sabbattag, die ganze Zeit des Evangeliums ist ein Tag, den der HERR macht; seine Segnungen strömen auf uns, weil unser Herr zum Eckstein geworden ist. Lasset uns freuen und fröhlich drinnen sein. Wie sollten wir auch anders können? Unser glorreicher Herzog hat uns eine so große Erlösung gebracht, und da sollten wir, nun wir die ewige Gnade Gottes im Strahlenkranz seiner Führungen gesehen haben, traurig und mürrisch sein? Das würde uns schlecht anstehen. Lieber wollen wir uns doppelt freuen, uns freuen im Herzen und strahlen im Angesicht, uns freuen in der Stille und fröhlich sein vor den Menschen; denn wir haben mehr als zwiefachen Grund, uns im HERRN zu freuen. Unsere Freude sollte an den Sabbattagen den Gipfelpunkt erreichen, denn der Sonntag ist der König unter den Tagen, dem der Schmuck königlicher Freude gebührt, wo wir darum allewege mit dem Dichter singen sollten:
Hallelujah, schöner Morgen,
Schöner als man denken mag!
Heute fühl’ ich keine Sorgen,
Denn das ist ein lieber Tag,
Der durch seine Lieblichkeit
Recht das Innerste erfreut.
Muss unsere Freude nicht überfließen, wenn wir in die Mitte der Gemeinde Gottes treten und dort die Gegenwart Jesu verspüren als des Herrn, der in den Versammlungen seines Volkes alles in allem ist? Steht nicht geschrieben: Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen? (Joh. 20,20) Wenn der König das Bethaus zur Stätte einer großen Festfeier macht und uns die Gnade zuteilwerden lässt, dass wir der Gemeinschaft mit ihm genießen, sowohl an seinen Leiden wie an seinen Siegen, so fühlen wir eine tief innerliche Freude und geben dieser gerne lauten Ausdruck im Verein mit allen anderen Gliedern seines Volkes.
25. O HERR, hilf! Dieser Gebetsruf ist uns in dem hebräischen Wortlaut vertrauter: Hosianna. Gott, hilf, gib Heil unserm König! Lass das Haus Davids regieren! Oder, wie wir in der Zeit des Neuen Bundes dies israelitische God save the king verstehen: Es lebe der Sohn Davids in alle Ewigkeit! Seine Hilfe breite sich rettend aus über alle Völker! Es war dies Hosianna der besondere Freudenruf beim Laubhüttenfest; auch wir können, solange wir noch in den Pilgerhütten hienieden wohnen, nichts Besseres tun, als in denselben Ruf einstimmen. O, dass wir beständig beteten, dass unser großer König Heil und Hilfe auf Erden bringe. Für uns selbst bitten wir, dass der HERR uns helfe, uns befreie und immer mehr heilige. Wir bitten dies mit großem Ernst, indem wir Jehovah darum anlaufen: O HERR, lass wohl gelingen! HERR, lass dein Reich erbaut werden! Lass die Zahl der Heiligen durch Bekehrung von Sündern zunehmen, lass durch die Bewahrung der Heiligen deine Gemeinde innerlich gestärkt, gefördert, verklärt und vollendet werden. Unser Herr Jesus bittet selbst um die Bewahrung und das Heil seiner Erwählten; und als unser Fürsprecher vor dem Thron des himmlischen Vaters fleht er, dass der Vater alle diejenigen rette und bewahre, die von alters her ihm gegeben sind, und sie durch den ihnen innewohnenden Geist eins sein lasse. Wie aber - ist dieser Psalm nicht ein Danklied für erfahrene Hilfe? Jawohl, man hatte Heil empfangen, und deswegen bat man darum! Es mag merkwürdig erscheinen, aber wer um Heil fleht, besitzt schon etwas vom Heil. Niemand kann so in Wahrheit rufen: O HERR, hilf doch! als wer schon Hilfe erhalten hat; und das höchste Gedeihen zeigt die Gemeinde des HERRN dann, wenn sie am inbrünstigsten um Gedeihen fleht. Und so bittet unser Held, obwohl er mit hochgeröteten Wangen und voll stolzer Freude triumphierend einzieht, doch noch um Hilfe und Heil. Das klingt sonderbar, aber es ist so und kann nicht anders sein. Bei unserem Heilande war es geradeso: am Schluss seines ganzen Werkes wurde das Flehen womöglich noch mehr als früher ein vorherrschender Zug seines Lebens, und nach dem Sieg über alle seine Feinde legte er Fürbitte ein für die Übeltäter. Und was von ihm gilt, das gilt auch von seiner Gemeinde; denn gerade dann, wenn sie das höchste Maß geistlichen Segens genießt, fühlt sie sich am stärksten getrieben, um weitere Segnungen zu bitten. Ja, gerade dann ist es ihr ernst mit der Bitte um Heil und Gelingen, wenn sie das Wirken des HERRN in ihrer Mitte besonders wahrnimmt und darüber erstaunen muss. Wenn eine gnädige Heimsuchung sie erquickt und ermuntert, sondert sie heilige Gebetstage aus und ruft mit heißem Flehen: HERR, hilf doch! HERR, lass wohl gelingen! Sie möchte so gerne die Zeit der Hochflut benutzen und den Tag recht auskaufen, den der HERR schon so groß gemacht hat.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 118
26. Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! In dem Namen des HERRN hatte der siegreiche Held alles vollbracht; in diesem Namen hatte er alle seine Feinde in die Flucht geschlagen, hatte er den Thron bestiegen und war er in den Tempel gegangen, um seine Gelübde zu bezahlen Aber wir kennen den, der in einzigartigem Sinn in dem Namen des HERRN kommt. In den Tagen des Psalmisten war er der Kommende, und auch heute ist er immer noch der Kommende, obwohl er schon gekommen ist. Wir haben unsere Hosiannas für ihn bereit, wie für sein erstes, so für sein zweites Kommen. In der Tiefe unserer Seele beten wir ihn dankbar an, preisen ihn und erflehen unaussprechliche Freuden auf sein Haupt. "Man wird immerdar für ihn beten, täglich wird man ihn segnen." (Ps. 72,15.) Um seines Namens willen wird von uns jeder gesegnet, der im Namen des HERRN kommt, wir heißen sie alle herzlich willkommen in unserm Herzen und in unserm Hause; aber hauptsächlich und mehr als alle anderen ihn selbst, wenn er sich herablässt, zu uns zu kommen, dass er mit uns Abendmahl halte und wir mit ihm. (Off. 3,20.) O heiliges Glück, o wahrer Vorgeschmack des Himmels! - Dieser Vers ist vielleicht der Segensgruß der Priester über den Knecht des HERRN, den tatkräftigen Herzog des Volkes; dazu passt denn schön das Folgende: Wir segnen euch, die ihr vom Hause des HERRN seid. Es war das Amt der Priester, das Volk zu segnen; aber siebenfach segneten sie den Befreier des Volkes, den aus dem Volk vom HERRN Erwählten und Erhöhten. Alle, die das hohe Vorrecht haben, immerdar im Hause des HERRN wohnen zu dürfen, weil sie in Christo Jesu zu Priestern Gottes gemacht sind, können in Wahrheit sagen, dass sie Christum segnend lobpreisen, der sie zu dem gemacht hat, was sie sind, und sie an den Platz gestellt, wo sie sind. Immer, wenn wir das Glück empfinden, Hausgenossen Gottes zu sein, und wir den Geist der Gotteskindschaft spüren, in dem wir "Abba, lieber Vater" rufen, sollte der erste Gedanke unserer Herzen der sein, dass wir den Namen des erstgeborenen Bruders segnen, durch den uns Unwürdigen der Vorzug der Gotteskindschaft zuteil geworden ist. Wir denken mit seliger Erinnerung an so manche köstliche Stunde in dem vergangenen Leben zurück, da wir mit unaussprechlicher Freude und aus vollem Herzen unseren Heiland und König gepriesen haben, und jede dieser unvergesslichen Erinnerungen ist ein Vorgeschmack und Unterpfand auf die Zeit, da wir im Hause unseres Vaters droben jubelnd den Namen des Erlösers preisen und auf ewig singen werden: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet ist. (Off. 5,12.)
27. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet. Gott ist Jehovah, der allein lebendige und wahre Gott. Es gibt keinen andern Gott außer ihm. Das hier für Gott gebrauchte Wort (El) heißt der Starke, der allein Mächtige. Nur die Kraft Gottes war imstande, uns das große Licht und die Freude zu bringen, die aus dem Werk unseres Helden und Königs fließt. Auch uns hat Gott erleuchtet; sein Licht lehrte uns, den verworfenen Stein als den Eckstein zu erkennen, und das trieb uns, uns unter dem Kreuzesbanner in das Heer des einst verspotteten Nazareners einreihen zu lassen, der jetzt der Fürst der Könige auf Erden ist. Dem Strahl der Erkenntnis folgte der Strahl der Freude, denn wir sind jetzt frei von den Mächten der Finsternis und versetzt in das Reich des lieben Sohnes Gottes. (Kol. 1,13) Wir wissen von der Herrlichkeit Gottes im Angesichte Jesu Christi nicht wegen unserer Natur oder unserer Vernunft; weder hat diese Erkenntnis ihren Ursprung in den Funken, die wir selbst angezündet, noch empfingen wir sie von Menschen, sondern der mächtige Gott allein hat uns diese Herrlichkeit gezeigt. Er schuf den Tag des Heils, dass er über uns leuchte wie die Sonne, und er ließ unser Angesicht leuchten im Licht jenes Tages, wie es im 24. Vers heißt: Dies ist der Tag, den der HERR macht. Darum gebührt ihm allein alle Ehre für unsere Erleuchtung. Wohlan, lasst uns von ganzem Herzen den großen Vater des Lichtes preisen, der uns aus der Höhe mit der Seligkeit erfüllt hat, die wir jetzt genießen.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars, oder nach der Auffassung anderer: Bindet das Festopfer mit Seilen bis an die Hörner des Altars.2 Man erklärt dies sehr verschieden, etwa von der Menge der Opfertiere, die den ganzen Raum des Vorhofs füllten, so dass sie sogar bis an den Altar hin festgebunden werden mussten, oder von den Ochsen, die wegen ihres Widerstrebens, ehe sie geschlachtet wurden, am Altar angebunden wurden. Andere denken an Kränze, an Laubgewinde, mit denen die Festopfer geschmückt und zum Altar geführt worden seien. Das ist ein Bild für uns, denn auch wir sind an den Altar Gottes gebunden, aber mit Seilen der Liebe, nicht mit rauem Zwang, der die Freiheit des Willens vernichtet. Das Opfer, das wir zur Verherrlichung der Siege unseres Herrn Jesus Christus darbringen, ist das lebendige Opfer von Geist, Seele und Leib. Wir bringen uns selbst zu dem Altar und begehren, dem HERRN alles, was wir sind und was wir haben, darzubringen. Freilich bleibt in unserer Natur eine Neigung, vor dem Altar zurückzuscheuen; sie mag das Opfermesser nicht leiden. Im Drange der ersten Liebe kommen wir wohl willig zum Altar, aber es bedarf der fesselnden Macht, um uns dort ganz und lebenslänglich festzuhalten. Glücklicherweise gibt es ein Seil, das, um den Sühnaltar oder besser um die Person unseres Herrn Jesus Christus, unseres einzigen Altares, gewunden, uns halten kann und wirklich hält. Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. (2. Kor. 5,14.15) Wir sind an die Lehre von der Versöhnung gebunden, ja an Christum selbst, der für uns beides zusammen ist, Altar und Opferlamm; und wir begehren mehr denn je an ihn gebunden zu sein, denn unsere Seele findet gerade ihre wahre Freiheit, indem sie fest an den Altar des HERRN gekettet ist. Die amerikanische Missionsgesellschaft in Boston hat auf ihrem Siegel einen Ochsen mitten zwischen einem Altar und einem Pflug, und als Wahlspruch darunter. "Willig zu beidem", willig zu leben und zu arbeiten, aber auch willig zu leiden und zu sterben. Wir möchten uns gern für den HERRN in Tätigkeit opfern, sind aber auch bereit, durch ihn uns im Leiden opfern zu lassen, wie es gerade sein Wille ist. (Vergl. 2. Kor. 12,15) Wir kennen jedoch die Auflehnung unserer verderbten Natur zu gut, drum ist es unser ernstliches Gebet, dass wir in diesem heiligen Sinn bewahrt bleiben mögen und es uns niemals zugelassen werde, dass wir, durch Entmutigungen oder durch Versuchungen dieser Welt beirrt, den Altar verlassen, an den wir nach unserm Herzenswunsch auf ewig gebunden sein wollen. Eine Übergabe dieser Art und das Verlangen, dass sie unaufhörlich dauere, passt gut zu jenem Tag der Freude, den der HERR durch den Triumph seines Sohnes, unseres innigst geliebten Bundeshauptes, so herrlich gemacht hat.
28.
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
29.
Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Wir kommen nun zu dem Schlussgesang des königlichen Helden (V. 28), in den dann alle seine Getreuen einstimmen (V. 29).
28. Du bist mein Gott, und ich danke dir, du mein mächtiger Gott, der du diese gewaltige und wunderbare Tat getan. Du sollst mein sein, und alles Lob, dessen meine Seele fähig ist, soll zu deinen Füßen ausgegossen werden. Mein Gott, ich will dich preisen, oder erhöhen. Du hast mich erhöht, und soweit mein Lobpreis es vermag, will ich deinen Namen erhöhen. Jesus ist verherrlicht, und er verherrlicht den Vater. (Joh. 17,1) Gott hat uns Gnade gegeben und Herrlichkeit verheißen, darum müssen wir alle Gnade wie auch allen ihren Ruhm ihm zuschreiben. Die Wiederholung weist hin auf die Festigkeit, mit der der Psalmist diesen Entschluss fasste, auf die Herzlichkeit seiner Liebe und die Tiefe der Dankbarkeit. Dies Gelübde "Ich will dich preisen" passt trefflich in den Mund unseres Herrn Jesus, und ihm nach mag ein jeder von uns in aller Demut im Vertrauen auf die göttliche Gnade ebenso feierlich erklären: Ich will dich preisen. Umso mehr als andere dich lästern, will ich dich erhöhen; und mag ich mir selbst manchmal kalt und gleichgültig vorkommen, so will ich doch meine träge Natur aufrütteln und den festen Entschluss fassen, dass mein Leben, solange ich atme, deinem Preise gewidmet sein soll. Für und für bist du mein Gott, und für und für will ich dir danken.
29. Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Der Psalm endigt, wie er begonnen, und bildet somit einen vollständigen Kreis freudiger Anbetung. Wir können uns wohl vorstellen, dass die Töne am Schlusse des lauten Halleluja rascher, wohlklingender und kräftiger erschollen als im Anfang. Bei dem Klang der Trompeten und Harfen vergaßen Israel, das Haus Aaron und die den HERRN fürchteten alle Unterschiede, sie stimmten alle miteinander den gemeinsamen Gesang an und bezeugten aufs Neue ihre tiefe Dankbarkeit für die Freundlichkeit des HERRN und seine ewige Gnade. Könnte es einen schöneren Schluss geben zu diesem wahrhaft königlichen Liede? Die Dichter steigen gern in ihren Gesängen immer höher empor, so dass sie mit der höchsten Steigerung endigen. Aber hier gab es nichts Höheres. Der Psalmist hat die Höhe seines Gegenstandes erreicht, nun macht er Halt. Die Musik schweigt, der Gesang ist zu Ende, der letzte Ton des großen Hallel ist verklungen, und Israel geht zu seinen Hütten, ein jeder still und freudig sinnend über die Freundlichkeit des HERRN, dessen Gnade die Ewigkeit erfüllt.
Erläuterungen und Kernworte
Der ganze Psalm hat eine eigentümliche Formung. Er ist den Maschal- (Sinnspruch-) Psalmen ähnlich, denn jeder Vers hat für sich seinen geflossenen Sinn, eignen Duft und eigne Farbe; ein Gedanke fügt sich an den andern wie Zweig an Zweig, Blume an Blume. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Nichts vermag die Kraft und Erhabenheit, wie auch die reiche Mannigfaltigkeit und Schönheit dieses Psalms zu übertreffen. Sein messianischer Inhalt ist unverkennbar. Der Geist Christi bringt in ihn prophetisch den Jubel zum Ausdruck, womit die jungfräuliche Tochter Zion in der unmittelbaren Voraussicht der Zukunft ihres Befreiers, den Sieg im Glauben zum Voraus ergreifend, die versammelten Heere des Menschen der Sünde (V. 10-13) verlachen wird. Arthur Pridham 1869.
(Aus der Widmung der Auslegung des Psalms an den Abt zu Nürnberg.) Ich wollte mich gerne gegen Ew. Lieb und Gunst, mir erzeigt, dankbar erzeigen; so bin ich nach der Welt ein armer Bettler. Also habe ich mich zu meinem Reichtum, den ich für meinen Schatz achte, gekehret, und meinen lieben Psalm vor mich genommen, das schöne Confitemini, habe darüber meine Gedanken aufs Papier gefasset, weil ich hier in der Wüsten (auf der Feste zu Koburg) so müßig sitze und doch zuweilen, des Haupts zu verschonen, mit der größern Arbeit, die Propheten vollends zu verdeutschen, ruhen muss ... Bessers habe ich nicht. Denn es ist mein Psalm, den ich lieb habe. Wiewohl der ganze Psalter und die Heilige Schrift gar mir auch lieb ist, als die mein einiger Trost und Leben ist, so bin ich doch sonderlich an diesen Psalm geraten, dass er muss mein heißen und sein, denn er sich auch redlich um mich gar oft verdienet und mir aus manchen großen Nöten geholfen hat, da mir sonst weder Kaiser, Könige, Weise, Kluge, Heilige hätten mögen helfen, und ist mir lieber, denn des Papsts, Türken, Kaisers und aller Welt Ehre, Gut und Gewalt, wollte auch gar ungerne um diesen Psalm mit ihnen allesam beuten. Und wollte Gott, dass alle Welt den Psalm also für den seinen anspräche wie ich. Das sollte der freundlichste Zank werden, dem kaum eine Einträchtigkeit und Liebe zu vergleichen sein sollte. Es ist leider derer wenig, auch unter denen, die es billig vor andern tun sollten, die zur Heiligen Schrift oder zu einigem Psalm ihr Leben lang einmal von Herzen sprächen: Du bist mein liebes Buch, du sollst mein eigen Psälmlein sein. Martin Luther, 1. Juli 1530.
Fußnote
2. So übersetzen die meisten Neueren. Die Übers. Luthers stammt aus der griech. und latein. Übers. Bäthgen nähert sich ihr wieder: Knüpft den Reigen mit Zweigen bis an des Altars Hörner. Die Worte sind sehr dunkel; schon die alten Übers. gehen weit auseinander.
27. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet. Gott ist Jehovah, der allein lebendige und wahre Gott. Es gibt keinen andern Gott außer ihm. Das hier für Gott gebrauchte Wort (El) heißt der Starke, der allein Mächtige. Nur die Kraft Gottes war imstande, uns das große Licht und die Freude zu bringen, die aus dem Werk unseres Helden und Königs fließt. Auch uns hat Gott erleuchtet; sein Licht lehrte uns, den verworfenen Stein als den Eckstein zu erkennen, und das trieb uns, uns unter dem Kreuzesbanner in das Heer des einst verspotteten Nazareners einreihen zu lassen, der jetzt der Fürst der Könige auf Erden ist. Dem Strahl der Erkenntnis folgte der Strahl der Freude, denn wir sind jetzt frei von den Mächten der Finsternis und versetzt in das Reich des lieben Sohnes Gottes. (Kol. 1,13) Wir wissen von der Herrlichkeit Gottes im Angesichte Jesu Christi nicht wegen unserer Natur oder unserer Vernunft; weder hat diese Erkenntnis ihren Ursprung in den Funken, die wir selbst angezündet, noch empfingen wir sie von Menschen, sondern der mächtige Gott allein hat uns diese Herrlichkeit gezeigt. Er schuf den Tag des Heils, dass er über uns leuchte wie die Sonne, und er ließ unser Angesicht leuchten im Licht jenes Tages, wie es im 24. Vers heißt: Dies ist der Tag, den der HERR macht. Darum gebührt ihm allein alle Ehre für unsere Erleuchtung. Wohlan, lasst uns von ganzem Herzen den großen Vater des Lichtes preisen, der uns aus der Höhe mit der Seligkeit erfüllt hat, die wir jetzt genießen.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars, oder nach der Auffassung anderer: Bindet das Festopfer mit Seilen bis an die Hörner des Altars.2 Man erklärt dies sehr verschieden, etwa von der Menge der Opfertiere, die den ganzen Raum des Vorhofs füllten, so dass sie sogar bis an den Altar hin festgebunden werden mussten, oder von den Ochsen, die wegen ihres Widerstrebens, ehe sie geschlachtet wurden, am Altar angebunden wurden. Andere denken an Kränze, an Laubgewinde, mit denen die Festopfer geschmückt und zum Altar geführt worden seien. Das ist ein Bild für uns, denn auch wir sind an den Altar Gottes gebunden, aber mit Seilen der Liebe, nicht mit rauem Zwang, der die Freiheit des Willens vernichtet. Das Opfer, das wir zur Verherrlichung der Siege unseres Herrn Jesus Christus darbringen, ist das lebendige Opfer von Geist, Seele und Leib. Wir bringen uns selbst zu dem Altar und begehren, dem HERRN alles, was wir sind und was wir haben, darzubringen. Freilich bleibt in unserer Natur eine Neigung, vor dem Altar zurückzuscheuen; sie mag das Opfermesser nicht leiden. Im Drange der ersten Liebe kommen wir wohl willig zum Altar, aber es bedarf der fesselnden Macht, um uns dort ganz und lebenslänglich festzuhalten. Glücklicherweise gibt es ein Seil, das, um den Sühnaltar oder besser um die Person unseres Herrn Jesus Christus, unseres einzigen Altares, gewunden, uns halten kann und wirklich hält. Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. (2. Kor. 5,14.15) Wir sind an die Lehre von der Versöhnung gebunden, ja an Christum selbst, der für uns beides zusammen ist, Altar und Opferlamm; und wir begehren mehr denn je an ihn gebunden zu sein, denn unsere Seele findet gerade ihre wahre Freiheit, indem sie fest an den Altar des HERRN gekettet ist. Die amerikanische Missionsgesellschaft in Boston hat auf ihrem Siegel einen Ochsen mitten zwischen einem Altar und einem Pflug, und als Wahlspruch darunter. "Willig zu beidem", willig zu leben und zu arbeiten, aber auch willig zu leiden und zu sterben. Wir möchten uns gern für den HERRN in Tätigkeit opfern, sind aber auch bereit, durch ihn uns im Leiden opfern zu lassen, wie es gerade sein Wille ist. (Vergl. 2. Kor. 12,15) Wir kennen jedoch die Auflehnung unserer verderbten Natur zu gut, drum ist es unser ernstliches Gebet, dass wir in diesem heiligen Sinn bewahrt bleiben mögen und es uns niemals zugelassen werde, dass wir, durch Entmutigungen oder durch Versuchungen dieser Welt beirrt, den Altar verlassen, an den wir nach unserm Herzenswunsch auf ewig gebunden sein wollen. Eine Übergabe dieser Art und das Verlangen, dass sie unaufhörlich dauere, passt gut zu jenem Tag der Freude, den der HERR durch den Triumph seines Sohnes, unseres innigst geliebten Bundeshauptes, so herrlich gemacht hat.
28.
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
29.
Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Wir kommen nun zu dem Schlussgesang des königlichen Helden (V. 28), in den dann alle seine Getreuen einstimmen (V. 29).
28. Du bist mein Gott, und ich danke dir, du mein mächtiger Gott, der du diese gewaltige und wunderbare Tat getan. Du sollst mein sein, und alles Lob, dessen meine Seele fähig ist, soll zu deinen Füßen ausgegossen werden. Mein Gott, ich will dich preisen, oder erhöhen. Du hast mich erhöht, und soweit mein Lobpreis es vermag, will ich deinen Namen erhöhen. Jesus ist verherrlicht, und er verherrlicht den Vater. (Joh. 17,1) Gott hat uns Gnade gegeben und Herrlichkeit verheißen, darum müssen wir alle Gnade wie auch allen ihren Ruhm ihm zuschreiben. Die Wiederholung weist hin auf die Festigkeit, mit der der Psalmist diesen Entschluss fasste, auf die Herzlichkeit seiner Liebe und die Tiefe der Dankbarkeit. Dies Gelübde "Ich will dich preisen" passt trefflich in den Mund unseres Herrn Jesus, und ihm nach mag ein jeder von uns in aller Demut im Vertrauen auf die göttliche Gnade ebenso feierlich erklären: Ich will dich preisen. Umso mehr als andere dich lästern, will ich dich erhöhen; und mag ich mir selbst manchmal kalt und gleichgültig vorkommen, so will ich doch meine träge Natur aufrütteln und den festen Entschluss fassen, dass mein Leben, solange ich atme, deinem Preise gewidmet sein soll. Für und für bist du mein Gott, und für und für will ich dir danken.
29. Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Der Psalm endigt, wie er begonnen, und bildet somit einen vollständigen Kreis freudiger Anbetung. Wir können uns wohl vorstellen, dass die Töne am Schlusse des lauten Halleluja rascher, wohlklingender und kräftiger erschollen als im Anfang. Bei dem Klang der Trompeten und Harfen vergaßen Israel, das Haus Aaron und die den HERRN fürchteten alle Unterschiede, sie stimmten alle miteinander den gemeinsamen Gesang an und bezeugten aufs Neue ihre tiefe Dankbarkeit für die Freundlichkeit des HERRN und seine ewige Gnade. Könnte es einen schöneren Schluss geben zu diesem wahrhaft königlichen Liede? Die Dichter steigen gern in ihren Gesängen immer höher empor, so dass sie mit der höchsten Steigerung endigen. Aber hier gab es nichts Höheres. Der Psalmist hat die Höhe seines Gegenstandes erreicht, nun macht er Halt. Die Musik schweigt, der Gesang ist zu Ende, der letzte Ton des großen Hallel ist verklungen, und Israel geht zu seinen Hütten, ein jeder still und freudig sinnend über die Freundlichkeit des HERRN, dessen Gnade die Ewigkeit erfüllt.
Erläuterungen und Kernworte
Der ganze Psalm hat eine eigentümliche Formung. Er ist den Maschal- (Sinnspruch-) Psalmen ähnlich, denn jeder Vers hat für sich seinen geflossenen Sinn, eignen Duft und eigne Farbe; ein Gedanke fügt sich an den andern wie Zweig an Zweig, Blume an Blume. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Nichts vermag die Kraft und Erhabenheit, wie auch die reiche Mannigfaltigkeit und Schönheit dieses Psalms zu übertreffen. Sein messianischer Inhalt ist unverkennbar. Der Geist Christi bringt in ihn prophetisch den Jubel zum Ausdruck, womit die jungfräuliche Tochter Zion in der unmittelbaren Voraussicht der Zukunft ihres Befreiers, den Sieg im Glauben zum Voraus ergreifend, die versammelten Heere des Menschen der Sünde (V. 10-13) verlachen wird. Arthur Pridham 1869.
(Aus der Widmung der Auslegung des Psalms an den Abt zu Nürnberg.) Ich wollte mich gerne gegen Ew. Lieb und Gunst, mir erzeigt, dankbar erzeigen; so bin ich nach der Welt ein armer Bettler. Also habe ich mich zu meinem Reichtum, den ich für meinen Schatz achte, gekehret, und meinen lieben Psalm vor mich genommen, das schöne Confitemini, habe darüber meine Gedanken aufs Papier gefasset, weil ich hier in der Wüsten (auf der Feste zu Koburg) so müßig sitze und doch zuweilen, des Haupts zu verschonen, mit der größern Arbeit, die Propheten vollends zu verdeutschen, ruhen muss ... Bessers habe ich nicht. Denn es ist mein Psalm, den ich lieb habe. Wiewohl der ganze Psalter und die Heilige Schrift gar mir auch lieb ist, als die mein einiger Trost und Leben ist, so bin ich doch sonderlich an diesen Psalm geraten, dass er muss mein heißen und sein, denn er sich auch redlich um mich gar oft verdienet und mir aus manchen großen Nöten geholfen hat, da mir sonst weder Kaiser, Könige, Weise, Kluge, Heilige hätten mögen helfen, und ist mir lieber, denn des Papsts, Türken, Kaisers und aller Welt Ehre, Gut und Gewalt, wollte auch gar ungerne um diesen Psalm mit ihnen allesam beuten. Und wollte Gott, dass alle Welt den Psalm also für den seinen anspräche wie ich. Das sollte der freundlichste Zank werden, dem kaum eine Einträchtigkeit und Liebe zu vergleichen sein sollte. Es ist leider derer wenig, auch unter denen, die es billig vor andern tun sollten, die zur Heiligen Schrift oder zu einigem Psalm ihr Leben lang einmal von Herzen sprächen: Du bist mein liebes Buch, du sollst mein eigen Psälmlein sein. Martin Luther, 1. Juli 1530.
Fußnote
2. So übersetzen die meisten Neueren. Die Übers. Luthers stammt aus der griech. und latein. Übers. Bäthgen nähert sich ihr wieder: Knüpft den Reigen mit Zweigen bis an des Altars Hörner. Die Worte sind sehr dunkel; schon die alten Übers. gehen weit auseinander.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 118
Erläuterungen und Kernworte
V. 1. Was der Schluss des Ps. 117 von Gottes Wahrheit sagt, dass sie ewig währe, sagt der Anfang des Ps. 118 von ihrer Schwester, der Gnade. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 1-4. Wie das Heil aller Erwählten eines ist und Gottes Liebe zu ihnen allen eine ist, so sollte auch ihr Gesang einer sein, wie denn hier viermal gesagt ist: Seine Güte währet ewiglich. Dickson † 1662.
Seine Güte, d. i. seine Bundesgnade, dieses kostbare Vorrecht der Erwählten. Diese waltet beständig über seinem Volke und sollte darum auch beständig als Andenken in unserem Herzen sein. Die vierfache Wiederholung bringt in beachtenswerter Weise zum Ausdruck, wie unersättlich das Begehren der Gläubigen ist, Gott für seine nie ermattende Gnade zu preisen. Haben diese himmlischen Singvögel den Ton einmal angestimmt, so singen sie ihn immer und immer wieder. In dem letzten Psalm sind der Vers nur sechs, doch zwölf Hallelujah. Abr. Wright 1661.
Die Jahve Fürchtenden sind die Proselyten (in der Apostelgeschichte sebo/menoi to`n qeo/n oder bloß sebo/menoi, wie denn in lateinischen Inschriften der Proselyt [religionis Judaicae] metuens heißt); jedenfalls sind diese (1. Könige 8,41; Jes. 56,6) eingeschlossen, auch wenn Israel V. 2 die Laienschaft bedeuten sollte, denn der Begriff der Jahve Fürchtenden ragt über Israel hinaus. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 5. Angst im Hebräischen lautet, als das enge ist, wie ich achte, dass im Deutschen auch Angst daher komme, das enge sei, darinne einem bange und wehe wird, wie die Anfechtungen und Unglück tun, nach dem Sprichwort: Es war mir die weite Welt zu enge. Dagegen lautet im Hebräischen, das er hier sagt, in weitem Raum: dass, gleichwie die Enge oder Angst heißet Trübsal und Not, also heißet weiter Raum Trost und Hilfe; dass dieser Vers soviel gesagt ist: Ich rief den HERRN an in der Not, so hörte er und half mir tröstlich. Denn wie die Not unser enger Raum ist, der uns betrübt und klemmet, also ist die Hilfe Gottes unser weiter Raum, der uns frei und fröhlich macht.
Es heißet: Ich rief den HERRN an. Rufen musst du lernen (das hörest du wohl), und nicht da sitzen bei dir selbst oder liegen auf der Bank, den Kopf hängen und schütteln und mit deinen Gedanken dich beißen und fressen, sorgen und suchen, wie du los werdest, und nichts anders ansehen, denn wie übel es dir gehe, wie wehe dir sei, wie ein elender Mensch du seist; sondern wohlauf, du fauler Schelm, auf die Knie gefallen, die Hände und Augen gen Himmel gehoben, einen Psalm oder Vaterunser vorgenommen, und deine Not mit Weinen vor Gott dargelegt, geklagt und angerufen. Martin Luther 1530.
V. 6. Der Grund, warum der Psalmist so guter Zuversicht ist und sich nicht fürchtet, ist die erhabene Tatsache, dass der HERR auf seiner Seite ist als sein Schirmherr, mit ihm als erhabener Verbündeter gemeinsame Sache macht. Es ist uns ja wohlbekannt, wie ernstlich die Menschen in allen ihren weltlichen Händeln darauf bedacht sind, sich den Beistand eines mächtigen Verbündeten zu sichern, desgleichen in Rechtshändeln die Dienste eines einflussreichen Advokaten zu erlangen, bei ihren Versuchen, in der Welt voranzukommen, die Freundschaft und Anteilnahme solcher Leute zu gewinnen, die ihr Vorhaben zu fördern imstande sind. Als Herodes mit denen von Tyrus und Sidon zu kriegen gedachte, wagten diese es nicht, ihm um Frieden bittend zu nahen, bis sie Blastus, des Königs Kämmerer, sich zum Freunde gewonnen hatten. Wenn nur eine so und so beschaffene Person auf ihrer Seite ist, denken die Menschen, alles müsse gut gehen. Wer aber ist so gut daran, als wer sagen kann: Der HERR ist für mich! Ph. B. Power 1861.
Gott ist mit denen, die er zu öffentlichem Dienst beruft. Dem Josua wird anbefohlen, getrost und freudig zu sein, "denn der HERR, dein Gott, ist mit dir". (Jos. 1,9). Ebenso dem Jeremia: "Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, dich zu erretten". (Jer. 1,8) Gottes Nähe sollte uns in der Tat frische Kraft einhauchen. Untergeordnete Naturen sind, wenn ein Höherer ihnen den Rücken deckt, voll Mutes und vollbringen Taten, die sie für sich allein nie unternehmen würden. Ist Gott, der Höchste, mit uns, so mögen wir wohl furchtlos sein wie der Psalmist. Mögen die Menschen es noch so schlimm machen, mögen sie finstre Blicke werfen, Drohungen ausstoßen, sich verschwören, bewaffnen, auf mich eindringen, - der HERR ist auf meiner Seite, er wendet mir seine besondere Sorge zu, er ist mein Schild, so will ich mich nicht fürchten, sondern guter Hoffnung sein. W. Greenhill † 1677.
V. 8. Man mag es fast unter der Würde und Feierlichkeit des Gegenstandes unserer Betrachtung ansehen, zu bemerken, dass dieser achte Vers der mittlere Vers der Bibel ist. Es sind ihrer, wenn ich nicht irre, im Ganzen 31.174 Verse, und dieser ist der 15.587ste. Ich möchte wahrlich nicht, dass ihr eure Zeit darauf verwendet, selber nachzuzählen, und würde die Sache überhaupt nicht erwähnt haben, wenn ich nicht auf eins hinweisen wollte. Und das ist Folgendes: Wiewohl wir solche Berechnungen im Allgemeinen als geschäftigen Müßiggang anzusehen haben werden - und wie ist man selbst auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten eingegangen, sodass man z. B. sogar gezählt hat, wie oft das Wörtlein "und" vorkomme - verdanken wir es doch dieser Kleinigkeitskrämerei nicht zu einem geringen Teil, dass das heilige Buch im Vergleich mit anderen Büchern so unversehrt erhalten worden ist. Barton Bouchier 1856.
V. 8.9. Luther nennt dies die Kunst über alle Kunst, nicht auf Menschen, sondern auf den lebendigen Gott trauen, und das wohlgefälligste und köstlichste aller Opfer, die wir Gott darbringen können. John Trapp † 1669.
Da Herzog Friedrich von Sachsen lebte, der teure werte Fürst, da trösteten sich beide, geistliche und weltliche Tyrannen, auf seinen Tod und sprachen: Es ist um zwei Augen zu tun, wenn dieselbigen zu sind, so liegt des Luthers Ketzerei auch. Nichts Gewissers haben sie ihr Lebtage gehabt, denn solche ihre eigene Weissagung; sie hatten es am Griffe, wie die Fiedler. Denn sie dachten nicht anders, unsere Lehre stünde auf Herzog Friedrichen, und unser Trost und Hilfe wäre Menschentrost und Fürstenhilfe. Solches nahmen sie bei ihnen selbst ab. Sie meinten, wir täten auch also, weil sie keinen andern Trost noch Hilfe wissen. Martin Luther 1530.
Ich habe gehöret von dem seinen Bischof Friedrich zu Magdeburg, nicht lange vor dieser Zeit. Wider den war ein Fürst zu Sachsen, Herzog Friedrich, willens zu kriegen, als sein abgesagter Feind, und schickete einen Kundschafter an des Bischofs Hof, zu schauen, wie er sich rüstete und zur Wehre stellete. Der kam heim zu seinem Fürsten fröhlich, zeigete ihm an, dass der Bischof sich gar nichts rüstete, wären alle Sachen schon gewonnen. Da fragete der Fürst: Was sagte denn der Bischof vom Kriege? Der antwortete, er sagte nichts mehr, denn also: Er wolle hin und seines Amts warten, Klöster visitieren und arme Leute hören, und wollte Gott lassen für sich streiten, der würde indes den Krieg wohl führen. Da das der Fürst hörete, sprach er: Sagt der Bischof also, so kriege der Teufel wider ihn an meiner Statt, und ließ den Krieg anstehen, furchte sich mit Gott zu kriegen. Da siehe, wer hat dem Bischofe so bald und so leicht geholfen und des Fürsten Herz so ganz umgekehret? Allein der Name des HERRN, das allmächtige Wörtlein. Martin Luther1530.
Eine Hauptursache, warum Gott oft Mittel nicht segnet, ist die, dass wir so geneigt sind, uns auf sie zu verlassen, und rauben Gott seine Ehre, indem wir nicht auf den Segen von seinen Händen warten. Das veranlasst Gott, unsere Hoffnungen zu durchkreuzen und seine eigenen Gaben ihres Segens zu entleeren, weil wir nicht ihn suchen, sondern unserer Geschicklichkeit Weihrauch opfern, indem wir auf die äußeren Mittel unsre Zuversicht setzen. Darum vereitelt er das Gelingen und wendet die Mittel zu unserem Schaden. Abr. Wright 1661.
Sind meine Feinde zu Schanden gemacht, so möge nicht mein Freund sich mir als guter Helfer (V. 7) darbieten und mich bewegen, meine Hoffnung auf ihn zu setzen, sondern auch dann muss ich auf den HERRN allein trauen. Aurel. Augustinus † 430.
Wie hat David das an seinem König, dem Saul, an Achis, an Ahitophel und andern erfahren, dass man sich nicht auf Fürsten und Große verlassen kann. Sie alle erwiesen sich als trügerisch; aber nie vertraute er vergeblich auf Jehovah. Kardinal R. Bellarmin † 1621.
Großer Leute Worte, hat einer gesagt, sind wie toter Leute Schuhe; wer auf sie wartet, mag barfuß gehen. John Trapp † 1669.
V. 1. Was der Schluss des Ps. 117 von Gottes Wahrheit sagt, dass sie ewig währe, sagt der Anfang des Ps. 118 von ihrer Schwester, der Gnade. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 1-4. Wie das Heil aller Erwählten eines ist und Gottes Liebe zu ihnen allen eine ist, so sollte auch ihr Gesang einer sein, wie denn hier viermal gesagt ist: Seine Güte währet ewiglich. Dickson † 1662.
Seine Güte, d. i. seine Bundesgnade, dieses kostbare Vorrecht der Erwählten. Diese waltet beständig über seinem Volke und sollte darum auch beständig als Andenken in unserem Herzen sein. Die vierfache Wiederholung bringt in beachtenswerter Weise zum Ausdruck, wie unersättlich das Begehren der Gläubigen ist, Gott für seine nie ermattende Gnade zu preisen. Haben diese himmlischen Singvögel den Ton einmal angestimmt, so singen sie ihn immer und immer wieder. In dem letzten Psalm sind der Vers nur sechs, doch zwölf Hallelujah. Abr. Wright 1661.
Die Jahve Fürchtenden sind die Proselyten (in der Apostelgeschichte sebo/menoi to`n qeo/n oder bloß sebo/menoi, wie denn in lateinischen Inschriften der Proselyt [religionis Judaicae] metuens heißt); jedenfalls sind diese (1. Könige 8,41; Jes. 56,6) eingeschlossen, auch wenn Israel V. 2 die Laienschaft bedeuten sollte, denn der Begriff der Jahve Fürchtenden ragt über Israel hinaus. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 5. Angst im Hebräischen lautet, als das enge ist, wie ich achte, dass im Deutschen auch Angst daher komme, das enge sei, darinne einem bange und wehe wird, wie die Anfechtungen und Unglück tun, nach dem Sprichwort: Es war mir die weite Welt zu enge. Dagegen lautet im Hebräischen, das er hier sagt, in weitem Raum: dass, gleichwie die Enge oder Angst heißet Trübsal und Not, also heißet weiter Raum Trost und Hilfe; dass dieser Vers soviel gesagt ist: Ich rief den HERRN an in der Not, so hörte er und half mir tröstlich. Denn wie die Not unser enger Raum ist, der uns betrübt und klemmet, also ist die Hilfe Gottes unser weiter Raum, der uns frei und fröhlich macht.
Es heißet: Ich rief den HERRN an. Rufen musst du lernen (das hörest du wohl), und nicht da sitzen bei dir selbst oder liegen auf der Bank, den Kopf hängen und schütteln und mit deinen Gedanken dich beißen und fressen, sorgen und suchen, wie du los werdest, und nichts anders ansehen, denn wie übel es dir gehe, wie wehe dir sei, wie ein elender Mensch du seist; sondern wohlauf, du fauler Schelm, auf die Knie gefallen, die Hände und Augen gen Himmel gehoben, einen Psalm oder Vaterunser vorgenommen, und deine Not mit Weinen vor Gott dargelegt, geklagt und angerufen. Martin Luther 1530.
V. 6. Der Grund, warum der Psalmist so guter Zuversicht ist und sich nicht fürchtet, ist die erhabene Tatsache, dass der HERR auf seiner Seite ist als sein Schirmherr, mit ihm als erhabener Verbündeter gemeinsame Sache macht. Es ist uns ja wohlbekannt, wie ernstlich die Menschen in allen ihren weltlichen Händeln darauf bedacht sind, sich den Beistand eines mächtigen Verbündeten zu sichern, desgleichen in Rechtshändeln die Dienste eines einflussreichen Advokaten zu erlangen, bei ihren Versuchen, in der Welt voranzukommen, die Freundschaft und Anteilnahme solcher Leute zu gewinnen, die ihr Vorhaben zu fördern imstande sind. Als Herodes mit denen von Tyrus und Sidon zu kriegen gedachte, wagten diese es nicht, ihm um Frieden bittend zu nahen, bis sie Blastus, des Königs Kämmerer, sich zum Freunde gewonnen hatten. Wenn nur eine so und so beschaffene Person auf ihrer Seite ist, denken die Menschen, alles müsse gut gehen. Wer aber ist so gut daran, als wer sagen kann: Der HERR ist für mich! Ph. B. Power 1861.
Gott ist mit denen, die er zu öffentlichem Dienst beruft. Dem Josua wird anbefohlen, getrost und freudig zu sein, "denn der HERR, dein Gott, ist mit dir". (Jos. 1,9). Ebenso dem Jeremia: "Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, dich zu erretten". (Jer. 1,8) Gottes Nähe sollte uns in der Tat frische Kraft einhauchen. Untergeordnete Naturen sind, wenn ein Höherer ihnen den Rücken deckt, voll Mutes und vollbringen Taten, die sie für sich allein nie unternehmen würden. Ist Gott, der Höchste, mit uns, so mögen wir wohl furchtlos sein wie der Psalmist. Mögen die Menschen es noch so schlimm machen, mögen sie finstre Blicke werfen, Drohungen ausstoßen, sich verschwören, bewaffnen, auf mich eindringen, - der HERR ist auf meiner Seite, er wendet mir seine besondere Sorge zu, er ist mein Schild, so will ich mich nicht fürchten, sondern guter Hoffnung sein. W. Greenhill † 1677.
V. 8. Man mag es fast unter der Würde und Feierlichkeit des Gegenstandes unserer Betrachtung ansehen, zu bemerken, dass dieser achte Vers der mittlere Vers der Bibel ist. Es sind ihrer, wenn ich nicht irre, im Ganzen 31.174 Verse, und dieser ist der 15.587ste. Ich möchte wahrlich nicht, dass ihr eure Zeit darauf verwendet, selber nachzuzählen, und würde die Sache überhaupt nicht erwähnt haben, wenn ich nicht auf eins hinweisen wollte. Und das ist Folgendes: Wiewohl wir solche Berechnungen im Allgemeinen als geschäftigen Müßiggang anzusehen haben werden - und wie ist man selbst auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten eingegangen, sodass man z. B. sogar gezählt hat, wie oft das Wörtlein "und" vorkomme - verdanken wir es doch dieser Kleinigkeitskrämerei nicht zu einem geringen Teil, dass das heilige Buch im Vergleich mit anderen Büchern so unversehrt erhalten worden ist. Barton Bouchier 1856.
V. 8.9. Luther nennt dies die Kunst über alle Kunst, nicht auf Menschen, sondern auf den lebendigen Gott trauen, und das wohlgefälligste und köstlichste aller Opfer, die wir Gott darbringen können. John Trapp † 1669.
Da Herzog Friedrich von Sachsen lebte, der teure werte Fürst, da trösteten sich beide, geistliche und weltliche Tyrannen, auf seinen Tod und sprachen: Es ist um zwei Augen zu tun, wenn dieselbigen zu sind, so liegt des Luthers Ketzerei auch. Nichts Gewissers haben sie ihr Lebtage gehabt, denn solche ihre eigene Weissagung; sie hatten es am Griffe, wie die Fiedler. Denn sie dachten nicht anders, unsere Lehre stünde auf Herzog Friedrichen, und unser Trost und Hilfe wäre Menschentrost und Fürstenhilfe. Solches nahmen sie bei ihnen selbst ab. Sie meinten, wir täten auch also, weil sie keinen andern Trost noch Hilfe wissen. Martin Luther 1530.
Ich habe gehöret von dem seinen Bischof Friedrich zu Magdeburg, nicht lange vor dieser Zeit. Wider den war ein Fürst zu Sachsen, Herzog Friedrich, willens zu kriegen, als sein abgesagter Feind, und schickete einen Kundschafter an des Bischofs Hof, zu schauen, wie er sich rüstete und zur Wehre stellete. Der kam heim zu seinem Fürsten fröhlich, zeigete ihm an, dass der Bischof sich gar nichts rüstete, wären alle Sachen schon gewonnen. Da fragete der Fürst: Was sagte denn der Bischof vom Kriege? Der antwortete, er sagte nichts mehr, denn also: Er wolle hin und seines Amts warten, Klöster visitieren und arme Leute hören, und wollte Gott lassen für sich streiten, der würde indes den Krieg wohl führen. Da das der Fürst hörete, sprach er: Sagt der Bischof also, so kriege der Teufel wider ihn an meiner Statt, und ließ den Krieg anstehen, furchte sich mit Gott zu kriegen. Da siehe, wer hat dem Bischofe so bald und so leicht geholfen und des Fürsten Herz so ganz umgekehret? Allein der Name des HERRN, das allmächtige Wörtlein. Martin Luther1530.
Eine Hauptursache, warum Gott oft Mittel nicht segnet, ist die, dass wir so geneigt sind, uns auf sie zu verlassen, und rauben Gott seine Ehre, indem wir nicht auf den Segen von seinen Händen warten. Das veranlasst Gott, unsere Hoffnungen zu durchkreuzen und seine eigenen Gaben ihres Segens zu entleeren, weil wir nicht ihn suchen, sondern unserer Geschicklichkeit Weihrauch opfern, indem wir auf die äußeren Mittel unsre Zuversicht setzen. Darum vereitelt er das Gelingen und wendet die Mittel zu unserem Schaden. Abr. Wright 1661.
Sind meine Feinde zu Schanden gemacht, so möge nicht mein Freund sich mir als guter Helfer (V. 7) darbieten und mich bewegen, meine Hoffnung auf ihn zu setzen, sondern auch dann muss ich auf den HERRN allein trauen. Aurel. Augustinus † 430.
Wie hat David das an seinem König, dem Saul, an Achis, an Ahitophel und andern erfahren, dass man sich nicht auf Fürsten und Große verlassen kann. Sie alle erwiesen sich als trügerisch; aber nie vertraute er vergeblich auf Jehovah. Kardinal R. Bellarmin † 1621.
Großer Leute Worte, hat einer gesagt, sind wie toter Leute Schuhe; wer auf sie wartet, mag barfuß gehen. John Trapp † 1669.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 118
Erläuterungen und Kernworte
V. 12. Sie umgeben mich wie Bienen. Da der Nordostwind uns gerade entgegen blies, musste das Boot von der Schiffsmannschaft an der Leine gezogen werden. Als das Tau durch das Gras am Ufer entlang geschleift wurde, störte es einen Bienenschwarm auf. In einem Augenblick stürzten sie sich wie eine dichte Wolke auf die Leute, die am Ziehen waren. Diese warfen sich alle kopfüber ins Wasser und suchten schleunigst in das Schiff zu kommen. Aber der Schwarm folgte ihnen auf den Fersen nach und erfüllte in wenigen Sekunden alle Winkel und Löcher auf Deck. Welche Verwirrung daraus entstand, kann man sich leicht denken. Ich war gerade, nichts Böses ahnend, damit beschäftigt, meine Pflanzen in meiner Kabine zu ordnen, als ich alles um mich her davonlaufen hörte, was ich zuerst für ausgelassene Fröhlichkeit meiner Leute hielt, wie das oft vorkam. Ich rief hinaus und fragte, was der Lärm zu bedeuten habe, bekam aber nur aufgeregte Handbewegungen und vorwurfsvolle Blicke zur Antwort. Bald drang der Ruf "Bienen, Bienen" an mein Ohr, und ich ging daran, eine Pfeife anzuzünden. Mein Versuch war ganz vergeblich; im Augenblick sind Bienen zu Tausenden um mich, und ich werde ohne Erbarmen überall an Gesicht und Händen zerstochen. Ohne Erfolg suche ich mein Gesicht mit einem Handtuch zu schützen, und je heftiger ich mit den Händen umherschlage, desto heftiger wird auch das Ungestüm der wütenden Insekten. Der rasende Schmerz ist jetzt an meiner Wange, jetzt im Auge, jetzt im Haar. Die Hunde fahren wie toll unter meinem Bett hervor und reißen auf ihrem Wege alles um. Fast alle Selbstbeherrschung verlierend, stürze ich mich in den Fluss ich tauche unter, aber alles umsonst, denn die Stiche regnen noch immer auf meinen Kopf nieder. Ohne auf die Warnungsrufe meiner Leute zu achten, krieche ich durch das Schilfgras auf das morastige Ufer. Das Gras schneidet meine Hände, und ich suche festen Boden zu gewinnen, in der Hoffnung, im Walde Zuflucht zu finden. Auf einmal packen mich vier starke Arme und schleppen mich mit solcher Gewalt zurück, dass ich meine, ich müsste im Schlamm ersticken. Ich bin gezwungen, wieder an Bord zu gehen, an Flucht ist nicht zu denken. Am Abend war mir zu Mute, als wollte ich lieber ein Zusammentreffen mit einem Dutzend Büffel oder ein paar Löwen haben, als je wieder es mit Bienen zu tun zu bekommen, und das war eine Empfindung, in der die ganze Schiffsgesellschaft von Herzen mit mir einstimmte. Nach G. Schweinfurth (Im Herzen Afrikas) 1873.
Deborim, "Bienen", heißen sowohl Bienen als Wespen, die besonders zur Erntezeit sich lästig machen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Die Feinde Christi sind so von Hass erfüllt, dass sie bei dem Kämpfen gegen sein Reich nicht danach fragen, was aus ihnen selber wird, wenn sie nur sein Volk verwunden können. Aber wie die Biene mit dem Stechen sich selber zu Grunde richtet und mit ihrem Stachel ihr Leben oder doch ihre Macht verliert, so ist es mit ihnen. Alles, was die Feinde der Gemeinde Christi zu tun vermögen, ist, dass sie des HERRN Volk äußerlich quälen; die Wunden, die sie beibringen, sind wie der Stich einer Biene: er schmerzt und verursacht eine Anschwellung, aber es ist eine vorübergehende Pein, keine tödliche Wunde. David Dickson † 1662.
Wie ein Feuer in Dornen. Im Morgenlande pflegte man wohl die Felder in der dürren Jahreszeit anzuzünden und sie auf diese Weise von Dornen und anderem Unkraut zu reinigen. Natürlich fingen die Dornen zu solcher Zeit schnell Feuer, loderten auf und waren bald verzehrt. So wollte der Psalmist auch über seine Feinde kommen, wie ein Feuer, das über ein Feld in dürrer Zeit läuft und alles verbrennt, was ihm in den Weg kommt. Albert Barnes † 1870.
V. 13. Du hast mich heftig gestoßen, dass ich fallen sollte. (Wörtl.) Ja, Satan, du hast dein Bestes getan. Du hast all meine schwachen Stellen herausgefunden und hast mich im rechten Augenblick und schulgerecht angegriffen. Calderon († 1681), der berühmte spanische Dichter, erzählt von einem Ritter, der seine schwere Rüstung, die er sonst jahraus jahrein trug, nur eine Stunde ablegte, und in der Stunde kam der Feind, und der Mann musste diese einzelne Unachtsamkeit mit seinem Leben bezahlen. James Millard Neale 1871.
V. 14. Gute Lieder, gute Verheißungen, gute Sprichwörter, gute Lehrsätze verlieren nichts durch hohes Alter. Was einst Mose und die Kinder Israel sangen, als sie eben durch das Rote Meer gegangen waren, singt hier der Psalmist und wird bis zum Ende der Welt von den Heiligen des Höchsten gesungen werden. William Swan Plumer 1867.
V. 15. Unser jeglicher sehe dazu, dass seine Wohnung eine Hütte der Gerechten sei, dass er mit allen seinen Hausgenossen in Gerechtigkeit wandle, die Gott gefällig ist. Und lasst uns so fleißig Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder anstimmen, dass unsere Wände davon allezeit widerhallen. Martin Geier † 1681.
V. 17. Da Christus vom Tode auferstanden ist, werden wir nicht sterben, sondern leben. Wir haben mit dem ewigen Tode nichts mehr zu schaffen, sondern wir werden in dieser Welt das Leben der Gnade und in der zukünftigen das Leben der Herrlichkeit leben, auf dass wir in beiden Welten die Werke des HERRN verkündigen und das Lob Gottes, unseres Heilands, singen. Wohl werden wir gezüchtigt um unserer Sünden willen, aber das ist uns nun gerade ein Beweis, dass wir nicht dem Tode hingegeben werden. Bischof G.Horne † 1792.
Aus dem Leben des bedeutenden Vorreformators, Johann Wiclif † 1384. - Wiclif war erst an die sechzig Jahre alt, aber die vielen Angriffe seiner Feinde und seine unausgesetzten, immer zunehmenden Arbeiten hatten seine Lebenskraft frühe aufgezehrt. Er wurde krank. Mit unbändiger Freude vernahmen die Bettelmönche das Gerücht, dass ihr Erzfeind im Sterben liege. Natürlich werde er ganz von Schrecken des Todes und Gewissensbissen übermannt sein um all des Übels willen, das er ihnen angetan; so wollten sie denn an sein Bett eilen und das Geständnis seiner Reue und Schmerzes vernehmen. Im Nu war ein kleiner Haufe Mönche von den vier Orden um das Lager des Kranken versammelt. Sie begannen recht schön, wünschten ihm Gesundheit und Genesung von seinem Übel; aber alsbald änderten sie den Ton und ermahnten ihn, da er am Rand des Grabes sei, eine gründliche Beichte abzulegen und seinem aufrichtigen Kummer über all die Unbilden, die er ihren Orden zugefügt habe, Ausdruck zu geben. Wiclif lag schweigend da, bis sie geendet; dann aber ließ er sich durch seinen Diener ein wenig aufrichten, heftete seine durchdringenden Augen auf sie und sagte mit lauter Stimme. Ich werde nicht sterben,sondern leben und die bösen Werke der Mönche verkündigen. Bestürzt und verwirrt eilten die Fratres aus der Kammer. J. A. Wylie 1860.
Gott verlängert das Leben seiner Knechte nicht, damit sie sich an Essen und Trinken gütlich tun, schlafen, soviel ihnen beliebt, und alle zeitlichen Güter genießen, sondern auf dass sie ihn verherrlichen. Jean Calvin † 1564.
Nach Matthesius hatte Luther diesen Vers an der Wand seiner Studierstube angeheftet.
V. 18. Aber er gibt mich dem Tode nicht. Es hätte schlimmer sein können, mag der mit Trübsal heimgesuchte Christ sagen, und es wird noch besser werden. Gott züchtigt seine Kinder in Gnaden und mit Maßen. "Nicht auf immer will ich hadern, noch ewig zürnen; denn ihr Geist würde vor mir dahinschmachten, und die Seelen, die ich selbst geschaffen habe." (Jes. 57,16 Grundtext) Wenn sein Kind unter den Rutenstreichen ohnmächtig wird, lässt Gott den Stock fallen und küsst es wieder ins Leben. John Trapp † 1669.
V. 19. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit. Die Tore, die uns geöffnet sind durch die Gerechtigkeit dessen, zu dem wir täglich sprechen: Du bist allein heilig. Die Tore, für die es der Via dolorosa (des Schmerzensweges) und des Kreuzes bedurfte, ehe sie sich auf ihren Angeln drehen und den Einlass freigeben konnten. An jenem stürmischen Tage, als die Sonne drei Stunden lang verfinstert gewesen war, hörte die Welt wieder von dem Eden, aus dem viertausend Jahre zuvor Adam verbannt worden war. "Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein." O glücklicher Schächer, der so durch die Tore der Gerechtigkeit eingeht! Und siehe, wie freien Mutes er einzieht! Er steht nicht wie jener Zöllner von ferne, er spricht nicht wie der Aussätzige: Herr, wenn du willst, kannst du mich wohl reinigen. Siehe hier die allmächtige Ohnmacht der Bitte des Glaubens. James Millard Neale 1871.
V. 22. Christus Jesus ist der Stein: keine Festigkeit außer in ihm. Er ist der Grundstein: es gibt kein Bauen, es sei denn auf ihm. Er ist der Eckstein: es gibt keine Verbindung und Aussöhnung, keinen Zusammenhalt, außer in ihm. James Ford 1856.
Christus, der Stein, ist der Grund, auf dem alles ruht. Zweierlei widerfuhr ihm, so verschieden als es nur sein kann. 1) Er ward verworfen, und zwar nicht von "ungelehrten Leuten und Laien", sondern von den Fachkundigen, den Arbeitern, den berufsmäßigen Bauleuten. Und sie achteten ihn nicht nur gering, als nicht für einen hervorragenden Platz geeignet, sondern sie verwarfen ihn völlig, als für jeden Platz im Gebäude untauglich. 2) Aber er ward aufgerichtet, erhöht, und zwar von einem, der das Fach wahrlich nicht schlechter verstand als jene, von dem Baumeister und Bauherrn selber, von Gott. Und wozu erhöht? Zu dem am meisten in die Augen springenden, dem höchsten Ehrenplatz: er ist zum Eckstein geworden, der den ganzen Bau trägt und zusammenhält. Bischof L. Andrewes † 1626.
Der Verfasser der Historia Scholastica erwähnt eine Sage, dass bei dem Bau des zweiten Tempels einem Stein das buchstäblich widerfahren sei, was hier als Gleichnis vorgeführt wird. Der Quaderstein sei von den Bauleuten oft aufgenommen und immer wieder als nicht passend beiseite gestellt worden, bis sich endlich herausgestellt habe, dass er für den vornehmsten Platz, nämlich als Haupteckstein, der die Kanten der Mauern verbindet, vollkommen passend sei. Diese überraschende Entdeckung habe die Rede veranlasst: Das ist vom HERRN geschehen und ein Wunder vor unseren Augen. Henry Hammond † 1660.
V. 12. Sie umgeben mich wie Bienen. Da der Nordostwind uns gerade entgegen blies, musste das Boot von der Schiffsmannschaft an der Leine gezogen werden. Als das Tau durch das Gras am Ufer entlang geschleift wurde, störte es einen Bienenschwarm auf. In einem Augenblick stürzten sie sich wie eine dichte Wolke auf die Leute, die am Ziehen waren. Diese warfen sich alle kopfüber ins Wasser und suchten schleunigst in das Schiff zu kommen. Aber der Schwarm folgte ihnen auf den Fersen nach und erfüllte in wenigen Sekunden alle Winkel und Löcher auf Deck. Welche Verwirrung daraus entstand, kann man sich leicht denken. Ich war gerade, nichts Böses ahnend, damit beschäftigt, meine Pflanzen in meiner Kabine zu ordnen, als ich alles um mich her davonlaufen hörte, was ich zuerst für ausgelassene Fröhlichkeit meiner Leute hielt, wie das oft vorkam. Ich rief hinaus und fragte, was der Lärm zu bedeuten habe, bekam aber nur aufgeregte Handbewegungen und vorwurfsvolle Blicke zur Antwort. Bald drang der Ruf "Bienen, Bienen" an mein Ohr, und ich ging daran, eine Pfeife anzuzünden. Mein Versuch war ganz vergeblich; im Augenblick sind Bienen zu Tausenden um mich, und ich werde ohne Erbarmen überall an Gesicht und Händen zerstochen. Ohne Erfolg suche ich mein Gesicht mit einem Handtuch zu schützen, und je heftiger ich mit den Händen umherschlage, desto heftiger wird auch das Ungestüm der wütenden Insekten. Der rasende Schmerz ist jetzt an meiner Wange, jetzt im Auge, jetzt im Haar. Die Hunde fahren wie toll unter meinem Bett hervor und reißen auf ihrem Wege alles um. Fast alle Selbstbeherrschung verlierend, stürze ich mich in den Fluss ich tauche unter, aber alles umsonst, denn die Stiche regnen noch immer auf meinen Kopf nieder. Ohne auf die Warnungsrufe meiner Leute zu achten, krieche ich durch das Schilfgras auf das morastige Ufer. Das Gras schneidet meine Hände, und ich suche festen Boden zu gewinnen, in der Hoffnung, im Walde Zuflucht zu finden. Auf einmal packen mich vier starke Arme und schleppen mich mit solcher Gewalt zurück, dass ich meine, ich müsste im Schlamm ersticken. Ich bin gezwungen, wieder an Bord zu gehen, an Flucht ist nicht zu denken. Am Abend war mir zu Mute, als wollte ich lieber ein Zusammentreffen mit einem Dutzend Büffel oder ein paar Löwen haben, als je wieder es mit Bienen zu tun zu bekommen, und das war eine Empfindung, in der die ganze Schiffsgesellschaft von Herzen mit mir einstimmte. Nach G. Schweinfurth (Im Herzen Afrikas) 1873.
Deborim, "Bienen", heißen sowohl Bienen als Wespen, die besonders zur Erntezeit sich lästig machen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Die Feinde Christi sind so von Hass erfüllt, dass sie bei dem Kämpfen gegen sein Reich nicht danach fragen, was aus ihnen selber wird, wenn sie nur sein Volk verwunden können. Aber wie die Biene mit dem Stechen sich selber zu Grunde richtet und mit ihrem Stachel ihr Leben oder doch ihre Macht verliert, so ist es mit ihnen. Alles, was die Feinde der Gemeinde Christi zu tun vermögen, ist, dass sie des HERRN Volk äußerlich quälen; die Wunden, die sie beibringen, sind wie der Stich einer Biene: er schmerzt und verursacht eine Anschwellung, aber es ist eine vorübergehende Pein, keine tödliche Wunde. David Dickson † 1662.
Wie ein Feuer in Dornen. Im Morgenlande pflegte man wohl die Felder in der dürren Jahreszeit anzuzünden und sie auf diese Weise von Dornen und anderem Unkraut zu reinigen. Natürlich fingen die Dornen zu solcher Zeit schnell Feuer, loderten auf und waren bald verzehrt. So wollte der Psalmist auch über seine Feinde kommen, wie ein Feuer, das über ein Feld in dürrer Zeit läuft und alles verbrennt, was ihm in den Weg kommt. Albert Barnes † 1870.
V. 13. Du hast mich heftig gestoßen, dass ich fallen sollte. (Wörtl.) Ja, Satan, du hast dein Bestes getan. Du hast all meine schwachen Stellen herausgefunden und hast mich im rechten Augenblick und schulgerecht angegriffen. Calderon († 1681), der berühmte spanische Dichter, erzählt von einem Ritter, der seine schwere Rüstung, die er sonst jahraus jahrein trug, nur eine Stunde ablegte, und in der Stunde kam der Feind, und der Mann musste diese einzelne Unachtsamkeit mit seinem Leben bezahlen. James Millard Neale 1871.
V. 14. Gute Lieder, gute Verheißungen, gute Sprichwörter, gute Lehrsätze verlieren nichts durch hohes Alter. Was einst Mose und die Kinder Israel sangen, als sie eben durch das Rote Meer gegangen waren, singt hier der Psalmist und wird bis zum Ende der Welt von den Heiligen des Höchsten gesungen werden. William Swan Plumer 1867.
V. 15. Unser jeglicher sehe dazu, dass seine Wohnung eine Hütte der Gerechten sei, dass er mit allen seinen Hausgenossen in Gerechtigkeit wandle, die Gott gefällig ist. Und lasst uns so fleißig Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder anstimmen, dass unsere Wände davon allezeit widerhallen. Martin Geier † 1681.
V. 17. Da Christus vom Tode auferstanden ist, werden wir nicht sterben, sondern leben. Wir haben mit dem ewigen Tode nichts mehr zu schaffen, sondern wir werden in dieser Welt das Leben der Gnade und in der zukünftigen das Leben der Herrlichkeit leben, auf dass wir in beiden Welten die Werke des HERRN verkündigen und das Lob Gottes, unseres Heilands, singen. Wohl werden wir gezüchtigt um unserer Sünden willen, aber das ist uns nun gerade ein Beweis, dass wir nicht dem Tode hingegeben werden. Bischof G.Horne † 1792.
Aus dem Leben des bedeutenden Vorreformators, Johann Wiclif † 1384. - Wiclif war erst an die sechzig Jahre alt, aber die vielen Angriffe seiner Feinde und seine unausgesetzten, immer zunehmenden Arbeiten hatten seine Lebenskraft frühe aufgezehrt. Er wurde krank. Mit unbändiger Freude vernahmen die Bettelmönche das Gerücht, dass ihr Erzfeind im Sterben liege. Natürlich werde er ganz von Schrecken des Todes und Gewissensbissen übermannt sein um all des Übels willen, das er ihnen angetan; so wollten sie denn an sein Bett eilen und das Geständnis seiner Reue und Schmerzes vernehmen. Im Nu war ein kleiner Haufe Mönche von den vier Orden um das Lager des Kranken versammelt. Sie begannen recht schön, wünschten ihm Gesundheit und Genesung von seinem Übel; aber alsbald änderten sie den Ton und ermahnten ihn, da er am Rand des Grabes sei, eine gründliche Beichte abzulegen und seinem aufrichtigen Kummer über all die Unbilden, die er ihren Orden zugefügt habe, Ausdruck zu geben. Wiclif lag schweigend da, bis sie geendet; dann aber ließ er sich durch seinen Diener ein wenig aufrichten, heftete seine durchdringenden Augen auf sie und sagte mit lauter Stimme. Ich werde nicht sterben,sondern leben und die bösen Werke der Mönche verkündigen. Bestürzt und verwirrt eilten die Fratres aus der Kammer. J. A. Wylie 1860.
Gott verlängert das Leben seiner Knechte nicht, damit sie sich an Essen und Trinken gütlich tun, schlafen, soviel ihnen beliebt, und alle zeitlichen Güter genießen, sondern auf dass sie ihn verherrlichen. Jean Calvin † 1564.
Nach Matthesius hatte Luther diesen Vers an der Wand seiner Studierstube angeheftet.
V. 18. Aber er gibt mich dem Tode nicht. Es hätte schlimmer sein können, mag der mit Trübsal heimgesuchte Christ sagen, und es wird noch besser werden. Gott züchtigt seine Kinder in Gnaden und mit Maßen. "Nicht auf immer will ich hadern, noch ewig zürnen; denn ihr Geist würde vor mir dahinschmachten, und die Seelen, die ich selbst geschaffen habe." (Jes. 57,16 Grundtext) Wenn sein Kind unter den Rutenstreichen ohnmächtig wird, lässt Gott den Stock fallen und küsst es wieder ins Leben. John Trapp † 1669.
V. 19. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit. Die Tore, die uns geöffnet sind durch die Gerechtigkeit dessen, zu dem wir täglich sprechen: Du bist allein heilig. Die Tore, für die es der Via dolorosa (des Schmerzensweges) und des Kreuzes bedurfte, ehe sie sich auf ihren Angeln drehen und den Einlass freigeben konnten. An jenem stürmischen Tage, als die Sonne drei Stunden lang verfinstert gewesen war, hörte die Welt wieder von dem Eden, aus dem viertausend Jahre zuvor Adam verbannt worden war. "Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein." O glücklicher Schächer, der so durch die Tore der Gerechtigkeit eingeht! Und siehe, wie freien Mutes er einzieht! Er steht nicht wie jener Zöllner von ferne, er spricht nicht wie der Aussätzige: Herr, wenn du willst, kannst du mich wohl reinigen. Siehe hier die allmächtige Ohnmacht der Bitte des Glaubens. James Millard Neale 1871.
V. 22. Christus Jesus ist der Stein: keine Festigkeit außer in ihm. Er ist der Grundstein: es gibt kein Bauen, es sei denn auf ihm. Er ist der Eckstein: es gibt keine Verbindung und Aussöhnung, keinen Zusammenhalt, außer in ihm. James Ford 1856.
Christus, der Stein, ist der Grund, auf dem alles ruht. Zweierlei widerfuhr ihm, so verschieden als es nur sein kann. 1) Er ward verworfen, und zwar nicht von "ungelehrten Leuten und Laien", sondern von den Fachkundigen, den Arbeitern, den berufsmäßigen Bauleuten. Und sie achteten ihn nicht nur gering, als nicht für einen hervorragenden Platz geeignet, sondern sie verwarfen ihn völlig, als für jeden Platz im Gebäude untauglich. 2) Aber er ward aufgerichtet, erhöht, und zwar von einem, der das Fach wahrlich nicht schlechter verstand als jene, von dem Baumeister und Bauherrn selber, von Gott. Und wozu erhöht? Zu dem am meisten in die Augen springenden, dem höchsten Ehrenplatz: er ist zum Eckstein geworden, der den ganzen Bau trägt und zusammenhält. Bischof L. Andrewes † 1626.
Der Verfasser der Historia Scholastica erwähnt eine Sage, dass bei dem Bau des zweiten Tempels einem Stein das buchstäblich widerfahren sei, was hier als Gleichnis vorgeführt wird. Der Quaderstein sei von den Bauleuten oft aufgenommen und immer wieder als nicht passend beiseite gestellt worden, bis sich endlich herausgestellt habe, dass er für den vornehmsten Platz, nämlich als Haupteckstein, der die Kanten der Mauern verbindet, vollkommen passend sei. Diese überraschende Entdeckung habe die Rede veranlasst: Das ist vom HERRN geschehen und ein Wunder vor unseren Augen. Henry Hammond † 1660.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 118
Erläuterungen und Kernworte
V. 24. 1) Diese Worte wenden wir mit vollem Recht auf den Sabbat an. Er ist der Tag, den der HERR gemacht hat für den Menschen und von den andern Tagen ausgesondert, geheiligt hat. Er heißt deshalb des Herrn Tag, denn er trägt sein Bild und seine Überschrift. Dem Vers entnehmen wir auch 2) die Sabbatpflicht: Lasst uns freuen und fröhlich darinnen sein, fröhlich nicht nur darüber, dass uns ein solcher Tag bereitet ist, sondern vor allem auch über den Grund desselben, dass nämlich Christus der Eckstein geworden ist. Des sollen wir uns freuen, erstlich, um der ihm nach der Schmach der Verwerfung von Gott widerfahrenen Ehre willen, zweitens um deswillen, was er uns dadurch geworden. Die Sonntage müssen Tage der Freude und des Frohlockens sein, dann sind sie uns Tage, wo wir auf Erden im Himmel leben. Seht, welch gutem Meister wir dienen, der, nachdem er einen der Wochentage zu seinem besondern Dienste festgesetzt hat, bestimmt, dass wir diesen in heiliger Freude verbringen. Matthew Henry † 1714.
Wie die Sonne am Himmel mit ihrem Licht den natürlichen Tag macht, also machet Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, einen geistlichen Tag. Christoph Starcke † 1744.
Adam hat wohl einen traurigen Tag angerichtet; aber durch Christum ist ein anderer Tag gemacht. Abraham sah diesen Tag von fern und freute sich; wir wandeln nunmehr gar in seinem Lichte. Johann Frisch 1731.
V. 25. Der Hosiannaruf der Menge, die den Herrn Jesus bei seinem königlichen Einzug in Jerusalem umdrängte, war aus diesem Psalm genommen, dessen V. 25.26 sie beim Laubhüttenfest herzusagen gewohnt waren. An diesem Fest wurde das Hallel, Ps. 113-118, von einem der Priester gesungen, und in bestimmten Zwischenräumen stimmte die Volksmenge ein, gewisse Vers als Antwortgesang wiederholend. Dabei schwenkten sie die Weiden- und Palmzweige, die sie in den Händen trugen, und riefen dazu Hallelujah oder Hosianna. An jedem der sieben Tage des Festes waren die Vorhöfe des Tempels voll Volks, man umkreiste in feierlichem Aufzug den Altar, der mit großen Bachweidenzweigen umpflanzt war, die sich über ihn neigten (vergl. V. 27), und rief beim Ton der Posaunen Hosianna. Am siebenten Tage aber zog man siebenmal um den Altar und rief dabei zu der Musik der Leviten das große Hosianna. Selbst von den Kindern erwartete man, dass sie, sobald sie nur die Palmwedel zu schwenken imstande waren, an der Feierlichkeit teilnahmen. (Vergl. dazu Mt. 21,15.) Von der Gewohnheit, bei dieser Feier die Zweige zu schwenken, wurde schließlich der Name Hosianna auf diese Zweige selbst übertragen, und der siebente Festtag bekam desgleichen den Namen das große Hosianna. William A. Wright 1863.
O HERR, lass wohl gelingen. Gott gibt das Gedeihen und gibt es gerne; aber seine Kinder müssen darum bitten. "Ich bin gekommen um deiner Worte (des Flehens) willen." (Dan. 10,12 Grundtext) John Trapp † 1669.
V. 26. Der Unterschied zwischen dem wahren Christus und den falschen ist der, dass Christus nicht in dem eigenen, sondern im Namen des HERRN gekommen ist. "Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen." (Joh. 5,43.) So müssen auch alle wahren Diener Christi nicht in ihrem eigenen, noch in Baals oder des Mammons Namen kommen, sondern im Namen des HERRN, mit Beruf von oben, worüber vergl. Hebr. 5,4 f.; Röm. 10,15; 15,18. Salomon Geßner † 1605.
V. 27. Wie angenehm ist das Licht, so wohltuend, dass Licht oft für Trost steht. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet, der uns das Licht des Rats gibt, dass wir wissen, was wir tun sollen, und das Licht des Trostes bei dem, was wir tun, oder nach allem, was wir gelitten haben. Ein Licht leuchtet uns nicht nur, dass wir dabei unsere Arbeit tun können, sondern es macht uns getrost und heiter bei der Arbeit. Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen. (Pred. 11,7.) Joseph Caryl † 1673.
Bindet die Festopfer usw. (And. Übers.) Es geht bei den Juden die Rede, die Tiere, die als Opfer dargebracht werden sollten, seien die unruhigsten und widerspenstigsten von allen gewesen. Das ist uns ein Spiegel: wenn wir uns Gott in Liebe darbringen sollen, sind wir vielmehr geneigt, von ihm wegzulaufen. Auch wir müssen an den Altar gebunden werden. Abr. Wright 1661.
V. 28. Die Bundesbeziehungen zwischen Gott und den Seinen sind nicht inhaltsleer, sondern führen auf beiden Seiten zu reger Betätigung. Gott gewährt denjenigen, denen er sich zu ihrem Gott hingibt, ganz besondere Gnadenerweisungen, und diejenigen, die Gott als ihren Gott bekennen, gewähren ihm wiederum besondere Dienste. So finden wir es überall in der Schrift. Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott, ich will dich preisen.Ps. 118,28. Du bist mein Gott, frühe suche ich dich. Ps. 63,2. Thomas Horton † 1673.
Homiletische Winke
V. 1-4.
1) Der Gegenstand des Gesanges: Danket dem HERRN, den er ist freundlich. 2) Der Chorrefrain: Seine Güte währet ewiglich. 3) Der Sängerchor: Es sage nun Israel - das Haus Aaron - die den HERRN fürchten. 4) Die Singprobe: Mögen sie es nun sagen, damit sie besser vorbereitet seien für den großen Lobgesang der Ewigkeit.
V. 5.
1) Gute Zeit zum Beten: In der Bedrängnis usw. 2) Erhörung zur rechten Zeit: Der HERR erhörte mich. 3) Erhörung über Bitten: Und stellte mich in weiten Raum. (Wörtl.)
V. 6.
1) Wie kann ein Mensch wissen, dass der HERR auf seiner Seite ist? 2) Welche Zuversicht kann ein solcher Mensch genießen, der des göttlichen Beistandes gewiss ist?
V. 7.
Der HERR ist mit mir unter meinen Helfern. (Wörtl.) 1) Der Wert treuer Freunde. 2) Der größere Wert der Hilfe von oben.
V. 8.9.
Es ist gut, wörtl.: besser, auf den HERRN vertrauen. Es ist weiser, sicherer, sittlich besser, unserer Würde angemessener und erhebender (adlig und adelnd), und von glücklicherem Erfolg.
V. 10.
Steige auf eine hohe Warte und halte weite Umschau, indem du betrachtest, was alles im Namen des HERRN getan worden ist, getan werden sollte und getan werden kann.
V. 12.
1) Die unzähligen Störenfriede des Glaubens. 2) Ihr schnelles Ende. 3) Des Glaubens völliger Sieg.
V. 13.
Du hast mich heftig gestoßen usw. (Grundtext) 1) Unser mächtiger Widersacher. 2) Seine heftigen Angriffe. 3) Sein augenscheinliches Ziel: Dass ich fallen soll. 4) Die Vereitelung seines Planes: Aber der HERR half mir.
V. 14.
Der HERR ist 1) meine Stärke in Anfechtung und Trübsal; 2) mein Lobgesang des Glaubens in Erwartung der Befreiung; 3) mein Heil, meine Rettung aus aller Not.
V. 15.16.
Die Freude in den Hütten der Gerechten. Sie ist Freude an dem siegreichen Heil, das Gott gibt, äußert sich in fröhlichem Lobgesang und findet immer neue Nahrung an den großen Taten, die die Rechte des HERRN vollbringt. (Grundtext).
1) Wahre Freude ist nur den Gerechten bekannt. 2) Sie singen in ihren Hütten, wo sie als Pilgrime weilen. 3) Sie singen vom Sieg. 4) Sie erheben in ihren Liedern die Rechte des HERRN und deren große Taten.
V. 17.
1) Gottselige Menschen schweben oft in besonderer Lebensgefahr: Joseph in der Grube, Mose im Kästlein, Hiob, David, der mit knapper Not Saul entrinnt, Paulus, in einem Korb niedergelassen. (Welch merkwürdiger Fruchtkorb war das! Wieviel hing an dieser Schnur: die Umwälzung der heidnischen Welt, das Heil Unzähliger!) 2) Gottselige Menschen haben oft das sichere Vorgefühl, dass sie in der Gefahr erhalten bleiben, nicht sterben, sondern leben werden. 3) Gottselige Menschen haben ein besonderes Verlangen, dass ihr Leben erhalten werde; denn sie wollen leben, um des HERRN Werke zu verkündigen. G. Rogers1878.
V. 17.19.22.
Der Sieg des auferstandenen Heilandes und seine weitreichenden Folgen. 1) Der Tod überwunden. 2) Die Tore der Gerechtigkeit aufgetan. 3) Der Eckstein der Kirche gelegt.
V. 18.
1) Die Trübsale der Kinder Gottes sind Züchtigungen. 2) Diese Züchtigungen sind zuweilen sehr schwerer Art. (Vergl. Grundtext) 3) Aber sie haben eine feste Grenze: nicht zum Tode. George Rogers 1878.
V. 19.
Zutritt zu Gott 1) begehrt, 2) demütig erbeten, 3) freimütig benutzt, 4) dankbar genossen.
V. 22.
Wir beachten folgende Einzelheiten: 1) Die Gemeinde Gottes ist hier als ein Gebäude (Haus, Tempel) gedacht. 2) Die Stellung, die unser Immanuel in diesem Hause einnimmt. Er ist der Stein im einzigartigen Sinne, ohne den kein Haus möglich ist, wo Gott unter den Menschen wohnen kann. 3) Der Beruf der Arbeiter, die an diesem geistlichen Hause beschäftigt sind: sie sollen Bauleutesein. 4) Der verhängnisvolle Irrtum, der ihnen bei diesem Bau des Hauses Gottes zur Last gelegt wird: Sie verwerfen den von Gott selbst erwählten Stein und gewähren ihm keine Stelle in Gottes eigenem Hause. 5) Der Platz, den Christus in diesem Hause einnehmen muss und einnehmen wird, mögen die Bauleute es noch so schlimm treiben: er ist dennoch zum Eckstein gesetzt. Die folgenden Worte erklären, wie dies bewirkt worden, und mit welcher Freude die göttlich Gesinnten seine der Bosheit von Hölle und Welt zum Trotz geschehene Erhöhung betrachten. E. Erskine † 1754.
V. 22.23.
1) Eine rätselhafte Tatsache. a) Was bei den Menschen am geringsten geachtet ist als Mittel des Heils, ist bei Gott am höchsten geschätzt. b) Was bei Gott am höchsten geschätzt ist, wird, wenn es kundgemacht wird, von den Menschen am geringsten geachtet. 2) Die Erklärung des Rätsels: Der Weg des Heils ist göttlich, darum ist er so wunderbar in unseren Augen. George Rogers 1878.
V. 22-25.
1) Christus verworfen. 2) Christus erhöht. 3) Seine Erhöhung ist allein Gott zuzuschreiben. 4) Sie setzt den Anfang einer neuen Zeit. 5) Sie gibt uns ein neues Gebet ins Herz.
V. 24.
1) Von welchem Tage ist die Rede? a) Vom Tag des Heils. b) Vom Tag des Herrn. 2) Was wird von ihm ausgesagt? a) Er ist von Gott geschenkt. b) Er soll von uns als solcher mit Freuden gefeiert werden. George Rogers 1878.
V. 25.
O HERR, hilf, o HERR, gib Gedeihen! Was ist wahres Gedeihen der Gemeinde Gottes? Woher muss es kommen? Und wie können wir es erlangen?
V. 27.
Bindet die Festopfer mit Seilen an die Hörner des. Altars. (And. Übers.) 1) Welches ist das rechte Opfer? Unser ganzes Ich, jede unserer Gaben, unsere ganze Zeit, Habe, Stellung, unser Herz, Sinn und Gemüt, unser Leben bis zum letzten Atemzug, zum letzten Blutstropfen. 2) Warum bedarf das Opfer des Festbindens? Langes Zögern, Versuchungen aller Art, Reichtum und Stellung in der Welt, Zurückschrecken der Natur, Zweifel, alles zielt darauf, es vom Altar wegzutreiben. 3) Woran ist es gebunden? An die Schriftwahrheit von der Versöhnung, an Jesus und sein Werk für uns, an Jesus und das für ihn zu vollbringende Werk. 4) Welches sind die Seile? Unsere eigenen Gelübde, die Not der Seelen, unsere Freude an dem Werk, der große Lohn, die Liebe Christi, die in uns wirkt durch den Heiligen Geist.
V. 28.
1) Die seligste Tatsache von der Welt: Du bist mein Gott. 2) Die angemessenste Gesinnung, in der wir uns ihrer erfreuen: Ich danke dir, ich will dich preisen.
1) Das Bundesgut: Du bist mein Gott. 2) Die Bundesverpflichtung: Ich will dichpreisen.
V. 29.
mit V. 1-4. 1) Anfang und Ende des Heils ist Gnade. 2) Anfang und Ende dessen, was es von uns fordert, ist gläubige Danksagung. George Rogers 1878.
V. 24. 1) Diese Worte wenden wir mit vollem Recht auf den Sabbat an. Er ist der Tag, den der HERR gemacht hat für den Menschen und von den andern Tagen ausgesondert, geheiligt hat. Er heißt deshalb des Herrn Tag, denn er trägt sein Bild und seine Überschrift. Dem Vers entnehmen wir auch 2) die Sabbatpflicht: Lasst uns freuen und fröhlich darinnen sein, fröhlich nicht nur darüber, dass uns ein solcher Tag bereitet ist, sondern vor allem auch über den Grund desselben, dass nämlich Christus der Eckstein geworden ist. Des sollen wir uns freuen, erstlich, um der ihm nach der Schmach der Verwerfung von Gott widerfahrenen Ehre willen, zweitens um deswillen, was er uns dadurch geworden. Die Sonntage müssen Tage der Freude und des Frohlockens sein, dann sind sie uns Tage, wo wir auf Erden im Himmel leben. Seht, welch gutem Meister wir dienen, der, nachdem er einen der Wochentage zu seinem besondern Dienste festgesetzt hat, bestimmt, dass wir diesen in heiliger Freude verbringen. Matthew Henry † 1714.
Wie die Sonne am Himmel mit ihrem Licht den natürlichen Tag macht, also machet Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, einen geistlichen Tag. Christoph Starcke † 1744.
Adam hat wohl einen traurigen Tag angerichtet; aber durch Christum ist ein anderer Tag gemacht. Abraham sah diesen Tag von fern und freute sich; wir wandeln nunmehr gar in seinem Lichte. Johann Frisch 1731.
V. 25. Der Hosiannaruf der Menge, die den Herrn Jesus bei seinem königlichen Einzug in Jerusalem umdrängte, war aus diesem Psalm genommen, dessen V. 25.26 sie beim Laubhüttenfest herzusagen gewohnt waren. An diesem Fest wurde das Hallel, Ps. 113-118, von einem der Priester gesungen, und in bestimmten Zwischenräumen stimmte die Volksmenge ein, gewisse Vers als Antwortgesang wiederholend. Dabei schwenkten sie die Weiden- und Palmzweige, die sie in den Händen trugen, und riefen dazu Hallelujah oder Hosianna. An jedem der sieben Tage des Festes waren die Vorhöfe des Tempels voll Volks, man umkreiste in feierlichem Aufzug den Altar, der mit großen Bachweidenzweigen umpflanzt war, die sich über ihn neigten (vergl. V. 27), und rief beim Ton der Posaunen Hosianna. Am siebenten Tage aber zog man siebenmal um den Altar und rief dabei zu der Musik der Leviten das große Hosianna. Selbst von den Kindern erwartete man, dass sie, sobald sie nur die Palmwedel zu schwenken imstande waren, an der Feierlichkeit teilnahmen. (Vergl. dazu Mt. 21,15.) Von der Gewohnheit, bei dieser Feier die Zweige zu schwenken, wurde schließlich der Name Hosianna auf diese Zweige selbst übertragen, und der siebente Festtag bekam desgleichen den Namen das große Hosianna. William A. Wright 1863.
O HERR, lass wohl gelingen. Gott gibt das Gedeihen und gibt es gerne; aber seine Kinder müssen darum bitten. "Ich bin gekommen um deiner Worte (des Flehens) willen." (Dan. 10,12 Grundtext) John Trapp † 1669.
V. 26. Der Unterschied zwischen dem wahren Christus und den falschen ist der, dass Christus nicht in dem eigenen, sondern im Namen des HERRN gekommen ist. "Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen." (Joh. 5,43.) So müssen auch alle wahren Diener Christi nicht in ihrem eigenen, noch in Baals oder des Mammons Namen kommen, sondern im Namen des HERRN, mit Beruf von oben, worüber vergl. Hebr. 5,4 f.; Röm. 10,15; 15,18. Salomon Geßner † 1605.
V. 27. Wie angenehm ist das Licht, so wohltuend, dass Licht oft für Trost steht. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet, der uns das Licht des Rats gibt, dass wir wissen, was wir tun sollen, und das Licht des Trostes bei dem, was wir tun, oder nach allem, was wir gelitten haben. Ein Licht leuchtet uns nicht nur, dass wir dabei unsere Arbeit tun können, sondern es macht uns getrost und heiter bei der Arbeit. Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen. (Pred. 11,7.) Joseph Caryl † 1673.
Bindet die Festopfer usw. (And. Übers.) Es geht bei den Juden die Rede, die Tiere, die als Opfer dargebracht werden sollten, seien die unruhigsten und widerspenstigsten von allen gewesen. Das ist uns ein Spiegel: wenn wir uns Gott in Liebe darbringen sollen, sind wir vielmehr geneigt, von ihm wegzulaufen. Auch wir müssen an den Altar gebunden werden. Abr. Wright 1661.
V. 28. Die Bundesbeziehungen zwischen Gott und den Seinen sind nicht inhaltsleer, sondern führen auf beiden Seiten zu reger Betätigung. Gott gewährt denjenigen, denen er sich zu ihrem Gott hingibt, ganz besondere Gnadenerweisungen, und diejenigen, die Gott als ihren Gott bekennen, gewähren ihm wiederum besondere Dienste. So finden wir es überall in der Schrift. Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott, ich will dich preisen.Ps. 118,28. Du bist mein Gott, frühe suche ich dich. Ps. 63,2. Thomas Horton † 1673.
Homiletische Winke
V. 1-4.
1) Der Gegenstand des Gesanges: Danket dem HERRN, den er ist freundlich. 2) Der Chorrefrain: Seine Güte währet ewiglich. 3) Der Sängerchor: Es sage nun Israel - das Haus Aaron - die den HERRN fürchten. 4) Die Singprobe: Mögen sie es nun sagen, damit sie besser vorbereitet seien für den großen Lobgesang der Ewigkeit.
V. 5.
1) Gute Zeit zum Beten: In der Bedrängnis usw. 2) Erhörung zur rechten Zeit: Der HERR erhörte mich. 3) Erhörung über Bitten: Und stellte mich in weiten Raum. (Wörtl.)
V. 6.
1) Wie kann ein Mensch wissen, dass der HERR auf seiner Seite ist? 2) Welche Zuversicht kann ein solcher Mensch genießen, der des göttlichen Beistandes gewiss ist?
V. 7.
Der HERR ist mit mir unter meinen Helfern. (Wörtl.) 1) Der Wert treuer Freunde. 2) Der größere Wert der Hilfe von oben.
V. 8.9.
Es ist gut, wörtl.: besser, auf den HERRN vertrauen. Es ist weiser, sicherer, sittlich besser, unserer Würde angemessener und erhebender (adlig und adelnd), und von glücklicherem Erfolg.
V. 10.
Steige auf eine hohe Warte und halte weite Umschau, indem du betrachtest, was alles im Namen des HERRN getan worden ist, getan werden sollte und getan werden kann.
V. 12.
1) Die unzähligen Störenfriede des Glaubens. 2) Ihr schnelles Ende. 3) Des Glaubens völliger Sieg.
V. 13.
Du hast mich heftig gestoßen usw. (Grundtext) 1) Unser mächtiger Widersacher. 2) Seine heftigen Angriffe. 3) Sein augenscheinliches Ziel: Dass ich fallen soll. 4) Die Vereitelung seines Planes: Aber der HERR half mir.
V. 14.
Der HERR ist 1) meine Stärke in Anfechtung und Trübsal; 2) mein Lobgesang des Glaubens in Erwartung der Befreiung; 3) mein Heil, meine Rettung aus aller Not.
V. 15.16.
Die Freude in den Hütten der Gerechten. Sie ist Freude an dem siegreichen Heil, das Gott gibt, äußert sich in fröhlichem Lobgesang und findet immer neue Nahrung an den großen Taten, die die Rechte des HERRN vollbringt. (Grundtext).
1) Wahre Freude ist nur den Gerechten bekannt. 2) Sie singen in ihren Hütten, wo sie als Pilgrime weilen. 3) Sie singen vom Sieg. 4) Sie erheben in ihren Liedern die Rechte des HERRN und deren große Taten.
V. 17.
1) Gottselige Menschen schweben oft in besonderer Lebensgefahr: Joseph in der Grube, Mose im Kästlein, Hiob, David, der mit knapper Not Saul entrinnt, Paulus, in einem Korb niedergelassen. (Welch merkwürdiger Fruchtkorb war das! Wieviel hing an dieser Schnur: die Umwälzung der heidnischen Welt, das Heil Unzähliger!) 2) Gottselige Menschen haben oft das sichere Vorgefühl, dass sie in der Gefahr erhalten bleiben, nicht sterben, sondern leben werden. 3) Gottselige Menschen haben ein besonderes Verlangen, dass ihr Leben erhalten werde; denn sie wollen leben, um des HERRN Werke zu verkündigen. G. Rogers1878.
V. 17.19.22.
Der Sieg des auferstandenen Heilandes und seine weitreichenden Folgen. 1) Der Tod überwunden. 2) Die Tore der Gerechtigkeit aufgetan. 3) Der Eckstein der Kirche gelegt.
V. 18.
1) Die Trübsale der Kinder Gottes sind Züchtigungen. 2) Diese Züchtigungen sind zuweilen sehr schwerer Art. (Vergl. Grundtext) 3) Aber sie haben eine feste Grenze: nicht zum Tode. George Rogers 1878.
V. 19.
Zutritt zu Gott 1) begehrt, 2) demütig erbeten, 3) freimütig benutzt, 4) dankbar genossen.
V. 22.
Wir beachten folgende Einzelheiten: 1) Die Gemeinde Gottes ist hier als ein Gebäude (Haus, Tempel) gedacht. 2) Die Stellung, die unser Immanuel in diesem Hause einnimmt. Er ist der Stein im einzigartigen Sinne, ohne den kein Haus möglich ist, wo Gott unter den Menschen wohnen kann. 3) Der Beruf der Arbeiter, die an diesem geistlichen Hause beschäftigt sind: sie sollen Bauleutesein. 4) Der verhängnisvolle Irrtum, der ihnen bei diesem Bau des Hauses Gottes zur Last gelegt wird: Sie verwerfen den von Gott selbst erwählten Stein und gewähren ihm keine Stelle in Gottes eigenem Hause. 5) Der Platz, den Christus in diesem Hause einnehmen muss und einnehmen wird, mögen die Bauleute es noch so schlimm treiben: er ist dennoch zum Eckstein gesetzt. Die folgenden Worte erklären, wie dies bewirkt worden, und mit welcher Freude die göttlich Gesinnten seine der Bosheit von Hölle und Welt zum Trotz geschehene Erhöhung betrachten. E. Erskine † 1754.
V. 22.23.
1) Eine rätselhafte Tatsache. a) Was bei den Menschen am geringsten geachtet ist als Mittel des Heils, ist bei Gott am höchsten geschätzt. b) Was bei Gott am höchsten geschätzt ist, wird, wenn es kundgemacht wird, von den Menschen am geringsten geachtet. 2) Die Erklärung des Rätsels: Der Weg des Heils ist göttlich, darum ist er so wunderbar in unseren Augen. George Rogers 1878.
V. 22-25.
1) Christus verworfen. 2) Christus erhöht. 3) Seine Erhöhung ist allein Gott zuzuschreiben. 4) Sie setzt den Anfang einer neuen Zeit. 5) Sie gibt uns ein neues Gebet ins Herz.
V. 24.
1) Von welchem Tage ist die Rede? a) Vom Tag des Heils. b) Vom Tag des Herrn. 2) Was wird von ihm ausgesagt? a) Er ist von Gott geschenkt. b) Er soll von uns als solcher mit Freuden gefeiert werden. George Rogers 1878.
V. 25.
O HERR, hilf, o HERR, gib Gedeihen! Was ist wahres Gedeihen der Gemeinde Gottes? Woher muss es kommen? Und wie können wir es erlangen?
V. 27.
Bindet die Festopfer mit Seilen an die Hörner des. Altars. (And. Übers.) 1) Welches ist das rechte Opfer? Unser ganzes Ich, jede unserer Gaben, unsere ganze Zeit, Habe, Stellung, unser Herz, Sinn und Gemüt, unser Leben bis zum letzten Atemzug, zum letzten Blutstropfen. 2) Warum bedarf das Opfer des Festbindens? Langes Zögern, Versuchungen aller Art, Reichtum und Stellung in der Welt, Zurückschrecken der Natur, Zweifel, alles zielt darauf, es vom Altar wegzutreiben. 3) Woran ist es gebunden? An die Schriftwahrheit von der Versöhnung, an Jesus und sein Werk für uns, an Jesus und das für ihn zu vollbringende Werk. 4) Welches sind die Seile? Unsere eigenen Gelübde, die Not der Seelen, unsere Freude an dem Werk, der große Lohn, die Liebe Christi, die in uns wirkt durch den Heiligen Geist.
V. 28.
1) Die seligste Tatsache von der Welt: Du bist mein Gott. 2) Die angemessenste Gesinnung, in der wir uns ihrer erfreuen: Ich danke dir, ich will dich preisen.
1) Das Bundesgut: Du bist mein Gott. 2) Die Bundesverpflichtung: Ich will dichpreisen.
V. 29.
mit V. 1-4. 1) Anfang und Ende des Heils ist Gnade. 2) Anfang und Ende dessen, was es von uns fordert, ist gläubige Danksagung. George Rogers 1878.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
PSALM 119 (Auslegung & Kommentar)
Überschrift
Eine Überschrift hat der Psalm 119 nicht, auch ist kein Verfasser angegeben. Der längste Psalm, dieser Name kennzeichnet ihn ausreichend. Dem Umfange nach kommt er etwa zweiundzwanzig Wallfahrtspsalmen (Liedern im höheren Chore) gleich. Und es ist nicht bloß die Länge, wodurch er die Reihe der übrigen Psalmen überragt; er zeichnet sich gleicherweise aus durch die umfassende Weite seiner Anschauungen, die unergründliche Tiefe seiner Gedanken, die Höhe seiner andächtigen Begeisterung. Er gleicht darin dem himmlischen Jerusalem, von dem es heißt: Es liegt viereckig, und die Länge und die Breite und die Höhe der Stadt sind gleich. (Off. 21,16) Dem oberflächlichen Leser mag es ja vorkommen, als ob der Psalm nur auf einen Ton gestimmt sei und diesen in endloser Wiederholen erklingen lasse, aber solche Meinung zeugt von geringer Tiefe des Verständnisses. Wer sich in diesen heiligen Gesang versenkt, wer ihn sorgsam Zeile für Zeile nicht bloß überliest, nein, durch und durch liest, der muss staunen über diesen Reichtum an Weisheit und Erkenntnis. Der heilige Sänger hat es verstanden, mit geringem Aufwande an Worten die größte Mannigfaltigkeit von Gedankenverbindungen zum Ausdruck zu bringen, und dies in einer Weise, wie es nur der vermag, der bei völliger Vertrautheit mit seinem Stoffe aus einem besonders reich gesegneten Geiste zu schöpfen hat. Niemals wiederholt er sich; denn wo derselbe Gedanke wiederzukehren scheint, da tritt er doch stets in einer neuen Verbindung in anderer Gesellschaft auf und offenbart uns eine neue, überraschende Schattierung des Sinnes. Je häufiger du in den Psalm eintauchst, desto erfrischender, erquickender wirst du ihn finden. Man sagt, dass das Wasser des Nils den Trinkenden nach jedem Trunke wohlschmeckender dünke; so erscheint uns auch dieser Psalm reicher und voller und fesselnder, je häufiger wir an ihn herantreten, um aus ihm zu schöpfen, uns in ihn zu vertiefen. Da finden sich keine überflüssigen Worte. Die Trauben dieser Rebe sind bis zum Bersten angefüllt mit dem neuen Weine aus dem Gottesreich. Blicke nur hinein, wieder und wieder, in diesen Spiegel eines dankerfüllten Herzens; je öfter du dies tust, umso mehr wirst du darin finden. Seine Oberfläche, so glatt und friedlich, wie das gläserne Meer vor dem Throne des Ewigen, birgt in der Tiefe einen Ozean von Feuer. Wer mit ehrfürchtiger Andacht hinabschaut, der sieht nicht nur den Glanz, er fühlt auch die Glut dieses heiligen Feuers. Er ist beladen mit der köstlichen Last heiliger Gedanken, und das Gewicht dieser Last gibt ihrem Umfange in nichts nach. Immer wieder fühlen wir uns beim Studium dieses Psalmes zu dem Ausrufe gedrängt: O welch eine Tiefe des Reichtums! Aber diese Tiefen liegen verborgen unter anscheinender Einfachheit, und das ist es, wie Augustinus so treffend bemerkt, was die Auslegung so schwierig macht. Das Dunkel dieses Psalms ist unter einer Hülle von Licht verborgen, und nur die vermögen hindurch zu dringen, die zu schauen gelüstet, wie die Engel, hinein bis in seine innersten Tiefen.
Alphabetische Anordnung
Je acht Vers beginnen im Grundtexte mit demselben Buchstaben, der Reihe nach vom ersten bis zum letzten der zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabetes, so dass auf diese Weise die Anzahl von 176 Versen herauskommt. Daneben finden sich noch zahlreiche Parallelismen und sonstiger formaler Schmuck, wie ihn der formfrohe Orientale liebt und wie er auch von unseren älteren Dichtern geübt und angewendet wurde. Es hat dem Heiligen Geiste gefallen, hier zu den Menschen in Formen zu reden, die die Aufmerksamkeit fesseln mussten und zugleich eine Hilfe für das Gedächtnis bildeten. Der Psalmist bevorzugt meist schlichte Eleganz im Ausdruck, aber er verschmäht auch das Auffallende und mehr Gekünstelte nicht, wenn er damit seinen Zweck, die Wahrheit dem Gemüte einzuprägen, besser erreichen kann. Die ganze Anlage des Psalms kommt namentlich auch dem Lerneifer der Jugend entgegen. Sosehr er aber in bestimmte, fest umgrenzte Formen gegossen ist, bekundet sich in ihm doch überall hohes geistliches Leben.
Verfasser
Die modernen Ausleger zeigen das Bestreben, jeden Psalm, bei dem es irgend möglich erscheint, dem David abzusprechen. Doch der theologische Standpunkt sowie Ton und Sprache der Kritiker dieser Schule sind so bedenklicher Art, dass wir in dem Gefühle des Argwohns gegen alles, was aus jenem Lager kommt, geneigt sind, das Gegenteil für richtig zu halten. So glauben wir denn auch, dass David der Dichter dieses Psalmes ist. Ton und Ausdrucksweise dünken uns davidisch, und davidische Erfahrung spricht aus zahlreichen Stellen. Unser Schullehrer nannte diesen Psalm Davids Vademecum oder Taschenbüchlein, und wir haben noch heute eine Vorliebe für die uns damals in der Jugend vorgetragene Ansicht, dass uns hier eine Art Tagebuch des Königs mit Aufzeichnungen aus den verschiedenen Epochen seines langen, ereignisreichen Lebens vorliege. Wir rufen: Das ist Davids Beute (1. Samuel 30,20), der kostbare Gewinn seiner Mühen und Kämpfe, den wir ihm von niemand streitig machen lassen. Wenn man sich viel mit einem Schriftsteller und seinen Werken beschäftigt hat, wird man schließlich mit seiner Schreibweise so vertraut, dass man dieselbe auch da wiedererkennt, wo sein Name nicht genannt ist.
Inhalt
Das Thema des ganzen Psalmes ist das Wort des HERRN. Der Psalmist beleuchtet seinen Gegenstand von den verschiedensten Seiten und behandelt ihn in mannigfacher Weise; nur in ganz vereinzelten Fällen (V. 122 und etwa V. 132) unterlässt er es, das Wort des HERRN in einem Vers unter einem der zahlreichen Namen, die ihm dafür zur Verfügung stehen, zu erwähnen, und auch wo der Name fehlt, hat der Dichter die Sache im Auge. Der dieses wunderbare Spruchlied verfasst hat, muss die heiligen Schriften, soweit sie ihm schon vorlagen, in sich aufgenommen haben, bis Geist und Seele ganz davon erfüllt waren. Gleich jenem einfachen Bauersmann, von dem A. Bonar (1859) erzählt, dass er sich dreimal durch die Heilige Schrift hindurch gedacht und gesonnen habe, so ist auch unser Sänger weit über das Lesen hinaus zum tief innerlichen Nachsinnen gelangt. Wie Luther hat David jeden Fruchtbaum in Gottes Garten geschüttelt und goldene Früchte gesammelt. Die meisten, sagt der bekannte Martin Boos († 1825) in seiner etwas derben Weise, lesen ihre Bibel wie Kühe, die im hohen Grase stehen und die schönsten Blumen und zartesten Kräuter mit den Füßen zerstampfen. Aber heißt das nicht einen jämmerlichen Gebrauch von dieser köstlichen Gabe des Geistes Gottes machen? Der HERR behüte uns davor, beim Lesen dieses herrlichen Psalmes in diese Sünde zu verfallen.
Es findet ein offenbarer Fortschritt in der Behandlung des Stoffes statt. Sprache und Inhalt der früheren Vers lassen auf einen jugendlichen Verfasser schließen, während viele der späteren die reife Weisheit höheren Alters voraussetzen. Hier wie dort aber, in jeder Zeile, tritt uns die Frucht tiefer Erfahrung, aufmerksamster Beobachtung, frommen, andächtigen Sinnens entgegen. War David nicht der Dichter unseres Psalmes, nun, dann muss es noch einen zweiten Mann Gottes gegeben haben von genau derselben Denkweise wie jener, gleich erfahren in der Kunst des heiligen Gesanges, gleich tief eingedrungen in die heiligen Schriften, die er mit gleicher Inbrunst liebte.
Den köstlichsten Gewinn werden wir aus diesem heiligen Liede ziehen, wenn es ihm gelingt, unsere Herzen mit der gleichen inbrünstigen Liebe zu seinem Gegenstande zu erfüllen. Damit dies geschehe, werden wir wohl daran tun, diesen Psalm auswendig zu lernen. Viele vor uns haben sich dieser Aufgabe unterzogen und ihre Mühe reichlich belohnt gefunden. Sodann sollten wir uns in die Betrachtung der reichen Fülle, der Gewissheit, Klarheit und Holdseligkeit des göttlichen Wortes vertiefen, denn gerade solche Erwägungen werden in uns warme Liebe zu dem Wort des HERRN erwecken. Wie reich begnadet sind doch die Wesen, denen der ewige Gott mit eigenen Worten, mit eigener Hand solchen Brief gesendet! Und die inbrünstigste Andacht, die reichste, formvollendetste Sprache vermöchte nicht das Lob dieser göttlichen Zeugnisse und Offenbarungen würdig kundzutun. Wenn aber überhaupt je, dann ist es in diesem 119. Psalm geschehen, den man das Selbstgespräch einer frommen Seele, gehalten vor ihrer aufgeschlagenen Bibel, nennen mag.
Ja, dieser heilige Sang ist selbst eine Bibel im Kleinen, eine Zusammenfassung der Heiligen Schrift auf engstem Raum, eine kostbare Dosis Biblin, Extractum Bibliae, wenn es erlaubt ist, so zu sprechen, - Schriftinhalt, Schriftgedanken, ausgezogen von einem in Gedanken und Werken heiligen Herzen. Wohl denen, die diese Sprüche himmlischer Weisheit lesen und verstehen mögen. Hier finden sie in Wahrheit die in Sagen gerühmten Gärten der Hesperiden mit ihren goldenen Äpfeln; für sie wird dieser Psalm wie das ganze Buch, dessen Preis er singt, immer mehr eine Insel der Seligen, voll köstlicher Perlen, voll lieblicher Blumen werden.
Auslegung
1.
Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetze des HERRN wandeln!
2.
Wohl denen, die seine Zeugnisse halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen!
3.
Denn welche auf seinen Wegen wandeln,
die tun kein Übel.
4.
Du hast geboten,
fleißig zu halten deine Befehle.
5.
O dass mein Leben
deine Rechte mit ganzem Ernst hielte!
6.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zu Schanden.
7.
Ich danke dir von rechtem Herzen,
dass du mich lehrest die Rechte deiner Gerechtigkeit.
8.
Deine Rechte will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Die ersten acht Vers beginnen mit einer Betrachtung der Glückseligkeit, welche an das Halten der Gebote Gottes geknüpft ist. Die Art der Behandlung des Gegenstandes ist mehr erbaulich als belehrend. Die Gemeinschaft des Herzens mit Gott wird genossen durch Liebe zu dem Worte, welches das Mittel ist, wodurch Gott mit der Seele durch seinen Heiligen Geist in Verbindung tritt. Gebet und Lobpreisung und alles, was die Andacht fühlt und wie sie sich äußert, das schimmert zwischen diesen Zeilen hindurch, wie die Sonnenstrahlen durch einen Olivenhain. Dies spricht nicht nur zu unserem Verständnisse, sondern zu unserem Herzen, weckt in ihm heilige Gefühle und hilft uns zugleich den rechten Ausdruck dafür finden.
Die Liebhaber des heiligen Gotteswortes sind glückselig zu preisen, weil sie vor Befleckung, Verunreinigung bewahrt werden (V. 1), weil sie auch in ihrem Tun geheiligt werden (V. 2 und V. 3), weil sie dazu geführt werden, Gott ernstlich und aufrichtig nachzufolgen (V. 2). Dieser heilige Wandel muss erstrebenswert sein, denn Gott befiehlt ihn (V. 4); darum ist dies auch das Gebet der frommen Seele (V. 5); und sie fühlt, dass ihr Trost und ihre Zuversicht von der Erhörung dieses Gebetes abhängt (V. 6). In der Gewissheit, dass diese Erhörung kommen werde, ja dass sie schon da ist, ist das Herz von Dank erfüllt (V. 7), und es steht fest in dem feierlichen Entschlusse, sich diese Glückseligkeit nicht entgehen zu lassen, wofern der HERR Gnade dazu gibt (V. 8).
Einige Wörter kehren in diesem Abschnitt mehrfach wieder, so das Wort Weg (V. 1 Grundtext, V. 3, V. 5 Grundtext), halten (V. 2.4.5.8), wandeln (V. 1.3). Doch sagen die oft so ähnlich klingenden Sätze stets wieder Neues, wenngleich es bei oberflächlichem Durchlesen erscheinen könnte, als ob derselbe Gedanke immer wiederkehre.
Von dem dritten Vers an geht der Dichter von den Beziehungen zwischen Gott und den Menschen im Allgemeinen zu dem eigenen persönlichen Verhältnis zum HERRN über; von Vers zu Vers tritt dies klarer hervor, bis es in den letzten Versen in gewaltiger, herzbewegender Weise zum Ausdruck kommt. Möchte doch jeder, der diesen Psalm liest, ebenso inbrünstig fühlen.
Überschrift
Eine Überschrift hat der Psalm 119 nicht, auch ist kein Verfasser angegeben. Der längste Psalm, dieser Name kennzeichnet ihn ausreichend. Dem Umfange nach kommt er etwa zweiundzwanzig Wallfahrtspsalmen (Liedern im höheren Chore) gleich. Und es ist nicht bloß die Länge, wodurch er die Reihe der übrigen Psalmen überragt; er zeichnet sich gleicherweise aus durch die umfassende Weite seiner Anschauungen, die unergründliche Tiefe seiner Gedanken, die Höhe seiner andächtigen Begeisterung. Er gleicht darin dem himmlischen Jerusalem, von dem es heißt: Es liegt viereckig, und die Länge und die Breite und die Höhe der Stadt sind gleich. (Off. 21,16) Dem oberflächlichen Leser mag es ja vorkommen, als ob der Psalm nur auf einen Ton gestimmt sei und diesen in endloser Wiederholen erklingen lasse, aber solche Meinung zeugt von geringer Tiefe des Verständnisses. Wer sich in diesen heiligen Gesang versenkt, wer ihn sorgsam Zeile für Zeile nicht bloß überliest, nein, durch und durch liest, der muss staunen über diesen Reichtum an Weisheit und Erkenntnis. Der heilige Sänger hat es verstanden, mit geringem Aufwande an Worten die größte Mannigfaltigkeit von Gedankenverbindungen zum Ausdruck zu bringen, und dies in einer Weise, wie es nur der vermag, der bei völliger Vertrautheit mit seinem Stoffe aus einem besonders reich gesegneten Geiste zu schöpfen hat. Niemals wiederholt er sich; denn wo derselbe Gedanke wiederzukehren scheint, da tritt er doch stets in einer neuen Verbindung in anderer Gesellschaft auf und offenbart uns eine neue, überraschende Schattierung des Sinnes. Je häufiger du in den Psalm eintauchst, desto erfrischender, erquickender wirst du ihn finden. Man sagt, dass das Wasser des Nils den Trinkenden nach jedem Trunke wohlschmeckender dünke; so erscheint uns auch dieser Psalm reicher und voller und fesselnder, je häufiger wir an ihn herantreten, um aus ihm zu schöpfen, uns in ihn zu vertiefen. Da finden sich keine überflüssigen Worte. Die Trauben dieser Rebe sind bis zum Bersten angefüllt mit dem neuen Weine aus dem Gottesreich. Blicke nur hinein, wieder und wieder, in diesen Spiegel eines dankerfüllten Herzens; je öfter du dies tust, umso mehr wirst du darin finden. Seine Oberfläche, so glatt und friedlich, wie das gläserne Meer vor dem Throne des Ewigen, birgt in der Tiefe einen Ozean von Feuer. Wer mit ehrfürchtiger Andacht hinabschaut, der sieht nicht nur den Glanz, er fühlt auch die Glut dieses heiligen Feuers. Er ist beladen mit der köstlichen Last heiliger Gedanken, und das Gewicht dieser Last gibt ihrem Umfange in nichts nach. Immer wieder fühlen wir uns beim Studium dieses Psalmes zu dem Ausrufe gedrängt: O welch eine Tiefe des Reichtums! Aber diese Tiefen liegen verborgen unter anscheinender Einfachheit, und das ist es, wie Augustinus so treffend bemerkt, was die Auslegung so schwierig macht. Das Dunkel dieses Psalms ist unter einer Hülle von Licht verborgen, und nur die vermögen hindurch zu dringen, die zu schauen gelüstet, wie die Engel, hinein bis in seine innersten Tiefen.
Alphabetische Anordnung
Je acht Vers beginnen im Grundtexte mit demselben Buchstaben, der Reihe nach vom ersten bis zum letzten der zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabetes, so dass auf diese Weise die Anzahl von 176 Versen herauskommt. Daneben finden sich noch zahlreiche Parallelismen und sonstiger formaler Schmuck, wie ihn der formfrohe Orientale liebt und wie er auch von unseren älteren Dichtern geübt und angewendet wurde. Es hat dem Heiligen Geiste gefallen, hier zu den Menschen in Formen zu reden, die die Aufmerksamkeit fesseln mussten und zugleich eine Hilfe für das Gedächtnis bildeten. Der Psalmist bevorzugt meist schlichte Eleganz im Ausdruck, aber er verschmäht auch das Auffallende und mehr Gekünstelte nicht, wenn er damit seinen Zweck, die Wahrheit dem Gemüte einzuprägen, besser erreichen kann. Die ganze Anlage des Psalms kommt namentlich auch dem Lerneifer der Jugend entgegen. Sosehr er aber in bestimmte, fest umgrenzte Formen gegossen ist, bekundet sich in ihm doch überall hohes geistliches Leben.
Verfasser
Die modernen Ausleger zeigen das Bestreben, jeden Psalm, bei dem es irgend möglich erscheint, dem David abzusprechen. Doch der theologische Standpunkt sowie Ton und Sprache der Kritiker dieser Schule sind so bedenklicher Art, dass wir in dem Gefühle des Argwohns gegen alles, was aus jenem Lager kommt, geneigt sind, das Gegenteil für richtig zu halten. So glauben wir denn auch, dass David der Dichter dieses Psalmes ist. Ton und Ausdrucksweise dünken uns davidisch, und davidische Erfahrung spricht aus zahlreichen Stellen. Unser Schullehrer nannte diesen Psalm Davids Vademecum oder Taschenbüchlein, und wir haben noch heute eine Vorliebe für die uns damals in der Jugend vorgetragene Ansicht, dass uns hier eine Art Tagebuch des Königs mit Aufzeichnungen aus den verschiedenen Epochen seines langen, ereignisreichen Lebens vorliege. Wir rufen: Das ist Davids Beute (1. Samuel 30,20), der kostbare Gewinn seiner Mühen und Kämpfe, den wir ihm von niemand streitig machen lassen. Wenn man sich viel mit einem Schriftsteller und seinen Werken beschäftigt hat, wird man schließlich mit seiner Schreibweise so vertraut, dass man dieselbe auch da wiedererkennt, wo sein Name nicht genannt ist.
Inhalt
Das Thema des ganzen Psalmes ist das Wort des HERRN. Der Psalmist beleuchtet seinen Gegenstand von den verschiedensten Seiten und behandelt ihn in mannigfacher Weise; nur in ganz vereinzelten Fällen (V. 122 und etwa V. 132) unterlässt er es, das Wort des HERRN in einem Vers unter einem der zahlreichen Namen, die ihm dafür zur Verfügung stehen, zu erwähnen, und auch wo der Name fehlt, hat der Dichter die Sache im Auge. Der dieses wunderbare Spruchlied verfasst hat, muss die heiligen Schriften, soweit sie ihm schon vorlagen, in sich aufgenommen haben, bis Geist und Seele ganz davon erfüllt waren. Gleich jenem einfachen Bauersmann, von dem A. Bonar (1859) erzählt, dass er sich dreimal durch die Heilige Schrift hindurch gedacht und gesonnen habe, so ist auch unser Sänger weit über das Lesen hinaus zum tief innerlichen Nachsinnen gelangt. Wie Luther hat David jeden Fruchtbaum in Gottes Garten geschüttelt und goldene Früchte gesammelt. Die meisten, sagt der bekannte Martin Boos († 1825) in seiner etwas derben Weise, lesen ihre Bibel wie Kühe, die im hohen Grase stehen und die schönsten Blumen und zartesten Kräuter mit den Füßen zerstampfen. Aber heißt das nicht einen jämmerlichen Gebrauch von dieser köstlichen Gabe des Geistes Gottes machen? Der HERR behüte uns davor, beim Lesen dieses herrlichen Psalmes in diese Sünde zu verfallen.
Es findet ein offenbarer Fortschritt in der Behandlung des Stoffes statt. Sprache und Inhalt der früheren Vers lassen auf einen jugendlichen Verfasser schließen, während viele der späteren die reife Weisheit höheren Alters voraussetzen. Hier wie dort aber, in jeder Zeile, tritt uns die Frucht tiefer Erfahrung, aufmerksamster Beobachtung, frommen, andächtigen Sinnens entgegen. War David nicht der Dichter unseres Psalmes, nun, dann muss es noch einen zweiten Mann Gottes gegeben haben von genau derselben Denkweise wie jener, gleich erfahren in der Kunst des heiligen Gesanges, gleich tief eingedrungen in die heiligen Schriften, die er mit gleicher Inbrunst liebte.
Den köstlichsten Gewinn werden wir aus diesem heiligen Liede ziehen, wenn es ihm gelingt, unsere Herzen mit der gleichen inbrünstigen Liebe zu seinem Gegenstande zu erfüllen. Damit dies geschehe, werden wir wohl daran tun, diesen Psalm auswendig zu lernen. Viele vor uns haben sich dieser Aufgabe unterzogen und ihre Mühe reichlich belohnt gefunden. Sodann sollten wir uns in die Betrachtung der reichen Fülle, der Gewissheit, Klarheit und Holdseligkeit des göttlichen Wortes vertiefen, denn gerade solche Erwägungen werden in uns warme Liebe zu dem Wort des HERRN erwecken. Wie reich begnadet sind doch die Wesen, denen der ewige Gott mit eigenen Worten, mit eigener Hand solchen Brief gesendet! Und die inbrünstigste Andacht, die reichste, formvollendetste Sprache vermöchte nicht das Lob dieser göttlichen Zeugnisse und Offenbarungen würdig kundzutun. Wenn aber überhaupt je, dann ist es in diesem 119. Psalm geschehen, den man das Selbstgespräch einer frommen Seele, gehalten vor ihrer aufgeschlagenen Bibel, nennen mag.
Ja, dieser heilige Sang ist selbst eine Bibel im Kleinen, eine Zusammenfassung der Heiligen Schrift auf engstem Raum, eine kostbare Dosis Biblin, Extractum Bibliae, wenn es erlaubt ist, so zu sprechen, - Schriftinhalt, Schriftgedanken, ausgezogen von einem in Gedanken und Werken heiligen Herzen. Wohl denen, die diese Sprüche himmlischer Weisheit lesen und verstehen mögen. Hier finden sie in Wahrheit die in Sagen gerühmten Gärten der Hesperiden mit ihren goldenen Äpfeln; für sie wird dieser Psalm wie das ganze Buch, dessen Preis er singt, immer mehr eine Insel der Seligen, voll köstlicher Perlen, voll lieblicher Blumen werden.
Auslegung
1.
Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetze des HERRN wandeln!
2.
Wohl denen, die seine Zeugnisse halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen!
3.
Denn welche auf seinen Wegen wandeln,
die tun kein Übel.
4.
Du hast geboten,
fleißig zu halten deine Befehle.
5.
O dass mein Leben
deine Rechte mit ganzem Ernst hielte!
6.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zu Schanden.
7.
Ich danke dir von rechtem Herzen,
dass du mich lehrest die Rechte deiner Gerechtigkeit.
8.
Deine Rechte will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Die ersten acht Vers beginnen mit einer Betrachtung der Glückseligkeit, welche an das Halten der Gebote Gottes geknüpft ist. Die Art der Behandlung des Gegenstandes ist mehr erbaulich als belehrend. Die Gemeinschaft des Herzens mit Gott wird genossen durch Liebe zu dem Worte, welches das Mittel ist, wodurch Gott mit der Seele durch seinen Heiligen Geist in Verbindung tritt. Gebet und Lobpreisung und alles, was die Andacht fühlt und wie sie sich äußert, das schimmert zwischen diesen Zeilen hindurch, wie die Sonnenstrahlen durch einen Olivenhain. Dies spricht nicht nur zu unserem Verständnisse, sondern zu unserem Herzen, weckt in ihm heilige Gefühle und hilft uns zugleich den rechten Ausdruck dafür finden.
Die Liebhaber des heiligen Gotteswortes sind glückselig zu preisen, weil sie vor Befleckung, Verunreinigung bewahrt werden (V. 1), weil sie auch in ihrem Tun geheiligt werden (V. 2 und V. 3), weil sie dazu geführt werden, Gott ernstlich und aufrichtig nachzufolgen (V. 2). Dieser heilige Wandel muss erstrebenswert sein, denn Gott befiehlt ihn (V. 4); darum ist dies auch das Gebet der frommen Seele (V. 5); und sie fühlt, dass ihr Trost und ihre Zuversicht von der Erhörung dieses Gebetes abhängt (V. 6). In der Gewissheit, dass diese Erhörung kommen werde, ja dass sie schon da ist, ist das Herz von Dank erfüllt (V. 7), und es steht fest in dem feierlichen Entschlusse, sich diese Glückseligkeit nicht entgehen zu lassen, wofern der HERR Gnade dazu gibt (V. 8).
Einige Wörter kehren in diesem Abschnitt mehrfach wieder, so das Wort Weg (V. 1 Grundtext, V. 3, V. 5 Grundtext), halten (V. 2.4.5.8), wandeln (V. 1.3). Doch sagen die oft so ähnlich klingenden Sätze stets wieder Neues, wenngleich es bei oberflächlichem Durchlesen erscheinen könnte, als ob derselbe Gedanke immer wiederkehre.
Von dem dritten Vers an geht der Dichter von den Beziehungen zwischen Gott und den Menschen im Allgemeinen zu dem eigenen persönlichen Verhältnis zum HERRN über; von Vers zu Vers tritt dies klarer hervor, bis es in den letzten Versen in gewaltiger, herzbewegender Weise zum Ausdruck kommt. Möchte doch jeder, der diesen Psalm liest, ebenso inbrünstig fühlen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
1. Wohl denen, oder glückselig die. (Vergl. zu Ps. 1,1) Der Psalmist ist so begeistert von dem Worte Gottes, dass er es als die höchste Stufe der Glückseligkeit betrachtet, ihm gleichgestaltet zu werden. Die Schönheit des vollkommenen Gesetzes (Ps. 19,8) ist ihm vor Augen getreten, und als fasste er in diesen Eingangsworten alles, was ihn bewegt, in einem kurzen Wort zusammen, ruft er aus: Glückselig ist der, dessen Leben eine mit dem Griffel der Tat gezeichnete Kopie des geoffenbarten Willens Gottes ist. Echte Frömmigkeit ist nicht kalt und trocken, sie hat ihre Ausbrüche seligen Entzückens. Wir meinen nicht bloß mit dem Verstande, dass das Befolgen von Gottes Gesetz etwas sehr Zweckmäßiges und Kluges ist, sondern unser Herz brennt in uns für seine Heiligkeit, und in anbetender Bewunderung rufen wir aus: Wohl denen, die ohne Tadel leben, glückselig sind sie. Das soll aber nichts anderes heißen, als dass wir uns danach sehnen, auch zu diesen zu gehören, dass wir keine größere Seligkeit begehren, als vollkommen heilig zu sein. Vielleicht ja bedrückte den, der so sprach, das Bewusstsein seiner eigenen Sündhaftigkeit und Unzulänglichkeit, und beneidete er die, deren Wandel reiner, unsträflicher gewesen war. Ja die Betrachtung des vollkommenen Gottesgesetzes, zu der er sich anschickte, war schon an sich völlig ausreichend, um ihn zu Klagen über seine eigene Unvollkommenheit und zu Seufzern der Sehnsucht nach dem seligen Stande eines unsträflichen Wandels zu veranlassen.
Wahre Frömmigkeit äußert sich stets auch im Handeln. Sie gestattet uns nicht, bei der bloßen Freude an der Vollkommenheit ihrer Forderungen stehen zu bleiben, sondern erweckt in uns zugleich den Wunsch, unser tägliches Leben diesen Forderungen gemäß einzurichten. Wohl ruht ein Segen auf dem andächtigen Lesen und Hören von Gottes Wort, aber nur dann kommt dieser Segen in seiner ganzen Fülle über uns, wenn wir nun auch dem Worte gehorsam sind und in Rede und Wandel zeigen, was wir in dieser Schule gelernt haben. Die größte Glückseligkeit ist Unsträflichkeit des Wandels.
Dieser erste Vers ist gewissermaßen eine Vorrede zum ganzen Psalm und zugleich der Text, zu dem das Übrige die Predigt bildet. Darin entspricht er dem ersten Vers von Psalm 1, der an die Spitze des ganzen Psalmbuches gestellt ist, wie denn überhaupt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Psalter und dem 119. Psalm besteht. Und haben wir nicht hier einen vordeutenden Hinweis auf den Davidssohn, der seine erhabene Predigt gleichfalls mit einer Seligpreisung anfing? Es steht auch uns wohl an, dass unser Mund beim Segnen anhebe. Steht es auch nicht in unserer Macht, den Segen zu verleihen, so können wir doch zeigen, wie man ihn erlangt. Und besitzen wir die Glückseligkeit des untadeligen Wandels selber noch nicht, so ist es doch recht und wahrhaft heilbringend, dass wir uns in die Seligpreisung vertiefen, so dass der Wunsch in unserer Seele recht lebendig werde, auch dazu zu gelangen. HERR, wenn ich auch gleich noch nicht des Segens teilhaftig geworden bin, zu denen zu gehören, die ohne Tadel leben, so will ich mir doch stets ihre Glückseligkeit vorhalten, und meines Lebens höchstes Ziel sei, ihnen gleichzukommen.
Wie David diesen Psalm, so sollte ein Jüngling sein Leben, so sollte ein Neubekehrter sein Bekenntnis, so jeder Christ einen jeden Tag seines Lebens anfangen. Grabe sie tief in dein Herz ein, diese erste, wichtigste Forderung und Voraussetzung praktischer Lebensweisheit, dass Heiligsein und Glücklichsein dasselbe bedeuten, dass es die höchste Klugheit ist, zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit zu trachten. Ein guter Anfang ist schon das halbe Werk. Es ist von unschätzbarem Wert, wenn wir unsere Laufbahn mit der richtigen Vorstellung von dem zu erstrebenden Glücke beginnen. Mit Glückseligkeit fing das Leben der Menschheit im Stande ihrer Unschuld an, und wenn das gefallene Menschengeschlecht je wieder den Zustand der Glückseligkeit zurückerlangen soll, so kann es ihn nur da wiederfinden, wo es ihn am Anfang verloren, nämlich in der Übereinstimmung mit dem Willen und Gebote des HERRN.
Die ohne Tadel leben, die im Wandel Unsträflichen, Unbefleckten. Sie sind auf dem rechten Wege, dem Wege des HERRN, und sie bleiben darauf, sie wandeln mit heiliger Vorsicht und Sorgsamkeit, um ja nicht davon abzukommen; täglich waschen sie ihre Füße, damit sie nicht befleckt erfunden werden. Sie sind schon hier glückselig, sie genießen einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit, die gewiss zum großen Teil in dem Bewusstsein der eigenen völligen Reinheit und Unbeflecktheit liegt. Ja, vermöchten sie durchaus fleckenlos, in völliger Reinheit bis zu Ende dahinzuwandeln, so hätten sie schon jetzt den Himmel hier auf Erden. Das Böse, das Übel, das von außen her an uns dringt, könnte uns wenig anhaben, wenn wir von dem Übel der Sünde gänzlich frei geworden wären. Aber das ist ein Ziel, das auch für den Besten von uns nur im Bereich des Wünschens liegt und noch von keinem erreicht worden ist, wenn schon wir eine so klare Vorstellung davon haben, dass wir es als gleichbedeutend mit Seligkeit überhaupt erkennen. Und darum trachten wir aus allen Kräften, dahin zu gelangen.
Wessen Leben im Sinne des Evangeliums unbefleckt ist, der ist ein gesegneter Mann, denn er hätte niemals diesen Zustand erreichen können, wenn ihm nicht schon die reichsten Segnungen wären zuteil geworden. Der natürliche Mensch ist befleckt, abgewichen vom Wege; wir müssen darum in dem Blut gewaschen worden sein, das rein macht von aller Sünde, und wir müssen bekehrt worden sein durch die Kraft des Heiligen Geistes, sonst würden unsere Füße nicht auf den Weg des Friedens gerichtet sein. Aber das ist nicht genug, denn es bedarf dann noch fort und fort der Macht der Gnade, um den Gläubigen auf dem rechten Wege zu halten und ihn vor neuer Befleckung zu bewahren. Alle Segnungen des Bundes müssen sich gewissermaßen über denen ausgegossen haben, die dahin gelangt sind, von einem Tage zum anderen in der Heiligung voranzuschreiten. Durch ihren Wandel beweisen sie sich als die Gesegneten des HERRN.
Der Psalmist spricht hier von einem hohen Grad von Glückseligkeit; denn manche sind auf dem rechten Wege, tun aber noch nur zu oft falsche Tritte und verunreinigen sich mit allerlei Flecken. Andere, deren Wandel mehr im Lichte ist, die engere Gemeinschaft mit Gott pflegen, können sich von der Welt unbefleckt erhalten, und diese genießen weit größeren Frieden der Seele, weit höhere Freuden, als ihre minder wachsamen Brüder. Sicher ist es, je heiliger unsere Heiligkeit, desto seliger unsere Seligkeit. Wir sind nicht nur wiedergeboren in Christo, sondern wir sollen auch in ihm weiterleben. Es ist schmerzlich, dass wir seinen heiligen Weg mit unserer Selbstsucht, unserer Selbstüberhebung, unserer Eigenwilligkeit, unserem fleischlichen Sinne besudeln, und dadurch eines großen Teiles der Seligkeit verlustig gehen, die in ihm als unserem Wege liegt. Der Gläubige, der je und dann vom Wege abirrt, mag darum doch noch selig werden, aber er erfährt nicht die ganze Freude, deren der Erlöste schon hienieden teilhaftig werden kann; er wird wie ein Brand aus dem Feuer gerissen, aber nicht reich gemacht; er erfährt große Geduld, aber nicht große Glückseligkeit.
Wie leicht kann es doch geschehen, dass wir uns selbst in heiligen Dingen verunreinigen und beflecken, sogar wenn wir schon auf dem Wege sind. Es kann wohl sein, dass wir diese Verunreinigung erhielten, als wir in der Kirche oder Bibelstunde oder in unserem Kämmerlein vor Gott auf den Knien lagen. Die Stiftshütte hatte keinen anderen Fußboden als den Sand der Wüste; darum waren die Priester vor dem Altar genötigt, sich häufig ihre Füße zu waschen, und Gott hatte in seiner Güte dafür gesorgt, dass ein Becken (Handfass, L. 2. Mose 30,18) dafür bereit stehe. So steht unser Herr Jesus Christus für uns bereit, uns unsere Füße zu waschen, damit wir ganz rein werden. Wie glücklich waren die Apostel, als der Herr zu ihnen sagen konnte: Ihr seid rein. (Joh. 15,3.)
Welche Seligkeit wartet derer, die dem Lamme nachfolgen, wohin es geht, die bewahrt werden vor dem Übel, das durch die Lust in die Welt gekommen ist. Sie werden an jenem Tage der Gegenstand des Neides für alle Welt sein. Und wenn man sie auch heute verachtet als finstere Eiferer und Mucker, so werden doch die Sünder, auch die vom Glück begünstigten, dann wünschen, mit ihnen tauschen zu können. O meine Seele, suche deine Seligkeit, dein Glück allein in der Nachfolge des Herrn, des heiligen, unschuldigen, unbefleckten Lammes; da hast du bisher deinen Frieden gefunden, und da wirst du ihn ewig finden.
Die im Gesetze des HERRN wandeln, deren ganzes Leben von dieser Heiligkeit durchdrungen ist, deren ganzer Wandel, ihr Tun und Lassen, unter dem Gehorsam des Gesetzes Gottes steht. Sie essen oder trinken, oder was sie sonst tun, alles tun sie in dem Namen ihres großen Meisters und Vorbildes. Für sie ist die Religion nicht etwas nur Gelegentliches, sondern das Alltäglichste; sie beherrscht nicht nur ihre Andachtsstunden, sondern auch ihre allergewöhnlichsten Handlungen und Verrichtungen. Das gibt sichere Anwartschaft auf Glückseligkeit. Wer auf Gottes Wegen wandelt, wandelt in Gottes Gesellschaft; und der muss glückselig sein. Gottes Antlitz leuchtet ihm freundlich, Gott stärkt ihn, Gott tröstet ihn, wie könnte er anders als glückselig sein!
Das heilige Leben ist ein Wandern, ein stetiges Voranschreiten, kein Wechsel von gewaltsamen Anläufen mit zwischenliegendem Stillstande. Henoch führte ein göttliches Leben, er wandelte mit Gott. Die Frommen trachten stets danach, noch frommer, noch besser zu werden, darum schreiten sie immer voran. Sie sind nie träge, darum legen sie sich nicht gemächlich nieder oder halten sich müßig auf, sondern wandern weiter dem ersehnten Ziele zu, ohne Säumen, aber auch ohne ängstliches Hasten und Jagen, in gleichmäßigem Schritt immer vorwärts, aufwärts, himmelan. Keine Unsicherheit, kein Zweifel über die einzuschlagende Richtung beunruhigt sie, sie sind glücklich in dem Bewusstsein, auf bestimmt vorgezeichnetem Wege zu wandern. Das Gesetz des HERRN ist ihnen keine Last, seine Verbote dünken sie nicht Sklavenketten, seine Gebote nicht unerfüllbare Forderungen, bewundernswert an sich, aber dennoch unsinnig, weil praktisch unausführbar. Nein, sie wandeln danach, sie leben darin. Sie ziehen das Wort des HERRN nicht nur gelegentlich zu Rate, um ab und zu einmal wieder Richtung zu gewinnen, sondern es ist ihnen, was dem Seemann die Karte, die er keinen Tag missen kann. Und nie empfinden sie Reue darüber, dass sie sich auf den Pfad des Gehorsams begeben haben; sonst würden sie ihn doch wieder verlassen, es bieten sich ihnen ja tausend Gelegenheiten zur Umkehr. Ihr fortgesetzter Wandel im Gesetz des HERRN ist das beste Zeugnis für den seligen Stand derer, die ein solches Leben erwählt haben. Ja, sie sind schon jetzt selig. Der Psalmist selbst bezeugt dies von sich, er hat es versucht und erfahren, und er spricht davon als von einer Tatsache, die allen Widerspruch zu Schanden macht. Hier steht es an der Spitze von Davids Magnum opus2, als erste Zeile seines größten Psalms: Wohl denen, die im Gesetze des HERRN wandeln! Rauh mag der Weg sein, streng die Regel, hart die Zucht, wohl, das wissen wir, und mehr als das; aber eine reiche Fülle von Segnungen liegt dennoch im göttlichen Leben, wofür wir den HERRN anbetend preisen.
Der Glückseligkeit, die uns in diesem ersten Vers vor Augen gestellt wird, müssen wir nachtrachten, wir dürfen aber nicht hoffen, sie ohne ernstliche Anstrengungen zu erreichen. David hat gar viel darüber zu sagen, die Predigt dieses Psalmes ist lang und ernst. Dies mag ein Wink für uns sein, dass der Weg des völligen Gehorsams nicht an einem Tage gelernt wird; da gilt es, sich eine Zeile, eine Regel nach der anderen anzueignen, und nach langen Mühen und Anstrengungen, gleichsam hindurch durch die 176 Vers dieses längsten aller Psalmen, gelangen wir am Ende doch nur dahin, wie der Psalmist am Schlusse auszurufen: Ich bin wie ein verirrt und verloren Schaf, suche deinen Knecht, denn ich vergesse deiner Gebote nicht (V. 176). Immer aber müssen wir so stehen, wie es in dem Liede heißt: Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun. Gottes Wort, das Zeugnis von ihm, ist der Leitstern für diese Predigt von der Glückseligkeit, und nur bei täglicher Gemeinschaft mit dem HERRN durch sein Wort können wir hoffen, jenen Weg zu lernen, rein zu werden von aller Unreinigkeit, zu wandeln in seinen Geboten. Wir traten an diese Auslegung heran mit der Aussicht auf besonderen Segen, wir erkennen den Weg, der dahin führt, wir wissen auch, wo das Gesetz desselben zu finden ist. Lasset uns den HERRN bitten, dass wir im weiteren Verlaufe unserer Betrachtung wachsen in der Gewöhnung an den Wandel im Gehorsam, und so selbst der Glückseligkeit teilhaftig werden, von der in dem Psalm geschrieben steht.
Fußnoten
1. Die Auslegungen der Psalmen, Enarrationes in psalmos, bilden eine der umfangreichsten Schriften Augustins; in der bis jetzt noch gangbarsten Ausgabe seiner Werke, der Mauriner oder Benedictiner, nehmen sie den ganzen IV. Band ein. - E. R.
2. i. Großes Werk, genauer Anspielung auf Opus majus, Titel eines Werkes des berühmten englischen Gelehrten Roger Bacon, † 1294, in welchem fast das ganze Wissen der damaligen Zeit niedergelegt ist. E. R.
Wahre Frömmigkeit äußert sich stets auch im Handeln. Sie gestattet uns nicht, bei der bloßen Freude an der Vollkommenheit ihrer Forderungen stehen zu bleiben, sondern erweckt in uns zugleich den Wunsch, unser tägliches Leben diesen Forderungen gemäß einzurichten. Wohl ruht ein Segen auf dem andächtigen Lesen und Hören von Gottes Wort, aber nur dann kommt dieser Segen in seiner ganzen Fülle über uns, wenn wir nun auch dem Worte gehorsam sind und in Rede und Wandel zeigen, was wir in dieser Schule gelernt haben. Die größte Glückseligkeit ist Unsträflichkeit des Wandels.
Dieser erste Vers ist gewissermaßen eine Vorrede zum ganzen Psalm und zugleich der Text, zu dem das Übrige die Predigt bildet. Darin entspricht er dem ersten Vers von Psalm 1, der an die Spitze des ganzen Psalmbuches gestellt ist, wie denn überhaupt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Psalter und dem 119. Psalm besteht. Und haben wir nicht hier einen vordeutenden Hinweis auf den Davidssohn, der seine erhabene Predigt gleichfalls mit einer Seligpreisung anfing? Es steht auch uns wohl an, dass unser Mund beim Segnen anhebe. Steht es auch nicht in unserer Macht, den Segen zu verleihen, so können wir doch zeigen, wie man ihn erlangt. Und besitzen wir die Glückseligkeit des untadeligen Wandels selber noch nicht, so ist es doch recht und wahrhaft heilbringend, dass wir uns in die Seligpreisung vertiefen, so dass der Wunsch in unserer Seele recht lebendig werde, auch dazu zu gelangen. HERR, wenn ich auch gleich noch nicht des Segens teilhaftig geworden bin, zu denen zu gehören, die ohne Tadel leben, so will ich mir doch stets ihre Glückseligkeit vorhalten, und meines Lebens höchstes Ziel sei, ihnen gleichzukommen.
Wie David diesen Psalm, so sollte ein Jüngling sein Leben, so sollte ein Neubekehrter sein Bekenntnis, so jeder Christ einen jeden Tag seines Lebens anfangen. Grabe sie tief in dein Herz ein, diese erste, wichtigste Forderung und Voraussetzung praktischer Lebensweisheit, dass Heiligsein und Glücklichsein dasselbe bedeuten, dass es die höchste Klugheit ist, zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit zu trachten. Ein guter Anfang ist schon das halbe Werk. Es ist von unschätzbarem Wert, wenn wir unsere Laufbahn mit der richtigen Vorstellung von dem zu erstrebenden Glücke beginnen. Mit Glückseligkeit fing das Leben der Menschheit im Stande ihrer Unschuld an, und wenn das gefallene Menschengeschlecht je wieder den Zustand der Glückseligkeit zurückerlangen soll, so kann es ihn nur da wiederfinden, wo es ihn am Anfang verloren, nämlich in der Übereinstimmung mit dem Willen und Gebote des HERRN.
Die ohne Tadel leben, die im Wandel Unsträflichen, Unbefleckten. Sie sind auf dem rechten Wege, dem Wege des HERRN, und sie bleiben darauf, sie wandeln mit heiliger Vorsicht und Sorgsamkeit, um ja nicht davon abzukommen; täglich waschen sie ihre Füße, damit sie nicht befleckt erfunden werden. Sie sind schon hier glückselig, sie genießen einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit, die gewiss zum großen Teil in dem Bewusstsein der eigenen völligen Reinheit und Unbeflecktheit liegt. Ja, vermöchten sie durchaus fleckenlos, in völliger Reinheit bis zu Ende dahinzuwandeln, so hätten sie schon jetzt den Himmel hier auf Erden. Das Böse, das Übel, das von außen her an uns dringt, könnte uns wenig anhaben, wenn wir von dem Übel der Sünde gänzlich frei geworden wären. Aber das ist ein Ziel, das auch für den Besten von uns nur im Bereich des Wünschens liegt und noch von keinem erreicht worden ist, wenn schon wir eine so klare Vorstellung davon haben, dass wir es als gleichbedeutend mit Seligkeit überhaupt erkennen. Und darum trachten wir aus allen Kräften, dahin zu gelangen.
Wessen Leben im Sinne des Evangeliums unbefleckt ist, der ist ein gesegneter Mann, denn er hätte niemals diesen Zustand erreichen können, wenn ihm nicht schon die reichsten Segnungen wären zuteil geworden. Der natürliche Mensch ist befleckt, abgewichen vom Wege; wir müssen darum in dem Blut gewaschen worden sein, das rein macht von aller Sünde, und wir müssen bekehrt worden sein durch die Kraft des Heiligen Geistes, sonst würden unsere Füße nicht auf den Weg des Friedens gerichtet sein. Aber das ist nicht genug, denn es bedarf dann noch fort und fort der Macht der Gnade, um den Gläubigen auf dem rechten Wege zu halten und ihn vor neuer Befleckung zu bewahren. Alle Segnungen des Bundes müssen sich gewissermaßen über denen ausgegossen haben, die dahin gelangt sind, von einem Tage zum anderen in der Heiligung voranzuschreiten. Durch ihren Wandel beweisen sie sich als die Gesegneten des HERRN.
Der Psalmist spricht hier von einem hohen Grad von Glückseligkeit; denn manche sind auf dem rechten Wege, tun aber noch nur zu oft falsche Tritte und verunreinigen sich mit allerlei Flecken. Andere, deren Wandel mehr im Lichte ist, die engere Gemeinschaft mit Gott pflegen, können sich von der Welt unbefleckt erhalten, und diese genießen weit größeren Frieden der Seele, weit höhere Freuden, als ihre minder wachsamen Brüder. Sicher ist es, je heiliger unsere Heiligkeit, desto seliger unsere Seligkeit. Wir sind nicht nur wiedergeboren in Christo, sondern wir sollen auch in ihm weiterleben. Es ist schmerzlich, dass wir seinen heiligen Weg mit unserer Selbstsucht, unserer Selbstüberhebung, unserer Eigenwilligkeit, unserem fleischlichen Sinne besudeln, und dadurch eines großen Teiles der Seligkeit verlustig gehen, die in ihm als unserem Wege liegt. Der Gläubige, der je und dann vom Wege abirrt, mag darum doch noch selig werden, aber er erfährt nicht die ganze Freude, deren der Erlöste schon hienieden teilhaftig werden kann; er wird wie ein Brand aus dem Feuer gerissen, aber nicht reich gemacht; er erfährt große Geduld, aber nicht große Glückseligkeit.
Wie leicht kann es doch geschehen, dass wir uns selbst in heiligen Dingen verunreinigen und beflecken, sogar wenn wir schon auf dem Wege sind. Es kann wohl sein, dass wir diese Verunreinigung erhielten, als wir in der Kirche oder Bibelstunde oder in unserem Kämmerlein vor Gott auf den Knien lagen. Die Stiftshütte hatte keinen anderen Fußboden als den Sand der Wüste; darum waren die Priester vor dem Altar genötigt, sich häufig ihre Füße zu waschen, und Gott hatte in seiner Güte dafür gesorgt, dass ein Becken (Handfass, L. 2. Mose 30,18) dafür bereit stehe. So steht unser Herr Jesus Christus für uns bereit, uns unsere Füße zu waschen, damit wir ganz rein werden. Wie glücklich waren die Apostel, als der Herr zu ihnen sagen konnte: Ihr seid rein. (Joh. 15,3.)
Welche Seligkeit wartet derer, die dem Lamme nachfolgen, wohin es geht, die bewahrt werden vor dem Übel, das durch die Lust in die Welt gekommen ist. Sie werden an jenem Tage der Gegenstand des Neides für alle Welt sein. Und wenn man sie auch heute verachtet als finstere Eiferer und Mucker, so werden doch die Sünder, auch die vom Glück begünstigten, dann wünschen, mit ihnen tauschen zu können. O meine Seele, suche deine Seligkeit, dein Glück allein in der Nachfolge des Herrn, des heiligen, unschuldigen, unbefleckten Lammes; da hast du bisher deinen Frieden gefunden, und da wirst du ihn ewig finden.
Die im Gesetze des HERRN wandeln, deren ganzes Leben von dieser Heiligkeit durchdrungen ist, deren ganzer Wandel, ihr Tun und Lassen, unter dem Gehorsam des Gesetzes Gottes steht. Sie essen oder trinken, oder was sie sonst tun, alles tun sie in dem Namen ihres großen Meisters und Vorbildes. Für sie ist die Religion nicht etwas nur Gelegentliches, sondern das Alltäglichste; sie beherrscht nicht nur ihre Andachtsstunden, sondern auch ihre allergewöhnlichsten Handlungen und Verrichtungen. Das gibt sichere Anwartschaft auf Glückseligkeit. Wer auf Gottes Wegen wandelt, wandelt in Gottes Gesellschaft; und der muss glückselig sein. Gottes Antlitz leuchtet ihm freundlich, Gott stärkt ihn, Gott tröstet ihn, wie könnte er anders als glückselig sein!
Das heilige Leben ist ein Wandern, ein stetiges Voranschreiten, kein Wechsel von gewaltsamen Anläufen mit zwischenliegendem Stillstande. Henoch führte ein göttliches Leben, er wandelte mit Gott. Die Frommen trachten stets danach, noch frommer, noch besser zu werden, darum schreiten sie immer voran. Sie sind nie träge, darum legen sie sich nicht gemächlich nieder oder halten sich müßig auf, sondern wandern weiter dem ersehnten Ziele zu, ohne Säumen, aber auch ohne ängstliches Hasten und Jagen, in gleichmäßigem Schritt immer vorwärts, aufwärts, himmelan. Keine Unsicherheit, kein Zweifel über die einzuschlagende Richtung beunruhigt sie, sie sind glücklich in dem Bewusstsein, auf bestimmt vorgezeichnetem Wege zu wandern. Das Gesetz des HERRN ist ihnen keine Last, seine Verbote dünken sie nicht Sklavenketten, seine Gebote nicht unerfüllbare Forderungen, bewundernswert an sich, aber dennoch unsinnig, weil praktisch unausführbar. Nein, sie wandeln danach, sie leben darin. Sie ziehen das Wort des HERRN nicht nur gelegentlich zu Rate, um ab und zu einmal wieder Richtung zu gewinnen, sondern es ist ihnen, was dem Seemann die Karte, die er keinen Tag missen kann. Und nie empfinden sie Reue darüber, dass sie sich auf den Pfad des Gehorsams begeben haben; sonst würden sie ihn doch wieder verlassen, es bieten sich ihnen ja tausend Gelegenheiten zur Umkehr. Ihr fortgesetzter Wandel im Gesetz des HERRN ist das beste Zeugnis für den seligen Stand derer, die ein solches Leben erwählt haben. Ja, sie sind schon jetzt selig. Der Psalmist selbst bezeugt dies von sich, er hat es versucht und erfahren, und er spricht davon als von einer Tatsache, die allen Widerspruch zu Schanden macht. Hier steht es an der Spitze von Davids Magnum opus2, als erste Zeile seines größten Psalms: Wohl denen, die im Gesetze des HERRN wandeln! Rauh mag der Weg sein, streng die Regel, hart die Zucht, wohl, das wissen wir, und mehr als das; aber eine reiche Fülle von Segnungen liegt dennoch im göttlichen Leben, wofür wir den HERRN anbetend preisen.
Der Glückseligkeit, die uns in diesem ersten Vers vor Augen gestellt wird, müssen wir nachtrachten, wir dürfen aber nicht hoffen, sie ohne ernstliche Anstrengungen zu erreichen. David hat gar viel darüber zu sagen, die Predigt dieses Psalmes ist lang und ernst. Dies mag ein Wink für uns sein, dass der Weg des völligen Gehorsams nicht an einem Tage gelernt wird; da gilt es, sich eine Zeile, eine Regel nach der anderen anzueignen, und nach langen Mühen und Anstrengungen, gleichsam hindurch durch die 176 Vers dieses längsten aller Psalmen, gelangen wir am Ende doch nur dahin, wie der Psalmist am Schlusse auszurufen: Ich bin wie ein verirrt und verloren Schaf, suche deinen Knecht, denn ich vergesse deiner Gebote nicht (V. 176). Immer aber müssen wir so stehen, wie es in dem Liede heißt: Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun. Gottes Wort, das Zeugnis von ihm, ist der Leitstern für diese Predigt von der Glückseligkeit, und nur bei täglicher Gemeinschaft mit dem HERRN durch sein Wort können wir hoffen, jenen Weg zu lernen, rein zu werden von aller Unreinigkeit, zu wandeln in seinen Geboten. Wir traten an diese Auslegung heran mit der Aussicht auf besonderen Segen, wir erkennen den Weg, der dahin führt, wir wissen auch, wo das Gesetz desselben zu finden ist. Lasset uns den HERRN bitten, dass wir im weiteren Verlaufe unserer Betrachtung wachsen in der Gewöhnung an den Wandel im Gehorsam, und so selbst der Glückseligkeit teilhaftig werden, von der in dem Psalm geschrieben steht.
Fußnoten
1. Die Auslegungen der Psalmen, Enarrationes in psalmos, bilden eine der umfangreichsten Schriften Augustins; in der bis jetzt noch gangbarsten Ausgabe seiner Werke, der Mauriner oder Benedictiner, nehmen sie den ganzen IV. Band ein. - E. R.
2. i. Großes Werk, genauer Anspielung auf Opus majus, Titel eines Werkes des berühmten englischen Gelehrten Roger Bacon, † 1294, in welchem fast das ganze Wissen der damaligen Zeit niedergelegt ist. E. R.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
2. Wohl denen, die seine Zeugnisse halten. Wie? Noch ein Glückselig? Ja, doppelt glückselig sind die, deren äußeres Leben getragen wird von dem Eifer um Gottes Ehre, der ihr Inneres erfüllt. Im ersten Vers war die Rede von einem fleckenlosen Wandel, unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass solche Reinheit des Lebens nicht etwas bloß Äußerliches sein könne, sondern dass Gottes Gnade unsere Herzen mit seiner Wahrheit und seinem Leben erfüllen müsse. Nun wird dies ganz bestimmt ausgesprochen. Glückseligkeit wird denen zugesprochen, die die Zeugnisse des HERRN bewahren. Darin liegt natürlich, dass sie in der Schrift forschen, zu geistlichem Verständnis derselben hindurchdringen, sie lieb gewinnen, und dann nicht müde werden, sie im Leben praktisch anzuwenden. Erst müssen wir doch eine Sache ergriffen haben, ehe wir sie festhalten können, und wenn wir sie recht festhalten wollen, müssen wir einen festen Griff tun; wir können nicht im Herzen bewahren, was wir nicht warm ins Herz geschlossen haben. Gottes Wort ist sein Zeugnis, seine Offenbarung der erhabenen Wahrheiten, die ihn selbst und unser Verhältnis zu ihm betreffen. Unser Wünschen muss dahin gehen, diese Wahrheiten kennen zu lernen; und wenn wir sie erkannt haben, so müssen wir sie glauben; und wenn wir sie glauben, so müssen wir sie lieben; und wenn wir sie lieben, dann müssen wir sie festhalten und sie uns von niemand entreißen lassen. Es gibt verschiedene Arten, das Wort Gottes zu halten; ein Festhalten der biblischen Wahrheit in der Erkenntnis, da wir bereit sind, lieber den Tod zu erleiden, als sie fahren zu lassen, und ein Festhalten der Wahrheit in Betätigung derselben, indem wir unser ganzes Leben unter ihre Herrschaft stellen. Die geoffenbarte Wahrheit ist der köstlichste Edelstein und muss im Gedächtnis und im Herzen bewahrt werden, wie Kleinode in einer Schatzkammer, wie das Gesetz bewahrt wurde in der Bundeslade. Aber das genügt nicht. Das Wort Gottes ist da für den täglichen Gebrauch. In diesem Sinne müssen wir uns daran halten, ihm folgen, wie man einem Wege folgt, an einer eingeschlagenen Richtung festhält. Wenn wir Gottes Zeugnisse so bewahren, so werden sie uns auch bewahren in rechter Lehre, in Zufriedenheit des Geistes, in Heiligkeit des Wandels, in Freudigkeit der Hoffnung. Und sind sie überhaupt je des Besitzes wert gewesen, dann sind sie es auch heute noch, dann sind sie es immer. Sie vermögen ihr Ziel nicht an uns zu erreichen, wenn wir sie bloß zeitweilig ergreifen, sondern nur, wenn wir sie beharrlich festhalten: wer sie hält, der hat großen Lohn (Ps. 19,12).
Wir haben die Pflicht, das Wort Gottes mit aller Sorgfalt zu halten und zu bewahren, denn es sind seine Zeugnisse. Er hat sie uns gegeben, aber noch sind sie sein eigen, und wir haben sie zu wahren, wie ein Wächter seines Herrn Haus bewahrt, wie ein Haushalter seines Herrn Gut verwaltet, wie ein Hirte seines Herrn Herde behütet. Wir werden Rechenschaft abzulegen haben, denn das Evangelium ist uns anvertraut, und wehe uns, wenn wir untreu erfunden werden. Wir können nicht den guten Kampf kämpfen, wir können nicht den Lauf vollenden, wenn wir nicht Glauben halten (2. Tim. 4,7). Dazu muss uns der HERR bewahren; nur wer aus Gottes Macht zur Seligkeit bewahrt wird, wird überhaupt imstande sein, seine Zeugnisse zu bewahren. Welche Glückseligkeit wird uns doch gewährleistet durch ein treues, gläubiges Festhalten an Gottes Wort, einen willigen und dauernden Gehorsam gegen dasselbe. Solches hat der HERR gesegnet, solches segnet er noch heute und wird er segnen in Ewigkeit. Diese Glückseligkeit, die David bei anderen sah, hat er auch für sich selber gewonnen, denn in Vers 168 sagt er: Ich halte deine Befehle und deine Zeugnisse, und in Vers 54 bringt er seine Jubellieder in Verbindung mit diesem Halten von Gottes Gesetz.
Die ihn von ganzem Herzen suchen. Die des HERRN Zeugnisse halten, die suchen ganz sicher auch ihn selbst. Wenn schon sein Wort köstlich ist, so ist gewiss er selbst noch viel köstlicher. Persönlicher Umgang mit einem persönlichen Gott ist die Sehnsucht aller derer, die alle Kräfte des göttlichen Wortes haben auf sich wirken lassen. Haben wir erst die Kraft des Evangeliums erkannt, dann können wir nicht anders, wir müssen den Gott des Evangeliums suchen. Ach, dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seinem Stuhl kommen möchte (Hiob 23,3), rufen wir dann aus der Tiefe unseres Herzens. Achten wir auf den Fortschritt in diesen Gedanken. Erst das Wandeln auf dem Wege des göttlichen Gebotes, dann das Erfassen und Halten der köstlichen Wahrheit, und schließlich das köstlichste von allem, das Suchen der Gemeinschaft mit dem HERRN selbst. Wir sehen auch, dass, je weiter eine Seele in der Gnade fortgeschritten ist, auf umso Geistlicheres und Göttlicheres ist ihr Sehnen gerichtet. Der äußerlich fromme Wandel befriedigt die dankerfüllte Seele nicht, auch nicht der Besitz der Zeugnisse; sie streckt sich aus, den HERRN selbst zu ergreifen, und wenn sie erst etwas von ihm erfasst hat, so sehnt sie sich nach mehr.
Gott suchen heißt das Verlangen nach immer innigerem Umgang mit ihm, ihm immer eifriger nachfolgen, immer völliger eins werden mit seinem Sinn und seinem Willen, seinen Ruhm und seine Ehre immer weiter ausbreiten, kurz, eben alles das sich zu Eigen machen, was er für ein frommes Herz sein kann. Der so gesegnet ist, der hat Gott schon, und darum sucht er ihn. Das ist scheinbar ein Widerspruch, aber die Erfahrung löst das Rätsel.
Ein kühles Forschen des Verstandes ist noch kein wahrhaftes Suchen Gottes, mit dem Herzen müssen wir ihn suchen. Der Liebe offenbart sich die Liebe; Gott enthüllt sein Herz dem Herzen der Seinen. Umsonst würden wir ihn mit dem Verstande zu begreifen suchen, wir müssen ihn mit der Liebe ergreifen. Und nur ein ganzes Herz, nicht eines, in das sich noch viele andere Dinge teilen, kann den HERRN suchen. Gott selbst ist Einer, und wir werden ihn nie erkennen, solange unser Herz nicht selbst eins und ungeteilt ist. Ein zerbrochenes Herz braucht über sein Zerbrochensein nicht zu trauern, denn kein Herz ist so ganz und ungeteilt im Suchen nach Gott als nur ein solches zerbrochenes, da jedes Stück sich sehnt und seufzt nach dem Angesicht des Vaters. Nur gegen das geteilte Herz wendet sich unsere Stelle. Die Schrift hat eine sonderbare Ausdrucksweise. Ein Herz kann geteilt sein, ohne zerbrochen zu sein, zerbrochen, ohne geteilt zu sein; wiederum kann es zerbrochen und doch heil sein, ja, es kann nie heil sein, ehe es zerbrochen war. Wenn unser ganzes Herz den heiligen Gott in Christo Jesu sucht, so ist es zu ihm gekommen, von dem geschrieben steht: Alle, die ihn anrührten, wurden gesund. (Mk. 6,56.)
Was der Psalmist hier im 2. Vers preist, dessen rühmt er sich in Vers 10: Ich suche dich von ganzem Herzen. Gut ist es, wenn die Anerkennung einer Tugend uns dahin führt, sie uns selbst anzueignen. Wer nicht an die Glückseligkeit derer glaubt, die den HERRN suchen, wird sich kaum selbst dazu entschließen; wer aber einen anderen glückselig nennt um der Gnade willen, die er in ihm wirksam und mächtig sieht, ist auf dem Wege, diese Gnade auch für sich zu erlangen. Wenn aber schon die, die den HERRN suchen, glücklich gepriesen werden, wie soll man erst das Glück derer würdig preisen, die nun wirklich bei ihm sind und wissen, dass er der Ihre ist!
3. Denn welche auf seinen Wegen wandeln, die tun kein Übel. Im Grundtext ist die Anordnung umgekehrt, da heißt es: Ja, sie tun kein Übel, sie wandeln auf seinen Wegen. Sie tun kein Übel. Fürwahr, glückselig würden die zu preisen sein, von denen solches ohne Einschränkung und bedingungslos behauptet werden könnte; wir sind in das Reich der vollkommenen Glückseligkeit eingegangen, wenn wir die Sünde ganz los geworden sind. Die dem Gebote Gottes folgen, tun kein Übel, diese Behauptung ist ganz unanfechtbar, und wenn die ausgesprochene Bedingung befolgt würde, so gäbe es nichts Verkehrtes. Über unser Leben kann der Außenstehende sich eigentlich nur aus unseren Handlungen ein Urteil bilden; wer darin nicht von dem abweicht, was Gott und den Menschen gegenüber recht ist, der befindet sich auf dem Wege zur Vollkommenheit, von dem dürfen wir getrost behaupten, dass es mit seinem Herzen gut bestellt ist. Hier sehen wir, dass ein ungeteilt Gott hingegebenes Herz dahin führt, die Sünde zu meiden; es heißt ja: die ihn von ganzem Herzen suchen, die, ja die tun kein Übel. Wohl wissen wir, dass kein Mensch den Anspruch erheben kann, ganz ohne Sünde zu sein, aber ebenso wohl sind wir überzeugt, dass es viele gibt, die nicht mit Überlegung, bewusst, gewohnheitsmäßig Böses, Gottloses und Unrechtes tun. Die Gnade hält unseren Wandel auf der Bahn der Gerechtigkeit, wenn schon der Christ vor Gott zu beklagen hat, dass sein Herz sich mannigfache Übertretungen zu Schulden kommen lässt. Aber nach menschlichem Maßstab gemessen, so wie Menschen ihre Mitmenschen beurteilen sollen, tun die wirklich Gottesfürchtigen kein Übel; sie sind ehrbar, wahrhaftig, keusch, gerecht und sittlich vorwurfsfrei. Und darum sind sie glücklich.
Sie wandeln auf seinen Wegen. Sie gehen nicht nur einfach auf der großen Landstraße des allgemeinen Sittengesetzes dahin, sie merken auch auf die schmalen Fußwege der einzelnen Gebote und Forderungen. Wie sie jede Tatsünde meiden, so suchen sie auch von jeder Unterlassungssünde frei zu bleiben. Und wiederum geben sie sich nicht damit zufrieden, dass, was sie tun, nicht sträflich sei, sondern ihr Bestreben ist dahin gerichtet, wirklich das Rechte zu tun, Gutes zu vollbringen. Mag der Einsiedler aus der Welt flüchten, um nichts Böses zu tun, der rechte Heilige lebt in der menschlichen Gesellschaft, um hier Gott zu dienen, indem er auf seinen Wegen wandelt. Unsere Gerechtigkeit muss also sowohl im Tun des Guten wie im Nichttun des Bösen bestehen, und das Letztere wird nicht lange standhalten, wenn wir das Erstere versäumen. Der Mensch muss sich für einen Weg entscheiden; folgen wir nicht dem Pfade, den uns Gottes Gebote vorzeichnen, so werden wir uns bald auf dem Wege der Gottlosigkeit befinden. Das Sicherste ist, in jedem Augenblick Recht zu tun, dann bleibt für das Böse gar keine Zeit übrig. Unser Vers schildert den Gottesfürchtigen, wie er wirklich ist; wohl hat er seine Fehler und Schwächen, aber er hasst das Böse, er gestattet sich keine Übertretungen, er liebt den Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Heiligkeit, und es ist sein Weg, der Weg, den er eingeschlagen hat. Er behauptet nicht, vollkommen zu sein, außer in der Sehnsucht seines Herzens; und darin ist er allerdings heilig, denn er lechzt danach, von jeglicher Sünde frei zu werden, in alle Heiligkeit hineinzuwachsen.
Wir haben die Pflicht, das Wort Gottes mit aller Sorgfalt zu halten und zu bewahren, denn es sind seine Zeugnisse. Er hat sie uns gegeben, aber noch sind sie sein eigen, und wir haben sie zu wahren, wie ein Wächter seines Herrn Haus bewahrt, wie ein Haushalter seines Herrn Gut verwaltet, wie ein Hirte seines Herrn Herde behütet. Wir werden Rechenschaft abzulegen haben, denn das Evangelium ist uns anvertraut, und wehe uns, wenn wir untreu erfunden werden. Wir können nicht den guten Kampf kämpfen, wir können nicht den Lauf vollenden, wenn wir nicht Glauben halten (2. Tim. 4,7). Dazu muss uns der HERR bewahren; nur wer aus Gottes Macht zur Seligkeit bewahrt wird, wird überhaupt imstande sein, seine Zeugnisse zu bewahren. Welche Glückseligkeit wird uns doch gewährleistet durch ein treues, gläubiges Festhalten an Gottes Wort, einen willigen und dauernden Gehorsam gegen dasselbe. Solches hat der HERR gesegnet, solches segnet er noch heute und wird er segnen in Ewigkeit. Diese Glückseligkeit, die David bei anderen sah, hat er auch für sich selber gewonnen, denn in Vers 168 sagt er: Ich halte deine Befehle und deine Zeugnisse, und in Vers 54 bringt er seine Jubellieder in Verbindung mit diesem Halten von Gottes Gesetz.
Die ihn von ganzem Herzen suchen. Die des HERRN Zeugnisse halten, die suchen ganz sicher auch ihn selbst. Wenn schon sein Wort köstlich ist, so ist gewiss er selbst noch viel köstlicher. Persönlicher Umgang mit einem persönlichen Gott ist die Sehnsucht aller derer, die alle Kräfte des göttlichen Wortes haben auf sich wirken lassen. Haben wir erst die Kraft des Evangeliums erkannt, dann können wir nicht anders, wir müssen den Gott des Evangeliums suchen. Ach, dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seinem Stuhl kommen möchte (Hiob 23,3), rufen wir dann aus der Tiefe unseres Herzens. Achten wir auf den Fortschritt in diesen Gedanken. Erst das Wandeln auf dem Wege des göttlichen Gebotes, dann das Erfassen und Halten der köstlichen Wahrheit, und schließlich das köstlichste von allem, das Suchen der Gemeinschaft mit dem HERRN selbst. Wir sehen auch, dass, je weiter eine Seele in der Gnade fortgeschritten ist, auf umso Geistlicheres und Göttlicheres ist ihr Sehnen gerichtet. Der äußerlich fromme Wandel befriedigt die dankerfüllte Seele nicht, auch nicht der Besitz der Zeugnisse; sie streckt sich aus, den HERRN selbst zu ergreifen, und wenn sie erst etwas von ihm erfasst hat, so sehnt sie sich nach mehr.
Gott suchen heißt das Verlangen nach immer innigerem Umgang mit ihm, ihm immer eifriger nachfolgen, immer völliger eins werden mit seinem Sinn und seinem Willen, seinen Ruhm und seine Ehre immer weiter ausbreiten, kurz, eben alles das sich zu Eigen machen, was er für ein frommes Herz sein kann. Der so gesegnet ist, der hat Gott schon, und darum sucht er ihn. Das ist scheinbar ein Widerspruch, aber die Erfahrung löst das Rätsel.
Ein kühles Forschen des Verstandes ist noch kein wahrhaftes Suchen Gottes, mit dem Herzen müssen wir ihn suchen. Der Liebe offenbart sich die Liebe; Gott enthüllt sein Herz dem Herzen der Seinen. Umsonst würden wir ihn mit dem Verstande zu begreifen suchen, wir müssen ihn mit der Liebe ergreifen. Und nur ein ganzes Herz, nicht eines, in das sich noch viele andere Dinge teilen, kann den HERRN suchen. Gott selbst ist Einer, und wir werden ihn nie erkennen, solange unser Herz nicht selbst eins und ungeteilt ist. Ein zerbrochenes Herz braucht über sein Zerbrochensein nicht zu trauern, denn kein Herz ist so ganz und ungeteilt im Suchen nach Gott als nur ein solches zerbrochenes, da jedes Stück sich sehnt und seufzt nach dem Angesicht des Vaters. Nur gegen das geteilte Herz wendet sich unsere Stelle. Die Schrift hat eine sonderbare Ausdrucksweise. Ein Herz kann geteilt sein, ohne zerbrochen zu sein, zerbrochen, ohne geteilt zu sein; wiederum kann es zerbrochen und doch heil sein, ja, es kann nie heil sein, ehe es zerbrochen war. Wenn unser ganzes Herz den heiligen Gott in Christo Jesu sucht, so ist es zu ihm gekommen, von dem geschrieben steht: Alle, die ihn anrührten, wurden gesund. (Mk. 6,56.)
Was der Psalmist hier im 2. Vers preist, dessen rühmt er sich in Vers 10: Ich suche dich von ganzem Herzen. Gut ist es, wenn die Anerkennung einer Tugend uns dahin führt, sie uns selbst anzueignen. Wer nicht an die Glückseligkeit derer glaubt, die den HERRN suchen, wird sich kaum selbst dazu entschließen; wer aber einen anderen glückselig nennt um der Gnade willen, die er in ihm wirksam und mächtig sieht, ist auf dem Wege, diese Gnade auch für sich zu erlangen. Wenn aber schon die, die den HERRN suchen, glücklich gepriesen werden, wie soll man erst das Glück derer würdig preisen, die nun wirklich bei ihm sind und wissen, dass er der Ihre ist!
3. Denn welche auf seinen Wegen wandeln, die tun kein Übel. Im Grundtext ist die Anordnung umgekehrt, da heißt es: Ja, sie tun kein Übel, sie wandeln auf seinen Wegen. Sie tun kein Übel. Fürwahr, glückselig würden die zu preisen sein, von denen solches ohne Einschränkung und bedingungslos behauptet werden könnte; wir sind in das Reich der vollkommenen Glückseligkeit eingegangen, wenn wir die Sünde ganz los geworden sind. Die dem Gebote Gottes folgen, tun kein Übel, diese Behauptung ist ganz unanfechtbar, und wenn die ausgesprochene Bedingung befolgt würde, so gäbe es nichts Verkehrtes. Über unser Leben kann der Außenstehende sich eigentlich nur aus unseren Handlungen ein Urteil bilden; wer darin nicht von dem abweicht, was Gott und den Menschen gegenüber recht ist, der befindet sich auf dem Wege zur Vollkommenheit, von dem dürfen wir getrost behaupten, dass es mit seinem Herzen gut bestellt ist. Hier sehen wir, dass ein ungeteilt Gott hingegebenes Herz dahin führt, die Sünde zu meiden; es heißt ja: die ihn von ganzem Herzen suchen, die, ja die tun kein Übel. Wohl wissen wir, dass kein Mensch den Anspruch erheben kann, ganz ohne Sünde zu sein, aber ebenso wohl sind wir überzeugt, dass es viele gibt, die nicht mit Überlegung, bewusst, gewohnheitsmäßig Böses, Gottloses und Unrechtes tun. Die Gnade hält unseren Wandel auf der Bahn der Gerechtigkeit, wenn schon der Christ vor Gott zu beklagen hat, dass sein Herz sich mannigfache Übertretungen zu Schulden kommen lässt. Aber nach menschlichem Maßstab gemessen, so wie Menschen ihre Mitmenschen beurteilen sollen, tun die wirklich Gottesfürchtigen kein Übel; sie sind ehrbar, wahrhaftig, keusch, gerecht und sittlich vorwurfsfrei. Und darum sind sie glücklich.
Sie wandeln auf seinen Wegen. Sie gehen nicht nur einfach auf der großen Landstraße des allgemeinen Sittengesetzes dahin, sie merken auch auf die schmalen Fußwege der einzelnen Gebote und Forderungen. Wie sie jede Tatsünde meiden, so suchen sie auch von jeder Unterlassungssünde frei zu bleiben. Und wiederum geben sie sich nicht damit zufrieden, dass, was sie tun, nicht sträflich sei, sondern ihr Bestreben ist dahin gerichtet, wirklich das Rechte zu tun, Gutes zu vollbringen. Mag der Einsiedler aus der Welt flüchten, um nichts Böses zu tun, der rechte Heilige lebt in der menschlichen Gesellschaft, um hier Gott zu dienen, indem er auf seinen Wegen wandelt. Unsere Gerechtigkeit muss also sowohl im Tun des Guten wie im Nichttun des Bösen bestehen, und das Letztere wird nicht lange standhalten, wenn wir das Erstere versäumen. Der Mensch muss sich für einen Weg entscheiden; folgen wir nicht dem Pfade, den uns Gottes Gebote vorzeichnen, so werden wir uns bald auf dem Wege der Gottlosigkeit befinden. Das Sicherste ist, in jedem Augenblick Recht zu tun, dann bleibt für das Böse gar keine Zeit übrig. Unser Vers schildert den Gottesfürchtigen, wie er wirklich ist; wohl hat er seine Fehler und Schwächen, aber er hasst das Böse, er gestattet sich keine Übertretungen, er liebt den Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Heiligkeit, und es ist sein Weg, der Weg, den er eingeschlagen hat. Er behauptet nicht, vollkommen zu sein, außer in der Sehnsucht seines Herzens; und darin ist er allerdings heilig, denn er lechzt danach, von jeglicher Sünde frei zu werden, in alle Heiligkeit hineinzuwachsen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
4. Du hast geboten, fleißig zu halten deine Befehle. Wenn wir also alles getan haben, sind wir doch nur unnütze Knechte; wir haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren, da wir das Gebot unsres HERRN dafür haben. Gottes Ordnungen erfordern ein sorgfältiges Befolgen, ein gelegentlicher Gehorsam gilt hier nicht. Viele meinen, sie könnten Gott in ihrer eigenen nachlässigen Weise, gewissermaßen aufs Geratewohl, dienen; solchen Dienst begehrt aber der HERR nicht, davon will er nichts wissen. Sein Gebot heißt: von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und von allen deinen Kräften, und davon weiß eine sorglose Religion nichts. Auch eifrig soll unser Gehorsam sein, wir sollen Gottes Gebote reichlich, völlig, bis zum Rande, bis zum Überfließen erfüllen, in ihrer engsten und in ihrer weitesten Bedeutung. Wie ein rechter Kaufmann es sich angelegen sein lässt, so viele Geschäfte zu machen, wie er nur irgend kann, so sollen auch wir alles daran setzen, dem HERRN zu dienen, soviel wir nur vermögen. Und wir dürfen uns dabei auch keine Mühe verdrießen lassen, denn fleißiger Gehorsam ist rastlos und selbstverleugnend. Wer in seinem Berufe eifrig ist, steht früh auf und geht spät schlafen und versagt sich viele Bequemlichkeiten und Erholungen. Er kennt keine Müdigkeit, und wenn sie doch kommt, so arbeitet er weiter mit schmerzendem Kopfe und brennenden Augen. So sollen wir dem HERRN dienen. Ein so guter Meister verdient fleißige, sorgsame, eifrige, unermüdliche Knechte. Solch völlig treuen Dienst fordert er, er begnügt sich mit nichts Geringerem. Wie selten aber gibt es solchen Dienst, solche Knechte; und darum gehen so viele durch ihre Lässigkeit des zweifachen Segens verlustig, von dem der Psalm redet.
Manche Menschen sind wohl voll Eifers, sind es aber in ihrem Aberglauben und in selbsterwählter Geistlichkeit (Kol. 2,23). Setzen wir doch hingegen allen Eifer daran, Gottes Gebote zu halten. Es hat keinen Zweck zu eilen, wenn man auf falschem Wege ist. Mancher schon hat alle seine Kraft an eine von vornherein verlorene Sache gewandt; je mehr er arbeitete und sich abmühte, umso größer wurden seine Verluste. Im Geschäftsleben ist so etwas schon schlimm genug, auf religiösem Gebiet aber dürfen wir es uns keinesfalls leisten. Gott hat uns nicht befohlen, Gebote aufzustellen, sondern seine Befehle zu halten. Mancher legt seinem eigenen Nacken ein Joch auf oder schmiedet Fesseln für andere. Der Kluge aber begnügt sich mit den Vorschriften der Heiligen Schrift und lässt es sich angelegen sein, diese alle bei allen Gelegenheiten, gegen alle Menschen und unter allen Umständen zu halten. Wer das nicht tut, der mag in seiner selbsterfundenen Religion berühmt werden, er hat aber Gottes Gebote nicht erfüllt und wird deshalb ihm nicht wohlgefällig sein.
Der Psalmist hat im Anfange von anderen Menschen, in der dritten Person, geredet: Wohl denen, die seine Zeugnisse halten, die auf seinen Wegen wandeln, die tun kein Übel. Aber er wird sehr schnell persönlich. Vers 4 bildet den Übergang dazu, hier heißt es allgemein: Du hast geboten, und schon im nächsten Vers hören wir ihn dann nur noch für sich und über sich selbst reden. Wenn die Sehnsucht nach Heiligung in uns brennend geworden ist, dann begehren wir auch, an uns selbst Erfolge und Fortschritte zu spüren. Das göttliche Wort ist etwas, das ans Herz greift, und wenn wir erst einmal dahin gekommen sind, in sein Lob mit einzustimmen, so werden wir seinen Einfluss auch bald an uns selbst merken; wir kommen dahin zu bitten, dass auch wir dem darin aufgestellten Vorbilde ähnlich gestaltet werden.
5. O dass mein Leben deine Rechte mit ganzem Ernst hielte! Auch in der Wahl dessen, worum wir beten, sollen wir uns von Gottes Wort leiten lassen. Aus uns selbst vermögen wir nicht, seine Rechte so zu halten, wie er es von uns verlangt und wie wir selbst gern möchten: was bleibt uns für ein Mittel als das Gebet? Wir müssen den HERRN bitten, seine Werke in uns zu wirken, sonst werden wir nie seine Befehle ausführen können. Dieser Vers ist ein Seufzer im Bewusstsein der Schuld, denn der Psalmist fühlt, dass er Gottes Rechte nicht mit ganzem Ernst gehalten hat; sodann ist er ein Seufzer im Bewusstsein der eigenen Schwäche, ein Hilferuf zu dem, der helfen kann, ein Angstruf des Verirrten nach einem Führer; es ist aber auch eine Bitte des Glaubens aus einem Herzen, das den HERRN liebt und vertrauensvoll auf seinen gnädigen Beistand hofft.
O dass meine Wege dahin gerichtet seien, deine Rechte (immer) zu halten, so lautet im Grundtext der Vers. Unsere Wege sind von Natur den Wegen Gottes entgegengesetzt. Gottes Gnade muss sie in eine ganz andere Richtung lenken, sonst führen sie uns hinab ins Verderben. Der HERR vermag es, unseren Sinn und Willen zu lenken, ohne das Recht der freien Selbstbestimmung dabei zu verletzen, und wenn wir ihn darum bitten, so tut er es auch; ja wenn einer diesen Vers von Herzen mitbeten kann, so ist in ihm damit schon der Anfang gemacht. Das Herz möchte gerne schon jetzt, jetzt gleich heilig, vollkommen sein; o dass mein Leben deine Rechte jetzt, heute, in diesem Augenblick hielte. Aber auch in der Zukunft sollen unsere Wege von Gott gerichtet werden, seine Gebote zu halten; die Bitte enthält auch das Verlangen nach Gottes Gnadenhilfe für alle kommenden Zeiten.
Dieser fünfte Vers ist ein richtiges Gebet, wenn er auch nicht die äußere Form eines solchen hat. Wunsch und Sehnsucht sind ihrer Natur nach dem bittenden Flehen nahe verwandt. Die Form des Ausdrucks ist Nebensache. Solch ein "O dass doch" kann ein ebenso wohlgefälliges Gebet sein wie ein Vaterunser.
Solche Sehnsucht wird in uns geweckt, wenn wir uns die Seligkeit eines heiligen Lebenswandels und die Lichtgestalt eines wahrhaft Gottesfürchtigen vor Augen stellen und uns in andächtiger Ehrfurcht vor Gottes Geboten beugen. Sie bedeutet eben die Anwendung dieser Wahrheiten aufs eigene Leben. O dass mein Leben usw. Es wäre zu wünschen, dass alle, die Gottes Wort hören und lesen, diesem Beispiel folgten. Wir hätten mehr Täter des Wortes, wenn wir mehr Beter hätten, mehr Seelen, die seufzen und rufen um den göttlichen Gnadenbeistand zu solchem Tun.
6. Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zu Schanden.3 Das Beschämtwerden hat der Psalmist kennen gelernt, und er freut sich der Aussicht, davon fernerhin befreit zu werden. Die Sünde ist das, was Scham und Schande bringt, und wenn die Sünde weggetan ist, dann ist auch alle Ursache zur Scham beseitigt. Welch eine befreiende Tat wird dies sein; denn für viele ist Schande schlimmer als der Tod. Wenn ich schaue auf alle deine Gebote (wörtl.): wenn ich diese ansehe, dann werde ich auch angesehen. Achtung vor Gott und seinen Geboten schafft Selbstachtung und Achtung bei anderen. Und jede einzelne Übertretung, jeder Fall hat im Gefolge Verzagtheit und Scham. Wenn du erröten musst, wenn du erbleichst, ist im letzten Grunde die Sünde die Ursache. Und wenn vor niemand sonst, so muss ich mich vor mir selber schämen, wenn ich Böses tue. Unsere ersten Eltern wussten nichts von Scham, bis sie die alte Schlange kennen lernten; und sie wurden dieses Gefühl nicht eher los, als bis Gott selbst in seiner Gnade ihre Schande mit dem Fell des Sühnopfers bedeckt hatte. Und auch wir haben uns stets zu schämen, solange nicht jede Sünde abgetan, alle Gerechtigkeit erfüllt ist. Wenn wir den Willen Gottes allezeit und überall vor Augen und im Herzen haben, dann können wir auch uns selbst im Spiegel des Gesetzes betrachten und brauchen vor keinem Menschen oder Teufel zu erröten, mag auch ihre Bosheit noch so geschäftig sein, uns jede einzelne unserer Versündigungen vorzuhalten.
Viele Menschen haben unter einem übergroßen Mangel an Selbstvertrauen zu leiden. Unser Vers bietet ein Mittel dagegen. Stetes Bewusstsein unserer Pflicht verleiht uns Kühnheit; wir werden uns fürchten, Furcht zu empfinden. Keine Scham vor Menschen wird uns hindernd in den Weg treten, wenn die Furcht vor Gott unser Herz erfüllt. Wenn wir am hellen Tage und in königlichem Dienst und Auftrage auf unseres Königs Heerstraße dahinziehen, so brauchen wir keinen Menschen um Erlaubnis zu fragen. Wir würden unseren irdischen König schlecht ehren, wollten wir uns schämen, des Königs Rock zu tragen und seiner Fahne zu folgen; nie sollte solche Scham die Wangen eines Christen röten, und das wird auch nicht geschehen, wenn er die rechte Ehrfurcht vor dem HERRN, seinem Gott, hat. An einem Leben der Heiligkeit ist nichts, dessen man sich zu schämen hätte; ein Mensch mag sich seines Stolzes, seines Reichtums, seiner eigenen Kinder schämen müssen, dass er aber in allen Dingen auf die Gebote des HERRN geschaut, sie beachtet hat, das wird ihm nie Veranlassung zum Schämen geben.
Beachten wir, dass David nur dann darauf rechnet, vor dem Zuschandenwerden sicher zu sein, wenn er allein auf Gottes Gebote schaut, oder, wie es wörtlich heißt, alle Gebote Gottes beachtet. Übersieh auch du dies Wörtlein "alle" nicht, du darfst dir keines seiner Gebote schenken. Bei einem halben oder Dreiviertel-Gehorsam haben wir stets damit zu rechnen, dass wir für das, was wir vernachlässigt haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn einer auch tausend Tugenden und Vorzüge besitzt, so kann doch ein einziger Fehltritt ihn gründlich zu Schanden werden lassen.
Einem armen Sünder, der schon ganz an sich und allem verzweifelt, mag es unglaublich erscheinen, dass er je das Gefühl bitterer Scham loswerden könne, das ihn niederdrückt, so dass er glaubt, nie wieder seine Augen frei erheben zu können. Zeigt ihm diese Stelle: Ich werde nicht zu Schanden werden. David schreibt hier mit vollem Bewusstsein, er träumt nicht, auch schildert er nicht einen unmöglichen Fall. Glaube nur fest, lieber Christ, dass der Heilige Geist in dir das Ebenbild Gottes wiederherstellen kann, so dass du wieder furchtlos dein Haupt erheben kannst. O es ist etwas Köstliches um die Heiligung, die uns lehrt, auf des HERRN Wegen zu wandeln; denn diese verleiht uns auch das Gefühl der Sicherheit Gott und den Menschen gegenüber, so dass wir keine Schamröte mehr zu fürchten haben.
7. Ich danke dir. Es ist kein weiter Weg vom Bitten zum Danken, und gewiss wird der, der heute noch um Heiligung betet, eines Tages für Seligkeit zu danken haben. Wenn das Gefühl der Schande geschwunden ist, dann wird der bis dahin schweigende Mund geöffnet und ruft aus: Ich danke dir. Und er weiß ganz genau, wem er seinen Dank darzubringen hat. Er spricht: Ich danke dir. Denn Gott, und ihm allein, gebührt Dank und Preis. An seiner Schuld misst er Gottes Huld; sein Schmerz, die Schmach seiner Sünde zeigt ihm, was er dem HERRN verdankt, der ihn aus dem elendesten zu einem glücklichen Menschen gemacht und ihn erst die rechte Lebenskunst gelehrt hat.
Von rechtem Herzen. Das Herz wird recht, wird in Ordnung sein, wenn der HERR es lehrt, und dann wird dies Herz seinen Lehrer preisen. Es gibt auch ein falsches, heuchlerisches Preisen, und das ist dem HERRN ein Gräuel; aber nichts ist wohllautender als die Lobgesänge aus einem reinen Herzen, das in Gottes Gerechtigkeit steht. Ein rechtes Herz wird nie den Dank gegen Gott vergessen, denn die dankende Anbetung ist ein Teil seiner Gerechtigkeit. Kein Mensch ist rechtschaffen, wenn er es nicht vor Gott ist, und dazu gehört auch, dass er Gott den schuldigen Dank bezahle.
Dass du mich lehrest die Rechte deiner Gerechtigkeit. Wenn wir etwas Rechtes lernen sollen, so muss der HERR selbst unser Lehrer sein, besonders aber, wenn es sich um etwas so Tiefes, schwer zu Ergründendes handelt wie die göttliche Gerechtigkeit und ihre Entscheidungen und Rechtssprüche. Wenn mir diese vor Augen gestellt werden, wenn ich einen Blick dahinein tun darf, wird mein Herz zum Lobe und Preise Gottes angeregt. Ich will dein Schüler, ich will dein Sänger sein; mein aufrichtiges Herz soll deine Gerechtigkeit lobpreisen, mein geläutertes Urteil deine Urteile bewundern. Die göttliche Vorsehung ist ein Buch voller Weisheit, und für die Gottesfürchtigen, die rechten Herzens sind, ist sie ein Liederbuch voll herrlicher Weisen zum Lobe Jehovahs. Gottes Wort zeigt uns auf jeder Seite Beispiele seiner guten und rechten Führungen; müssen wir darüber nicht in heiliger Freude erschauern, in lautes Loben und Danken ausbrechen? Wenn uns Gottes Gerechtigkeit kund wird und wir uns daran erfreuen, so ist das für uns ein doppelter Anlass zum Lobsingen, einem Singen, in dem nichts Gezwungenes, nichts Unwahres, nichts Mattes und Laues zu finden ist, denn es kommt aus einem aufrichtigen Herzen.
Fußnote
3. Der Ausdruck zu Schanden werden, wie er heute im Gebrauch ist, entspricht nicht dem Sinne, in welchem Luther ihn gebraucht, ebenso wenig dem Sinne des hebräischen Wortes $ObI. Der Grundbegriff im hebräischen Worte ist "Scham, Schande"; das Wort heißt hier: enttäuscht werden, dabei aber auch von anderen Spott, Tadel, Verachtung erfahren.
Manche Menschen sind wohl voll Eifers, sind es aber in ihrem Aberglauben und in selbsterwählter Geistlichkeit (Kol. 2,23). Setzen wir doch hingegen allen Eifer daran, Gottes Gebote zu halten. Es hat keinen Zweck zu eilen, wenn man auf falschem Wege ist. Mancher schon hat alle seine Kraft an eine von vornherein verlorene Sache gewandt; je mehr er arbeitete und sich abmühte, umso größer wurden seine Verluste. Im Geschäftsleben ist so etwas schon schlimm genug, auf religiösem Gebiet aber dürfen wir es uns keinesfalls leisten. Gott hat uns nicht befohlen, Gebote aufzustellen, sondern seine Befehle zu halten. Mancher legt seinem eigenen Nacken ein Joch auf oder schmiedet Fesseln für andere. Der Kluge aber begnügt sich mit den Vorschriften der Heiligen Schrift und lässt es sich angelegen sein, diese alle bei allen Gelegenheiten, gegen alle Menschen und unter allen Umständen zu halten. Wer das nicht tut, der mag in seiner selbsterfundenen Religion berühmt werden, er hat aber Gottes Gebote nicht erfüllt und wird deshalb ihm nicht wohlgefällig sein.
Der Psalmist hat im Anfange von anderen Menschen, in der dritten Person, geredet: Wohl denen, die seine Zeugnisse halten, die auf seinen Wegen wandeln, die tun kein Übel. Aber er wird sehr schnell persönlich. Vers 4 bildet den Übergang dazu, hier heißt es allgemein: Du hast geboten, und schon im nächsten Vers hören wir ihn dann nur noch für sich und über sich selbst reden. Wenn die Sehnsucht nach Heiligung in uns brennend geworden ist, dann begehren wir auch, an uns selbst Erfolge und Fortschritte zu spüren. Das göttliche Wort ist etwas, das ans Herz greift, und wenn wir erst einmal dahin gekommen sind, in sein Lob mit einzustimmen, so werden wir seinen Einfluss auch bald an uns selbst merken; wir kommen dahin zu bitten, dass auch wir dem darin aufgestellten Vorbilde ähnlich gestaltet werden.
5. O dass mein Leben deine Rechte mit ganzem Ernst hielte! Auch in der Wahl dessen, worum wir beten, sollen wir uns von Gottes Wort leiten lassen. Aus uns selbst vermögen wir nicht, seine Rechte so zu halten, wie er es von uns verlangt und wie wir selbst gern möchten: was bleibt uns für ein Mittel als das Gebet? Wir müssen den HERRN bitten, seine Werke in uns zu wirken, sonst werden wir nie seine Befehle ausführen können. Dieser Vers ist ein Seufzer im Bewusstsein der Schuld, denn der Psalmist fühlt, dass er Gottes Rechte nicht mit ganzem Ernst gehalten hat; sodann ist er ein Seufzer im Bewusstsein der eigenen Schwäche, ein Hilferuf zu dem, der helfen kann, ein Angstruf des Verirrten nach einem Führer; es ist aber auch eine Bitte des Glaubens aus einem Herzen, das den HERRN liebt und vertrauensvoll auf seinen gnädigen Beistand hofft.
O dass meine Wege dahin gerichtet seien, deine Rechte (immer) zu halten, so lautet im Grundtext der Vers. Unsere Wege sind von Natur den Wegen Gottes entgegengesetzt. Gottes Gnade muss sie in eine ganz andere Richtung lenken, sonst führen sie uns hinab ins Verderben. Der HERR vermag es, unseren Sinn und Willen zu lenken, ohne das Recht der freien Selbstbestimmung dabei zu verletzen, und wenn wir ihn darum bitten, so tut er es auch; ja wenn einer diesen Vers von Herzen mitbeten kann, so ist in ihm damit schon der Anfang gemacht. Das Herz möchte gerne schon jetzt, jetzt gleich heilig, vollkommen sein; o dass mein Leben deine Rechte jetzt, heute, in diesem Augenblick hielte. Aber auch in der Zukunft sollen unsere Wege von Gott gerichtet werden, seine Gebote zu halten; die Bitte enthält auch das Verlangen nach Gottes Gnadenhilfe für alle kommenden Zeiten.
Dieser fünfte Vers ist ein richtiges Gebet, wenn er auch nicht die äußere Form eines solchen hat. Wunsch und Sehnsucht sind ihrer Natur nach dem bittenden Flehen nahe verwandt. Die Form des Ausdrucks ist Nebensache. Solch ein "O dass doch" kann ein ebenso wohlgefälliges Gebet sein wie ein Vaterunser.
Solche Sehnsucht wird in uns geweckt, wenn wir uns die Seligkeit eines heiligen Lebenswandels und die Lichtgestalt eines wahrhaft Gottesfürchtigen vor Augen stellen und uns in andächtiger Ehrfurcht vor Gottes Geboten beugen. Sie bedeutet eben die Anwendung dieser Wahrheiten aufs eigene Leben. O dass mein Leben usw. Es wäre zu wünschen, dass alle, die Gottes Wort hören und lesen, diesem Beispiel folgten. Wir hätten mehr Täter des Wortes, wenn wir mehr Beter hätten, mehr Seelen, die seufzen und rufen um den göttlichen Gnadenbeistand zu solchem Tun.
6. Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zu Schanden.3 Das Beschämtwerden hat der Psalmist kennen gelernt, und er freut sich der Aussicht, davon fernerhin befreit zu werden. Die Sünde ist das, was Scham und Schande bringt, und wenn die Sünde weggetan ist, dann ist auch alle Ursache zur Scham beseitigt. Welch eine befreiende Tat wird dies sein; denn für viele ist Schande schlimmer als der Tod. Wenn ich schaue auf alle deine Gebote (wörtl.): wenn ich diese ansehe, dann werde ich auch angesehen. Achtung vor Gott und seinen Geboten schafft Selbstachtung und Achtung bei anderen. Und jede einzelne Übertretung, jeder Fall hat im Gefolge Verzagtheit und Scham. Wenn du erröten musst, wenn du erbleichst, ist im letzten Grunde die Sünde die Ursache. Und wenn vor niemand sonst, so muss ich mich vor mir selber schämen, wenn ich Böses tue. Unsere ersten Eltern wussten nichts von Scham, bis sie die alte Schlange kennen lernten; und sie wurden dieses Gefühl nicht eher los, als bis Gott selbst in seiner Gnade ihre Schande mit dem Fell des Sühnopfers bedeckt hatte. Und auch wir haben uns stets zu schämen, solange nicht jede Sünde abgetan, alle Gerechtigkeit erfüllt ist. Wenn wir den Willen Gottes allezeit und überall vor Augen und im Herzen haben, dann können wir auch uns selbst im Spiegel des Gesetzes betrachten und brauchen vor keinem Menschen oder Teufel zu erröten, mag auch ihre Bosheit noch so geschäftig sein, uns jede einzelne unserer Versündigungen vorzuhalten.
Viele Menschen haben unter einem übergroßen Mangel an Selbstvertrauen zu leiden. Unser Vers bietet ein Mittel dagegen. Stetes Bewusstsein unserer Pflicht verleiht uns Kühnheit; wir werden uns fürchten, Furcht zu empfinden. Keine Scham vor Menschen wird uns hindernd in den Weg treten, wenn die Furcht vor Gott unser Herz erfüllt. Wenn wir am hellen Tage und in königlichem Dienst und Auftrage auf unseres Königs Heerstraße dahinziehen, so brauchen wir keinen Menschen um Erlaubnis zu fragen. Wir würden unseren irdischen König schlecht ehren, wollten wir uns schämen, des Königs Rock zu tragen und seiner Fahne zu folgen; nie sollte solche Scham die Wangen eines Christen röten, und das wird auch nicht geschehen, wenn er die rechte Ehrfurcht vor dem HERRN, seinem Gott, hat. An einem Leben der Heiligkeit ist nichts, dessen man sich zu schämen hätte; ein Mensch mag sich seines Stolzes, seines Reichtums, seiner eigenen Kinder schämen müssen, dass er aber in allen Dingen auf die Gebote des HERRN geschaut, sie beachtet hat, das wird ihm nie Veranlassung zum Schämen geben.
Beachten wir, dass David nur dann darauf rechnet, vor dem Zuschandenwerden sicher zu sein, wenn er allein auf Gottes Gebote schaut, oder, wie es wörtlich heißt, alle Gebote Gottes beachtet. Übersieh auch du dies Wörtlein "alle" nicht, du darfst dir keines seiner Gebote schenken. Bei einem halben oder Dreiviertel-Gehorsam haben wir stets damit zu rechnen, dass wir für das, was wir vernachlässigt haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn einer auch tausend Tugenden und Vorzüge besitzt, so kann doch ein einziger Fehltritt ihn gründlich zu Schanden werden lassen.
Einem armen Sünder, der schon ganz an sich und allem verzweifelt, mag es unglaublich erscheinen, dass er je das Gefühl bitterer Scham loswerden könne, das ihn niederdrückt, so dass er glaubt, nie wieder seine Augen frei erheben zu können. Zeigt ihm diese Stelle: Ich werde nicht zu Schanden werden. David schreibt hier mit vollem Bewusstsein, er träumt nicht, auch schildert er nicht einen unmöglichen Fall. Glaube nur fest, lieber Christ, dass der Heilige Geist in dir das Ebenbild Gottes wiederherstellen kann, so dass du wieder furchtlos dein Haupt erheben kannst. O es ist etwas Köstliches um die Heiligung, die uns lehrt, auf des HERRN Wegen zu wandeln; denn diese verleiht uns auch das Gefühl der Sicherheit Gott und den Menschen gegenüber, so dass wir keine Schamröte mehr zu fürchten haben.
7. Ich danke dir. Es ist kein weiter Weg vom Bitten zum Danken, und gewiss wird der, der heute noch um Heiligung betet, eines Tages für Seligkeit zu danken haben. Wenn das Gefühl der Schande geschwunden ist, dann wird der bis dahin schweigende Mund geöffnet und ruft aus: Ich danke dir. Und er weiß ganz genau, wem er seinen Dank darzubringen hat. Er spricht: Ich danke dir. Denn Gott, und ihm allein, gebührt Dank und Preis. An seiner Schuld misst er Gottes Huld; sein Schmerz, die Schmach seiner Sünde zeigt ihm, was er dem HERRN verdankt, der ihn aus dem elendesten zu einem glücklichen Menschen gemacht und ihn erst die rechte Lebenskunst gelehrt hat.
Von rechtem Herzen. Das Herz wird recht, wird in Ordnung sein, wenn der HERR es lehrt, und dann wird dies Herz seinen Lehrer preisen. Es gibt auch ein falsches, heuchlerisches Preisen, und das ist dem HERRN ein Gräuel; aber nichts ist wohllautender als die Lobgesänge aus einem reinen Herzen, das in Gottes Gerechtigkeit steht. Ein rechtes Herz wird nie den Dank gegen Gott vergessen, denn die dankende Anbetung ist ein Teil seiner Gerechtigkeit. Kein Mensch ist rechtschaffen, wenn er es nicht vor Gott ist, und dazu gehört auch, dass er Gott den schuldigen Dank bezahle.
Dass du mich lehrest die Rechte deiner Gerechtigkeit. Wenn wir etwas Rechtes lernen sollen, so muss der HERR selbst unser Lehrer sein, besonders aber, wenn es sich um etwas so Tiefes, schwer zu Ergründendes handelt wie die göttliche Gerechtigkeit und ihre Entscheidungen und Rechtssprüche. Wenn mir diese vor Augen gestellt werden, wenn ich einen Blick dahinein tun darf, wird mein Herz zum Lobe und Preise Gottes angeregt. Ich will dein Schüler, ich will dein Sänger sein; mein aufrichtiges Herz soll deine Gerechtigkeit lobpreisen, mein geläutertes Urteil deine Urteile bewundern. Die göttliche Vorsehung ist ein Buch voller Weisheit, und für die Gottesfürchtigen, die rechten Herzens sind, ist sie ein Liederbuch voll herrlicher Weisen zum Lobe Jehovahs. Gottes Wort zeigt uns auf jeder Seite Beispiele seiner guten und rechten Führungen; müssen wir darüber nicht in heiliger Freude erschauern, in lautes Loben und Danken ausbrechen? Wenn uns Gottes Gerechtigkeit kund wird und wir uns daran erfreuen, so ist das für uns ein doppelter Anlass zum Lobsingen, einem Singen, in dem nichts Gezwungenes, nichts Unwahres, nichts Mattes und Laues zu finden ist, denn es kommt aus einem aufrichtigen Herzen.
Fußnote
3. Der Ausdruck zu Schanden werden, wie er heute im Gebrauch ist, entspricht nicht dem Sinne, in welchem Luther ihn gebraucht, ebenso wenig dem Sinne des hebräischen Wortes $ObI. Der Grundbegriff im hebräischen Worte ist "Scham, Schande"; das Wort heißt hier: enttäuscht werden, dabei aber auch von anderen Spott, Tadel, Verachtung erfahren.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
8. Deine Rechte will ich halten. Ein ruhiger, besonnener Entschluss. Wenn die laute Begeisterung des Lobens und Preisens sich zu stillen, aber gediegenen Entschlüssen besänftigt, dann steht es wohl. Ein Eifer, der nicht über das Lobsingen hinauskommt, der es zu keinem ernstlichen Wollen und Tun bringt, hat wenig Wert. Zu dem "Ich danke dir, ich lobsinge dir" gehört durchaus das: Ich will halten. Solch ein fester Entschluss ist noch lange keine Selbstüberhebung wie des Petrus rasches Wort: "Wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen"; folgt doch sofort ein demütiges Gebet um Gottes Hilfe: Verlass mich nimmermehr (oder: nicht gar). Der Psalmist fühlt sein gänzliches Unvermögen, er zittert bei dem Gedanken, auf sich und seine Kraft angewiesen zu sein, denn das kann nur zu Rückfällen in das alte Sündenleben führen. In Verbindung mit diesem Hilferuf aus der Tiefe bekommt sein Gelübde "Ich will deine Rechte halten" einen ganz anderen Klang. Solche Entschlossenheit und solche Empfindung der Abhängigkeit von Gottes Gnadenbeistand geben miteinander verschmolzen das beste Glockenmetall von reinstem Tone. Wir finden in unseren Gemeinden manchmal Leute, die wohl recht demütig beten, aber nicht mit frischen Entschlüssen, mit kräftigem Wollen und Handeln aus dem Gebetskämmerlein heraus ins Leben treten; daneben gibt es aber noch viel mehr Menschen mit den besten Entschlüssen, dem festesten Wollen, die aber von der Notwendigkeit des göttlichen Beistandes nichts wissen. Das eine ist ebenso kläglich wie das andere. Der HERR wolle in uns das rechte Gemisch von Mut und Demut herstellen, auf dass wir seien vollkommen und ganz und keinen Mangel haben.
Und sicherlich ist die Bitte unseres Verses ein Gebet, das Erhörung findet. Denn sollte es nicht Gott wohlgefallen,wenn jemand sich vornimmt, seinen Willen zu tun? Mit einem solchen wird er gerne sein und ihm helfen, dass er sein Vornehmen auch ausführe. Wie könnte er einen verlassen, der seine Gebote nicht verlässt?
Die Furcht, von Gott verlassen zu werden, wirft einen dunklen Schatten auf dieses letzte Gebet. Und wohl mag eine Seele aufschreien, wenn sie sich solchem unseligen Schicksale gegenüber sieht. Eine Zeit lang sich selbst überlassen zu sein, um sich seiner eigenen Schwachheit bewusst zu werden, ist schon eine schwere Heimsuchung; aber gänzliches Verlassensein wäre gleichbedeutend mit Verderben. Schwer genug ist es schon zu ertragen, wenn der HERR sein Angesicht im Augenblicke des Zornes auch nur ein wenig vor uns verbirgt; sich völlig von ihm aufgegeben zu wissen, wäre die Hölle für alle Ewigkeit. Aber der HERR hat die Seinen noch nie ganz verlassen, und er wird sie nie verlassen, gelobt sei sein heiliger Name. Wenn wir danach begehren, seine Rechte zu halten, wird er uns halten, ja, seine Gnade wird uns festhalten auf dem Wege des Gehorsams gegen seine Gebote.
Aus der Höhe in die Tiefe führen uns die ersten acht Verse, von dem Berge der Seligpreisungen im Anfange hinab zu dem Angstruf am Schlusse. Aber solches Hinabsteigen ist ein geistliches Wachsen; denn vom bewundernden Betrachten eines gottesfürchtigen Wandels erhebt sich die Seele zur heißen Sehnsucht nach Gott und der Gemeinschaft mit ihm und kennt nun keine andere Furcht, als dass ihr Sehnen nicht in Erfüllung gehen möchte. Der Seufzer des fünften Verses wird zu einem inbrünstigen Gebet aus der Tiefe des Herzens, das sich der Abhängigkeit von der Gnade des HERRN wohl bewusst ist. Das "Ich will" musste als Zugabe das Eingeständnis der eigenen Schwäche erhalten, sonst könnte es scheinen, dass, der so sprach, sich allzu sehr auf seinen eigenen Entschluss verließ. So bringt er seine Vorsätze als Opfer dar, erfleht aber Feuer vom Himmel, seine Opfergabe zu entzünden.
Erläuterungen und Kernworte
V. 1-8. Das achtfache ) (A): Selig, die sich nach Gottes Wort halten. Der Dichter wünscht, einer derselben zu sein.
1. All Heil denen, deren Wege unsträflich,
Die einhergehen im Gesetze Jahves!
2. All Heil denen, die seine Zeugnisse wahrnehmen,
Die mit ganzem Herzen sich sein befleißen,
3. Auch nicht verüben Ungerechtigkeit -
Auf seinen Wegen gehen sie einher.
4. Anbefohlen hast du deine Ordnungen,
Sie zu beobachten ernstlich.
5. Ach dass doch meine Wege gerichtet wären
Zu beobachten deine Satzungen!
6. Alsdann werd’ ich nicht zu Schanden werden,
Wenn ich hinblicke auf all deine Gebote.
7. Aufrichtigen Herzens will ich dir danken,
Wenn ich lerne die Rechte deiner Gerechtigkeit.
8. An deine Satzungen werd’ ich mich halten,
Mögst du mich nur nicht gar verlassen.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Diese acht Verse wollen uns lehren, dass die wahre Frömmigkeit aufrichtig, folgerichtig, lebendig, herzlich, vernünftig, eifrig, tätig, unternehmend, emsig, demütig, misstrauisch gegen sich selbst, klug und ohne Falsch, unbefleckt von der Welt, selbstverleugnend, gottvertrauend, dankfreudig, willig im Gehorsam ist und stets bereit, anzuerkennen, dass sie ohne göttliche Gnade nichts vermag. Sie zeigen uns weiter, wie groß die Sünde des Unglaubens gegen Gottes Wort ist. Es ist ein Gesetz, und der Unglaube versagt ihm den Gehorsam; es ist ein Zeugnis, der Unglaube verweigert seinem Urheber den Glauben. Es gebietet gerechten Lebenswandel, er weigert sich, dem nachzukommen, es gibt Vorschriften, der Unglaube befolgt sie nicht, es stellt Gebote auf, er lehnt sich dagegen auf, es ist überreich an frommen Aussprüchen, an trefflichen Geboten, er will nichts davon wissen. Er will nicht bitten, er will nicht danken, er fühlt nicht seine Hilfsbedürftigkeit, seine Schwäche, seine Ohnmacht, er blickt nicht nach oben, zu dem Vater des Lichtes, von dem alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt. William Swan Plumer † 1880.
V. 1. Wohl denen. Glückseligkeit ist es ja, was wir alle erstreben; nur sind wir leider unwissend oder gleichgültig hinsichtlich des einzuschlagenden Weges. Deswegen will uns der heilige Psalmist vor allem klar machen, was eigentlich unter einem glückseligen Menschen zu verstehen sei. Glückselig sind die unbefleckten Wandels, die im Gesetz des HERRN wandeln. Thomas Manton † 1677.
Wohl denen. Glücklich sein ist ein so hohes Gut, dass sowohl die Guten als die Bösen es erstreben. Und es ist nicht zu verwundern, dass die Guten um deswillen gut sind, aber das ist verwunderlich, dass die Bösen um deswillen böse sind, weil sie glücklich sein wollen. Denn jeder, der den Lüsten ergeben, in Wollust und Lastern verdorben ist, der sucht in diesem Schlechten sein Glück und hält sich für unglücklich, wenn er nicht zum Genuss und zur Freude an seinen Gelüsten gelangt. Diese Irregehenden, die eine falsche Glückseligkeit durch wirkliches Unglück zu erlangen suchen, ruft diese Gottesstimme, wenn sie sie nur hören wollten, auf den rechten Weg zurück. Aurelelius Augustinus † 430.
Hier zeigt uns der Herr, der am Jüngsten Tage das "Wohl" und das "Wehe", das "Selig" und das "Verflucht" über alle einzelnen Menschen ausspricht, wer die Seligen, wer die Verfluchten sind. Was für einen Trost gibt es noch für die, zu denen der Herr sagen wird: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten? Wohin sollen sie gehen, wenn der Herr ihnen solches zuruft? Und welch größeres Glück kann einem Menschen widerfahren, als aus dem Munde des Weltenrichters das Wort zu vernehmen: Komm her, du Gesegneter? O möchten wir doch so weise sein, dies zu bedenken, solange es noch Zeit ist, so dass wir danach trachten, zu denen zu gehören, die Gott in seinem Worte gesegnet hat. William Cowper † 1619.
Die ohne Tadel leben, deren Weg unsträflich ist, wie es wörtlich heißt. Wie können wir unsere Kleider unbefleckt erhalten? Wir können uns nicht selbst führen, ohne Führung straucheln wir und stolpern in jede Pfütze der Unreinheit. Aber wir haben alle Hilfe, die wir brauchen, in der Nähe. Jesus ist da, uns zu halten mit seiner Kraft. Stützen wir uns auf seinen starken Arm bei jedem Schritt, und wenn wir gefallen sind, so wollen wir wieder aufstehen und unsere Kleider in der reinigenden Flut seines Blutes waschen. So können wir immer unter der Zahl der unbefleckt Wandelnden sein, und dieser Weg, auf dem wir wandeln, sei das Gesetz des HERRN in seiner lieblichen Reinheit, in seiner herrlichen Heiligkeit, in seiner vollkommenen Liebe. Jesus ist unser Vorbild, unser Ein und Alles. Gottes Gesetz war in seinem Herzen. Henry Law 1878.
Man spricht viel vom Wege zum Glück, man fragt: Welcher ist der rechte Weg? Die einen geben diesen, die anderen jenen an. Willst du sicher gehen, so frage nach dem alten Wege, dem Wege der Heiligkeit, den verfolge, so wirst du nicht verloren gehen. Manche möchten einen kürzeren Weg einschlagen, manche einen neuen, manche einen bequemeren, du aber wähle den heiligen Weg. John Sheffield 1660.
Die im Gesetze des HERRN wandeln, die nicht stehen bleiben, nicht ausruhen, nicht zurückschauen, sondern immer weitergehen, vorwärts in gleichmäßigem Schritte der Vollkommenheit zu. Mart. Geier † 1681.
V. 2. Im ersten Vers wird ein Mensch als glückselig bezeichnet infolge seines Handelns, in diesem zweiten Vers infolge seines Herzenszustandes. Thomas Manton † 1677.
Das Wort Gottes wird an dieser Stelle Gottes Zeugnisse genannt. Darunter ist die ganze Offenbarung von Gottes Willen in Lehren, Geboten, Exempeln, Drohungen und Verheißungen zu verstehen. Die ganze Schrift ist das Zeugnis, das Gott zugunsten der Welt von dem Wege zu ihrer Erlösung abgelegt hat. Da nun das Wort Gottes sich in zwei Teile verzweigt, das Gesetz und das Evangelium, so kann dieses Wort Zeugnis auch für beide angewendet werden. Das Gesetz war dem Menschen ins Herz geschrieben, aber das Evangelium ist etwas Neues, Fremdes. Der Vernunft ist das Gesetz begreiflich, sie erfasst die Dinge, die ins sittliche oder Verstandes-Gebiet gehören; aber die Wahrheiten des Evangeliums sind ihr ein Geheimnis, sie hängen einzig von dem Zeugnisse ab, das Gott von seinem Sohn abgelegt hat. Thomas Manton † 1677.
Wohl denen, die ihn von ganzem Herzen suchen. Nicht die sich selbst weise dünken oder sich eine eigene Art von Heiligkeit ausdenken, sondern die sich dem Bunde mit Gott weihen und den Geboten seines Gesetzes Gehorsam zollen. Und weiter will er uns mit diesen Worten sagen, dass Gott durchaus nicht mit einem bloß äußerlichen Dienste zufrieden ist; er verlangt aufrichtige, ungeteilte Hingabe des ganzen Herzens. Und sicherlich, wenn Gott der einzige Richter und Herr unseres Lebens ist, so muss die Wahrheit die Hauptstelle in unseren Herzen einnehmen; es genügt nicht, bloß die Füße und Hände in seinen Dienst begeben zu haben. Jean Calvin † 1564.
Von ganzem Herzen. Wer ganze, volle Glückseligkeit besitzen will, muss ein ganzes, ein ungeteiltes Herz besitzen, dessen Denken und Empfinden nach einer bestimmten Seite gerichtet ist. Und so viel Aufrichtigkeit da zu finden ist, so viel Glückseligkeit wird auch da sein; und wiederum, nach dem Maße unserer Unaufrichtigkeit wird sich auch unsere Unglückseligkeit bemessen. R. Greenham † 1591.
Das Suchen Jehovahs geht hier auf die Erforschung seines Willens, der im Gesetz seinen Ausdruck gefunden hat. Prof. Friedrich Baethgen 1904.
V. 3. Die tun kein Übel. Zum Übeltun (Verüben der Ungerechtigkeit) gehört dreierlei: erstens die Absicht, es zu tun, zweitens die Freude daran, drittens das Wiederholen. Bei den Gottesfürchtigen trifft dies nie zusammen. Sie erleiden mehr die Sünde wider ihren Willen, sind unglücklich darüber, als dass sie mit Willen Sünde tun. William Cowper † 1619.
Sie tun kein Übel, nämlich die durch die Gnade erneuert, mit Gott versöhnt sind; ihnen rechnet Gott die Sunde nicht zu, in diesem Sinne tun sie kein Übel. Merkwürdig ist in dieser Beziehung, was die Schrift von David sagt (1. Könige 14,8): Der meine Gebote hielt und wandelte mir nach von ganzem Herzen, dass er tat, was mir nur wohlgefiel. Wie kann dies richtig sein? Wir finden David auf mancherlei Abwegen, überall in der Schrift wird davon berichtet, und hier wird ein Schleier darüber gedeckt: Gott rechnet sie ihm nicht zu. Wie kommt das, dass den Gerechten ihre Versündigungen nicht angerechnet werden? Weil sie in Christo sind und in solchen keine Verdammnis ist. Ihr ganzes Sinnen und Denken ist darauf gerichtet, Gottes Willen zu tun. Der Gottlose aber sündigt mit Überlegung, mit Vorbedacht, dient den Begierden und mancherlei Wollüsten. Nicht so der Wiedergeborene. Er mag von der Sünde überrascht, übermannt werden, aber es ist gegen seinen Willen und kommt nur mehr gelegentlich vor, so wie gutes, fruchtbares Ackerland wohl einmal vom Hochwasser überschwemmt werden kann, aber Sumpfland steht immer unter Wasser. Und wenn der Fromme gesündigt hat, so bereut er, sein Gewissen straft ihn, er geht hinaus und weint bitterlich. Thomas Manton † 1677.
Sie tun kein Übel, (sondern) wandeln auf seinen Wegen. (Wörtl.) Das Letztere straft die, die sich beim bloßen Nichttun beruhigen. Über einen Fürsten hat sein Geschichtsschreiber das Urteil abgegeben: Er war nicht eigentlich lasterhaft. Viele Menschen bringen es in ihrer Religion nie über solches Nicht hinaus: Ich bin nicht wie dieser Zöllner. Nicht bloß der ungetreue Knecht, der seine Mitknechte schlug und schwelgte und prasste, wird in die Hölle geworfen, sondern auch der träge, der zwar nichts Böses tat, aber sein Pfund im Schweißtuche vergrub. Der reiche Mann hat dem armen Lazarus und anderen Armen nichts zuleide getan. Du hast keine anderen Götter neben dem HERRN, wie du sagst; aber liebst du Gott, deinen HERRN, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte? Du fluchst nicht und missbrauchst nicht Gottes Namen, aber rufst du auch seinen Namen in allen Nöten an, lobsingst und dankst du ihm? Du entheiligst den Sabbat nicht, aber heiligst du ihn? Du verrichtest da keine grobe Arbeit, du machst vielleicht keine rauschenden Vergnügungen mit; aber verbringst du etwa den Tag des Herrn in trägem Nichtstun? Du behandelst deine Eltern nicht unfreundlich oder gar schlecht, aber ehrst du sie wirklich? Gemordet hast du noch nicht, aber hilfst du deinem Nächsten wirklich in allen Leibesnöten? Gehe alle Gebote durch, hast du sie wirklich so befolgt, wie der HERR sie befolgt haben will? Thomas Manton † 1677.
Auf seinen Wegen, nicht auf denen seiner Feinde, aber auch nicht auf ihren eigenen, selbst erwählten. Joseph Addison Alexander † 1860.
Und sicherlich ist die Bitte unseres Verses ein Gebet, das Erhörung findet. Denn sollte es nicht Gott wohlgefallen,wenn jemand sich vornimmt, seinen Willen zu tun? Mit einem solchen wird er gerne sein und ihm helfen, dass er sein Vornehmen auch ausführe. Wie könnte er einen verlassen, der seine Gebote nicht verlässt?
Die Furcht, von Gott verlassen zu werden, wirft einen dunklen Schatten auf dieses letzte Gebet. Und wohl mag eine Seele aufschreien, wenn sie sich solchem unseligen Schicksale gegenüber sieht. Eine Zeit lang sich selbst überlassen zu sein, um sich seiner eigenen Schwachheit bewusst zu werden, ist schon eine schwere Heimsuchung; aber gänzliches Verlassensein wäre gleichbedeutend mit Verderben. Schwer genug ist es schon zu ertragen, wenn der HERR sein Angesicht im Augenblicke des Zornes auch nur ein wenig vor uns verbirgt; sich völlig von ihm aufgegeben zu wissen, wäre die Hölle für alle Ewigkeit. Aber der HERR hat die Seinen noch nie ganz verlassen, und er wird sie nie verlassen, gelobt sei sein heiliger Name. Wenn wir danach begehren, seine Rechte zu halten, wird er uns halten, ja, seine Gnade wird uns festhalten auf dem Wege des Gehorsams gegen seine Gebote.
Aus der Höhe in die Tiefe führen uns die ersten acht Verse, von dem Berge der Seligpreisungen im Anfange hinab zu dem Angstruf am Schlusse. Aber solches Hinabsteigen ist ein geistliches Wachsen; denn vom bewundernden Betrachten eines gottesfürchtigen Wandels erhebt sich die Seele zur heißen Sehnsucht nach Gott und der Gemeinschaft mit ihm und kennt nun keine andere Furcht, als dass ihr Sehnen nicht in Erfüllung gehen möchte. Der Seufzer des fünften Verses wird zu einem inbrünstigen Gebet aus der Tiefe des Herzens, das sich der Abhängigkeit von der Gnade des HERRN wohl bewusst ist. Das "Ich will" musste als Zugabe das Eingeständnis der eigenen Schwäche erhalten, sonst könnte es scheinen, dass, der so sprach, sich allzu sehr auf seinen eigenen Entschluss verließ. So bringt er seine Vorsätze als Opfer dar, erfleht aber Feuer vom Himmel, seine Opfergabe zu entzünden.
Erläuterungen und Kernworte
V. 1-8. Das achtfache ) (A): Selig, die sich nach Gottes Wort halten. Der Dichter wünscht, einer derselben zu sein.
1. All Heil denen, deren Wege unsträflich,
Die einhergehen im Gesetze Jahves!
2. All Heil denen, die seine Zeugnisse wahrnehmen,
Die mit ganzem Herzen sich sein befleißen,
3. Auch nicht verüben Ungerechtigkeit -
Auf seinen Wegen gehen sie einher.
4. Anbefohlen hast du deine Ordnungen,
Sie zu beobachten ernstlich.
5. Ach dass doch meine Wege gerichtet wären
Zu beobachten deine Satzungen!
6. Alsdann werd’ ich nicht zu Schanden werden,
Wenn ich hinblicke auf all deine Gebote.
7. Aufrichtigen Herzens will ich dir danken,
Wenn ich lerne die Rechte deiner Gerechtigkeit.
8. An deine Satzungen werd’ ich mich halten,
Mögst du mich nur nicht gar verlassen.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Diese acht Verse wollen uns lehren, dass die wahre Frömmigkeit aufrichtig, folgerichtig, lebendig, herzlich, vernünftig, eifrig, tätig, unternehmend, emsig, demütig, misstrauisch gegen sich selbst, klug und ohne Falsch, unbefleckt von der Welt, selbstverleugnend, gottvertrauend, dankfreudig, willig im Gehorsam ist und stets bereit, anzuerkennen, dass sie ohne göttliche Gnade nichts vermag. Sie zeigen uns weiter, wie groß die Sünde des Unglaubens gegen Gottes Wort ist. Es ist ein Gesetz, und der Unglaube versagt ihm den Gehorsam; es ist ein Zeugnis, der Unglaube verweigert seinem Urheber den Glauben. Es gebietet gerechten Lebenswandel, er weigert sich, dem nachzukommen, es gibt Vorschriften, der Unglaube befolgt sie nicht, es stellt Gebote auf, er lehnt sich dagegen auf, es ist überreich an frommen Aussprüchen, an trefflichen Geboten, er will nichts davon wissen. Er will nicht bitten, er will nicht danken, er fühlt nicht seine Hilfsbedürftigkeit, seine Schwäche, seine Ohnmacht, er blickt nicht nach oben, zu dem Vater des Lichtes, von dem alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt. William Swan Plumer † 1880.
V. 1. Wohl denen. Glückseligkeit ist es ja, was wir alle erstreben; nur sind wir leider unwissend oder gleichgültig hinsichtlich des einzuschlagenden Weges. Deswegen will uns der heilige Psalmist vor allem klar machen, was eigentlich unter einem glückseligen Menschen zu verstehen sei. Glückselig sind die unbefleckten Wandels, die im Gesetz des HERRN wandeln. Thomas Manton † 1677.
Wohl denen. Glücklich sein ist ein so hohes Gut, dass sowohl die Guten als die Bösen es erstreben. Und es ist nicht zu verwundern, dass die Guten um deswillen gut sind, aber das ist verwunderlich, dass die Bösen um deswillen böse sind, weil sie glücklich sein wollen. Denn jeder, der den Lüsten ergeben, in Wollust und Lastern verdorben ist, der sucht in diesem Schlechten sein Glück und hält sich für unglücklich, wenn er nicht zum Genuss und zur Freude an seinen Gelüsten gelangt. Diese Irregehenden, die eine falsche Glückseligkeit durch wirkliches Unglück zu erlangen suchen, ruft diese Gottesstimme, wenn sie sie nur hören wollten, auf den rechten Weg zurück. Aurelelius Augustinus † 430.
Hier zeigt uns der Herr, der am Jüngsten Tage das "Wohl" und das "Wehe", das "Selig" und das "Verflucht" über alle einzelnen Menschen ausspricht, wer die Seligen, wer die Verfluchten sind. Was für einen Trost gibt es noch für die, zu denen der Herr sagen wird: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten? Wohin sollen sie gehen, wenn der Herr ihnen solches zuruft? Und welch größeres Glück kann einem Menschen widerfahren, als aus dem Munde des Weltenrichters das Wort zu vernehmen: Komm her, du Gesegneter? O möchten wir doch so weise sein, dies zu bedenken, solange es noch Zeit ist, so dass wir danach trachten, zu denen zu gehören, die Gott in seinem Worte gesegnet hat. William Cowper † 1619.
Die ohne Tadel leben, deren Weg unsträflich ist, wie es wörtlich heißt. Wie können wir unsere Kleider unbefleckt erhalten? Wir können uns nicht selbst führen, ohne Führung straucheln wir und stolpern in jede Pfütze der Unreinheit. Aber wir haben alle Hilfe, die wir brauchen, in der Nähe. Jesus ist da, uns zu halten mit seiner Kraft. Stützen wir uns auf seinen starken Arm bei jedem Schritt, und wenn wir gefallen sind, so wollen wir wieder aufstehen und unsere Kleider in der reinigenden Flut seines Blutes waschen. So können wir immer unter der Zahl der unbefleckt Wandelnden sein, und dieser Weg, auf dem wir wandeln, sei das Gesetz des HERRN in seiner lieblichen Reinheit, in seiner herrlichen Heiligkeit, in seiner vollkommenen Liebe. Jesus ist unser Vorbild, unser Ein und Alles. Gottes Gesetz war in seinem Herzen. Henry Law 1878.
Man spricht viel vom Wege zum Glück, man fragt: Welcher ist der rechte Weg? Die einen geben diesen, die anderen jenen an. Willst du sicher gehen, so frage nach dem alten Wege, dem Wege der Heiligkeit, den verfolge, so wirst du nicht verloren gehen. Manche möchten einen kürzeren Weg einschlagen, manche einen neuen, manche einen bequemeren, du aber wähle den heiligen Weg. John Sheffield 1660.
Die im Gesetze des HERRN wandeln, die nicht stehen bleiben, nicht ausruhen, nicht zurückschauen, sondern immer weitergehen, vorwärts in gleichmäßigem Schritte der Vollkommenheit zu. Mart. Geier † 1681.
V. 2. Im ersten Vers wird ein Mensch als glückselig bezeichnet infolge seines Handelns, in diesem zweiten Vers infolge seines Herzenszustandes. Thomas Manton † 1677.
Das Wort Gottes wird an dieser Stelle Gottes Zeugnisse genannt. Darunter ist die ganze Offenbarung von Gottes Willen in Lehren, Geboten, Exempeln, Drohungen und Verheißungen zu verstehen. Die ganze Schrift ist das Zeugnis, das Gott zugunsten der Welt von dem Wege zu ihrer Erlösung abgelegt hat. Da nun das Wort Gottes sich in zwei Teile verzweigt, das Gesetz und das Evangelium, so kann dieses Wort Zeugnis auch für beide angewendet werden. Das Gesetz war dem Menschen ins Herz geschrieben, aber das Evangelium ist etwas Neues, Fremdes. Der Vernunft ist das Gesetz begreiflich, sie erfasst die Dinge, die ins sittliche oder Verstandes-Gebiet gehören; aber die Wahrheiten des Evangeliums sind ihr ein Geheimnis, sie hängen einzig von dem Zeugnisse ab, das Gott von seinem Sohn abgelegt hat. Thomas Manton † 1677.
Wohl denen, die ihn von ganzem Herzen suchen. Nicht die sich selbst weise dünken oder sich eine eigene Art von Heiligkeit ausdenken, sondern die sich dem Bunde mit Gott weihen und den Geboten seines Gesetzes Gehorsam zollen. Und weiter will er uns mit diesen Worten sagen, dass Gott durchaus nicht mit einem bloß äußerlichen Dienste zufrieden ist; er verlangt aufrichtige, ungeteilte Hingabe des ganzen Herzens. Und sicherlich, wenn Gott der einzige Richter und Herr unseres Lebens ist, so muss die Wahrheit die Hauptstelle in unseren Herzen einnehmen; es genügt nicht, bloß die Füße und Hände in seinen Dienst begeben zu haben. Jean Calvin † 1564.
Von ganzem Herzen. Wer ganze, volle Glückseligkeit besitzen will, muss ein ganzes, ein ungeteiltes Herz besitzen, dessen Denken und Empfinden nach einer bestimmten Seite gerichtet ist. Und so viel Aufrichtigkeit da zu finden ist, so viel Glückseligkeit wird auch da sein; und wiederum, nach dem Maße unserer Unaufrichtigkeit wird sich auch unsere Unglückseligkeit bemessen. R. Greenham † 1591.
Das Suchen Jehovahs geht hier auf die Erforschung seines Willens, der im Gesetz seinen Ausdruck gefunden hat. Prof. Friedrich Baethgen 1904.
V. 3. Die tun kein Übel. Zum Übeltun (Verüben der Ungerechtigkeit) gehört dreierlei: erstens die Absicht, es zu tun, zweitens die Freude daran, drittens das Wiederholen. Bei den Gottesfürchtigen trifft dies nie zusammen. Sie erleiden mehr die Sünde wider ihren Willen, sind unglücklich darüber, als dass sie mit Willen Sünde tun. William Cowper † 1619.
Sie tun kein Übel, nämlich die durch die Gnade erneuert, mit Gott versöhnt sind; ihnen rechnet Gott die Sunde nicht zu, in diesem Sinne tun sie kein Übel. Merkwürdig ist in dieser Beziehung, was die Schrift von David sagt (1. Könige 14,8): Der meine Gebote hielt und wandelte mir nach von ganzem Herzen, dass er tat, was mir nur wohlgefiel. Wie kann dies richtig sein? Wir finden David auf mancherlei Abwegen, überall in der Schrift wird davon berichtet, und hier wird ein Schleier darüber gedeckt: Gott rechnet sie ihm nicht zu. Wie kommt das, dass den Gerechten ihre Versündigungen nicht angerechnet werden? Weil sie in Christo sind und in solchen keine Verdammnis ist. Ihr ganzes Sinnen und Denken ist darauf gerichtet, Gottes Willen zu tun. Der Gottlose aber sündigt mit Überlegung, mit Vorbedacht, dient den Begierden und mancherlei Wollüsten. Nicht so der Wiedergeborene. Er mag von der Sünde überrascht, übermannt werden, aber es ist gegen seinen Willen und kommt nur mehr gelegentlich vor, so wie gutes, fruchtbares Ackerland wohl einmal vom Hochwasser überschwemmt werden kann, aber Sumpfland steht immer unter Wasser. Und wenn der Fromme gesündigt hat, so bereut er, sein Gewissen straft ihn, er geht hinaus und weint bitterlich. Thomas Manton † 1677.
Sie tun kein Übel, (sondern) wandeln auf seinen Wegen. (Wörtl.) Das Letztere straft die, die sich beim bloßen Nichttun beruhigen. Über einen Fürsten hat sein Geschichtsschreiber das Urteil abgegeben: Er war nicht eigentlich lasterhaft. Viele Menschen bringen es in ihrer Religion nie über solches Nicht hinaus: Ich bin nicht wie dieser Zöllner. Nicht bloß der ungetreue Knecht, der seine Mitknechte schlug und schwelgte und prasste, wird in die Hölle geworfen, sondern auch der träge, der zwar nichts Böses tat, aber sein Pfund im Schweißtuche vergrub. Der reiche Mann hat dem armen Lazarus und anderen Armen nichts zuleide getan. Du hast keine anderen Götter neben dem HERRN, wie du sagst; aber liebst du Gott, deinen HERRN, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte? Du fluchst nicht und missbrauchst nicht Gottes Namen, aber rufst du auch seinen Namen in allen Nöten an, lobsingst und dankst du ihm? Du entheiligst den Sabbat nicht, aber heiligst du ihn? Du verrichtest da keine grobe Arbeit, du machst vielleicht keine rauschenden Vergnügungen mit; aber verbringst du etwa den Tag des Herrn in trägem Nichtstun? Du behandelst deine Eltern nicht unfreundlich oder gar schlecht, aber ehrst du sie wirklich? Gemordet hast du noch nicht, aber hilfst du deinem Nächsten wirklich in allen Leibesnöten? Gehe alle Gebote durch, hast du sie wirklich so befolgt, wie der HERR sie befolgt haben will? Thomas Manton † 1677.
Auf seinen Wegen, nicht auf denen seiner Feinde, aber auch nicht auf ihren eigenen, selbst erwählten. Joseph Addison Alexander † 1860.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 4. Du hast geboten, fleißig zu halten deine Befehle. Es sind keine Adiaphora, keine ins Belieben der Menschen gestellten Mitteldinge, gute Predigten hören, wahrhaft geistliche Schriften, Bibelerklärungen und Ähnliches lesen. Gott hat geboten, nicht so gelegentlich, nebenbei, sondern ernstlich, fleißig seine Befehle zu halten. Wir müssen stets des Wortes eingedenk sein, das 5. Mose 6,6 stellt: Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen, oder wie es Mt. 17,5 heißt: Den sollt ihr hören, oder Joh. 5,39: Sucht in der Schrift. Vor allem sollten die jungen Theologen an die Mahnung des Apostels Paulus gedenken: Halt an mit Lesen. (1. Tim. 4,13.) Salomon Geßner † 1605.
V. 4.5. Es ist beachtenswert, dass Davids Sehnen nach völligem Gehorsam (V. 5) in der tiefen Erkenntnis der göttlichen Hoheit des Gesetzes (V. 4) begründet ist. Und in der Tat ist nur das ein rechter, wahrer Gehorsam, was im bestimmten Hinblick auf den Willen Gottes geschieht. Wie nur das ein wahrer Glaube ist, der eine Wahrheit glaubt, nicht weil sie der menschlichen Vernunft annehmbar erscheint, sondern weil sie von Gott geoffenbart ist, so ist auch nur der Gehorsam ein wirklicher, der das Gebot befolgt, nicht weil es sich mit allerlei persönlichen Rücksichten verträgt, sondern weil es den Stempel göttlicher Autorität an sich trägt. Nath. Hardy † 1670.
Wenn wir den 4. und 5. Vers im Zusammenhang betrachten, so kann es uns nicht entgehen zu bemerken, wie sorgfältig hier die Mittelstraße eingehalten wird, gleich weit entfernt von Selbstgenügsamkeit über das Halten und von Selbstrechtfertigung wegen des Nichthaltens der Befehle des HERRN. Versuchen wir nur erst einmal, geistlichen Gehorsam zu üben, wir werden sofort unsere völlige Hilflosigkeit erkennen. Ebenso leicht vermöchten wir eine Welt aus dem Nichts hervorzubringen wie in unseren Herzen einen einzigen Pulsschlag geistlichen Lebens zu erwecken. Aber dies unser Unvermögen hebt keineswegs unsere Verpflichtung auf; denn die Schwachheit kommt daher, dass unser Herz dem Gesetz Gottes nicht untertan ist, weil es fleischlich gesinnt ist, und das ist eine Feindschaft wider Gott. (Röm. 8,7.) Unser Unvermögen ist unsere Sünde, unsere Schuld, unsere Verdammnis; statt einen Milderungsgrund zu bilden, lässt es uns verstummen vor dem Angesicht Gottes, gänzlich unfähig, etwas zu unserer Verteidigung vorzubringen. Also unsere Pflichten Gott gegenüber bleiben in unveränderter Kraft bestehen; wir sind gehalten, seine Gebote zu erfüllen, einerlei ob wir können oder nicht. Was bleibt uns dann, als dieses Gebot wieder in den Himmel zurückzusenden, begleitet von dem dringenden Gebete, dass der HERR die Befehle in unser Herz schreibe, deren Befolgung er von uns verlangt! Du hast geboten, fleißig zu halten deine Befehle. Wir wissen, wir geben zu, dass das unsere Pflicht ist, aber wir fühlen unsere Ohnmacht. Darum hilf du uns, HERR, dazu, wir schauen auf dich. O dass mein Leben deine Rechte mit ganzem Ernst hielte! Charles Bridges † 1869.
Die Menschen sollen Gottes Gebot in Gebet verwandeln, und das tun seine Kinder auch. Gott hat geboten, dass der Mensch sich bekehre und lebe, darum bitten wir: Bekehre du mich, HERR, so werde ich bekehrt. (Jer. 31,18.) Und Augustinus betete: Da quod judes, et jube quod vis, Gib nur selbst, was du verlangst, dann magst du verlangen, was du nur willst. Thomas Manton † 1677.
V. 6. Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, wörtlich: wenn ich schaue auf alle deine Gebote. Es gibt Menschen genug, die ein wenig Gutes tun, die aber gerade da, wo es am nötigsten wäre, darin versagen. Sie pflücken sich die leichtesten und bequemsten ihrer religiösen Pflichten heraus, solche, die ihrem Behagen und ihrem Vorteile nicht zuwider laufen. Wir werden aber nie zu einem völligen Frieden kommen, solange wir nicht alle Gebote gleicherweise beachten. Erst dann, wenn ich alle deine Gebote beachtet habe, werde ich nicht zu Schanden. Zu Schanden werden, d.h. sich schämen müssen, das kommt aus Furcht vor gerechtem, verdientem Tadel. Der höchste Richter über alle unsere Handlungen ist Gott, und es sollte unsere Hauptsorge sein, dass wir nicht vor ihm zu Schanden werden in seiner Zukunft, und nicht verworfen werden, wenn er richten wird. Aber es gibt auch noch einen Stellvertreter dieses Richters, den jedermann in seiner Brust trägt. Unser Gewissen spricht uns los oder verdammt uns, je nachdem wir wählerisch oder gewissenhaft in der Erfüllung unserer Pflichten gegen Gott gewesen sind, und darauf kommt sehr viel an. Damit uns unser Herz nicht verdamme (vergl. 1. Joh. 3,20.21), müssen wir völlig sein im Gehorsam gegen den Willen Gottes. Sonst werden wir kein Zeugnis unserer Aufrichtigkeit im Gewissen haben. Thomas Manton † 1677.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, wenn mein Auge darauf gerichtet ist, werde ich nicht zu Schanden. Wie der Wanderer sein Angesicht stracks seinem Ziele zu gerichtet hat, mag er auch noch weit entfernt davon sein; dorthin will er, und er setzt alles daran, auch dorthin zu gelangen: so ist das Herz des Frommen auf die Gebote Gottes gerichtet. Er strebt vorwärts, um dem völligen Gehorsam immer näher zu kommen, und solche Seele wird nie zu Schanden werden. William Gurnall † 1679.
Es gibt zweierlei Scham: die Scham eines schlechten Gewissens und die Scham eines zarten Gewissens. Erstere ist die Frucht der Sünde, Letztere eine Wirkung der Gnade. Hier ist nicht des Frommen Geringschätzung seines eigenen Selbst gemeint, sondern das vernichtende Schuldbewusstsein des Sünders. Thomas Manton † 1677.
Weshalb werde ich nicht zu Schanden, habe ich keinen Grund zum Schämen, wenn ich auf Gottes Gebot schaue? Der Psalmist will hier sagen: Die Gebote Gottes sind so rein und so vollkommen, dass du, ob du sie nun in ihrer Gesamtheit oder jedes einzeln aufs genaueste betrachtest, doch nie irgendetwas finden könntet, was dich erröten macht. Die Gesetze Lykurgs, Platos Vorschriften werden hoch gerühmt; jene gestatteten den Diebstahl, diese empfahlen die Weibergemeinschaft. Aber das Gesetz des HERRN ist vollkommen und erquickt die Seele. (Ps. 19,8) Thom. Le Blanc † 1669.
Die Verheißung knüpft sich an die Bedingung, alle Gebote zu beachten. Viele Menschen können sich wohl des einen oder anderen Gebotes ohne Beschämung erinnern. Der Rechtschaffene fühlt sich nicht durch das achte Gebot betroffen, der sittlich Reine nicht durch das siebente, der gute Sohn hat ein freies Gewissen beim Lesen des fünften. So werden die meisten Menschen einzelnen der Gebote gegenüberstehen. Aber allen in ihrer Gesamtheit? Und doch ist dies das Ziel, das dem Gottesfürchtigen vorschwebt. In diesem Vers sehen wir den Psalmisten eine Wahrheit aussprechen, die in dem Neuen Testamente wiederholt wird: So jemand sündigt an einem, der ist es (das Gesetz) ganz schuldig. (Jak. 2,10) Fred. G. Marchant 1882.
V. 7. Wofür will der Psalmist dem HERRN danken? Weil er etwas von ihm und über ihn hat lernen dürfen. Fühlen wir uns nicht zum Danke verpflichtet den gelehrten Männern, zu deren Füßen wir als Jünglinge sitzen durften, um von ihnen in das Heiligtum der Wissenschaft eingeführt zu werden? Wir haben sogar ein Lob für den, der einen Hund, ein Pferd wohl abgerichtet hat. Und nun, dass wir, die wir in den göttlichen Dingen so störrig und unwissend sind, wie es nur sein kann, dass wir den Willen Gottes erkennen und lernen dürfen, ist das nicht die größte Gnade und Huld Gottes, wofür ihm Preis und Dank gebührt? Paul Bayne † 1617.
Der Psalmist spricht hier nicht bloß von verstandesmäßiger Erkenntnis des Wortes, sondern von einer lebendigen Erkenntnis, die zur Anwendung desselben in unserm Leben führt. "Wer es nun hört vom Vater und lernt’s, der kommt zu mir." (Joh. 6,45.) Das ist ein Lernen, dessen Erfolg nicht ausbleibt, ein Licht, das die Seele durchleuchtet und ganz neu macht, das unser Herz und unser Wollen und Tun nach Gottes Willen formt und bildet. Wir mögen Gottes Wort begreifen, wir mögen aufs genaueste mit ihm bekannt und vertraut sein, wenn wir nicht danach tun, so ist’s uns nichts nütze. Die treuesten, tüchtigsten Diener Gottes kommen nie über das Lernen hinaus, sie bleiben Schüler, die in Erkenntnis und Gehorsam der Wahrheit von Stufe zu Stufe geführt werden. So ein David. Und die ersten Bekenner der Lehre Christi wurden bezeichnenderweise Jünger oder Schüler, Lernende, genannt. (Apg. 6,2.) Thomas Manton † 1677.
Die Rechte deiner Gerechtigkeit sind die Gottes Gerechtigkeit zum Ausdruck und Vollzuge bringenden Entscheidungen über Recht und Unrecht. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Wir sehen hier, was David das Wichtigste zu lernen dünkt, nämlich Gottes Wort und Willen. In dieser Schule möchte er immer ein Schüler sein; sein höchster Ehrgeiz ist es, hier einen Ehrenplatz zu erringen. Er möchte lernen um zu wissen, wissen um zu glauben, glauben um sich zu freuen, sich freuen um zu bewundern, bewundern um anzubeten, anbeten um danach zu handeln und weiter zu wandeln auf dem Wege von Gottes Geboten. Solches Lernen ist das rechte, wahre Lernen, und der ist da der Gelehrteste, der Gottes Wort und Lehren in gute Werke umsetzt. Rich. Greenham † 1591.
V. 8. Deine Rechte will ich halten. Dieser Vorsatz ist die natürliche Folge des Lernens von Gottes Rechten. Hierin ist uns David ein Beispiel für die unlösliche Verbindung der rechten Einfältigkeit und der göttlichen Lauterkeit (2. Kor. 1,12) im Gehorsam. Er spricht seinen Entschluss aus, alsbald aber erinnert er sich, dass die Ausführung über menschliche Kraft geht, und darum schließt er sofort das Gebet an: Verlass mich nimmermehr. Charles Bridges † 1869.
David gibt hier persönlich ein heiliges Beispiel. Wenn der König von Israel Gottes Rechte hielt, so musste sich doch das Volk schämen, wenn es sie verletzte. Cäsar pflegte zu sagen: Fürsten dürfen nicht sprechen: Ite, sondern nur: Venite, nicht: Geht hin, ohne mich, sondern: Kommt mit mir. Wie Gideon zu den Seinen sprach: Wie ich tue, so tut ihr auch. (Richter 7,17.) R. Greenham † 1591.
Verlass mich nicht gar. (Wörtl.) Es gibt ein doppeltes von Gott Verlassensein, ein teilweises, vorübergehendes, und ein völliges, endgültiges. Die danach trachten, Gott gehorsam zu sein, mögen wohl eine kleine Weile, bis zu einem gewissen Grade sich selbst überlassen werden; aber so viel ist uns gewiss, ein völliges, endgültiges Verlassen wird es nie werden. Stets werden wir’s erfahren dürfen: Der HERR verlässt sein Volk nicht (1. Samuel 12,22), und: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen (Hebr. 13,5; vergl. Jes. 54,8). Elia fühlte sich von Gott verlassen, aber nicht so wie Ahab; Petrus war von Gott verlassen, eine Weile, nicht wie Judas, der ganz verlassen war und eine Beute des Teufels wurde. David wurde von Gott verlassen zu seiner Demütigung und Besserung, Saul zu seinem Verderben. Theophylakt († 1107) sagt: Gott mag wohl die Seinen verlassen, soweit selbst, dass er sein Ohr ihrem Flehen verschließt, dass der Friede und die Ruhe des Herzens dahin sind, dass alle ihre frühere Kraft geschwunden ist und sogar ihr geistliches Leben auf dem Spiele zu stehen scheint, dass die Sünde über ihnen triumphiert, dass sie schmählich zu Falle kommen, aber ein völliges, endgültiges Verlassensein ist dies doch nicht. Irgendwo, irgendwie ist Gott doch in ihrer Nähe. Ist nicht ihr banges Sehnen nach ihm, auch wenn es zur Zeit ungestillt bleibt, ein Zeichen seines Naheseins? Solange noch einer nach Gott fragt, ist er nicht als aufgegeben zu betrachten. Thomas Manton †
V. 4. Du hast geboten, fleißig zu halten deine Befehle. Es sind keine Adiaphora, keine ins Belieben der Menschen gestellten Mitteldinge, gute Predigten hören, wahrhaft geistliche Schriften, Bibelerklärungen und Ähnliches lesen. Gott hat geboten, nicht so gelegentlich, nebenbei, sondern ernstlich, fleißig seine Befehle zu halten. Wir müssen stets des Wortes eingedenk sein, das 5. Mose 6,6 stellt: Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen, oder wie es Mt. 17,5 heißt: Den sollt ihr hören, oder Joh. 5,39: Sucht in der Schrift. Vor allem sollten die jungen Theologen an die Mahnung des Apostels Paulus gedenken: Halt an mit Lesen. (1. Tim. 4,13.) Salomon Geßner † 1605.
V. 4.5. Es ist beachtenswert, dass Davids Sehnen nach völligem Gehorsam (V. 5) in der tiefen Erkenntnis der göttlichen Hoheit des Gesetzes (V. 4) begründet ist. Und in der Tat ist nur das ein rechter, wahrer Gehorsam, was im bestimmten Hinblick auf den Willen Gottes geschieht. Wie nur das ein wahrer Glaube ist, der eine Wahrheit glaubt, nicht weil sie der menschlichen Vernunft annehmbar erscheint, sondern weil sie von Gott geoffenbart ist, so ist auch nur der Gehorsam ein wirklicher, der das Gebot befolgt, nicht weil es sich mit allerlei persönlichen Rücksichten verträgt, sondern weil es den Stempel göttlicher Autorität an sich trägt. Nath. Hardy † 1670.
Wenn wir den 4. und 5. Vers im Zusammenhang betrachten, so kann es uns nicht entgehen zu bemerken, wie sorgfältig hier die Mittelstraße eingehalten wird, gleich weit entfernt von Selbstgenügsamkeit über das Halten und von Selbstrechtfertigung wegen des Nichthaltens der Befehle des HERRN. Versuchen wir nur erst einmal, geistlichen Gehorsam zu üben, wir werden sofort unsere völlige Hilflosigkeit erkennen. Ebenso leicht vermöchten wir eine Welt aus dem Nichts hervorzubringen wie in unseren Herzen einen einzigen Pulsschlag geistlichen Lebens zu erwecken. Aber dies unser Unvermögen hebt keineswegs unsere Verpflichtung auf; denn die Schwachheit kommt daher, dass unser Herz dem Gesetz Gottes nicht untertan ist, weil es fleischlich gesinnt ist, und das ist eine Feindschaft wider Gott. (Röm. 8,7.) Unser Unvermögen ist unsere Sünde, unsere Schuld, unsere Verdammnis; statt einen Milderungsgrund zu bilden, lässt es uns verstummen vor dem Angesicht Gottes, gänzlich unfähig, etwas zu unserer Verteidigung vorzubringen. Also unsere Pflichten Gott gegenüber bleiben in unveränderter Kraft bestehen; wir sind gehalten, seine Gebote zu erfüllen, einerlei ob wir können oder nicht. Was bleibt uns dann, als dieses Gebot wieder in den Himmel zurückzusenden, begleitet von dem dringenden Gebete, dass der HERR die Befehle in unser Herz schreibe, deren Befolgung er von uns verlangt! Du hast geboten, fleißig zu halten deine Befehle. Wir wissen, wir geben zu, dass das unsere Pflicht ist, aber wir fühlen unsere Ohnmacht. Darum hilf du uns, HERR, dazu, wir schauen auf dich. O dass mein Leben deine Rechte mit ganzem Ernst hielte! Charles Bridges † 1869.
Die Menschen sollen Gottes Gebot in Gebet verwandeln, und das tun seine Kinder auch. Gott hat geboten, dass der Mensch sich bekehre und lebe, darum bitten wir: Bekehre du mich, HERR, so werde ich bekehrt. (Jer. 31,18.) Und Augustinus betete: Da quod judes, et jube quod vis, Gib nur selbst, was du verlangst, dann magst du verlangen, was du nur willst. Thomas Manton † 1677.
V. 6. Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, wörtlich: wenn ich schaue auf alle deine Gebote. Es gibt Menschen genug, die ein wenig Gutes tun, die aber gerade da, wo es am nötigsten wäre, darin versagen. Sie pflücken sich die leichtesten und bequemsten ihrer religiösen Pflichten heraus, solche, die ihrem Behagen und ihrem Vorteile nicht zuwider laufen. Wir werden aber nie zu einem völligen Frieden kommen, solange wir nicht alle Gebote gleicherweise beachten. Erst dann, wenn ich alle deine Gebote beachtet habe, werde ich nicht zu Schanden. Zu Schanden werden, d.h. sich schämen müssen, das kommt aus Furcht vor gerechtem, verdientem Tadel. Der höchste Richter über alle unsere Handlungen ist Gott, und es sollte unsere Hauptsorge sein, dass wir nicht vor ihm zu Schanden werden in seiner Zukunft, und nicht verworfen werden, wenn er richten wird. Aber es gibt auch noch einen Stellvertreter dieses Richters, den jedermann in seiner Brust trägt. Unser Gewissen spricht uns los oder verdammt uns, je nachdem wir wählerisch oder gewissenhaft in der Erfüllung unserer Pflichten gegen Gott gewesen sind, und darauf kommt sehr viel an. Damit uns unser Herz nicht verdamme (vergl. 1. Joh. 3,20.21), müssen wir völlig sein im Gehorsam gegen den Willen Gottes. Sonst werden wir kein Zeugnis unserer Aufrichtigkeit im Gewissen haben. Thomas Manton † 1677.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, wenn mein Auge darauf gerichtet ist, werde ich nicht zu Schanden. Wie der Wanderer sein Angesicht stracks seinem Ziele zu gerichtet hat, mag er auch noch weit entfernt davon sein; dorthin will er, und er setzt alles daran, auch dorthin zu gelangen: so ist das Herz des Frommen auf die Gebote Gottes gerichtet. Er strebt vorwärts, um dem völligen Gehorsam immer näher zu kommen, und solche Seele wird nie zu Schanden werden. William Gurnall † 1679.
Es gibt zweierlei Scham: die Scham eines schlechten Gewissens und die Scham eines zarten Gewissens. Erstere ist die Frucht der Sünde, Letztere eine Wirkung der Gnade. Hier ist nicht des Frommen Geringschätzung seines eigenen Selbst gemeint, sondern das vernichtende Schuldbewusstsein des Sünders. Thomas Manton † 1677.
Weshalb werde ich nicht zu Schanden, habe ich keinen Grund zum Schämen, wenn ich auf Gottes Gebot schaue? Der Psalmist will hier sagen: Die Gebote Gottes sind so rein und so vollkommen, dass du, ob du sie nun in ihrer Gesamtheit oder jedes einzeln aufs genaueste betrachtest, doch nie irgendetwas finden könntet, was dich erröten macht. Die Gesetze Lykurgs, Platos Vorschriften werden hoch gerühmt; jene gestatteten den Diebstahl, diese empfahlen die Weibergemeinschaft. Aber das Gesetz des HERRN ist vollkommen und erquickt die Seele. (Ps. 19,8) Thom. Le Blanc † 1669.
Die Verheißung knüpft sich an die Bedingung, alle Gebote zu beachten. Viele Menschen können sich wohl des einen oder anderen Gebotes ohne Beschämung erinnern. Der Rechtschaffene fühlt sich nicht durch das achte Gebot betroffen, der sittlich Reine nicht durch das siebente, der gute Sohn hat ein freies Gewissen beim Lesen des fünften. So werden die meisten Menschen einzelnen der Gebote gegenüberstehen. Aber allen in ihrer Gesamtheit? Und doch ist dies das Ziel, das dem Gottesfürchtigen vorschwebt. In diesem Vers sehen wir den Psalmisten eine Wahrheit aussprechen, die in dem Neuen Testamente wiederholt wird: So jemand sündigt an einem, der ist es (das Gesetz) ganz schuldig. (Jak. 2,10) Fred. G. Marchant 1882.
V. 7. Wofür will der Psalmist dem HERRN danken? Weil er etwas von ihm und über ihn hat lernen dürfen. Fühlen wir uns nicht zum Danke verpflichtet den gelehrten Männern, zu deren Füßen wir als Jünglinge sitzen durften, um von ihnen in das Heiligtum der Wissenschaft eingeführt zu werden? Wir haben sogar ein Lob für den, der einen Hund, ein Pferd wohl abgerichtet hat. Und nun, dass wir, die wir in den göttlichen Dingen so störrig und unwissend sind, wie es nur sein kann, dass wir den Willen Gottes erkennen und lernen dürfen, ist das nicht die größte Gnade und Huld Gottes, wofür ihm Preis und Dank gebührt? Paul Bayne † 1617.
Der Psalmist spricht hier nicht bloß von verstandesmäßiger Erkenntnis des Wortes, sondern von einer lebendigen Erkenntnis, die zur Anwendung desselben in unserm Leben führt. "Wer es nun hört vom Vater und lernt’s, der kommt zu mir." (Joh. 6,45.) Das ist ein Lernen, dessen Erfolg nicht ausbleibt, ein Licht, das die Seele durchleuchtet und ganz neu macht, das unser Herz und unser Wollen und Tun nach Gottes Willen formt und bildet. Wir mögen Gottes Wort begreifen, wir mögen aufs genaueste mit ihm bekannt und vertraut sein, wenn wir nicht danach tun, so ist’s uns nichts nütze. Die treuesten, tüchtigsten Diener Gottes kommen nie über das Lernen hinaus, sie bleiben Schüler, die in Erkenntnis und Gehorsam der Wahrheit von Stufe zu Stufe geführt werden. So ein David. Und die ersten Bekenner der Lehre Christi wurden bezeichnenderweise Jünger oder Schüler, Lernende, genannt. (Apg. 6,2.) Thomas Manton † 1677.
Die Rechte deiner Gerechtigkeit sind die Gottes Gerechtigkeit zum Ausdruck und Vollzuge bringenden Entscheidungen über Recht und Unrecht. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
Wir sehen hier, was David das Wichtigste zu lernen dünkt, nämlich Gottes Wort und Willen. In dieser Schule möchte er immer ein Schüler sein; sein höchster Ehrgeiz ist es, hier einen Ehrenplatz zu erringen. Er möchte lernen um zu wissen, wissen um zu glauben, glauben um sich zu freuen, sich freuen um zu bewundern, bewundern um anzubeten, anbeten um danach zu handeln und weiter zu wandeln auf dem Wege von Gottes Geboten. Solches Lernen ist das rechte, wahre Lernen, und der ist da der Gelehrteste, der Gottes Wort und Lehren in gute Werke umsetzt. Rich. Greenham † 1591.
V. 8. Deine Rechte will ich halten. Dieser Vorsatz ist die natürliche Folge des Lernens von Gottes Rechten. Hierin ist uns David ein Beispiel für die unlösliche Verbindung der rechten Einfältigkeit und der göttlichen Lauterkeit (2. Kor. 1,12) im Gehorsam. Er spricht seinen Entschluss aus, alsbald aber erinnert er sich, dass die Ausführung über menschliche Kraft geht, und darum schließt er sofort das Gebet an: Verlass mich nimmermehr. Charles Bridges † 1869.
David gibt hier persönlich ein heiliges Beispiel. Wenn der König von Israel Gottes Rechte hielt, so musste sich doch das Volk schämen, wenn es sie verletzte. Cäsar pflegte zu sagen: Fürsten dürfen nicht sprechen: Ite, sondern nur: Venite, nicht: Geht hin, ohne mich, sondern: Kommt mit mir. Wie Gideon zu den Seinen sprach: Wie ich tue, so tut ihr auch. (Richter 7,17.) R. Greenham † 1591.
Verlass mich nicht gar. (Wörtl.) Es gibt ein doppeltes von Gott Verlassensein, ein teilweises, vorübergehendes, und ein völliges, endgültiges. Die danach trachten, Gott gehorsam zu sein, mögen wohl eine kleine Weile, bis zu einem gewissen Grade sich selbst überlassen werden; aber so viel ist uns gewiss, ein völliges, endgültiges Verlassen wird es nie werden. Stets werden wir’s erfahren dürfen: Der HERR verlässt sein Volk nicht (1. Samuel 12,22), und: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen (Hebr. 13,5; vergl. Jes. 54,8). Elia fühlte sich von Gott verlassen, aber nicht so wie Ahab; Petrus war von Gott verlassen, eine Weile, nicht wie Judas, der ganz verlassen war und eine Beute des Teufels wurde. David wurde von Gott verlassen zu seiner Demütigung und Besserung, Saul zu seinem Verderben. Theophylakt († 1107) sagt: Gott mag wohl die Seinen verlassen, soweit selbst, dass er sein Ohr ihrem Flehen verschließt, dass der Friede und die Ruhe des Herzens dahin sind, dass alle ihre frühere Kraft geschwunden ist und sogar ihr geistliches Leben auf dem Spiele zu stehen scheint, dass die Sünde über ihnen triumphiert, dass sie schmählich zu Falle kommen, aber ein völliges, endgültiges Verlassensein ist dies doch nicht. Irgendwo, irgendwie ist Gott doch in ihrer Nähe. Ist nicht ihr banges Sehnen nach ihm, auch wenn es zur Zeit ungestillt bleibt, ein Zeichen seines Naheseins? Solange noch einer nach Gott fragt, ist er nicht als aufgegeben zu betrachten. Thomas Manton †
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
9.
Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen?
Wenn er sich hält nach deinen Worten.
10.
Ich suche dich von ganzem Herzen;
lass mich nicht abirren von deinen Geboten.
11.
Ich behalte dein Wort in meinem Herzen,
auf dass ich nicht wider dich sündige.
12.
Gelobet seist du, HERR!
Lehre mich deine Rechte!
13.
Ich will mit meinen Lippen erzählen
alle Rechte deines Mundes.
14.
Ich freue mich des Weges deiner Zeugnisse
wie über allerlei Reichtum.
15.
Ich rede von dem, was du befohlen hast,
und schaue auf deine Wege.
16.
Ich habe Lust zu deinen Rechten
und vergesse deiner Worte nicht.
9. Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Wie soll er zu einem heiligen Wandel gelangen und wie dabei bleiben? Er ist noch jung, heißblütig und unerfahren; wie kann er da den rechten Weg finden und einhalten? Das ist doch von allen Fragen die wichtigste, und welcher Zeitpunkt wäre geeigneter, sich dieselbe zur Beantwortung vorzulegen, als gerade der Eintritt ins Leben? Und es ist keine leichte Aufgabe, vor die sich der verständige Jüngling gestellt sieht. Er möchte für sich einen reinen Weg erwählen, um sich auf demselben rein, unbefleckt, unsträflich zu erhalten; er möchte seinen Weg auch weiterhin rein erhalten, um am Ende auf einen unsträflichen Wandel blicken zu können. Ach, aber sein Weg ist schon von Anfang an unrein durch Sünden, die er bereits begangen, und seine natürliche Anlage führt ihn beständig abwärts in den Schlamm und Morast. Da ist es sehr schwer, das Richtige zu treffen, zu Anfang wie im weiteren Verlaufe, so dass das schließliche Ziel, die Vollkommenheit, erreicht werde. Für einen gereiften Mann ist das eine schwere Aufgabe; wie mag sie ein Jüngling vollbringen? Der Lebensweg des Menschen muss, damit er unsträflich, rein sei, von den dahinten liegenden Jugendsünden gereinigt werden, und er muss rein gehalten werden von den vor ihm liegenden Sünden, zu denen ihn das Leben verführen könnte. Darum handelt es sich.
Fürwahr, keine kleine, keine leichte Aufgabe, aber eine solche, die des Ehrgeizes eines Jünglings würdig ist. Zum Höchsten, aber zum Schwersten auch beruft sie ihn. Denn gibt es eine höhere, herrlichere Aufgabe als ein reines, unbeflecktes, unsträfliches Leben? Lass dich durch nichts davon zurückschrecken, sie zu der deinigen zu machen, trachte vielmehr danach, wie du alle Hindernisse beseitigen oder überwinden mögest. Denke nicht, dass du den Weg schon finden, den Sieg leicht erringen werdest, dass es genug sei, deiner eigenen Kraft und Klugheit zu vertrauen. Folge dem Beispiel des Psalmisten, der ernstlich danach fragt, wie er seinen Weg unsträflich gehen möge. Werde du ein folgsamer Schüler des heiligen Lehrers, der allein dich unterweisen kann, wie du Welt, Fleisch und Satan überwinden magst, diese Dreiheit von Verderben, denen schon so manches hoffnungsvolle Leben zum Opfer gefallen ist. Du bist noch jung und unerfahren, du kennst den Weg nicht. Frage nicht bloß einmal, frage immer wieder; du brauchst dich nicht zu schämen, den zu fragen, der am liebsten und am besten Auskunft gibt.
Der Weg, den wir zu gehen haben, das ist eine Frage, die uns persönlich aufs ernsteste angeht, und es ist uns viel nützlicher, über diese praktische Lebensfrage zu forschen und an der rechten Stelle Auskunft zu suchen, als allerlei geheimnisvollen Fragen nachzugrübeln, die uns vielmehr irreführen als aufklären. Viele Fragen drängen sich dem Jüngling auf, aber die erste und wichtigste sollte doch stets die sein: Wie kann ich meinen Weg unsträflich gehen? Der gesunde Verstand führt auf diese Frage, und die tägliche Erfahrung bringt sie uns immer wieder nahe. Aber der gesunde Verstand allein vermag nicht die rechte Antwort darauf zu erteilen, geschweige denn dieselbe zur Ausführung zu bringen. Dazu braucht es andere als menschliche Kraft.
Wenn er sich hält nach deinen Worten. Deine Richtschnur, Jüngling, muss die Schrift sein, und du hast alle Sorgfalt daran zu wenden, deinen Weg ihren Weisungen gemäß zu wählen. Du musst auf dein tägliches Leben genau achtgeben, und damit du dies in der rechten Weise und erfolgreich tun kannst, musst du täglich in der Schrift forschen. Selbst bei der größten Aufmerksamkeit wird ein Mensch irregehen, wenn die Karte, nach der er sich richtet, falsche Angaben macht; aber auch mit der besten Karte wird er seinen Weg verlieren, wenn er sie nicht zu Rate zieht. Noch nie ist jemand auf den schmalen Weg durch Zufall, auf gut Glück hin, geraten, noch nie hat ein anderer als der, der ernstlich danach trachtete, einen unsträflichen Wandel geführt. Aus Gedankenlosigkeit können wir wohl sündigen, und es bedarf, um ewig verloren zu gehen, nicht mehr, als dass wir das so große uns dargebotene Heil vernachlässigen (Hebr. 2,3); aber in Gehorsam gegen Gott und seine Gebote wandeln, ohne dass man mit ganzem Herzen, mit ganzem Gemüte, mit allen Kräften dabei ist, das hat noch niemand fertiggebracht. Das bedenket wohl, ihr Sorglosen.
Aber die Sorgfalt allein genügt nicht, das "Wort" ist ganz unentbehrlich. Ohne seine Leitung würde auch das gewissenhafteste Sinnen und Sorgen sich bald in die Finsternis unfruchtbarer, krankhafter Selbstquälerei und törichten Aberglaubens verlieren. Ob der Kapitän auch die ganze Nacht in treuer Wachsamkeit auf seinem Posten ausharrt, wenn er das Fahrwasser nicht kennt und keinen kundigen Lotsen zur Seite hat, so mag er mit aller seiner Aufmerksamkeit und Sorgsamkeit geradeswegs auf die Klippen losfahren, in den Schiffbruch hinein. Es genügt nicht, dass wir den guten Willen haben, Recht zu tun. Unsere Unwissenheit kann uns dahin führen, zu meinen, wir täten Gott einen Dienst, während wir doch ihn beleidigen und erzürnen, und die Tatsache unserer Unwissenheit ändert nichts an der Verwerflichkeit unseres Tuns, wenn sie auch als Milderungsgrund in Betracht gezogen werden kann. Lass einen Menschen die größte Sorgfalt bei dem Abmessen einer Arznei anwenden, er wird sterben, wenn er in der Meinung, einen heilkräftigen Stoff zu verwenden, aus Versehen ein tödliches Gift genommen hat. Seine Unkenntnis wird ihn nicht vor dem schlimmen Ausgang schützen. Selbstverschuldete Unwissenheit ist an sich schon sträfliche Sünde und bildet keine Entschuldigung für das Böse, das daraus entstanden ist. Jung und Alt, wer nach der Heiligkeit trachtet, muss erfüllt sein von heiliger Wachsamkeit und zugleich die Augen offen haben für die Weisungen der Heiligen Schrift. Da findet er seinen Weg genau vorgezeichnet mit allen seinen Krümmungen und Windungen, jeder Sumpf, jeder Tümpel ist angegeben mit der Furt, die hindurch, oder dem Stege, der darüber führt; hier auch findet er Licht für seine Finsternis, Erquickung, wenn er müde wird, Gesellschaft, wenn er sich einsam fühlt.
So wird er also mit Hilfe des Wortes Gottes der Seligpreisung des ersten Verses teilhaftig werden, die zu der Frage dieses 9. Verses führte. Beachten wir, wie diese Anfangsverse der beiden Abschnitte einander entsprechen. Die Verheißung, die jener 1. Vers in sich birgt, kann nur erlangt werden, wenn sie ernstlich und auf dem vorgeschriebenen Wege erstrebt wird.
10. Ich suche dich von ganzem Herzen. Nach dem HERRN selbst verlangt sein Innerstes; er begehrt nicht bloß seine Gebote zu erfüllen, sondern er sucht die Gemeinschaft mit seiner Person. Solches ist ein edles, fürstliches Begehren und wohl wert, dass man sein ganzes Herz daran wende. Die sicherste Weise, zu einem unsträflichen Wandel zu gelangen, ist, Gott selbst von ganzem Herzen zu suchen und danach zu trachten, in steter Gemeinschaft mit ihm zu bleiben. Bis zu dem Augenblicke, da es dem Psalmisten vergönnt war, zu seinem HERRN selber zu sprechen, war er ein Suchender, ein eifrig Suchender gewesen, und wenn auch Augenblicke der Schwäche kamen, sein Suchen hat er nie aufgegeben. Ohne dieses würde er nie soviel danach gefragt haben, wie er seinen Weg unsträflich gehen könne.
Es ist eine Freude zu sehen, wie das Herz des Psalmisten sich so bestimmt und bewusst Gott zuwendet. Im vorhergehenden Vers hatte er eine wichtige Wahrheit erwogen; hier aber empfindet er die Gegenwart seines Gottes so gewaltig, dass er zu ihm spricht, zu ihm betet, als zu dem Allnahen. Ein aufrichtiges Herz kann nicht lange ohne Gemeinschaft mit Gott leben.
Die nun folgende Bitte beruht eben darauf, dass es seines Lebens Vorsatz ist, den HERRN zu suchen. Es ist ihm ein heißes Anliegen, dass er nie von dieser Grundrichtung abkommen möge. Durch Gehorsam folgen wir den Fußspuren Gottes nach, darum das Gebet: Lass mich nicht abirren von deinen Geboten. Denn wenn wir die Wege, die uns Gott vorgezeichnet hat, verlassen, dann werden wir auch sicherlich nicht den finden, der sie uns gewiesen hat. Je mehr ein Mensch sein ganzes Sinnen und Wollen auf Heiligung richtet, desto mehr Angst hat er auch davor, in Sünde zu fallen. Er sorgt sich nicht so sehr vor absichtlichem, mutwilligem Übertreten; viel mehr sorgt er sich, dass er aus Unachtsamkeit abirren könnte. Er verabscheut selbst einen unbewachten Blick, einen Gedanken, der über die vom Gebot gezogenen Schranken hinausschweift. Wir sollen mit solch völligem Herzen den HERRN suchen und ihm nachfolgen, dass uns weder Zeit noch Lust zum Abschweifen bleibt. Aber wenn wir es noch so treu meinen, müssen wir doch Furcht - nicht Unglauben, wohl aber Misstrauen gegen uns selbst - haben, dass wir selbst dann von dem Wege der Heiligkeit abirren könnten.
Zwei Dinge mögen einander sehr ähnlich sein und doch grundverschieden. Gottes Kinder pilgern als Fremdlinge hienieden, wie der Psalmist V. 19 sagt: "Ich bin ein Gast auf Erden", aber sie wandern nicht ziellos umher, sondern pilgern der Heimat zu. Ja, sie sind "arme Reisende", aber echte, keine Landstreicher. Sie streifen durch Feindesland, aber auf geradem Wege, mit bestimmtem Ziel: sie suchen ihren Herrn, indem sie das fremde Land durchziehen. Mag ihre Marschroute den Menschen dieser Welt auch verborgen sein, sie gehen dennoch auf dem rechten Wege, der ihnen von ihrem Herrn vorgezeichnet ist.
Der Gottesmann unseres Psalms setzt wohl allen seinen Eifer in Tätigkeit, aber er gründet sein Vertrauen nicht auf sich; sein Herz will nichts wissen als auf Gottes Wegen zu gehen, aber er weiß auch, dass er selbst bei Anspannung aller seiner Kräfte nicht imstande ist, auf dem rechten Wege zu bleiben, wenn sein König nicht selbst sein Wächter und Führer ist. Der das Gebot gegeben hat, muss ihm auch Beständigkeit und Treue im Gehorsam verleihen. Darum die Bitte: Lass mich nicht abirren. Aber er macht dieses Bewusstsein der Hilfsbedürftigkeit, der eigenen Unzulänglichkeit nie zu einem Entschuldigungsgrund der Trägheit; denn während er den HERRN bittet, ihn auf dem rechten Wege zu erhalten, ist er wohl darauf bedacht, diesen Weg zu wandern, indem er den HERRN sucht von ganzem Herzen.
Auch hier ist wieder bemerkenswert, wie dieser zweite Abschnitt des Psalmes mit dem ersten gleichen Schritt hält. Im zweiten Vers wird der Mann selig gepriesen, der den HERRN von ganzem Herzen sucht, und in diesem Vers, dem zweiten des zweiten Abschnitts, erhebt der Psalmist selbst Anspruch auf diese Seligkeit, indem er erklärt: Ich suche dich von ganzem Herzen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
11. Wenn der Gottesfürchtige eine Gnade vom HERRN zu erlangen trachtet, so muss er alles daran setzen, derselben teilhaftig zu werden. So zeigt uns denn auch in diesem Vers der Psalmist, nachdem er gebeten hat, vor dem Abirren bewahrt zu bleiben, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um nicht in die Sünde zu fallen. Ich behalte dein Wort in meinem Herzen. Sein Herz wird durch das Wort in sicherer Hut bewahrt, weil er das Wort in seinem Herzen bewahrt. Was ihm das geschriebene Wort, was ihm die Stimme Gottes in seinem Herzen geoffenbart hatte, das alles ohne Ausnahme hatte er wohl bei sich geborgen, wie man einen köstlichen Schatz in sicherer Truhe einschließt, den kostbaren Samen dem fruchtbaren Schoß der Erde anvertraut. Und welcher Boden verheißt mehr Fruchtbarkeit als ein erneuertes Herz, das ganz von dem Verlangen erfüllt ist, den HERRN zu suchen, seinen Willen zu erkennen und zu tun? Das Wort, von dem hier die Rede ist, ist Gottes Wort, darum war es Gottes Knecht so teuer. Er trug nicht ein Bibelwort auf dem Herzen, als ein Amulett, das ihn gegen allerlei Übel schützen sollte, sondern er barg das Wort, das ganze Wort, in seinem Herzen, als seines Lebens Richtschnur. Da, im Mittelpunkt aller Liebe und alles Lebens, gab er ihm seinen Platz; so erfüllte es nun den ganzen Raum mit Licht und Duft. Folgen wir Davids Beispiel, in der geheimen Arbeit seines Herzens wie in seinem daraus hervorgehenden äußeren Tun und Handeln. Lassen wir es unsere erste Sorge sein, dass das, was wir glauben, auch wirklich Gottes Wort und nicht Menschenlehre sei; ist das festgestellt, dann lasst uns die Wahrheit ein jeglicher bei sich selbst, in seinem Herzen, bergen, als köstlichen Schatz bewahren, und sehen wir wohl zu, dass dieses Bewahren der reinen Lehre nicht nur eine Kraftleistung unseres Gedächtnisses sei, sondern die freudige Tat unseres Willens, der der Wahrheit sich zum Gehorsam hingibt.
Auf dass ich nicht wider dich sündige. Das ist das vorgesteckte Ziel. Treffend hat einer hierzu bemerkt: Da haben wir das beste Ding: dein Wort, geborgen am besten Platze: in meinem Herzen, zu dem besten Zwecke: auf dass ich nicht wider dich sündige. Der Psalmist ging mit großer Sorgfalt vor, wie jemand, der ängstlich sein Geld verwahrt, wenn er Diebe befürchtet. In diesem Falle war der gefürchtete Dieb die Sünde. Wider Gott sündigen, das ist nach des Frommen Urteil das Wesen des sittlich Bösen. Andere Menschen hingegen kümmern sich nur um das, was sie gegen Menschen fehlen. Der beste Schutz gegen die Sünde wider Gott ist Gottes Wort, denn es zeigt uns seinen Willen und wirkt mit seiner Geistesmacht darauf hin, unseren Willen mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung zu bringen. Es gibt kein Heilmittel, das das Gift der Sünde so kräftig aus unseren Adern treiben könnte, als das Wort unseres Gottes, wenn es vom Herzen als dem Sitz des Lebens aus seine Kraft entfalten kann. Wir werden uns nie vor der Sünde hüten können, wenn wir nicht das Wort der Wahrheit in unserem Herzen hüten.
Eine Betonung der Worte dein und dich in diesen Versen gibt Anlass zu einer Reihe schöner Gedanken. Der Dichter redet mit Gott, er liebt das Wort, weil es sein Wort ist, er hasst die Sünde, weil sie Sünde wider ihn ist. Wenn er andere ärgert, so geht ihm das nicht so nahe, solange er damit nicht seinen Gott beleidigt. Wenn wir Gott nicht erzürnen wollen, so müssen wir sein eigenes Wort in unserem Herzen behalten.
Beachtung verdient auch die persönliche Weise, in welcher der Mann Gottes dies tut. "Ich suche dich von ganzem Herzen". Was immer andere zu tun erwählen mögen, er hat bereits seine Wahl getroffen; er hat das Wort ins tiefste Innere aufgenommen, da wohnt es als die Freude seines Herzens. Mögen andere Gottes Vorschriften übertreten, sein Ziel ist die Heiligung: "Auf dass ich nicht wider dich sündige." Und dies soll nicht etwa einen erst für die Zukunft gefassten Vorsatz ausdrücken, sondern ist schon längst die Richtschnur für sein Handeln gewesen. Viele Menschen sind groß im Versprechen; der Psalmist aber hat schon seine Zuverlässigkeit im Handeln bewiesen, darum darf er sicher auf Erfolg hoffen. Wenn das Wort im Herzen sicher geborgen ist, wird auch das Leben vor der Sünde sicher geborgen sein.
Auch in dem dritten Vers jedes der beiden Abschnitte, in Vers 3 und Vers 11, tritt die Übereinstimmung der Gedanken zutage. Während in V. 3 von denen die Rede ist, die kein Übel tun, spricht unser 11. Vers davon, wie man zum Nichtsündigen kommen könne. Haben wir uns das Bild eines in seiner Heiligkeit glückseligen Menschen vergegenwärtigt, wie dies in V. 3 geschehen, nun, dann müssen wir doch auch etwas daran setzen, gleichfalls solchen Stand heiliger Unschuld und göttlicher Glückseligkeit zu erlangen; das kann aber nur geschehen durch wahre Herzensfrömmigkeit, die sich auf das Wort gründet.
12. Gelobet seist du, HERR. In diesen Worten verleiht der Sänger der anbetenden Bewunderung der Heiligkeit Gottes, seines HERRN, Ausdruck, einer Heiligkeit, der er in aller Demut nachzueifern bestrebt ist. Er lobt Gott für alles, was dieser ihm geoffenbart und in ihm gewirkt hat; er preist ihn mit der ganzen Wärme ehrfürchtiger Liebe und bewundernder Anbetung.
Sobald nur das Wort ins Herz gedrungen ist, stellt sich auch das Begehren ein, dasselbe zu erfassen, es sich zu eigen zu machen. Wenn der Leib Speise zu sich genommen hat, muss die Speise verdaut, in Lebenskraft verwandelt werden; wenn die Seele das Wort aufgenommen hat, ist das Nächste das Gebet: HERR, lehre du mich seinen Inhalt, seinen Sinn verstehen. Lehre mich deine Rechte, denn nur so lerne ich den Weg kennen, der zur Seligkeit führt. Du selbst, HERR, bist so voll Seligkeit, dass du sicherlich nur Freude daran haben kannst, auch andere selig zu sehen, und ich flehe dich um die Gnade an, unterwiesen zu werden in deinen Geboten, deinen Rechten. Glückliche Menschen freuen sich, wenn sie auch andere glücklich machen können, und Gott, der wahrhaft Selige, wird auch nur mit Freuden die Heiligkeit verleihen, die die Quelle wahrer Glückseligkeit ist. Der Glaube gründet seine Hoffnung, erhört zu werden, nie auf irgendetwas, das im Menschen ist, sondern stets auf die Vollkommenheit Gottes. Darum bereitet das Lob Gottes im ersten Teil des Verses die Bitte des zweiten Teiles vor.
Wir haben es so nötig, Schüler, Lernende zu sein. Welche hohe Ehre aber ist es, Gott selbst zum Lehrer zu haben, wie kühn daher die Bitte Davids: Lehre du mich! Aber der HERR selbst war es, der ihm dieses Verlangen ins Herz gab, als das heilige Wort daselbst eine Stätte fand; so mögen wir gewiss sein, dass der Psalmist nicht die Grenzen überschritt, als er diese Bitte aussprach. Wer möchte nicht wünschen, in eine solche Schule zu gehen, zu einem solchen Meister, um von ihm die Kunst zu lernen, wie man zur Heiligung gelangt? Diesem Lehrer müssen wir uns völlig unterstellen, wenn wir in unserm Tun und Wandel die Gebote der Gerechtigkeit erfüllen wollen. Der König, der diese Gesetze erließ, weiß auch am besten sie auszulegen, und da sie nur ein Ausfluss seines eigensten Wesens sind, vermag er auch am besten uns mit ihrem Geiste zu erfüllen. Diese Bitte empfiehlt sich allen, die ihren Weg unsträflich gehen wollen; handelt es sich bei ihr doch nicht um Einführung in Tiefen verborgener Wissenschaft, sondern um Kenntnisse, die wir für das tägliche Leben bedürfen, um Unterweisung in dem geltenden Gesetz. Kennen wir die Gesetze des HERRN, dann haben wir das wichtigste Stück Bildung erlangt.
So sollte denn ein jeder sprechen: Lehre mich deine Rechte. Welch ein köstliches Gebet für den täglichen Gebrauch! Von den drei Bitten in V. 8.10.12: Verlass mich nimmermehr, lass mich nicht abirren, lehre mich deine Rechte, bedeutet jede folgende einen Fortschritt gegen die vorhergehende. Und noch ein zweites und drittes Mal kommt der Psalmist auf diese Bitte zurück, siehe V. 33 f. u. V. 66. Und die Erhörung ist in V. 98-100 ausgesprochen: Du machst mich weiser als meine Feinde, ich bin gelehrter als meine Lehrer, ich bin klüger denn die Alten, denn ich halte deine Befehle. Aber selbst dann noch kann David nicht von dieser Bitte loskommen; beständig kehrt sie wieder, so in V. 108.124.135.144.169, und es ist dieselbe Sehnsucht, die fast am Schlusse des Psalms in den Worten des 171. Verses ihren Ausdruck findet: Meine Lippen sollen loben, wenn du mich deine Rechte lehrst.
13. Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Rechte deines Mundes. Der ein Lernender war, will nun selbst zum Lehrer werden. Ja, er ist es bereits. (Vergl. das Perf. praes. des Grundtext) Was wir hören ins Ohr, das sollen wir auf den Dächern predigen. (Mt. 10,27.) Danach handelt auch der Psalmist. Soviel er selber gelernt hat, das verkündigt er anderen. Gott hat viele seiner Rechte mit seinem Munde geoffenbart, das will sagen, in klarer, verständlicher Offenbarung, und diese weiter zu geben ist unsere Pflicht. Wir sollen ein jeder sozusagen ein Echo dieser einen untrüglichen Stimme werden. Es gibt Rechtsordnungen Gottes, die für uns unergründlich sind wie die brausende Tiefe des Meeres, Geheimnisse, die er nicht geoffenbart hat (5. Mose 29,28), und wir tun wohl, wenn wir uns nicht mit solchen abmühen. Was der HERR verhüllt hat, das enthüllen zu wollen wäre Vermessenheit. Aber auf der anderen Seite wäre es unverantwortlich, wollten wir verheimlichen, was der HERR geoffenbart hat.
Es liegt für einen Christenmenschen in Zeiten der Heimsuchung ein großer Trost darin, wenn er sich beim Rückblick auf sein Leben sagen kann, er habe diese Pflicht dem Worte Gottes gegenüber erfüllt. Es verleiht ein Gefühl freudiger Sicherheit, wie Noah ein Prediger der Gerechtigkeit gewesen zu sein, wenn die Fluten hoch und immer höher steigen und die gottlose Welt unterzugehen im Begriff ist. Und Lippen, die sich dazu haben brauchen lassen, Gottes Rechte rühmend zu erzählen, die werden auch Gehör finden, wenn sie Gott seine Verheißungen vorhalten. Haben wir solche Ehrfurcht vor dem, was aus Gottes Munde geht, dass wir es weit und breit verkündigen, dann dürfen wir auch sicher sein, dass Gott die Bitten, die aus unserem Munde gehen, nicht unbeachtet lassen wird.
Es kann für einen jungen Mann ein sehr wirksames Mittel sein, um seinen Weg unsträflich zu gehen, wenn er sich beständig der Aufgabe hingibt, die ihm von Gott gegebenen Gelegenheiten zu ergreifen, um auf allerlei Weise das Evangelium kund zu machen. Der wird nicht leicht Gefahr laufen, von dem, was recht ist, abzuirren, dessen Seele ganz davon erfüllt ist, die Rechte des HERRN zu verkündigen. Docendo discimus, beim Lehren lernen wir. Üben wir unsere Zunge, sich dem Heiligen zu Dienst zu stellen, so halten wir damit den ganzen Leib im Zaum, und Vertrautheit mit den Wegen des HERRN schafft, dass wir mehr und mehr am Tun des Guten unsere Freude haben. So werden wir also in dreifacher Beziehung auf dem Wege des HERRN voranschreiten, indem wir seine Rechte verkündigen.
Auf dass ich nicht wider dich sündige. Das ist das vorgesteckte Ziel. Treffend hat einer hierzu bemerkt: Da haben wir das beste Ding: dein Wort, geborgen am besten Platze: in meinem Herzen, zu dem besten Zwecke: auf dass ich nicht wider dich sündige. Der Psalmist ging mit großer Sorgfalt vor, wie jemand, der ängstlich sein Geld verwahrt, wenn er Diebe befürchtet. In diesem Falle war der gefürchtete Dieb die Sünde. Wider Gott sündigen, das ist nach des Frommen Urteil das Wesen des sittlich Bösen. Andere Menschen hingegen kümmern sich nur um das, was sie gegen Menschen fehlen. Der beste Schutz gegen die Sünde wider Gott ist Gottes Wort, denn es zeigt uns seinen Willen und wirkt mit seiner Geistesmacht darauf hin, unseren Willen mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung zu bringen. Es gibt kein Heilmittel, das das Gift der Sünde so kräftig aus unseren Adern treiben könnte, als das Wort unseres Gottes, wenn es vom Herzen als dem Sitz des Lebens aus seine Kraft entfalten kann. Wir werden uns nie vor der Sünde hüten können, wenn wir nicht das Wort der Wahrheit in unserem Herzen hüten.
Eine Betonung der Worte dein und dich in diesen Versen gibt Anlass zu einer Reihe schöner Gedanken. Der Dichter redet mit Gott, er liebt das Wort, weil es sein Wort ist, er hasst die Sünde, weil sie Sünde wider ihn ist. Wenn er andere ärgert, so geht ihm das nicht so nahe, solange er damit nicht seinen Gott beleidigt. Wenn wir Gott nicht erzürnen wollen, so müssen wir sein eigenes Wort in unserem Herzen behalten.
Beachtung verdient auch die persönliche Weise, in welcher der Mann Gottes dies tut. "Ich suche dich von ganzem Herzen". Was immer andere zu tun erwählen mögen, er hat bereits seine Wahl getroffen; er hat das Wort ins tiefste Innere aufgenommen, da wohnt es als die Freude seines Herzens. Mögen andere Gottes Vorschriften übertreten, sein Ziel ist die Heiligung: "Auf dass ich nicht wider dich sündige." Und dies soll nicht etwa einen erst für die Zukunft gefassten Vorsatz ausdrücken, sondern ist schon längst die Richtschnur für sein Handeln gewesen. Viele Menschen sind groß im Versprechen; der Psalmist aber hat schon seine Zuverlässigkeit im Handeln bewiesen, darum darf er sicher auf Erfolg hoffen. Wenn das Wort im Herzen sicher geborgen ist, wird auch das Leben vor der Sünde sicher geborgen sein.
Auch in dem dritten Vers jedes der beiden Abschnitte, in Vers 3 und Vers 11, tritt die Übereinstimmung der Gedanken zutage. Während in V. 3 von denen die Rede ist, die kein Übel tun, spricht unser 11. Vers davon, wie man zum Nichtsündigen kommen könne. Haben wir uns das Bild eines in seiner Heiligkeit glückseligen Menschen vergegenwärtigt, wie dies in V. 3 geschehen, nun, dann müssen wir doch auch etwas daran setzen, gleichfalls solchen Stand heiliger Unschuld und göttlicher Glückseligkeit zu erlangen; das kann aber nur geschehen durch wahre Herzensfrömmigkeit, die sich auf das Wort gründet.
12. Gelobet seist du, HERR. In diesen Worten verleiht der Sänger der anbetenden Bewunderung der Heiligkeit Gottes, seines HERRN, Ausdruck, einer Heiligkeit, der er in aller Demut nachzueifern bestrebt ist. Er lobt Gott für alles, was dieser ihm geoffenbart und in ihm gewirkt hat; er preist ihn mit der ganzen Wärme ehrfürchtiger Liebe und bewundernder Anbetung.
Sobald nur das Wort ins Herz gedrungen ist, stellt sich auch das Begehren ein, dasselbe zu erfassen, es sich zu eigen zu machen. Wenn der Leib Speise zu sich genommen hat, muss die Speise verdaut, in Lebenskraft verwandelt werden; wenn die Seele das Wort aufgenommen hat, ist das Nächste das Gebet: HERR, lehre du mich seinen Inhalt, seinen Sinn verstehen. Lehre mich deine Rechte, denn nur so lerne ich den Weg kennen, der zur Seligkeit führt. Du selbst, HERR, bist so voll Seligkeit, dass du sicherlich nur Freude daran haben kannst, auch andere selig zu sehen, und ich flehe dich um die Gnade an, unterwiesen zu werden in deinen Geboten, deinen Rechten. Glückliche Menschen freuen sich, wenn sie auch andere glücklich machen können, und Gott, der wahrhaft Selige, wird auch nur mit Freuden die Heiligkeit verleihen, die die Quelle wahrer Glückseligkeit ist. Der Glaube gründet seine Hoffnung, erhört zu werden, nie auf irgendetwas, das im Menschen ist, sondern stets auf die Vollkommenheit Gottes. Darum bereitet das Lob Gottes im ersten Teil des Verses die Bitte des zweiten Teiles vor.
Wir haben es so nötig, Schüler, Lernende zu sein. Welche hohe Ehre aber ist es, Gott selbst zum Lehrer zu haben, wie kühn daher die Bitte Davids: Lehre du mich! Aber der HERR selbst war es, der ihm dieses Verlangen ins Herz gab, als das heilige Wort daselbst eine Stätte fand; so mögen wir gewiss sein, dass der Psalmist nicht die Grenzen überschritt, als er diese Bitte aussprach. Wer möchte nicht wünschen, in eine solche Schule zu gehen, zu einem solchen Meister, um von ihm die Kunst zu lernen, wie man zur Heiligung gelangt? Diesem Lehrer müssen wir uns völlig unterstellen, wenn wir in unserm Tun und Wandel die Gebote der Gerechtigkeit erfüllen wollen. Der König, der diese Gesetze erließ, weiß auch am besten sie auszulegen, und da sie nur ein Ausfluss seines eigensten Wesens sind, vermag er auch am besten uns mit ihrem Geiste zu erfüllen. Diese Bitte empfiehlt sich allen, die ihren Weg unsträflich gehen wollen; handelt es sich bei ihr doch nicht um Einführung in Tiefen verborgener Wissenschaft, sondern um Kenntnisse, die wir für das tägliche Leben bedürfen, um Unterweisung in dem geltenden Gesetz. Kennen wir die Gesetze des HERRN, dann haben wir das wichtigste Stück Bildung erlangt.
So sollte denn ein jeder sprechen: Lehre mich deine Rechte. Welch ein köstliches Gebet für den täglichen Gebrauch! Von den drei Bitten in V. 8.10.12: Verlass mich nimmermehr, lass mich nicht abirren, lehre mich deine Rechte, bedeutet jede folgende einen Fortschritt gegen die vorhergehende. Und noch ein zweites und drittes Mal kommt der Psalmist auf diese Bitte zurück, siehe V. 33 f. u. V. 66. Und die Erhörung ist in V. 98-100 ausgesprochen: Du machst mich weiser als meine Feinde, ich bin gelehrter als meine Lehrer, ich bin klüger denn die Alten, denn ich halte deine Befehle. Aber selbst dann noch kann David nicht von dieser Bitte loskommen; beständig kehrt sie wieder, so in V. 108.124.135.144.169, und es ist dieselbe Sehnsucht, die fast am Schlusse des Psalms in den Worten des 171. Verses ihren Ausdruck findet: Meine Lippen sollen loben, wenn du mich deine Rechte lehrst.
13. Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Rechte deines Mundes. Der ein Lernender war, will nun selbst zum Lehrer werden. Ja, er ist es bereits. (Vergl. das Perf. praes. des Grundtext) Was wir hören ins Ohr, das sollen wir auf den Dächern predigen. (Mt. 10,27.) Danach handelt auch der Psalmist. Soviel er selber gelernt hat, das verkündigt er anderen. Gott hat viele seiner Rechte mit seinem Munde geoffenbart, das will sagen, in klarer, verständlicher Offenbarung, und diese weiter zu geben ist unsere Pflicht. Wir sollen ein jeder sozusagen ein Echo dieser einen untrüglichen Stimme werden. Es gibt Rechtsordnungen Gottes, die für uns unergründlich sind wie die brausende Tiefe des Meeres, Geheimnisse, die er nicht geoffenbart hat (5. Mose 29,28), und wir tun wohl, wenn wir uns nicht mit solchen abmühen. Was der HERR verhüllt hat, das enthüllen zu wollen wäre Vermessenheit. Aber auf der anderen Seite wäre es unverantwortlich, wollten wir verheimlichen, was der HERR geoffenbart hat.
Es liegt für einen Christenmenschen in Zeiten der Heimsuchung ein großer Trost darin, wenn er sich beim Rückblick auf sein Leben sagen kann, er habe diese Pflicht dem Worte Gottes gegenüber erfüllt. Es verleiht ein Gefühl freudiger Sicherheit, wie Noah ein Prediger der Gerechtigkeit gewesen zu sein, wenn die Fluten hoch und immer höher steigen und die gottlose Welt unterzugehen im Begriff ist. Und Lippen, die sich dazu haben brauchen lassen, Gottes Rechte rühmend zu erzählen, die werden auch Gehör finden, wenn sie Gott seine Verheißungen vorhalten. Haben wir solche Ehrfurcht vor dem, was aus Gottes Munde geht, dass wir es weit und breit verkündigen, dann dürfen wir auch sicher sein, dass Gott die Bitten, die aus unserem Munde gehen, nicht unbeachtet lassen wird.
Es kann für einen jungen Mann ein sehr wirksames Mittel sein, um seinen Weg unsträflich zu gehen, wenn er sich beständig der Aufgabe hingibt, die ihm von Gott gegebenen Gelegenheiten zu ergreifen, um auf allerlei Weise das Evangelium kund zu machen. Der wird nicht leicht Gefahr laufen, von dem, was recht ist, abzuirren, dessen Seele ganz davon erfüllt ist, die Rechte des HERRN zu verkündigen. Docendo discimus, beim Lehren lernen wir. Üben wir unsere Zunge, sich dem Heiligen zu Dienst zu stellen, so halten wir damit den ganzen Leib im Zaum, und Vertrautheit mit den Wegen des HERRN schafft, dass wir mehr und mehr am Tun des Guten unsere Freude haben. So werden wir also in dreifacher Beziehung auf dem Wege des HERRN voranschreiten, indem wir seine Rechte verkündigen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
14. Ich freue mich des Weges deiner Zeugnisse. Freude an Gottes Wort ist ein sicheres Zeichen, dass dasselbe am Herzen hat seine Kraft erweisen können, dass es uns reinigt zu unsträflichem Wandel. Schon längst (vergl. den Grundtext) war es Davids Wonne, sich dem Wort des HERRN hinzugeben, daher er auch so ganz davon erfüllt war, es zu verkündigen (V. 13). Seine Freude an Gottes Wort war nicht nur hervorgegangen aus Bewunderung seiner Schönheit oder seiner tiefen Gedanken, sondern aus Erkenntnis seines Wertes für den täglichen Wandel. Er freute sich des Weges, den die Zeugnisse des HERRN gebieten. Er suchte sich nicht das eine oder andere aus der Bibel heraus, oder wenn er doch eine Auswahl traf, so nahm er das für seinen Wandel Wichtigste zuerst. Wie über allerlei Reichtum. Der Psalmist vergleicht die volle Befriedigung, die ihm Gottes Wort und Wille gewähren, mit der Zufriedenheit eines Mannes, der großen, mannigfaltigen Besitz sein eigen nennt und zugleich die Fähigkeit hat, sich daran zu erfreuen. David kannte den Glanz des Herrschers, die Fülle von Schätzen, die dem Eroberer zufallen; er wusste den Wert erworbenen oder ererbten Vermögens zu schätzen, er kannte sehr wohl "allerlei Reichtum". Der so reich gesegnete König sah mit stolzer Freude das Gold und Silber sich in seinen Schatzkammern häufen, um dann fast unzählbare Mengen davon dem Lieblingsplan seines Lebens widmen zu dürfen, dass auf dem Zionsberge Jehovah ein Tempel gebaut werde. Gewiss eine heilige Freude an irdischem Reichtum, der zu heiligen Zwecken gesammelt war, und doch freut sich David dessen, was er in Gottes Wort gefunden, mehr als über allerlei Reichtum. Kein Wunder, dass er (V. 13) mit seinen Lippen redete von dem, was seine höchste Freude war.
15. Ich rede von dem, was du befohlen hast, Grundtext: Ich will sinnen (vergl. zu Ps. 1,2) über deine Befehle. Wer an etwas seine Herzensfreude hat, wird seine Gedanken nicht lange davon fernhalten können. Wie der Geizhals immer wieder zu seinen Schätzen schleicht, um sich an ihrem Anblick zu weiden, so kehrt der Liebhaber der göttlichen Wahrheit stets aufs Neue zurück zu dem unermesslichen Reichtum, den er in dem Buch der Bücher entdeckt hat. Für viele Menschen ist es ein saures Stück Arbeit, wenn sie in der Bibel lesen und über Gottes Wort nachsinnen sollen; dem geheiligten Menschen ist es eine Wonne. Wer einmal damit angefangen hat, Gottes Gedanken nachzudenken, der wird davon so gefesselt, dass er es nicht mehr lassen kann. Wer die Freude geschmeckt hat, die es bereitet, den Weg zu gehen, den Gottes Zeugnisse uns weisen, der wird von selbst über diese Zeugnisse immer tiefer nachdenken. Solch frommes Sinnen ist die heilsamste Übung, das beste geistliche Exerzitium für die Seele. Warum sind wohl viele so lässig darin? Es ist beachtenswert, dass es gerade die Befehle Gottes sind, die David als Gegenstand seiner Betrachtung erwähnt; natürlich, denn noch lag ihm die Frage im Sinne, wie ein Jüngling zu unsträflichem Wandel gelange (V. 9). Gehorsam ist ein Lebensnerv der Frömmigkeit.
Und schaue (Grundtext: will schauen) auf deine Wege. Darin liegt wohl zweierlei: Ich will sie genau betrachten, um recht zu erkennen, was deine Wege sind, und ich will mit ganzer Ehrfurcht auf sie mein Auge richten, um sie einzuhalten. Ich will die Wege beschauen, die du mit mir gehst, damit mein Herz durch ihre Wunder mit Ehrerbietung, Dank und Liebe erfüllt werde; und sodann will ich auch genau beachten, welches die Pfade sind, die du mir vorschreibst, deine Wege, auf denen ich dir nachfolgen soll. Auf diese will ich mit ganzer Sorgfalt Acht haben, damit ich in allen Stücken gehorsam werde und mich als treuer Knecht eines so herrlichen Herrn bewähre.
Beachten wir den Fortschritt an Verinnerlichung in den Versen. Wir schreiten gleichsam an dem Fluss aufwärts zu seiner Quelle hin. Von dem lauten, rühmenden Verkündigen in V. 13 zu der innigen, aber noch für andere wahrnehmbaren Freude in V. 14, und von da zu dem stillen Sinnen des in Gott seligen Gemütes, V. 15. Die reichsten Gnaden sind die tiefstinnerlichen.
16. Ich habe Lust zu deinen Rechten. Dieses Ergötzen der Seele ist eine Folge des sinnenden Betrachtens, woraus es so natürlich wie die Blume aus der Pflanze hervorsprosst. Man kann auch übersetzen: An deinen Satzungen will ich mich ergötzen, sie seien meine Lieblingslust. Wenn alle Erquickung von außen her uns fehlt und wir ganz auf uns selbst und unser einsames Kämmerlein angewiesen sind, wie köstlich ist es dann, wenn das Herz so bei sich selber einkehren und sich zuflüstern kann: Ich will mich dennoch ergötzen! Ob auch niemand mit Gesang und Saitenspiel mich erheitert, ich will mich dennoch freuen. Ist auch der Lenz mit seinen Blumen noch nicht herbeigekommen und ist es noch nicht Zeit, dass die Turteltaube sich hören lasse (Hohelied 2,12), so habe ich doch meine Lust. Ja, das ist die auserlesenste, edelste Freude; dies ist das gute Teil, das nicht von uns genommen werden kann. Aber so uns selbst zu ergötzen vermögen wir an nichts Geringerem als dem, was der HERR dazu bestimmt hat, zu der ewigen Befriedigung unserer Seele zu dienen. Das Gesetzbuch des Königreichs Gottes soll die Freude jedes treuen Bürgers dieses Reiches sein. Indem der Gläubige diese heiligen Blätter durchliest, entbrennt ihm das Herz, wenn er bald das eine, bald das andere der königlichen Worte seines Herrn betrachtet in ihrer unwandelbaren Herrlichkeit und beseligenden Gotteskraft.
Und vergesse deiner Worte nicht (oder: will nicht vergessen). Was man als kostbaren Schatz geborgen und verwahrt (V. 11), worüber man viel nachgedacht (V. 15) und wovon man oft gesprochen hat (V. 13), das wird man so leicht nicht vergessen. Weil aber unser Gedächtnis an unserer verderbten Natur teilhat und sich daher vielfach als untreu erweist, tun wir gut, uns immer wieder dazu zu ermuntern: Ich will deiner Worte nicht vergessen.
Vergleichen wir diesen Schlussvers des zweiten Abschnittes mit dem des ersten, so ergibt sich wiederum, dass sie in beiden Gliedern einander entsprechen, bei aller Ähnlichkeit aber doch wieder ganz neue Gedanken enthalten. Dasselbe ist im ganzen Psalm der Fall; nie wird, bei aller Ähnlichkeit der Worte, der ganz gleiche Gedanke wiederholt. Und wenn die Worte eines Verses oder Versgliedes denen eines andern fast aufs Haar gleichen, so ergibt die Stellung des Verses im Zusammenhang eine liebliche Abwechslung des Sinnes. Es geht uns da wie in der Natur: sehen wir die feinen Abtönungen der Farben und reiche Mannigfaltigkeit der Verschiedenheit ganz ähnlicher Formen nicht, so liegt es an unserem Auge; hören wir Eintönigkeit statt lieblicher Harmonien, so werden wir auf die wahre Ursache kommen, wenn wir an der Feinhörigkeit und Kunstgeübtheit unseres Ohres zweifeln lernen.
Erläuterungen und Kernworte
V. 9-16. Das achtfache b (B): Nach Gottes Wort sich haltend wandelt ein Jüngling unsträflich; der Dichter will das und erbittet sich dazu Gottes Gnadenbeistand.
9. Bestehn in reinem Wandel wie wird’s dem Jüngling möglich?
Wenn er sich hält nach deinem Worte.
10. Bemüht um dich bin ich mit ganzem Herzen,
Lass mich nicht abirren von deinen Geboten.
11. Bewahrt halt ich im Herzen deine Aussage,
Auf dass ich nicht sündige an dir.
12. Benedeiet seiest du, Jahve,
Lehre mich deine Satzungen.
13. Bericht tu’ ich mit meinen Lippen
Von allen Rechten deines Mundes.
14. Bei deiner Zeugnisse Weg empfind’ ich Wonne,
Wie über irgendein Besitztum.
15. Bei deinen Ordnungen soll mein Sinnen weilen
Und mein Blick bei deinen Pfaden.
16. Bei deinen Satzungen sei meine Lieblingslust,
Nicht will ich vergessen deines Wortes.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 9. Dieser Vers enthält eine Frage und ihre Beantwortung. Merke: Von einem Jünglinge ist die Rede; wir können nicht frühzeitig genug an diese Frage herantreten, wie ein unsträflicher Wandel zu führen sei, denn schon von klein auf werden wir durch die Sünde auf falschen Weg geführt. Also: Welches Mittel gibt es, dass ein Mensch, der doch unrein, von der Sünde befleckt ist, instand gesetzt werde, ein reines fleckenloses Leben zu führen, wenn er in die Jahre kommt, da er sich seinem Weg selbst zu erwählen hat. Die Antwort lautet: Halte dich nach Gottes Wort. Hier ist uns das Mittel und die Gebrauchsanweisung dazu gegeben. Das Mittel ist das Wort Gottes; ohne dieses ständen wir dieser Frage ratlos gegenüber. Und die Anwendung? Halte dich danach. Es genügt nicht, dass du es liest und darin forschst, du musst dich danach richten und so dein Leben in Einklang mit dem heiligen Gotteswillen bringen. Thomas Manton † 1677.
Aristoteles, ein Fürst unter den Weisen aller Zeiten, verzweifelte an der Aufgabe, einen Jüngling fähig zu machen, die ernsten, strengen Forderungen der Sittlichkeit, wie er sie selbst aufgestellt hatte, zu erfüllen; denn dieses Alter sei leichtsinnig und töricht, und dabei eigensinnig und schwer zu beeinflussen. Und nun: Nimm einen Jüngling in aller Glut seines heißen Blutes, seiner Leidenschaften, und führe ihn in diese Schule des Heiligen Geistes, in die Heilige Schrift ein, lass ihn sich der Führung dieses göttlichen Ratgebers überlassen, so wird er an sich selbst die Unübertrefflichkeit, die unwiderstehliche Kraft des göttlichen Wortes erfahren; es wird seine Kunst an ihm erweisen, und täglich wird er die Fortschritte in himmlischer Weisheit an sich merken. J. Gibbon 1660.
Ein ganzer von den zweiundzwanzig Abschnitten des Psalmes ist den Jünglingen gewidmet. Und es ist ganz angemessen, dass dies so ist. Die Jugendzeit ist die Zeit des Wachstums, da der Geist noch bildungsfähig, fremden Einflüssen zugänglich ist. Die Jugend ist die Zukunft der Gesellschaft, und die Furcht des HERRN, die der Anfang aller Weisheit ist, muss schon in der Jugend eingepflanzt werden. Die Kraft, die Bestrebungen, die noch durch keine Enttäuschungen getrübten Hoffnungen und Erwartungen der Jugend harren des Feldes, da sie sich entfalten, betätigen sollen. Möchten sie dem HERRN geheiligt sein und bleiben. John Stephen 1861.
Was soll ein Jüngling tun, um einen reinen Weg zu finden, eine vorwurfsfreie Lebensregel durch diese befleckende Welt? Ganz gewiss ist das eine Frage, die dem Neubekehrten, dessen Gewissen für das Bewusstsein seiner Sündhaftigkeit wach geworden ist, viel Sorge bereitet. Wie soll er sich von der Sünde frei erhalten, böse Gesellschaft meiden, von den schlimmen Freuden und Gepflogenheiten der Welt loskommen, die ihn bisher gefangen hielten? Und in dem Maße als er fortschreitet auf dem Pfade der Heiligung und den tausend Verführungen begegnet, die sich von außen und in seinem Herzen gegen ihn erheben, wie oft wird da nicht die angstvolle Frage des Apostels Paulus in ihm laut werden: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Nur wer in eitler Selbstüberschätzung und Überhebung befangen ist, vermöchte anders zu suhlen. Solcher Geist falscher Eigengerechtigkeit muss gedemütigt, muss ganz klein werden. Wie steht es bei dir, mein junger Leser? All dieses Bangen und Fragen findet eine Antwort an dieser Stelle. Wenn er sich hält nach deinen Worten. Nicht an Unterweisung fehlt es den jungen Leuten von heute, sondern am Wollen. Bei einem frommen Jüngling ist beides vorhanden. Das Wort hat in seinem Herzen Wurzel gefasst, es stärkt und kräftigt ihn in seinen Vorsätzen, mit süßen Liebesworten, mit dräuendem Ernst lockt, treibt es ihn an auf der rechten Straße. Und die Antwort auf diese ernste Frage ist so einfach und treffend. Was du nur an Leitung, an Weisung, an Unterstützung, an Hilfe nötig hast, du findest alles im Worte Gottes. John Stephen 1861.
Wenn er sich hält nach deinem Worte, wenn er das beobachtet, was deinem heiligen Worte gemäß ist. Dieses Wort zeigt, wie ein Sünder unsträflich wird, rein von seinen Sünden durch das Blut Christi, gerechtfertigt durch seine Gerechtigkeit, und auch wie und durch wen das Werk der Heiligung im Herzen gewirkt wird, nämlich durch den Geist Gottes mittelst des Wortes; ferner, was die Regel für den Wandel und Umgang eines Menschen ist. Das Wort Gottes erweist seine Brauchbarkeit als Lehrer in allem, was die Rechtfertigung und Sündenvergebung, die Sinnesänderung, die Änderung des Handels, der Lebensgewohnheiten betrifft. Vergl. 2. Tim. 3,16. John Gill † 1771.
Die Jugend hat einen Halt auf dem Wege sehr nötig, denn sie neigt zur Gedankenlosigkeit, Unaufmerksamkeit, zum Selbstvertrauen. Sie hat den Halt aber auch nötig um des schwierigen Weges willen. Achte auf deine Schritte, es ist ein schmaler Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein neuer Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein schlüpfriger Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein Weg voll unerwarteter Begegnungen. J. H. Evans † 1849.
Nach deinem Worte. Ich sage nicht, dass es nicht auch noch andere Stützen, andere Führer gebe. Ich behaupte nicht, dass das Gewissen keinen Wert als solcher habe, und das Gewissen ist gerade in der Jugend besonders zart und empfindlich. Ich leugne nicht, dass das Gebet eine wertvolle Stütze und Schutzwehr ist; aber Gebet ohne Festhalten am Worte ist unberechtigte Anmaßung. Darum, meine ich, gibt es keine so wirksame Schutzwehr, die jeden Feind abhält, als das Lesen des Wortes Gottes unter ernstlichem Gebete, da jede Versuchung von der Welt oder den Gefährten, jede Regung unseres eigenen Herzens und seiner Wünsche und Begierden in das Licht dieses Wortes gebracht wird, da bei allem gefragt wird: Was sagt die Bibel dazu? Und ihre Antwort, durchleuchtet und geweiht vom Heiligen Geiste, wird uns in allen Schwierigkeiten eine Leuchte unseres Fußes, ein Licht auf unserem Wege sein. B. Bouchier † 1865.
15. Ich rede von dem, was du befohlen hast, Grundtext: Ich will sinnen (vergl. zu Ps. 1,2) über deine Befehle. Wer an etwas seine Herzensfreude hat, wird seine Gedanken nicht lange davon fernhalten können. Wie der Geizhals immer wieder zu seinen Schätzen schleicht, um sich an ihrem Anblick zu weiden, so kehrt der Liebhaber der göttlichen Wahrheit stets aufs Neue zurück zu dem unermesslichen Reichtum, den er in dem Buch der Bücher entdeckt hat. Für viele Menschen ist es ein saures Stück Arbeit, wenn sie in der Bibel lesen und über Gottes Wort nachsinnen sollen; dem geheiligten Menschen ist es eine Wonne. Wer einmal damit angefangen hat, Gottes Gedanken nachzudenken, der wird davon so gefesselt, dass er es nicht mehr lassen kann. Wer die Freude geschmeckt hat, die es bereitet, den Weg zu gehen, den Gottes Zeugnisse uns weisen, der wird von selbst über diese Zeugnisse immer tiefer nachdenken. Solch frommes Sinnen ist die heilsamste Übung, das beste geistliche Exerzitium für die Seele. Warum sind wohl viele so lässig darin? Es ist beachtenswert, dass es gerade die Befehle Gottes sind, die David als Gegenstand seiner Betrachtung erwähnt; natürlich, denn noch lag ihm die Frage im Sinne, wie ein Jüngling zu unsträflichem Wandel gelange (V. 9). Gehorsam ist ein Lebensnerv der Frömmigkeit.
Und schaue (Grundtext: will schauen) auf deine Wege. Darin liegt wohl zweierlei: Ich will sie genau betrachten, um recht zu erkennen, was deine Wege sind, und ich will mit ganzer Ehrfurcht auf sie mein Auge richten, um sie einzuhalten. Ich will die Wege beschauen, die du mit mir gehst, damit mein Herz durch ihre Wunder mit Ehrerbietung, Dank und Liebe erfüllt werde; und sodann will ich auch genau beachten, welches die Pfade sind, die du mir vorschreibst, deine Wege, auf denen ich dir nachfolgen soll. Auf diese will ich mit ganzer Sorgfalt Acht haben, damit ich in allen Stücken gehorsam werde und mich als treuer Knecht eines so herrlichen Herrn bewähre.
Beachten wir den Fortschritt an Verinnerlichung in den Versen. Wir schreiten gleichsam an dem Fluss aufwärts zu seiner Quelle hin. Von dem lauten, rühmenden Verkündigen in V. 13 zu der innigen, aber noch für andere wahrnehmbaren Freude in V. 14, und von da zu dem stillen Sinnen des in Gott seligen Gemütes, V. 15. Die reichsten Gnaden sind die tiefstinnerlichen.
16. Ich habe Lust zu deinen Rechten. Dieses Ergötzen der Seele ist eine Folge des sinnenden Betrachtens, woraus es so natürlich wie die Blume aus der Pflanze hervorsprosst. Man kann auch übersetzen: An deinen Satzungen will ich mich ergötzen, sie seien meine Lieblingslust. Wenn alle Erquickung von außen her uns fehlt und wir ganz auf uns selbst und unser einsames Kämmerlein angewiesen sind, wie köstlich ist es dann, wenn das Herz so bei sich selber einkehren und sich zuflüstern kann: Ich will mich dennoch ergötzen! Ob auch niemand mit Gesang und Saitenspiel mich erheitert, ich will mich dennoch freuen. Ist auch der Lenz mit seinen Blumen noch nicht herbeigekommen und ist es noch nicht Zeit, dass die Turteltaube sich hören lasse (Hohelied 2,12), so habe ich doch meine Lust. Ja, das ist die auserlesenste, edelste Freude; dies ist das gute Teil, das nicht von uns genommen werden kann. Aber so uns selbst zu ergötzen vermögen wir an nichts Geringerem als dem, was der HERR dazu bestimmt hat, zu der ewigen Befriedigung unserer Seele zu dienen. Das Gesetzbuch des Königreichs Gottes soll die Freude jedes treuen Bürgers dieses Reiches sein. Indem der Gläubige diese heiligen Blätter durchliest, entbrennt ihm das Herz, wenn er bald das eine, bald das andere der königlichen Worte seines Herrn betrachtet in ihrer unwandelbaren Herrlichkeit und beseligenden Gotteskraft.
Und vergesse deiner Worte nicht (oder: will nicht vergessen). Was man als kostbaren Schatz geborgen und verwahrt (V. 11), worüber man viel nachgedacht (V. 15) und wovon man oft gesprochen hat (V. 13), das wird man so leicht nicht vergessen. Weil aber unser Gedächtnis an unserer verderbten Natur teilhat und sich daher vielfach als untreu erweist, tun wir gut, uns immer wieder dazu zu ermuntern: Ich will deiner Worte nicht vergessen.
Vergleichen wir diesen Schlussvers des zweiten Abschnittes mit dem des ersten, so ergibt sich wiederum, dass sie in beiden Gliedern einander entsprechen, bei aller Ähnlichkeit aber doch wieder ganz neue Gedanken enthalten. Dasselbe ist im ganzen Psalm der Fall; nie wird, bei aller Ähnlichkeit der Worte, der ganz gleiche Gedanke wiederholt. Und wenn die Worte eines Verses oder Versgliedes denen eines andern fast aufs Haar gleichen, so ergibt die Stellung des Verses im Zusammenhang eine liebliche Abwechslung des Sinnes. Es geht uns da wie in der Natur: sehen wir die feinen Abtönungen der Farben und reiche Mannigfaltigkeit der Verschiedenheit ganz ähnlicher Formen nicht, so liegt es an unserem Auge; hören wir Eintönigkeit statt lieblicher Harmonien, so werden wir auf die wahre Ursache kommen, wenn wir an der Feinhörigkeit und Kunstgeübtheit unseres Ohres zweifeln lernen.
Erläuterungen und Kernworte
V. 9-16. Das achtfache b (B): Nach Gottes Wort sich haltend wandelt ein Jüngling unsträflich; der Dichter will das und erbittet sich dazu Gottes Gnadenbeistand.
9. Bestehn in reinem Wandel wie wird’s dem Jüngling möglich?
Wenn er sich hält nach deinem Worte.
10. Bemüht um dich bin ich mit ganzem Herzen,
Lass mich nicht abirren von deinen Geboten.
11. Bewahrt halt ich im Herzen deine Aussage,
Auf dass ich nicht sündige an dir.
12. Benedeiet seiest du, Jahve,
Lehre mich deine Satzungen.
13. Bericht tu’ ich mit meinen Lippen
Von allen Rechten deines Mundes.
14. Bei deiner Zeugnisse Weg empfind’ ich Wonne,
Wie über irgendein Besitztum.
15. Bei deinen Ordnungen soll mein Sinnen weilen
Und mein Blick bei deinen Pfaden.
16. Bei deinen Satzungen sei meine Lieblingslust,
Nicht will ich vergessen deines Wortes.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 9. Dieser Vers enthält eine Frage und ihre Beantwortung. Merke: Von einem Jünglinge ist die Rede; wir können nicht frühzeitig genug an diese Frage herantreten, wie ein unsträflicher Wandel zu führen sei, denn schon von klein auf werden wir durch die Sünde auf falschen Weg geführt. Also: Welches Mittel gibt es, dass ein Mensch, der doch unrein, von der Sünde befleckt ist, instand gesetzt werde, ein reines fleckenloses Leben zu führen, wenn er in die Jahre kommt, da er sich seinem Weg selbst zu erwählen hat. Die Antwort lautet: Halte dich nach Gottes Wort. Hier ist uns das Mittel und die Gebrauchsanweisung dazu gegeben. Das Mittel ist das Wort Gottes; ohne dieses ständen wir dieser Frage ratlos gegenüber. Und die Anwendung? Halte dich danach. Es genügt nicht, dass du es liest und darin forschst, du musst dich danach richten und so dein Leben in Einklang mit dem heiligen Gotteswillen bringen. Thomas Manton † 1677.
Aristoteles, ein Fürst unter den Weisen aller Zeiten, verzweifelte an der Aufgabe, einen Jüngling fähig zu machen, die ernsten, strengen Forderungen der Sittlichkeit, wie er sie selbst aufgestellt hatte, zu erfüllen; denn dieses Alter sei leichtsinnig und töricht, und dabei eigensinnig und schwer zu beeinflussen. Und nun: Nimm einen Jüngling in aller Glut seines heißen Blutes, seiner Leidenschaften, und führe ihn in diese Schule des Heiligen Geistes, in die Heilige Schrift ein, lass ihn sich der Führung dieses göttlichen Ratgebers überlassen, so wird er an sich selbst die Unübertrefflichkeit, die unwiderstehliche Kraft des göttlichen Wortes erfahren; es wird seine Kunst an ihm erweisen, und täglich wird er die Fortschritte in himmlischer Weisheit an sich merken. J. Gibbon 1660.
Ein ganzer von den zweiundzwanzig Abschnitten des Psalmes ist den Jünglingen gewidmet. Und es ist ganz angemessen, dass dies so ist. Die Jugendzeit ist die Zeit des Wachstums, da der Geist noch bildungsfähig, fremden Einflüssen zugänglich ist. Die Jugend ist die Zukunft der Gesellschaft, und die Furcht des HERRN, die der Anfang aller Weisheit ist, muss schon in der Jugend eingepflanzt werden. Die Kraft, die Bestrebungen, die noch durch keine Enttäuschungen getrübten Hoffnungen und Erwartungen der Jugend harren des Feldes, da sie sich entfalten, betätigen sollen. Möchten sie dem HERRN geheiligt sein und bleiben. John Stephen 1861.
Was soll ein Jüngling tun, um einen reinen Weg zu finden, eine vorwurfsfreie Lebensregel durch diese befleckende Welt? Ganz gewiss ist das eine Frage, die dem Neubekehrten, dessen Gewissen für das Bewusstsein seiner Sündhaftigkeit wach geworden ist, viel Sorge bereitet. Wie soll er sich von der Sünde frei erhalten, böse Gesellschaft meiden, von den schlimmen Freuden und Gepflogenheiten der Welt loskommen, die ihn bisher gefangen hielten? Und in dem Maße als er fortschreitet auf dem Pfade der Heiligung und den tausend Verführungen begegnet, die sich von außen und in seinem Herzen gegen ihn erheben, wie oft wird da nicht die angstvolle Frage des Apostels Paulus in ihm laut werden: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Nur wer in eitler Selbstüberschätzung und Überhebung befangen ist, vermöchte anders zu suhlen. Solcher Geist falscher Eigengerechtigkeit muss gedemütigt, muss ganz klein werden. Wie steht es bei dir, mein junger Leser? All dieses Bangen und Fragen findet eine Antwort an dieser Stelle. Wenn er sich hält nach deinen Worten. Nicht an Unterweisung fehlt es den jungen Leuten von heute, sondern am Wollen. Bei einem frommen Jüngling ist beides vorhanden. Das Wort hat in seinem Herzen Wurzel gefasst, es stärkt und kräftigt ihn in seinen Vorsätzen, mit süßen Liebesworten, mit dräuendem Ernst lockt, treibt es ihn an auf der rechten Straße. Und die Antwort auf diese ernste Frage ist so einfach und treffend. Was du nur an Leitung, an Weisung, an Unterstützung, an Hilfe nötig hast, du findest alles im Worte Gottes. John Stephen 1861.
Wenn er sich hält nach deinem Worte, wenn er das beobachtet, was deinem heiligen Worte gemäß ist. Dieses Wort zeigt, wie ein Sünder unsträflich wird, rein von seinen Sünden durch das Blut Christi, gerechtfertigt durch seine Gerechtigkeit, und auch wie und durch wen das Werk der Heiligung im Herzen gewirkt wird, nämlich durch den Geist Gottes mittelst des Wortes; ferner, was die Regel für den Wandel und Umgang eines Menschen ist. Das Wort Gottes erweist seine Brauchbarkeit als Lehrer in allem, was die Rechtfertigung und Sündenvergebung, die Sinnesänderung, die Änderung des Handels, der Lebensgewohnheiten betrifft. Vergl. 2. Tim. 3,16. John Gill † 1771.
Die Jugend hat einen Halt auf dem Wege sehr nötig, denn sie neigt zur Gedankenlosigkeit, Unaufmerksamkeit, zum Selbstvertrauen. Sie hat den Halt aber auch nötig um des schwierigen Weges willen. Achte auf deine Schritte, es ist ein schmaler Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein neuer Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein schlüpfriger Weg. Achte auf deine Schritte, es ist ein Weg voll unerwarteter Begegnungen. J. H. Evans † 1849.
Nach deinem Worte. Ich sage nicht, dass es nicht auch noch andere Stützen, andere Führer gebe. Ich behaupte nicht, dass das Gewissen keinen Wert als solcher habe, und das Gewissen ist gerade in der Jugend besonders zart und empfindlich. Ich leugne nicht, dass das Gebet eine wertvolle Stütze und Schutzwehr ist; aber Gebet ohne Festhalten am Worte ist unberechtigte Anmaßung. Darum, meine ich, gibt es keine so wirksame Schutzwehr, die jeden Feind abhält, als das Lesen des Wortes Gottes unter ernstlichem Gebete, da jede Versuchung von der Welt oder den Gefährten, jede Regung unseres eigenen Herzens und seiner Wünsche und Begierden in das Licht dieses Wortes gebracht wird, da bei allem gefragt wird: Was sagt die Bibel dazu? Und ihre Antwort, durchleuchtet und geweiht vom Heiligen Geiste, wird uns in allen Schwierigkeiten eine Leuchte unseres Fußes, ein Licht auf unserem Wege sein. B. Bouchier † 1865.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 119
Erläuterungen und Kernworte
V. 10. Ich suche dich von ganzem Herzen. Wohl mögen nur sehr wenige mit gutem Gewissen wie der königliche Prophet David von sich sagen, dass sie von ganzem Herzen, d. h. ohne alle Nebengedanken, in voller Reinheit und Unschuld ihres Herzens den HERRN gesucht haben; aber dieser Jüngling hier kann so vor dem Herzenskündiger sprechen, jedes Wort trägt den Stempel der Wahrheit. Wie unumwunden spricht er sich seinem Gott gegenüber aus. Wir pflegen uns in solchem Falle anders auszudrücken; wir vermeiden solche bestimmte Ausdrucksweise, wir würden sagen: Ich möchte dich suchen, o dass ich dich doch suchte! Aber der Jüngling hier spricht gerade heraus, ohne Umschweife, voll herzlichen Vertrauens öffnet er dem HERRN sein Herz, und durch den ganzen Psalm hindurch begegnen wir überall diesem Zeichen eines frommen, gotterfüllten Gemütes. - Nach J. Calvin † 1564 und J. Stephen 1861.
Lass mich nicht abirren von deinen Geboten. Je reicher unsere Erfahrung in geistlichen Dingen ist, desto mehr kommt es uns zum Bewusstsein, wie schnell wir bereit sind, aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit von Gottes Wegen abzuirren. Der junge unerfahrene Krieger aber wagt in jugendlichem Übermut, den Gefahren Trotz zu bieten; tollkühn reitet er bis ins Lager der Feinde, er spielt mit der Versuchung, als ob es mit ihm keine Gefahr hätte. Er kennt nicht die Furcht Davids, die ihn in den Hilfeschrei ausbrechen lässt: O lass mich nicht abirren! Dickson † 1662.
V. 11. Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, auf dass ich nicht wider dich sündige. Das ins Herz aufgenommene und dort bewahrte Wort bringt Frucht. Wenn ein Jüngling nur mit den Augen die Buchstaben und Wörter des heiligen Buches aufnimmt, so verliert das Wort der Verheißung und Unterweisung seine Kraft. Auch das bloße Behalten im Gedächtnis tut es nicht. Wir müssen das Wort in seinem vollen Werte erkennen und schätzen und ihm in unseren Herzen einen Raum gewähren; es muss eine Sache des Herzens sowohl als des Verstandes werden. Dein Inneres muss ganz von ihm durchdrungen werden. Wenn Gottes Wort mit seinen Verheißungen, seinen Warnungen, mit seinen göttlichen Wahrheiten, kurz, wenn Gott selbst so im Herzen des Jünglings zu einer Wirklichkeit geworden ist, dann wird auch sein ganzer Geist von Gottes Kraft erfüllt, von Gottes Weisheit erleuchtet, sein Gewissen wird geschärft werden, er wird nicht mehr gegen Gott sündigen wollen. J. Stephen 1861.
Ich behalte dein Wort in meinem Herzen. Die Kinder dieser Welt tragen ihre Juwelen und ihre Kleinode äußerlich sichtbar mit sich umher, des Christmenschen Schatz ist in seinem Inneren geborgen. Es gibt ja auch keinen Schrein, der imstande und geeignet wäre, das Wort des Trostes aufzunehmen und zu bewahren, als eben das Herz. Wenn du es nur im Munde führst, so wird es von dir genommen; besitzest du es nur im Buche, so wird es dich im Stiche lassen, wenn du es eben am nötigsten brauchst. Wenn du es aber in deinem Herzen behältst und bewegst, wie Maria tat mit den Worten des Engels, so wird kein Feind es dir je rauben können, und du wirst dich in der Zeit der Not seiner als eines köstlichen Schatzes erfreuen dürfen. William Cowper † 1619.
Auf dass ich nicht wider dich sündige. Wenn wir das Wort in unserem Herzen bewahren, so bewahrt es uns vor dem Sündigen, sowohl gegen Gott als gegen uns selbst. Die Erfahrung zeigt, dass uns zuerst die Erinnerung an das Wort oder wenigstens die Liebe zum Worte genommen werden muss, so dass die Scheu davor geschwunden ist, ehe es zur Begehung einer Sünde kommt. Solange Eva das Wort Gottes im Glauben festhielt, vermochte sie dem Satan zu widerstehen; mit dem Augenblicke aber, da sie das fahren ließ, was Gott mit seinem Worte aufs festeste bestimmt hatte, und dem Zweifel Raum gab, war sie verloren. William Cowper † 1619.
V. 12. Lehre mich. David hatte den Propheten Nathan, er hatte Priester, die ihn lehren konnten, aber alle ihre Unterweisung war nichts nütze ohne Gottes Gnadenbeistand, darum bittet er: Lehre du mich. W. Nicholson † 1671.
Das Wort lehren bedeutet dem Psalmisten hier doch mehr als eine bloße Mitteilung von Kenntnissen; denn diese besaß er schon, wie er selbst vorher gesagt hatte: Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, und im siebenten Vers hieß es auch schon: Du lehrst mich. Hier wird auch um die Gnadengabe gebeten, den empfangenen Lehren zu gehorchen. Kard. Rob. Bellarmin † 1621.
Wer den 119. Psalm mit Aufmerksamkeit liest, dem kann nicht entgehen, mit welcher Bestimmtheit an der Tatsache festgehalten wird, dass menschliche Kraft nicht ausreicht, wo es sich um das Befolgen der Gebote Gottes handelt. Er selbst muss in uns das Wollen zum Erfüllen dieser Pflichten wirken. Der Psalmist fleht den HERRN an, ihm die Augen aufzutun, damit er die Wunder an seinem Gesetz schaue (V. 18), er fleht ihn an, ihn zu lehren seine Rechte (V. 26), von ihm abzuwenden den falschen Weg der Lüge (V. 29), sein Herz zu seinen Zeugnissen zu neigen und nicht zum Geize (V. 36), seine Augen abzuwenden, dass sie nicht sehen nach unnützer Lehre (V. 37), und nicht von seinem Munde zu nehmen das Wort der Wahrheit (V. 43). Jede einzelne dieser Bitten zeigt, dass er zum vollen Bewusstsein seiner gänzlichen Hilflosigkeit, seiner völligen Abhängigkeit von Gott gekommen war, wo es sich um ein Fortschreiten auf dem Wege der Erkenntnis der Wahrheit handelte. All sein Forschen im Gesetz, all sein Streben nach Heiligkeit, das fühlt er genau, hatte keine Aussicht auf Erfolg, wenn nicht Gottes Gnade schützend und fördernd eingriff, wenn sie ihn nicht mit dem rechten Eifer, der rechten Lust erfüllte, ihm als Führer zur Seite stand, um ihn zu einem rechten Verständnis der Schrift und zu einem klaren Bewusstsein seiner Pflichten gegen Gott und Menschen zu leiten. G. Phillipps 1846.
V. 13. Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Rechte deines Mundes. Nachdem der Psalmist das reinigende Wort in sein Herz aufgenommen (V. 11), um es da zu bewahren, will er es nun auch mit seinen Lippen verkünden. Er will es alles erzählen, denn es ist alles gut und rein. Wenn das Herz gereinigt ist, dann wird das, was aus dem Herzen quillend über die Lippen strömt, auch rein sein. Fr. G. Marchant 1882.
Ich will erzählen alle Rechte usw. Aber an einer anderen Stelle (Ps. 36,7) heißt es: Dein Recht ist wie eine große Tiefe. Und der Apostel spricht (Röm. 11,33-34) von der Tiefe der Weisheit und Erkenntnis Gottes und der Unbegreiflichkeit seiner Gerichte, der Unerforschlichkeit seiner Wege. Wenn seine Gerichte, seine Rechte unerforschlich, unbegreiflich sind, wie sagt dann hier der Psalmist, er wolle sie erzählen, verkünden, auslegen? Denn das liegt alles in dem Worte erzählen. Es gibt eben noch andere "Gerichte" Gottes, die nicht Gerichte, Aussprüche seines Mundes sind, sondern seines Herzens, seiner Hand. In der Heiligen Schrift finden sich keine Widersprüche, die ihr Ansehen schwächen. In der angeführten Psalmstelle heißt es nicht: Die Gerichte deines Mundes sind eine große Tiefe, sondern: Dein Recht ist eine große Tiefe, und der Apostel spricht nicht von der Unerforschlichkeit der Gerichte seines Mundes, also seiner Worte, sondern von der Unerforschlichkeit seiner Gerichte, seiner Wege überhaupt. Es sind hier die verborgenen Ratschläge des HERRN gemeint, die er uns nicht enthüllt hat; die Rechte seines Mundes aber sind die, die er uns verkündet hat durch den Mund seiner Propheten. Ambrosius † 397.
V. 14. Ich freue mich des Weges deiner Zeugnisse wie über allerlei Reichtum. Gottes Willensbezeugungen in seinem Worte sollen unser Führer sein auf dem Wege. David freut sich nicht am tiefsinnigen Grübeln, an schönen Reden über Gottes Gesetz, sondern am Gehorsam in seinem Tun und Handeln. Und er bezeichnet auch den Grad seiner Freude: wie über allerlei Reichtum. Das heißt nicht, dass er diese Dinge für gleichwertig ansieht, als ob wir dieselbe Freude an den Dingen dieser Welt, wie an Gottes Wort haben dürften. Das ist das Höchste für Weltmenschen, und wie sie sich an irdischen Gütern ergötzen, so freue ich mich des Weges deiner Zeugnisse. David will hier nicht seine Freude am Wort mit seiner eigenen Freude an Geld und Gut vergleichen, sondern seine Freude, seine Lust mit der Freude und Lust anderer. Thomas Manton † 1677.
Ich freue mich des Weges, den deine Zeugnisse gebieten. Eine Hauptursache, weshalb wir so oft im Worte nicht den Trost finden, der doch darin enthalten ist, ist darin zu suchen, dass wir es nicht zur Richtschnur unseres Handelns machen. William Cowper † 1619.
V. 15. Ich will sinnen über deine Befehle. (Grundtext) Wieviel größer und reiner würde unsere Freude an Gottes Wort sein, wenn wir es zu unserer täglichen Gewohnheit machten, darüber fleißig zu sinnen; aber dazu entschließt sich der fleischliche Sinn niemals, und selbst der erneuerte Sinn hat noch so viel vom alten Adam in sich, dass es oft ihm sehr schwerfällt. Charles Bridges † 1869.
Ich schaue auf deine Wege. Welchen Genuss gewährt es doch auf einer Reise, die Schönheiten des Weges zu betrachten, herrliche Bauwerke, schöne Anlagen, Kunstwerke aller Art. Aber was wollen alle diese Dinge besagen gegenüber einer Betrachtung der Wege des HERRN, der Wege, die er selbst gegangen und auf die er die Menschen gewiesen hat. Wie nötig haben wir es, den Weg recht ins Auge zu fassen! Sonst geht es uns wie einem verschlafenen Kutscher, der sein Fuhrwerk mitsamt den Insassen umwirft. Martin Geier † 1681.
V. 16. Ich habe Lust zu deinen Rechten. Schon in V. 14 hat er es ausgesprochen, dass er sich des Weges seiner Zeugnisse freue, und hier wiederholt er es, dass er seine Lust, seine Freude an Gottes Rechten habe. Der Gottesfürchtige wird umso eifriger im Gutestun, je mehr er dasselbe übt. Wie schnell dagegen werden die Trägen, die weltlich Gesinnten müde, Gutes zu wirken; sie meinen, wenn sie irgendeine kleine äußere Forderung der Religion erfüllt haben, nun aller weiteren Pflichten enthoben zu sein. Aber die rechte Frömmigkeit kennt man am Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, an der Beharrlichkeit und ernsten Ausdauer im Gutestun. Und der Psalmist fügt hinzu: Ich vergesse deiner Worte nicht. Die geistlichen Gaben stärken und mehren sich gegenseitig. Das Nachsinnen über etwas fördert die Betrachtung. Wer kann etwas im Geiste betrachten, worüber er nicht zugleich nachsinnt? Die Betrachtung wiederum erzeugt die Freude am Gegenstande, und diese Freude stärkt die Erinnerung, denn wer sich am Worte freut, wird es nicht vergessen, und die Erinnerung führt wieder zum Nachdenken. So erzeugt eine geistliche Gabe die andere; hinwieder erzeugt die Vernachlässigung einer einzigen den Zusammenbruch aller übrigen. William Cowper † 1619.
Ich habe Lust. Wenn wir erst angefangen haben, die Übung der Gerechtigkeit nicht mehr als eine lästige Pflicht anzusehen, wenn sie uns eine Lust geworden ist, dann gewinnt sie auch einen ganz anderen, einen viel höheren sittlichen Wert. Wir stehen nicht mehr unter einem unerbittlichen Zuchtmeister. Der Gehorsam wird aus einem Zwang ein Tun freier Wahl, und so gewinnt er einen höheren sittlichen Wert als früher. Wir werden nicht mehr dazu getrieben durch den Gott des Gesetzes, sondern gezogen in unseren Herzen durch die Liebe zu ihm und zu allem, was ehrbar, was gerecht, was lieblich ist. Th. Chalmers † 1847.
Wer seine Lust und Freude an etwas hat, vergisst es nicht. Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz. Irdisch gesinnte Menschen, die bloß am Irdischen ihre Freude haben, vergessen das Wort Gottes. Wenn uns etwas missfällt, so sind wir froh, es vergessen zu können; wenn wir aber Freude an etwas haben, so wird diese durch den Gedanken daran nur vermehrt. Wenn ein Schüler aus eigener Unlust am Lernen oder durch Schuld des Lehrers keine Freude an seinen Büchern hat, so ist alles, was er lernt, umsonst und verlorene Mühe, es geht zum einen Ohr hinein und zum andern hinaus. Die wahre Gedächtniskunst besteht darin, das zu Lernende angenehm zu machen, die Lust dazu zu erwecken. So spricht David hier: Ich habe Lust zu deinen Rechten und vergesse (darum) deiner Worte nicht. Thomas Manton † 1677.
V. 10. Ich suche dich von ganzem Herzen. Wohl mögen nur sehr wenige mit gutem Gewissen wie der königliche Prophet David von sich sagen, dass sie von ganzem Herzen, d. h. ohne alle Nebengedanken, in voller Reinheit und Unschuld ihres Herzens den HERRN gesucht haben; aber dieser Jüngling hier kann so vor dem Herzenskündiger sprechen, jedes Wort trägt den Stempel der Wahrheit. Wie unumwunden spricht er sich seinem Gott gegenüber aus. Wir pflegen uns in solchem Falle anders auszudrücken; wir vermeiden solche bestimmte Ausdrucksweise, wir würden sagen: Ich möchte dich suchen, o dass ich dich doch suchte! Aber der Jüngling hier spricht gerade heraus, ohne Umschweife, voll herzlichen Vertrauens öffnet er dem HERRN sein Herz, und durch den ganzen Psalm hindurch begegnen wir überall diesem Zeichen eines frommen, gotterfüllten Gemütes. - Nach J. Calvin † 1564 und J. Stephen 1861.
Lass mich nicht abirren von deinen Geboten. Je reicher unsere Erfahrung in geistlichen Dingen ist, desto mehr kommt es uns zum Bewusstsein, wie schnell wir bereit sind, aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit von Gottes Wegen abzuirren. Der junge unerfahrene Krieger aber wagt in jugendlichem Übermut, den Gefahren Trotz zu bieten; tollkühn reitet er bis ins Lager der Feinde, er spielt mit der Versuchung, als ob es mit ihm keine Gefahr hätte. Er kennt nicht die Furcht Davids, die ihn in den Hilfeschrei ausbrechen lässt: O lass mich nicht abirren! Dickson † 1662.
V. 11. Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, auf dass ich nicht wider dich sündige. Das ins Herz aufgenommene und dort bewahrte Wort bringt Frucht. Wenn ein Jüngling nur mit den Augen die Buchstaben und Wörter des heiligen Buches aufnimmt, so verliert das Wort der Verheißung und Unterweisung seine Kraft. Auch das bloße Behalten im Gedächtnis tut es nicht. Wir müssen das Wort in seinem vollen Werte erkennen und schätzen und ihm in unseren Herzen einen Raum gewähren; es muss eine Sache des Herzens sowohl als des Verstandes werden. Dein Inneres muss ganz von ihm durchdrungen werden. Wenn Gottes Wort mit seinen Verheißungen, seinen Warnungen, mit seinen göttlichen Wahrheiten, kurz, wenn Gott selbst so im Herzen des Jünglings zu einer Wirklichkeit geworden ist, dann wird auch sein ganzer Geist von Gottes Kraft erfüllt, von Gottes Weisheit erleuchtet, sein Gewissen wird geschärft werden, er wird nicht mehr gegen Gott sündigen wollen. J. Stephen 1861.
Ich behalte dein Wort in meinem Herzen. Die Kinder dieser Welt tragen ihre Juwelen und ihre Kleinode äußerlich sichtbar mit sich umher, des Christmenschen Schatz ist in seinem Inneren geborgen. Es gibt ja auch keinen Schrein, der imstande und geeignet wäre, das Wort des Trostes aufzunehmen und zu bewahren, als eben das Herz. Wenn du es nur im Munde führst, so wird es von dir genommen; besitzest du es nur im Buche, so wird es dich im Stiche lassen, wenn du es eben am nötigsten brauchst. Wenn du es aber in deinem Herzen behältst und bewegst, wie Maria tat mit den Worten des Engels, so wird kein Feind es dir je rauben können, und du wirst dich in der Zeit der Not seiner als eines köstlichen Schatzes erfreuen dürfen. William Cowper † 1619.
Auf dass ich nicht wider dich sündige. Wenn wir das Wort in unserem Herzen bewahren, so bewahrt es uns vor dem Sündigen, sowohl gegen Gott als gegen uns selbst. Die Erfahrung zeigt, dass uns zuerst die Erinnerung an das Wort oder wenigstens die Liebe zum Worte genommen werden muss, so dass die Scheu davor geschwunden ist, ehe es zur Begehung einer Sünde kommt. Solange Eva das Wort Gottes im Glauben festhielt, vermochte sie dem Satan zu widerstehen; mit dem Augenblicke aber, da sie das fahren ließ, was Gott mit seinem Worte aufs festeste bestimmt hatte, und dem Zweifel Raum gab, war sie verloren. William Cowper † 1619.
V. 12. Lehre mich. David hatte den Propheten Nathan, er hatte Priester, die ihn lehren konnten, aber alle ihre Unterweisung war nichts nütze ohne Gottes Gnadenbeistand, darum bittet er: Lehre du mich. W. Nicholson † 1671.
Das Wort lehren bedeutet dem Psalmisten hier doch mehr als eine bloße Mitteilung von Kenntnissen; denn diese besaß er schon, wie er selbst vorher gesagt hatte: Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, und im siebenten Vers hieß es auch schon: Du lehrst mich. Hier wird auch um die Gnadengabe gebeten, den empfangenen Lehren zu gehorchen. Kard. Rob. Bellarmin † 1621.
Wer den 119. Psalm mit Aufmerksamkeit liest, dem kann nicht entgehen, mit welcher Bestimmtheit an der Tatsache festgehalten wird, dass menschliche Kraft nicht ausreicht, wo es sich um das Befolgen der Gebote Gottes handelt. Er selbst muss in uns das Wollen zum Erfüllen dieser Pflichten wirken. Der Psalmist fleht den HERRN an, ihm die Augen aufzutun, damit er die Wunder an seinem Gesetz schaue (V. 18), er fleht ihn an, ihn zu lehren seine Rechte (V. 26), von ihm abzuwenden den falschen Weg der Lüge (V. 29), sein Herz zu seinen Zeugnissen zu neigen und nicht zum Geize (V. 36), seine Augen abzuwenden, dass sie nicht sehen nach unnützer Lehre (V. 37), und nicht von seinem Munde zu nehmen das Wort der Wahrheit (V. 43). Jede einzelne dieser Bitten zeigt, dass er zum vollen Bewusstsein seiner gänzlichen Hilflosigkeit, seiner völligen Abhängigkeit von Gott gekommen war, wo es sich um ein Fortschreiten auf dem Wege der Erkenntnis der Wahrheit handelte. All sein Forschen im Gesetz, all sein Streben nach Heiligkeit, das fühlt er genau, hatte keine Aussicht auf Erfolg, wenn nicht Gottes Gnade schützend und fördernd eingriff, wenn sie ihn nicht mit dem rechten Eifer, der rechten Lust erfüllte, ihm als Führer zur Seite stand, um ihn zu einem rechten Verständnis der Schrift und zu einem klaren Bewusstsein seiner Pflichten gegen Gott und Menschen zu leiten. G. Phillipps 1846.
V. 13. Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Rechte deines Mundes. Nachdem der Psalmist das reinigende Wort in sein Herz aufgenommen (V. 11), um es da zu bewahren, will er es nun auch mit seinen Lippen verkünden. Er will es alles erzählen, denn es ist alles gut und rein. Wenn das Herz gereinigt ist, dann wird das, was aus dem Herzen quillend über die Lippen strömt, auch rein sein. Fr. G. Marchant 1882.
Ich will erzählen alle Rechte usw. Aber an einer anderen Stelle (Ps. 36,7) heißt es: Dein Recht ist wie eine große Tiefe. Und der Apostel spricht (Röm. 11,33-34) von der Tiefe der Weisheit und Erkenntnis Gottes und der Unbegreiflichkeit seiner Gerichte, der Unerforschlichkeit seiner Wege. Wenn seine Gerichte, seine Rechte unerforschlich, unbegreiflich sind, wie sagt dann hier der Psalmist, er wolle sie erzählen, verkünden, auslegen? Denn das liegt alles in dem Worte erzählen. Es gibt eben noch andere "Gerichte" Gottes, die nicht Gerichte, Aussprüche seines Mundes sind, sondern seines Herzens, seiner Hand. In der Heiligen Schrift finden sich keine Widersprüche, die ihr Ansehen schwächen. In der angeführten Psalmstelle heißt es nicht: Die Gerichte deines Mundes sind eine große Tiefe, sondern: Dein Recht ist eine große Tiefe, und der Apostel spricht nicht von der Unerforschlichkeit der Gerichte seines Mundes, also seiner Worte, sondern von der Unerforschlichkeit seiner Gerichte, seiner Wege überhaupt. Es sind hier die verborgenen Ratschläge des HERRN gemeint, die er uns nicht enthüllt hat; die Rechte seines Mundes aber sind die, die er uns verkündet hat durch den Mund seiner Propheten. Ambrosius † 397.
V. 14. Ich freue mich des Weges deiner Zeugnisse wie über allerlei Reichtum. Gottes Willensbezeugungen in seinem Worte sollen unser Führer sein auf dem Wege. David freut sich nicht am tiefsinnigen Grübeln, an schönen Reden über Gottes Gesetz, sondern am Gehorsam in seinem Tun und Handeln. Und er bezeichnet auch den Grad seiner Freude: wie über allerlei Reichtum. Das heißt nicht, dass er diese Dinge für gleichwertig ansieht, als ob wir dieselbe Freude an den Dingen dieser Welt, wie an Gottes Wort haben dürften. Das ist das Höchste für Weltmenschen, und wie sie sich an irdischen Gütern ergötzen, so freue ich mich des Weges deiner Zeugnisse. David will hier nicht seine Freude am Wort mit seiner eigenen Freude an Geld und Gut vergleichen, sondern seine Freude, seine Lust mit der Freude und Lust anderer. Thomas Manton † 1677.
Ich freue mich des Weges, den deine Zeugnisse gebieten. Eine Hauptursache, weshalb wir so oft im Worte nicht den Trost finden, der doch darin enthalten ist, ist darin zu suchen, dass wir es nicht zur Richtschnur unseres Handelns machen. William Cowper † 1619.
V. 15. Ich will sinnen über deine Befehle. (Grundtext) Wieviel größer und reiner würde unsere Freude an Gottes Wort sein, wenn wir es zu unserer täglichen Gewohnheit machten, darüber fleißig zu sinnen; aber dazu entschließt sich der fleischliche Sinn niemals, und selbst der erneuerte Sinn hat noch so viel vom alten Adam in sich, dass es oft ihm sehr schwerfällt. Charles Bridges † 1869.
Ich schaue auf deine Wege. Welchen Genuss gewährt es doch auf einer Reise, die Schönheiten des Weges zu betrachten, herrliche Bauwerke, schöne Anlagen, Kunstwerke aller Art. Aber was wollen alle diese Dinge besagen gegenüber einer Betrachtung der Wege des HERRN, der Wege, die er selbst gegangen und auf die er die Menschen gewiesen hat. Wie nötig haben wir es, den Weg recht ins Auge zu fassen! Sonst geht es uns wie einem verschlafenen Kutscher, der sein Fuhrwerk mitsamt den Insassen umwirft. Martin Geier † 1681.
V. 16. Ich habe Lust zu deinen Rechten. Schon in V. 14 hat er es ausgesprochen, dass er sich des Weges seiner Zeugnisse freue, und hier wiederholt er es, dass er seine Lust, seine Freude an Gottes Rechten habe. Der Gottesfürchtige wird umso eifriger im Gutestun, je mehr er dasselbe übt. Wie schnell dagegen werden die Trägen, die weltlich Gesinnten müde, Gutes zu wirken; sie meinen, wenn sie irgendeine kleine äußere Forderung der Religion erfüllt haben, nun aller weiteren Pflichten enthoben zu sein. Aber die rechte Frömmigkeit kennt man am Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, an der Beharrlichkeit und ernsten Ausdauer im Gutestun. Und der Psalmist fügt hinzu: Ich vergesse deiner Worte nicht. Die geistlichen Gaben stärken und mehren sich gegenseitig. Das Nachsinnen über etwas fördert die Betrachtung. Wer kann etwas im Geiste betrachten, worüber er nicht zugleich nachsinnt? Die Betrachtung wiederum erzeugt die Freude am Gegenstande, und diese Freude stärkt die Erinnerung, denn wer sich am Worte freut, wird es nicht vergessen, und die Erinnerung führt wieder zum Nachdenken. So erzeugt eine geistliche Gabe die andere; hinwieder erzeugt die Vernachlässigung einer einzigen den Zusammenbruch aller übrigen. William Cowper † 1619.
Ich habe Lust. Wenn wir erst angefangen haben, die Übung der Gerechtigkeit nicht mehr als eine lästige Pflicht anzusehen, wenn sie uns eine Lust geworden ist, dann gewinnt sie auch einen ganz anderen, einen viel höheren sittlichen Wert. Wir stehen nicht mehr unter einem unerbittlichen Zuchtmeister. Der Gehorsam wird aus einem Zwang ein Tun freier Wahl, und so gewinnt er einen höheren sittlichen Wert als früher. Wir werden nicht mehr dazu getrieben durch den Gott des Gesetzes, sondern gezogen in unseren Herzen durch die Liebe zu ihm und zu allem, was ehrbar, was gerecht, was lieblich ist. Th. Chalmers † 1847.
Wer seine Lust und Freude an etwas hat, vergisst es nicht. Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz. Irdisch gesinnte Menschen, die bloß am Irdischen ihre Freude haben, vergessen das Wort Gottes. Wenn uns etwas missfällt, so sind wir froh, es vergessen zu können; wenn wir aber Freude an etwas haben, so wird diese durch den Gedanken daran nur vermehrt. Wenn ein Schüler aus eigener Unlust am Lernen oder durch Schuld des Lehrers keine Freude an seinen Büchern hat, so ist alles, was er lernt, umsonst und verlorene Mühe, es geht zum einen Ohr hinein und zum andern hinaus. Die wahre Gedächtniskunst besteht darin, das zu Lernende angenehm zu machen, die Lust dazu zu erwecken. So spricht David hier: Ich habe Lust zu deinen Rechten und vergesse (darum) deiner Worte nicht. Thomas Manton † 1677.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)