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Hermeneutik – die Lehre vom Verstehen und Umgehen mit der Bibel

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Warum kommen „bibeltreue Dispensationalisten“ und „bibeltreue Nicht-Dispensationalisten“ zu so unterschiedlichen Ergebnissen in der Schriftauslegung? Die Ursache liegt in der Methodik, in der Herangehensweise an die Schrift. Diese Methodik und die Grundannahmen über den Umgang mit der Bibel bestimmen, zu welchen Ergebnissen man beim Bibelstudium kommt. Das bestimmt letztlich auch unseren Glaubensinhalt.

Da uns von Dispensationalisten vorgeworfen wird, eine falsche Hermeneutik zu haben (nämlich die Schrift nicht buchstäblich genug auszulegen), möchte ich hier meine Überzeugung wiedergeben und bitte um Hinweise, wenn irgendetwas daraus als nicht schriftgemäß und bibeltreu beurteilt wird. Weiter unten zeige ich meine Einwände gegen die dispensationalistische Hermeneutik auf.

Nicht-dispensationalistische Überzeugungen zur Hermeneutik (Verstehensweise der Bibel)

(zuletzt bearbeitet am 18.12.2005)

  1. Die Schrift ist vollständig von Gott inspiriert („gottgehaucht“), autoritativ, unfehlbar und irrtumslos. Dies ist z.B. in der so genannten „Chicago-Erklärung“ niedergelegt, zu der ich stehe.
  2. Sola Scriptura – „Allein die Schrift“ – ist der höchste Grundsatz aller Theologie. Daher müssen sich alle unsere Lehraussagen exegetisch beweisen lassen. Eine dogmatische Vorentscheidung zugunsten einer Lehrvariante ist ebenso abzulehnen wie eine „Eisegese“ – ein Hineinlegen in die Schrift.
  3. Die biblische Offenbarung und die göttliche Heilsökonomie sind fortschreitend. Im Neuen Testament werden Wahrheiten offenbart, ohne die wir manche Aussagen des AT nicht richtig verstehen. Das AT muss im Licht des NT ausgelegt werden. So wird erst im NT das Volk Gottes offiziell um Gläubige aus den Nationen erweitert (nach Eph 3,3ff und Röm 11,25 ein „Geheimnis“, also im AT nicht geoffenbart). Im NT wird die Perspektive auf ein geistliches „Israel Gottes“ (Gal 6,16 etc.) entfaltet. Das NT erklärt atl. Prophetie (z.B. Offb erklärt Dan und Hes; Apg 2,16ff>Joel 3,1; Apg 15,16 > Amos 9,11ff; Gal 4,27 > Jes 54 u.v.m. – siehe Tabelle ) Selbst die atl. Propheten haben nicht vollends verstanden, worauf sich ihre Prophezeiungen beziehen (1Petr 1,10-12).).
  4. Allein der Literalsinn der biblischen Aussagen lässt auf die göttliche Bedeutung schließen. D.h. z.B. historische Texte müssen historisch-buchstäblich und Lehrtexte müssen als buchstäbliche göttliche Wahrheit verstanden werden. Poetische und prophetische Texte können jedoch unter Umständen bildhaft gemeint sein. Doch auch ein solches Bild und seine Bedeutung ergibt sich aus dem Literalsinn des Textes und nicht aus einer verborgenen allegorischen oder anagogischen (geheimen) „Kodierung“.
  5. Die Schrift muss allein durch die Schrift ausgelegt werden. D.h. keine menschlichen Grundsätze (auch kein überbetontes Buchstäblichkeits-Prinzip) dürfen unsere Hermeneutik bestimmen. Die Schrift muss in der Weise ausgelegt werden, wie sie es selbst lehrt. Auch ob eine Schriftstelle buchstäblich oder bildhaft zu verstehen ist, darf weder willkürlich noch durch menschliche Regeln entschieden werden, sondern muss sich aus der Schrift selbst ergeben.

Exkurs: Muss Prophetie unbedingt buchstäblich verstanden werden?

Dispensationalisten beanspruchen, die einzige theologische Auslegungsweise zu haben, die die Bibel mit einer prinzipiellen und konsequenten Buchstäblichkeit verstehen will. Sie lehren, weil sich alle Prophezeiungen des ersten Kommens Jesu buchstäblich erfüllt haben, müssten sich auch alle noch ausstehenden Prophezeiungen buchstäblich erfüllen. Dies ist jedoch ein menschlicher Grundsatz, der aus folgenden Gründen anzuzweifeln ist:

a) Keineswegs wurden alle im ersten Kommen Jesu erfüllten atl. Prophezeiungen buchstäblich erfüllt, sondern z.T. bildhaft oder typologisch: z.B. „Licht“ und „Finsternis“ in Mt 4,16; die „Gefangenen“ in Jes 61,1; die „Stiere“ und „Hunde“ in Ps 22,13.17; das Kommen Elias in Johannes d.T. (siehe unten zu Punkt 12); die vielen Typologien in den Opfern, im Tempeldienst und in anderen Vorbildern und Schatten etc. Siehe auch 1Mo 3,15: „… er wird dir den Kopf zermalmen …“. Dies bezieht sich ebenfalls auf das Kommen Jesu.

b) Ganz offensichtlich gibt es bildhafte Prophezeiungen. Z.B. haben wir wohl kaum zu erwarten, in der Ewigkeit buchstäbliche „Säulen“ zu sein wie in Offb 3,12

c)Das NT deutet atl. Prophezeiungen z.T. bildhaft bzw. typologisch, z.B. Apg 15,16ff; Gal 4,27; Hebr 10,16 u.a. – siehe Tabelle

d) Weil die göttliche Offenbarung im NT fortschreitet, also erweitert wird, z.B. durch die dort offenbarten „Geheimnisse“, müssen atl. Prophezeiungen z.T. in neuem Licht gesehen werden (z.B. die Teilhabe der Heiden am Heil muss berücksichtigt werden).

d) Auch Dispensationalisten legen entweder atl. Prophetie nicht konsequent buchstäblich aus, z.B. die Sündopfer und Leviten aus Hes 40-48 (und greifen hier selbst zum „Vergeistlichen“); oder gelangen bei buchstäblicher Auslegung in einen so eklatanten Widerspruch zum NT, dass sie sogar von anderen Dispensationalisten kaum noch ernst genommen werden. Auch beim Einfügen eines langen Zeitraums zwischen der 69. und 70. Jahrwoche in Daniel 9,24-27 verlassen die Dispensationalisten ihre Buchstäblichkeits-Maxime.

  1. Die Schrift ist nicht durch Brüche zwischen den „Haushaltungen“ oder durch „Einschaltungen“ zerteilt (wie die Dispensationalisten lehren), sondern die Epochen der Heilsgeschichte bilden ein zusammenhängendes Ganzes. Für das richtige heilsgeschichtliche Verständnis sind sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten zu beachten.
  2. Christus ist der Schlüssel zur und der zentrale Inhalt der Bibel. Er ist der wahre Same Abrahams und alle, die „in ihm“ sind, gehören zum erwählten Volk Gottes, dem wahren Israel (Gal 3,29; 6,16 u.a.). Er ist der Repräsentant des Volkes der Erlösten: Er hat das Gesetz erfüllt, stellvertretend für sie gesühnt, sie sind mit ihm gekreuzigt und auferstanden, in ihm sind sie alle geistliche Priester und erben das ewige Heil. Christus, sein Kreuz und seine Auferstehung und damit das, was das NT als „geistlich“ bezeichnet, ist das einzig richtige Weisheitsprinzip (1Kor 1-2). In diesem Sinne muss die Schrift „neutestamentlich-geistlich“ verstanden werden und nicht „alttestamentlich-irdisch-natürlich“ (1Kor 2,13-14).

Zitat:

„Die alttestamentlichen Propheten und Autoren sprachen von den Herrlichkeiten des kommenden messianischen Zeitalters in Begriffen ihrer eigenen vor-messianischen Ära. Sie sprachen vom Volk Israel, vom Tempel, vom Thron Davids usw. Das alles spiegelt die Sprache, Geschichte und Erfahrung des Volkes wider, dem diese Prophezeiungen ursprünglich gegeben wurden. Doch im NT werden eschatologische Themen neu interpretiert. Dort erfahren wir, dass diese alttestamentlichen Bilder Schatten und Vorbilder waren für die herrlichen Realitäten, die in Jesus Christus erfüllt sind. … Das bedeutet, dass Jesus Christus der wahre Israel ist, der wahre Tempel, der wahre Nachkomme Davids auf dessen Thron usw.“ (Kim Riddlebarger: A Case for Amillenialism, S. 37)

  1. Schrift allein durch Schrift auszulegen bedeutet auch, die klaren Lehraussagen des NT zugrunde zu legen, und mit diesem Grundverständnis an die schwierigeren Schriftaussagen heranzugehen. Klare Lehraussagen haben auch Vorrang vor indirekt gezogenen Schlüssen aus beschreibenden Schriftstellen. Auch darf ein unzutreffend buchstäbliches Verständnis atl. Aussagen (z.B. künftige Sündopfer in Hes) nicht Lehraussagen des NT außer Kraft setzen (z.B. keine künftigen Opfer laut Hebr). Der Grundsatz „schwierige Schriftstellen eines Themenkomplexes müssen im Lichte klarer Schriftstellen desselben Themenkomplexes ausgelegt werden“, ist seit der Reformation alsanalogia fidei(„Analogie des Glaubens“) bekannt und als grundlegend anerkannt.

Zitat:

„Wenn nicht die Buchstäblichkeit die allgemeingültige Regel für die Auslegung von Prophetie ist, wie sollen wir Prophetie dann auslegen? Natürlich gibt es viele prophetische Schriftstellen, die buchstäblich verstanden werden sollen. Eine hilfreiche Regel ist, dass die buchstäbliche Auslegung angenommen werden sollte, außer bei folgenden Ausnahmen: a) wenn die Schriftstelle offensichtliche bildhafte Sprache enthält, b) wenn das NT verlangt, diese Stelle nicht buchstäblich auszulegen, c) wenn eine buchstäbliche Auslegung im Widerspruch steht zu Wahrheiten, Prinzipien oder Aussagen, die aus einem nicht-symbolischen Buch des Neuen Testamentes hervorgehen. Eine weitere Regel ist, dass die klarsten nicht-symbolischen neutestamentlichen Schriftstellen die Norm liefern für die Auslegung von Prophetie – und nicht die partiellen Offenbarungen des Alten Testaments. Anders ausgedrückt: Wir sollten die klaren und einfachen Schriftstellen als Grundlage annehmen, um die wahre Bedeutung der schwierigeren Schriftabschnitte zu erkennen.“ (Floyd Hamilton: „The Basis of Millennial Faith“, in William E. Cox [Hg.]: “Amillennialism Today”, S. 24.25; 53-54)

  1. Auf die Frage, ob und wie Gott seine atl. Verheißungen an Israel erfüllt, geht das NT ausführlich und eindeutig ein. Schlüssel dafür sind z.B.; Röm 9-11; Gal 3-6; Eph 2-3; Hebr 7-12, 1Petr 2 etc. und auch Einzelaussagen wie Mt 21,43; Apg 2,30ff; 15,16ff; 26,6-7; 1Thes 2,16 u.v.a.
  2. „Vergeistlichen“ ist ein missverständlicher und als „Totschlagargument“ missbrauchter Begriff. Damit kann a) ein willkürliches Allegorisieren gemeint sein oder b) ein hermeneutisch richtiges Verstehen von AT-Stellen im Licht des NT. Ich lehne (a) entschieden ab, halte aber (b) für richtig und wichtig.

Zitat:

„Weil sich die Dispensationalisten einer literalistischen Auslegung der Bibel verschrieben haben, sehen sie die alttestamentliche Prophetie als maßgeblich dafür an, wie neutestamentliche Prophetie auszulegen ist. Z.B. muss nach ihrer Hermeneutik das Buch der Offenbarung anhand des Buches Daniel ausgelegt werden. Amillenialisten hingegen sehen die neutestamentlichen Aussagen als maßgeblich für die Auslegung alttestamentlicher Eschatologie an. So betrachten Amillenialisten das Buch der Offenbarung als von Gott gegebene Interpretation des Buches Daniel. Das bringt Dispensationalisten oft in die Verlegenheit, auf eine alttestamentliche Auslegung eines prophetischen Themas zu bestehen, das im Neuen Testament – im Licht des in Jesus Christus angebrochenen messianischen Zeitalters – neu interpretiert wird.“ (Kim Riddlebarger: A Case for Amillenialism, S. 38)

  1. Manche Begriffe atl. Prophetie werden im NT neu gedeutet, so gibt es z.B. ein himmlisches „Jerusalem“, ein himmlisches „Zion“ (Hebr 12,22) usw. Auch wird es eine neue Erde und einen neuen Himmel geben. Somit können viele atl. Prophezeiungen tatsächlich „buchstäblich“ in Erfüllung gehen – aber an ihren himmlischen und neuschöpflichen Entsprechungen. Es ist auch keine unzulässige „Vergeistlichung“, in der Tempelbeschreibung in Heseskiel 40ff einen geistlich-ermahnenden Zweck zu sehen (siehe Hesekiel 43,10-11) und auch als den wahren Tempel der Ewigkeit zu verstehen (Offb. 21,22; vgl. Joh 2,21; 1Kor 3,16 etc., vgl. die vielen Parallelen zw. Hes 40ff und Offb 21-22).
  2. Atl. Prophezeiungen können sich in folgenden heilsgeschichtlichen Zeiten erfüllen oder erfüllt haben:
    1. In der Zeit vor dem ersten Kommen Christi, 2. In den Evangelien (erstes Kommen Christi), 3. In der Zeit der Apostelgeschichte, 4. In der Zerstörung Jerusalems und der Trübsal und Zerstreuung der Juden im Jahre 70 n.Chr., 5. In der jetzigen Zeit, 6. Im fortschreitenden Abfall vor der Wiederkunft Christi, 7. Bei der Wiederkunft Christi und seinem Gericht, 8. In dem neuen Himmel und der neuen Erde. Die Möglichkeit einer Mehrfach- oder Teilerfüllung lehrt die Schrift aber nicht.

Auch das Kommen Elias in Johannes d.T. in Mt 17,10-12 ist kein Beispiel für eine Mehrfacherfüllung. Dispensationalisten gebrauchen diese Stelle zirkelschlussartig als Argument: Weil sie voraussetzen, dass Elia in Zukunft buchstäblich noch einmal kommen wird, deuten sie Jesu Aussage so, dass er in V. 11 von einem heute noch künftigen Kommen Elias spricht und in V. 12 vom Kommen Elias damals in der Person des Johannes. Der Herr Jesus sagt hier jedoch klar, dass sich die Prophezeiung über das Kommen Elias aus Mal 3,23 in Johannes bereits erfüllt hat – ohne nochmals erfüllt zu werden. In V. 11 bestätigt der Herr lediglich die Prophezeiung Maleachis mit dessen Wortlaut im Futur. In V. 12 sagt er dann, dass „Elia schon gekommen ist“, nämlich in Johannes. Auch in Mt 11,14 sagt er über Johannes: „Er ist Elia, der kommen soll.“ Ebenso eindeutig ist im selben Abschnitt Mt 11,9-10: „Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg vor dir bereiten wird“ (vgl. Mal 3,1; dort handelt es sich um Elia; s. Mal. 3,23). In Lukas 1,17 wird auch der Dienst des Johannes als der des angekündigten „Elia“ identifiziert: „… um die Herzen der Väter zu bekehren zu den Kindern … “usw. (vgl. Mal 3,24; vgl. auch Mal 3,1 mit Mt 11,10; Lk 1,76). Ebenfalls Lukas 1,7 erkärt auch, dass dieses Kommen Elias nicht buchstäblich war, sondern Johannes kam „in dem Geist und der Kraft des Elia“. Johannes war also nicht Elia in Person, was er selbst in Joh 1,21 bezeugt. Johannes d.T. hat die Prophezeiung aus Mal also erfüllt – nicht literalistisch, aber dennoch vollends, wie der Herr Jesus es selbst bestätigt.

Ebenso ist Apg 2,16ff kein Beispiel für eine Teilerfüllung. Dies wird von den Dispensationalisten ebenfalls als Zirkelschluss-Argument angeführt. Weil die Dispensationalisten noch eine künftige Erfüllung von Joel 3 erwarten, kann sich Joel 3,1 ihrem Verständnis nach nicht vollständig in Apg 2 erfüllt haben.

  1. Man nimmt nichts von der Schrift weg, wenn man AT-Stellen im Lichte des NT versteht, denn der (neutestamentliche) „Körper“ ist nicht weniger als der (alttestamentliche) „Schatten“, die Erfüllung nicht weniger als die Vorschattung – ganz im Gegenteil.

Man fügt dabei auch nichts der Schrift hinzu, sondern fügt nur AT-Aussagen mit NT-Aussagen zusammen. Dabei muss auf spekulativ-detaillierte Auslegung verzichtet werden, wo dies ein „Über-die-Schrift-Hinausgehen“ wäre. Nicht alle Details lassen sich allein mit der Schrift konkret und mit letzter Gewissheit auslegen.

Einige Einwände gegen die dispensationalistische Hermeneutik

Die (klassische bzw. von Darby gelehrte) dispensationalistische Hermeneutik beruht auf einigen unschriftgemäßen Prämissen (voraussetzenden Grundannahmen). Die Dispensationalisten beanspruchen zwar, das einzige theologische System zu haben, das auf konsequent buchstäblichem Verständnis der Bibel und ihrer Prophetie beruhe, doch ist die Buchstäblichkeit nicht das wirklich grundlegende Prinzip ihres Schriftverständnisses. Die grundlegendste Prämisse ist vielmehr

  • die These, dass es nicht ein, sondern zwei Völker Gottes gebe, die strikt zu trennen seien: Israel und die Gemeinde.

Von dieser Grundannahme ausgehend interpretieren sie die Schrift.  Unter Kontra-Disp-Argumente wird gezeigt, was von dieser Grundannahme der absoluten Diskontinuität zwischen Israel und Gemeinde zu halten ist. Die Schrift lehrt einfach nicht, dass es zwei getrennte Völker Gottes gibt. Zwar ist es richtig, die Bibel heilsgeschichtlich zu lesen und verschiedene Phasen des Volkes und des Reiches Gottes zu unterscheiden. Eine Behauptung von zwei grundverschiedenen Völkern Gottes (und sogar zwei „Bräuten Christi“) geht jedoch weit über die Schrift hinaus und widerspricht ihr.

Um diese These aufrecht zu erhalten, müssen die Dispensationalisten eine weitere These aufstellen, auf deren Grundlage sie die Bibel deuten:

  • Es gäbe „Einschaltungen“ in völliger Diskontinuität zur Heilsgeschichte Israels

Diese Sichtweise degradiert Gottes Heilsplan zu einem Heilsplan ausschließlich für Israel, in dem das Heil für die ganze Welt nur in einer Nebenrolle auftaucht – oder gewissermaßen als „Abfallprodukt“, weil das Volk Israel auf das erste Kommen Jesu nicht so reagierte, wie es hätte reagieren sollen. Tatsache ist, dass die Bibel keine „Einschaltungen“ lehrt.

Ferner stellen die Dispensationalisten folgende Thesen auf, die für ihr Bibelverständnis grundlegend sind:

  • Die Gemeinde und ihre Segnungen seien niemals Gegenstand prophetischer Aussagen.

Die hier verlinkte Tabelle listet zahlreiche Prophetien auf, in deren neutestamentlicher Erfüllung oder Erklärung es um das neutestamentliche Gottesvolk oder seine Segnungen geht (das Evangelium, der neue Bund etc.). Damit ist gezeigt, dass diese These einfach falsch ist. Sie beruht übrigens auf der dispensationalistischen Grundannahme –

  • Die Gemeinde sei ein Geheimnis, was bedeute, dass alles, was im AT steht, nichts mit der Gemeinde zu tun habe.

Die Gemeinde wird im NT jedoch nicht als „Geheimnis“ bezeichnet. Eines der im NT geoffenbarten Geheimnisse ist, dass Gläubige aus den Nationen Mitteilhaber an dem Heil sein sollen, das im AT Israel verheißen war (Röm 11,25; Eph 3,3ff). Auch Christus und sein Evangelium werden als Geheimnis bezeichnet (Röm 16,25; 1Kor 2,1.7; Eph 6,19; Kol 2,2; 4,3; 1Tim 3,16). Natürlich sind Christus und sein Evangelium, das auch den Nationen gilt, sowie viele Segnungen und Wahrheiten erst im NT offenbart worden, was jedoch nicht heißt, dass es dazu keinerlei Bezugspunkte im AT gebe. Vielmehr bezeichnet Paulus seine Evangeliumsbotschaft von Christus als das, was im AT angekündigt war: als „Hoffnung Israels“ (Apg 28,20) und als „Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter geschehene Verheißung, zu der unser zwölfstämmiges Volk … hinzugelangen hofft (Apg 26,6-7).

  • Die Ewigkeit sei niemals Gegenstand atl. prophetischer Aussagen

Auch das ist falsch; siehe z.B. Jes 65,17; 66,21 (vgl. 2Petr 3,13; Offb 21,1); 66,24 (vgl. Mk 9,48). Man suche auch einfach mit einer Konkordanz oder einem PC-Programm nach dem Wort „ewig“ im AT (mein Programm meldet 424 Vorkommen).

Ebenfalls nicht schriftgemäß sind, wie oben unter Punkt 12 bereits gezeigt, die dispensationalistischen Thesen der

  • Mehrfach- bzw. Teilerfüllung von Prophetie.

Was ist nun aber von dem beanspruchten

  • Prinzip der konsequenten Buchstäblichkeit

zu halten? Oben haben wir bereits gezeigt, dass es nicht stimmt, dass sich alle Prophezeiungen über das erste Kommen Jesu buchstäblich und nicht geistlich oder bildhaft erfüllt hätten. Bereits die erste Prophezeiung der Bibel ist ein Beispiel dafür: Der Herr hat nicht buchstäblich einer Schlange den Kopf zertreten.

Außerdem halten sich auch die Dispensationalisten nicht konsequent an das Prinzip der Buchstäblichkeit, sondern nur dort, wo das Ergebnis ihrem theologischen System entspricht.

Von besonderer Tragweite ist zudem das für Dispensationalisten typische

  • Fehlende exegetische Herangehen an die Schrift

Exegetisches Herangehen an die Schrift heißt, die Glaubenslehre nur aus dem fortlaufenden, zusammenhängenden Auslegen der Schrift herzuleiten. (Siehe dazu die Ausführungen oben). Bei Dispensationalisten ist oft zu beobachten, dass sie a) ihre theologischen Grundannahmen zum höchsten Maßstab machen und sich die Exegese diesen dogmatischen Vorgaben beugen muss, und dass sie b) nicht zusammenhängende Bibelabschnitte als Grundlagen ihrer Lehre heranziehen, sondern ihre Lehre auf Einzelverse und gesammelte in der Schrift verstreute „Hinweise“ aufbauen.

Ein Beispiel für eine mangelhafte „Exegese“ von Dispensationalisten sei hier genannt. Sie begründen die Vorentrückungslehre u.a. mit der Beobachtung, dass das Wort „Gemeinde“ ab Offb. 4 nicht mehr vorkommt. Daraus schließen sie, dass die Gemeinde dann nicht mehr auf der Erde ist. Wenn dies ein berechtigtes hermeneutische Vorgehen und richtige Exegese wäre, dann wäre die Gemeinde jedoch auch nicht im Himmel, denn auch in Offb. 21-22 wird das Wort „Gemeinde“ nicht erwähnt!

Weitere fragwürdige unter manchen Dispensationalisten vertretene Ansichten über Bibelauslegung sind:

  • Geschichtliche Bibeltexte hätten eine allegorische oder typologische Bedeutung, die wir zu ergründen hätten.

Das ist eine direkte Aufforderung, über das hinaus zu denken, was geschrieben steht. Manche AT-Stellen werden durch die apostolische Autorität und Inspiration des Heiligen Geistes im NT ausdrücklich allegorisch oder typologisch gedeutet. Die Schrift autorisiert uns nicht, bei historischen Schrifttexten eine über den Literalsinn der Schrift hinausgehende Deutung hineinzulegen. Gewiss dürfen typologische Vergleiche gezogen werden wie zwischen bestimmten Personen des AT und dem Herrn Jesus oder z.B. zwischen der Wüstenwanderung Israels und dem Leben als Christ. Dabei müssen wir uns jedoch hüten, über die Schrift hinauszugehen und lehrmäßige oder für alle Gläubigen verbindliche Aussagen aufzustellen, denen wir göttlich-offenbarende Autorität zusprechen.

Gottes Wort besteht in dem geschriebenen Bibeltext. Worte sind keineswegs, wie Goethe sagte, „Schall und Rauch“. Schon gar nicht sind Gottes Worte Schall und Rauch, sondern sie sind Gottes Kraft. Wer sich mit Gottes direkten Aussagen nicht zufrieden gibt, sondern stets dahinter einen verborgenen Sinn sucht, sollte aufrichtig seinen geistlichen Zustand hinterfragen.

  • Die wirkliche biblische Wahrheit könne nur von besonders geistlichen Christen erkannt werden.

Abgesehen davon, dass dadurch die Christen in zwei Gruppen gespaltet werden, steht diese Ansicht in direktem Widerspruch zu 1Kor 4,6: Geistliche Christen denken nicht über das hinaus, was geschrieben steht. Die echte biblische Lehre entnehmen sie in Einfalt und Demut den klaren Schriftaussagen, anstatt diese zu „verdrehen“ (2Petr 3,16).

© 2005, Hans-Werner Deppe

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