Rezension der Bücher von Jacob Thiessen:
„Israel und die Gemeinde“, jota-Publikationen: Hammerbrücke 2007
und „Biblische Glaubenslehre“, VTR:
Nürnberg 2004
von Ronald Senk
1. Einleitung
Zusätzlich
zur Rezension des Israelbuches von Jacob Thiessen enthält
diese Abhandlung im Anhang eine Stellungnahme zu Thiessens
Dogmatikbuch „Biblische Glaubenslehre“. In seinem Dogmatikbuch wird nämlich
deutlich, was für eine Hermeneutik von Thiessen
vertreten wird. Das liefert den Hintergrund, um seine Aussagen im Israelbuch
über die Themen Hermeneutik und Israel recht zu verstehen und einzuordnen. Dies
alles gibt einen Überblick darüber, wie Thiessen mit
der Bibel umgeht, welche theologischen Positionen er vertritt und wie (und
durch wen) er zu diesen Positionen gekommen ist. Von diesem Hintergrund wird es
leichter sein, sein neues Buch „Israel und die Gemeinde“ richtig zu verstehen
und einzuordnen. Von daher ist es sinnvoll, ggf. den Anhang zuerst zu lesen.
Das zu der Freien Theologischen Akademie gehörende „Institut
für Israelogie“ hat das Israelbuch von Jacob Thiessen mit dem „Franz-Delitzsch-Preis“
ausgezeichnet. Dieses Institut hat eine stark christlich-zionistische
Ausrichtung und wird von der umstrittenen „Dr.-Fritz-May-Stiftung“
finanziell getragen. Im Vorwort versucht Helge Stadelmann alle Andersdenkenden
diskreditierend indirekt mit dem Antisemitismus in Verbindung zu bringen.
Solche diffamierenden, unsachlichen, und unbiblischen Aussagen sind bei
Stadelmann nichts Neues (vgl. Senk 2006:12-13).
Ich
möchte betonen, dass ich in meinem Buch Das
Israel Gottes – die Frage nach dem Volk Gottes im Neuen Bund (2006, RVB) auf
sämtliche hier und in Thiessens Buch behandelten
Aussagen bzw. Argumente ausführlich eingegangen bin. Daher werde ich hier nicht
an jeder Stelle nochmals komplett neu argumentieren, sondern verweise auf die
entsprechenden Seiten in meinem Buch. Diese Rezension ist daher am besten als
Ergänzung zu meinem Israelbuch zu lesen. Da ich auf einige dogmatische
Ansichten Thiessens eingehe, verweise ich auch auf
folgende Literatur:
SENK, Ronald. 2005. „Der
Zusammenhang von Wort und Geist in der Heiligen Schrift“ als pdf-Datei auf betanien.de.
___________
2007. „Das Schwert des Geistes – Der Zusammenhang von Heiligem Geist und Gottes
Wort in der Heiligen Schrift“. (Unveröffentlichtes Manuskript, Veröffentlichung
erfolgt voraussichtlich 2007 im Betanien Verlag)
2.
Thiessens Umgang mit der Bibel (in Bezug auf das
Thema Israel)
Eigentlich
würde schon die Einleitung in Thiessens Israelbuch
ausreichen (S.9-11), um die Rezension inhaltlich zu füllen. So geht er einfach
von einer Hermeneutik „der
stufenweisen-mehrfach Erfüllung alttestamentlicher Prophetien“ aus, ohne
diese wirklich exegetisch zu begründen oder zu diskutieren. Es ist nicht
redlich, einfach von einer speziellen Hermeneutik auszugehen, ohne des
biblisch-exegetisch zu rechtfertigen. Dem Leser wird so großenteils verborgen
bleiben, wie und warum Thiessen zu manchen
theologischen Ergebnissen kommt. Gerade das umstrittene hermeneutische Prinzip
der „mehrfachen, teilweisen bzw. stufenweisen
Erfüllung“ alttestamentlicher Prophetien muss im Rahmen dieses Themas
dargestellt, begründet und diskutiert werden – und zwar bevor man sich
exegetisch an die relevanten Texte begibt. Thiessen
aber schreibt einfach, dass er „die allgemeinen hermeneutischen und
exegetischen Prinzipien dabei als selbstverständlich voraussetzt“ (S. 11).
Damit hat es sich für ihn scheinbar erledigt. Dass er hier seine eigene und
nicht unumstrittene Hermeneutik und Exegese als „allgemein“ bezeichnet, scheint
ihn auch nicht zu stören. Bemerkenswert dabei ist eben diese
Selbstverständlichkeit, dass sich seiner Ansicht nach eine Verheißung des AT
dreifach erfüllen wird (1. teilweise schon im AT; 2. typologisch in der
Gemeinde; 3. „eigentlich, wörtlich, buchstäblich bei der Wiederherstellung
Israels“) (S. 10).
Thiessen geht
auch mit seiner eigenen Hermeneutik willkürlich und inkonsequent um. So macht er auf S. 142 deutlich, dass z.B. nicht
für alle Einzelheiten der Weissagungen in Hes. 40-48 in der Zukunft eine
„wörtliche/eigentliche“ (vgl. S. 10) Erfüllung erwarten kann – weder in einem
irdischen Millennium, noch in der neuen himmlischen Welt. Damit meint er vor
allem die in Hesekiel genannten Sündopfer, welche ja sonst zu dem ein für allemal
geschehenen Opfer in Christus im Widerspruch stehen würden. Dies ist nicht nur
inkonsequent gegenüber seiner bisher dargestellten „buchstäblichen“
Hermeneutik, sondern auch willkürlich. Denn Thiessen
bestimmt einfach, welche Schriftaussagen sich (wie) erfüllen werden und welche
„nicht“. Er kann also innerhalb eines Satzes einer AT-Prophetie bestimmen,
welche nun „eigentlich-wörtlich“ und welche „bildhaft“ zu interpretieren ist.
Thiessen zeigt
auch sachliche Unkenntnis, wenn er
die sog. „prophetische Perspektive“ oder
die „Typologie“ (z.B. Hebr. 1,5) mit einer Theorie der
„Mehrfacherfüllung“ gleichsetzt (S. 49f.133). Denn dies ist nicht zutreffend,
wie ich u.a. mit Verweis auf Van Bruggen aufzeige
(vgl. Senk 2006:27-28.92f). Mit seiner kurzen Abhandlung und Aneinanderreihung
von angeblichen Beispielen auf Seite 132-134 ist es nicht getan. Denn bei allen
seinen Beispielen muss er eben vorher von seiner Hermeneutik ausgehen. Es
versucht so das System zirkelschlussartig mit dem System zu begründen.
Der
Vorwurf Thiessens – man würde die Verheißungen des AT
„vergeistlichen“ und ihnen einen „anderen Sinn“ geben
– ist ausdrücklich zurückzuweisen (zumal er dies, wie eben oben gezeigt, selber
macht – z.B. sein Verständnis der Opfer im Millennium). Thiessen
muss sich fragen, wie er seine Interpretation des AT im Blick auf die
Interpretation Jesu und der Apostel aufrechterhalten kann. Denn Jesus und die
Apostel sind die maßgebliche Auslegungsautoritäten des
AT. Wenn sie sagen, „dies meint dies“ oder „hier erfüllt sich das“, dann haben
wir dies so zu glauben und nachzusprechen. Die Auslegung des AT durch das NT
ist Maßstab und gibt an, wie Gott die Aussagen wirklich gemeint hat. Wer dies
ignoriert oder umdeutet, gibt den Texten eine „andere Bedeutung“. Dies gilt
auch dann, wenn man die Erfüllungsaussagen im NT nicht als die „eigentliche“
Erfüllung ansieht, sondern diese als „Teil/Bild/Vorerfüllung“ degradiert
(S.133). Daher ist der Vorwurf von Thiessen – man
würde Gott mit dieser Hermeneutik unterstellen, nicht zu seinen Aussagen zu
stehen etc. (s.o.) – an ihn zurück zu geben.
In
Mt.19,28 – aber auch in den anderen von Thiessen
genannten Schriftstellen – ist in keiner Weise von einer nationalen Wiederherstellung Israels (S.12-79;
vgl. Senk 2006:39-74) in einem irdischen Millennium die Rede. Dies muss man in
die Texte hineinlegen, um es aus ihnen heraus zu bekommen. Das ist das erste
Beispiel für seine „Wortdogmatik“, weitere folgen später. So meint Thiessen, dass der Begriff „Wiedergeburt“ in Mt.19,28 seine Sicht bestätige und dass Jesus hier von einem
irdischen Zwischenreich rede, wie es der Dispensationalismus postuliert. Dazu
führt Thiessen nicht nur Tit.3,5
an, wo es um die geistliche Wiedergeburt eines Menschen in Christus geht,
sondern verweist auch auf Cicero, die Stoiker, Philo und vor allem Josephus (S. 30). Er legt etwas in das Wort palingenesia
rein, was weder direkt noch indirekt und schon gar nicht im Kontext und in der
Aussageabsicht des Textes ersichtlich wird. In Mt.19,28
geht es (wie in Apg.3,21) um die „Wiedergeburt“ (palingenesia) der neuen himmlischen Welt
(Senk 2006:44f).
In seiner Auslegung von Apg.15,15ff übersieht Thiessen u.a.,
dass die Voraussetzung für die
„Bekehrung der Heiden“ die „Wiederherstellung der Hütte Davids“ ist.
Diese muss, laut Jakobus, also schon stattgefunden haben (vgl. Senk
2006:31-33).
Dem
Leser bleibt ebenso verborgen, wie Thiessen darauf
kommt (S.30), dass Lk.22,30 nicht von der Ewigkeit (vgl. Offb.21,12.14),
sondern von einer nationalen Wiederherstellung Israels in einem irdischen Millennium
redet, wie es verborgen bleibt, warum Lk.22,30 für Thiessen
evtl. auch, wie er schreibt, einen „gewissen Hinweis“ auf die Ewigkeit
enthalten kann.
In
Mk.10,30 wird „das kommende Zeitalter“ eindeutig mit
dem „ewigen Leben“ identifiziert und nicht mit einem irdischen Millennium bzw.
Zwischenreich. Da nützt auch keine Berufung auf ein angebliches Verständnis des
Judentums zum Begriff „diese bzw. zukünftige Zeit“, da (a) dies kein biblisches
Argument ist, (b) die Aussagen des Judentums und Rabbinentums
zeitlich schwer einzuordnen sind und (c) die Aussagen des Judentums bzw. Rabbinentums unterschiedlich interpretiert werden können.
Daher dürfen die Aussagen des Judentums bzw. Rabbinentums
nicht einfach in die biblischen Aussagen hineingelegt werden. Der Sinn des
Textes muss (und kann) allein aus den biblischen Texten selber ersichtlich
werden.
Ich
wiederhole: An keiner dieser Stellen ist von einem irdischen Zwischenreich die Rede,
wie es der Dispensationalismus postuliert – weder direkt noch indirekt und
schon gar nicht im Kontext und in der Aussageabsicht der Texte. Die einfachste
Regel der Hermeneutik und exegetischen Methodik („Was steht da und was nicht“)
wird hier offenbar ignoriert.
In
Lk.19,11-28 ist wohl eher an die himmlische Herrschaft
zu denken und nicht an ein irdisches Zwischenreich. Mit keiner Zeile des Textes
kann man belegen, dass es hier um ein irdisch-politisches Millennium für Israel
geht. Dies müsste man dem Text sonst von außen aufdrücken.
Und in
Lk.21,24 ist weder von einer Wiederherstellung des
nationalen Israels noch von einem irdischen Millennium die Rede.
Vor
allem ist es exegetisch und theologisch unhaltbar zu meinen, dass Lk.21,27f von der irdisch-politischen Erlösung Jerusalems bei der
Wiederkunft Jesu redet. Hier ist eindeutig von der Erlösung der Jesusjünger die
Rede. Mit dieser Erlösung ist im gesamten NT die himmlische Herrlichkeit meint.
Es sind die Jünger Jesu, die ihr Haupt erheben sollen - und keine
„unterdrückten Bewohner Jerusalems“! Die Ereignisse um die Zerstörung
Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. herum sollen nur als
Vorzeichen der Wiederkunft Jesu und ewigen Erlösung dienen und meinen nicht die
Erlösung selber! An zahlreichen Stellen des NT wird deutlich, dass mit und bei
der Wiederkunft Jesu die Entrückung der Gemeinde in das himmlische Reich
stattfindet bzw. beginnt (ohne irdisches Zwischenreich: vgl. Mt.13,41-43;
16,27; 25,31-46; Lk.20,32-36; Joh.5,28f; 14,2-3; 1.Kor.15,23-58; 1.Thess.4,13-18;
2.Thess.1,5-10; 2,1ff; 2.Petr.3,1-13; Hebr.9,27 u.a.).
Diese
Auslegung Thiessens – Lk.21,27f
auf eine eschatologisch-politische Erlösung
Jerusalems zu beziehen – macht m.E. deutlich, dass eine solche zionistische
„Israeltheologie“ nicht nur viele Bibeltexte umdeutet, sondern auch Jesus und
seine Gemeinde in den Hintergrund drängt. Für Thiessen scheint die „Wiederkunft Jesu“ und die
„Erlösung“ mehr ein politisch-geistliches Ereignis für das nationale Israel zu
sein, als die Hoffnung und Erlösung der Gemeinde für bzw. in das himmlische
Reich. Damit wird dem Heilswerk Jesu, seiner Wiederkunft und seiner neuen
Heilsgemeinde die theologische Hauptbedeutung zugunsten einer unbiblischen
irdisch-zionistischen Theologie entzogen.
Auch Thiessens Aussagen zu Apg.3,19-21
sind ein Beispiel für Thiessens „Wortdogmatik“.
Diesmal meint er, den Begriffen anapsyxis bzw. apokatastasis in
Apg.3,19-21 entnehmen zu können, dass Petrus hier
angeblich von einer nationalen Wiederherstellung Israels in einem irdischen
Millennium redet. Weder der Kontext noch die Aussageabsicht des Petrus lässt
eine solche Interpretation zu. Würde Petrus ein irdisches Zwischenreich
erwartet haben, hätte er dieses in seinem späteren Brief – wo er in aller
Deutlichkeit über eschatologische Abläufe redet –
sicher erwähnt (2.Petr.3,11ff). Thiessen hat keine exegetische Grundlage dafür, seine
„Wortdogmatik“ in die Aussagen der Texte hineinzulegen. Petrus meint an dieser
Stelle und mit diesen griechischen Begriffen die erneuerte, himmlische Welt
Gottes (Jes.65,17ff; 66,22; 2.Petr.3,10-13) (Senk
2006:73).
Thiessen sagt abschließend:
Zusammenfassend
können wir also feststellen, dass die Jünger Jesu bis zur Himmelfahrt Jesu und
auch nachher der festen Überzeugung waren, dass die alttestamentlichen
Verheißungen für Israel ihre („wörtliche“) Erfüllung nicht in der
neutestamentlichen Gemeinde, sondern – wie sie im Alten Testament ausgesprochen
wurden – in der Wiederherstellung Israels bei der Wiederkunft Jesu finden
werden (S.40).
Diese
zusammenfassende Schlussfolgerung Thiessens ist, im
Lichte der tatsächlichen exegetischen Aussagen der Texte, als unhaltbar
abzulehnen.
Thiessen behauptet, dass Röm.11 von einer
national-politischen Wiederherstellung Jerusalems und Israels im Millennium
spreche. Doch an keiner Stelle spricht Paulus ein solches Thema an. Auch dies
muss wieder in den Text hineingelegt werden, um entsprechende Ergebnisse aus
den Aussagen heraus zu bekommen. Paulus selber macht in Röm.11,1ff deutlich, dass der „Überrest“ Israels die gegenwärtigen Judenchristen meint und
keine „allbekehrten“ Juden kurz vor der Parusie Jesu.
Dieser erwählte Rest aus Israel zeigt, dass Gott weder sein Volk (des AT) noch
seine Verheißungen an ihm vollends verworfen hat. D.h. es geht hier nicht um
die Frage, ob Israel „endgültig“ verworfen wurde – wie Thiessen
meint – sondern um die Frage, ob das nationale Israel „vollständig“ verworfen
ist. Paulus verneint dies in Röm.11,1ff und macht an sich selbst und an
Beispielen des AT deutlich, dass Gott sich einen gläubigen Überrest aus den
Juden auserwählt hat und für die Verworfenen Juden nun die erwählten aus den
Heiden in Israel „eingepfropft“ wurden. Auf diese Art und Weise kommt Gott zu
einem „ganzen Israel“ (Röm.11,26). D.h. Paulus
argumentiert numerisch, daher kann die Frage von Röm.11,1
auch nur eine numerische („völlig“) und keine temporale („endgültig“) sein. Die
„zeitliche Frage“ ist schon anderorts oft beantwortet worden: Die Verworfenen
(aus Juden und Heiden) sind endgültig
verworfen („Gefäße des Zorns, zum
Verderben bestimmt“ - vgl. auch
Lk.13,34ff; 19,41ff; 10,13ff; 20,6.20ff; Joh.1,13;
8,37-59; Röm.9-11; 1.Petr.2,6-8; 1.Thess.2,14ff [griech: eis telos: endgültig!]).
Man muss sich auch fragen, wie Thiessen darauf kommt, dass die Wendung to pleroma auton („ihre Vollzahl“) in Röm.11,12
sich auf „Israels Wiederherstellung im Land Kanaan“ beziehen soll. Nichts im
Text oder Kontext weist darauf hin. Neben der auch hier vorliegenden
„Wortdogmatik“ wird wiederum etwas in einen Bibeltext bzw. in ein Wort gelegt, was
dort selber aber nicht zu finden ist („Eisegese“).
Daneben übersieht Thiessen die exegetische Tatsache,
dass Röm.11,12 von einem gegenwärtigen Prozess spricht
und nicht von einer „Allbekehrung“ bei der Parusie Jesu. Streng genommen kommt die Parusie
in Röm.11 überhaupt nicht vor – vor allem nicht im Zusammenhang mit einer „Allbekehrung“ von Juden (auch nicht in 11,26). Dies sollte
man bei der ganzen exegetischen Diskussion nicht vergessen. Zum anderen hat
bisher kein dispensationalistischer Theologe exegetisch
begründet, welche Juden sich angeblich nach Röm.11,26
bei der Parusie bekehren werden. Thiessen
meint, dass damit die dann zu diesem Zeitpunkt lebenden Juden gemeint sind.
Doch sollte man bei der ganzen exegetischen Diskussion nicht übersehen, dass
der Text eine solche Definition nicht hergibt. Dies zeigt, dass die
dispensationalistische Position nicht nur exegetisch-theologisch unhaltbar ist,
sondern sogar für sich selber sich spekulativer Theorien und Vermutungen
bedienen muss.
Auch die Theorie („Worttheologie“) Thiessens – dass Röm.11,15 die
allgemeine Auferstehung der Gläubigen in enger Beziehung zu der Bekehrung von
„ganz Israel“ stehe – hat keine exegetische oder paulinisch-theologische
Grundlage. Mir scheint, dass man hier die theologische Wichtigkeit einer dispensationalistischen „Israeltheologie“ begründen und sie
mit dem wichtigen soteriologischen Ereignis der „Totenauferstehung“ in Verbindung bringen will.
Es
ist nicht richtig, wenn er auf Seite 66 den Konditionalsatz Röm.11,23 so hinstellt, als wenn Paulus hier eine ganz gewisse
Sache anspricht. Damit führt er den unkundigen Leser in die Irre. Denn auch
wenn hier ein prospektiver Fall vorliegt (ean +
Konjunktiv), so wird damit nicht etwas Gewisses ausgedrückt („womit man rechnen
kann ...“). Er selber sagt ja, dass
in V.23 eine Möglichkeit beschrieben wird und diese seiner Ansicht nach erst in
V.26 zur Gewissheit wird. Aber warum sollte Paulus die „nationale Bekehrung
Israels“ in V.23 vorher als Möglichkeit und drei Verse später als Gewissheit
hinstellen? Hat er innerhalb dieser Verse seine Ansicht geändert?
Thiessen schließt sich auf Seite 72f der dispensationalistischen Meinung an, dass die (nationalen)
zehn Stämme Israels „wieder gefunden wurden“. Jedoch wird von den meisten
Historikern und Theologen betont, dass die zehn Stämme seit 722 v.Chr.
praktisch nicht mehr existieren. Demnach scheint es bisher noch keine
historisch-theologische Studie zu geben, welche (beiden theologischen
Lagern) überzeugend das Gegenteil
beweisen konnte.
Auch Thiessens
Argumentation mit 2.Kor.3,15f beinhaltet keinen exegetischen Hinweis, aus
dieser Aussage auf eine kollektive Errettung Israels am Ende der Zeit zu
schließen. Die Grammatik des Textes macht eine solche Interpretation unmöglich
(vgl. Senk 2006:67f).
Außerdem stellt sich die Frage,
woher Thiessen das einschränkende Adjektiv
„geistlich“ hernimmt, wenn er über die „Nachkommen
Abrahams“ (S.26-46; vgl. Senk 2006:14-38) aus Gal.3,29
spricht. Dieses Adjektiv findet sich nicht im Text.
Vor allem der theologischen
Schlussfolgerung, welche Thiessen daraus zieht, ist
vehement zu widersprechen. Thiessen meint doch
tatsächlich, dass die Heidenchristen keine
vollgültigen Nachkommen Abrahams und damit Erben
des Segens sind. (...) In Wirklichkeit hat dieser gläubige Kern im Volk Israel
allein „Anspruch“ auf die Verheißungen, die Gott dem Abraham für seine
leiblichen Nachkommen gegeben hat. (S.49.52)
Vollwertige Erben und Nachkommen
Abrahams sind für Thiessen
nur die gläubigen Juden. Dies steht diamental gegenüber den paulinischen
Aussagen, welche ganz klar deutlich machen, dass die Heiden vollgültige Erben
und Teilhaber aller Verheißungen Gottes sind (Gal.3,29;
Eph.2,11ff; Röm.4,17f; 11,17b u.a.). Auch hier stellt Thiessen
seine „Israeltheologie“ über die (soteriologischen)
Aussagen der Heiligen Schrift und entkräftet deren klaren Aussagen. Nirgendwo
im NT wird gesagt, dass die Heiden keine
vollgültigen Teilhaber des Christus sind. Denn genau dies würde die
Behauptung Thiessens bedeuten, da die Teilhabe am
Erbe und an den Verheißungen an Christus selber gebunden ist. Nur durch den
gottgeschenkten Glauben an Christus bekommen Menschen daran Anteil (Gal.3,28f; Eph.2,8.11ff u.a.). Doch Gott sieht die Person nicht
an. Gerade Gal.3,28f macht diesen soteriologischen
(unterschiedslosen) Sachverhalt deutlich. Wir – die Gemeinde aus Juden und
Heiden – sind die vollgültigen Erben des Heils und aller Verheißungen. Es ist
das Erbe des ewigen „himmlischen Landes bzw. Jerusalems“, welches wir erben
werden und auch schon Abraham und die Gläubigen im AT im Blick hatten (Hebr.11,13-16;
12,22 – ohne „irdisches Zwischenreich“!). Wir als Heidenchristen sind in den selben Ölbaum eingepfropft und haben dadurch Teil an
denselben Wurzeln. Und wo Gott mit den gläubigen Juden hingeht, da gehen auch
die gläubigen Heiden mit. Und was Gott den gläubigen Juden vererbt, dass erben
auch die gläubigen Heiden (vgl. z.B. 1.Kor.10,1ff, wo er zu den hier
angesprochenen Heidenchristen [die verbotenerweise an Götzenfestmählern
teilnahmen] von „unseren Vätern“ spricht!; vgl. Senk
2006:14ff).
Man sieht an Thiessens
Ausführungen sehr deutlich, wie die dispensationalistische Dogmatik dazu führt,
grundlegende soteriologische Aussagen zugunsten ihrer
national-politischen „Israeltheologie“ zu verändern. Gerade weil es hier auch
um soteriologische Fragen geht, muss hier – im Licht
des Neuen Testaments – nachdrücklich widersprochen werden.
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch Thiessens
Ausführungen über den Neuen Bund
(S.80-97; vgl. Senk 2006:14-15.30-31). So sagt er dort, dass laut dem NT die
gläubigen Heidenchristen „Mitteilhaber“ des Neuen Bundes sind, obwohl dieser im
AT allein „Israel und Juda“ verheißen war und
letztendlich die „wortwörtliche und eigentliche“ Erfüllung noch aussteht. Diese
„Mitteilhaberschaft der Heiden“ zu leugnen – so Thiessen
– würde zu viele Schwierigkeiten mit den klaren Aussagen des NT mit sich
bringen (Lk.22,19-20; Hebr.8,8-13; 2.Kor.3,6 u.a.).
Für Thiessen ist der Neue Bund allein mit dem
nationalen Volk Israel geschlossen (der sich am Ende an einem „ganzen
nationalen Israel“ vollständig erfüllen wird). Die Heiden sind durch Christus
lediglich „Mitteilhaber“ des Neuen Bundes. Die Gemeinde ist für ihn also nur
ein heilsgeschichtlicher „Einschub“ – nichts „Vollwertiges“. Daher erfüllen
sich die Verheißungen – welche Thiessen noch für die
Gemeinde übrig lässt – nicht „eigentlich-wörtlich“, sondern nur „typologisch“
(S.10). Auch die unbiblische Aussage Thiessens, dass
die Heidenchristen keine „vollgültigen Nachkommen Abrahams“ seien, macht diese
seine Sichtweise deutlich. Daher bestimmt er auch willkürlich, dass sich einige
Verheißungen des AT ausschließlich auf das nationale Israel beziehen und nur
einige (von ihm ausgewählte) auch auf die Gemeinde, und zwar nur typologisch,
vorläufig bzw. teilweise. Ebenso geht er, wie wir noch sehen werden, bei seinen
Ausführungen bzgl. der Weissagungen über die Wiedereinführung von Opfern in
Hes.40ff vor.
Thiessen schreibt:
Natürlich
gibt es manche Verheißungen, die sehr wohl auch für die Gemeinde im
gegenwärtigen Zeitalter ihre Gültigkeit haben. Aber viele Verheißungen kann man
unmöglich „geistlich“ bzw. symbolisch auslegen, ohne mit dem Text gewaltsam
umzugehen. (S.156)
Daher argumentiert Thiessen auch, dass zum
Zeitpunkt der Stiftung des Neuen Bundes nur Juden anwesend waren und daher
dieser Bund allein mit „Israel“ geschlossen wurde (S.87). Bei dieser
Argumentation muss man sich fragen, ob Thiessen z.B.
ebenfalls meint, dass der Neue Bund nur mit Männern geschlossen wurde. Denn zum
Zeitpunkt der Stiftung des Neuen Bundes waren ja nur Männer anwesend. Thiessen erklärt auch nicht, warum Paulus in 1.Kor.11,23-25
der heidenchristlichen Gemeinde in Korinth genau diese Einsetzungsworte - ohne
heidenchristlichen Zusatz - für ihr Abendmahl überliefert hat. Demnach schließt
das „für euch“ auch die Heiden mit ein, was Thiessen
aber anscheinend leugnet. Außerdem übersieht Thiessen
die Tatsache, dass Gott die Gemeinde aus Juden und Heiden bereits vor
Grundlegung der Welt erwählt (Eph.1,3f) und diese in
seine Verheißungen natürlich bereits eingeschlossen hatte. Jesus ist allein für
diese erwählte Gemeinde aus Juden und Heiden – für die einsgemachte
Herde (Joh.10,16) – gekommen und gestorben (Eph.5,25f;
Joh.10,15.18). Dies macht deutlich, dass der Bund mit Israel ein Bund ist, der
allein dem „wahren Israel“ aus Juden und Heiden galt und auch nur mit diesem
Israel geschlossen wurde. Hieran sieht man, dass die Sichtweise über die
Erwählungslehre (die Thiessen kategorisch ablehnt)
auch Einfluss auf die Ansicht bzgl. Israel hat (vgl. Senk 2006:118ff).
Nirgendwo im NT wird noch irgendeine Unterscheidung zwischen Juden oder
Heidenchristen gemacht – vor allem nicht in Bezug auf die Verheißungen,
Bündnisse und der Zugehörigkeit zum Volk Gottes (Eph.2,11-3,13).
Der Wortlaut aus Eph.2,11ff macht unzweideutig
klar, dass die Heidenchristen mit den Judenchristen eins gemacht wurden. Hier
besteht keinerlei Unterschied mehr. Die Heiden sind nicht nur Neben-Teilhaber
einiger (von Thiessen) ausgewählter Verheißungen und
Bündnisse, sondern sie sind unterschiedsloser Bestandteil des Volkes bzw.
Israel Gottes und vollwertige Teilhaber des Neuen Bundes (Eph.3,6). Die
Begriffe „Miterbe, Mitteilhaber, Miteinverleibte“ sollen keinen Unterschied
aufzeigen, sondern eben die Tatsache verdeutlichen, dass die Heidenchristen genauso uneingeschränkt zum Volk und Israel Gottes gehören wie auch
die Judenchristen. Auch die vielen Verweise, dass sich die Verheißungen des AT
an Christus und seinem Leib, der Gemeinde, erfüllen, machen dies deutlich.
Nichts in der Schrift weist darauf hin, dass dieser Neue Bund erst
(„eigentlich“ oder „endgültig“) in einer nationalen Wiederherstellung des
ethnischen Israels wirklich erfüllt wird.
Es ist bemerkenswert, dass Thiessen zugibt, dass
sich Gal.6,16 auf Christen beziehen muss (S.21f). Doch
zieht er daraus aber nicht die theologischen Konsequenzen, welche diese
Erkenntnis mit sich bringt. Denn wenn die Gemeinde das neue „Israel Gottes“
ist, dann liegen die hermeneutischen, theologischen und eschatologischen
Folgerungen daraus auf der Hand. Dies gilt auch für seine z.T.
guten und richtigen Ausführungen zu Hebr.4,9 und
1.Petr.2,9f. Auch hier zieht er nicht die nötigen Konsequenzen aus den Texten
und hält (unbegründeter Weise mit den Worten „...dies bedeutet aber nicht,
dass...“) an seiner dispensationalistischen
„Israeltheologie“ fest.
Es wird auch nicht klar, ob Thiessen
das ungläubige nationale Israel noch
als „Volk Gottes“ bezeichnet. Zwar betont Thiessen,
dass es zu keiner Zeit „zwei Völker Gottes gab“, doch sagt er an anderer Stelle
in Übereinstimmung mit Gäckle,
dass „auch durch den Neuen Bund die Erwählung des
Volkes Israel trotz seiner Ablehnung des Evangeliums nicht aufgehoben“ wird.
„Das Volk Israel bleibt bis in Ewigkeit eine identifizierbare Größe innerhalb
der Heilsgemeinde.“ (S.28f).
Thiessen scheint entweder nicht zu wissen, was er glauben soll, oder er
versucht sich bewusst zu allen Seiten hin abzusichern (vgl. dazu seine unten
dargestellte Verwirr-Hermeneutik). Hier jedenfalls
wird deutlich, dass er das ungläubige
national-irdische Israel als Bestandteil der Heilsgemeinde Gottes bezeichnet.
Doch niemand gehört zu Gottes Volk, der nicht an Jesus Christus glaubt. Zudem
trennt Thiessen eindeutig Israel und die Gemeinde und
wird somit den Aussagen des NT nicht gerecht.
Die vielen Versuche, der Offenbarung
(S.110-134; vgl. Senk 2006:24-50) eine
chronologische Einteilung zu geben, sind zumeist spekulativ und abhängig von
der subjektiven theologischen Voreinstellung des Auslegers. Auch Thiessens Versuch ist da keine Ausnahme. Darauf eine
Interpretation von Offb.20 zu begründen, wird wohl nur Dispensationalisten
überzeugen. Thiessen selber gibt zu, dass die
Offenbarung sich nicht chronologisch aufteilen lässt, da immer wieder Dinge aus
der Vergangenheit beschrieben, dieselben Dinge mit verschiedenen Bildern und
Beschreibungen wiederholt werden oder schon die metaphorische Sprache keine
eindeutige chronologische oder auch inhaltliche Deutung zulässt. Wenn man dies
jedoch erkannt hat, sollte man entsprechend zurückhaltender bei einer
chronologischen Einteilung und einer darauf basierenden Auslegung von Offb.20,1ff (oder auch der Zorngerichtsreihen) sein. Diese
Zurückhaltung findet sich aber nicht bei Thiessen,
sondern er ist sich völlig sicher, dass seine chronologische Einteilung und
inhaltliche Auslegung zutreffend sind. Wenn aber – wie Thiessen
selber anhand einiger Stellen zugibt (z.B. sind Offb.11,15-19
und 19,11 identische Gerichte) – die Offenbarung nicht stringent chronologisch
aufgebaut ist, mit welchen Recht beansprucht er sein chronologisches
Verständnis für Offb.20,1ff? So bestätigt er Walvoord
mit seiner festgelegten chronologischen Einteilung der Offenbarung (z.B. dass
ab Kap. 4 von den „zukünftigen Dingen“ die Rede ist), die Thiessen
gerade aufgrund eindeutiger Belege selber hinterfragt hat. Walvoord
spricht Thiessen zufolge „treffend“ davon, dass seine
dispensationalistische Aufteilung der Offenbarung die einzig „überzeugende“ sei
und alle anderen „sich in einem Gewirr widerstreitender Meinungen“ verlieren.
Hier schließt Walvoord in Bezug auf „überzeugend“ von
sich auf andere und übersieht dabei, dass auch seine dispensationalistische
Interpretation eine der vielen „widerstreitenden Meinungen“ zur
Offenbarungsauslegung ist und auch seine eigene Auslegung keineswegs
widerspruchsfrei ist.
Ich
habe in meinem Buch bereits darauf hingewiesen, dass die Lehre über die
chronologische und inhaltliche Abfolge der Eschatologie nicht auf einer
spekulativen Interpretation der metaphorisch-unchronologischen
Aussagen der Offenbarung beruhen darf, sondern aus den klareren Lehraussagen
des NT abgeleitet und begründet werden muss. Und im Licht dieser klaren
Schriftaussagen können und müssen – aufgrund der inspirierten Einheit der
Schrift – auch die eher metaphorischen und unchronologischen Aussagen der
Offenbarungen verstanden werden. Nur dann ist man exegetisch-theologisch auf
der sicheren Seite. Alles andere ist spekulativ und zu sehr von den
theologischen Voreinstellungen, Prägungen und Wünschen des Auslegers motiviert.
Ich
möchte aber auch noch auf einige ausgewählte Einzelheiten in Thiessens Ausführungen zur Offenbarungsauslegung eingehen,
zuerst auf seine folgende Aussage:
Diese
Reihenfolge (d.h. erst die Vernichtung der antichristlichen Herrschaft bei der
Wiederkunft Jesu und dann das Friedensreich des Messias) wird auch durch andere
Stellen in der Bibel (vgl. z.B. 1. Thess 5,1ff.; 2. Thess 2,7-8; Dan
7,11ff.) direkt oder indirekt bestätigt. (S.120, Klammern im Original)
Doch
an keiner der angeführten Stellen ist von einem irdischen Millennium und
Zwischenreich die Rede – weder direkt noch indirekt. Hier zeigt sich, dass der
dispensationalistische Ansatz Dinge in Texte hineinlegt, die dort gar nicht zu
finden sind. Auch in Offb.20,1ff selber ist weder
etwas von einem irdischen Zwischenreich noch von Israel die Rede. Aber dennoch
meinen Dispensationalisten, der Text würde darüber etwas sagen. Dies ist nicht
Exegese, sondern Eisegese.
Dann
stellt sich noch die Frage, wie Thiessen in Offb.14,1ff auf die nationalen zwölf Stämme Israels kommt (S.114f).
Im Text selber werden diese 144.000 eindeutig allgemein als Christen und
Jesusjünger identifiziert. Hier ist gerade auffallend, dass eben nicht von den
zwölf Stämmen Israels die Rede ist, sondern allgemein von den Gläubigen ohne
ethnische Einschränkung. Dies erklärt dann auch Offb.7,1ff
und die dort genannten Menschengruppe(n) (vgl. Senk 2006:46ff).
Thiessens Ausführungen sind zudem geprägt von einer „Wortdogmatik“ (ich bin an
den entsprechenden Stellen bereits darauf eingegangen). Er legt zu viel
Bedeutung in ein Wort, welche weder direkt noch indirekt von dessen Kontext
bestätigt wird. Z.B. macht Paulus in Phil.3,11 oder
1.Kor.6,14 in keiner Weise deutlich, dass er hier an eine „stufenweise
Auferstehungschronologie“ in Analogie zu einer dispensationalistischen
Auslegung von Offb.20,1ff denkt – weder direkt noch indirekt und im Kontext und
in den Aussageabsichten schon gar nicht. Auch hier wieder ein Fall von „Eisegese“.
Thiessen versucht die eindeutigen neutestamentlichen Bezüge zu Sach.14 (wie
z.B. Offb.21-22) dadurch zu entkräften, indem er einfach behauptet, dass
bestimmte Bilder, die sich im Alten Testament auf
die messianische Friedensherrschaft beziehen, in Offb.21-22 auch für die
Beschreibung der Neuschöpfung nach dem Friedensreich gebraucht werden. Doch ist
das nicht eine Bestätigung, dass die alttestamentlichen Verheißungen nur und in
erster Linie bildlich in Bezug auf diese Neuschöpfung gemeint sind. (S.144)
Die Antwort, wo und wie sich eine Verheißung oder Prophetie aus dem AT
erfüllt hat oder erfüllen wird, liefert uns das NT. Wenn wir dort eindeutige
Bezüge zu den jeweiligen AT-Aussagen finden, dann liegt die Antwort auf der
Hand. Thiessen aber stellt sich gegen den Befund des
NT und setzt seine dispensationalistische Hermeneutik und „Israeltheologie“ an
dessen Stelle. Dabei hat er keinerlei exegetische Grundlage für seine
Behauptung, dass Offb.21-22 nur bildhaft Umschreibungen aus dem AT „ausleiht“,
die eigentlich einem wörtlich-irdischen Millennium gelten. Schon diese Theorie
muss doch jedem als unhaltbar und spekulativ erscheinen. Das NT bezieht diese
Aussagen eindeutig auf die Ewigkeit im himmlischen Jerusalem. Doch Thiessen bezieht dies – mit der unbegründeten Behauptung,
dass hier Elemente aus dem Millennium zur bildlichen Beschreibung des
himmlischen Jerusalems „ausgeliehen“ wurden – ohne exegetischen Hinweis auf ein
biblisch unbegründetes irdisches Millennium. Diese ganze Diskussion gilt auch
für den Tempel bei Hesekiel (Hes. 40-48), wo wir auch eindeutige Bezüge dazu in
Offb.21-22 haben.
Der dispensationalistische Ansatz leugnet aber nicht nur die klaren,
im NT (für Christus und die Gemeinde bzw. Ewigkeit) bezeugten Erfüllungen der
AT-Verheißungen, sondern leugnet schon die inner-alttestamentlichen Zeugnisse
dazu. So geht auch Thiessen immer wieder von einer
irdischen Landverheißung für Israel aus,
obwohl in Jos.21,43-45 ganz klar gesagt wird,
dass Gott dies alles bereits unter
Josua erfüllt hat. Bestätigt wird dies vom Empfänger der Verheißung selber (auf
den sich die Dispensationalisten so sehr berufen) – Abraham. Dieser (und mit
ihm alle Gläubigen des AT) erwartete und erhoffte keine „irdische Heimat“,
sondern eine himmlische (Hebr.11,13-16; vgl. auch
Hebr.4,9). Man stellt sich – zugunsten
einer biblisch unbegründeten „Israeldogmatik“ (nach Fruchtenbaum
„The Missing Link in Systematic
Theology“!) – gegen die klaren Aussagen der Heiligen
Schrift.
Auch
bei seiner Darstellung des Paulus sowie
des Hebräerbriefes (S.122-127; vgl.
Senk 2006:67-76) prakiziert Thiessen
ausgiebig Eisegese. In 1.Kor.15,22-28 deutet absolut
nichts auf ein irdisches Zwischenreich in Analogie zu einer dispensationalistischen
Auslegung von Offb.20,1ff hin – weder direkt noch
indirekt und schon gar nicht im Kontext und in der Aussageabsicht des Paulus.
Hier ein von Paulus angedeutetes irdisches Zwischenreich zu sehen, ist nur dem
möglich, der dies hier sehen will. Dies ist eine dispensationalistische
Überfremdung der biblischen Texte. Paulus selber hat dies hier nicht im Blick,
denn schließlich schreibt er nichts darüber. Dies gilt auch für die von Thiessen dazu angeführten Parallelstellen aus Lk.19,11;
Apg.1,6f; Eph.1,20-22; Röm.11,12.15.25-27 und Hebr.2,5-8; 3,7 - 4,14. An keiner
dieser Stellen ist von einem irdischen Zwischenreich die Rede – weder direkt
noch indirekt und noch in Kontext und Aussageabsicht der Texte. Die einfachste
Regel der Hermeneutik und exegetischen Methodik („Was steht da und was nicht“)
wird hier anscheinend ignoriert. Dem Leser sollte dies sicher selber auffallen,
insbesondere dass Thiessen immer wieder wie zwanghaft
schreibt „indirekt ... sagt der Text …“.
Direkte Belegstellen für seine Sicht kann er nicht anführen. Und die
angeblichen „indirekten“ Belegtexte sagen nicht das aus, was er darin zu finden
meint.
Man
muss sich auch fragen, warum Thiessen auf S.127f die
Sabbatruhe ausführlich aus Hebr.4,9 auf die Wiederherstellung Israels bezieht,
dann aber im Gedankenfluss doch deutlich macht, dass sich diese Stelle auf das
gesamte Volk Gottes (Gemeinde) bezieht und nicht nur auf das nationale Israel!
Auch
bei seiner Behandlung der Aussagen Jesu
(S.128f; vgl. Senk 2006:45f) zum Thema schreibt Thiessen
„indirekt ... sagt Jesus …“ und macht
damit deutlich, dass er auch hier keine direkten Belege für seine Sicht
vorweisen kann. Und auch die dort von ihm angeblich „indirekten“ Belege sind –
bei genauer Betrachtung der Texte und ohne dispensationalistische
Vorentscheidungen – wieder nicht in den
Texten zu finden. So sagt z.B. Jesus in Lk.21,24
nichts von einer Wiederherstellung des nationalen Israels in einem irdischen
Millennium. Dies gilt auch für die anderen von Thiessen
genannten Schriftstellen. Dass Jesus von einem gegenwärtigen und zukünftigen
Reich gesprochen hat, ist unbestritten. Doch das zukünftige Reich meint laut NT
die Vollendung in der Ewigkeit in der neuen Welt Gottes und kein irdisches
Zwischenreich.
In
Bezug auf das Alte Testament (S.129-134;
vgl. Senk 2006:24ff) schreibt Thiessen bemerkenswerterweise:
Die alttestamentlichen Verheißungen, die sich auf ein
irdisches messianisches Reich beziehen (...) entweder auf die neutestamentliche Gemeinde oder auf die Neuschöpfung von
„Himmel und Erde“ zu beziehen, widerspricht den eindeutigen Aussagen nicht nur
des Neuen, sondern auch des Alten Testaments. (S.129-130)
Nun
wird der Leser zu Recht aufmerken. Haben wir doch eben festgestellt, dass Thiessen kein einziges direktes Argument vorweisen konnte,
sondern nur angebliche „indirekte“ Belegstellen, und auch diese nicht das
aussagen, was er darin zu finden meint. Doch hier spricht er plötzlich von
„eindeutigen Aussagen des Neuen Testaments“! Aus „indirekt“ wurde einfach
„eindeutig“. Diese Art der rhetorischen Argumentation von Thiessen
ist weder redlich noch fair – nicht einmal gegenüber sich selber - hat er doch
selber immer wieder die „Indirektheit“ seiner Belege
betont.
Für
Thiessens Ansatz dient das AT als Hauptbelegquelle.
Daher verwendet er in diesem Kapitel nicht mehr Aussagen wie „indirekt“ etc.,
sondern „eindeutig, sehr deutlich“ usw.
Dabei legt er allerdings eine bestimmte Hermeneutik zugrunde, welche von einer
„konsequent wörtlichen Interpretation der Weissagungen des AT“ ausgeht. Daneben
ignoriert (bzw. um-interpretiert oder degradiert als
„Vor-, Teil- oder Bild-Erfüllung“) er einfach die vielen AT-Zitate im NT,
welche die Gemeinde als neues Volk Gottes und neues Israel identifizieren und
die Verheißungen des AT auf diese neue Heilskörperschaft „übertragen“.
Dispensationalisten wie Thiessen stellen ihre literalistische Hermeneutik über die Schriftauslegung des
NT. Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem dispensationalistischen und nicht-dispensationalistischen
Ansatz. Auch dass die Argumente bei Thiessen aus dem
AT hier so „mager“ ausfallen, liegt daran, dass er bereits in seinen
Ausführungen zum NT ständig auf das AT verwiesen hat. Dies macht deutlich, dass
er das NT im „Licht“ des AT deutet und nicht – wie es heilsgeschichtlich
richtig wäre – das AT im Licht des NT interpretiert.
Thiessen hat keine wirklichen Belege für seine Therorie
anführen können. Seine Israeltheologie bzw. prämillenniaristische
Sicht versucht er ausgehend von einer unhaltbaren dispensationalistischen
Interpretation von Offb.20,1ff und einigen Aussagen
des AT zu begründen. Im Lichte der Schrift hat sich diese Theorie aber als
unhaltbar erwiesen.
Thiessen lehnt die metaphorische Auslegung
von Hes.40-48 ab (S.135-155; vgl. Senk 2006:34-37), obwohl diese dem NT
entspricht (vgl. die Parallelen zu Offb.21-22!) und nennt diese Hermeneutik „ein Nicht-Ernst-Nehmen und eine Flucht vor
dem, was hier steht“ (S.136). Dabei übersieht Thiessen,
dass es die dispensationalistische Sicht ist, welche die inspirierten und
autoritativen Aussagen und Auslegungen des NT (und AT – vgl. Jos.21,43f) dazu „nicht erst nimmt“. Außerdem hat Thiessen gezeigt, dass er „vor dem flieht, was geschrieben
steht“. So weigert er sich z.B. – trotz richtiger Erkenntnis aus Gal.6,16;
1.Petr.2,9f und den Aussagen des NT zum im AT verheißenen Neuen Bund – die
richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen (s.o).
Thiessen macht gleich zu Anfang seiner Behandlung dieser Schriftabschnitts
deutlich, dass man nicht alle Einzelheiten der Weissagungen aus Hes.40-48 in
der Zukunft erwarten kann – weder in einem irdischen Millennium, noch in der
neuen himmlischen Welt (S.142). Damit meint er vor allem die in Hesekiel
genannten Sündopfer, welche ja sonst dem ein für allemal geschehenen Opfer
Christi widersprechen würden. Dies ist nicht nur inkonsequent gegenüber seiner
bisher dargestellten Hermeneutik, sondern auch willkürlich. Thiessen
bestimmt einfach, welche Stellen (bzw. deren Einzelheiten) sich (wie) erfüllen
werden und welche „nicht“. Wie wir unten sehen werden, geht Thiessen
– trotz seiner auf S.142 geäußerten Annahme – davon aus, dass die Opfer wieder
eingeführt werden (S.144). Dies entspricht wieder der verwirrenden und
widersprüchlichen Hermeneutik, wie unten im allgemeinen Teil dargestellt.
Auch hier, in Zusammenhang mit Hes.40-48, redet Thiessen
wieder von einer „Mehrfacherfüllung“, obwohl er bisher keine wirkliche
hermeneutisch-theologische Begründung für diese Auslegungsart abgegeben hat.
Thiessen schreibt unter Berufung auf Külling
Folgendes:
Die Opferordnung wird als Bild-Lektion benützt, um die Notwendigkeit für Heiligkeit in der
Weihe und Reinigung von Tempel und Altar zu demonstrieren. Sie wollen visuelle
Erinnerung an die Sündigkeit des Menschen und seine Erlösungsbedürftigkeit
sein, während sie gleichzeitig bildhafte Erinnerung an das bereits vollbrachte
Opfer des Messias sind, der ein für alle Mal Versöhnung für die Menschheit
brachte. (S.142f)
Die
Opfer entkräftigen nach Külling
also „niemals das einmalige Opfer von
Jesus Christus am Kreuz“, wie er im Einklang mit manchen anderen Exegeten, die
er erwähnt, betont.
Diese spekulative
Wunschinterpretation wird weder den Aussagen von Hes.40-48 noch denen des NT
gerecht. Die ganze Theorie einer „Bild-Lektion“ hat keinerlei biblische
Grundlage. Die gesamte Theorie beruht auf unbegründeten Annahmen. Dahinter
steckt das Motiv, eine wörtliche Auslegung der Opfer aus Hes.40-48 gegenüber
den soteriologischen Aussagen des NT abzusichern. Man
behauptet, dass dies „bildhafte, symbolische Erinnerungsopfer“ seien. Doch dies
wird nirgendwo im Text gesagt. An keiner Stelle wird deutlich, dass etwaige
künftige Opfer nur „Symbolcharakter“ haben. Man versucht zu betonen, dass die
Opfer im Millennium „niemals das einmalige Opfer von Jesus Christus am Kreuz“
entkräften würden. Doch es spielt keine Rolle, ob man dies vorher so behauptet
bzw. verneint oder nicht. Fakt ist, dass man sich vom ein für allemal
geschehenen Opfer abwendet, um sich wieder einem „schattenhaften System“
zuzuwenden (egal in welche zeitliche „Richtung“ der Schatten fällt.). Thiessen sagt dann zusammenfassend:
Dementsprechend
kann es m.E. im Tausendjährigen Reich durchaus symbolische Opfer geben (denken
wir an das Abendmahl als Erinnerung an den Tod Jesu). Nach dem einmaligen
Opfertod Jesu für die Sünden der Welt ist die Frage nach zukünftigen Opfern
jedoch sicher keine zentrale Frage, und so sollten wir uns darüber nicht
streiten, sondern die endgültige Antwort Gott überlassen. (S.144)
Zuerst
fällt der Widerspruch auf, dass Thiessen noch kurz
vorher ausgeschlossen hat, dass es eine Wiedereinführung von Opfern geben wird
(S.142). Er will diese jedoch „symbolisch“ verstehen, was der Text aus
Hes.40-48 aber in keiner Weise hergibt. Auch sein Vergleich mit dem Abendmahl
ist biblisch nicht zu rechtfertigen (vgl. Senk 2006:33-38).
Verwunderlich
ist, wie Thiessen darauf kommt (auch auf S.10), dass
dies keine „zentrale Frage“ sei. Es ist schließlich eine der wesentlichen
theologischen Themen des NT, ob die Christen zum Heil noch die Satzungen und
Ordnungen des AT einhalten müssen. Diese Frage zieht sich sowohl durch die
historischen als auch durch die lehrhaften Schriften des NT. Immer wieder
müssen die Apostel vor judaisierenden Irrlehrern
warnen, die die Christen wieder unter die Satzungen des Alten Bundes bringen
wollen. Vor allem der Hebräerbrief macht deutlich, dass jeder, der – nach dem
einmaligen und endgültigen Opfer Jesu (Hebr.8-10) – nun wieder zu den
„schattenhaften und unvollkommenden Ordnungen“
zurückkehren will, kein Anteil am Heil hat (Hebr.10,26).
„Wo aber Vergebung dieser (Sünden) ist,
gibt es kein Opfer für Sünden mehr“ (Hebr.10,18).
Die
obige Aussage Thiessens – dass dies keine „zentrale
Frage“ sei – wäre so, als wenn Paulus
sagen würde: „Nach dem einmaligen Opfertod Jesu für die Sünden der Welt ist die
Frage nach der Beschneidung keine zentrale Frage, und so sollten wir uns
darüber nicht streiten, sondern die endgültige Antwort Gott überlassen.“ Dies
steht den deutlichen Worten des Apostels völlig entgegen (Gal.1,5ff). Wir müssen wohl auch heute wieder mit Paulus folgende
Frage stellen:
„...jetzt aber habt ihr Gott
erkannt – vielmehr ihr seid von Gott erkannt worden. Wie wendet ich euch wieder
den schwachen und armseligen Elementen zurück, denen ihr von neuem dienen
wollt?“ (Gal.4,9).
Gerade
als Neutestamentler müsste es Thiessen zumindest
auffallen, dass an keiner Stelle des NT eine Wiedereinführung eines
Opfersystems angedeutet wird. Ein so gravierendes soteriologisches
Thema müsste Spuren im NT hinterlassen haben. Vor allem die Betonung der in
Christi Opfer endgültig abgeschaffenen (Opfer-)
Ordnung des AT macht diese dispensationalistische Interpretation Thiessens unmöglich. Daher möchte ich nochmals betonen,
dass wir das AT im Lichte des NT auslegen müssen. Sonst laufen wir Gefahr,
nicht nur eine andere Eschatologie wie Jesus und die Apostel zu lehren, sondern
auch eine andere Soteriologie. Denn die Frage nach einer Wiedereinführung von
Opfern ist keine „Nebenfrage“ – wie Thiessen meint –,
sondern eine zentrale Frage und Thematik der neutestamentlichen Soteriologie.
Auffällig
ist auch, dass er auf die umfangreiche einschlägige Studie zum Tempel von
Gregory Beale nicht eingeht (G. Beale:
„The Temple and the Church’s Mission“, Intervarsity Press 2004). Allgemein scheint Thiessen sehr selektiv mit der Literatur seiner „theologischen
Gegner“ umzugehen.
Auch
Thiessen falsche Darstellungen anderer Autoren
mindern das Vertrauen in seine akademische Kompetenz und Redlichkeit. Hier nur
einige Beispiele:
Thiessen nennt auf S.37 E. Schnabel als Beispiel für solche, die
behaupten, dass die Jünger Jesus in Apg.1,6f falsch
verstanden hatten. Dies sagt Schnabel dort aber mit keiner Silbe. Auch der Text
selber macht nicht deutlich, wie die Jünger sich die „Wiederherstellung des
Reiches für Israel“ vorgestellt haben (vgl. Senk 2006:71-74).
Thiessen zitiert mich (Senk 2006) auf S.23 falsch (es muss heißen: „bis auf
den auserwählten Rest“ statt „bis auf einen Rest“). Außerdem macht doch gerade
diese Aussage deutlich, dass ich nicht der Ansicht bin (wie Thiessen
mir vorwirft), dass das nationale Israel als Ganzes (vollständig) verworfen
sei, sondern dass ich glaube, dass ein erwählter Teil von Juden (nämlich alle
an Christus glaubenden) zum Volk Gottes gehört und Anteil am Heil hat. Ich
verweise dabei sogar auf dieselbe Aussage von Blomberg, den er dort angeblich
als Argument gegen mich anführt.
Thiessen scheint auch mit einigen Begriffen nicht klarzukommen. So betone ich
anhand der paulinischen Aussagen über den „Rest“,
dass Gott sein Volk nicht „vollständig“ verworfen hat – aber die Verwerfung
derer, die nicht zum erwählten Rest gehören, ist „endgültig“ (Senk 2006:60-67;
vgl. Röm.9,1ff; 1.Thess.2,14ff;). Nun aber vermischt er einfach die Begriffe
„endgültige“ und „vollständige“ Verwerfung miteinander (S.23ff), obwohl ihm
doch klar sein müsste, dass der erste temporal und der zweite numerisch
verstanden werden muss.
Auf
Seite 56 behauptet Thiessen, dass ich von einer
„Neudefinierung Israels“ bzw. „Übertragung“ spreche. Dies stimmt zwar, doch
erwähnt Thiessen nicht, dass ich diese Begriffe in
meinem Buch einschränkend gebrauche. Ich mache deutlich, dass die Begriffe der
„Neudefinierung“ und „Übertragung“ im Lichte der (von Thiessen
abgelehnten) Vorherbestimmung Gottes verstanden werden müssen (Senk 2006:14.24).
Gott verändert sein Wort nicht, sondern es geht so in Erfüllung, wie er es
ursprünglich gemeint hat – und dies wird uns im NT gezeigt.
Unterm Strich lässt sich sagen: Thiessen
vertritt unbiblische Lehren, welche vor allem auf seinem untragbaren Umgang mit
der Bibel zurückzuführen sind. Seine widersprüchliche und
undurchsichtig-inkonsequente Hermeneutik (insbesondere in Bezug auf die
Erfüllung von Weissagungen des AT) zeigt dies deutlich. Dies wirft auch ein
Licht auf das Israelinstitut der FTA, die ein solches Buch mit ihrer
Auszeichnung bestätigen.
Ich
hoffe, dass diese Rezension das Anliegen weckt, wirklich allein die Schrift das
sagen zu lassen, was sie wirklich sagt. Dieses Prinzip sollte Thiessen auch anwenden, wenn er die Sicht anderer (bes. Andersdenkender)
darstellen bzw. widerlegen will.
Anhang: Stellungnahme zu Thiessens Dogmatikbuch „Biblische Glaubenslehre“
Thiessens Dogmatik soll eine „Systematische Theologie für die Gemeinde“ sein.
Sie soll also vor allem keine wissenschaftliche dogmatische Abhandlung bieten,
sondern allgemeinverständlich und komprimiert die christliche Lehre darstellen.
Dennoch nimmt Thiessen den Leser auch in kontroverse
theologische und exegetische Diskussionen mit hinein. Dies ist sicher ein zu
lobendes Anliegen. So gibt er dem Leser einen Überblick über die verschiedenen
Themen auch in ihrer Auseinandersetzung. Auch seine Art der Formulierung
entspricht weitgehend diesem Anliegen. Selbst bei komplizierten philologischen
Ausführungen versucht Thiessen allgemeinverständlich
zu bleiben, auch wenn viele diese Ausführungen sicher nicht wirklich
nachvollziehen bzw. prüfen werden können. So mancher Leser kann zweifelsohne
viel aus seinem Buch (dazu)lernen.
A2.
Thiessens Umgang mit der Bibel (grundsätzlich)
Thiessen versucht, alle wichtigen Themenbereiche christlicher Dogmatik
anzusprechen, was ihm aber aufgrund des komprimierten
Umfangs nur bedingt gelingt. Die daraus resultierende Kürze lässt noch zu viele
Fragen offen, besonders in der exegetischen Begründung. So stellt er z.B. oft
einfach dogmatische Behauptungen auf ohne biblische Begründung (z.B. warum es
für Satan und die Dämonen keine Vergebung gibt – S.43; oder dass die Taufe ein
„öffentliches Bekenntnis“ ist – S.159 uva.). Man
bekommt auch den starken Eindruck, dass er Schriftstellen und
exegetisch-theologischen Diskussionen (auch mit anderer Fachliteratur) dann aus
dem Weg geht, wenn dies seiner Sichtweise Probleme machen könnte. Dies betrifft
z.B. die Wiedereinführung von Opfern in dem von ihm postulierten irdischen
Millennium oder seine Behauptung, dass es in Röm.9 nicht um die individuelle
Erwählung zum Heil oder Unheil geht (auf S. 136 verweist er nur auf seinen
eigenen Kommentar sowie auf Mauerhofer).
An
anderen Stellen gibt er zwar Bibelstellen als Beleg an, doch erklärt er oft
nicht, wie er von der dort genannten Schriftaussage auf das im Buch formulierte
dogmatische Ergebnis gekommen ist (z.B.
dass 1.Kor.15,39 – scheinbar um mennonitisches Handeln
in der Vergangenheit zu rechtfertigen – ein Martyrium/eine Todesstrafe aufgrund
der Taufe lehren soll – S.162; vgl. dagegen die eher zurückstufende Aussage zur
Taufe in 1.Kor.1,17; oder das Apg.5,32 lehre, dass die Hingabe/Heiligung
Voraussetzung zur Geistesfülle sei – S.125 uva.).
Stattdessen verweist er zumeist einfach auf andere Literatur. Überhaupt ist
sein häufiges Verweisen auf Sekundärliteratur für eine „Gemeindedogmatik“ wenig
hilfreich, da die meisten Gemeindemenschen keine theologische Ausbildung bzw.
keine Möglichkeit haben, die Aussagen Thiessens
anhand der angegebenen Fachliteratur nachzulesen geschweige denn nachzuprüfen.
Vor allem seine vielen Verweise auf die Vorlesungsmanuskripte seiner früheren
Lehrer wie Külling oder Mauerhofer
fallen auf. Doch hat der Leser normalerweise keinen Einblick in diese
Vorlesungsskripte. Man gewinnt den Eindruck, dass Thiessen
seine theologischen Ansichten scheinbar unreflektiert von seinen Lehrern Külling und Mauerhofer übernommen
hat.
Außerdem
erwähnt er häufig theologische Floskeln oder fordert zu irgendetwas auf, was er
aber nicht erklärend darstellt. So schreibt er z.B. an vielen Stellen vom
„Wandeln im Geist“ oder „Führung durch den Geist“ etc., doch erklärt er diese
Aussagen und Imperative an keiner Stelle (vgl. S.148). Der Leser seiner
Zielgruppe (Gemeinden) kann mit diesen Aussagen wenig anfangen (vgl. dazu Senk
2007).
Fragwürdig sind auch seine aus dem
Kontext entrissenen Schriftverweise, die dem Leser eine von Thiessen
bestimmte Bedeutung suggerieren sollen. So zitiert er z.B. Jes.65,19-20 ohne die
dazugehörigen Verse 17-18 (S.208; vgl. sein Israelbuch S.85), welche aber
sprachlich als auch inhaltlich mit den V.19-20 verknüpft sind. Diese Verse
zeigen, dass es hier um den Neuen Himmel und die Neue Erde geht und nicht – wie
Thiessen meint – um ein irdisches Tausendjähriges
Reich. Oder aber er zitiert Stellen wie 1.Tim.2,4 („Gott will alle Menschen
retten“), ohne darauf aufmerksam zu machen, dass der Kontext eindeutig von
Kategorien von Menschen und nicht von jedem menschlichen Individuum spricht
(vgl. Senk 2006:121f)
Manchmal verdreht er augenscheinlich
einfach die biblische Beschreibung. So
sagt er in Bezug auf die Verstockung des Pharao durch Gott, dass Pharao sein
Herz zuerst verstockt hatte und zitiert die Bibelstellen in dieser Reihenfolge
(S.137). Die Wahrheit ist jedoch, dass zuerst von der Verstockung durch Gott
die Rede ist (2.Mo.4,21; 7,13f; vgl. Spr.16,4), erst
danach wird von der Verstockung Pharaos gesprochen (was aber natürlich die
Folge der Verstockung durch Gott ist: der Pharao verstockt sein Herz, weil Gott
dies so gewollt und gewirkt hat). Und genau dies sagt Paulus in Röm.9,14-18. Denn das Argument des Paulus ist ja gerade dies,
dass Gottes souveränes Erbarmen oder Verstocken noch vor jeglicher Handlung des
Menschen erfolgt (vgl. dazu Senk 2006:60-67).
Zudem verwirrt Thiessen
den Leser durch viele widersprüchliche Aussagen, die aus seiner z.T. unbiblischen Theologie entstehen. So ist z.B. für ihn der
Glaube und der Gehorsam (Ablegen der Sünde) Voraussetzung dafür, um den
Heiligen Geist zu empfangen bzw. von ihm erfüllt zu werden (S.122-123.125). An
anderer Stelle aber sagt er, dass wir nur durch den Geist Glauben bzw. in
Heiligung leben (bzw. Frucht bringen) können (S.127.139). Mitverantwortlich für
diese Verwirrung ist Thiessens unbiblische Trennung von Wiedergeburt und Glaube. So
meint er, dass der Glaube eine Voraussetzung des Menschen sei, um von Gott die
Wiedergeburt zu empfangen (S.141). Dabei schreckt er (hier und an anderen
Stellen) auch nicht davor zurück, seine Ansicht mit Bibelstellen zu belegen,
die seine Ansicht eigentlich überhaupt nicht unterstützen (z.B. das Apg.5,32
lehre, dass die Hingabe/Heiligung Voraussetzung zur Geistesfülle sei – S.125 uva) (vgl. dazu Senk 2007).
Damit
hängt auch sein theologischer Irrtum zusammen, dass der Mensch einen freien Willen habe und das Heil gänzlich
in der Entscheidungsgewalt des Menschen liege (S.63.138) (vgl. dagegen Senk
2006:118ff). Er lehnt die Erwählung als „unbiblisch“ ab und versteht darunter
(ohne dies wirklich biblisch zu begründen) ein nachträgliches Handeln Gottes
(„man ist erwählt, wenn man sich für Jesus entscheidet“; „wer Jesus annimmt,
gehört zu den Auserwählten“ – er vertauscht also die Reihenfolge) bzw. „Vorherwissen“ Gottes (S.107.137). Zudem lehrt er auch, dass
ein Christ das Heil verlieren kann, wenn er es nicht durch ein (von Thiessen definiertes) Heiligungsleben aufrechterhält. Nach Thiessen ist der Mensch also für den Empfang als auch für
den Erhalt des Heils zuständig – er muss es selber machen (S.104.153-154.169). Thiessen lehnt sich hier – wie so oft – an seinen Lehrer Mauerhofer an und spricht in gleicher unbiblischer Weise
davon, dass man schon im diesseits als Christ „Jesus immer ähnlicher“ werden
bzw. immer mehr Heiligungsstufen
erreichen muss (als weniger sündigt), damit man gerettet wird (S.169-171). Mauerhofer als auch Thiessen
machen aus einer zukünftigen Verheißung und Gottesgabe (vgl. dazu Senk 2007)
einen gegenwärtigen Imperativ für den Menschen.
Zu
dieser Lehre der Werkgerechtigkeit formuliert
er aber an anderen Stellen den Widerspruch, dass der Glaube und das Heil allein
Gottes Gabe (Gnade) ist und Gott in seiner Souveränität seine Pläne ausführen
wird (S.29). Jeder aufmerksame Leser muss sich dabei fragen: Warum und wie
kommt Thiessen zu dieser Verwirrtheologie und was
bezweckt er damit? Vermutlich will er dem Leser suggerieren, dass seine
Werkgerechtigkeitslehre die Souveränität und Gnade Gottes nicht untergrabe.
Aber genau das tut sie. Seine verwirrende und sich widersprechende Darstellung
kann nicht über diese Tatsache hinwegtäuschen.
Aber
damit sind wir noch nicht am Ende. Das Verwirrspiel geht weiter. So spricht Thiessen von der untrennbaren Einheit des Menschen,
bezeichnet jedoch trotzdem die Seele bzw. den Geist des Menschen unbiblischerweise als eigenständigen und unsterblichen Teil (S.50.57.58; vgl.
dagegen 1.Tim.6,16 u.a.) – ganz wie es die griechische Philosophie tat, von der
Thiessen sich eigentlich abgrenzen will (S.54.60).
Auch hier scheint er durch die doppelseitige bzw. widersprüchliche
Argumentation, seine Ansicht von dem Verdacht befreien zu wollen, durch die
Hintertür doch die griechische Philosophie übernommen zu haben (vgl. dazu Senk
2007). Es wundert daher auch nicht, dass Thiessen davon
ausgeht, Jesus habe im Geist – zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung –
den „Geistern im Gefängnis“ (irgend)eine „Botschaft“ verkündigt (S.110f; vgl.
dagegen Senk 2007).
Auch
in Bezug auf die Wiedereinführung von
Opfern im AT weiß scheinbar Thiessen selber
nicht, was er lehren soll (Israelbuch S.142). So sagt er einmal, dass es
aufgrund des Opfers Jesu sicher keine Sündopfer mehr geben wird. Dann aber
meint er später doch, dass es im Millennium wieder Opfer geben wird (Israelbuch
S.144).
Die
nächste Verwirrung entsteht in der Selbstdarstellung der Hermeneutik. So
versucht Thiessen durch seine Formulierungen immer
deutlich zu machen, dass man die eigene Ansicht immer demütig und in Anbetracht
der Fehlerhaftigkeit („Stückhaftigkeit“) der eigenen
Erkenntnis formulieren sollte (S.12; Israelbuch S.8.11). Andererseits macht er
aber deutlich, dass es nur die eine „absolute Wahrheit“ gibt und man sich mit
den unterschiedlichen theologischen Ansichten nicht zufrieden geben soll
(S.12.15). Er formuliert viele seiner Ausführungen so, als wenn diese die
einzig wahre Lehre der Bibel ist (Beispiele: S. 58 „die Bibel zeigt deutlich“
[die Unsterblichkeit der Seele]; S.153 „die Bibel lehrt uns also eindeutig“
[das man durch Werke das Heil aufrecht zu erhalten hat]; S.204 „Somit kann es
keine Frage sein, dass...“ [dass es ein irdisch-politischen Millennium geben
wird]; S.206 „Somit sehen wir deutlich...Die ganze Bibel lehrt uns“ vgl. im
Israelbuch S.76.121.129.131 [sehr
deutlich, offensichtlich etc.] uva.). Er kann
auch direkt oder indirekt ganz „spitz“ und verurteilend werden, wenn es um die
Ablehnung anderer Ansichten geht (S.154 [Andersdenkende beim Thema Erwählung
lassen die Bibel nicht das sagen, was sie wirklich sagt – nämlich das, was Thiessen meint!]; S.206 [Andersdenkende in Bezug auf Israel
leugnen göttliche Verheißungen bzw. deuten diese um]; Israelbuch S.136 [wer
Tempel und Opfer in Hes.40ff nicht so versteht wie Thiessen,
der nimmt die Bibeltexte nicht ernst und es ist zudem eine „Flucht“ vor deren
Aussagen]; Israelbuch S.156 [Andersdenkende tun dem Bibeltext „Gewalt an“] uva.). Schon fast trotzig wirkt die Formulierung, wenn er
bei seiner Verteidigung der Lehre von der Verlierbarkeit des Heils einfach
sagt, dass diese „biblisch“ ist, „auch wenn manchmal das Gegenteil behauptet
wird“ (S.153). Schon der Titel seines Buches (und der einzelnen Kapitel) machen
deutlich, dass Thiessen seine Ausführungen für die
„biblischen“ hält. Diese Aussagen haben für andere Ansichten keinen Raum. Mit
solchen absoluten Positionen macht er deutlich, dass seine Ansichten nicht zu
hinterfragen sind, obwohl er dies doch von sich und anderen einfordert (S.12;
Israelbuch S.11). Mit solchen Formulierungen kann er nicht behaupten, dass er
seine Ansichten für hinterfragbare „Stückwerkerkenntnis“ hält, obwohl er
versucht, diese scheinbar demütige Haltung von sich darzustellen (Israelbuch,
S.8.11). Es ist völlig richtig, dass die biblische Hermeneutik ganz klar
fordert, dass es nur eine absolute Wahrheit gibt und dass Gott durch die
Klarheit und Kraft seines Wortes auch imstande ist, diese rechte Erkenntnis zu
schenken (vgl. Senk 2006:107ff). Daher ist es absolut legitim, die Lehre der
Schrift als absolute und unhinterfragbare Lehre darzustellen. So eine absolute
Formulierung ist aber nicht legitim, wenn (a) die dargestellte Ansicht
überhaupt keine biblische Grundlage hat und (b) wenn man widersprüchlicherweise
dazu auf der anderen Seite demütig vorgibt, dass es überhaupt keine absolute
Wahrheitserkenntnis gibt bzw. diese niemand für sich in Anspruch nehmen darf.
Beides trifft hier auf Thiessen zu. Er übersieht
dabei zusätzlich, dass es in 1.Kor.13,9 – an der er seine scheinbare „Stückwerkhermeneutik“
anlehnt – nicht um unterschiedliche
Ansichten der Schriftauslegung geht. Ansonsten müssten auch die paulinischen Schriften als „Stückwerkerkenntnis“ gelten, zu
denen man auch unterschiedliche Ansichten haben kann. Thiessen
stellt damit indirekt also die Autorität der Schrift in Frage und zeigt zudem
mangelnde exegetische Einsicht. Auch dies hilft uns, die Gesamtargumentation Thiessens besser einzuordnen.
© 2007
beim Verfasser.
Ronald Senk (BTh,
HonsBTh, MTh) studierte
nach seiner technischen Berufsausbildung Theologie an der Bibelschule Wiedenest und absolvierte anschließend ein Weiterstudium im
Bereich Neues Testament an der University of South Africa
(UNSIA). Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in der
Nähe von Bielefeld.