Rick Warren: Leben mit Vision
Zwei Buch-Rezensionen
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Rezension 1 - von Wilfried
Plock
Dieser Artikel findet sich auch in Wilfried Plocks
Buch Gott
ist nicht pragmatisch
Das Buch war ein Bestseller, bevor es erschien.
Als noch keine Seite gedruckt war, lagen 500.000 Vorbestellungen
vor. Es beschreibt eine 40tägige Reise, um den Sinn des Lebens
zu entdecken. Versehen mit Empfehlungen von den höchsten
evangelikalen Autoritäten Amerikas (Billy Graham, Bruce Wilkinson,
Max Lucado, etc.) erklomm es bald die Hitlisten der Verlage. Die
hohe Auflage kommt u. a. dadurch zustande, dass ganze Gemeinden
das Buch in ihren Kleingruppen lesen - manche sogar statt der
Bibel in ihrer Stillen Zeit.
Mein erster Fehler beim Lesen des "Millionen-Sellers"
war, dass ich es nicht in 40 Tagen, sondern in weniger als 40
Stunden las. Das mag mir Rick Warren ja noch verzeihen. Schwerer
wiegt dagegen mein zweiter. Ich legte nicht - wie er es fordert
- meine grundsätzlich kritische Haltung ab. Doch das Erfreuliche
zuerst. "Leben mit Vision" ist ein alles in allem
erbauliches Buch. Ich bin davon überzeugt, dass besonders
junggläubige Leser eine Menge aus diesem Buch lernen könnten.
Der dritte Teil enthält ausgezeichnete Kapitel, über
die ich mich von Herzen gefreut habe. Was er z.B. über
die Umgestaltung in das Bild Jesu schreibt, hätte genauso
aus der Feder von William MacDonald kommen können.
Doch jetzt wird es kritisch. An welche Adresse
ist dieses Buch eigentlich gerichtet? Zunächst dachte ich:
an Nichtchristen; der Autor konzipierte es, um Menschen für
den Herrn zu gewinnen. Aber als ich weiterlas, fragte ich mich
allen Ernstes: wie konnten sich durch die Lektüre von "Leben
mit Vision" Hunderte oder gar Tausende bekehren? Die Darlegung
des Evangeliums im ersten Teil des Buches ist ausgesprochen mager,
oberflächlich und mangelhaft. Ein einziges Mal spricht Warren
von der Verantwortung vor Gott. Zwei- oder dreimal werden Himmel
und Hölle erwähnt. Die Sündhaftigkeit und völlige
Verderbnis des Menschen wird ebenfalls unzulänglich ausgeführt.
Rick Warren setzt beim "Kunden" an, und der Kunde mag
keine schlechten Nachrichten. In seinem früheren Bestseller
"Kirche mit Vision" schreibt er auf Seite 213: "Es
gibt genügend schlechte Nachrichten auf der Welt, deshalb
sind das Letzte, was die Menschen hören müssen, wenn
sie in die Gemeinde kommen, noch mehr schlechte Nachrichten."
Zentrale biblische Begriffe wie "Heiligkeit Gottes"
oder "Bekehrung" kommen überhaupt nicht vor. Und
was noch schwerer wiegt: der Begriff und Vorgang der Umkehr fehlt
völlig. Warren spricht lediglich vom "Glauben".
Gott hat aber vor die Erlangung des rettenden Glaubens die biblische
Buße gesetzt (Mt 4,17; Apg 2,38; 17,30; 26,20). Kann man
ein solches "Evangelium light" oder "Soft-Gospel"
überhaupt noch Evangelium nennen?
Don't get me wrong. Ich weiß wohl, dass
der lebendige Gott souverän ist. Zum Glück kann er
auch durch unvollkommene menschliche Predigten oder Bücher
Menschen zu sich ziehen. Aber dass der Höchste auf krummen
Zeilen gerade schreiben kann, erlaubt uns nicht, bewusst solche
krummen Zeilen zu fabrizieren. Die Schwäche von "Leben
mit Vision" besteht weniger in dem, was der Autor sagt.
Über die absolut pragmatische Aussage, dass Gott jede Art
von Musik liebe (S. 63), wollen wir jetzt einmal großzügig
hinwegsehen. Die Schwäche des Buches besteht mehr in dem,
was Rick Warren nicht sagt. Auf S. 9 verspricht der Schreiber
seinen Lesern: "Diese neue Perspektive wird Ihnen helfen,
Stress zu verringern, leichter Entscheidungen zu fällen,
zufriedener zu leben, und sie wird Sie vor allem auf die Ewigkeit
vorbereiten." Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen,
dass der Apostel Paulus seine Verkündigung mit solchen
Schalmeien eingeleitet hätte. Schlimmer noch. Solche Versprechungen
leiten den Leser von Anfang an auf ein falsches Gleis. Wie soll
man jenen Leuten später beibringen, dass die Nachfolge
Jesu Christi ungemein schwer, angefeindet und entbehrungsreich
sein kann?
Oder ist "Leben mit Vision" doch an
die Adresse von Christen gerichtet? Der Autor scheint diese
Frage bewusst offen zu lassen. Das wäre jedoch weder redlich
noch geistlich. Es entstünde ein "hermeneutischer
Mischmasch". Überhaupt ist Warrens Umgang mit der
Schrift in diesem Buch genauso oberflächlich, pragmatisch
und manchmal falsch wie in "Kirche mit Vision". Es
könnte als Lehrbuch dienen: wie missbrauche ich Bibelstellen,
um meine vorgefasste Meinung zu belegen.
Und noch etwas bereitet mir Kopfzerbrechen. Das
Buch wird vornehmlich solche Leser, die sich die Schätze
aus der Blütezeit der Brüderbewegung noch nicht durch
eigenes Bibelstudium angeeignet haben, zu dem Gedanken verleiten:
"Sieh mal da, es geht scheinbar auch ohne die alten Zöpfe
der Väter. Wir können auch auf moderne Weise Gemeinde
bauen: offen, tolerant, freikirchlich." Wenn schon gestandene
Brüder in Holland und an anderen Orten von den Büchern
Rick Warrens schwärmen, wie viel mehr dann junge, ungefestigte?
Zudem werden viele Leser durch "Leben mit
Vision" - wenn zuvor noch nicht geschehen - auf das frühere
Buch "Kirche mit Vision" aufmerksam werden, über
welches ich noch viel unglücklicher bin. Eine ausführliche
Auseinandersetzung mit dieser Publikation findet sich in dem
neuen Buch "Gott ist nicht pragmatisch - Wie Zweckmäßigkeitsdenken
die Gemeinde zerstört" (Betanien-Verlag).
Rick Warren nennt sein Konzept "purpose
driven" (vom Auftrag getrieben, auftragsorientiert). Das
ist inzwischen ein eingetragenes Markenzeichen. In Wirklichkeit
arbeitet er sehr stark "market driven", das heißt
auf der Grundlage von Marktforschung und demographischen Umfragen.
Wenn uns schon etwas "treiben" muss, dann sollte es
der Heilige Geist sein (Röm 8,14). Der wird dann auch dafür
Sorge tragen, dass wir "geistliche Dinge auf geistliche
Weise" vermitteln (1Kor 2,2-5.10-13).
Noch etwas. "Leben mit Vision" erklomm
mühelos die weltliche Bücherhitliste der New York
Times. Das ist ungefähr damit vergleichbar, wie wenn "Jesus
unser Schicksal" an der Spitze der Bücherhitliste
des "Spiegel" stehen würde. Dort stehen zur Zeit
eher die Harry-Potter-Bände. Amerika ist zwar nicht Deutschland,
aber der Herr Jesus Christus warnte seine Jünger einmal
mit folgenden Worten: "Wehe, wenn alle Menschen wohl von
euch reden
" (Luk 6,26). Das sollte uns ein wenig
zu denken geben.
Nach den Willow-Wellen erreichen uns nun immer
mehr die Ausläufer von Saddleback. IdeaSpektrum berichtete
Ende Januar sehr positiv von den Erfahrungen der Matthäus-Gemeinde
in Bremen, die das Projekt "40 Tage mit Vision" als
erste deutsche Gemeinde erfolgreich getestet habe (Ausgabe Nr.
5/2004). In den USA führten im vergangenen Jahr 1500 Gemeinden
die Kampagne durch und erreichten mehr als zwei Millionen Menschen.
Dennoch betrachte ich die Entwicklung mit großer
Sorge. Ich freue mich zwar über jeden, der geistlichen Gewinn
aus "Leben mit Vision" ziehen konnte. Aber ich würde
es keinem Nichtchristen in die Hand geben. Und wenn Sie das Buch
als Gläubiger lesen, machen Sie keine Fehler. Oder lieber
doch?
Weitere Hintergrundinformation über Rick Warrens Philosophie
finden sich in Wilfried Plocks Buch Gott
ist nicht pragmatisch
"Leben mit Vision" - eine kritische
Prüfung
Rezension 2 - zusammengestellt von Hans-Werner
Deppe
Das erfolgreiche Buch "Leben mit Vision" (im Folgenden
LMV abgekürzt, engl. Originaltitel "Purpose Driven Live")
von Rick Warren übt derzeit einen großen Einfluss in
evangelischen und evangelikalen Gemeinden aus und wird in groß
angelegten Programmen und Kampagnen eingesetzt. Aufgrund des großen
Einflusses soll es erlaubt sein, die geistliche Qualität
dieses Buches einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
LMV will die ganze Bandbreite des christlichen Lebens abhandeln
und ist behandelt daher ein sehr breites Themenspektrum. Zudem
packt der Autor oft sehr bedeutungsreiche Aussagen dicht hintereinander.
Aus diesen Gründen kann die hier folgende Prüfung nur
auf einige Grundrisse des Buches eingehen - eine vollständige
Besprechung und Beurteilung könnte sogar länger ausfallen
als das Buch selbst.
Zuerst gibt es Gutes über LMV zu sagen: Warren zitiert über
1000 Bibelverse und befürwortet gründliches systematisches
Bibelstudium: "Die Bibel ist dafür gedacht, versweise,
kapitelweise und bücherweise studiert zu werden" (S.
303). Gut ist auch, dass Warren der Bibel die höchste Autorität
zubilligt, "auch wenn Ihr Verstand oder Ihre Gefühle
dagegen sprechen" (S. 184). Leider werden diese Aussage durch
die Gesamtausrichtung des Buches nicht bestätigt, sondern,
wie wir sehen werden, entwertet.
LMV gliedert sich in fünf Teile, in denen jeweils eines
von fünf Hauptlebenszielen des Menschen (= die fünf
Hauptaufträge des Christen) behandelt wird. Damit werden
gleich zwei bedeutende Probleme aufgeworfen: 1.) Wird der Leser
als Mensch allgemein oder als Christ angesprochen? 2.) Sind mit
diesen fünf Bereichen wirklich alle wichtigen Aufträge
des Christen abgedeckt?
Das erste dieser Probleme ist das schwerwiegendste des Buches:
Das Buch soll auch oder gerade den Nicht-Christen ansprechen,
also evangelistisch sein, aber das enthaltene Evangelium ist verschwindend
dünn und das Christwerden ein unzureichendes Schnellverfahren.
Hier zeigt sich bereits, dass der Mangel des Buches vor allem
in dem besteht, was es nicht sagt. Bei seinem Anspruch, ein Allround-Buch
zu sein, das Menschen zu Christen macht und diese Christen dann
zur Reife führt, sind klaffende Lücken fatal.
Diese Lücken bestehen auch beim zweiten Problemfeld: Die
fünf genannten Lebensziele sind nicht vollständig, z.B.
werden wichtige biblischen Aufträge ignoriert wie "für
die überlieferte Glaubenslehre zu kämpfen" (Jud
1,3), trotz grassierender Irrlehren das klare Wort Gottes zu predigen
und gegen den Strom zu schwimmen (2Tim 3-4), sich von Irrlehre
abzusondern etc.
Das Buch ist konzipiert als eine 40-tägige Reise, d.h.
als eine Art Andachtsbuch für jeden Tag mit 40 Kapiteln.
Am Anfang des Buches soll der Leser zusammen mit einem Partner
einen "40-Tage-Vertrag" unterschreiben. Die Unterschrift
von Rick Warren als Vertragspartner ist bereits aufgedruckt. Von
der Bibel her betrachtet, hat ein solcher Vertrag keinen Nutzen,
sondern ist sogar sehr fragwürdig. Christen sollen sich keinen
geistlichen Verpflichtungen, Eiden, Bündnissen und Satzungen
unterwerfen (Mt 5,34; Kol 2,20). Das Volk Israel verpflichtete
sich im Alten Bund, die Gebote zu halten, und scheiterte kläglich.
Der Neue Bund, ist wie alle Gnadenbünde Gottes, einseitig
allein von Gott statuiert und kann von Menschen nicht gebrochen
werden. Was ist, wenn der Leser den Vertrag nicht einhält?
Pragmatistischer Ansatz
LMV präsentiert einen auf Erfahrung basierenden, pragmatistischen
Ansatz, der die Grundlage des ganzen Buches bildet. Gleich in
den ersten Zeilen schreibt Warren:
"Dies ist mehr als ein Buch; es ist ein Reiseführer
zu einer 40-tägigen geistlichen Reise, die Sie in die Lage
versetzen wird, die wichtigste Frage in Ihrem Leben zu beantworten:
'Wozu bin ich eigentlich auf dieser Erde?' Am Ende dieser Reise
werden Sie Gottes Ziel für Ihr Leben kennen. Sie werden einen
größeren Überblick haben und verstehen, wie die
verschiedenen Teile Ihres Lebens zusammenpassen. Diese neue Perspektive
wird Ihnen helfen, Stress zu verringern, leichter Entscheidungen
zu fällen, zufriedener zu leben, und sie wird Sie vor allem
auf die Ewigkeit vorbereiten." (S. 9) "Die nächsten
40 Tage können Ihr Leben verändern" (Original:
The next 40 days will transform your life." "Ich freue
mich auf die Dinge, die mit Ihnen passieren werden. Sie sind auch
mir passiert, und ich bin nicht mehr derselbe, seit ich Gottes
Ziele und Absichten für mein Leben entdeckt habe" (S.
11).
Man beachte
die überschwängliche Natur dieser Aussagen -
und dass sie nicht wahr sind. Es kann gut sein, dass der Leser
am Ende der "Reise" nicht sein Lebensziel kennt, nicht
transformiert worden ist und keine großartigen Dinge mit
ihm geschehen sind.
die humanistische Ausrichtung: Der Mensch und sein Nutzen
steht im Mittelpunkt (siehe auch die Widmung auf S. 5)
die pragmatische Grundhaltung: Es hat bei mir funktioniert,
und deshalb wird es auch bei dir funktionieren.
Am Ende dieses Artikel kommen wir noch einmal auf diesen Marketing-Pragmatismus
zurück.
Falscher Umgang mit der Bibel
LMV geht von Anfang an falsch mit der Bibel um. Z.B. ist schon
die Grundlage der 40 Tage falsch. Warren behauptet, wenn Gott
jemanden zu einem besonderen Zweck zubereiten wollte, habe er
dafür eine Zeit von 40 Tagen gewählt. Warren nennt dafür
folgende Beispiele:
- Noahs Leben wurde durch 40 Tage Regen verändert (Original:
"transformed").
- Mose wurde durch 40 Tage auf dem Berg Sinai verändert.
- Die Kundschafter Israels veränderten sich durch 40 Tage
im Verheißenen Land.
- David wurde durch die 40 Tage dauernde Herausforderung durch
Goliath verändert
- Elia bekam durch eine einzige Mahlzeit Kraft für 40 Tage
und wurde dadurch verändert.
- Die Bewohner der Stadt Nineve hatten 40 Tage Zeit zur Umkehr
und veränderten sich dadurch.
- Jesus wurde durch 40 Tage in der Wüste für seinen
Dienst bevollmächtigt.
- Die Jünger wurden durch die 40 Tage verändert, die
sie nach seiner Auferstehung mit Jesus verbrachten.
Die Aussagen dieser Auflistung sind schlichtweg falsch. Die
Sintflut war keine Rüstzeit für Noah, sondern Gottes
Gericht über die Welt. Mose empfing auf dem Berg Sinai keine
Lebensveränderung, sondern das Gesetz. Zwei der zwölf
Kundschafter waren bereits vor ihrer Reise gläubig und treu,
den andern zehn fehlte der Glaube und sie entmutigten das Volk.
David erfuhr von seiner Herausforderung erst, nachdem Goliath
das Volk bereits 40 Tage lang bedrängt hatte. In Ninive sollte
das Gericht nach 40 Tagen eintreffen, aber die Leute kehrten vorher
um. Elia wurde nicht durch die 40 Tage verändert, sondern
durch die Speise für die 40 Tage gestärkt; eine Lektion
von Gott lernte er erst nach den 40 Tagen. Der Herr Jesus war
bereits vor seinem Wüstenaufenthalt "bevollmächtigt"
- als Sohn Gottes allgemein und durch den bei der Taufe herabkommenden
Heiligen Geist für seinen Dienst insbesondere. Die Apostel
wurden erst zu Pfingsten (49 Tage nach der Auferstehung) grundlegend
verändert. Ihre 40 Tage mit dem Auferstandenen waren eine
heilsgeschichtlich absolut einzigartige Zeit.
Die Bibel sagt einfach nicht, dass Gott eine Zeit von 40 Tagen
veranschlagt hat, um jemanden zu einem bestimmten Zweck zuzubereiten.
Warren verwendet einfach ausgesuchte Bibelstellen, um seine eigenen
Gedanken zu belegen und den Leser von der Wichtigkeit des Buches
zu überzeugen. Auch seine Behauptung: "Immer wenn Gott
jemanden für eine Aufgabe vorbereiten wollte, nahm er sich
dafür 40 Tage Zeit" (S. 9) ist falsch. Paulus war drei
Jahre, Mose 40 Jahre in der Wüste, die Jünger verbrachten
drei Jahre mit dem Herrn etc.
Oft werden Verse aus dem Zusammenhang gerissen und vom Autor
zu seinen Zwecken instrumentalisiert. Z.B. benutzt Warren Matthäus
18,20 ("Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind
..."), um sein Kleingruppen-Modell zu rechtfertigen. Im Zusammenhang
von Mt. 18 geht es jedoch um die Gemeinde als Ganzes (und sei
sie am Ort noch so klein) und um Zuchtmaßnahmen dieser Ortsgemeinde,
um gegen Sünde anzugehen.
Kapitel 7 ist überschrieben mit Sprüche 16,4: "Alles
hat der Herr zu seinem Zweck gemacht." Das ist ein höchst
interessanter Vers, aber wie er weitergeht, ist nicht zitiert:
"... so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks."
Diese schwerwiegende und irreführende Auslassung ist auch
nicht durch eine Angabe von "16,4a" gekennzeichnet,
sondern der Leser gewinnt mit der Angabe "16,4" den
Eindruck, es handle sich um den vollständigen Vers.
Auf S. 163 warnt Warren vor Klatsch und Tratsch. "Wenn
Sie solchem Gerede zuhören, dann nennt Sie die Bibel einen
Verbrecher." Als Beleg zitiert Warren Sprüche 17,4 und
Judas 19. Doch um Klatsch und Tratsch geht es weder in Sprüche
17,4 (sondern um Lüge und bösartiges Reden) noch Judas
19 (sondern um Irrlehrer). Es stimmt, dass Klatsch und Tratsch
schlecht ist, aber dies kann nicht mit Sprüche 17,4 und Judas
19 gezeigt werden. Auch wenn hier richtige Aussagen getroffen
werden, werden sie mit einer falschen Bibelauslegung begründet
- und eine solche falsche Bibelauslegung bildet die Grundlage
für katastrophale Irrtümer an anderer Stelle.
Weitere Beispiele für den unzulässigen Umgang mit
Bibelversen werden weiter unten aufgezeigt.
Schwach in der Lehre
LMV vermittelt eine schwache Theologie auf Grundlage eines mangelhaften
Umgangs mit der Bibel. Viele Zitate stammen aus den freien Bibel-Übertragungen
"Hoffnung für alle" und "Gute Nachricht".
Warren schreibt im Anhang (S. 323), dass er durch seine Bibelversions-Wahl
das Verlorengehen bestimmter Bedeutungsnuancen vermeiden will,
doch durch weit vom Grundtext entfernte Übersetzungen entgehen
ihm gerade diese Nuancen - Widerspruch Eins. Außerdem wolle
er dadurch "Gottes Wort in neuen, frischen Worten" [in
der engl. Originalausgabe: "God's truth in a new, fresh way]
bringen. Widerspruch Zwei - denn mit "neuen, frischen"
Worten führt man zwangsläufig andere Nuancen ein als
im Grundtext beabsichtigt. (Im engl. Original werden noch wesentlich
mehr, freiere und sinnentstellendere Übertragungen verwendet
als in der deutschen Ausgabe, insbesondere die stark humanistisch
geprägte "Message"-Übertragung von Eugene
Peterson.)
Die Bibel ist das von Gott inspirierte Wort (Verbalinspiration)
und damit die objektive und autoritative Wahrheit. Das freie Übertragen
widerspricht der Verbalinspiration, da es nicht das inspirierte
Wort Gottes weitergibt, sondern das Verständnis der Autoren,
das falsch sein kann - und bei den verwendeten Version oft in
eine liberale, moderne und humanistische Richtung tendiert.
Das freie Übertragen widerspricht der Objektivität
der Bibel - weil ihr subjektiv empfundenes Verständnis widergegeben
wird; und es widerspricht der Autorität der Bibel
- weil sie von Menschenhand angetastet und angepasst wird.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Warrens Vorliebe für
freie Übertragungen kontraproduktiv ist, was das Verstehen
des Wortes Gottes anbelangt.
Oft werden Verse losgelöst vom Zusammenhang zitiert und
von Warren in einen neuen, seinen eigenen, Kontext platziert,
sodass sie einen anderen Sinn ergeben. Einige Beispiele:
Kapitel 2 ist überschrieben mit Jesaja 44,2 nach "Hoffnung
für alle": "Ich habe dich geschaffen, wie ein Kind
im Mutterleib. Von Anfang an habe ich dir geholfen!" Der
Zusammenhang des Verses zeigt aber klar, dass diese Worte an "Jakob,
mein Knecht, und Israel, den ich erwählt habe" (Vers
1, vgl. Vers 2b) gerichtet sind, also an das erwählte Volk
Gottes.
Warren will hier aber alle seine Leser und alle Menschen generell
ansprechen - und so zitiert er diesen Vers tatsächlich "auf
neue, frische Weise" - mit einem anderen Sinn, der nicht
dem von Gott beabsichtigten Sinn entspricht.
Denselben Fehler begeht Warren im gleichen Kapitel (S. 23) mit
dem Zitat von Eph 1,4-5, auf der gleichen Seite mit dem Zitat
von Jak 1,18 und auf den nächsten zwei Seiten mit Jesaja
46,3-4 und Römer 12,2.
Derselbe Fehler findet sich auch gleich in der Widmung des Buches
(S. 5), wo eine sehr entstellten Übertragung von Epheser
1,11 auf alle Leser angewendet wird.
Hier zeigt sich ein Hauptproblem des Buches: Es richtet sich
sowohl an Gläubige wie Ungläubige, unterscheidet aber
unzureichend zwischen beiden. Verheißungen an Gläubige
werden zitiert, als gelten sie allen Lesern. Ungläubige können
so getäuscht werden und meinen, sie seien bereits errettet,
obwohl sie das wahre Evangelium weder begriffen, geschweige denn
angenommen haben.
Eine gesunde Präsentation der grundlegenden biblischen Lehre
vom Evangelium (z.B. Römerbrief) wäre nötig, um
eine gemischte Leserschaft anzusprechen und klare Verhältnisse
zu schaffen. Eine solche systematische Abhandlung des Evangeliums
wird in dem Buch jedoch systematisch gemieden.
Unzureichendes Evangelium im Schnellverfahren
Stattdessen verzerrt LMV das Evangelium. Von einem Buch, dass
Nichtchristen in 40 schrittweisen Lektionen den Sinn des Lebens
erklären und sie somit zu Gott führen will, sollten
wir erwarten, dass in den ersten Lektionen der Leser mit Gott
konfrontiert, von Sünde überführt und zur Buße
aufgerufen wird und ihm Christus und sein Heilswerk vorgestellt
werden. Doch in typisch "kundenfreundlicher" pragmatischer
Manier werden unentbehrliche Evangeliums-Inhalte wie Gottes Heiligkeit,
Gerechtigkeit und Zorn, Buße, Verdorbenheit in Sünde,
Umkehr etc. ausgelassen. Anstatt den schrecklichen Zustand des
Sünders und seine ewige Verdammnis zu verdeutlichen, beschreibt
Warren die Alternative zum Glauben: "Alles andere ist nur
ein Existieren" (S. 57).
LMV übersieht zudem die Tatsache, dass auch ein Ungläubiger
ein Lebensziel verfolgt - Feindschaft gegen Gott. Es verkennt,
dass der Lebenssinn, das Wesen und die Natur des Ungläubigen
in Rebellion gegen Gott besteht, dass er sündig und völlig
verdorben ist. Das Buch verharmlost oder ignoriert Wahrheiten
wie das Problem der Sündigkeit vor einem heiligem Gott, die
absolute Notwendigkeit der Errettung sowie die Gerechtigkeit und
Heiligkeit Gottes.
Wenn LMV eine Einführung ins Christsein bieten soll, werden
etliche grundlegende Lehren ignoriert oder unvollständig
bzw. nicht von der Bibel her erklärt. Sogar bei der Darstellung
des Evangeliums fehlen:
- die Gottheit, Sündlosigkeit etc. Jesu
- Buße
- der Grund für Jesu Sterben am Kreuz
- die ewigen Konsequenzen der Sünde
Am Tag 1 wird der Leser vertröstet: Wenn Sie noch keine
solche Beziehung zu ihm [Jesus Christus] haben, werde ich später
erklären, wie Sie eine eingehen können. (S.20)
Das versucht Warren dann allein am Tag 7 abzuhandeln. Der einzige
wirkliche evangelistische Satz lautet dort: "Glauben Sie,
dass Gott Sie für eine Beziehung zu seinem Sohn Jesus Christus
geschaffen hat, der am Kreuz für Sie gestorben ist."
(S. 57). Noch eine kurze Erwähnung von "Jesus Christus
als Ihren Herrn und Erlöser" und ein kleiner Hinweis
auf Sündenvergebung - das wars. Das reicht für einen
Nichtchristen niemals aus, wenn es nicht näher erkärt
wird. Daraufhin wird der Leser einfach aufgefordert, "das
Gebet zu sprechen, das Ihre Ewigkeit verändern wird: 'Jesus,
ich glaube an dich und ich möchte, dass du Teil meines Lebens
wirst.'" (S. 57). Teil meines Lebens? Mehr nicht? Mein Arbeitskollege,
mein Hund und mein Auto sind auch "Teil meines Lebens".
Warren fährt fort: "Wenn Sie dieses Gebet ernsthaft
gesprochen haben, herzlichen Glückwunsch! Herzlich willkommen
in der Familie Gottes." (S. 57).
Auch seine spätere Definition, worin die "Gute Nachricht"
besteht (S. 290-291), dringt nicht tiefer ein. In diesem Abschnitt
zum Evangelisations-Auftrag wird nur eine allgemeine Liebe Gottes
betont, aber sein Zorn, das enorme Problem der Sünde, Buße
usw. ausgelassen. Das Evangelium gemäß der Bibel verdeutlich
zuerst, dass der Sünder unter Gottes Zorn steht (vgl. Röm
1,18ff), bevor es die Liebe Gottes verkündet. Ganz anders
das Evangelium gemäß Warren. Er zitiert sogar einen
Vers, indem eigentlich der Zorn Gottes über alle Ungläubigen
ausgedrückt wird, lässt dabei aber gerade diese Aussage
weg (Joh 3,36 wird auf S. 57 nur zur Hälfte zitiert.)
Grundlegende Lehren fehlen
Auch andere Lehren werden ähnlich oberflächlich abgefertigt.
Einheit und Mitgliedschaft in der Gemeinde werden herausgestellt,
doch Schlüsselverse wie Hebräer 10,25 fehlen und die
Notwendigkeit lehrmäßiger Reinheit wird komplett verschwiegen.
Versuchung wird thematisiert, aber die Schuld wird offenbar stets
auf Satan geschoben, während die Reaktion des Christen weitgehend
reduziert wird auf Warrens Ratschläge wie "Konzentrieren
Sie sich auf etwas anderes" (S. 206, Original: "Refocussing
your thoughts") oder sich einer "Selbsthilfegruppe"
anzuschließen (S. 210). Verstrickungen in Sünde werden
reduziert auf "einen Teufelskreis von guten Vorsätzen,
Versagen und Schuldgefühlen", und das Gegenmittel ist
nicht Buße, Glaube und das Kreuz, sondern "die Hilfe
anderer Menschen" (S. 209).
Themen wie die Heiligkeit Gottes, das Kreuz, das sündige
Fleisch, die Absolutheit biblischer Wahrheit, die Souveränität
Gottes, seine Gebote etc. werden weggelassen, um solchen Themen
Platz zu machen, die ein gutes Selbstwertgefühl vermitteln:
Liebe, Familie, geistlicher Erfolg, Einheit und persönliche
Erfüllung. Es verwundert nicht, dass Warren als drei von
vier Zwecken des Buches nennt: " Stress zu verringern, leichter
Entscheidungen zu fällen, zufriedener zu leben" (S.
9).
Im Gegensatz dazu betonten die Lehren Christi und der Apostel
den ganzen Ratschluss Gottes, und nicht nur dessen beliebtere
Bestandteile. Z.B. sprach Jesus mehr über die Hölle
als über den Himmel, forderte von seinen Nachfolgern Buße
(Mt 4,17; Lk 5,32) und radikale Trennung von Sünde (Mt 5,29-30;
18,8-9), und stellte heraus, dass wahre Jüngerschaft alles
kosten kann (Mt 10,32-39; Mk 8,34-38). Auch die Apostel betonten
die Buße (Mark 6,12; Apg 2,38; 20,21), die Wichtigkeit lehrmäßiger
Reinheit (Gal 1,6-10; Jak 3,17), lehrmäßigen Tiefgang
(Hebr 5,11-14) and völligen Gehorsam (1Jo 2,3; 3,24). Warren
streitet diese Dinge zwar nicht unbedingt ab, gibt ihnen aber
nicht den Stellenwert, den die Schrift ihnen beimisst - insbesondere,
wo es in dem Buch doch um den gesamten Sinn und Zweck des Lebens
gehen soll.
Fragwürdiges, unbiblisches Gottesbild
Durch etliche vereinfachte und pauschale Aussagen über
Gott vermittelt LMV ein fragwürdiges Gottesbild. Gleich auf
S. 5 wird in der Widmung wird behauptet: "Gott sehnt sich
danach, dass Sie das Leben entdecken, für das er sie erschaffen
hat." Diese Aussage bringt mehrere Probleme mit sich. Erstens
steht das nicht in der Bibel. Zweitens wird Gott eine tiefe, innige
Herzensregung (Sehnsucht) zugesprochen - aber woher will Warren
das wissen, wenn es so nicht in der Bibel steht? Drittens vermittelt
diese Aussage den Eindruck, es könne geschehen, dass Gottes
höchste Sehnsucht unerfüllt bleibt, weil Menschen ihn
aufgrund ihrer eigenen Entscheidung enttäuschen. Es vermittelt
den Eindruck eines schwachen Gottes, der in der Erfüllung
seiner Sehnsüchte auf uns Menschen angewiesen ist.
Im ganzen Buch finden sich Aussagen über Gottes Herz, seinen
Charakter usw., die so nicht in der Bibel stehen. Z.B. schreibt
Warren auf S. 62, "Gott liebt, ist vergnügt, genießt,
feiert und er lacht sogar" und führt dazu in der Endnote
eine Liste von 15 Bibelstellen an. Von diesen jedoch sprechen
die meisten von der Eifersucht oder dem Erbarmen Gottes - und
nur eine davon, dass Gott lacht (Ps 2,4) - im Zusammenhang gelesen
lacht er dort allerdings im Gericht über seine Feinde!
Oft macht Warren absolute Aussagen über das Herz Gottes,
als würde er ihn durch und durch persönlich kennen:
"Nichts auf der Welt liegt Gott mehr am Herzen als seine
Familie" (S. 158). Und er kennt offenbar auch den Musikgeschmack
Gottes; er mag "alle Musikstile" (S. 63). Dies sind
nur wenige Beispiele.
Anstatt die Gottheit und Vollkommenheit Jesu zu lehren, stellt
Warren ihn so dar, als habe er es als Option in Erwägung
gezogen, den Auftrag des Vaters nicht zu erfüllen: "Jesus
stand an einer Weggabelung. Würde er seinen Auftrag erfüllen
... oder zurückweichen ...? Sie haben dieselbe Wahl"
(S. 56). Warren behauptet auch, Jesu demütiger Dienst habe
auf seinem guten Selbstwertgefühl basiert und schreibt über
Jesu Dienst der Fußwaschung: "Jesus wusste, wer er
war, und so bedrohte diese Aufgabe sein Selbstbild nicht"
(S. 272).
Was die tatsächliche biblische Lehre über Gott betrifft,
hinterlässt LMV jedoch eine schlimme Lücke. Bei einem
Buch mit diesem Anspruch wäre es grundlegend wichtig, die
Eigenschaften Gottes ausgewogen und gründlich darzustellen
und die Person und Gottheit Jesu Christi zu präsentieren.
Solche elementaren Grundwahrheiten fehlen jedoch. LMV verkündet
nicht Gott, geoffenbart in Christus.
Humanistisches Selbstwert-Evangelium - Psychologietick 1
Die Aussage auf S. 17 trügt: "Es geht nicht um Sie.
Es geht in Ihrem Leben um weit mehr als um Selbsterfüllung,
persönliche Zufriedenheit und Glück." Der Großteil
des Buches dreht sich eben doch darum, wie der Leser zu einem
besseren, erfüllteren Leben mit mehr Glück und Zufriedenheit
finden kann. Es ist mehr ein Rezeptbuch zu einem besseren Leben
als ein Buch über Gott oder Jesus Christus.
Fast in jedem zweiten Satz wird der Leser angesprochen "Sie
sind ... Sie haben ... Sie sollen ... Sie ... Sie ... Sie".
Das wirkt beinahe wie ein psychologisch-therapeutischer Schmeichelei-Trick
- "ich fühl mich beim Lesen wohl, denn es geht um mich".
Wie soll der Leser da von sich weg schauen auf Gott hin? Ganz
klar geht es in diesem Buch doch um den Leser!
Und der Leser wird geehrt: "Sie machen [Gott] nur Freude,
wenn Sie Sie selbst sind. Jedes Mal, wenn Sie einen Teil von sich
ablehnen, dann stellen sie auch Gottes Schöpferweisheit in
Frage ..." (S. 72). Warren ignoriert den Sündenfall
und die Verdorbenheit des gefallenen Sünders. Sich als verdorbener
Sünder zu betrachten, ist aber unverzichtbar für die
Errettung aus Gnade. Doch Warren steigert sich richtig in seine
Selbstwertphilosophie hinein: "[Gott] liebt sie so sehr,
als wären Sie der einzige Mensch auf dieser Welt" (S.
73). Jesus habe jedem von uns am Kreuz verdeutlichen wollen: "Ich
sterbe lieber, als ohne dich zu leben!" (S. 76).
Da Warren nicht die Grundwahrheit der Stellung des Gläubigen
in Christus lehrt, da er ignoriert, dass wir nur in Christus Gott
wohlgefällig sein können, lehrt er letztlich ein eindeutiges
Selbstverwirklichungs-Evangelium: Parolen wie "Gott will,
dass Sie Sie selbst sind!" werden ständig wiederholt.
Aber Gottes höchstes Ziel ist nicht, dass jeder sich selbst
verwirklicht, sondern alles unter Christus als Haupt zusammenzufassen
(Eph 1,10).
"Das Fleisch nützt nichts" (Joh 6,63) lehrte der
Herr Jesus, aber Rick Warren fördert das Vertrauen auf das
eigene Fleisch: "Sie sind ein maßgefertigtes, einzigartiges,
originales Meisterwerk. Gott hat ... sorgfältig den DNS-Cocktail
gemixt, aus dem Sie erschaffen wurden" (S. 230-231). Dies
ist das Thema des ganzen 4. Teils "Geschaffen, um Gott zu
dienen." Der Christ jedoch dient Gott nicht durch sein Fleisch,
sondern "im Geist" (Röm 8,8f; Phil 3,3). Er ist
nicht geschaffen, sondern erlöst, um Gott zu dienen, nicht
mit "Fleischesgaben", sondern Geistesgaben.
Doch Warren preist die Qualitäten des natürlichen Menschen
nach der psychologisch-mythologischen Temperamentenlehre: "Petrus
war ein Sanguiniker, Paulus ein Choleriker. Jeremia war melancholisch
... Es gibt kein richtiges oder falsches Temperament für
den Dienst" (S. 234). Der Leser soll außerdem "Bücher
und Hilfsmittel" heranziehen, die ihm "helfen können,
Ihre Persönlichkeit zu verstehen" (S. 235). Die Schrift
lehrt, "wenn jemand in Christus ist ... ist das Alte vergangen"
(2Kor 5,17), aber Warren meint "wie buntes Glas reflektieren
unsere unterschiedlichen Persönlichkeitsstile Gottes Licht
..." (S. 235). Im darauffolgenden 32. Kapitel wird die Beschäftigung
mit sich selbst noch mehr forciert mit Überschriften wie
"Entdecken Sie Ihre Begabungen ... Berücksichtigen Sie
Ihr Herz und Ihre Persönlichkeit ... Nehmen Sie Ihr persönliches
Profil an und freuen Sie sich darüber ... Entwickeln Sie
Ihr Profil weiter" (S. 246-250). Die fatalen Auswirkungen
unserer sündigen Natur und unserer sündigen Wünsche,
Ziele und Taten werden jedoch ignoriert. Warren meint, wir sollten
unser "einzigartiges Profil feiern" (S. 248).
Auf S. 265 geht Warren sogar so weit zu behaupten, Jesus habe
nur "aus einem sicheren Selbstwertgefühl heraus"
die Füße der Jünger gewaschen: "Jesus wusste,
wer er war, und so bedrohte diese Aufgabe sein Selbstbild nicht."
Und für Gideon analysiert er, seine "Schwäche war
seine geringe Selbstachtung" (S. 272).
Auf menschliche Harmonie ausgerichtet - Psychologietick 2
Die Schwachpunkte des Buches bestehen nicht nur in einzelnen
Falschaussagen, sondern auch in der Gewichtung und Stellenwert
bestimmter Themen. So gibt Rick Warren dem Thema Gemeinschaft
und Beziehungen höchste Priorität. Der ganze 2. Teil
("Sie wurden als Teil von Gottes Familie erschaffen")
dreht sich auf 53 Seiten darum: "Gott sagt, dass Beziehungen
das Wichtigste in unserem Leben sind" (S. 122). Das ist sicher
ganz im Sinne eines toleranten, ökumenischen Christentums.
In der Bibel jedoch hat Treue zu Christus und seinem Wort die
Priorität vor Gemeinschaft mit Menschen. Verstehen Sie mich
nicht falsch: Gemeinschaft unter Christen ist sehr wichtig, aber
Treue zu Christus und seinem Wort in Form von Reinheit in Lehre
und Praxis ist noch wichtiger. Ja, Liebe ist das Allerwichtigste,
nämlich die Liebe zu Gott.
Beim Thema Gemeinschaft kommt auch Warrens Hang zur Psychologie
zum Tragen: z.B. empfiehlt er Gebet als "Ventil nach oben"
(S. 152), nennt Konzepte aus dem Psycho-Management ("Betonen
Sie die Versöhnung, nicht die Lösung", S. 156,
"Konzentrieren Sie sich auf die Gemeinsamkeiten, nicht auf
die Unterschiede", S. 159). In seiner Gemeinde wird ein Programm
eingesetzt ("Celebrate Recovery - Wiederherstellung feiern",
S. 210), das angeblich "auf den Seligpreisungen Jesu basiert",
aber eine Abwandlung des psychotherapeutischen 12-Schritte-Programms
ist. In "Tausenden von Gemeinden" wurden dadurch "über
5000 Menschen von allen möglichen Angewohnheiten, Verletzungen
und Abhängigkeiten befreit". Das fördert mehr den
Glauben an Konzepte als Buße und alleiniges Vertrauen auf
Jesus Christus.
Einheit hat für Warren höchste Priorität: "Um
der Einheit willen dürfen wir nicht zulassen, dass uns solche
Unterschiede trennen" (S. 159). Sein Einheitsstreben geht
sogar so weit, dass die Mitglieder von Warrens Saddleback-Gemeinde
"einen Vertrag unterzeichnen ... die Einheit der Gemeinschaft
zu schützen und zu fördern" (S. 165) Kritisches
Hinterfragen und Prüfen an der Bibel ist so also kaum möglich.
Jegliches Kritisieren lehnt Warren tatsächlich radikal ab
(S. 161f) - und leugnet damit unzählige biblische Aufforderungen,
das Christen sich gegenseitig ermahnen (Röm 15,14; Kol 3,16;
1Tim 4,13 etc.) und bei schweren Fehlern auch streng zurechtzuweisen
sollen (1Thes 5,14; 1Thes 3,15; Tit 1,13 etc.). Warren hingegen
schreibt:Wann immer ich einen anderen Christen verurteile,
geschehen umgehend vier Dinge: Ich verliere meine Gemeinschaft
mit Gott, ich lege meinen Stolz
offen, ich setze mich dem
Gericht Gottes aus und ich beeinträchtige die Gemeinschaft
in der Gemeinde. Eine kritische Haltung ist eine teure Angelegenheit.
(S.162) Solche Behauptungen finden sich nicht in der Bibel, sondern
widersprechen ihr. Als Buch, das unsere Aufträge als Christen
auflisten will, hat LMV hier nicht nur eine Lücke, sondern
behauptet das Gegenteil!
Die Reformation hätte es nie gegeben, wenn Luther sich an
Warrens Ratschläge gehalten hätte, nie zu kritisieren,
der Einheit höchste Priorität zu geben und stets der
Kirchenleitung unkritisch zu folgen. Auch wären Tausende
prostestantischer Märtyrer vor dem Tod bewahrt worden, wären
sie Warrens Einheits-Philosophie gefolgt.
Insgesamt ist LMV ökumenisch-unanstößig. Das
Buch wird in verschiedensten Denominationen genutzt und anerkannt.
Erfahrungen zeigen: Ein guter Katholik wird völlig einverstanden
sein mit dem Buch und keineswegs dadurch erkennen, dass er bisher
etwas falsches geglaubt hat. Gleiches gilt für Siebenten-Tags-Adventisten,
Neuapostolische etc.
Seinen ökumenischen Inklusivismus verdeutlich Warren auch
durch die große Bandbreite von Autoren, die er im positiven
Sinne zitiert, z.B.:
- den New-Age-Lehrer Bernie Siegel, der Heilung durch okkulte
Visualisierung lehrt (S. 31),
- den Transzendentalisten Henry David Thoreau (S. 32)
- den antichristlichen Autor George Bernard Shaw (34).
- den katholischen Mystiker Bruder Laurentius (S. 86).
- Mutter Teresa auf S. 123
- die Mystikerin Madame Guyon auf S. 190
- Aldous Huxley, den alkoholsüchtigen Gründer der Human-Potential-Bewegung
- den katholischen Priester und Mystiker Henri Nouwen (S. 266)
- Albert Schweitzer, der die Gottheit Jesu bekämpfte (S.
267)
- William James, den Vater der amerikanischen Psychologie (S.
280)
Irrige Auffassung von Gebet
Für Warren ist das Gebet ein "Ventil nach oben"
(S. 152). Er empfiehlt eine Mantra-artige katholisch-mystische
Gebetsform: "Gebete, die sich am Atemrhythmus orientieren.
Diese Praxis war bei Christen vergangener Jahrhunderte weit verbreitet.
Man wählt einen kurzen Satz, der innerhalb eines Atemzuges
wiederholt werden kann ..." (S. 86) Außerdem empfiehlt
er die Ratschläge des katholischen Mystikers Bruder Laurentius
(S. 86) und der Benediktiner-Mönche (S. 87) und verheißt:
"Manchmal werden Sie dann Gottes Gegenwart fühlen, manchmal
aber auch nicht."
Warren propagiert auch verschiedene "Frömmigkeitsstile".
Man solle sich "Anbetungsstile" aussuchen, die "zu
Ihrer Persönlichkeit passen", darunter "von der
Natur inspiriert werden", "Liturgien, Symbole und feste
Strukturen" [Original: "rituals, liturgies, symbols"].
Auch "das Böse bekämpfen" und "sich anderen
Menschen zuwenden" und "den Verstand zum Studium gebrauchen"
sind seiner Meinung nach "Anbetungsstile", die nicht
zu allen passen, aber je nach persönlicher Vorliebe gewählt
werden können. In der Bibel jedoch sind das Pflichten aller
Christen.
Die Lehre der Transformation
In der engl. Originalausgabe ist der Ausdruck "transform"
(transformieren, verändern) ein Schlüsselbegriff. Der
Leser soll durch das 40-Tage-Programm verändert, transformiert
werden. Auch wenn dieses engl. Wort stärker ist als das in
der deutschen Ausgabe verwendete "verändern", erweckt
dieser Schlüsselbegriff des Buches den Eindruck einer mystischen
Veränderung des Menschen, die die Bibel nicht kennt und die
in ihrem Wesen sogar heidnisch ist. Der Sünder kann in seinem
Wesen nicht verändert, verbessert oder veredelt werden. Nur
die radikale Botschaft des Kreuzes, die Botschaft von Tod und
Auferstehung, kann ihn "ganz neu" (2Kor 5) machen. Denkwürdigerweise
fehlt diese biblische Lehre der Neugeburt in LMV. Stattdessen
zielt das Buch auf einen allmählichen Veränderungsprozess
ab, der nicht in Christus und seinem Heil gegründet ist.
Der ganze dritte Teil des Buches dreht sich auf 52 Seiten unter
der Überschrift "Sie wurden erschaffen, um Christus
ähnlich zu werden" um das Thema Veränderung und
geistliches Wachstum. Tatsächlich finden sich hier gute und
richtige Aussagen, auch wenn es in der Überschrift richtiger
heißen müsste: "Der Christ wurde erlöst,
um einmal Christus ähnlich zu werden." Lobenswert ist,
dass Warren in einem Kapitel verdeutlicht, dass geistliches Wachstum
durch das Wort Gottes kommt.
Doch werden in diesem Teil auch mindestens zwei schwerwiegende
lehrmäßige Irrtümer verbreitet:
Erstens wird geistliches Wachstum auf ein grundsätzliches
anderes Fundament gestellt als die Errettung, nämlich auf
das der eigenen Werke: "Ihre eigenen Anstrengungen bewirken
nichts bei Ihrer Errettung, aber sehr viel bei Ihrem geistlichen
Wachstum" (S. 173). Warren behauptet, "Gott wartet darauf,
dass Sie den ersten Schritt tun" (S. 172), und verheißt
lediglich, "dass der Heilige Geist Ihnen bei diesen Veränderungen
helfen wird" (S. 178). Unter der Überschrift "Gottes
Beitrag und Ihr Beitrag" lehrt Warren, "Geistliches
Wachstum entsteht aus der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem
Heiligen Geist" (S. 178).
Dieses Werke-orientierte Denken ist aber schwerwiegend falsch.
Die Galater mussten ermahnt werden, dass nicht nur das Heil, sondern
auch die Heiligung ganz aus Gnade und ganz aus Glauben ist.
Zweitens versteht Warren geistliches Wachstum als einen inneren
Veredelungsprozess: "Wir werden von innen heraus verändert,
werden noch schöner und können uns in neue Höhen
erheben" (S. 173). Warren behauptet, Gott sei "an der
Entwicklung Ihres Charakters weit mehr interessiert ist als an
etwas anderem" (S. 175). Er sei bestrebt, "in Ihnen
einen Charakter zu entwickeln, der dem Wesen Christi entspricht"
(S. 171).
Geistliches Wachstum bezieht sich in der Bibel jedoch nie auf
eine Charakterveränderung, sondern hat stets mit "Wachstum
in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi" (2Petr 3,18; vgl.
Eph 4,11-16; Kol 1,6.10; 1Petr 2,2, Joh 3,30) zu tun, und zwar
allein durch das Wort Gottes. Das Wort Gottes verändert aber
nicht den Charakter, sondern stärkt den von Gott geschenkten
Glauben, der auch als "neues Herz" bezeichnet wird und
das Denken und Handeln des Christen bestimmt. Der Charakter des
Sünders ist und bleibt unverbesserlich verdorben. Die Auffassung,
der Charakter könne verbessert werden, stammt vielmehr aus
Mystik und Humanismus.
Warrens Marketing-Methode
Angesichts Rick Warrens Hintergrund der "besucherfreundlichen",
pragmatistischen Gemeindewachstums-Bewegung verwundert es nicht,
dass auch LMV genau die Marketing-Methode dieser Bewegung widerspiegelt.
Z.B. werden als Qualitäten des Buches ja nicht akkurate Bibelauslegung
oder Darlegung biblischer Wahrheit angepriesen, sondern kundenorientierte
Versprechungen gemacht wie das "Leben zu verändern",
zu erkennen "wie die verschiedenen Teile Ihres Lebens zusammenpassen"
und "zufriedener zu leben" (S. 9).
Auf der Rückseite stimmen einflussreiche Evangelikale in
diesen Lobgesang ein: "Leben mit Vision wird Sie zu persönlicher
Größe führen" (Billy Graham), "... ein
wertvolles Geschenk für jeden, der das Ziel seines Lebens
kennen und seine Berufung erfüllen möchte. Auf dieses
Buch haben wir gewartet!" (Bruce Wilkinson), "Wenn Sie
nur ein einziges Buch über den Sinn des Lebens lesen wollen,
dann sollten sie dieses lesen!" (Lee Strobel, Willow Creek).
Die Marketing-Strategie ist nur zu offenbar: Kaufen Sie dieses
Buch - und Sie werden glücklicher sein. Entdecken Sie die
Vorteile des Lebens als Christ! Das sind dick aufgetragene Werbesprüche,
die im krassen Widerspruch zur Kreuz-Aufnehmen-"Strategie"
Christi und seiner Apostel stehen.
Hinter dem 40-Tage-Konzept steht eine riesige Marketing-Kampagne.
Im Herbst 2004 nehmen nach Angaben der Purpose-Driven-Organisation
weltweit mehr als 10'000 Gemeinden an der Kampagne 40 Tage
Leben mit Vision teil. Der englische Originaltitel
"Purpose Driven" ist sogar ein rechtlich geschütztes,
eingetragenes Markenzeichen. Außer einer ganzen Reihe auch
auf Deutsch erhältlicher Bücher "LMV - Gebetstagebuch",
"Jugendarbeit mit Vision", "Praktische Schritte
zu einer Kirche mit Vision" und dementsprechenden Hörbüchern
und CDs ("Leben mit Vision Playback - eine musikalische Reise
zum Sinn des Lebens") werden (zumindest in den USA) bis hin
zu Kaffeetassen, T-Shirts usw. allerhand Utensilien rund um dieses
Produkt angeboten.
In Deutschland werden nach amerikanischem Modell 40-Tage-Kampagnen
für ganze Gemeinden angeboten - und hohe Teilnahmegebühren
dafür verlangt. Erfolgsgarantie natürlich inbegriffen,
zumindest in Zahlen ausgedrückt.
Erfolg wird bei "Purpose Driven" meist in Zahlen gemessen
- Mitgliedszahlen, Verkaufszahlen, Zahlen erreichter und beeinflusster
Menschen. Auf der offiziellen Webseite www.purposedriven.com werden
sogar Karrieremöglichkeiten in den Bereichen Kundendienst,
Finanzen, Marketing und Medien angeboten. Echter geistlicher "Erfolg"
lässt sich aber nicht an zählbaren Faktoren messen.
Diese Rezension wurde von Hans-Werner Deppe erstellt mithilfe
mehrerer englischer Rezensionen. Eine Liste der verwendeten Artikel
findet sich unter
http://www.erwm.com/Church%20Growth%20Movement.htm
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