Argumente gegen den Dispensationalismus

 

Das einfachste und naheliegendste Argument gegen den Dispensationalismus lautet: Er steht nicht in der Bibel. Auf ihn trifft nicht zu, „es steht geschrieben ...“ Damit meine ich nicht, dass dieses Fremdwort nicht in der Bibel vorkommt, sondern die speziellen Lehren des Dispensationalismus wie z.B. die Vorentrückungslehre sind nicht direkt der Schrift zu entnehmen. Es sind konstruierte Lehren. Wenn man nicht über das hinaus denkt, was geschrieben steht, wird man den Dispensationalismus nicht bestätigt finden.

 

Übrigens ist die Schriftstelle, die besagt, dass wir nicht über das hinaus denken sollen, was geschrieben steht, sehr wichtig für den Umgang mit diesem Thema, das leicht zu Streit und Rechthaberei führen kann. Denn das Über-die-Schrift-Hinaus-Denken führt nach 1. Korinther 4,6 dazu, dass man sich „gegeneinander aufbläht“, also in Hochmut und Rechthaberei verfällt. In dem, was geschrieben steht, können wir uns in Demut einig sein. In dem, was darüber hinaus geht, brauchen wir uns nicht einig sein. Man kann für sich selbst unterschiedliche Ansichten haben, aber nicht von anderen erwarten, die eigenen Ansichten würden auch verbindlich für andere Christen gelten. Wenn man jedoch Ansichten vertritt, die dem widersprechen, was geschrieben steht, sollte man bereit sein, seine Sicht zu revidieren. So werde ich im Folgenden kurz aufzeigen, welche Lehren des Dispensationalismus nicht in der Bibel gelehrt werden oder sogar der Bibel widersprechen.

 

 

1. Der Dispensationalismus lehrt, dass die Bibel und die Heilsgeschichte in mehrere Heilszeitalter (Haushaltungen oder Dispensationen) aufzuteilen sind. Zwischen den einzelnen Heilszeitaltern bestehe eine unüberbrückbare Diskontinuität.

Antwort: Das Beachten der heilsgeschichtlichen Epoche ist bei der Bibelauslegung fraglos wichtig und daher als hermeneutisches Hilfsmittel richtig. Die Schrift selbst lehrt die dispensationalistische Einteilung in Haushaltungen jedoch nicht und deshalb darf dieses Einteilen nicht zu einer Maxime werden, die unser Schriftverständnis bestimmt und überfremdet. Die Betonung von Diskontinuität lehrt die Schrift ebenfalls nicht, dazu werden wir unten am Beispiel des Verhältnisses zwischen Israel und Gemeinde noch näher eingehen. Außerdem wird die Einheit der Schrift durch dieses Fragmentieren untergraben. Dieses „Zerschneiden“ der Schrift mit 2Tim 2,15 zu begründen, beruht auf einer falschen Auslegung („Hineinlegung“) dieser Schriftstelle. Die Schrift ist eine Einheit, weil es nur einen Heilsweg und einen Heiland gibt, der bereits auf den ersten Seiten der Bibel angekündigt und dessen vollendeter Triumph auf ihren letzten Seiten beschrieben wird.

Das dispensationalistische Zerteilen der Schrift führt auch dazu, dass das im NT in Christus vollkommen offenbarte Heil nur als eine von mehreren Phasen der Heilsgeschichte angesehen wird, anstatt als ihr erfüllender Gipfel und Endpunkt. So meinen Dispensationalisten z.B., künftig werde wieder ein Rangunterschied zwischen Gläubigen aus den Juden und aus den Heiden bestehen, entgegen der biblischen Lehre, dass in Christus „nicht Jude noch Grieche“ ist und alle Gläubigen durch Christus „Abrahams Nachkommenschaft“ sind (Gal 3,28-29). So dominiert das dispensationalistische Prinzip der Diskontinuität beim Verstehen der Schrift über das biblische Prinzip der fortschreitenden, aufeinander aufbauenden Heilsoffenbarung.

 

 

2. Der Dispensationalismus lehrt, Jesus habe Israel das davidisch-messianische Königreich angeboten, doch entgegen Gottes Absicht hätten die Israeliten es abgelehnt. Daher sei die Wiederherstellung des davidischen Königreichs aufgeschoben worden bis zur Wiederkunft Jesu.

Der bekannte Dispensationalist J. D. Pentecost schreibt das Scheitern dieser angeblichen Absicht Gottes dem Satan zu: „Mit allen erdenklichen natürlichen und übernatürlichen Mitteln führte der Satan seine unnachgiebige Kriegführung aus, um Christus daran zu hindern, auf seinem ihm zugewiesenen Thron in dem Königreich, das aufzurichten er gekommen war, zu gelangen“ („Thy Kingdom Come“, S. 203). Demzufolge hätte Satan sein Ziel erreicht. Doch Jesu Worten zufolge war es vielmehr Satans Ansinnen, den Herrn von seinem entschiedenen Weg zum Kreuz abzuhalten (Mt 16,21-23). Jesus „musste“ „vieles leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden“ (Mt 16,21). Dies war von Anfang an Gottes Plan und entsprach den alttestamentlichen Prophezeiungen: „So steht geschrieben und so musste der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen“ (Lk 24,26-27.46). Seine Auferstehung und Himmelfahrt werden dann in der Apostelgeschichte eng mit dem verheißenen Davids-Thron und -Reich verknüpft (Apg 2,29-34; 13,34-36). Dies stimmt auch mit der Prophetie Daniels über die Himmelfahrt Christi überein (Dan 7,13-14). Auch was den Tempel betrifft, dürfen wir wissen, dass er in dem auferstandenen Christus bereits wieder aufgebaut ist (Joh 2,19).

Nach Apostelgeschichte 15,16 hat sich die „Wiederaufrichtung der Hütte Davids“ durch das Evangelium erfüllt. Diese Wiederaufrichtung ist nämlich die Voraussetzung für die Heidenmission (Apg 15,17; Amos 9,11-12), worauf Jakobus hier hinweist. Jesus kam nicht, um ein irdisches Reich anzubieten, sondern „um zu sein Leben zu geben“ (Mk 10,45) und sich nach seiner Auferstehung als Erstling einer neuen Schöpfung auf den Thron zur Rechten Gottes zu setzen.  Dispensationalisten sagen, Jesus sei zwar auch jetzt König, herrsche aber nicht: „Obwohl Christus auch heute König ist, herrscht er nicht als König“ (Ryrie: Die „Bibel verstehen“, S. 296). Doch der Schrift nach „muss er herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat“ (1Kor 15,25; vgl. Ps 110,1) Dies bezieht sich eindeutig auf die Jetztzeit (Hebr 10,12-13). Es wäre auch seltsam, wenn der Herr auf einem Thron sitzt (wie die Schrift vielfach bezeugt), ein himmlisches Reich hat (Kol 1,13) und König genannt wird (Apg 17,7; 1Tim 1,17; 6,15), ohne tatsächlich zu herrschen. Das messianische Reich ist in verborgener Weise jetzt und wird in allumfassender Weise mit der Wiederkunft des Herrn und der neuen Schöpfung kommen.

 

 

3. Der Dispensationalismus lehrt, dass das nationale Volk Israel als Gesamtheit auch heute noch Gottes auserwähltes Volk sei.

Antwort: Zum auserwählten Volk Gottes gehören nur Gläubige, die an den Herrn Jesus Christus glauben; denn die Auserwählung Gottes führt immer zum ewigen Heil (Röm 8,29-30). Dieses Volk der wiedergeborenen Christen, das aus gläubigen Juden und Heiden besteht, ist ein „auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum“ (1Petr 2,9; vgl. 2Mo 19,6; 5Mo 7,6). Diejenigen Juden, die nicht an Jesus glauben, sind „nicht mein Volk“ (Hos 1,9; Röm 9,25; Mt 21,43). Nur wenn sie zum Glauben an Jesus kommen, werden sie wieder ins Volk Gottes aufgenommen (Hos 2,25; Röm 9,25; 11,23). Diese gläubigen Juden sind die „Auswahl“ und „Geliebte um der Väter willen“ (Röm 11,28). Das jüdische Volk hat zwar bestimmte geistliche Vorrechte (Röm 9,1-5), aber die natürliche Zugehörigkeit zu diesem Volk bedeutet nicht Auserwählung oder Errettung, denn diese ist „nicht aus Geblüt“ (Joh 1,12), sondern aus Gott (Joh 1,13; Röm 9,11-24).

 

 

4. Der Dispensationalismus lehrt, er selbst sei der Schlüssel zum einzig richtigen Bibelverständnis

Dispensationalisten sehen ihr System als Schlüssel zur Schrift an. Der führende Dispensationalist Dwight L. Pentecost schreibt in seinem Werk „Bibel und Zukunft“: „Die Schrift bleibt unverständlich, solange man nicht eindeutig zwischen Gottes Heilsplan für Sein irdisches Volk Israel und dem für die Gemeinde unterscheidet“ (S. 543).

Wenn jemand behauptet, eine spezielle Lehre sei der einzig wahre Schlüssel zur Schrift, müssen wir sehr skeptisch sein. Der einzige „Schlüssel zum richtigen Schriftverständnis“ ist der Herr Jesus Christus (vgl. Lk 24,45ff). Die biblische Lehre lässt sich nicht auf eine minimale Formel reduzieren, sondern es muss „der ganze Ratschluss Gottes verkündigt“ werden (Apg 20,27). Es gibt keinen Geheimcode in der Schrift, den man mit einem Schlüssel dechiffrieren kann.

Was obiges Zitat von Pentecost betrifft, werden wir weiter unten sehen, dass die Schrift keine zwei verschiedenen Heilspläne für verschiedene Völker Gottes lehrt. Auch wenn es richtig ist, zwischen dem alttestamentlichen Israel und der neutestamentlichen Gemeinde zu unterscheiden, so darf man aus dieser heilsgeschichtlichen Unterscheidung keine heilsmäßige Trennung machen (siehe Punkt 6).

 

 

5. Der Dispensationalismus lehrt, dass die Zeit zwischen Pfingsten und Entrückung ein „Einschub“ oder eine „Einschaltung“ in der Heilsgeschichte Gottes sei.

Die meisten Dispensationalisten bezeichnen diese Zeitspanne als „Haushaltung der Gnade“ oder „Zeitalter der Gemeinde“ oder ähnlich. Darby meinte, dieser Einschub sei gar keine Haushaltung, sondern eine Art Pause in Gottes Plan, während der die „prophetische Uhr“ stillstände. Dispensationalisten meinen, die  Gemeinde – die Gesamtheit der Gläubigen zwischen Pfingsten und Entrückung – sei im Alten Testament nicht erwähnt und ein „Geheimnis“, das erst im NT offenbart werde. Seinen eigentlichen Heilsplan – den Heilsplan mit dem Volk Israel – nehme Gott erst nach der Entrückung wieder auf (siehe Punkt 7).

Diese Sichtweise erscheint schon von daher fragwürdig, dass das jetzige Zeitalter als eine Art Lückenfüller gesehen wird und es demzufolge in der Bibel und in Gottes Heilsplan hauptsächlich um das nationale Volk Israel gehe. Aber hat Gottes Heil nicht gerade in der Jetztzeit seine größte Entfaltung gefunden, da das Evangelium bis an die Enden der Erde ausgebreitet wird? Ist nicht „über uns das Ende (oder Ziel) der Zeitalter gekommen“ (1Kor 10,11)? Die Schrift lehrt weder, dass zu Pfingsten ein abrupter Bruch zwischen zwei Heilszeitaltern aufgetreten sei, noch dass wir jetzt in einer „Einschaltung“ leben. Im Gegenteil finden wir neben dem, was zu Pfingsten neu eingeführt wurde (das Kommen des Heiligen Geistes) deutliche Kontinuitäten zwischen vorher und nachher (siehe Punkt 6).

Das „Geheimnis“, das im NT offenbart wird, ist keineswegs die angebliche Einschaltung eines zuvor verborgenen Zeitalters. Vielmehr besagt dieses Geheimnis, dass außer Israel auch die Nationen an Gottes Heil teilhaben und in gewisser Weise als „Mitbürger“ und Miterben“ zu Israel dazugehören sollen (Eph 3,3-6; 2,19) und dass Israel zum Teil verstockt wurde, eben damit auch die Heiden in Genuss des Heils kommen können (Röm 11,25). Eben weil dies ein Geheimnis war, müssen wir bei manchen alttestamentlichen Prophezeiungen, die augenscheinlich nur das Volk Israel betreffen, erwägen, ob diesem Geheimnis zufolge auch die Gläubigen aus den Nationen darin eingeschlossen sind.

Es ist eine unwahre dispensationalistische Behauptung, dass die Propheten des AT nichts über diese Heilszeit zu sagen gehabt hätten. Laut einer nach-pfingstlichen Aussage von Petrus ist das Gegenteil der Fall: „Alle Propheten, von Samuel an und der Reihe nach, so viele geredet haben, haben auch diese Tage verkündigt“ (Apg 3,24; vgl. 1Petr 1,10).

 

 

6. Der Dispensationalismus lehrt, dass Israel und die Gemeinde zwei völlig verschiedene Völker seien, zwischen denen keinerlei Kontinuität bestehe und die daher heilsgeschichtlich absolut getrennt sind, auch was ihre Heilszukunft betrifft.

Antwort: Die Schrift lehrt diese Diskontinuität nicht, sondern zeigt vielmehr eine Kontinuität. Eine deutliche Kontinuität zwischen Israel und den ersten Jüngern bzw. der Gemeinde wird gelehrt in den Evangelien, der Apg., in Röm 9-11, Eph 2-3 etc.  Jesus, die Apostel, die ersten Jünger und die erste Gemeinde waren ausnahmslos jüdisch. Paulus nennt diesen Keim der Gemeinde den Überrest Israels (Röm 11,1ff). Als in der Apostelgeschichte die ersten Heiden ins Volk Gottes aufgenommen wurden, geschah dies zuerst mit sehr großer Skepsis seitens der Gläubigen und sogar ihrer Führer (siehe Petrus in Apg 10).

Dispensationalisten behaupten, das NT würde Gläubige der Jetztzeit nie als „Israel“ bezeichnen. Doch dem entgegen deutet das NT viele israelitische Begriffe auf die Gemeinde bzw. sieht das wahre Israel jetzt in der Gemeinde (wobei es zwei Auffassungen gibt: a) die ganze jetzige Gemeinde bildet dieses wahre „Israel Gottes“, b) nur die jüdischstämmigen Gläubigen der Jetztzeit bilden das „Israel Gottes“)

Folgende Tabelle verdeutlicht die Kontinuität zwischen alttestamentlichem Israel und neutestamentlicher Gemeinde und zeigt, dass die Namen des alttestamentlichen Gottesvolkes auf das neutestamentliche übertragen wurden:

 

AT-Begriffe für / in Bezug auf Israel

AT-Stellen

Neutestamentliche Übertragung

Königliches Priestertum

2Mo 19,6

1Petr 2,5.9, Offb 1,6; 5,10

heilige Nation

2Mo 19,6

1Petr 2,9

Erwähltes (Eigentums-) Volk

5Mo 7,6; 10,15; 14,2; Jes 43,20.21

Eph 1,4; Kol 3,12; 2Thes 2,13; 1Petr 2,9

Braut Gottes

Jes 54,5-6; Jer 2,2; Hes 16,32; Hos 1,2

2Kor 11,2, Eph 5,31-32

Kinder Abrahams

2Chr 20,7; Ps 105,6; Jes 41,8

Röm 4,11.16; Gal 3,7.29; 4,23.28.31

erwähltes Volk

5Mo 7,7

Kol 3,12 u.v.a.

Israel

viele

Eph 2,12.19; Röm 2,28f; 9,6; 11,26; Hebr 8,8; Gal 6,16; vgl. 1Kor 10,18

Jerusalem (Mutterstadt Israels)

Ps 149,2; Jes 12,6; 49,18-22; 51,18 (vgl. Jes 54,1 mit Gal 4,26f); Kla 4,2

Gal 4,26; Hebr 12,22; Offb 21,2ff

Zion

 

Hebr 12,22

Juden

Esra 5,1; Jer 34,8.9; Sach 8,22.23

Röm 2,1ff; vgl. Offb 2,9

Beschneidung

1Mo 17,10.13; Ri 15,18

Apg 7,51; Röm 2,28-29; 4,11; Phil 3,3; Kol 2,11f

Erster („alter“) Bund mit Israel

 

neuer Bund mit „Israel und Juda“: Hebr 8,8

Verheißung  des neuen Bundes

für „Israel und Juda“: Jer 31; Hes 36

Erfüllung im NT: Lk 20,22; 1Kor 11,25; 2Kor 3,6; Hebr 8-10

Geliebte Gottes

2Mo 15,13; 5Mo 33,3; Esr 3,11

Röm 9,25; Eph 5,1; Kalo 3,12; 1Jo 3,1

Kinder Gottes

2Mo 4,22; 5Mo 4,1; Jes 1,2.4; 63,8; Jer 31,9; Hos 11,1

Joh 1,12; 11,52; Röm 8,14.16; 2Kor 6,18; Gal 3,26; Gal 4,5-7; Phil 2,15; 1Jo 3,1

Herde Gottes

Ps 78,52; 80,1; Jes 40,11; Jer 23,1-3; 31,10; Hes 34,12-16; Mi 5,4; Sach 10,3

Joh 10,14.16; Apg 20,28-29; Hebr 13,20; 1Petr 2,25; 5,2.3

Haus Gottes

4Mo 12,7

1Tim 3,15; Hebr 3,2-6; 10,21; 1Petr 4,17

Tempel

 

Joh 2,21; 1Kor 6,19; Offb 21,22

Volk Gottes

2Mo 6,7; 5Mo 27,9; 2Sam 7,23; Jer 11,4

Röm 9,25; 2Kor 6,16; Tit 2,14

Gottes Wein(berg)

Jes 5,3-7; Jer 12,10

Lk 20,16; Joh 15,1-5

Acker Gottes

Jer 12,10

1Kor 3,9

Reich Gottes

2Mo 19,6; 1Chr 17,14; 28,5

Röm 14,17; 1Kor 4,20; Kol 1,13; 4,11; Offb 1,6

Ölbaum

Jer 11,16; Hos 14,6

Röm 11,24

 

 

Neben dieser Kontinuität gibt es selbstverständlich auch Diskontinuitäten wie das vollbrachte Heil Christi, die Einsetzung des neuen Bundes, das Kommen des Heiligen Geistes und den Abschluss der biblischen Offenbarung. Der Fehler des Dispensationalismus besteht also nicht im Beobachten von Diskontinuität, sondern in der Verabsolutierung der Diskontinuität und dem Leugnen wichtiger Kontinuitäten.

Ein Schlüsselabschnitt für das Verständnis der Beziehung zwischen Israel und Heiden in der Gemeinde ist Römer 9-11. Das Bild vom Ölbaum (V. 17-26) zeigt, dass es nicht zwei Völker Gottes gibt, sondern ein einziges. „Natürliche Zweige“ wurden ausgebrochen (ungläubige Israeliten) und „wilde Zweige“ eingepfropft (gläubige Heiden). Auch Israeliten können durch Glauben an Jesus wieder eingepfropft werden. Die Natur des Baumes und seiner Wurzel ist „israelitisch“, die gläubigen Heiden sind aus reinem Erbarmen Gottes aufgenommen worden.  Von daher ist es nicht richtig zu sagen, die Gemeinde habe Israel ersetzt (wie manche Nicht-Dispensationalisten es behaupten), sondern richtig formuliert wäre: „Das wahre Israel ist durch das Heilswerk Christi in den neuen Bund eingetreten und wurde um gläubige Heiden erweitert.“

Auch Epheser 2,11 – 3,13 lehrt, dass die gläubigen Heiden jetzt nicht mehr „ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels“ sind (2,12), sondern sie sind „Mitbürger“ (2,19), „Miteinverleibte“, „Miterben“ und „Mitteilhaber der Verheißung“ (3,6) und bilden so zusammen mit den gläubigen Juden eine einzige Heilskörperschaft. Die Schrift lehrt keine zwei Heilskörperschaften. Die „Zwischenwand der Umzäunung“ (2,14) ist abgebrochen. Da sie am Kreuz abgebrochen wurde, wird sie auch in Zukunft nicht wieder aufgerichtet werden. Es gibt kein Zurück in die Zeit und Zustände vor dem Kreuz.

 

Trennung oder Unterscheidung?

Zweifellos ist es für ein richtiges heilsgeschichtliches Verständnis der Bibel wichtig, zwischen Israel und der neutestamentlichen Gemeinde zu unterscheiden. Dispensationalisten unterscheiden aber nicht nur zwischen Israel und der Gemeinde, sondern sie trennen Israel und die Gemeinde völlig voneinander, auch was das Heil betrifft (Originalton von Dispensationalisten: „Israel und die Gemeinde sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“). Und das ist falsch. Ein beispielhafter Vergleich: Sicher ist es wichtig und richtig, zwischen Mann und Frau und ihren unterschiedlichen Aufgaben in der Gemeinde zu unterscheiden. Das ist aber etwas anderes als eine völlige Trennung zwischen Mann und Frau, denn trotz zu unterscheidender Aufgaben etc. gilt, dass Mann und Frau in Christus eins sind und zusammengehören. Dieses Beispiel von Mann und Frau kann man zwar nicht hundertprozentig auf den Fall von Israel und Gemeinde übertragen, aber es verdeutlicht eines: unterscheiden ja, trennen nein. Ich hoffe, dass diese Klarstellung Missverständnisse vermeidet. Ich erhielt nämlich z.B. eine eMail von einem Dispensationalisten, der mich provozierend fragte, ob denn der Herr Jesus seine Jünger in Wirklichkeit „zur Gemeinde gesendet hätte“, als er sagte: „... geht (nur) zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt 10,6). So eine Unterstellung ist natürlich Unsinn und deshalb ist es wichtig zu betonen: Eine Ablehnung der dispensationalistischen Trennung zwischen Israel und Gemeinde bedeutet nicht, gar nicht mehr zwischen Israel und Gemeinde zu unterscheiden und überall, wo „Israel“ steht, nun wie mit einer Brille „neutestamentliche Gemeinde“ zu lesen.

 

Nun werden manche sagen: „An diese absolute Trennung oder Diskontinuität glaube ich zwar nicht, aber trotzdem glaube ich an die dispensationalistische Zukunftserwartung von Vorentrückung, Trübsalszeit, Wiederherstellung Israels und Tausendjährigen Reich mit Tempeldienst.“ Aber ist das nicht ein beliebiges Herauspicken und Auslesen von Einzellehren, wie es gerade spontan gefällt? Ich befürchte, dass ein solcher Glaube ein oberflächlicher, unsystematischer und inkonsequenter Mischmasch ist. Schließlich basieren all diese in einer solchen Haltung bejahten Zukunftslehren grundlegend auf der Trennung zwischen Israel und Gemeinde. Konsequent und systematisch zu Ende gedacht, muss man das ganze dispensationalistische Lehrprogramm entweder annehmen oder ablehnen, sonst verhakt man sich letztlich in Widersprüche. (Eine Ausnahme ist wohl die Erwartung eines irdischen Taus. Reiches, jedoch ohne Sonderstellung Israels; diese Ansicht harmoniert auch mit einem ansonsten nicht-dispensationalistischen Schriftverständnis).

 

 

7. Der Dispensationalismus lehrt eine künftige Wiederherstellung Israels und des jüdischen Systems samt Tempel- und Opferdienst

Antwort: Das Neue Testament lehrt keine künftige Wiederherstellung Israels. Auch von Dispensationalisten angeführte Einzelverse wie Mt 23,29; Röm 11,26; 2Kor 3,16; Apg 1,6 und 3,21 u.a. lehren nicht diese dispensationalistischen Auffassungen. Unter Pro-Disp-Argumente möchte ich auf diese Verse eingehen. Vielmehr lehrt das NT, dass jetzt „das Ende der Zeitalter“ gekommen ist (1Kor 10,11; vgl. Hebr 9,26; 1Petr 4,7). Wir leben in den „letzten Tagen“ (Apg 2,17; Jak 5,3; Hebr 1,2).

 

Was aber ist dann mit den alttestamentlichen Verheißungen? Genau diese Frage beantwortet Paulus in Römer 9-11, wo er zeigt dass „ganz Israel gerettet wird“ (11,26). Ich habe lange Zeit gedacht, in Römer 11,26 stünde „danach wird ganz Israel gerettet“. Das steht dort aber nicht, sondern dort steht „so – auf diese Weise – wird ganz Israel errettet“. Auf welche Weise? Wie Paulus es zuvor beschrieben hat: Ein Teil der Israeliten wurde „verstockt“ (V. 25), d.h. das Gericht wurde zeitlich aufgeschoben, sodass jetzt eine lange Zeit der Gnade ist, wo sowohl Juden wie Heiden zum Glauben an Jesus Christus kommen können und, bildhaft gesprochen, in den einen Ölbaum eingepfropft werden. Durch die Errettung der „Vollzahl“ der Juden (V. 12) und der „Vollzahl“ der Heiden (V. 25) wird „ganz Israel“ errettet. Dabei ist wichtig zu beachten, dass auch die „Vollzahl“ der Juden (V. 12) bereits in der Jetztzeit gebildet wird, siehe diese Verse 5.12-15.31.

Auch in der einzigen Stelle in der Bibel, wo von einem „tausendjährigen Reich“ die Rede ist, in Offb 20, steht nichts von einer Wiederherstellung Israels oder der Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen – und schon gar nicht von einem wiedereingeführten Tempel- und Opferdienst.

Auch Petrus, der „Apostel der Beschneidung“, hat zwar zwei Briefe mit Lehren über die Zukunftserwartung geschrieben, aber darin schreibt er nichts von einer Wiederherstellung Israels (siehe 2Petr 3).

Auch Matthäus 24-25, die bedeutendste prophetische Rede des Herrn Jesus, sagt nichts über eine Wiederherstellung Israels (der erste Teil von Kap. 24 spricht von der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr., siehe 24,2) oder einem tausendjährigen Reich. Im Gegenteil sagt der Herr, dass nach seiner Wiederkunft und seinem Gericht die einen „ins ewige Leben“ und die anderen „ins ewige Verderben eingehen“ (25,46).

Dem Hebräerbrief zufolge ist eine Wiedereinführung des schattenhaften Opfer- und Tempeldienstes unmöglich. Wenn man Hesekiel 40ff konsequent wortwörtlich versteht – wie Dispensationalisten es tun – müsste es wieder Sündopfer und eine aaronitische Priesterschaft geben. Die Tier-Sündopfer sind aber ein für allemal abgeschafft, und Christus ist Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks. Wie soll da wieder eine aaronitische Priesterschaft eingeführt werden, die der Hebräerbrief eindeutig als veraltet und überholt bezeichnet?

 

Dispensationalisten behaupten auch vielfach, der Herr Jesus habe die irdische Reichserwartung der Juden letztlich bestätigt. Nach meinem Verständnis von Jesu Dienst und Verkündigung hat er diese Erwartung jedoch korrigiert zu einem geistlich-neuschöpflichen Verständnis. Allein die Tatsache von Kreuz und Auferstehung machen dies deutlich, ferner Schriftstellen wie Mt 5,3.10.19.20; 11,11; 12,28; 13,11.19.24.31.33.43-47; 16,19; 18,3ff; 19,14; Joh 18,36 u.a.

 

Was aber ist mit dem im Alten Testament angekündigten Friedensreich?

Im Alten Testament wurde das messianische Reich angekündigt und bildete die Heilserwartung der Juden. Mit dem ersten Kommen Jesu in Niedrigkeit und seinem Erlösungswerk mit Kreuz und Auferstehung wurde deutlich, dass sich das messianische Reich in zwei Phasen aufteilt: in die jetzige Phase der verborgenen Gestalt dieses Reiches, und in die zweite Phase der Vollendung in Herrlichkeit, wenn Christus wiederkommt. Dann wird es neue Himmel und eine neue Erde geben. Auf der neuen Erde können viele alttestamentliche Prophezeiungen buchstäblich in Erfüllung gehen, z.B. dass der Löwe beim Lamm liegt usw. Dispensationalisten führen jedoch eine dritte Phase ein, das Zwischenreich des irdischen Milleniums („tausendjähriges Reich“; Offb 20 wird unter Pro-Disp-Argumente diskutiert).

 

Viele Prophezeiungen über die Rückkehr von Juden in ihr Land wurden bereits erfüllt in der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Manche gehen aber darüber hinaus: Z.B. die Prophezeiungen über die „Wiederaufrichtung der Hütte Davids“ (des davidischen Königtums) aus Amos 9,11ff wird in Apostelgeschichte 15,16 von Jakobus als erfüllt erklärt, nämlich in der Auferstehung und Himmelfahrt Christi, der sich zur Rechten Gottes auf den „Thron Davids“ gesetzt hat (Apg 2,34; vgl. Apg 13,34; Hebr 10,12-13 u.a.). Sein Reich ist nicht von dieser Welt, sondern von der künftigen. Dann, in der neuen Welt, werden die gläubigen Israeliten das ihnen verheißene ewige Heil erben – zusammen mit den gläubigen Heiden. Dort werden sie aus der jetzigen Zerstreuung als Fremdlinge in dieser Welt alle zu einer einzigen Herde versammelt sein und Gott und das Lamm wird in ihrer Mitte wohnen und regieren.

 

(Nachbemerkung: Es gibt jedoch eine Kompromisslösung: Der Glaube an ein buchstäbliches irdisches Tausendjähriges Reich, allerdings ohne Unterscheidung zwischen Gläubigen aus Israel und aus den Nationen. Diese Sichtweise nennt sich „historischer Prämillenialismus“ und kommt auch dem „progressiven Dispensationalismus“ nahe. Ich persönlich glaube dies zwar nicht, aber diese Auffassung steht nicht so sehr im Widerspruch zur Bibel wie der herkömmliche Dispensationalismus.)

 

Eine Wiedereinführung von Tieropfern ist dem NT zufolge unmöglich. Das NT lehrt eine solche Opfer-Wiedereinführung nicht. Ganz im Gegenteil, widerspricht das NT einer solchen Erwartung und warnt davor. Dem Hebräerbrief zufolge ist Christus „Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“, die Tieropfer gehören aber zur Ordnung Aarons.  Auch die in Hesekiel 40ff beschriebenen Opfer sind aaronitischer Art. Dort werden auch Sündopfer erwähnt (Hes 40,39; 42,13; 44,19ff etc ). Somit ist eine künftige konsequent-buchstäbliche Erfüllung ausgeschlossen, da Christi Sündopfer ein für allemal alle anderen Sündopfer überflüssig gemacht hat.  (Zum richtigen Verständnis von Hes 40ff beachte man die vielen Parallelen zu Offb 21-22)

 

Alter Bund

Neuer Bund

Veraltet (Hebr 8,13)

Besser (Hebr 7,22; 8,6)

Abbild, Schatten, Gegenbild (Hebr 8,5; 9,23-24; 10,1)

Die Erfüllung in Christus

Wiederholte Tieropfer und dementsprechender Gottesdienst

Christi einmaliges, vollkommenes Opfer und dementsprechender Gottesdienst, keine weiteren Opfer mehr

Hohepriestertum vieler nach der Ordnung Aarons, sündig (Hebr 6,19 – 7,27;

Hohepriestertum Christi nach der Ordnung Melchisedeks, sündlos (Hebr 7,26)

„Satzungen des Fleisches, auferlegt ... „(Hebr 9,10)

„... bis zur Zeit einer richtigen Ordnung““ (Hebr 9,10)

„das Erste“ hat Christus „weggenommen“ (Hebr 10,9)

„... um das Zweite aufzurichten“ (Hebr 10,9)

Alljährliches Erinnern an die Sünden (Hebr 10,3)

Kein Gedenken mehr an die Sünden (Hebr 10,17; Jer 31,43)

Der Weg ins Heiligtum war durch den Vorhang versperrt

Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum „durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch“ (Hebr 10,19; vgl. Mt 27,51)

Priesterschaft endete mit dem Tod (Hebr 7)

Ewige Priesterschaft

Versöhnung einmal jährlich (Hebr 7,25; 9,12.15; 10,1-4.12)

Eine ewige Versöhnung

 

 

 

8. Der Dispensationalismus lehrt eine künftige Trübsalszeit für Israel und dass die Gemeinde vorher entrückt werde

Die Lehre einer „Vorentrückung“ ist in der Schrift nicht zu finden. Diese Lehre stammt von John Nelson Darby, der sie Historikern zufolge wahrscheinlich aus zweifelhaften schwärmerischen Quellen übernommen hat. Die Lehre einer künftigen siebenjährigen Trübsalszeit für Israel beruht auf dem willkürlichen Einfügen eines langen Zeitraums zwischen der 69. und 70. Jahrwoche Daniels. Das gibt aber der Text von Daniel 9 nicht her, vielmehr sind 70 Jahrwochen 490 zusammenhängende Jahre – sonst entstünde ein beliebig längerer Zeitraum. Ein solcher Einschub wird in der Schrift aber nicht gelehrt (unter Pro-Disp-Argumente soll in Kürze näher auf Daniel 9 eingegangen werden).

Ein Studium des Wortes „Trübsal“ im NT zeigt, dass wir als Christen stets in der Trübsal leben. Zwar können noch Drangsale über diese Welt kommen, die zu dem gehören, was Johannes in Offenbarung 6-19 mit zum Teil sehr bildhafter Sprache beschrieben hat. Die Schrift sagt jedoch nicht, dass dies die Trübsalzeit Israels sei oder dass die Gemeinde vorher entrückt werde.

Dispensationalisten argumentieren, die Gemeinde sei schließlich nicht für den „Zorn“ bestimmt. Doch der „Zorn“ Gottes im NT meint zumeist das letztendliche Zorngericht in der Hölle. Vor dem Zorn, der im schrecklichen jüdischen Krieg von 66-73 n.Chr. über die ungläubigen Israeliten kam, sind die Christen zu jener Zeit bereits bewahrt worden (1Thes 1,10; 2,16; vgl. Mt 24).

Manche Dispensationalisten versuchen mit Offb. 3,10 zu begründen, dass die Gläubigen vor der Kulmination der endzeitlichen Drangsale entrückt würden. Dort steht jedoch, dass der Herr die Gemeinde von Philadelphia „vor der Stunde der Versuchung bewahrt“. Doch auch wenn diese Verheißung nicht nur dem damaligen Gläubigen in Philadelphia, sondern auch uns heute gilt, warum sollten sich diese Verheißung dann aber heute (oder künftig) in anderer Weise erfüllen als damals? Übrigens findet sich die gleiche Wortkonstruktion „bewahren vor“ (gr. tereso ek) in Johannes 17,15: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern das du sie bewahrst vor dem Bösen.“ Gott bewahrt die Seinen in der Welt nicht durch Hinwegnehmen, sondern durch Überwinden und Ausharren (oder auch durch geografische Trennung wie in Mt 24,16 und Offb 18,4).

 

 

9. Der Dispensationalismus lehrt, der neue Bund sei noch nicht in Kraft und gelte nur dem nationalen Israel im tausendjährigen Reich

Diese Auffassung variiert in den verschiedenen Schulen des Dispensationalismus; manche gestehen ein, dass der neue Bund auch uns gelte oder wir zumindest auf eine geheimnisvolle Weise daran teilhätten oder davon nutznießen. Tenor aller Dispensationalisten ist, dass sich der „neue Bund“ aus Jeremia 31 auf die Aufrichtung eines irdischen tausendjährigen Reiches für das nationale Israel beziehe. Für sich allein genommen, mag man dies tatsächlich aus Jeremia 31 schließen. Das neue Testament gibt jedoch eindeutig Aufschluss über den neuen Bund: Er wurde durch das vergossene Blut Jesu eingeweiht und ist die einzige Grundlage, um Sündenvergebung, Erlösung und einen himmlischen Fürsprecher zu haben. Schauen wir uns den neutestamentlichen Befund zum neuen Bund an:

In Lk 22,20 spricht der Herr vom neuen Bund, der durch sein vergossenes Blut geschlossen wird. Durch dieses vergossene Blut hat der Herr Jesus uns das Heil, das ewige himmlische Heil, erkauft. Wenn das nicht uns – Juden- und Heidenchristen der Jetztzeit - gelten würde, dann hätten wir offenbar gar kein Heil. Diese Aussage aus Lk 22,20 wird in 1Kor 11,25 von Paulus in einem Brief an eine vorwiegend heidenchristliche Gemeinde wiederholt und bestätigt. Wenn der neue Bund nicht uns gelten würde, bräuchten wir auch gar kein Abendmahl feiern.  

In 2Kor 3,6 bezeichnet Paulus sich, den Heidenapostel, als „Diener des neuen Bundes“. Wie könnte Paulus das sein, wenn der neue Bund nur dem ethnischen Israel im Hinblick auf das taus. Reich oder rein „irdische Segnungen“ gelte?

Laut Hebr 7,22 beruht Jesu Hohepriestertum für uns darauf, dass er „Bürge eines besseren Bundes geworden“ ist. Wenn der neue Bund also noch nicht in Kraft wäre, dann hätten wir nicht nur kein Heil, sondern auch keinen himmlischen Hohenpriester (Hebr 7,26)!

Die Verheißung des neuen Bundes aus Jer 31 wird in Hebr 8,8-12 mit dem längsten AT-Zitat im NT zitiert. Aus dem Zusammenhang (bes. V. 6.13) geht klar hervor, dass der neue Bund für die Jetztzeit gilt, dies ist die gesamte Aussageabsicht dieses Abschnitts.

Auch aus Hebr 9,15ff geht hervor, dass der neue Bund mit dem Tod Jesu am Kreuz in Kraft getreten ist und uns gilt: dieses Bundesblut hat unser Gewissen gereinigt (V. 14) und die zu diesem Bund Berufenen empfangen ein ewiges Erbe (V. 15).

In Hebr 10,16 wird nochmals der neue Bund aus Jer 31 zitiert und eindeutig auf die Jetztzeit gedeutet, denn das Bundes-Zitat wird angeführt als Beleg für unsere vollkommene Heiligung durch das Opfer Jesu (V. 14). Dann wird aus diesem Bundes-Zitat auf unsere jetzige Vergebung geschlossen (V. 18).

Laut Hebr 12,24 sind wir zu „Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes“ gekommen. Dies würde keinen Sinn machen, wenn er nicht auch für uns der Mittler dieses Bundes wäre. Man beachte auch den Zusammenhang, der Realitäten aus dem AT geistlich auf uns überträgt: himmlisches Jersusalem, Zion usw. (V. 12ff).

Dieser Befund bringt Dispensatioanlisten in ernste exegetische Schwierigkeiten. Deshalb sind die einzelnen Schulen des Dispensationalismus mittlerweile zum Teil von dieser Lehre abgerückt (insb. der „progressive Dispensationalismus“). Dies ist quasi ein Eingeständnis der exegetischen Unhaltbarkeit der klassisch-dispensationalistischen Sicht.

Jedoch haben sich manche, die am klassischen Dispensationalismus festhalten wollen, ein raffiniertes Argument ausgedacht: Der neue Bund gelte jetzt nur „nach dem Geist“, aber in der Zukunft, im tausendjährigen Reich Israels, „nach dem Buchstaben“. So erklären sie, dass Paulus ein „Diener des neuen Bundes“ war, aber eben „nicht des  Buchstabens, sondern des Geistes“ (alle Zitate aus 2Kor 3,6). Die Widerlegung dieses Argumentes findet sich jedoch noch im selben Vers: „Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“. Mit dem „Buchstaben“ ist hier das Gesetz des alten Bundes gemeint. Unmöglich kann mit dem „Buchstaben“ eine künftige Erfüllung des neuen Bundes gemeint sein, denn der „Dienst des Todes, mit Buchstaben geschrieben“ (2Kor 3,7) war genau das Gegenteil: der alte Bund, der in den von außen an den Menschen herangetragenen Gesetzen bestand, im  Gegensatz zum neuen Bund, der den Menschen innerlich erneuert und den Willen Gottes innerlich aufs Herz schreibt (Hebr 8,10; 10,16).

 

10. Der dispensationalistische Zukunftsplan mit Vorentrückung und Wiederherstellung Israels ist nicht nur nicht im Neuen Testament zu finden, sondern widerspricht auch klaren und wichtigen Schriftstellen über die Zukunft.

In 2. Petrus 3 wird ausführlich beschrieben, was wir als Christen zu „erwarten“ haben: Den „Tag des Herrn“, an dem Himmel und Elemente vergehen und „in Brand aufgelöst werden“ (2Petr 3,10-14): „... indem ihr die Ankunft des Tages Gottes erwartet und beschleunigt, um dessentwillen die Himmel in Feuer geraten und aufgelöst und die Elemente im Brand zerschmelzen werden! Wir erwarten aber nach seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde ... da ihr dies erwartet, befleißigt euch, unbefleckt und tadellos von ihm im Frieden gefunden zu werden.“

Nach 1. Korinther 15,23 findet die Auferstehung (und Entrückung) der Gläubigen bei Jesu „Ankunft“ statt, woraufhin das ewige Reich anbricht (V. 24). Die messianische Königsherrschaft findet nach V. 25 (vgl. Hebr 10,12-13) zuvor jetzt statt. Am Ende dieser Herrschaftszeit wird er alle seine Feinde unterwerfen und als letzten Feind auch den Tod abschaffen (V. 26). In 15,51-56 wird dieser Sieg über den Tod mit der Entrückung verbunden.

Nach 2. Thessalonicher 2,1-12 wird vor der Wiederkunft Jesu „und unserer Vereinigung mit ihm“ (V. 2) der „Abfall“ kommen und „der Mensch der Gesetzlosigkeit“, „der Sohn des Verderbens“ geoffenbart werden (V. 3). Nach meinem Verständnis macht es keinen Sinn, in „dem, was zurückhält“ die Gemeinde bzw. den Heiligen Geist zu sehen. Diese dispensationalistische Sicht wird dem Text aufgezwungen. Wir wissen nicht mit letzter Gewissheit, was mit dem „Zurückhaltenden“ gemeint ist. Es könnte, wie viele Ausleger meinen, Recht und Ordnung oder auch der römische Kaiser und das römische Reich sein. Letzteres würde Sinn machen, da das Papsttum durch den Niedergang des römischen Reiches hervorkommen konnte und der Papst quasi an die Stelle des römischen Reiches trat. Dies entspricht auch den Prophetie in Daniel 7,8, wo das „kleine Horn“ aus den Hörnern des römischen Reiches hervorgeht. Daniel 7 wiederum entspricht Offenbarung 13, wo vom Tier aus dem Meer und dem Tier aus dem Land als religiös-politische Macht die Rede ist.  Martyn Lloyd-Jones zeigt neun bedeutsame Übereinstimmungen zwischen der Schilderung dieses „Antichristen“ in Daniel, 2. Thessalonicher und Offenbarung 13 auf („Gott und seine Gemeinde“, S. 145-147). Eigentlich erfüllt das Papsttum alles, was über diese Peron in 2. Thessalonicher 2 vorausgesagt ist; das schließt jedoch nicht aus, dass die endgültige Manifestation des Antichristen noch in der Zukunft liegt.

Römer 11,25 sagt nichts von einer künftigen Wiederherstellung Israels. Dort steht nicht „danach wird ganz Israel errettet werden“, sondern „so wird ganz Israel errettet werden“, wobei mit „so“ der zuvor beschriebene, gegenwärtige Prozess des Bildens des einen „Ölbaums“ aus gläubigen Juden und Heiden gemeint ist. Da es nur einen Ölbaum gibt, nur eine Heilslinie und nicht zwei, widerspricht eine Wiedereinführung des jüdischen Systems dieser Schriftstelle.

Auch Matthäus 24-25 lehrt weder Vorentrückung noch Wiederherstellung Israels und widerspricht diesen sogar. Auch wenn diese prophetische Rede Jesu nicht einfach auszulegen ist, liegt die Lösung nicht darin, die ganze Sache noch komplizierter zu machen und wie die Dispensationalisten zu behaupten, dies alles gelte nur den Juden in der angeblichen künftigen Trübsalszeit. Der Herr spricht in Kapitel 24 offensichtlich sowohl von der Zerstörung Jerusalems und dem schrecklichen Jüdischen Krieg 66-73 nach Christus, als auch von seiner Wiederkunft. Er sagt jedoch nichts davon, dass seine Jünger geraume Zeit vorher entrückt würden. Auch sagt er nichts von einem irdischen Reich nach seiner Wiederkunft. Vielmehr hält er bei seiner Wiederkunft Gericht, und dann gehen die einen „zur ewigen Strafe, die Gerechten aber in das ewige Leben“ (Mt 25,46).

 

 

11. Der Dispensationalismus lehrt ein literalistisch-irdisches, engsichtiges Verständnis des Alten Testaments

Antwort: In meinen Ausführungen zur Hermeneutik (siehe Hermeneutik) bekenne ich mich ausdrücklich zum Literalsinn der Schrift. Zum Literalsinn kommt jedoch noch eine hermeneutische Regel hinzu: die fortschreitenden Offenbarung, aufgrund der das Alte Testament im Licht des Neuen Testaments ausgelegt werden muss (1Kor 2,6-13; 1Petr 1,10). Wenn man das Alte Testament so auslegt, als gebe es das Neue gar nicht, könnte man bei vielen Aussagen tatsächlich zu der Auffassung kommen, dass ein irdisches Königreich für das nationale Israel zu erwarten sei. Aber das Neue Testament bringt uns unverzichtbares Licht für das Verständnis des Alten Testamentes. Dazu gehören z.B. folgende Punkte:

• Christus ist das Ziel, Erfüllung und zentraler Inhalt des Alten Testamentes. Er ist der wahre Auserwählte, der wahre Erbe, der wahre „Weinstock“ (Weinstock war ein Bild für Israel). Er ist der wahre Same Abrahams und in ihm sind alle, die an ihn glauben, wahre Kinder Abrahams (Gal 3,29). In ihm sind durch Abraham alle Nationen gesegnet. Er ist gegen die Erwartung der Juden gekreuzigt worden und als Erstling einer neuen Schöpfung auferstanden. In dieser Weise muss das Alte Testament Christus-zentriert gesehen und viele Prophezeiungen neuschöpflich verstanden werden.

• „Israel“ wird im Neuen Testament neu dargestellt (siehe oben unter Punkt 5), dazu gehört die Einführung himmlischer und neuschöpflicher Begriffe wie das „himmlische Jerusalem“

• Viele Prophezeiungen über Israel werden im Neuen Testament als erfüllt erklärt, z.B. Amos 9 in Apg 15,16ff; Jeremia 31 in Hebr 8 etc. Andere alttestamentliche Prophezeiungen werden im NT aufgriffen und weiter erklärt, z.B. der „neue Himmel und die neue Erde“ aus Jesaja 65-66 in 2Petr 3 und viele Details aus Hesekiel 40ff in Offenbarung 21-22 (Wasserstrom; Bäume mit 12facher Frucht etc). Wir dürfen diese apostolische Vorgehensweise zwar nicht willkürlich auf alle möglichen atl. Prophezeiungen anwenden, jedoch zeigt es, wie die inspirierten Autoren des NT das AT gedeutet haben. Die neustamentliche Deutung des AT entspricht nicht der irdisch-literalistischen Deutung der Dispensationalisten.

• Im NT werden Geheimnisse offenbart, die zum rechten Verständnis des Heilsplans und der Eschatologie – und damit auch diesbezüglicher alttestamentlicher Aussagen – berücksichtigt werden müssen. Z.B. wird in Epheser 3 das Geheimnis erklärt, dass die gläubigen Heiden „Miteinverleibte“ im Volk Gottes sein sollen. Da dies im AT nicht bekannt war, muss man dies bei der Auslegung von alttestamentlichen Verheißungen, die nur von „Israel“ sprechen, berücksichtigen.

 

 

12. Der Dispensationalismus geht nicht in textauslegender Weise (exegetisch) an die Schrift heran, sondern argumentiert mit einer Methodik, die nicht dem Grundsatz „Sola Scriptura“ entspricht. Beispiele:

• Das theologische System der Dispensationalisten bestimmt über ihre Auslegung. Klare Schriftstellen werden umgedeutet, um dem theol. System zu entsprechen. Dies ist unzulässig, denn allein durch das unvoreingenommene Annehmen der klaren Schriftaussagen bekommen wir das „Bild gesunder Worte“ (2Tim 1,13). Wir müssen von dem ausgehen und bei dem bleiben, was die Schrift sagt. Die Gesamtheit der biblischen Lehre ist zwar nicht unsystematisch, aber ein theologisches System darf nicht das Verständnis der Schrift bestimmen, sondern umgekehrt. Theologisch ausgedrückt: Nicht die Dogmatik bestimmt die Exegese, sondern die Exegese bestimmt die Dogmatik. Aus diesem Grund sind bereits viele exegetisch arbeitende bibeltreue Theologen vom herkömmlichen Dispensationalismus abgerückt (siehe dazu das Buch „Darby, Dualism und the Decline of Dispensationalism“ von Ronald M. Henzel, kann bei amazon.de bestellt werden).

• Oft kombinieren Dispensationalisten einzelne passend scheinende "Hinweise" aus der Schrift wie bei einem mystischen Puzzlespiel zu einer wichtigen Lehre. Doch Gott offenbart seine Wahrheit nicht in einem Geheimcode, sondern in den klaren Lehraussagen der Schrift. Mit dem willkürlichen Kombinieren von einzelnen Rückschlüssen aus einzelnen Versen ließen sich beliebige Falschlehren „beweisen“.

• Bisweilen verweisen Dispensationalisten auch darauf, nur besonders „geistliche“ Christen oder Eingeweihte könnten diese Lehre verstehen. Diese Ansicht steht in direktem Widerspruch zu 1Kor 4,6: Geistliche Christen denken nicht über das hinaus, was geschrieben steht. Die echte biblische Lehre entnehmen sie in Einfalt und Demut den klaren Schriftaussagen, anstatt diese zu „verdrehen“ (2Petr 3,16).

 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Dispensationalismus ist offenbar nicht das Ergebnis einer gesunden Schriftauslegung nach dem Grundsatz „Sola Scriptura“ - „allein die Schrift“.

 

Hans-Werner Deppe