Argumente gegen den Dispensationalismus
Das einfachste und naheliegendste Argument gegen den
Dispensationalismus lautet: Er steht nicht in der Bibel. Auf ihn trifft nicht
zu, „es steht geschrieben ...“ Damit meine ich nicht, dass dieses Fremdwort
nicht in der Bibel vorkommt, sondern die speziellen Lehren des
Dispensationalismus wie z.B. die Vorentrückungslehre sind nicht direkt der
Schrift zu entnehmen. Es sind konstruierte Lehren. Wenn man nicht über das
hinaus denkt, was geschrieben steht, wird man den Dispensationalismus nicht
bestätigt finden.
Übrigens ist die Schriftstelle, die besagt, dass wir nicht über das hinaus
denken sollen, was geschrieben steht, sehr wichtig für den Umgang mit diesem
Thema, das leicht zu Streit und Rechthaberei führen kann. Denn das
Über-die-Schrift-Hinaus-Denken führt nach 1. Korinther 4,6 dazu, dass man sich
„gegeneinander aufbläht“, also in Hochmut und Rechthaberei verfällt. In dem,
was geschrieben steht, können wir uns in Demut einig sein. In dem, was darüber
hinaus geht, brauchen wir uns nicht einig sein. Man kann für sich selbst
unterschiedliche Ansichten haben, aber nicht von anderen erwarten, die eigenen
Ansichten würden auch verbindlich für andere Christen gelten. Wenn man jedoch
Ansichten vertritt, die dem widersprechen, was geschrieben steht, sollte man
bereit sein, seine Sicht zu revidieren. So werde ich im Folgenden kurz aufzeigen,
welche Lehren des Dispensationalismus nicht in der Bibel gelehrt werden oder
sogar der Bibel widersprechen.
1. Der Dispensationalismus lehrt,
dass die Bibel und die Heilsgeschichte in mehrere Heilszeitalter (Haushaltungen
oder Dispensationen) aufzuteilen sind. Zwischen den einzelnen Heilszeitaltern
bestehe eine unüberbrückbare Diskontinuität.
Antwort: Das Beachten der heilsgeschichtlichen Epoche ist bei der
Bibelauslegung fraglos wichtig und daher als hermeneutisches Hilfsmittel
richtig. Die Schrift selbst lehrt die dispensationalistische Einteilung in
Haushaltungen jedoch nicht und deshalb darf dieses Einteilen nicht zu einer
Maxime werden, die unser Schriftverständnis bestimmt und überfremdet. Die
Betonung von Diskontinuität lehrt die Schrift ebenfalls nicht, dazu werden wir
unten am Beispiel des Verhältnisses zwischen Israel und Gemeinde noch näher
eingehen. Außerdem wird die Einheit der Schrift durch dieses Fragmentieren
untergraben. Dieses „Zerschneiden“ der Schrift mit 2Tim 2,15 zu begründen, beruht
auf einer falschen Auslegung („Hineinlegung“) dieser Schriftstelle. Die Schrift
ist eine Einheit, weil es nur einen Heilsweg und einen Heiland gibt, der
bereits auf den ersten Seiten der Bibel angekündigt und dessen vollendeter
Triumph auf ihren letzten Seiten beschrieben wird.
Das dispensationalistische Zerteilen der Schrift führt auch dazu, dass
das im NT in Christus vollkommen offenbarte Heil nur als eine von mehreren
Phasen der Heilsgeschichte angesehen wird, anstatt als ihr erfüllender Gipfel
und Endpunkt. So meinen Dispensationalisten z.B., künftig werde wieder ein
Rangunterschied zwischen Gläubigen aus den Juden und aus den Heiden bestehen,
entgegen der biblischen Lehre, dass in Christus „nicht Jude noch Grieche“ ist
und alle Gläubigen durch Christus „Abrahams Nachkommenschaft“ sind (Gal
3,28-29). So dominiert das dispensationalistische Prinzip der Diskontinuität
beim Verstehen der Schrift über das biblische Prinzip der fortschreitenden,
aufeinander aufbauenden Heilsoffenbarung.
2. Der Dispensationalismus lehrt,
Jesus habe Israel das davidisch-messianische Königreich angeboten, doch
entgegen Gottes Absicht hätten die Israeliten es abgelehnt. Daher sei die
Wiederherstellung des davidischen Königreichs aufgeschoben worden bis zur
Wiederkunft Jesu.
Der bekannte Dispensationalist J. D. Pentecost schreibt das Scheitern
dieser angeblichen Absicht Gottes dem Satan zu: „Mit allen erdenklichen
natürlichen und übernatürlichen Mitteln führte der Satan seine unnachgiebige
Kriegführung aus, um Christus daran zu hindern, auf seinem ihm zugewiesenen
Thron in dem Königreich, das aufzurichten er gekommen war, zu gelangen“ („Thy
Kingdom Come“, S. 203). Demzufolge hätte Satan sein Ziel erreicht. Doch Jesu
Worten zufolge war es vielmehr Satans Ansinnen, den Herrn von seinem
entschiedenen Weg zum Kreuz abzuhalten (Mt 16,21-23). Jesus „musste“ „vieles
leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden“ (Mt 16,21). Dies war
von Anfang an Gottes Plan und entsprach den alttestamentlichen Prophezeiungen:
„So steht geschrieben und so musste der Christus leiden und am dritten Tag
auferstehen“ (Lk 24,26-27.46). Seine Auferstehung und Himmelfahrt werden dann
in der Apostelgeschichte eng mit dem verheißenen Davids-Thron und -Reich
verknüpft (Apg 2,29-34; 13,34-36). Dies stimmt auch mit der Prophetie Daniels
über die Himmelfahrt Christi überein (Dan 7,13-14). Auch was den Tempel
betrifft, dürfen wir wissen, dass er in dem auferstandenen Christus bereits
wieder aufgebaut ist (Joh 2,19).
Nach Apostelgeschichte 15,16 hat sich die „Wiederaufrichtung der Hütte
Davids“ durch das Evangelium erfüllt. Diese Wiederaufrichtung ist nämlich die
Voraussetzung für die Heidenmission (Apg 15,17; Amos 9,11-12), worauf Jakobus
hier hinweist. Jesus kam nicht, um ein irdisches Reich anzubieten, sondern „um
zu sein Leben zu geben“ (Mk 10,45) und sich nach seiner Auferstehung als
Erstling einer neuen Schöpfung auf den Thron zur Rechten Gottes zu setzen. Dispensationalisten sagen, Jesus sei zwar
auch jetzt König, herrsche aber nicht: „Obwohl Christus auch heute König ist,
herrscht er nicht als König“ (Ryrie: Die „Bibel verstehen“, S. 296). Doch der
Schrift nach „muss er herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt
hat“ (1Kor 15,25; vgl. Ps 110,1) Dies bezieht sich eindeutig auf die Jetztzeit
(Hebr 10,12-13). Es wäre auch seltsam, wenn der Herr auf einem Thron sitzt (wie
die Schrift vielfach bezeugt), ein himmlisches Reich hat (Kol 1,13) und König
genannt wird (Apg 17,7; 1Tim 1,17; 6,15), ohne tatsächlich zu herrschen. Das
messianische Reich ist in verborgener Weise jetzt und wird in allumfassender
Weise mit der Wiederkunft des Herrn und der neuen Schöpfung kommen.
3. Der Dispensationalismus lehrt,
dass das nationale Volk Israel als Gesamtheit auch heute noch Gottes
auserwähltes Volk sei.
Antwort: Zum auserwählten Volk Gottes gehören nur Gläubige, die an den
Herrn Jesus Christus glauben; denn die Auserwählung Gottes führt immer zum
ewigen Heil (Röm 8,29-30). Dieses Volk der wiedergeborenen Christen, das aus
gläubigen Juden und Heiden besteht, ist ein „auserwähltes Geschlecht, ein
königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum“ (1Petr
2,9; vgl. 2Mo 19,6; 5Mo 7,6). Diejenigen Juden, die nicht an Jesus glauben,
sind „nicht mein Volk“ (Hos 1,9; Röm 9,25; Mt 21,43). Nur wenn sie zum Glauben
an Jesus kommen, werden sie wieder ins Volk Gottes aufgenommen (Hos 2,25; Röm
9,25; 11,23). Diese gläubigen Juden sind die „Auswahl“ und „Geliebte um der
Väter willen“ (Röm 11,28). Das jüdische Volk hat zwar bestimmte geistliche
Vorrechte (Röm 9,1-5), aber die natürliche Zugehörigkeit zu diesem Volk
bedeutet nicht Auserwählung oder Errettung, denn diese ist „nicht aus Geblüt“
(Joh 1,12), sondern aus Gott (Joh 1,13; Röm 9,11-24).
4. Der Dispensationalismus lehrt, er selbst sei der Schlüssel zum
einzig richtigen Bibelverständnis
Dispensationalisten sehen ihr System als Schlüssel zur Schrift an. Der
führende Dispensationalist Dwight L. Pentecost schreibt in seinem Werk „Bibel
und Zukunft“: „Die Schrift bleibt unverständlich, solange man nicht eindeutig
zwischen Gottes Heilsplan für Sein irdisches Volk Israel und dem für die
Gemeinde unterscheidet“ (S. 543).
Wenn jemand behauptet, eine spezielle Lehre sei der einzig wahre
Schlüssel zur Schrift, müssen wir sehr skeptisch sein. Der einzige „Schlüssel
zum richtigen Schriftverständnis“ ist der Herr Jesus Christus (vgl. Lk
24,45ff). Die biblische Lehre lässt sich nicht auf eine minimale Formel
reduzieren, sondern es muss „der ganze Ratschluss Gottes verkündigt“ werden
(Apg 20,27). Es gibt keinen Geheimcode in der Schrift, den man mit einem
Schlüssel dechiffrieren kann.
Was obiges Zitat von Pentecost betrifft, werden wir weiter unten
sehen, dass die Schrift keine zwei verschiedenen Heilspläne für verschiedene
Völker Gottes lehrt. Auch wenn es richtig ist, zwischen dem alttestamentlichen
Israel und der neutestamentlichen Gemeinde zu unterscheiden, so darf man aus dieser heilsgeschichtlichen Unterscheidung keine heilsmäßige Trennung machen (siehe Punkt 6).
5. Der Dispensationalismus lehrt,
dass die Zeit zwischen Pfingsten und Entrückung ein „Einschub“ oder eine
„Einschaltung“ in der Heilsgeschichte Gottes sei.
Die meisten Dispensationalisten bezeichnen diese Zeitspanne als
„Haushaltung der Gnade“ oder „Zeitalter der Gemeinde“ oder ähnlich. Darby
meinte, dieser Einschub sei gar keine Haushaltung, sondern eine Art Pause in
Gottes Plan, während der die „prophetische Uhr“ stillstände.
Dispensationalisten meinen, die Gemeinde
– die Gesamtheit der Gläubigen zwischen Pfingsten und Entrückung – sei im Alten
Testament nicht erwähnt und ein „Geheimnis“, das erst im NT offenbart werde.
Seinen eigentlichen Heilsplan – den Heilsplan mit dem Volk Israel – nehme Gott
erst nach der Entrückung wieder auf (siehe Punkt 7).
Diese Sichtweise erscheint schon von daher fragwürdig, dass das
jetzige Zeitalter als eine Art Lückenfüller gesehen wird und es demzufolge in
der Bibel und in Gottes Heilsplan hauptsächlich um das nationale Volk Israel
gehe. Aber hat Gottes Heil nicht gerade in der Jetztzeit seine größte
Entfaltung gefunden, da das Evangelium bis an die Enden der Erde ausgebreitet
wird? Ist nicht „über uns das Ende (oder Ziel) der Zeitalter gekommen“ (1Kor
10,11)? Die Schrift lehrt weder, dass zu Pfingsten ein abrupter Bruch zwischen
zwei Heilszeitaltern aufgetreten sei, noch dass wir jetzt in einer
„Einschaltung“ leben. Im Gegenteil finden wir neben dem, was zu Pfingsten neu
eingeführt wurde (das Kommen des Heiligen Geistes) deutliche Kontinuitäten
zwischen vorher und nachher (siehe Punkt 6).
Das „Geheimnis“, das im NT offenbart wird, ist keineswegs die
angebliche Einschaltung eines zuvor verborgenen Zeitalters. Vielmehr besagt
dieses Geheimnis, dass außer Israel auch die Nationen an Gottes Heil teilhaben
und in gewisser Weise als „Mitbürger“ und Miterben“ zu Israel dazugehören
sollen (Eph 3,3-6; 2,19) und dass Israel zum Teil verstockt wurde, eben damit
auch die Heiden in Genuss des Heils kommen können (Röm 11,25). Eben weil dies
ein Geheimnis war, müssen wir bei manchen alttestamentlichen Prophezeiungen,
die augenscheinlich nur das Volk Israel betreffen, erwägen, ob diesem Geheimnis
zufolge auch die Gläubigen aus den Nationen darin eingeschlossen sind.
Es ist eine unwahre dispensationalistische Behauptung, dass die
Propheten des AT nichts über diese Heilszeit zu sagen gehabt hätten. Laut einer
nach-pfingstlichen Aussage von Petrus ist das Gegenteil der Fall: „Alle
Propheten, von Samuel an und der Reihe nach, so viele geredet haben, haben auch
diese Tage verkündigt“ (Apg 3,24; vgl. 1Petr 1,10).
6. Der Dispensationalismus lehrt,
dass Israel und die Gemeinde zwei völlig verschiedene Völker seien, zwischen
denen keinerlei Kontinuität bestehe und die daher heilsgeschichtlich absolut
getrennt sind, auch was ihre Heilszukunft betrifft.
Antwort: Die Schrift lehrt diese Diskontinuität nicht, sondern zeigt
vielmehr eine Kontinuität. Eine deutliche Kontinuität zwischen Israel und den
ersten Jüngern bzw. der Gemeinde wird gelehrt in den Evangelien, der Apg., in
Röm 9-11, Eph 2-3 etc. Jesus, die
Apostel, die ersten Jünger und die erste Gemeinde waren ausnahmslos jüdisch.
Paulus nennt diesen Keim der Gemeinde den Überrest Israels (Röm 11,1ff). Als in
der Apostelgeschichte die ersten Heiden ins Volk Gottes aufgenommen wurden, geschah
dies zuerst mit sehr großer Skepsis seitens der Gläubigen und sogar ihrer
Führer (siehe Petrus in Apg 10).
Dispensationalisten behaupten, das NT würde Gläubige der Jetztzeit nie
als „Israel“ bezeichnen. Doch dem entgegen deutet das NT viele israelitische
Begriffe auf die Gemeinde bzw. sieht das wahre Israel jetzt in der Gemeinde
(wobei es zwei Auffassungen gibt: a) die ganze jetzige Gemeinde bildet dieses
wahre „Israel Gottes“, b) nur die jüdischstämmigen Gläubigen der Jetztzeit
bilden das „Israel Gottes“)
Folgende Tabelle verdeutlicht die Kontinuität zwischen
alttestamentlichem Israel und neutestamentlicher Gemeinde und zeigt, dass die
Namen des alttestamentlichen Gottesvolkes auf das neutestamentliche übertragen
wurden:
AT-Begriffe für / in Bezug auf
Israel
|
AT-Stellen
|
Neutestamentliche Übertragung
|
|
Königliches
Priestertum |
2Mo 19,6 |
1Petr 2,5.9,
Offb 1,6; 5,10 |
|
heilige
Nation |
2Mo 19,6 |
1Petr 2,9 |
|
Erwähltes
(Eigentums-) Volk |
5Mo 7,6; 10,15; 14,2; Jes 43,20.21 |
Eph 1,4; Kol 3,12; 2Thes 2,13; 1Petr 2,9 |
|
Braut Gottes |
Jes 54,5-6;
Jer 2,2; Hes 16,32; Hos 1,2 |
2Kor 11,2,
Eph 5,31-32 |
|
Kinder
Abrahams |
2Chr 20,7; Ps
105,6; Jes 41,8 |
Röm 4,11.16;
Gal 3,7.29; 4,23.28.31 |
|
erwähltes
Volk |
5Mo 7,7 |
Kol 3,12
u.v.a. |
|
Israel |
viele |
Eph 2,12.19;
Röm 2,28f; 9,6; 11,26; Hebr 8,8; Gal 6,16; vgl. 1Kor 10,18 |
|
Jerusalem
(Mutterstadt Israels) |
Ps 149,2; Jes
12,6; 49,18-22; 51,18 (vgl. Jes 54,1 mit Gal 4,26f); Kla 4,2 |
Gal 4,26;
Hebr 12,22; Offb 21,2ff |
|
Zion |
|
Hebr 12,22 |
|
Juden |
Esra 5,1; Jer
34,8.9; Sach 8,22.23 |
Röm 2,1ff; vgl. Offb 2,9 |
|
Beschneidung |
1Mo 17,10.13;
Ri 15,18 |
Apg 7,51; Röm
2,28-29; 4,11; Phil 3,3; Kol 2,11f |
|
Erster („alter“)
Bund mit Israel |
|
neuer Bund
mit „Israel und Juda“: Hebr 8,8 |
|
Verheißung des neuen Bundes |
für „Israel
und Juda“: Jer 31; Hes 36 |
Erfüllung im
NT: Lk 20,22; 1Kor 11,25; 2Kor 3,6; Hebr 8-10 |
|
Geliebte
Gottes |
2Mo 15,13; 5Mo
33,3; Esr 3,11 |
Röm 9,25; Eph
5,1; Kalo 3,12; 1Jo 3,1 |
|
Kinder Gottes |
2Mo 4,22; 5Mo 4,1; Jes 1,2.4; 63,8; Jer 31,9; Hos
11,1 |
Joh 1,12;
11,52; Röm 8,14.16; 2Kor 6,18; Gal 3,26; Gal 4,5-7; Phil 2,15; 1Jo 3,1 |
|
Herde Gottes |
Ps 78,52; 80,1;
Jes 40,11; Jer 23,1-3; 31,10; Hes 34,12-16; Mi 5,4; Sach 10,3 |
Joh 10,14.16; Apg 20,28-29; Hebr 13,20; 1Petr 2,25;
5,2.3 |
|
Haus Gottes |
4Mo 12,7 |
1Tim 3,15;
Hebr 3,2-6; 10,21; 1Petr 4,17 |
|
Tempel |
|
Joh 2,21;
1Kor 6,19; Offb 21,22 |
|
Volk Gottes |
2Mo 6,7; 5Mo
27,9; 2Sam 7,23; Jer 11,4 |
Röm 9,25;
2Kor 6,16; Tit 2,14 |
|
Gottes
Wein(berg) |
Jes 5,3-7; Jer 12,10 |
Lk 20,16; Joh 15,1-5 |
|
Acker Gottes |
Jer 12,10 |
1Kor 3,9 |
|
Reich Gottes |
2Mo 19,6;
1Chr 17,14; 28,5 |
Röm 14,17; 1Kor
4,20; Kol 1,13; 4,11; Offb 1,6 |
|
Ölbaum |
Jer 11,16;
Hos 14,6 |
Röm 11,24 |
Neben dieser Kontinuität gibt es selbstverständlich auch
Diskontinuitäten wie das vollbrachte Heil Christi, die Einsetzung des neuen Bundes,
das Kommen des Heiligen Geistes und den Abschluss der biblischen Offenbarung.
Der Fehler des Dispensationalismus besteht also nicht im Beobachten von Diskontinuität, sondern in der Verabsolutierung der Diskontinuität und dem Leugnen wichtiger Kontinuitäten.
Ein Schlüsselabschnitt für das Verständnis der Beziehung zwischen
Israel und Heiden in der Gemeinde ist Römer 9-11. Das Bild vom Ölbaum (V.
17-26) zeigt, dass es nicht zwei Völker Gottes gibt, sondern ein einziges.
„Natürliche Zweige“ wurden ausgebrochen (ungläubige Israeliten) und „wilde
Zweige“ eingepfropft (gläubige Heiden). Auch Israeliten können durch Glauben an
Jesus wieder eingepfropft werden. Die Natur des Baumes und seiner Wurzel ist
„israelitisch“, die gläubigen Heiden sind aus reinem Erbarmen Gottes
aufgenommen worden. Von daher ist es
nicht richtig zu sagen, die Gemeinde habe Israel ersetzt (wie manche
Nicht-Dispensationalisten es behaupten), sondern richtig formuliert wäre: „Das
wahre Israel ist durch das Heilswerk Christi in den neuen Bund eingetreten und
wurde um gläubige Heiden erweitert.“
Auch Epheser 2,11 – 3,13 lehrt, dass die gläubigen Heiden jetzt nicht
mehr „ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels“ sind (2,12), sondern sie sind
„Mitbürger“ (2,19), „Miteinverleibte“, „Miterben“ und „Mitteilhaber der
Verheißung“ (3,6) und bilden so zusammen mit den gläubigen Juden eine einzige
Heilskörperschaft. Die Schrift lehrt keine zwei Heilskörperschaften. Die
„Zwischenwand der Umzäunung“ (2,14) ist abgebrochen. Da sie am Kreuz
abgebrochen wurde, wird sie auch in Zukunft nicht wieder aufgerichtet werden.
Es gibt kein Zurück in die Zeit und Zustände vor dem Kreuz.
Trennung oder Unterscheidung?
Zweifellos ist es für ein richtiges heilsgeschichtliches Verständnis
der Bibel wichtig, zwischen Israel und der neutestamentlichen Gemeinde zu
unterscheiden. Dispensationalisten unterscheiden
aber nicht nur zwischen Israel und der Gemeinde, sondern sie trennen Israel und die Gemeinde völlig
voneinander, auch was das Heil betrifft (Originalton von Dispensationalisten:
„Israel und die Gemeinde sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“). Und das
ist falsch. Ein beispielhafter Vergleich: Sicher ist es wichtig und richtig,
zwischen Mann und Frau und ihren unterschiedlichen Aufgaben in der Gemeinde zu
unterscheiden. Das ist aber etwas anderes als eine völlige Trennung zwischen
Mann und Frau, denn trotz zu unterscheidender Aufgaben etc. gilt, dass Mann und
Frau in Christus eins sind und zusammengehören. Dieses Beispiel von Mann und
Frau kann man zwar nicht hundertprozentig auf den Fall von Israel und Gemeinde
übertragen, aber es verdeutlicht eines: unterscheiden ja, trennen nein. Ich
hoffe, dass diese Klarstellung Missverständnisse vermeidet. Ich erhielt nämlich
z.B. eine eMail von einem Dispensationalisten, der mich provozierend fragte, ob
denn der Herr Jesus seine Jünger in Wirklichkeit „zur Gemeinde gesendet hätte“,
als er sagte: „... geht (nur) zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt
10,6). So eine Unterstellung ist natürlich Unsinn und deshalb ist es wichtig zu
betonen: Eine Ablehnung der dispensationalistischen Trennung zwischen Israel und Gemeinde bedeutet nicht, gar nicht
mehr zwischen Israel und Gemeinde zu unterscheiden und überall, wo „Israel“
steht, nun wie mit einer Brille „neutestamentliche Gemeinde“ zu lesen.
Nun werden manche sagen: „An diese absolute Trennung oder
Diskontinuität glaube ich zwar nicht, aber trotzdem glaube ich an die
dispensationalistische Zukunftserwartung von Vorentrückung, Trübsalszeit, Wiederherstellung
Israels und Tausendjährigen Reich mit Tempeldienst.“ Aber ist das nicht ein
beliebiges Herauspicken und Auslesen von Einzellehren, wie es gerade spontan
gefällt? Ich befürchte, dass ein solcher Glaube ein oberflächlicher,
unsystematischer und inkonsequenter Mischmasch ist. Schließlich basieren all
diese in einer solchen Haltung bejahten Zukunftslehren grundlegend auf der
Trennung zwischen Israel und Gemeinde. Konsequent und systematisch zu Ende
gedacht, muss man das ganze dispensationalistische Lehrprogramm entweder
annehmen oder ablehnen, sonst verhakt man sich letztlich in Widersprüche. (Eine
Ausnahme ist wohl die Erwartung eines irdischen Taus. Reiches, jedoch ohne
Sonderstellung Israels; diese Ansicht harmoniert auch mit einem ansonsten
nicht-dispensationalistischen Schriftverständnis).
7. Der Dispensationalismus lehrt
eine künftige Wiederherstellung Israels und des jüdischen Systems samt Tempel-
und Opferdienst
Antwort: Das Neue Testament lehrt keine künftige Wiederherstellung
Israels. Auch von Dispensationalisten angeführte Einzelverse wie Mt 23,29; Röm
11,26; 2Kor 3,16; Apg 1,6 und 3,21 u.a. lehren nicht diese
dispensationalistischen Auffassungen. Unter Pro-Disp-Argumente
möchte ich auf diese Verse eingehen. Vielmehr lehrt das NT, dass jetzt „das
Ende der Zeitalter“ gekommen ist (1Kor 10,11; vgl. Hebr 9,26; 1Petr 4,7). Wir
leben in den „letzten Tagen“ (Apg 2,17; Jak 5,3; Hebr 1,2).
Was aber ist dann mit den alttestamentlichen Verheißungen? Genau diese
Frage beantwortet Paulus in Römer 9-11, wo er zeigt dass „ganz Israel gerettet
wird“ (11,26). Ich habe lange Zeit gedacht, in Römer 11,26 stünde „danach wird
ganz Israel gerettet“. Das steht dort aber nicht, sondern dort steht „so – auf
diese Weise – wird ganz Israel errettet“. Auf welche Weise? Wie Paulus es zuvor
beschrieben hat: Ein Teil der Israeliten wurde „verstockt“ (V. 25), d.h. das
Gericht wurde zeitlich aufgeschoben, sodass jetzt eine lange Zeit der Gnade
ist, wo sowohl Juden wie Heiden zum Glauben an Jesus Christus kommen können
und, bildhaft gesprochen, in den einen Ölbaum eingepfropft werden. Durch die
Errettung der „Vollzahl“ der Juden (V. 12) und der „Vollzahl“ der Heiden (V.
25) wird „ganz Israel“ errettet. Dabei ist wichtig zu beachten, dass auch die
„Vollzahl“ der Juden (V. 12) bereits in der Jetztzeit gebildet wird, siehe
diese Verse 5.12-15.31.
Auch in der einzigen Stelle in der Bibel, wo von einem
„tausendjährigen Reich“ die Rede ist, in Offb 20, steht nichts von einer
Wiederherstellung Israels oder der Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen
– und schon gar nicht von einem wiedereingeführten Tempel- und Opferdienst.
Auch Petrus, der „Apostel der Beschneidung“, hat zwar zwei Briefe mit
Lehren über die Zukunftserwartung geschrieben, aber darin schreibt er nichts
von einer Wiederherstellung Israels (siehe 2Petr 3).
Auch Matthäus 24-25, die bedeutendste prophetische Rede des Herrn
Jesus, sagt nichts über eine Wiederherstellung Israels (der erste Teil von Kap.
24 spricht von der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr., siehe 24,2) oder
einem tausendjährigen Reich. Im Gegenteil sagt der Herr, dass nach seiner
Wiederkunft und seinem Gericht die einen „ins ewige Leben“ und die anderen „ins
ewige Verderben eingehen“ (25,46).
Dem Hebräerbrief zufolge ist eine Wiedereinführung des schattenhaften
Opfer- und Tempeldienstes unmöglich. Wenn man Hesekiel 40ff konsequent
wortwörtlich versteht – wie Dispensationalisten es tun – müsste es wieder
Sündopfer und eine aaronitische Priesterschaft geben. Die Tier-Sündopfer sind
aber ein für allemal abgeschafft, und Christus ist Hohepriester nach der
Ordnung Melchisedeks. Wie soll da wieder eine aaronitische Priesterschaft
eingeführt werden, die der Hebräerbrief eindeutig als veraltet und überholt
bezeichnet?
Dispensationalisten behaupten auch vielfach, der Herr Jesus habe die
irdische Reichserwartung der Juden letztlich bestätigt. Nach meinem Verständnis
von Jesu Dienst und Verkündigung hat er diese Erwartung jedoch korrigiert zu
einem geistlich-neuschöpflichen Verständnis. Allein die Tatsache von Kreuz und
Auferstehung machen dies deutlich, ferner Schriftstellen wie Mt 5,3.10.19.20;
11,11; 12,28; 13,11.19.24.31.33.43-47; 16,19; 18,3ff; 19,14; Joh 18,36 u.a.
Was aber ist mit dem im Alten Testament angekündigten Friedensreich?
Im Alten Testament wurde das messianische Reich angekündigt und
bildete die Heilserwartung der Juden. Mit dem ersten Kommen Jesu in Niedrigkeit
und seinem Erlösungswerk mit Kreuz und Auferstehung wurde deutlich, dass sich
das messianische Reich in zwei Phasen aufteilt: in die jetzige Phase der
verborgenen Gestalt dieses Reiches, und in die zweite Phase der Vollendung in
Herrlichkeit, wenn Christus wiederkommt. Dann wird es neue Himmel und eine neue
Erde geben. Auf der neuen Erde können viele alttestamentliche Prophezeiungen
buchstäblich in Erfüllung gehen, z.B. dass der Löwe beim Lamm liegt usw.
Dispensationalisten führen jedoch eine dritte Phase ein, das Zwischenreich des
irdischen Milleniums („tausendjähriges Reich“; Offb 20 wird unter Pro-Disp-Argumente
diskutiert).
Viele Prophezeiungen über die Rückkehr von Juden in ihr Land wurden bereits
erfüllt in der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Manche gehen aber
darüber hinaus: Z.B. die Prophezeiungen über die „Wiederaufrichtung der Hütte
Davids“ (des davidischen Königtums) aus Amos 9,11ff wird in Apostelgeschichte
15,16 von Jakobus als erfüllt erklärt, nämlich in der Auferstehung und
Himmelfahrt Christi, der sich zur Rechten Gottes auf den „Thron Davids“ gesetzt
hat (Apg 2,34; vgl. Apg 13,34; Hebr 10,12-13 u.a.). Sein Reich ist nicht von
dieser Welt, sondern von der künftigen. Dann, in der neuen Welt, werden die
gläubigen Israeliten das ihnen verheißene ewige Heil erben – zusammen mit den
gläubigen Heiden. Dort werden sie aus der jetzigen Zerstreuung als Fremdlinge
in dieser Welt alle zu einer einzigen Herde versammelt sein und Gott und das
Lamm wird in ihrer Mitte wohnen und regieren.
(Nachbemerkung: Es gibt jedoch eine Kompromisslösung: Der Glaube an
ein buchstäbliches irdisches Tausendjähriges Reich, allerdings ohne
Unterscheidung zwischen Gläubigen aus Israel und aus den Nationen. Diese
Sichtweise nennt sich „historischer Prämillenialismus“ und kommt auch dem
„progressiven Dispensationalismus“ nahe. Ich persönlich glaube dies zwar nicht,
aber diese Auffassung steht nicht so sehr im Widerspruch zur Bibel wie der
herkömmliche Dispensationalismus.)
Eine Wiedereinführung von
Tieropfern ist dem NT zufolge unmöglich. Das NT lehrt eine solche
Opfer-Wiedereinführung nicht. Ganz im Gegenteil, widerspricht das NT einer
solchen Erwartung und warnt davor. Dem Hebräerbrief zufolge ist Christus
„Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“, die Tieropfer gehören aber zur
Ordnung Aarons. Auch die in Hesekiel
40ff beschriebenen Opfer sind aaronitischer Art. Dort werden auch Sündopfer erwähnt (Hes 40,39; 42,13;
44,19ff etc ). Somit ist eine künftige konsequent-buchstäbliche Erfüllung
ausgeschlossen, da Christi Sündopfer ein für allemal alle anderen Sündopfer
überflüssig gemacht hat. (Zum richtigen
Verständnis von Hes 40ff beachte man die vielen Parallelen zu Offb 21-22)
|
Alter Bund |
Neuer Bund |
|
Veraltet (Hebr 8,13) |
Besser (Hebr 7,22; 8,6) |
|
Abbild, Schatten, Gegenbild (Hebr 8,5; 9,23-24; 10,1) |
Die Erfüllung in Christus |
|
Wiederholte Tieropfer und dementsprechender Gottesdienst |
Christi einmaliges, vollkommenes Opfer und dementsprechender
Gottesdienst, keine weiteren Opfer mehr |
|
Hohepriestertum vieler nach der Ordnung Aarons, sündig (Hebr 6,19 –
7,27; |
Hohepriestertum Christi nach der Ordnung Melchisedeks, sündlos (Hebr
7,26) |
|
„Satzungen des Fleisches, auferlegt ... „(Hebr 9,10) |
„... bis zur Zeit einer richtigen Ordnung““ (Hebr 9,10) |
|
„das Erste“ hat Christus „weggenommen“ (Hebr 10,9) |
„... um das Zweite aufzurichten“ (Hebr 10,9) |
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Alljährliches Erinnern an die Sünden (Hebr 10,3) |
Kein Gedenken mehr an die Sünden (Hebr 10,17; Jer 31,43) |
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Der Weg ins Heiligtum war durch den Vorhang versperrt |
Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum „durch den Vorhang, das ist
durch sein Fleisch“ (Hebr 10,19; vgl. Mt 27,51) |
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Priesterschaft endete mit dem Tod (Hebr 7) |
Ewige Priesterschaft |
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Versöhnung einmal jährlich (Hebr 7,25; 9,12.15; 10,1-4.12) |
Eine ewige Versöhnung |
8. Der Dispensationalismus lehrt eine
künftige Trübsalszeit für Israel und dass die Gemeinde vorher entrückt werde
Die Lehre einer „Vorentrückung“ ist in der Schrift nicht zu finden.
Diese Lehre stammt von John Nelson Darby, der sie Historikern zufolge
wahrscheinlich aus zweifelhaften schwärmerischen Quellen übernommen hat. Die
Lehre einer künftigen siebenjährigen Trübsalszeit für Israel beruht auf dem
willkürlichen Einfügen eines langen Zeitraums zwischen der 69. und 70.
Jahrwoche Daniels. Das gibt aber der Text von Daniel 9 nicht her, vielmehr sind
70 Jahrwochen 490 zusammenhängende Jahre – sonst entstünde ein beliebig
längerer Zeitraum. Ein solcher Einschub wird in der Schrift aber nicht gelehrt
(unter Pro-Disp-Argumente
soll in Kürze näher auf Daniel 9 eingegangen werden).
Ein Studium des Wortes „Trübsal“ im NT zeigt, dass wir als Christen
stets in der Trübsal leben. Zwar können noch Drangsale über diese Welt kommen,
die zu dem gehören, was Johannes in Offenbarung 6-19 mit zum Teil sehr
bildhafter Sprache beschrieben hat. Die Schrift sagt jedoch nicht, dass dies
die Trübsalzeit Israels sei oder dass die Gemeinde vorher entrückt werde.
Dispensationalisten argumentieren, die Gemeinde sei schließlich nicht
für den „Zorn“ bestimmt. Doch der „Zorn“ Gottes im NT meint zumeist das
letztendliche Zorngericht in der Hölle. Vor dem Zorn, der im schrecklichen
jüdischen Krieg von 66-73 n.Chr. über die ungläubigen Israeliten kam, sind die
Christen zu jener Zeit bereits bewahrt worden (1Thes 1,10; 2,16; vgl. Mt 24).
Manche Dispensationalisten versuchen mit Offb. 3,10 zu begründen, dass
die Gläubigen vor der Kulmination der endzeitlichen Drangsale entrückt würden.
Dort steht jedoch, dass der Herr die Gemeinde von Philadelphia „vor der Stunde
der Versuchung bewahrt“. Doch auch wenn diese Verheißung nicht nur dem
damaligen Gläubigen in Philadelphia, sondern auch uns heute gilt, warum sollten
sich diese Verheißung dann aber heute (oder künftig) in anderer Weise erfüllen
als damals? Übrigens findet sich die gleiche Wortkonstruktion „bewahren vor“
(gr. tereso ek) in Johannes 17,15: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt
wegnimmst, sondern das du sie bewahrst
vor dem Bösen.“ Gott bewahrt die Seinen in der Welt nicht durch
Hinwegnehmen, sondern durch Überwinden und Ausharren (oder auch durch
geografische Trennung wie in Mt 24,16 und Offb 18,4).
9. Der Dispensationalismus lehrt,
der neue Bund sei noch nicht in Kraft und gelte nur dem nationalen Israel im
tausendjährigen Reich
Diese Auffassung variiert in den verschiedenen Schulen des
Dispensationalismus; manche gestehen ein, dass der neue Bund auch uns gelte
oder wir zumindest auf eine geheimnisvolle Weise daran teilhätten oder davon
nutznießen. Tenor aller Dispensationalisten ist, dass sich der „neue Bund“ aus
Jeremia 31 auf die Aufrichtung eines irdischen tausendjährigen Reiches für das
nationale Israel beziehe. Für sich allein genommen, mag man dies tatsächlich
aus Jeremia 31 schließen. Das neue Testament gibt jedoch eindeutig Aufschluss
über den neuen Bund: Er wurde durch das vergossene Blut Jesu eingeweiht und ist
die einzige Grundlage, um Sündenvergebung, Erlösung und einen himmlischen
Fürsprecher zu haben. Schauen wir uns den neutestamentlichen Befund zum neuen
Bund an:
• In Lk 22,20 spricht der Herr vom neuen Bund, der durch sein vergossenes
Blut geschlossen wird. Durch dieses vergossene Blut hat der Herr Jesus uns das
Heil, das ewige himmlische Heil, erkauft. Wenn das nicht uns – Juden- und
Heidenchristen der Jetztzeit - gelten würde, dann hätten wir offenbar gar kein
Heil. Diese Aussage aus Lk 22,20 wird in 1Kor 11,25 von Paulus in einem Brief
an eine vorwiegend heidenchristliche Gemeinde wiederholt und bestätigt. Wenn
der neue Bund nicht uns gelten würde, bräuchten wir auch gar kein Abendmahl
feiern.
• In 2Kor 3,6 bezeichnet Paulus sich, den Heidenapostel, als „Diener des
neuen Bundes“. Wie könnte Paulus das sein, wenn der neue Bund nur dem ethnischen
Israel im Hinblick auf das taus. Reich oder rein „irdische Segnungen“ gelte?
• Laut Hebr 7,22 beruht Jesu Hohepriestertum für uns darauf, dass er „Bürge eines besseren Bundes geworden“ ist. Wenn der neue Bund also noch nicht in Kraft wäre, dann hätten wir nicht nur kein Heil, sondern auch keinen himmlischen Hohenpriester (Hebr 7,26)!
• Die Verheißung des neuen Bundes aus Jer 31 wird in Hebr 8,8-12 mit dem
längsten AT-Zitat im NT zitiert. Aus dem Zusammenhang (bes. V. 6.13) geht klar
hervor, dass der neue Bund für die Jetztzeit gilt, dies ist die gesamte
Aussageabsicht dieses Abschnitts.
• Auch aus Hebr 9,15ff geht hervor, dass der neue Bund mit dem Tod Jesu am
Kreuz in Kraft getreten ist und uns gilt: dieses Bundesblut hat unser Gewissen
gereinigt (V. 14) und die zu diesem Bund Berufenen empfangen ein ewiges Erbe
(V. 15).
• In Hebr 10,16 wird nochmals der neue Bund aus Jer 31 zitiert und eindeutig
auf die Jetztzeit gedeutet, denn das Bundes-Zitat wird angeführt als Beleg für
unsere vollkommene Heiligung durch das Opfer Jesu (V. 14). Dann wird aus diesem
Bundes-Zitat auf unsere jetzige Vergebung geschlossen (V. 18).
• Laut Hebr 12,24 sind wir zu „Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes“
gekommen. Dies würde keinen Sinn machen, wenn er nicht auch für uns der Mittler
dieses Bundes wäre. Man beachte auch den Zusammenhang, der Realitäten aus dem
AT geistlich auf uns überträgt: himmlisches Jersusalem, Zion usw. (V. 12ff).
Dieser Befund bringt Dispensatioanlisten in ernste exegetische
Schwierigkeiten. Deshalb sind die einzelnen Schulen des Dispensationalismus
mittlerweile zum Teil von dieser Lehre abgerückt (insb. der „progressive
Dispensationalismus“). Dies ist quasi ein Eingeständnis der exegetischen
Unhaltbarkeit der klassisch-dispensationalistischen Sicht.
Jedoch haben sich manche, die am klassischen Dispensationalismus
festhalten wollen, ein raffiniertes Argument ausgedacht: Der neue Bund gelte
jetzt nur „nach dem Geist“, aber in der Zukunft, im tausendjährigen Reich
Israels, „nach dem Buchstaben“. So erklären sie, dass Paulus ein „Diener des
neuen Bundes“ war, aber eben „nicht des
Buchstabens, sondern des Geistes“ (alle Zitate aus 2Kor 3,6). Die
Widerlegung dieses Argumentes findet sich jedoch noch im selben Vers: „Denn der
Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“. Mit dem „Buchstaben“ ist hier
das Gesetz des alten Bundes gemeint. Unmöglich kann mit dem „Buchstaben“ eine
künftige Erfüllung des neuen Bundes gemeint sein, denn der „Dienst des Todes,
mit Buchstaben geschrieben“ (2Kor 3,7) war genau das Gegenteil: der alte Bund,
der in den von außen an den Menschen herangetragenen Gesetzen bestand, im Gegensatz zum neuen Bund, der den Menschen
innerlich erneuert und den Willen Gottes innerlich aufs Herz schreibt (Hebr
8,10; 10,16).
10. Der dispensationalistische Zukunftsplan mit Vorentrückung und
Wiederherstellung Israels ist nicht nur nicht im Neuen Testament zu finden,
sondern widerspricht auch klaren und wichtigen Schriftstellen über die Zukunft.
In 2. Petrus 3 wird ausführlich beschrieben, was wir als Christen zu
„erwarten“ haben: Den „Tag des Herrn“, an dem Himmel und Elemente vergehen und
„in Brand aufgelöst werden“ (2Petr 3,10-14): „... indem ihr die Ankunft des
Tages Gottes erwartet und beschleunigt, um dessentwillen die Himmel in Feuer
geraten und aufgelöst und die Elemente im Brand zerschmelzen werden! Wir
erwarten aber nach seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde ... da ihr
dies erwartet, befleißigt euch, unbefleckt und tadellos von ihm im Frieden
gefunden zu werden.“
Nach 1. Korinther 15,23 findet die Auferstehung (und Entrückung) der
Gläubigen bei Jesu „Ankunft“ statt, woraufhin das ewige Reich anbricht (V. 24).
Die messianische Königsherrschaft findet nach V. 25 (vgl. Hebr 10,12-13) zuvor
jetzt statt. Am Ende dieser Herrschaftszeit wird er alle seine Feinde
unterwerfen und als letzten Feind auch den Tod abschaffen (V. 26). In 15,51-56
wird dieser Sieg über den Tod mit der Entrückung verbunden.
Nach 2. Thessalonicher 2,1-12 wird vor der Wiederkunft Jesu „und
unserer Vereinigung mit ihm“ (V. 2) der „Abfall“ kommen und „der Mensch der
Gesetzlosigkeit“, „der Sohn des Verderbens“ geoffenbart werden (V. 3). Nach
meinem Verständnis macht es keinen Sinn, in „dem, was zurückhält“ die Gemeinde
bzw. den Heiligen Geist zu sehen. Diese dispensationalistische Sicht wird dem
Text aufgezwungen. Wir wissen nicht mit letzter Gewissheit, was mit dem
„Zurückhaltenden“ gemeint ist. Es könnte, wie viele Ausleger meinen, Recht und
Ordnung oder auch der römische Kaiser und das römische Reich sein. Letzteres würde
Sinn machen, da das Papsttum durch den Niedergang des römischen Reiches
hervorkommen konnte und der Papst quasi an die Stelle des römischen Reiches
trat. Dies entspricht auch den Prophetie in Daniel 7,8, wo das „kleine Horn“
aus den Hörnern des römischen Reiches hervorgeht. Daniel 7 wiederum entspricht
Offenbarung 13, wo vom Tier aus dem Meer und dem Tier aus dem Land als
religiös-politische Macht die Rede ist.
Martyn Lloyd-Jones zeigt neun bedeutsame Übereinstimmungen zwischen der
Schilderung dieses „Antichristen“ in Daniel, 2. Thessalonicher und Offenbarung
13 auf („Gott und seine Gemeinde“, S. 145-147). Eigentlich erfüllt das Papsttum
alles, was über diese Peron in 2. Thessalonicher 2 vorausgesagt ist; das
schließt jedoch nicht aus, dass die endgültige Manifestation des Antichristen
noch in der Zukunft liegt.
Römer 11,25 sagt nichts von einer künftigen Wiederherstellung Israels.
Dort steht nicht „danach wird ganz Israel errettet werden“, sondern „so wird ganz Israel errettet werden“,
wobei mit „so“ der zuvor beschriebene, gegenwärtige Prozess des Bildens des einen „Ölbaums“ aus gläubigen Juden und
Heiden gemeint ist. Da es nur einen Ölbaum gibt, nur eine Heilslinie und nicht
zwei, widerspricht eine Wiedereinführung des jüdischen Systems dieser
Schriftstelle.
Auch Matthäus 24-25 lehrt weder Vorentrückung noch Wiederherstellung
Israels und widerspricht diesen sogar. Auch wenn diese prophetische Rede Jesu
nicht einfach auszulegen ist, liegt die Lösung nicht darin, die ganze Sache
noch komplizierter zu machen und wie die Dispensationalisten zu behaupten, dies
alles gelte nur den Juden in der angeblichen künftigen Trübsalszeit. Der Herr
spricht in Kapitel 24 offensichtlich sowohl von der Zerstörung Jerusalems und
dem schrecklichen Jüdischen Krieg 66-73 nach Christus, als auch von seiner
Wiederkunft. Er sagt jedoch nichts davon, dass seine Jünger geraume Zeit vorher
entrückt würden. Auch sagt er nichts von einem irdischen Reich nach seiner
Wiederkunft. Vielmehr hält er bei seiner Wiederkunft Gericht, und dann gehen
die einen „zur ewigen Strafe, die Gerechten aber in das ewige Leben“ (Mt
25,46).
11. Der Dispensationalismus lehrt
ein literalistisch-irdisches, engsichtiges Verständnis des Alten Testaments
Antwort: In meinen Ausführungen zur Hermeneutik (siehe Hermeneutik) bekenne ich mich ausdrücklich zum
Literalsinn der Schrift. Zum Literalsinn kommt jedoch noch eine hermeneutische
Regel hinzu: die fortschreitenden Offenbarung, aufgrund der das Alte Testament im
Licht des Neuen Testaments ausgelegt werden muss (1Kor 2,6-13; 1Petr 1,10).
Wenn man das Alte Testament so auslegt, als gebe es das Neue gar nicht, könnte
man bei vielen Aussagen tatsächlich zu der Auffassung kommen, dass ein
irdisches Königreich für das nationale Israel zu erwarten sei. Aber das Neue
Testament bringt uns unverzichtbares Licht für das Verständnis des Alten
Testamentes. Dazu gehören z.B. folgende Punkte:
• Christus ist das Ziel, Erfüllung
und zentraler Inhalt des Alten Testamentes. Er ist der wahre Auserwählte, der
wahre Erbe, der wahre „Weinstock“ (Weinstock war ein Bild für Israel). Er ist
der wahre Same Abrahams und in ihm sind alle, die an ihn glauben, wahre Kinder
Abrahams (Gal 3,29). In ihm sind durch Abraham alle Nationen gesegnet. Er ist
gegen die Erwartung der Juden gekreuzigt worden und als Erstling einer neuen
Schöpfung auferstanden. In dieser Weise muss das Alte Testament
Christus-zentriert gesehen und viele Prophezeiungen neuschöpflich verstanden
werden.
• „Israel“ wird im Neuen Testament
neu dargestellt (siehe oben unter Punkt 5), dazu gehört die Einführung
himmlischer und neuschöpflicher Begriffe wie das „himmlische Jerusalem“
• Viele Prophezeiungen über Israel
werden im Neuen Testament als erfüllt erklärt, z.B. Amos 9 in Apg 15,16ff;
Jeremia 31 in Hebr 8 etc. Andere alttestamentliche Prophezeiungen werden im NT
aufgriffen und weiter erklärt, z.B. der „neue Himmel und die neue Erde“ aus
Jesaja 65-66 in 2Petr 3 und viele Details aus Hesekiel 40ff in Offenbarung
21-22 (Wasserstrom; Bäume mit 12facher Frucht etc). Wir dürfen diese
apostolische Vorgehensweise zwar nicht willkürlich auf alle möglichen atl.
Prophezeiungen anwenden, jedoch zeigt es, wie die inspirierten Autoren des NT
das AT gedeutet haben. Die neustamentliche Deutung des AT entspricht nicht der
irdisch-literalistischen Deutung der Dispensationalisten.
• Im NT werden Geheimnisse
offenbart, die zum rechten Verständnis des Heilsplans und der Eschatologie –
und damit auch diesbezüglicher alttestamentlicher Aussagen – berücksichtigt
werden müssen. Z.B. wird in Epheser 3 das Geheimnis erklärt, dass die gläubigen
Heiden „Miteinverleibte“ im Volk Gottes sein sollen. Da dies im AT nicht
bekannt war, muss man dies bei der Auslegung von alttestamentlichen
Verheißungen, die nur von „Israel“ sprechen, berücksichtigen.
12. Der Dispensationalismus geht
nicht in textauslegender Weise (exegetisch) an die Schrift heran, sondern
argumentiert mit einer Methodik, die nicht dem Grundsatz „Sola Scriptura“
entspricht. Beispiele:
• Das theologische System der
Dispensationalisten bestimmt über ihre Auslegung. Klare Schriftstellen werden
umgedeutet, um dem theol. System zu entsprechen. Dies ist unzulässig, denn
allein durch das unvoreingenommene Annehmen der klaren Schriftaussagen bekommen
wir das „Bild gesunder Worte“ (2Tim 1,13). Wir müssen von dem ausgehen und bei
dem bleiben, was die Schrift sagt. Die Gesamtheit der biblischen Lehre ist zwar
nicht unsystematisch, aber ein theologisches System darf nicht das Verständnis
der Schrift bestimmen, sondern umgekehrt. Theologisch ausgedrückt: Nicht die
Dogmatik bestimmt die Exegese, sondern die Exegese bestimmt die Dogmatik. Aus
diesem Grund sind bereits viele exegetisch arbeitende bibeltreue Theologen vom
herkömmlichen Dispensationalismus abgerückt (siehe dazu das Buch „Darby,
Dualism und the Decline of Dispensationalism“ von Ronald M. Henzel, kann bei
amazon.de bestellt werden).
• Oft kombinieren
Dispensationalisten einzelne passend scheinende "Hinweise" aus der
Schrift wie bei einem mystischen Puzzlespiel zu einer wichtigen Lehre. Doch
Gott offenbart seine Wahrheit nicht in einem Geheimcode, sondern in den klaren
Lehraussagen der Schrift. Mit dem willkürlichen Kombinieren von einzelnen
Rückschlüssen aus einzelnen Versen ließen sich beliebige Falschlehren
„beweisen“.
• Bisweilen verweisen
Dispensationalisten auch darauf, nur besonders „geistliche“ Christen oder
Eingeweihte könnten diese Lehre verstehen. Diese Ansicht steht in direktem
Widerspruch zu 1Kor 4,6: Geistliche Christen denken nicht über das hinaus, was
geschrieben steht. Die echte biblische Lehre entnehmen sie in Einfalt und Demut
den klaren Schriftaussagen, anstatt diese zu „verdrehen“ (2Petr 3,16).
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Dispensationalismus ist offenbar
nicht das Ergebnis einer gesunden Schriftauslegung nach dem Grundsatz „Sola
Scriptura“ - „allein die Schrift“.
Hans-Werner Deppe