Buchbesprechung
Roger Liebi: Der Messias
im Tempel
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Roger Liebi. Der Messias im Tempel: Symbolik und Bedeutung des
Zweiten Tempels im Licht des Neuen Testaments. Bielefeld: CLV,
2003. 704 S [plus beigefügter CD-Rom]. € 34,90.
[Vorbemerkung Betanien Verlag: Diese Rezension erschien ursprünglich
im Jahrbuch für Evangelikale Theologie 2004,
abgekürzt JETh, und zwar im Abschnitt praktisch-theologische
Rezensionen. Vom Autor Helge Stadelman mit freundlicher
Erlaubnis zur Verfügung gestellt.]
Wir besprechen dieses an bibelkundlichen, exegetischen, archäologischen
und judentumskundlichen Informationen reiche Buch deshalb im praktisch-theologischen
Rezensionsteil von JETh, weil es a) einen reichen Fundus an katechetisch
relevantem Material bietet und b) auf Grund seines Inhalts den
Bibelwissenschaften nur schwer zuzuordnen ist. Es handelt sich
um die überarbeitete Fassung einer - man beachte die Inkongruenz!
- im Bereich NT-Archäologie und Judaistik bei dem Systematiker
/ Ethiker / Kulturanthropologen Thomas Schirrmacher am Whitefield
Theol. Seminary, Florida, eingereichten Dissertation. Dass es
sich um eine Doktorarbeit handeln soll, nimmt der kundige Leser
mit einiger Besorgnis wahr, fehlt doch eine eigentliche, wissenschaftlich
eingegrenzte Problemstellung; vielmehr bietet die Arbeit eine
ausufernde Breite behandelter Themenbereiche sowie eine Mischung
von wissenschaftlichen Detailkenntnissen, erbaulichen Ideen, subjektiven
methodologischen Entscheidungen, zugleich aber verbunden mit einer
hohen Qualität der Veranschaulichung archäologischer
und bibelkundlicher Fakten. Die Tendenz des Autors zum breiten
Zusammentragen verschiedenster Gegenstände schlägt sich
nicht nur in dem exorbitanten Umfang des Buches nieder, sondern
dokumentiert sich zudem in der Zugabe einer CD-Rom die neben dem
gesamten Text des Buches in elektronischer Form weitere 8 Vorträge
des Autors bietet sowie die Live-Aufnahmen dreier von ihm komponierter
Musikstücke. Immerhin, man wird für diese CD-Rom schon
von daher dankbar sein, dass sie mit Hilfe des installierten Acrobat-Reader
6.0 ermöglicht, die ausgezeichneten archäologischen
Graphiken und Fotos des Buches zu katechetischen Zwecken auszudrucken.
Das Buch bietet im Wesentlichen nach einer etwa 130-seitigen
Einführung (Einleitung / Erforschungsgeschichte des 2.Tempels
/ Geschichte des 2.Tempels / sowie eine Apologie der vom Vf. präferierten
typologischen Methode) auf rund 500 Seiten einen Gang durch den
2.Tempel, der den Anspruch hat, alle tempelbezogenen Aussagen
und Anspielungen des Neuen Testaments dem jeweiligen Topos (von
der `Schönen Pforte´ bis zum `Allerheiligsten´)
zuzuordnen und dabei die gesamte Tempeltopographie und -archäologie
zu erklären (und dabei noch typologisch auszudeuten).
Man wird auf deutsch kein Buch finden, dass die nötigen
Fakten, speziell die archäologischen Fakten, so umfassend,
anschaulich, allgemeinverständlich und zugleich mit einer
reichhaltigen Quellendokumentation (von Josephus über die
Rabbinica bis zu modernen Ausgrabungsberichten) bietet - und das
zu einem erstaunlich günstigen Preis. Nicht zuletzt macht
es die interessanten Forschungsergebnisse von Lean Ritmeyer für
den deutschsprachigen Leser zugänglich.
Auf Einzelergebnisse kann hier nicht eingegangen werden. Fragen
wirft für den Rezensenten jedenfalls der exzessive Gebrauch
der typologischen Bibelauslegung (oder sollte man kritisch sagen:
Eisegese) auf. Dabei geht Liebi von dem vorreformatorischen Prinzip
aus, dass die Göttlichkeit der Bibel dazu führe, dass
sich ihr Sinn gar nicht auf den Literalsinn beschränken könne
(122). Man fühlt sich an die patristischen und katholischen
Verteidiger des 4-fachen Schriftsinns erinnert. Luther hat hier
gegen seine römisch-katholischen Opponenten gerade anders
argumentiert: Als Schrift Gottes ist die Bibel Creatura Dei. Angesichts
ihrer Kreatürlichkeit als `Schrift´ kommuniziert sie
in klarer menschlicher Sprache, ist allgemein verständlich
und bindet uns an ihren Literalsinn. Ihre Qualität als von
Gott stammendes Buch schlägt sich nach ihm nicht in einem
dem Sensus literalis überlegenen geistigen (höheren)
Schriftsinn nieder, sondern in ihrer dem Wesen Gottes entsprechenden
Wahrheit und Autorität. Erasmus würde sich vermutlich
über Liebis Apologie der Typologie freuen (114-131) wie auch
über seine im Anhang dargebotene Apologie des Mehrheitstextes
(700f). Manchmal treibt die Typologie dann auch erstaunliche Blüten
fern jeglicher biblischer Textbasis: so etwa, wenn die von der
Archäologie freigelegten Einkaufsläden entlang der südlichen
Umfassungsmauer erbaulich-typologisierend gedeutet werden: ...hierin
liegt eine wichtige Belehrung: Wahres Glaubensleben schneidet
das Alltägliche nicht vom Göttlichen ab (145);
oder wenn die zur Tempelmusik verwendete Flöte (chalil) unter
Rückbezug auf die etymologische Wurzel chalal = durchbohren
zum Typos für den an Händen, Füßen und seiner
Seite durchbohrten Erlöser wird (362). Der methodologisch
unkontrollierten Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Doch nochmals: Wenn es um bibelkundliche und archäologische
Befunde sowie reiche judaistische Quellenzitate geht, bietet der
Autor nicht Fiktionen, sondern einen enormen Fundus an Fakten
und gelungenen Illustrationen. Von daher ist das Buch als eine
willkommene Materialsammlung für gemeindepädagogische,
religionspädagogische und homiletische Zwecke zu empfehlen.
Und zudem regen die Ausführungen des Autors - auch im Widerspruch!
- vielfältig zum eigenen Nachdenken an.
Helge Stadelmann
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