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Was bedeutet „Israel“? – Von William Hendriksen

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Auszug aus dem Buch „Israel in Prophecy“

Wem gelten die alttestamentlichen Verheißungen? Den ethnischen Juden oder dem neutestamentlichen Volk Gottes aus Juden und Heiden? Oft wird behauptet, es gäbe keinerlei Gründe, die Gemeinde als das neue „Israel“ zu bezeichnen. Stimmt das?

Bei der Beantwortung dieser Fragen sollten wir sorgfältig differenzieren. Es ist tatsächlich falsch, Israel im Sinne der ethnischen Juden gleichzusetzen mit der sichtbaren Gemeinde des jetzigen Zeitalters oder mit dem unsichtbaren Volk Gottes aller Zeiten. In zahlreichen Schriftstellen des Alten Testaments sind mit dem Begriff „Israel“ die Juden als Nation bzw. Volk, als Theokratie gemeint. Wir lesen, dass die Kinder Israels in der Wüste gegen Mose und Aaron murrten (2Mo 16,2); dass das Volk Israel gezählt wurde (2Mo 30,12); dass das Volk Israel das pulverisierte Goldene Kalb trinken musste (2Mo 32,20); dass das Volk Israel bereitwillig Opfer für den HERRN brachte (2Mo 35,29); dass Gott Israel seine Gebote und Satzungen gab (Ps 147,19) usw. Das AT enthält göttliche Verheißungen, die in ihrer buchstäblichen Anwendung den Israeliten, also den ethnischen Juden galten. Abraham wurden zeitliche Segnungen verheißen, z.B.: „Deinem Samen werde ich dieses Land geben“ (1Mo 12,9). Auch die Verheißung der Rückkehr Israels in sein Land nach der Babylonischen Gefangenschaft war buchstäblich gemeint und wurde buchstäblich erfüllt, wie wir in dem Artikel „Wird Israel wiederhergestellt?“ gesehen haben.

Auch im Neuen Testament wird der Begriff „Israel“ weiter buchstäblich verwendet. Dass z.B. der Engel des Herrn Josef aufforderte, aus Ägypten ins „Land Israel“ zurückzukehren, bedeutet natürlich nicht, dass er ins „Land der Gemeinde“ zurückkehren sollte. Das Land Israel ist das Land der Juden (s.a. Mt 2,21; 8,10; 9,33; Lk 4,27; 7,9; Joh 3,10; Apg 2,22.36; 3,12 etc.).

Aber neben diesem buchstäblichen Gebrauch des Begriffes „Israel“ gibt es auch von Anfang an einen bildlichen Gebrauch. Diejenigen, die behaupten, „die Gemeinde ist nicht Israel“, übersehen diese Tatsache. Doch schon das erste Vorkommen des Begriffs „Israel“ in der Schrift deutet darauf hin, dass ein wahrer Israelit sich nicht als Mitglied einer bestimmten Nation definiert oder als leiblicher Nachkomme Abrahams, sondern als jemand, der „mit Gott und mit Menschen siegreich gekämpft hat“ (1Mo 32,28). In Psalm 73,1 lesen wir: „Fürwahr, Gott ist Israel gut, denen, die reinen Herzens sind.“ In Psalm 125,5 steht „Israel“ im Gegensatz zu denen, „die auf ihre krummen Wege abbiegen“. Diese wird der HERR „dahinfahren lassen samt den Übeltätern“, aber verheißt „Friede über Israel“. Sogar die Landverheißung an Abraham ist ausdrücklich ein Typus (Bild) für das himmlische Land (Hebr 11,10.16). Der „Same“, auf den sich alle Verheißungen beziehen, ist Christus (Gal 3,16).

Das steht in völliger Harmonie zu solchen bildhaften Verwendungen von „Israel“ wie von Paulus in Galater 6,16, wo er „Friede dem Israel Gottes“ zuspricht. Dass Paulus hier bei dem Ausdruck „Israel Gottes“ nicht allein an ethnische Juden denkt wird auch aus dem unmittelbaren Zusammenhang deutlich, denn in Vers 15 heißt es: „Denn weder Beschneidung noch Unbeschnittensein gilt etwas, sondern eine neue Schöpfung.“ Das, worauf es einzig und allein ankommt, so argumentiert Paulus, ist „die neue Schöpfung“, das Leben der Wiedergeburt, die der Heilige Geist im Herzen vollbringt (Joh 3,3.5, Röm 2,29). „Der durch Liebe wirksame Glaube“ (Gal 5,6) ist es, was zählt, und nicht ob man der Abstammung nach ein Jude ist oder nicht (vgl. 1Kor 7,19; 2Kor 5,17). Daher ist für Paulus die Gemeinde, die aus an den Herrn Jesus glaubenden Juden und Heiden besteht, tatsächlich Israel. Wir sehen also, dass die Behauptung „die Gemeinde ist nicht Israel“ zu undifferenziert und absolut ist. Wie Paulus schreibt, ist die „Zwischenwand der Umzäunung“, die Juden und Heiden trennte, durch das Blut Christi niedergerissen (Eph 2,14). Diese beiden Gruppen, die einst verfeindet waren, wurden „in einem Leib mit Gott versöhnt durch das Kreuz“ (Eph 2,16). Mit welchem Recht sollten wir diese Trennwand wieder aufrichten?

Paulus schreibt, dass nicht alle, die per Abstammung aus Israel (also Nachkommen Jakobs) sind, tatsächlich zum wahren Israel gehören (Röm 9,6; vgl. das „Israel nach dem Fleisch“ in 1Kor 10,18). Nicht alle gehören zu dem „ganz Israel“ aus Römer 11,26. Nicht alle, die sich nach Juda als Juden bezeichnen, sind wahre und würdige Träger dieses Namens (Röm 2,28.29, „Juda“ bedeutet Lobpreis, man beachte das Wortspiel in V. 29; vgl. Joh 5,41-44). Nicht allen Juden gilt Lob von Gott. Vielmehr gibt es leibliche Nachkommen Abrahams, die, wie einst Ismael, nach dem Fleisch geboren sind, und es gibt andere, die, wie Isaak, nach dem Geist geboren sind (Gal 4,29).

Aber man muss kein leiblicher Nachkomme Abrahams sein, um zum „Israel Gottes“ zu gehören (Gal 6,16; vgl. Röm 9,24). Auch Johannes der Täufer warnte deutlich, dass leibliche Abstammung von Abraham nicht garantiert, ein wahres Kind Abrahams zu sein. Aber er sagte, dass Gott Kinder Abrahams völlig losgelöst von dieser leiblichen Linie hervorbringen kann (Mt 3,9; Lk 3,8)

Da also die undifferenzierte Aussage „die Gemeinde ist nicht Israel“ falsch ist, ist es ebenso falsch, pauschal und undifferenziert zu sagen, dass die Verheißungen für Israel nicht der Gemeinde gelten würden, sondern nur den ethnischen Juden. Die Sichtweise, dass die Verheißungen, die ursprünglich dem Volk der Juden galten, jetzt dem „Israel Gottes“ gegeben wurden, harmoniert vollkommenen mit der Lehre Jesu. Er lehrte, dass die Vorrechte, die einst dem alten Bundesvolk gehörten, auf diese neue Nation übertragen wurden. Das ist die Nation, die „ihre Früchte bringen wird“ (Mt 21,43). Viele werden von Osten und Westen kommen und sich mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch setzen im Reich der Himmel; aber die Söhne des Reiches werden in die äußere Finsternis (Mt 8,11-12). Der Weinberg wird anderen Weingärtnern überlassen (Mt 21,41). Wenn die geladenen Gäste die Einladung ausschlagen, werden andere von überall her ihre Stelle einnehmen (Mt 22,1-14).

Ebenso lehrt Paulus klar, dass Unterschiede in Abstammung, sozialem oder kulturellem Status oder Geschlecht keine Bedeutung mehr haben. „Wenn ihr aber des Christus seid, so seid ihr damit Abrahams Nachkommenschaft und nach Verheißung Erben“ (Gal 3,28-29). „Christus ist alles und in allen“ (Kol 3,10-11). Auch Petrus stellt dieselbe Wahrheit heraus: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum“ (1Petr 2,9; vgl. 2Mo19,6). Anders ausgedrückt: Die alten Titel, die einst dem Bundesvolk des alten Zeitalters galten, gelten nun den Christen.

Niemand wird abstreiten, dass alle geistlichen Segnungen der Gemeinde verheißen sind (Eph 1,3). Diese Gemeinde ist die Braut Christi (Eph 5,23.27.32). Und diese Braut wird manchmal mit einer wunderschönen Stadt verglichen, dem goldenen Jerusalem (Offb 21,2). Ja, die Braut ist die Stadt (Offb 21,9.10). Mehr noch: Auf den Toren dieser Stadt stehen die Nahmen der zwölf Stämme Israels, und auf ihren Grundsteinen die Namen der zwölf Apostel des Lammes (Offb 21,12.14). Ist das nicht dasselbe als zu sagen, dass alle diese Segnungen jetzt der einen weltweiten Gemeinde gelten, der Gemeinde, in die die Erwählten aus allen Nationen in eins versammelt werden?

Dass Israel eines Tages die Erwählten aus den Heidenvölkern umfassen würde und dass sich an diesem weltweiten „Israel“ Gottes Verheißungen erfüllen, ist den Propheten schon immer offenbart worden, wenn auch nicht so klar und gänzlich wie Paulus und anderen in neutestamentlicher Zeit (Eph 3,1-6). Die Wiederherstellung der „Bewahrten Israels“ wird erfüllt, wenn den Heiden das Evangelium gebracht wird (Apg 13,47). Zions Zelte werden ausgeweitet (Jes 54,1-3), wenn die Heiden Christus annehmen (Gal 4,27). Der neue Bund, den der HERR durch Jeremia verheißen hat (Jer 31,31-34), ist der eine Bund, der völliges Heil jedem Glaubenden verheißt – sei es Jude oder Heide – durch einfachen Glauben an Christus ohne jeglichen zeremoniellen Satzungen (Hebr 8,8-12; 10,16-20). Der Symbolismus des heilsamen Wassers aus Hesekiel 47 (vgl. Jes 44,3; Sach 14,8) erfüllte sich zu Pfingsten, als der Heilige Geist ausgegossen wurde (Joh 7,37-39). Die Prophezeiung, dass Gott sich eines Tages derer erbarmt, derer er sich zuvor nicht erbarmt hat, und dass er jene, die er „mein Volk“ nannte, „Nicht-mein-Volk“ nennen wird (Hos 2,23; vgl. 1,9-10) erfüllte sich durch die Gründung der Gemeinde, die die Gemeinschaft aller Berufenen ist, nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heiden (Röm 9,24-26). Die Wiederaufrichtung des Zeltes Davids (Amos 9,11ff) erfüllte sich, als Gott sich zu den Heiden wandte, um aus ihnen ein Volk für seinen Namen zu nehmen (Apg 15,14ff). Daher wird deutlich, dass es in einem gewissen Sinne völlig richtig ist zu sagen, dass die Verheißungen an Israel der Gemeinde gelten.

Anders ausgedrückt: Wenn eine Prophezeiung in diesem neuen Zeitalter erfüllt werden soll, wird es entsprechend dem Geist dieses neuen Zeitalters erfüllt. Somit werden diese alttestamentlichen Prophezeiungen in der geistlich geprägten Gemeinde erfüllt, und weder im Alten noch im Neuen Testament gibt es den leisesten Hinweis, dass irgendwann in der Zukunft die Uhr wieder zurückgedreht werde. Lasst uns den Geist dieses neuen Zeitalters atmen. Lasst uns so leben und denken, wie neutestamentliche Gläubige leben und denken sollten. Nicht „zurück nach Jerusalem“ sollte die Devise sein, sondern „von Jerusalem bis an die Enden der Erde“.

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